Alfred Fleßner Gemeindemitglieder im evangelischen Kirchenkampf Der Fall Wiefels

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Alfred Fleßner Gemeindemitglieder im evangelischen Kirchenkampf Der Fall Wiefelshttp://digital.lb-oldenburg.de/zs/nav/classification/189848

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    Oldenburger Jahrbuch

    Oldenburger Landesverein fr Geschichte, Natur- und Heimatkunde

    Oldenburg, 1957

    Alfred Flener: Gemeindemitglieder im evangelischen Kirchenkampf. Der Fall Wiefels 1934 - 1940 [Mit Abb.: Heinz Lbben]

    urn:nbn:de:gbv:45:1-3267

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  • Oldenburger Jahrbuch 101, 2001 109

    Alfred Flener

    Gemeindeglieder im evangelischen Kirchenkampf

    Der Fall Wiefels 1934-1940

    Der ev. Kirchenkampf wurde bislang vorwiegend mit Blick auf das amtskirchliche Geschehen untersucht, whrend die Vorgnge in den Kirchengemeinden und hier insbesondere die Handlungsweisen und Haltungen der Gemeindeglieder nur in enger Beziehung dazu oder gar nicht wahrgenommen wurden. Dies gilt, wie noch gezeigt wird, weitgehend auch fr die neuere, flchendeckende Untersuchung des Kirchen-kampfgeschehens im Gebiet der oldenburgischen Landeskirche, die von Karl-Lud-wig Sommer vorgelegt wurde1). Die bei ihm wie in der Kirchenkampfforschung ins-gesamt dominierende Auseinandersetzung um die Problematik, ob bzw. inwieweit der ev. Kirchenkampf als eine Form des Widerstandes gegen die nationalsozialisti-sche Herrschaft bewertet werden kann, wird an dieser Stelle nicht fortgefhrt) . Viel-mehr soll anhand eines Fallbeispiels darauf aufmerksam gemacht werden, da das kollektive Verhalten der Gemeindeglieder im Kirchenkampf von sozialstrukturellen Gegebenheiten bestimmt sein konnte, hinter die politische oder kirchliche Konflikt-lagen zurcktraten. Damit verbindet sich die Forderung nach einem Perspektiven-wechsel: Die Wirkungsgeschichte des ev. Kirchenkampfes auf Gemeindeebene kann nur angemessen erfat werden, wenn gemeindeinterne Vorgnge im Kontext der all-tglichen Lebenswelt der historischen Akteure betrachtet werden. Im folgenden konzentriert sich die Darstellung auf die Vorgnge in dem friesischen Dorf Wiefels, einer der wenigen Oldenburgisi hon Landgemeinden, in denen es im Zusammenhang mit dem ev. Kirchenkampl ) /u schwerwiegenden lokalen Konflik-

    1) Karl-Ludwig S o m m e r , Bekenntnisgemeinschaft und bekennende Gemeinden in Oldenburg in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft. Evangelische Kirchlichkeit und nationalsozialistischer Alltag in einer lndlichen Region (Verffentlichungen der Historischen Kommission fr Niedersach-sen und Bremen 39, Bd. 5), Hannover 1993.

    2) Siehe hierzu und zur Forschungsentwicklung S o m m e r (s. Anm. 1), S. 13-40, 479-484; vgl. auch den Literatur- und Forschungsbericht von Beatrix H e r l e m a n n und Karl-Ludwig S o m m e r , Wider-stand, Alltagsopposition und Verfolgung unter dem Nationalsozialismus in Niedersachsen in: Niederschsisches Jahrbuch fr Landesgeschichte (knftig: Ndsjb.) 60,1988, insbes. S. 261-269.

    3) Zum Kirchenkampf in der oldenburgischen Landeskirche insgesamt s. S o m m e r (s. Anm. 1); Rein-hard R i t t n e r , Die evangelische Kirche in Oldenburg im 20. Jahrhundert, in: Oldenburgische Kir-chengeschichte, hrsg. von Rolf S c h f e r in Gemeinschaft mit Joachim K u r o p k a , Reinhard R i 11 ner , Heinrich S c h m i d t , Oldenburg 1999, S. 643 ff., insbes. S. 695-749; vgl. u.a. auch d e r s . , Intakte oder

    Anschrift des Verfassers: Dr. Alfred Flener, Historiker, Artillerieweg 13, 26129 Ol-denburg.

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    ten4) gekommen ist. Zunchst wird der rtliche Ereignisverlauf in wesentlichen Z-gen dokumentiert""), um vor diesem Hintergrund in einem zweiten Schritt mgliche Beweggrnde der Gemeindeglieder zu beleuchten. Hierzu werden drei Deutungs-perspektiven diskutiert: zeitgenssische Stellungnahmen, historiographische Dar-stellungen und die Geschichtsdeutung der heutigen Wiefelser, die sich 1991/92 in einem Geschichtsprojekt mit den drflichen Ereignissen whrend des ev. Kirchen-kampfes auseinandergesetzt haben"). Am Ende wird eine Neubewertung der Wie-felser Ereignisse vorgenommen, die sich um eine Annherung an den subjektiven Sinn der kollektiven Handlungen bemht.

    1. Die Ereignisse in Wiefels

    Die Kirchengemeinde Wiefels hatte Mitte der 30er Jahre 275 Einwohner und war mit der 106 Einwohner zhlenden Nachbargemeinde Westrum zu einer Gesamtkir-chengemeinde verbunden. Beide Gemeinden behielten eigene Kirchenrte, die bei gemeinsamen Anliegen zu einem Gesamtkirchenrat zusammentreten sollten. Der gemeinsame Pfarrer sollte seinen Hauptsitz in Wiefels haben und die Gottesdienste jeweils nacheinander in den Kirchen der beiden Orte abhalten. In die seit einiger Zeit unbesetzt gebliebene Pfarrstelle wurde im Mrz 1934 als Vakanzprediger der 26 Jahre alte Pfarramtskandidat Heinz Lbben entsandt, der nach seinem theologi-schen Examen im Dezember 1934 heiratete und seine Frau Heidi ebenfalls nach Wiefels holte ). ber seine nun anstehende Ordination geriet Lbben in Konflikt

    zerstrte Kirche - Oldenburg in der Zeit des Reichskirchenausschusses 1935-1937, in: Beitrge zur oldenburgischen Kirchengeschichte. In Zusammenarbeit mit Inge M a g e r und Rolf S c h f e r hrsg. von Reinhard R i t t n e r (Oldenburgische Monographien), Oldenburg 1993, S. 159-183; Hans-Walter K r u m w i e d e , Der evangelische Kirchenkampf in Oldenburg, in: Oldenburg und die I ambertikir-che. In Zusammenarbeit mit Ruth D a n n e m a n n und Heinrich S c h m i d t hrsg von Reinhard Ri t t -n e r (Oldenburgische Monographien), Oldenburg 1988, S. 193-214.

    4) Vgl. dazu die Beschreibungen solcher Flle bei S o m m e r (s. Anm. 1), S. 289-305, 307-354, und Hugo H a r m s , Geschichte des Kirchenkampfes in Oldenburg, 4 Bde. (hektogr.), Jever 1963, hier: Bd. 4; zu den Vorgngen in Delmenhorst s. auch Reinhard R i t t n e r , Pastor Paul Schipper - Kirchenkampf in Delmenhorst, in: Delmenhorster Kirchengeschichte. Beitrge zur Stadt-, Schul- und Sozialgeschichte, im Auftrage der Stadt Delmenhorst hrsg. von Rolf S c h f e r und Reinhard R i t t n e r (Delmenhorster Schriften 15), Delmenhorst 1991, S. 215-247; ber das Dorf Tossens in Butjadingen s. auch Gerhard R a m s a u e r , Kirche und Nationalsozialismus in Tossens. Kirchenkampf 1933-1945 in einem Mar-schendorf des Oldenburger Landes (Oldenburger Studien 39), Oldenburg 1997, vgl. dazu die kriti-sche Buchbesprechung von Karl-Ludwig S o m m e r in: Oldenburger Jahrbuch (knftig: OJb.) 97, 1997, S. 265; zur Gemeinde Edewecht s. Christoph M ii Her, Die Kirchengemeinde Edewecht in der Zeil des Nationalsozialismus, in: OJb. 100,2000, S. 161-176.

    5) Umfassend dargestellt sind die Ereignisse in: Alfred F lener , Kollektive Verarbeitung der nationalsoziali-stischen Vergangenheit als mentaler Proze. Das Dorf Wiefels und der evangelische Kirchenkampf, Diss. Univ. Oldenburg 2000 (elektron. Diss.: http://www.bis.uni-oldenburg.de/dissertation/ fb03.html), S. 13-31.

    6) Die Analyse der von den Dorfbewohnern in ihrem Projekt geleisteten Geschichtsverarbeitung ist der zentrale Untersuchungsgegenstand bei F l e n e r (s. Anm. 5).

    7) Zu den Angaben: Schreiben des Wiefelser Kirchenrats vom 14.4.1936 an den Reichskirchenausschu in Berlin, Archiv der oldenburgischen Bekenntnissynode (knftig: BKAO), 1V-20 Bd. 12 Nr. 62; Akte ber die Wiederbesetzung der Wiefelser Pfarrstelle, Archiv des ev.-luth. Oberkirchenrates in Olden-burg (knftig: OKRAO), C LXXXI-31; Personalakte Lbben, Niederschsisches Staatsarchiv in Olden-burg (knftig: StAO), Best. 250 B 29a Nr. 396a; Interview mit Heidi Lbben, gefhrt von der Diakonin Helma Winkler, Wiefels, am 2.8.1991 (im Besitz des Verfassers).

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    Abb. 1: Heinz Hibben (1907-1942), Pastor in Wiefels, aus: Voesgen/Winkler (s. Anw. 35), S. 38.

    mit dem Oldenburger Oberkirchenrat (OKR), der unter Fhrung von Landesbischof Johannes Volkers mit den oldenburgischen Vertretern der Bekennenden Kirche (BK) um das Kirchenregiment in der Landeskirche stritt. Volkers versuchte, auch auf die Pfarramtskandidaten Druck auszuben, indem er ihre Ordination mit einer Aner-kennung seiner kirchenrechtlichen Zustndigkeit verknpfte^). Lbben und ein weiterer Kandidat beugten sich diesem Druck nicht und wurden schlielich von ih-ren Posten abberufen, nachdem sie sich auerhalb der oldenburgischen Landeskir-che hatten ordinieren lassen9).

    8) Siehe das Schreiben des Landesbischofs vom 13.2.1935 an den prov. Vakanzprediger Lbben in Wie-fels, StAO, Best. 250 B 29a Nr. 396a; vgl. hierzu auch S o m m e r (s. Anm. 1), S. 136 f.

    9) Siehe die Mitteilungen" bzw. Rundschreiben" der BK in Oldenburg vom 5.4. und 12.4.1935, StAO, Best. 256-3 Kasten 2; s. auch Der Fall Wiefels. Amtliche Darlegung des Landesbischofs", Oldenbur-ger Sonntagsblatt, 81/1935, Nr. 31 vom 4.8.1935, S. 248.

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    (bi-ifOT '9-

    4 fr tyrf ' f o r

    Abb. 2: Aufruf zur Gemeindeversammlung nach der Abberufung Hibbens, Pfarrarchiv fever, Best. Wiefels Nr. 223.

    Die Kirchengemeinde Wiefels/Westrnm reagierte gleich am nchsten Tag auf die Ab-berufung Lbbens. Am 10. April 1935 fand unter Leitung des ebenfalls der BK ange-hrenden Vakanzverwalters fr Wiefels/Westrum, Pfarrer Thorade aus der Nachbar-gemeinde Tettens, eine Kirchenratssitzung in Wiefels statt, bei der die Kirchenltesten sich mehrheitlich dafr entschieden, die Abberufung zurckzuweisen. Auf einer im Anschlu daran stattfindenden Versammlung der Gemeindeglieder wurde dieser Be-schlu besttigt. Er wurde folgendermaen begrndet: Der Kirchenrai ist It. 31 K.V. verpflichtet, fr den Aufbau der Gemeinde Sorge zu tragen; er sieht in der Vfg. des Lmdesbi-sclwfs jedoch eine Schdigung des Gemeindelebens, da sie ohne jegliche Verstndigung mit dem Kirchenrat, ohne jede Begrndung, dazu fristlos und gerade 4 Tage vor der Konfirmation u. vor Beginn der Karwoche, ohne jegliche Rcksicht auf die Belange und Notwendigkeiten der Gemeinde, die volles Vertrauen zu Vak. Pred. Lbben hat, erfolgt ist. Weiter hie es: Der Kirchenrat ist umso weniger zu einer Anerkennung der Entscheidung des Landesbischo in der Lage, als die rechtliche Lage des O.K.R. und des Lindesbischofs beraus fraglich istM).

    10) Protokolle der Kirchenratssitzung und der Gemeindeversammlung in Wiefels am 10.4.1935, Pfarr-archiv Jever (knftig: PfAJ), Protokollbuch des Kirchenrats Wiefels 1929-1948. S. 119-122.

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    Entsprechendes, allerdings ohne den Hinweis auf die rechtliche Lage der amtieren-den Kirchenleitung, geschah zwei Tage spter auf einer Kirchenratssitzung und ei-ner Gemeindeversammlung in Westrum") . Der Konflikt spitzte sich weiter zu, als der OKR fr die unmittelbar bevorstehende Konfirmation am 14. April 1935 einen anderen Pfarrer nach Wiefels entsandte, der dort erfolglos versuchte, die zu Lbben stehenden Kirchenltesten auf seine Seite zu bringen. Nach langen Verhandlungen, bei denen sich der Landesbischof selbst mehrmals telefonisch mit einem der Wiefel-scr Kirchenltesten auseinandersetzte, zog er seinen Auftrag zurck und bertrug die Verantwortung fr die Konfirmation dem Vakanzverwalter Thorade. Der aber beauftragte wiederum Pfarrer Lbben, so d a dieser die Konfirmation - gegen den Willen des Landesbischofs - in Wiefels vornehmen konnte12). Weitere Sanktionen des Landesbischofs, der auf Lbbens Abberufung beharrte, folgten. Als Pfarrer Thorade Anfang Mai 1935 als Vakanzverwalter abgesetzt wurde, kam es zu einer erneuten, noch entschiedeneren Reaktion des Wiefelser Kirchenrates. Er beschlo nun, smtliclic Beziehungen zu dem derzeitigen Oberkirchenrat in Oldenburg abzubrechen, solange die Rechtmigkeit dieses O.K.R. nicht einwandfrei erwiesen ist, und unterstellte sich bis zur Wiederherstellung der Rechtmigkeit in der Leitung der oldenburgischen Lin-deskirche dem Prsidium der Bekenntnissynode der ev.-luth. Landeskirche des Landesteils Oldenburgn). Die Westrumer Kirchenltesten vollzogen diesen Schritt allerdings nicht mit und stellten sich im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen auf die Seite des OKR.

    In Wiefels jedenfalls stand nicht nur die Mehrheit der Kirchenltesten, sondern auch der grte Teil der Gemeindeglieder auf der Seite des Pfarrers. Belegt ist dies durch eine kurz nach der Abberufung Lbbens durchgefhrte Unterschriftensamm-lung, bei der immerhin 105 Einwohner von Wiefels den Antrag unterzeichneten, da der Vakanzprediger H. Lbben der Kirchengemeinde Wiefels erhallen bleibtu). Unter-sttzung fr seine Manahmen fand der O K R in Wiefels vor allem bei einem der Bauern der zu Wiefels gehrenden umliegenden Hfe und dem Hauptlehrer, die beide zumindest zeitweise Funktionstrger der lokalen NSDAP-Gliederungen wa-ren und im Zuge der nationalsozialistischen Machtbernahme auch Funktionen in der Kirchengemeinde bernehmen konnten: Der Bauer war im April 1935 noch Kreispropagandaleiter der NSDAP, verlor diesen Posten wenig spter, wurde aber

    11) Siehe den Vermerk Pfarrer Thorades (Abschritt) vom 12.4.1935, OKRAO, C LXXXI-1 12) Die Vorgnge werden geschildert in einem von Heinz Lbben fr Pfarrer Kloppenburg verfaten Be-

    richt vom 27.4.1935, BKAO, 1V-20 Bd. 12 Nr. 62, und in zwei Briefen Heidi Lbbens an ihre Mutter vom 13. und 24.4.1935, PfA], Best. Wiefels Nr. 1010; s. auch das Protokoll der Kirchenratssitzung in Wiefels am 16.4.1935, PfAJ, Protokollbuch des Kirchenrats Wiefels 1929-1948, S. 123 f.

    13) Protokoll der Kirchenratssitzung in Wiefels vom 8.5.1935, PfA], Protokollbuch des Kirchenrats Wie-fels 1929-1948, S. 130-133; s. auch das Schreiben des Landesbischofs vom 7.5.1935 an die Kirchenlte-sten von Wiefels und Westrum, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267, und die Nachricht Thorades an das Prsi-dium der Bekenntnissynode Oldenburgs vom 29.5.1935 bezglich der gegen ihn verhngten Geld-strafen, BKAO, IV-20 Bd. 12 Nr. 62.

    14) Unterschriftenliste, beim OKR eingegangen am 15.4.1935, OKRAO, C LXXXI-31. Heidi l bben berichtet von dieser Unterschriftensammlung am 13.4.1935 in einem Brief an ihre Mutter, nach ihren Angaben sprachen sich ca. 79 ".. der Gemeindeglieder fr Lbben aus, PfAJ, Best. Wiefels Nr. 1010.

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    danach noch Ortsbauernfi ihrer 1 ) . Seit den reichsweit fr den 23. Juli 1933 angeord-neten Kirchenratswahlen, bei denen eine Wahl im eigentlichen Sinne in den meisten Gemeinden der oldenburgischen Landeskirche nicht stattfand, weil man sich vor-her auf Einheitslisten geeinigt hatte, war er entsprechend dem einstimmig ange-nommenen Wahlvorschlag des NSDAP-Sttzpunktes Wiefels als Ersatzltester fr den Kirchenrat nominiert. Der seit 1931 am Ort ttige Hauptlehrer, der zugleich als Kirchenorganist fungierte, war stellvertretender Leiter des Wiefelser NSDAP-Sttz-punktes gewesen und sa seit den Kirchenratswahlen vom Juli 1933, ebenfalls ent-sprechend dem NSDAP-Wahlvorschlag, als Kirchenltester im Kirchenrat1"). Diese beiden, auf deren Seite sich eine Minderheit von hchstens 20 Wiefelsern stellte, tra-ten im Dorf als Interessenwahrer des Nationalsozialismus auf und trugen durch ihre Aktivitten erheblich zur Verschrfung des Konflikts bei1')- So hatte z.B. die Gemeindeversammlung am Tag nach Lbbens Abberufung in die Wiefelser Kirche verlegt werden mssen, weil sie in einer Gaststtte des Dorfes durch zwei Polizei-beamte verboten worden war. Ausgelst hatte diese Manahme besagter Kreispro-pagandaleiter, der dem Amtshauptmann in Jever eine telefonische Meldung erstat-tet und darum ersucht hatte, diese Protestivrsammlimg, wie er laut Polizeibericht an-gab, zu verbieten1"). Der Lehrer machte zum Zeitpunkt der Abberufung Lbbens gerade Urlaub, sorgte aber nach seiner Rckkehr noch bis spt abends vor dem Konfirmationssonntag vom 14. April 1935 fr Verunsicherungen im Dorf, indem er sich auch dann noch fr die Amtsttigkeit des vom O K R entsandten Ersatzpfarrers einsetzte, als der OKR dessen Beauftragung schon lngst wieder zurckgezogen hatte14). Immer wieder versuchten der Lehrer und der zeitweilige Kreispropagan-daleiter, behrdliche Instanzen unter Berufung auf verletzte nationalsozialistische Interessen zum Eingreifen in Wiefels zu bewegen. Sie wandten sich dazu an den OKR, aber auch direkt an bergeordnete Instanzen der NSDAP und staatliche Stel-len2"). Aber auch der vom OKR als neuer Vakanzverwalter fr Wiefels/Westrum eingesetzte deutsch-christliche Pfarrer Ramsauer aus Waddewarden, ebenso der

    15) Zu den Angaben s. den Vermerk des Amtshauptmanns in Jever vom 11.4.1935 und seine Berichte an den oldenburgischen Innenminster vom 18.4. und 1.8.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267, sowie die Mel-dung Pfarrer Lbbens ber Kirchenaustritte vom 25.1.1937, BKAO, IV-20 Bd. 12 Nr. 62.

    16) Siehe die Berichterstattung zur Kirchenwahl in: Nachrichten fr Stadt und Land, Nr. 195, vom 21.7.1933; die kirchlichen Wahlunterlagen mit dem Wahlvorschlag der Nationalsozialistischen Arbeiter-partei Sttzpunkt Wiefels ..., PfAJ, Best. Wiefels Nr. 223; Angaben zu 1931 und 1933 in: PfAJ. Chronik der Gemeinde Wiefels [1894-1946]; Bericht des Hauptlehrers Popken an das Amt Friesland vom 12.7.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267; vgl. S o m m e r (s. Anm. 1),S. 69-71.

    17) Die Zahl wird sowohl von staatlicher (s. dazu unten, Kap. 2.1) als auch von bekenntniskirchlicher Seite genannt (vgl. die Angabe in dem Rundschreiben des Bruderrats der ev.-luth. Kirche in Olden-burg" Nr. 69 vom 19.6.1935, StAO, Best. 256-3 Kasten 2), wobei in beiden Fllen die Besucher deutsch-christlich geleiteter Gottesdienste in Wiefels gemeint sind; vgl. auch S o m m e r (s. Anm. 1), S. 341-348.

    18) Siehe die beim Amtshauptmann in Jever darber erstellten Vermerke und Berichte vom 11., 12. und 18.4.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267.

    19) Siehe Anm. 12. In seiner Sitzung am 16.4.1935 sprach der Wiefelser Kirchenrat dem Lehrer fr sein Verhalten eine Mibilligung aus, PfAJ, Protokollbuch des Kirchenrats Wiefels 1929-1948, S. 123 f.

    20) Siehe z.B. die vom Lehrer Karl Popken verfaten, oft rein denunziatorischen Berichte ber die Situa-tion in Wiefels vom 30.3. und 26.5.1935 (StAO, Best. 250 B 29a Nr. 396a), vom 10.6., 12.6., 12.7., 5.9. und 19.9.1935 (OKRAO, C LXXXI-31), die Schreiben des Carl Gerdes, Wiefels-Ollacker, vom 29.12.1935 und 6.1.1936 an den OKR, OKRAO, C LXXXI-1, sowie ihre schriftlichen Aussagen im Zu-sammenhang mit polizeilichen Zeugenvernehmungen im Juli 1935 (s. unten, Kap. 2.1).

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    vom OKR anstelle Lbbens beauftragte Vakanzprediger Thmler, als frhes Partei-mitglied ebenfalls ein Exponent des Nationalsozialismus in Wiefels ), und nicht zuletzt der OKR selbst drngten nachdrcklich auf staatliche Manahmen gegen Lbben und seine Untersttzer in Wiefels") . Da die Haltung des Wiefelser Kirchenrates hierfr ein ernstes Hindernis darstellte, wurde er in den folgenden Wochen auf Betreiben des OKR umbesetzt: Auf einer Gesamtkirchenratssitzung fr Wiefels und Westrum wurden drei entschieden auf Lbbens Seite stehende Wiefelser Kirchenlteste aus dem Kirchenrat ausgeschlos-sen. Unter den Nachrckern befand sich u.a. der als Lbben-Gegner hervorgetre-tene zeitweilige Kreispropagandaleiter1 1). Eine direkte Konfrontation zwischen Lbben und dem neuen Vakanzverwalter bei einem Gottesdienst in Wiefels bot dann offensichtlich den Anla fr staatliche Manahmen 2 4) . Am 8. Juni 1935 verbot das Oldenburger Innenministerium Lbben den Aufenthalt in der Kirchenge-meinde Wiefels. Durch seine weitere Anwesenheit in Wiefels, so die Begrndung, werde die Volksgemeinschaft zerstrt und die ffentliche Sicherheit und Ordnung un-mittelbar gefhrdet25). Der Einflu Lbbens und der BK in Wiefels wurde durch diese Manahme jedoch nicht eingedmmt. Ende Juni mute das Aufenthaltsverbot auf den Bezirk des ehemaligen Amtes Jever und kurz danach auch auf den Kreis Witt-mund ausgedehnt werden, weil Lbben in benachbarten Orten Gottesdienste abge-halten hatte und ein groer Teil der Wiefelser Gemeindeglieder dazu angereist war. Der im Auftrage des OKR inzwischen in Wiefels ttige Vakanzprediger Thmler wurde derweil von den meisten Gemeindegliedern boykottiert, die statt dessen die Gottesdienste der BK im Hause eines der aus dem Kirchenrat ausgeschlossenen Kirchenltesten besuchten2 6).

    21) August Thmler war nach eigenen Angaben seit 1927 in der NSDAP, s. das von ihm im Namen des umgewandelten Wiefelser Kirchenrates an das Oldenburgische Staatsministerium gerichtete Schrei-ben vom 30.8.1935, StAO, Best. 134 Nr. 52.

    22) Siehe z.B. die Antwort des OKR vom 10.7.1935 auf ein Anfrage Pfarrer Ramsauers, Waddewarden, ob Lbben berhaupt nicht bestraft werde, und das vertrauliche Schreiben des OKR vom selben Tage an den Hauptlehrer Popken in Wiefels, in dem im Hinblick auf eine eventuelle polizeiliche Verfgung gegen die Bekenntnisgottesdienste in Wiefels um einen eingehenden licriclit gebeten wird, OKRAO, C LXXXI-31; s. auch die zahlreichen Schreiben des Vakanzpredigers Thmler an den l andes-bischof von Juli bis November 1935, OKRAO, C LXXXI-31; s. des weiteren die Hinweise in Anm. 24 und 28.

    23) Siehe das Protokoll der Sitzung des Gesamtkirchenrates Wiefels/Westrum vom 18.5.1935, PfAJ, Pro-tokollbuch des Kirchenrats Wiefels 1929-1948 (loses Blatt], an der auch Dr. Mller-Jrgens als Mit-glied des OKR teilnahm, und die Protokolle der Sitzungen des umgewandelten Wiefelser Kirchenra-tes vom 30.5. und 1.6.1935, PfAJ, Protokollbuch des Kirchenrats Wiefels 1929-1948 [lose Blatter).

    24) Sowohl Lbben als auch Ramsauer waren in der Wiefelser Kirche erschienen, um den Himmelfahrts-gottesdienst am 30.5.1935 zu halten. Nach einem Wortwechsel in der Sakristei hatte Ramsauer nach-gegeben und die Kirche verlassen. Siehe hierzu die Schilderung von Heinz Lbben in einem Brie! an seine Schwiegermutter vom 31.5.1935, PfAJ, Best. Wiefels Nr. 1010, und den Bericht des Amtshaupt-manns in Jever an das Oldenburger Innenministerium vom 3.6.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267; zu den Bemhungen des OKR und Ramsauers um ein staatliches Eingreifen s. auch die dortigen Ver-merke vom 27., 28. und 30.5.1935 sowie das Schreiben des OKR an Pfarrer Ramsauer in Waddewar-den vom 24.5.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267.

    25) Anordnung (Abschrift) des Ministers des Innern in Oldenburg vom 8.6.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267.

    26) Siehe die ministeriellen bzw. polizeilichen Anordnungen vom 25.6. und 29.6.1935 (Abschriften), StAO, Best. 231-3 Nr. 2267; zu Lbbens Gottesdiensten in benachbarten Orten die Schilderung im

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    Im Sommer 1935 begann sich auf Reichsebene eine Wendung der nationalsozialisti-schen Kirchenpolitik in Richtung eines gemigten Vorgehens zu vollziehen2 ' ) . Dies wirkte sich zum Jahresende hin auch in Wiefels aus. Die Geheime Staatspolizei ver-handelte nun zur Beilegung des rtlichen Konflikts direkt mit der Fhrung der ol-denburgischen Bekenntnisgemeinschaft und berlie ihr Anfang Oktober 1935 die Entsendung eines Pfarrers nach Wiefels. Vakanzprediger Wintermann, der schon vorher fr die BK in Wiefels ttig war, konnte nun praktisch in Konkurrenz zu dem vom OKR eingesetzten Vakanzprediger Thmler amtieren, ohne da dieser oder der O K R ein polizeiliches Einschreiten dagegen zu erwirken vermochten2 8). Fr Thmler war die Situation in Wiefels derart zermrbend, da er Ende November 1935 dringend um seine Versetzung ersuchte, nachdem er bereits Anfang Oktober an den Landesbischof geschrieben hatte, er msse an dein so kleinen Kreis von 20-30 Menschen, die noch bereit waren, seine Seelsorge in Wiefels anzunehmen, innerlich zerbrechen ..."'). In Anbetracht dieser Umstnde sah sich der OKR Anfang Dezember 1935 gentigt, seinen" Vakanzprediger aus Wiefels zurckzuziehen und den von der BK eingesetzten in seinem Amt zu besttigen. Auerdem beauftragte er wieder einen zur Bekenntnisgemeinschaft gehrenden Pfarrer mit der Vakanzverwaltung fr Wiefels/Westrum, unter dessen Leitung die ursprngliche Zusammensetzung des Wiefelser Kirchenrats wiederhergestellt wurde10). Anfang April 1936 gab das Oldenburger Innenministerium einem Antrag von vier Wiefelsem statt, Lbbens Aufenthaltsverbot fr einen Tag aufzuheben, so da er auch in diesem Jahr die Konfirmation in Wiefels vornehmen konnte11). Endgltig aufgehoben wurde das

    Rundschreiben des Bruderrats der ev.-luth. Kirche in Oldenburg" Nr. 69 vom 19.6.1935, StAO, Best. 256-3 Kasten 2; s. auch die polizeiliche Aussage Lbbens vom 17.7.1935, den Bericht eines nach Wie-fels entsandten Beamten des Geheimen Staatspolizeiamtes Oldenburg vom 1.10.1935 sowie den Be-richt des prov. Vakanzpredigers Wintermann an Reg.-Assessor Osterwind, Amt Friesland, vom 29.2.1936, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267.

    27) Vgl. S o m m e r (s. Anm. 1), S. 149-171; Ri tt ner . Intakte oder zerstrte Kirche (s. Anm. 3). 28) Siehe das Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes Oldenburg an Pfarrer Kloppenburg, Rstrin-

    gen, vom 5.10.1935, BKAO, II 1-3; den Vermerk des Oldenburger Ministeriums der Kirchen und Schu-len vom 12.11.1935, StAO, Best. 134 Nr. 52; das von Thmler im Namen des umgewandelten Wiefel-ser Kirchenrates an das Oldenburgische Staatsministerium gerichtete Schreiben vom 30.8.1935, die sich darauf beziehenden Schreiben des OKR an den Oldenburger Minister der Kirchen und Schulen vom 2.10. und 15.10.1935 sowie die beim Minister der Kirchen und Schulen und beim Geheimen Staatspolizeiamt Oldenburg dazu gefertigten Berichte und Vermerke vom 21.IO.-12.il.1935, StAO, Best. 134 Nr. 52; s. auch die Berichte des Gendameriestandortes Jever vom 1.11. und 3.11.1935; den Be-richt des Amtshauptmanns in Jever an das Geheime Staatspolizeiamt Oldenburg vom 5.11.1935, das Schreiben des Vakanzpredigers Thmler vom 14.11.1935 an den Brgermeister von Wangerland und das von diesem daraufhin an das Amt Friesland gerichtete Ersuchen vom 15.11.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267.

    29) Schreiben Thmlers an den Landesbischof vom 9.10. und 23.11.1935, OKRAO, C LXXXI-31. 30) Siehe die entsprechenden Beauftragungen, OKRAO, C LXXXI-31, das Protokoll der Kirchenratssit-

    zung in Wiefels am 19.12.1935, PfAJ, Protokollbuch des Kirchenrats Wiefels 1929-1948, S. 144 f., sowie das Schreiben des neuen Vakanzverwalters Allihn aus Wiarden vom 23.12.1935 an den OKR, in dem er die in Wiefels getroffene Regelung mitteilt, OKRAO, C LXXXI-I.

    31) Siehe die Schreiben (Abschriften) der vier Wiefelser Einwohner und des Wiefelser Kirchenrats vom 17.3.1936, BKAO, IV-20 Bd. 12 Nr. 62, sowie den Bericht des Amtshauptmanns in Jever an den Olden-burger Minister des Innern vom 25.3.1936, den Vermerk des Amtshauptmanns vom 28.3.1936 und die Benachrichtigung Lbbens vom 2.4.1936, StAO, Best. 231-3 \r. 2267; s. auch den von Vakanzprediger Wintermann verfaten Bericht vom 15.4.1936 ber den Ablauf des Konfirmationssonntages, BKAO, IV-20 Bd. 12 Nr. 62.

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  • Der Fall Wiefels 1934-1940 117

    Aufenthaltsverbot schlielich am 15. April 1936, nachdem der Reichskirchen-minister aus Anla des 98,8 %-Ergebnisses bei der Reichstagswahl" vom 29. Mrz 1936 angeordnet hatte, smtliche gegen Geistliche verhngten Aufenthalts- und Re-deverbote aufzuheben1 2). Lbben zog mit seiner Familie zurck nach Wiefels und wurde von der BK im Dezember 1936 z u m ordentlichen Pfarrer der Gemeinde er-nannt" ) . Der Konflikt mit dem OKR jedoch blieb bestehen. Rckwirkend zum 1. April 1936 wurde die Verbindung der Gemeinden Westrum und Wiefels gegen die Einsprche der Wiefelser aufgehoben. Die Westrumer hatten dies bereits im Dezember 1935 be-antragt, und die Initiative war vom OKR schnell aufgegriffen worden. Ihre von ihm sicherlich begrte, wenn nicht sogar beabsichtigte Folge war, da die Kirchenge-meinde Wiefels sich nun einen eigenen Pfarrer auf Dauer nicht mehr leisten konnte34). 1940 schlielich stimmte die BK der Versetzung Lbbens nach Dedesdorf (bei Nordenham) zu35).

    32) Sieht' den Runderla des Reichskirchenministers vom 9.4.1936, abgedruckt in: Dokumente zur Kir-chenpolitik des Dritten Reiches. Bd. 3: 1935-1937. Von der Errichtung des Reichsministeriums fr die kirchlichen Angelegenheiten bis zum Rcktritt des Reichskirchenausschusses (Juli 1935-Februar 1937). Bearb. von Gertraud G r n z i n g e r und Carsten N i c o l a i s e n , hrsg. von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft fr Kirchliche Zeitgeschichte, Mnchen 1994, S. 193, und die geheimpolizei-lichen Schreiben (Abschriften) vom 15.4. und 23.4.1936, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267. Zum Charakter der Reichstagswahl" 1936 s. I'eter H u b e r t , Uniformierter Reichstag. Die Geschichte der Pseudo-Volksvertretung 1933-1945 (Beitrge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Par-teien 97), Dsseldorf 1992, S. 128-130, 235-286.

    33) Siehe das Protokoll der Kirchenratssitzung in Wiefels vom 12.11.1936, PfA), Protokollbuch des Kir-chenrats Wiefels 1929-1948, S. 171-173, und das Schreiben des Prsidiums der oldenburgischen Be-kenntnissynode vom 20.12.1936 ber die Bestallung Lbbens, BKAO, IV-20 Bd. 12 Nr. 62.

    34) Siehe Gesetz- und Verordnungsblatt fr die evangelisch-lutherische Kirche des Landesteils Olden-burg im Freistaat Oldenburg, II. Band, Nr. 128, S. 360 f.; s. dazu das Schreiben des Westrumer Kir-chenrates vom 16.12.1935 an den OKR, OKRAO, C LXX1V-38; die beim OKR angelegte Akte h,treffend Aufhebung der Cesamlkirchengemeinde Wkfels-Westrnm und Bildung der Kircliengenieinde Waddewarden -Westrum 1936, OKRAO, C LXXIV-38; die Protokolle der Wiefelser Kirchenratssitzungen vom 10.2, 8.4. und 15.5.1936, PfAJ, Protokollbuch des Kirchenrats Wiefels 1929-1948, S. 150 f., 156, 158 f.; vgl. auch die diesbezglichen Einwnde des Wiefelser Kirchenrates in seinen Schreiben vom 14.4.1936 an den Reichskirchenausschu und vom 16.5.1936 an das Prsidium der oldenburgischen Bekenntnissynode zur Weiterleitung an den OKR, OKRAO, C LXXIV-38.

    35) Von Dedesdorf aus wurde Lbben zum Felddienst eingezogen, er fiel im Juni 1942 in der Nhe von Leningrad; s. das Schreiben des Prsidiums der oldenburgischen Bekenntnissvnode an den Kirchen-rat in Wiefels vom 1.7.1940, BKAO, IV-20 Bd 12 Nr. 62, und die entsprechenden Verfgungen in der Personalakte Lbbens, StAO, Best. 250 B 29a Nr. 396a; vgl. auch Hermann V o e s g e n und Helma W i n k l e r (Hrsg.), Dokumentation zum Projekt Kirchenkampf. Szenen aus dem Kampf der Kirchen-gemeinde Wiefels fr ihren Pastor, Oldenburg 1992, S. 50. Die Pfarrstelle der Kirchengemeinde Wie-fels blieb nach Lbbens Weggang unbesetzt, ihre Wiedervereinigung mit den Westrumern nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges scheiterte an deren Ablehnung, Wiefels schlo sich 1947 der Kirchen-gemeinde Jever an, s. Gesetz- und Verordnungsblatt fr die Evangelisch-Lutherische Kirche in ( Iden-burg, Teil I, 13. Band, Nr. 105, S. 92; s. auch das Schreiben des OKR vom 27.5.1947 an den Kirchenrat Waddewarden-Westrum, dessen Antwort vom 24.8.1947, OKRAO, C LXXIV-38, und die Protokolle der Wiefelser Kirchenratssitzungen vom 5.8., 16.9. und 11.12.1947, PfAJ, Protokollbuch des Kirchen-rats Wiefels 1929-1948, S. 267, 269, 272.

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  • 118 Alfred Flener

    2. Zu den Beweggrnden der Gemeindeglieder

    2.1 Zeitgenssische Stellungnahmen

    Eine kollektive Selbstdarstellung der Wiefelser zu ihrer Haltung im Kirchenkampf liegt allenfalls in Form des schon zitierten Kirchenratsbeschlusses vom 10. April 1935 unmittelbar nach der Abberufung Lbbens vor. In ihm wurde die Haltung der Kirchengemeinde begrndet, und die Gemeinde selbst hatte auf einer Versamm-lung Gelegenheit, den Beschlu zu diskutieren, und stimmte ihm am Ende mehr-heitlich zu. Inwieweit er aber durch rechtlich-strategische berlegungen bestimmt war und in welchem Mae er die kollektiven Beweggrnde der Gemeindeglieder tatschlich wiedergibt, lt sich nur vermuten. So ist man bei dem Versuch, diese nachzuvollziehen, auf Interpretationen aus zweiter oder dritter Hand angewiesen. Die naheliegenden stammen von Personen, die am Wiefelser Konflikt unmittelbar beteiligt oder als Vertreter von staatlichen oder kirchlichen Institutionen mit ihm befat waren. Ich beginne mit den Konfliktbeteiligten in Wiefels, von denen einige im Rahmen ei-ner Vernehmungsreihe, die im Juli 1935 beim Amtshauptmann in Jever durchge-fhrt wurde, Aussagen machten. Die beiden Hauptgegner Lbbens im Dorf, der Lehrer sowie der Bauer und ehemalige Kreispropagandaleiter, lieferten in diesem Zusammenhang ausfhrliche schriftliche Darlegungen ab. Der Lehrer berichtet zu-nchst von Gesprchen mit Lbben, aus denen hervorgegangen sei, da dieser eine sehr kritische Haltung dem Nationalsozialismus gegenber einnehme. Dies habe gleichwohl bis zum April 1935 lediglich zu internen Spannungen zwischen ihm selbst und Lbben, nicht aber zu Unruhe im Dorf gefhrt. Als Lbben sich jedoch gegen seine Entlassung aufgelehnt habe, sei es dem Pfarrer nicht gelungen, bei die-ser Entfachimg des Kirchenstreites ... seine Anhnger auf dem rein kirchlichen Gebiet zu halten, dem Fhrer, so sein lakonischer Kommentar, ist die Gefolgschaft durchgebrannt. Hinter den Pfarrer htten sich alle die gestellt, die, auf dem Wege ber die Kirche, dem Staat eins auswischen wollten. Darunter fnden sich erstens die Personen, die bis 1933 noch die fhrenden" Mnner in Gemeinde und Kirchengemeinde gewesen seien, dann aber gehen muten*"), zweitens die Gruppe der Erbhofkranken"'7), und drittens die poli-tisch Unzufriedenen, die von jeher geheim und offen die N.S.D.A.P. bekmpften. Jeden-

    36) Einer der Lbben-treuen Kirchenltesten, Theodor Drantmann, war zuvor lange Jahre Gemeindevor-steher in Wiefels gewesen, hatte diese Funktion aber durch die zum 15.5.1933 in Kraft getretene Ver-waltungsreform verloren, bei der Wiefels in der Gemeinde Wangerland aufging, vgl. S o m m e r (s. Anm. 1), S. 341 f.; zur Verwaltungsreform 1933 s. Anm. 117. Auch waren bei der Kirchenratswahl im Juli 1933, bei der eine Einheitsliste der NSDAP angenommen wurde, zum Teil langjhrige Kirchenl-teste aus dem Wiefelser Kirchenrat ausgeschieden, vgl. Anm. 102.

    37) Dies ist offensichtlich eine Anspielung auf die mitunter heftige Ablehnung, die ein Teil der mit dem Reichserbhofgesetz am 1.10.1933 eingefhrten Neuregelungen in der Bauernschaft erfuhr, s. dazu Beatrix H e r l e m a n n , Buerliche Verhaltensweisen unter dem Nationalsozialismus in niederschsi-schen Gebieten, in: Ndsjb. 62, 1990, S. 64-69; d i e s . , Der Bauer klebt am Hergebrachten". Buerliche Verhaltensweisen unterm Nationalsozialismus auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsen (Verf-fentlichungen der Historischen Kommission fr Niedersachsen und Bremen 39, Bd. 4), Hannover 1993, S. 88-119.

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  • Der Fall Wiefels 1934-1940 12

    falls, so der Lehrer, gehrten zu der Bekenntnisgemeinschaft im Dorf viele, die sich frher kirchlichen Belangen gegenber vllig uninteressiert, wenn nicht sogar ab-lehnend gezeigt htten. Die von ihm identifizierten drei Unruhekerne wren nur deshalb innerhalb der Dorfbevlkerung nicht isoliert, weil die brigen Wiefelser (Handwerker, Geschftsleute, Pchter, Arbeiter) von ihnen wirtschaftlich abhngig seien: Wirtschaftliche und geistige Knebelung schlimmster Art wird hier im Namen der Kirche getrieben. Dieser Vorwurf richtet sich gegen die zwar nicht ausdrcklich ge-nannte, aber einzig in Frage kommende Gruppe der selbstndigen Grobauern. Die eigentlichen Zerstrer der Volksgemeinschaft in Wiefels seien jene Unruhestifter, Lb-ben dagegen habe sich wohl unbemerkt vor einen falschen Wagen spannen lassen, sei aber doch der Ansto und der vielleicht ungeivollte Fhrer. Der Lehrer regt schlielich an, im Sinne einer Befriedung der Verhltnisse in Wiefels eine Rckkehr des ausge-wiesenen Pfarrers nicht zuzulassen, fordert darber hinaus Manahmen gegen die von Pfarrer Thorade gehaltenen Gottesdienste und formuliert schlielich im Na-men der Wiefelser Nationalsozialisten die Erwartung, da diesen Unruhestiftern end-gltig jeder Eingriff in unsere Angelegenheiten verwehrt wird ).

    Der ehemalige Kreispropagandaleiter betont in seinem Bericht eine Hauptverant-wortung des Pfarrers fr den Konflikt. Frher habe in Wiefels eine in allen Teilen ausgezeichnete Volksgemeinschaft geherrscht, nachdem aber der Pfarrer in Wiefels t-tig geworden sei, sei deutlich eine immer mehr und mehr zunehmende Haltung gegen den Nationalsozialismus erkennbar und eine immer mehr auseinanderfallende Volksgemein-schaft wahrzunehmen, was auch an den vernderten Wahlergebnissen seit 1933 sicht-bar werde14). Mitverantwortlich seien der Vakanzverwalter Thorade und vor allem die rtliche , ,Stahlhelm"-Gruppe4 0) , deren Auflsung wegen offener staatsfeindlicher Bettigung der Schreiber daher fordert. Er verlangt auerdem eine Ausweitung des Aufenthaltsverbotes gegen Lbben auf die angrenzenden Landkreise und ein Ver-bot der bekenntniskirchlichen Nebengottesdienste in Wiefels'"). Fat man diese Darstellungen hinsichtlich der in ihnen enthaltenen Bewertungen des Verhaltens der Gemeindeglieder zusammen, so ergibt sich folgendes Bild:

    38) Siehe den an das Amt Friesland adressierten, mit C. Popken unterzeichneten handschriftl. Be-richt vom 12.7.1935 mit der Angabe Betr. Kirchenstreit, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267. Einen ganz hn-lichen Tenor hat die Darstellung des Vakanzpredigers Thiimler in seiner Vernehmung vom 17.7.1935 (ebd.).

    39) Die Reichstagswahl und Volksabstimmung vom 12.11.1933 und die Volksabstimmung vom 19.8.1934 brachten im Land Oldenburg insgesamt fr die NSDAP relativ enttuschende Ergebnisse, s. dazu und zum Charakter dieser Urnengnge Wolfgang G n t h e r , Freistaat und Land Oldenburg (19|9-1946), in: Geschichte des Landes Oldenburg. Ein (Handbuch. Im Auftrag der Oldenburgischen Land-schaft hrsg. von Albrecht E c k h a r d t in Zusammenarbeit mit Heinrich S c h m i d t (Oldenburgische Monographien), 4. Aufl. Oldenburg 1993, S. 456-460; d e r s . . Das Land Oldenburg unter nationalso-zialistischer Herrschaft, in: OJb. 85, 1985, S. 124-127; vgl. auch H u b e r t (s. Anm. 32), insbes. S. 235-286.

    40) Unter den Lbben-Untersttzern befand sich auch der langjhrige Leiter der Wiefelser Ortsgruppe des 1918 gegrndeten Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten", der im April 1934 in Nationalsoziali-stischer Deutscher Frontkmpferbund" umbenannt und im Nov. 1935 aufgelst wurde, s. das Proto-koll der Vernehmung des Landwirts (Pchter) Hermann Harms am 15.7.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267.

    41) Siehe den von Carl Gentes, Wiefets-OUacker, unterzeichneten handschriftl. Bericht vom 21.7.1935 mit der Angabe Betr. Ttigkeit des frheren Vakanzpredigers Lbben in Wiefels, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267.

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  • 120 Alfred Flener

    Groe Teile der Dorfbevlkerung, die an kirchlichen Dingen gewhnlich nicht be-sonders interessiert waren, wurden durch einzelne Personen bzw. Gruppierungen mit zumindest tendenziell antinationalsozialistischen Haltungen dazu gentigt oder jedenfalls dahin beeinflut, sich im Kirchenkampf auf die Seite ihres Pfarrers zu stellen. Die Mehrheit der Dorfbewohner erscheint in diesem Bild als eine mani-pulierte, eigentlich passive und von daher letztlich nur zahlenmig relevante Gre. Eine Ausschaltung der Meinungsfhrer mute folglich zu einer Befriedung des Konflikts fhren. Die Glaubwrdigkeit dieses Bildes ist insofern in Zweifel zu ziehen, als da es ausgesprochen strategisch motiviert erscheint: Beide Berichte gip-feln in Forderungen nach Beibehaltung der bisherigen und nach weiteren staat-lichen Manahmen gegen die benannten Unruhekerne, und die Schilderung der Verhltnisse in Wiefels wirkt jeweils wie die mehr oder weniger geschickte Zu-sammenstellung von Tatbestnden, die die geforderten Manahmen begrnden sol-len. Zu eben diesem Zweck waren die zwei dabei erhobenen zentralen Vorwrfe der antinationalsozialistischen Gesinnung und der Zerstrung der Volksgemein-schaft besonders geeignet. Da der Lehrer anders als der ehemalige Kreispropagan-daleiter die Rolle des Pfarrers im Wiefelser Konflikt etwas relativiert, ja ihm sogar durchaus redliche Absichten unterstellt, ist wohl eine taktische Entgegnung auf die Darstellung des Vakanzverwalters Thorade in dessen kurz zuvor durchgefhrter Vernehmung. Laut Vernehmungsprotokoll, auf das sich der Lehrer ausdrcklich be-zieht und das ihm bei der Anfertigung seines Berichts offenbar zur Verfgung stand, hatte Thorade fr den Wiefelser Konflikt nmlich den Lehrer, der Politik und Religion verquickt habe, verantwortlich gemacht und den Konflikt letztlich auf einen sich verschrfenden Gegensatz zwischen dem Pfarrer und dem Lehrer zurckge-fhrt42). Diesen Eindruck eines scharfen Gegensatzes wollte der Lehrer in seinem Bericht offenbar verwischen, um so den gegen ihn selbst gerichteten Vorwurf einer Verantwortung fr den Konflikt zu entkrften.

    Heinz Lbben selbst und einige seiner Untersttzer wurden ebenfalls im Auftrag des Amtshauptmanns in Jever vernommen. Ihre Aussagen lassen das vordringliche Bemhen erkennen, die Behauptungen der beiden Hauptgegner im Dorf und insbe-sondere die gegen Lbben und seine Untersttzer erhobenen Vorwrfe der anti-nationalsozialistischen Gesinnung und der Zerstrung der Volksgemeinschaft zu entkrften. Abgesehen von dem Hinweis, da die Mehrheit der Wiefelser hinter Lbben stehe, enthalten diese Vernehmungen keine besondere Bewertung des Ver-haltens der Dorfbevlkerung. Deren Motive werden gewissermaen offengelassen, bestritten wird nur, da die Wiefelser gentigt worden seien oder aus politischen Motiven gehandelt htten43). Whrend sich der Amtshauptmann in Jever in seinem fr den oldenburgischen Innenminister verfaten Abschlubericht zur Vernehmungsreihe in allen wesent-lichen Punkten der Darstellung und den Forderungen der Gegner Lbbens an-

    42) Siehe das Protokoll der Vernehmung von Pastor Johannes Thorade aus Teilens vom 11.7.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267.

    43) Siehe die Protokolle folgender Vernehmungen: Pfarrer Thorade am 11.7.1935, Mhlenpchter Hinrich Meents, Landwirt Theodor Drantmann, Landwirt (Pchter) Hermann Harms, alle am 15.7.1935, und Pfarrer Heinz Lbben am 17.7.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267.

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  • Der Fall Wiefels 1934-1940 121

    schlo44), kam ein zwei Monate spter nach Wiefels entsandter Beamter des Gehei-men Staatspolizeiamtes Oldenburg nach Aussprachen mit Vertretern beider Kon-fliktparteien zu einer anderen Bewertung: Die etiva 20 Personen, die die Gottesdien-ste des vom OKR beauftragten Vakanzpredigers besuchten, gehrten nicht zu den kirchlich eingestellten" Kreisen, sie wollten mit ihrem Kirchenbesuch nur die Sache des OKR und - wie der Beamte mit merklicher Distanzierung formuliert - nach ihrer Ansicht mich die Bewegung ... sttzen. In der Hauptsache fnden sich auf der anderen Seite, unter den 40-80 Besuchern der Bekenntnisgottesdienste, die betont4"*) kirchlich eingestellten Personen, daneben aber auch solche, die in Opposition zur Bewegung stehen. Der Vorwurf, in Opposition zur nationalsozialistischen Bewegung zu stehen, so fhrt er fort, werde von der Bekenntnisgemeinschaft entschieden bestritten, der Gegenpartei werde umgekehrt vorgeworfen, die Politik in die Kirche hineinzuziehen. Worauf letzteres abzielte, erlutert der Beamte im nchsten Satz: Die eigentliche Lir-sache des Streites soll der Lehrer Popken sein, der angeblich hinter Rosenberg4h) steht*7). Die abschlieende Feststellung, da keine Anhaltspunkte fr die Mglichkeit eines Aus-gleichs auf friedlichem Wege zu erkennen gewesen seien, zeigt, da denjenigen, die sich in Wiefels als Interessenwahrer der N S D A P verstanden, eine Ordnung der Ver-hltnisse im Sinne der von staatlicher Seite gewnschten Eingrenzung des Konflikts nicht zugetraut wurde. Sie waren durch den Beamten auch gar nicht erst befragt worden4 ). Whrend der Beamte in seinem Bericht also auf Distanz zu Lbbens Gegnern in Wiefels geht, deutet er die Motive der auf Seiten Lbbens stehenden Ge-meindeglieder ganz im Sinne der folgenden auf die oldenburgische Landeskirche insgesamt bezogenen Lagebeurteilung, die von der Geheimen Staatspolizei schon im Frhsommer 1935 abgegeben worden war: Die Bekenntnisgemeinschaft hat hier etwa 7000 Mitglieder. Grtenteils handelt es sich dabei um kirchlich stark gebundene Per-sonen. Ein Teil der Bekenntnisgemeinschaft (reaktionre Kreise) steht offensichtlich in Op-position zum nationalsozialistischen Staat49). In Anbetracht des Gleichklangs beider Be-urteilungen ist die Vermutung naheliegend, da der Beamte mit einer Voreinstel-

    44) Siehe den Berieht des Amtshauptmanns in Jever an den Minister des Innern in Oldenburg vom 1.8.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267.

    45) Dieses Wort ist im Bericht unterstrichen. 46) Alfred Rosenbergs Der Mythus des 20. Jahrhunderts", 1930 verffentlicht, in dem das Christentum

    einer .irischen Rassenlehre untergeordnet wurde, hatte zwar groe ideologische Bedeutung in der na-tionalsozialistischen Bewegung, nicht aber als kirchenpolitische Leitlinie, ber die innerhalb der NS-Fhrung unterschiedliche Auffassungen herrschten (vgl. hierzu: Evangelische Kirche zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Bilder und Texte einer Ausstellung. Zusammengestellt und kommentiert von Eber-hard Rhm und Jrg T h i e r f e l d e r fr die Evangelische Arbeitsgemeinschaft fr kirchliche Zeitge-schichte im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Mit einer Einfhrung von Klaus S c h o l der , 3. Aufl. Stuttgart 1983, S. 68; Georg Den z i e r und Volker F a b r i c i u s , Die Kirchen im Dritten Reich. Christen und Nazis Hand in Hand? Bd. 1: Darstellung, S. 14 f.).

    47) Aus dem Textzusammenhang der Quelle ist ersichtlich, da der Beamte in diesem Satz noch die Posi-tion einer der Konfliktparteien referiert; er formuliert hier also nicht, wie Karl-Ludwig Sommer meint, eine abschlieende Bewertung in dem Sinne, da (auch) er dem Lehrer die Verantwortung im Wiefelser Konflikt zuschreibe, vgl. Som m e r (s. Anm. 1), S. 346.

    48) Bericht des Geheimen Staatspolizeiamtes Oldenburg in Abschrift an den Amtshauptmann in Jever vom 1.10.1935, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267.

    49) Lagebericht des Geheimen Staatspolizeiamtes Oldenburg vom 20.6.1935, StAO, Best. 289 Nr. 126 (Ko-pie aus dem Staatsarchiv Bremen). Demnchst erscheint als Verffentlichung der Historischen Kom-mission fr Niedersachsen und Bremen eine auslhrlich kommentierte Dokumentation der olden-

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  • 122 Alfred Flener

    lung an die Wiefelser Situation heranging. Gegen seine Einschtzung, da es sich bei der Wiefelser Bekenntnisgemeinschaft um sehr kirchlich orientierte Personen gehandelt habe, spricht, da der durchschnittliche Gottesdienstbesuch gewhnlich, d.h. einmal abgesehen von der Zeit des Kirchenkampfes, auch in der vergleichs-weise recht kirchlichen Gemeinde Wiefels selten ber 30 Personen hinauskam"11). Der Bekenntnisgemeinschaft als Mitglieder offiziell beigetreten waren bis Oktober 1935 zwischen 37 und 41 Wiefelser, ebenfalls also eine deutlich geringere Zahl als die von dem Beamten festgestellte'1). Zu bedenken ist auch, da im April 1935, wie schon geschildert, insgesamt 105 Wiefelser ihre Untersttzung fr Lbben bekun-deten. Ein Groteil von ihnen - insoweit lagen die beiden Hauptgegner Lbbens in Wiefels sicher richtig - drfte dafr andere Motive als kirchliche gehabt haben. Die BK machte die Wiefelser Ereignisse publik, zunchst innerhalb der oldenburgi-schen Landeskirche: einige Male in den vom Prsidium der oldenburgischen Be-kenntnissynode herausgegebenen Mittei lungen" und Mitgliederbriefen", vor al-lem aber in den vom oldenburgischen Bruderrat der BK wchentlich fr ihre Mit-glieder herausgegebenen Rundbriefen" bzw. -schreiben", in denen laufend ber die Ereignisse des Kirchenkampfes berichtet wurde. Dort finden sich ab Februar 1935 bis Ende des Jahres regelmig Meldungen ber das Vorgehen des OKR gegen Lbben und ber die Vorgnge in Wiefels. In den Monaten April bis August 1935 enthielt fast jede Ausgabe der Rundbriefe wenigstens eine kurze Meldung, wenn nicht einen ausfhrlichen Fortsetzungsbericht mit oft vollstndig abgedruckten Schreiben des OKR, Kirchenratsbeschlssen u..52) Unter besonderer Betonung, da Wiefels im ansonsten unkirchlichen" jeverlatui liege"'), wurde das Verhalten der Kir-chengemeinde von der BK immer wieder lobend hervorgehoben. Der Tenor dabei war bald, da die Haltung der Gemeindeglieder eine Sache des Glaubens sei. So z.B. in einem Rundbrief von Mitte Juni 1935, in dem geschildert wird, wie die Ge-

    burgischen Gestapo-Berichte von Albrecht E c k h a r d t und Katharina H o f f m a n n , der zitierte Lage-bericht ist dort unter Nr. 26 verzeichnet, vgl. dort auch unter Nr. 25 den bereinstimmenden Bericht des oldenburgischen Innenministeriums vom 15.6.1935.

    50) Die kirchliche Statistik ber die Gottesdienstbesucher in Wiefels weist fr 1932 eine durchschnittliche Zahl von 25 aus, fr 1933 bis 1935 liegen keine Angaben vor, fr 1937 sind 35 angegeben, fr 1938 32, fr 1939 29 und fr 1940 22, PfAJ, Best. Wiefels Nr. 102. Heidi Lbben spricht in einem Brief an ihre Mutter vom 4.3.1935, also noch vor der Ausweisung ihres Mannes, von einem durchschnittlichen Gottesdienstbesuch von 26-32 Personen in Wiefels. PfAJ, Best. Wiefels Nr. 1010; vgl. die Angaben tr andere Gemeinden bei S o m m e r (s. Anm. 1), S. 234.

    51) Nach einem Fragebogen der BK von Januar 1938 erhhte sich die Mitgliederzahl der Wiefelser Be-kenntnisgemeinschaft bis dahin nur unwesentlich auf 45, PfAJ, Best. Wiefels Nr. 102. Die Angaben bis Oktober 1935 beruhen auf einer undatierten, aber mit Mitgliedsnummern versehenen Mitgliederliste der BK fr Wiefels, die zur Datierung mit Anmeldeformularen verglichen wurde, welche zum Teil mit Hingangsstempel und/oder ebenfalls Mitgliedsnummern versehen sind. BKAO, Listen der Mit-glieder der oldenburgischen Bekenntnisgemeinden; BKAO, Anmeldungen zur Bekenntnisgemeinde ... [ungeordnet]. Herangezogen wurden auch die Hinweise bei S o m m e r (s. Anm. 1), S. 135, Funote 81.

    52) Siehe StAO, Best. 256-3 Kasten 1 und 2. Ende November 1935 wurde ber die Rundschreiben der BK eine Vorzensur verhngt, Ende Januar 1936 wurde ihre Herausgabe fr unzulssig erklrt, s. das Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes Oldenburg an den OKR vom 9.3.1936 mit anliegender Abschrift der Verfgung des oldenburgischen Innenministers vom 29,1.1936, OKRAO, A I VI-158 Bd. 1; vgl. S o m m e r (s. Anm. I), S. 158 und 164, Funote62.

    53) Rundschreiben des Bruderrats der ev.-luth. Kirche in Oldenburg" Nr. 68 vom 14.6.1935, StAO, Best. 256-3 Kasten 2.

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  • Der Fall Wiefels 1934-1940 123

    Der B r u d e r r a t der e v . - l u t h . R s t r i n g e n , den 7 . 1 0 . 1 9 5 5 K i r c h e i n Oldenburg . P o s t f a c h Nr. 8

    Nr. 3 3 3 5 .

    Rundschre iben Nr. 8 5 / 1 9 5 5 . Nur f r M i t g l i e d e r . S t r e n g ve'rl

    L i e b e Amtsbrder und f r e u n d e !

    Das E r n t e d a n k f e s t der Gemeinde W i e f e l s . v, / -

    Das E r n t e d a n k f e s t 1935 b e z e i c h n e t e i n e neue ? r p b e i d e a Glaubens und der Geduld f r u n s e r e t r e u e .Gemeinde Wiefels"*; ' Se i t ' Wochen wird i h r d i e K i r c h e v o r e n t h a l t e n . S e i t Wochen f i n d e n d ie G o t t e s d i e n s t e i n der Buuernkche von Gerdes s t a t t . V/ir f r e u t e n uns a u f das E r n t e d a n k f e s t .

    Da e r g e h t am Sonnabend v o r dem E r n t e d a n k f e s t e i n e Anordnung: a l l e G o t t e s d i e n s t e a u s s e r h a l b der k i r c h l i c h e n . G e b u d e -s ind f r den E r n t e d a n k t a g v e r b o t e n . Rckfragen im zustundigen M i n i s t e r i u m ergeben d i e H i c h t i g k e i t d i e s e r Anordnungj a b e r mit dem t r s t l i c h e n Z u s a t z : d a f r s o l l e n a l l e d ie Gemeinden, die b e r das Kirchengebude n i c h t v e r f g e n , an diesem S o n n t a g ' d i e K i r c h e f r i h r e n G o t t e s d i e n s t zur Verfgung haben . S o l l t e der K i r c h e n r a t d ie Zustimmung v e r w e i g e r n , wrden d i e s t a a t l i c h e n Or-gane v e r m i t t e l n d h e l f e n .

    T a r a u f Anruf beim V a k a n z v e r w l t e r von W i e f e l s . S c h r o f f s t e Ablehnung. " Die K i r c h e gehr t u n s . S c h l u s s I " ( S o g a r der B i s c h o f Coch i n S a c h s e n hat a l l o n B e k e n n t n i s p f a r r e r n , auch den amtsenthobenen , f r d i e s e n E r n t e d a n k t a g d ie K i r c h e n g e f f n e t . )

    Darauf Anruf b e i der s t a a t l i c h e n P o l i z e i . Antwort : aus p o l i z e i l i c h e n Grnden drfo d e r G o t t e s d i e n s t i n W i e f e l s n i c h t s t a t t f i n d e n .

    Und nun bot dor E r n t e d a n k t a g wieder das B i l d der Wanderung e i n e r Gemeinde. Niemand kann d i e s e Gemeinde zwingen, b e i einem i r r l e h r o n d e n K i r c h o n r e g l m e n t die K i r c h o zu besuchen . So kamen g r o s s e Autos aus J e v o r und d i e Gemeindegl iedur fuhren nach R s t r i n g e n und f e i e r t e n E r n t o d u n k f o s t mit der Heppenser Gemeinde. Der P r e d i g t t o x t war J a c . 5 , 7 - 8 "So s e i d nun g e d u l d i g , l i e b e B r d e r , b i s a u f d i e Zukunft des H e r r n . S i e h e oin Ackorsmann w a r t e t auf die k s t l i c h o F r c h t d e r i r d e und i s t goduldig dar-b e r , b i s s i e empfange den Frhregon und S p t r e g e n . S e i d auch i h r g o d u l a i g und s t r k e t euro Herzon; denn d ie Zukunft des Herrn i s t n a h e ! "

    Es war e i n G o t t e s d i e n s t , dor beidun Gemeinden Hoppens und W i o f o l s u n v e r g a s s l i c h b l o i b e n w i r d . S i e wurden zu e i n e r Gomeinde G o t t e s , S t a d t und Land, b e t e n d , l o b e n d , dankend; e i n Geschcnk dor B r d e r l i c h k e i t i n C h r i s t o . E in P e s t t a g f r un-s e r e Heppenser Gemeinde und so Got t w i l l o in Tag dor Strkung f r d ie t r o u o Gemeinde W i e f e l s .

    Nach dem G o t t e s d i o n s t b e w i r t o t e dio P r a u o n h i l f o d i e Gste dor Gemeinde. Dann fuhron d ie W i o f o l s e r wiedor heim; E r n t e d a n k f e s t 1935 !

    Abb. 3: Rundschreiben der oldenburgischen Bekenntnisgemeinschaft (Seite 1), StAO. Best. 256-3 Kasten 2.

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  • 124 Alfred Flener

    meinde auf Fahrrdern und Bauernwagen zu einem Gottesdienst auszog, den der inzwischen mit einem Aufenthaltsverbot in Wiefels belegte Pfarrer Lbben in einer Bauernscheune an der Gemeinde- und Kreisgrenze hielt. Der Artikel beginnt mit den Worten: Es ist in unserer Oldenburgischen Kirchengeschichte wohl ohne Vorgang, da eine Gemeinde ber die Grenze nach Ostfriesland zieht, um sich dort das Wort Gottes von ihrem ausgewiesenen Pfarrer auslegen zu lassen. Am Ende heit es dann: Der Oberkir-chenrat meint, die Bekeimtnisfront mache aus der Sache Wiefels eine Machtprobe. Nein, so ist es nicht. Wiefels bringt nur den Erweis, da in Glaubensdingen der Glaube entscheidet, und nicht die Gewalt..."') Der nchste Rundbrief geht noch einen Schritt weiter. Nun wird das Verhalten der Gemeindeglieder im Sinne einer bewuten Parteinahme fr den kirchenpolitischen Standpunkt der BK gedeutet: Die Gemeindeglieder lassen sich nicht irrefhren durch das Schlagwort von einem reinen Machtkampf. Sie wissen, da es um die Frage der rechten Kirche und ihrer bekenntnismigen Form gehl"). Und in einer Entgegnung auf die vom Oldenburger Landesbischof Anfang August verffent-lichte Darstellung zum Fall Wiefels56) schlielich werden die Wiefelser Ereignisse vollends als Ausdruck des Kampfes der BK aufgefat. Der Kampf der Gemeinde Wie-fels ist ein Teil des groen Kampfes der bekennenden Kirche darum, da in der Kirche nicht nur vom Evangelium geredet wird, sondern da auch das Kirchenregiment in seinen Ma-nahmen gebunden ist an die Mastbe der Schrift und des Bekenntnisses und da ein Kir-chenregiment, das diese Grundtatsache nicht anerkennt, den Anspruch auf Gehorsam ver-wirkt hat. Die Darlegung endet mit den Worten: bersieht man das alles, dann wei man: in diesem Riesenkampf um die Geltung des Evangeliums steht die kleine, bedrngte Gemeinde Wiefels in erster Linie, und darum ist es nicht nur recht, sondern von Gott gebo-ten, da wir fr diese Gemeinde in ihrem Glaubenskampf beten und ihr die Treue halten""). Im Sinne einer Deutung als Glaubenskampf der ganzen Gemeinde wurde der Fall Wiefels von der BK auch berregional bekanntgemacht s). Der Umstand, da eine Minderheit im Wiefelser Kirchenrat und unter den Gemeindegliedern den OKR bei seinen Manahmen untersttzte, wird in den Rundschreiben weitgehend ignoriert.

    54) Rundschreiben des Bruderrats der ev.-luth. Kirche in Oldenburg" Nr. 69 vom 19.6.1935, StAO, Best. 256-3 Kasten 2.

    55) Rundschreiben des Bruderrats der ev.-luth. Kirche in Oldenburg" Nr. 70 vom 27.6.1935, StAO, Best. 256-3 Kasten 2.

    56) Der Fall Wiefels. Amtliche Darlegung des Landesbischofs", Oldenburger Sonntagsblatt, Hl /1935. Nr. 31, vom 4.8.1935, S. 248.

    57) Zweiseitige Darstellung mit dem Titel Der Fall Wiefels", als Anlage beigefgt dem vom Prsidium der Bekenntnissynode der Hvang.-Iuth. Kirche in Oldenburg" herausgegebenen Fnften Mitglieder-brief" vom 15.8.1935, StAO, Best. 256-3 Kasten 2; vgl. auch den unter der Rubrik Nachrichten aus dem Prsidium der Bekenntnissynode der ev.-luth. Kirche in Oldenburg" erschienenen Artikel Der Fall Wiefels", in: Oldenburgisches Kirchenblatt 40/1935, Nr. 8, vom 7.8.1935, S. 50 f.

    58) Siehe unter der Rubrik Bekenntnisgemeinden in Not und Bedrckung" den Artikel: Wiefels in Ol-denburg. Von dem Kampf einer kleinen Gemeinde", in: Rundbrief Nr. 43 vom 28.6.1935, S. 3-4, hrsg. vom Prses der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche", StAO, Best. 256-3 Kasten 2. Dem Artikel angefgt ist die aus dem bereits zitierten Oldenburger Rundbrief bernommene Schil-derung eines Bekenntnisgottesdienstes in einer Bnuernscheune nahe bei Wiefels (s. Anm. 54). Eine kurze, sich vor allem auf aueroldenburgische Quellen (kirchliche Bltter und bekenntniskirchliche Rundschreiben) sttzende Darstellung des Falls Wiefels taucht auf bei Joachim G.a u g e r , Chronik der Kirchenwirren. 3. Teil: Von der Einsetzung der Vorlufigen Leitung der Deutschen Evangelischen Kir-che im November 1934 bis zur Errichtung eines Reichsministeriums fr die kirchlichen Angelegen-heiten im Juli 1935, Elberfeld 1936, S. 469, dort wird allerdings der Glaubenskampfcharakter der Er-

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  • Der Fall Wiefels 1934-1940 125

    Diese Tendenz ist zweifellos aktuellen bekenntniskirchlichen Argumentationsbe-drfnissen geschuldet, denn die BK warf ja der amtierenden Kirchenleitung in Ol-denburg unrechtmiges und zudem unkirchliches Handeln vor59), was durch das Beispiel einer Gemeinde, die sich geschlossen mit ihrem Pfarrer gegen Manahmen des O K R zur Wehr setzten mute, sicherlich besser veranschaulicht werden konnte als durch eine differenzierte, aber nicht so eindrckliche Darstellung der tatsch-lichen Verhltnisse in Wiefels. Grundlage dieser Berichterstattung ber Wiefels waren Informationen und Unterla-gen, die laufend von Lbben selbst, von seinem durch die BK eingesetzten Vertreter Wintermann oder von dem Vakanzverwalter Thorade an die Fhrung der olden-burgischen Bekenntnisgemeinschaft geliefert wurden6 0). Tatschlich werden die Wiefelser Ereignisse in den Rundbriefen sehr detailliert wiedergegeben. Was ihre Interpretation als Glaubenskampf fr die Sache der BK angeht, sind Zweifel ange-bracht. Eine enge kirchliche Bindung, darauf habe ich schon im Hinblick auf den Bericht des Beamten der Geheimen Staatspolizei hingewiesen, lt sich wohl nur fr einen kleineren Teil der Gemeinde annehmen. Gegen die darber hinausge-hende Vorstellung, die Wiefelser Gemeinde htte im Kirchenkampf bewut Partei ergriffen, spricht, da sie bis zur Abberufung ihres Pfarrers - wie die meisten Kir-chengemeinden in der oldenburgischen Landeskirche - zu den aktuellen kirchen-politischen Auseinandersetzungen nicht Stellung bezogen hatte, obwohl eine ent-sprechende Aufforderung von der oldenburgischen Bekenntnisgemeinschaft an die Gemeinden ergangen war''1). Einen weiteren Hinweis geben die Mitgliederlisten bzw. Anmeldungsformulare der BK: Den Mitgliedsnummern nach zu urteilen tra-ten nur fnf Wiefelser schon frh, vermutlich noch 1934, der Bekenntnisgemein-schaft bei. Dabei handelte es sich um den Kirchenltesten Drantmann, der sich kirchlich auch berregional, z.B. als Abgeordneter der oldenburgischen Landes-synode, engagierte, dann um einen in Wiefels wohnenden ehemaligen Pfarrer mit seiner Frau sowie um ein Bauernehepaar. Abgesehen von einigen weiteren wohl bis zum Frhsommer 1935 erfolgten Anmeldungen, trat die groe Mehrheit der Wiefel-ser der Bekenntnisgemeinschaft erst im Oktober 1935 bei, also erst Monate nach der Abberufung Lbbens6 2). Da die Sache der BK fr die meisten Gemeindeglieder zu-mindest kaum das ursprngliche Handlungsmotiv darstellte, darauf lt auch eine Bemerkung Lbbens in einem privaten Brief schlieen, den er im Mai 1935 gemein-

    eignisse nicht besonders betont; s. auch die ebenfalls auf Rundbriefen der BK beruhende Darstellung in: Zeugnisse der Bekennenden Kirche VI. Gedenket der Lehrer, welche euch das Wort Gottes gesagt haben (Hebr. 13, 7). Stimmen aus der Gemeinde fr ihre geistlichen Fhrer (Das christliche Deutsch-land 1933-1945, Dokumente und Zeugnisse, Evangelische Reihe 6), hrsg. von Erik W o l f , Tbingen 1947, S. 21 f.

    59) So hie es z.B. in der Darstellung der BK zum Fall Wiefels vom 15.8.1935 (s. Anm. 57):... wir venveisen darauf, da das Regiment des Oberkirchenrales sich gegenwrtig durch Verhngung von hohen Geldstrafen ge-gen Pfarrer (insgesamt 2500,- KM.) ueren Respekt zu verschaffen versucht, - aber das alles ist eben keine u-ere Ordnungsfrage, sondern die t rage nach der Aufgabe eines wirklichen Kirchenregiments ...

    60) Siehe die entsprechenden Berichte, Notizen und Abschriften in: BKAO, IV-20 Bd. 12 Nr. 62. 61) Nur wenige Kirchengemeinden in der oldenburgischen Landeskirche waren dem Aufruf der olden-

    burgischen Bekenntnisgemeinschaft von Anfang Dezember 1934 gefolgt, sich der VKL zu unterstel-len, vgl. S o m m e r (s. Anm. 1),S. 132 f.; vgl. auch H a r m s (s. Anm. 4), Bd. 2 ,S. 22 f.

    62) Zu den Angaben und der vorgenommenen Datierung s. Anm. 51.

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  • 126 Alfred Flener

    ?lttmelbung j u r S e h c n n t n b g e m e i n b e bcr emeiitbe w / y w

    $ur$ bicfc nmelbung'befunbe td) bcn SBIHen, ba un|ere eoangeII|cI)e flitze nur natf) bem SBorte ottes uub ben e!emittiijjeii ber Sieformation geleitet roerbe. 3cf) u>eijj, baf) id) als ffiemeinbeglieb bie itir^e mit 3U |(^ fltjen I)abe gegen jeben Ciiitbnidj frember Sef)re unb gegen alle uriticctjlictjfn eroaltmanaf)men gegen ^farret unb (Semeinben. 3d) roei&, baji id) in biejer 3e i t treu jur Rirdje unb jum SBorte ottes galten mu|j, bamit aud) burd) mein 3'u8" i s Sd)tad)en ermuntert unb bie enteinbe geftflrtt toerbe.

    ler Seitritt aur Setenntnisgemeinbe bebeutet leinen Austritt aus ber anbeslird)e. (Et bebeutet ielmeljr bie Sammlung aller berer, bie in ber 8ir$t bafflr eintreten, bajj bie $ird/C befreit mirb oon aller fremben et>re unb loieber edjtc fiir^e $eju CEIjrifti wirb.

    (3ebes gamilienglieb mu emjelit untertreiben) - 3tf) bitte um 3u[enbung ber Stftitgliebsfarte. . ..

    Sin bie r f < f ) f t s f t e a e ber S e f c e n n t n U f q n o b e SRftr ingen, ^ b f t f a d ) 8

    Sin Beitrag jur "Bektnnlnfsgfmetnbc rolrb nidjt rrhub

  • Der Fall Wiefels 1934-1940 127

    mittelbar aus seiner Position im Kirchenkampf: Den Abfall einzelner Kirchenge-meinden von dem durch ihn reprsentierten Kirchenregiment als glaubensmig legitimiert gelten zu lassen, htte ja zugleich bedeutet, die Richtigkeit der gegen ihn gerichteten kirchenpolitischen Position der BK anzuerkennen. Deshalb war es nur folgerichtig, da der Landesbischof den Fall Wiefels abzuschwchen suchte, indem er die Gemeindeglieder als lediglich ... irregefhrt" darstellte und dabei nur von einem Teil" der Gemeinde ausging. Gleichwohl: Wie die BK unterstellt auch der Landesbischof den Wiefelsern Glaubensmotive, wenn auch irrige. Der von ihm unterstellte Inhalt der Beeinflussung ist dabei gar nicht so weit hergeholt. Tatsch-lich prsentierte sich ja die BK im Kirchenkampf gegenber den Kirchenltesten und ffentlich als die Sachwalterin der traditionellen Glaubensgrundlagen der evangelischen Kirche'0). Von der Anlage her erinnert seine Argumentation an die der Lbben-Gegner in Wiefels. Hier wie dort wird die Gemeinde als manipuliert und fremden Einflssen gehorchend dargestellt und die eigentliche Verantwortung fr ihr Verhalten anderen zugeschrieben, in diesem Fall den Bekenntnispfarrern.

    2.2 Historiograpliisclie Darstellungen

    Zwei historiographische Abhandlungen befassen sich ausfhrlich mit den Wiefelser Ereignissen: die Anfang der 60er Jahre verffentlichte Arbeit mit dokumentari-schem Charakter von Hugo Harms und Karl-Ludwig Sommers jngst erschienene wissenschaftliche Studie'*). Es handelt sich jeweils um Gesamtdarstellungen ber den ev. Kirchenkampf in der oldenburgischen Landeskirche, in denen die Kirchen-gemeinde Wiefels neben vielen anderen behandelt wird. Hugo Harms, der den Kirchenkampf als Pfarrer in Rstringen (Wilhelmshaven) selbst miterlebt hat" ), beurteilt die Haltung der Gemeinden im Kirchenkampf ins-gesamt recht kritisch: Die Gemeinden haben weithin die Auseinandersetzung -Staat und Kirche - gar nicht verstanden, nicht einmal irgendwelches Interesse auf-gebracht. Die von der Partei ausgegebene Parole: ,Das Ganze sei nur Pastorenge-znk' wurde bereitwillig hingenommen; man rgerte sich ber die bsen Pastoren. Denn es herrschte ja allgemeine Begeisterung fr Hitler; man freute sich ja an allem

    f>r) Siehe z.B. die von der Fhrung der oldenburgischen Bekenntnisgemeinschaft an die Kirchenllesten der ev.-luth. Landeskirche Oldenburgs versandten Kundschreiben vom 5. und 14.12.1934, OKRAO, A 1-29; vgl. S o m m e r (s. Anm. 1),S. 135 f.

    M>) H a r m s (s. Anm. 4) und S o m m e r (s. Anm. 1); eine Ausstellung zum Fall Wiefels ist dokumentiert in: V o e s g e n / W i n k l e r (s. Anm. 35); kurz dargestellt sind die Wiefelser Vorgnge auch bei R i t t -ner , Evangelische Kirche (s. Anm. 3), S. 727 f., und - mit einer Bewertung, die der von Hugo Ha r m s entspricht - bei Heinz K l o p p e n b u r g , Der Kampf der Bekennenden Kirche in Oldenburg darge-stellt an dem Lebensweg im Kriege gefallener Brder, in: Die Hand am Pfluge. Berichte und Besin-nungen ber Arbeit und Leben in der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg zum hundertjhrigen Jubilum des Oberkirchenrates. Hrsg. vom Evangelisch-Lutherischen Oberkirchenrat in Oldenburg, Oldenburg 1949, S. 55-63, hier S. 58 f.; das gleiche gilt fr die kurze, sich ganz auf Harms sttzende, allerdings fehlerhafte Darstellung von Werner S c h w a r z , Kreuz und Hakenkreuz. Staat und Kirche im Dritten Reich, in: Gnter H e u z e r o t h (Hrsg.), Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus 1933-1945. Dargestellt an den Ereignissen im Oldenburger Land, Bd. 3: Verfolgte aus religisen Grnden, Oldenburg 1985, S. 120-123.

    67) Vgl. H a r m s (s. Anm. 4), Bd. 4, S. 93 f.

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  • 128 Alfred Flener

    Neuen, was da kam. ,Heil Hitler' tnte es allenthalben; da wollte man doch keine Disharmonie hren. Was hatten die Pastoren zu melden?!"6 8). Ein gewisser Groll aus der Sicht des ehemals betroffenen Bekenntnispfarrers klingt hier an, auch dann, wenn er die teilweise emphatischen" Loyalittsbekundungen eines Teils der Ge-meindekirchenrte fr den O K R zitiert64). Die meisten Kirchenrte htten ber-haupt keine Stellungnahme zu dieser Frage abgegeben, weil sie am Kirchenkampf uninteressiert gewesen seien oder einfach aus alter Gewohnheit mit den kirch-lichen Behrden" gegangen seien'"). Harms bemerkt zwar an einer Stelle, da es Gemeinden gab, in denen die Gemeindeglieder eine andere Haltung einnahmen als ihre Kirchenrte '), das von ihm gezeichnete Gesamtbild vermittelt aber doch, da die Bekenntnispfarrer vielerorts den Angriffen und Schikanen der Gemeindekir-chenrte ausgesetzt gewesen seien72). Als einen der Ausnahmeflle in dieser Hin-sicht beschreibt Harms die Ereignisse in Wiefels. Seine Schilderung basiert nach ei-genen Angaben auf Kirchenratsprotokollen und auf Informationen der Witwe Lb-ben7 3) - nicht zuletzt wohl auch auf eigenen Beobachtungen, denn er wurde offen-bar einmal mit den Wiefelser Ereignissen unmittelbar konfrontiert74). Die Ereignisse werden von ihm in geraffter Form, aber weitgehend korrekt wiedergegeben. Er lei-tet seine Schilderung mit einer zusammenfassenden Bewertung ein, in der er das Verhalten der Wiefelser Gemeindeglieder als religis motiviert deutet: In den Jah-ren des Kirchenkampfes gab die Gemeinde Wiefels mit drei Kirchenltesten ein des Gedenkens wrdiges Beispiel der Treue zum Evangelium und zum lutherischen Be-kenntnis"7"). Diese Deutung wird von Harms nicht gesondert belegt oder begrn-det, er formuliert sie aus der Position eines Zeitzeugen, dessen Bewertungen aus sich heraus Belegkraft beanspruchen. Angesichts seines eigenen Engagements im Kirchenkampf verwundert es nicht, da seine Darstellung der Ereignisse und des Verhaltens der Gemeindeglieder ganz dem Bild entspricht, das seinerzeit von der BK gezeichnet worden ist. Insofern setzt sich bei Harms jene den damaligen kir-chenpolitischen Auseinandersetzungen geschuldete Vereinnahmung der Wiefelser Ereignisse als bekenntniskirchlich motivierter Akt fort. Darber hinaus bewertet Harms den Kirchenkampf insgesamt auch als eine Art Gegenreaktion gegen ver-derbliche Einflsse des Nationalsozialismus. Dieser Zug tritt bei ihm vor allem dort hervor, wo er die Aktivitten der BK auf Amtsebene schildert76), ist aber auch bei der Darstellung der Wiefelser Ereignisse sprbar, etwa wenn er den durch die Ent-lassung der drei Lbben-treuen Kirchenltesten umgewandelten Wiefelser Kirchen-

    68) Ebd., Bd. 1 .S .75 . 69) Siehe ebd., Bd. 2, S. 22-27 (Zitat S. 22); s. auch das von Harms referierte Meinungsbild einer Reihe von

    jeverlndischen Kirchenltesten vom Juli 1935, ebd., S. 107-109. 70) Ebd., S. 23. 71) Siehe ebd., S. 27. 72) Siehe ebd., S. 22; vgl. auch die Schilderung der Ereignisse in einzelnen Orten in Bd. -1 seiner Arbeit. 73) Siehe ebd., Bd. 4, S. 202-218. 74) Heidi Lbben erwhnt in einem Brief vom 24.4.1935 an ihre Mutter, in dem sie die Ereignisse um

    die Konfirmation kurz nach Liibbens Abberufung schildert, da u.a. ein Pfarrer Harms aus Rssin-gen zu dieser Konfirmation erschien, um sie notfalls bernehmen zu knnen, PIAJ, Best. Wiefels Nr. 1010.

    75) H a r m s (s. Anm. 4), Bd. 4, S. 202. 76) Siehe z.B. ebd., Bd. 1,S. 2-4, Bd.2, S. 8, Bd. 3 ,S. 142; vgl. H e r l e m a n n / S o m m e r (s. Anm. 2),S. 263.

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  • Der Fall Wiefels 1934-1940 129

    rat als NS-Kirchenrat" bezeichnet" ) oder wenn er einleitend bemerkt, der Fhrer selbst" habe sich kurz vor den Kirchenratswahlen im Juli 1933 fr nat.-soz. Ge-sinnte in den Kirchenvertretungen" ausgesprochen, und danach fortfhrt: Trotz-dem [!] hoffte man auf eine gute, kraftvolle Neuordnung der kirchlichen Dinge."7 8) Diese Andeutung eines politischen Antagonismus als Hintergrund des kirchlichen Konflikts ist zumindest bezogen auf die Vorgnge in Wiefels in Frage zu stellen. Es ist zwar richtig, da Lbbens innerdrfliche Gegner ihre nationalsozialistische Ge-sinnung, wie geschildert, in besonderer Weise herausstellten, eine ausdrcklich antinationalsozialistische Haltung ist gleichwohl auf Seiten Lbbens und seiner Untersttzer nicht berliefert. Eher im Gegenteil : So bekundeten in der im Juli 1935 durchgefhrten polizeilichen Vernehmungsreihe Lbben, Thorade und drei Wiefel-ser, die offenbar als die fhrenden Kpfe unter den Lbben-Anhngern in Wiefels vernommen wurden, ausdrcklich ihre Zust immung zur nationalsozialistischen Herrschaft, was allerdings angesichts der von den Gegnern Lbbens erhobenen An-schuldigungen und der dadurch drohenden staatlichen Repressionen auch aus stra-tegischen Erwgungen erfolgt sein kann. Pfarrer Thorade jedenfalls war berzeug-ter Nationalsozialist ''), zwei der drei auf seilen Lbbens stehenden Wiefelser waren ebenfalls in der Partei, einer von ihnen konnte angeben, schon am 1. April 1932 ein-getreten zu sein80). Bei der Reichstagswahl am 5. Mrz 1933 gab es in Wiefels 1 St imme fr die Kommunisten, 4 fr die Deutsche Staatspartei, 7 fr die Sozialde-mokraten, 21 fr die Kampffront Schwarz-Wei-Rot, und 144 Wiefelser whlten die Nationalsozialisten81). Nicht ganz so hohe, aber ebenfalls ber dem Landesdurch-schnitt liegende Stimmenanteile fr die Nationalsozialisten gab es in Wiefels schon bei den Landtags- und Reichstagswahlen in den Jahren zuvor82). Dieses Wahlver-halten mag zwar nur zum Teil als Zust immung zu den Inhalten des Nationalsozia-lismus, im brigen jedoch als Ausflu der agrarischen Protestbewegung jener Zeit anzusehen sein8 ), es zeigt dennoch, da bei der Mehrheit der Wiefelser Einwohner von einer grundstzlichen Ablehnung des Nationalsozialismus nicht die Rede sein konnte.

    Karl-Ludwig S o m m e r ordnet die Arbeit von Harms ein als geradezu ,klassisches' Beispiel" der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreich entstandenen kirchengeschichtlichen ,Rechtfert igungsliteratur '" ber den ev. Kirchenkampf8 4) , der es darum gegangen sei, die Aktionen der BK und das eigene Verhalten wh-rend des Nationalsozialismus als Widerstand aufzuwerten und sich so von Schuld

    77) H a r m s (s. Anm. 4), Bd. 4, S. 216. 78) Ebd., S. 203. 79) Siehe S o m m e r (s. Anm. 1),S. 269, Funote 81. 80) Siehe die Angaben in der im Juli 1935 vom Amtshauptmann in Jever durchgefhrten Vernehmungs-

    reihe, StAO, Best. 231-3 Nr. 2267; vgl. auch S o m m e r (s. Anm. 1), S. 467 f., Funote 47. 81) Siehe die Wahlergebnisse im Jeverschen Wochenblatt vom 6.3.1933, Nr. 55, Extra-Ausgabe (vgl.

    Abb. 5). 82) Siehe die Angaben bei S o m m e r (s. Anm. 1), S. 341; vgl. auch ebd., S. 50, 54 f. 83) Siehe G n t h e r , Freistaat (s. Anm. 39), S. 429 f., sowie insgesamt zur politischen Entwicklung und

    zum Aufstieg der NSDAP in Oldenburg ebd., S. 417-421, 431-448; s. unter dem Aspekt der Vernde-rung sozialer Milieus auch: d e r s . , Parteien und Wahlen in Niedersachsen whrend der Weimarer Republik, in: Ndsjb. 54, 1982, S. 38 f.; vgl. S o m m e r (s. Anm. 1), S. 236-238.

    84) S o m m e r (s. Anm. 1), S. 37.

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    3 U . M Ml AMHPHM NM

  • Der Fall Wiefels 1934-1940 131

    und Mitverantwortung zu entlasten81). Er kommt in seiner eigenen Untersuchung zu dem Ergebnis, da der Kirchenkampf in Oldenburg weder auf amtskirchlicher Ebene noch in den Kirchengemeinden ein gegen das NS-Regime gerichteter Wider-stand gewesen sei86). Mehr noch: die Selbstbescheidung" auf ein ausdrcklich als ,unpolit isch'" verstandenes Eintreten fr kirchliche Belange sei letztlich ein die nationalsozialistische Herrschaft stabilisierender Faktor" gewesen8 7) . Diese betont als Gegenposition zur bisherigen Kirchenkampfforschung vorgetragene These hat zum Teil empfindliche Reaktionen aus kirchlichen Kreisen provoziert88). Dies ist ein Symptom fr die nach wie vor aktuelle Brisanz, die die bundesdeut-sche Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit hat. Da bei Sommer die Frage, ob der Kirchenkampf als Widerstand zu bewerten ist, das erkenntnisleitende Interesse seiner Untersuchung markiert8 9), verweist darauf, da auch die historische Forschung nicht losgelst von dem sie umgebenden gesell-schaftspolitischen Kontext existiert und da dieser ihre Fragestellungen beein-flut90).

    Sommer sucht seine Bewertung des Kirchenkampfes auch anhand der Vorgnge auf der Ebene der Kirchengemeinden nachzuweisen. Nach seiner Darstellung waren diese Vorgnge im Kern dadurch bestimmt, wie die Nationalsozialisten berhaupt ihre Herrschaft auf lokaler Ebene verwirklichten. Er geht von dem Befund aus, da sie besonders in den evangelischen lndlichen Regionen Oldenburgs, in denen sie ber eine groe Whlerbasis verfgten, ihren Macht- und Fhrungsanspruch ber-wiegend im Wege eines Arrangements mit den berkommenen politisch-sozialen Strukturen durchsetzten9 1). Dies habe auch fr Kirchengemeinden und Pfarrer als traditionelle Elemente des lokalen Ordnungsgefges gegolten92). Konflikte habe es hier selten gegeben und vor allem dann, wenn die rtlichen Reprsentanten des Nationalsozialismus ihren Fhrungsanspruch durch demonstrative Abgren-zung von der alten Ortselite unter ausdrcklicher Bezugnahme auf den revolutio-nren Charakter der ,nationalen Erhebung' mehr oder weniger gewaltsam zu er-zwingen" versucht htten93). Dann sei bevorzugt der Pfarrer als schwchstes Glied der Ortselite94) ausgewhlt worden, um an ihm ein Exempel fr die Forderung

    85) Siehe ebd., S. 13-16; vgl. H e r l e m a n n / S o m m e r (s. Anm. 2),S. 252 f., 261-263. 86) Siehe S o m m e r (s. Anm. 1),S. 463-479. 87) F.bd.,S. 484. 88) Siehe die Buchbesprechung zu Sommers Arbeit von Reinhard R i t t n e r in: OJb. 95, 1995, S. 189-19],

    und den Beitrag von Hans-Walter K r u m w i e d e , Widerstand und Anpassung der Bekennenden Kir-che Oldenburgs (1933-45), in: Jahrbuch der Gesellschaft fr niederschsische Kirchengeschichte 91, 1993, S. 263-284; s. auch Heinrich H p k e n , Die Ev.Luth. Kirche im 3. Reich, dargestellt an Persn-lichkeiten der Kirche, Oldenburg 1994, S. 30-32.

    89) Siehe S o m m e r (s. Anm. 1), S. 40. 90) Ausfhrlicher hierzu F l e n e r (s. Anm. 5), S. 446 f f . 91) Siehe S o m m e r (s. Anm. 1), S. 236-239, 242; vgl. hierzu und zum folgenden auch: d e r s . , Bekenntnis-

    gemeinden und nationalsozialistische Herrschaft auf lokaler Ebene in Oldenburg, in: Norddeutsch-land im Nationalsozialismus. Hrsg. von Frank B a j o h r (Forum Zeitgeschichte I), Hamburg 1993, S. 148-165; d e r s - , Kirchenkampf" vor Ort - Nationalsozialistischer Alltag und Bekennende Gemein-den in Oldenburg 1933-1939, in: Ndsjb. 62, 1990, S. 138-145.

    92) Siehe S o m m e r (s. Anm. 1), S. 229-236, 239-241. 93) Ebd., S. 247. 94) Siehe hierzu ebd., S. 232-236.

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  • 132 Alfred Flener

    nach Unterwerfung der alten Honoratioren unter die neuen Machthaber zu statuie-ren"9^). Nach Sommer war dieses Muster auch im Kirchenkampf bestimmend, und zwar unabhngig von der jeweiligen kirchenpolitischen Stellungnahme des Pfar-rers. Aufgrund des erwhnten Arrangements habe es in den meisten Landgemein-den und kleineren Stdten der oldenburgischen Landeskirche im Kirchenkampf kaum nennenswerte gemeindeinterne Auseinandersetzungen gegeben""). Zu schwer-wiegenderen, zum Teil stark persnlich geprgten Konflikten zwischen rtlichen Reprsentanten des NS-Regimes einerseits sowie Bekenntnispfarrern und sie aktiv untersttzenden Mitgliedern rtlicher Bekenntnisgemeinden andererseits" sei es dagegen dort gekommen, wo Auswrtige oder bisherige Auenseiter im jeweili-gen lokalen Milieu im Zuge der Machtbernahme oder spter aus Grnden der Herrschaftssicherung an die Spitze der rtlichen Parteigliederungen bzw. in kom-munale Fhrungspositionen gelangten oder diese fr sich beanspruchten"9 ' ) . Als Beispiel fr einen solchen Fall fhrt Sommer die Ereignisse in Wiefels an: Auch hier sei der Kirchenkampf nur uerer Ansto und formaler Bezugspunkt der rtlichen Streitigkeiten" gewesen, der eigentliche Anla habe in internen Rivalitten zwi-schen Mitgliedern der alten Ortselite und Parteiaufsteigern bestanden"9 8) . Nach Sommer engagierte sich im Wiefelser Konflikt besonders der rtliche Hauptlehrer: Dieser habe sich bei den turnusgemen Kirchenratswahlen im Frhjahr 1933 an der Bildung einer Vorschlagsliste beteiligt, dann aber hinnehmen mssen, da sich der Gemeindevorsteher und der Fhrer des rtlichen Stahlhelms" bei der Wahl durchsetzen konnten. Die Abberufung des zur BK gehrenden Vakanzpredigers habe er dann offensichtlich als Chance [begriffen), zusammen mit dem in Wiefels wohnenden, abgehalfterten ehemaligen NSDAP-Kreispropagandaleiter die alten Ortshonoratioren aus ihrer nach wie vor tonangebenden Position am Ort zu ver-drngen"9 9) .

    Sommers Darstellung der Wiefelser Ereignisse scheint ganz darauf ausgerichtet, seine These vom Gegensatz zwischen aufstrebendem Auenseiter und alter Orts-elite als eigentlichen Kern des rtlichen Konflikts zu untermauern. Deshalb wohl betont er die Rolle des Lehrers in den Auseinandersetzungen. Aus den Quellen ist jedoch ersichtlich, da eine ebenso aktive Rolle in dem Konflikt der erwhnte Wie-felser Bauer und zeitweilige Kreispropagandaleiter spielte, der brigens ein Neffe des Kirchenltesten war100), der seinerzeit im Laufe des Konflikts aus dem Kirchen-rat ausgeschlossen wurde und in dessen Bauernkche fortan die Bekenntnisgottes-dienste stattfanden. Dieser zweite Hauptgegner Lbbens war es auch, der nach dem Ausschlu der drei Lbben-treuen Kirchenltesten zumindest formal in eine fhrende Position im Dorf aufrckte, indem er zum stellvertretenden Vorsitzenden

    9 5 ) E b d . , S. 247. 96) Siehe ebd., S. 251-273. 97) Ebd., S. 307. 98) Ebd., S. 341. 99) |-;bd., S. 342.

    100) Siehe hierzu das Wiefelser Kirchenratsprotokoll vom 19.12.1935, PfAJ, Protokollbuch des Kirchenrats Wiefels 1929-1948, S. 144 f., und das Schreiben des Carl Gerdes, Wiefels-Ollacker, an den OKR vom 6.1.1936, OKRAO, C LXXX1-1.

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  • Der Fall Wiefels 1934-1940 133

    des umgewandelten Kirchenrates ernannt wurde" " ) , whrend der Lehrer ja schon seit Sommer 1933 Mitglied des Kirchenrates war"'2). Zudem entsteht bei Sommer der Eindruck, die Initiative bei der Bekmpfung Lbbens und seiner Anhnger sei vor allem vom Dorf ausgegangen, whrend der OKR sie nur untersttzend beglei-tet habe. Wie oben geschildert, waren in dieser Richtung auch der OKR selbst und die in seinem Auftrag in Wiefels ttigen Geistlichen, Vakanzprediger Thmler und Vakanzverwalter Ramsauer, ausgesprochen aktiv. Und auch der Lehrer wurde teil-weise erst auf Ersuchen des OKR ttig"'3). Mir scheint hier eine Blickverengung vorzuliegen. Bei der Darstellung des Falles Wiefels sttzt Sommer sich offenbar vor allem auf eine beim Amtshauptmann in Jever entstandene Akte zum Kirchenstreit in Wiefels"14), in der die polizeilich relevanten Vorgnge vor Ort im Vordergrund stehen und die Beziehungen zwischen Kirchenleitung und den am Ort agierenden Personen kaum erhellt werden. Auch spiegelt Sommers Darstellung eher die Argu-mentation der damaligen Lbben-Gegner, die sich in den staatlichen Akten allein deshalb strker niederschlgt, weil sie es ja waren, die sich fortwhrend um ein po-lizeiliches Einschreiten gegen die angeblich politischen Gegner im Dorf bemhten. So liefert Sommer zwar fr das Verhalten der Gegner Lbbens in Wiefels eine Er-klrung, geht aber auf die Motive der anderen Seite nicht ein. Zwar kann man, die Richtigkeit seiner These voraussetzend, annehmen, da die zur alten Ortselite zh-lenden Personen ihre Stellung gegen die Angriffe von Parteiaufsteigern verteidigen wollten, weshalb aber die groe Mehrheit der Wiefelser Lbben ebenfalls unter-sttzte, ist angesichts ihrer recht demonstrativen Handlungen darber hinaus er-klrungsbedrftig. Allenfalls als Andeutung zu diesem Punkt kann gelten, da Sommer den Teil des Kirchenratsbeschlusses vom 10. April 1935 nach der Abberu-fung Lbbens wiedergibt, in dem die fehlende Absprache mit der Kirchengemeinde bemngelt und auf die unmittelbar bevorstehende Konfirmation hingewiesen wurde"'5) . Unklar bleibt auch, inwiefern der kurze Hinweis auf die Information ei-nes von ihm befragten Zeitzeugen, in Wiefels seien starke Einflsse der ostfriesi-schen Erweckungsbewegung festzustellen" gewesen, als Erklrung fr das Verhal-ten der Gemeindeglieder verstanden werden soll10").

    In der Schlubetrachtung kommt Sommer zu einer generellen Bewertung des Ver-haltens von Gemeindegliedern im Kirchen kmpf: Die Zugehrigkeit zur Beken-nenden Kirche [bedeutete] in aller Regel nicht mehr als das Festhalten an tradierten

    101) Siehe das Protokoll der Sitzung des umgewandelten Wiefelser Kirchenrates vom 14.6. 1935, PfAJ, Pro-tokollbuch des Kirchenrats Wiefels 1929-1948 |loses Blatt]. Den ersten Platz im Kirchenrat als Vorsit-zender hatte gewhnlich der Pfarrer inne.

    102) Im Mrz 1933 fand eine turnusgeme Kirchenratswahl statt, bei der in Wiefels drei Vorschlagslisten eingereicht wurden, auf denen der Lehrer noch nicht auftaucht. Er gelangte bei der reichsweit ange-ordneten Kirchenratswahl im Juli 1933 ber den rtlichen NSDAP-Einheitsvorschlag in den Kirchen-rat. Siehe die kirchlichen Wahlunterlagen, PfAJ, Best. Wiefels Nr. 223, und das Protokoll der Kirchen-ratssitzung in Wiefels vom 22.3.1933, PfAJ, Protokollbuch des Kirchenrats Wiefels 1929-1948, S. 100 f.

    103) Siehe z.B. die Hinweise in Anm. 22. 104) Vgl. S o m m e r (s. Anm. I) ,S. 343, Funote 159. 105) Siehe ebd., S. 343. 106) Ebd., S. 342. Eine Erweckungsbewegung" gab es im Land Oldenburg nur vereinzelt, im angrenzenden

    Ostfriesland war sie jedoch stark vertreten. Einige uere Merkmale der Wiefelser Ereignisse

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  • 134 Alfred Flener

    Formen der Kirchlichkeit ... Nur fr die meisten Pfarrer und eine Reihe auch ber-rtlich fr die Bekenntnisgemeinschaft ttiger Laien war mit dem Engagement in der Bekennenden Kirche eine bewute Parteinahme in der innerkirchlichen Ausein-andersetzung verbunden, keineswegs jedoch eine grundstzliche Distanzierung von den nationalsozialistischen M a c h t h a b e r n . " " ' ) Soweit sich diese Aussage auf die Pfarrer und kirchlich aktiven Gemeindeglieder bezieht, mag sie in Sommers Untersuchung durch die Schilderung der Vorgnge in einer Reihe von Kirchen-gemeinden gesttzt sein. Der erste Satz der Bewertung basiert jedoch offenbar vor allem auf der allgemeinen, d.h. nicht speziell auf die Situation des Kirchenkampfes bezogenen Einschtzung, da die Masse der Gemeindeglieder in den evangelischen lndlichen Regionen Oldenburgs zwar an den traditionellen kirchlichen Amtshand-lungen wie Hochzeit, Taufe usw. festhielt, innerlich aber wenig am kirchlichen Le-ben Anteil nahm"18). Als Beleg hierfr zieht Sommer neben einigen religionssoziolo-gischen Arbeiten vor allem die berlieferten Beobachtungen damaliger Pfarrer und an vielen Stellen die nicht im einzelnen dokumentierten Informationen von Zeit-zeugen heran"") , wobei es sich bei letzteren fast ausschlielich um ehemalige Funktionstrger der Bekennenden Kirche" handelt110). Wo Sommer lokale Vorgnge whrend des Kirchenkampfes beschreibt, konzentriert er sich durchweg darauf, die Aktivitten der nationalsozialistischen Funktionstrger einerseits und der Pfarrer und Kirchenrte andererseits zu erklren. An wenigen Stellen nur weist er auf mg-liche Hintergrnde fr das Verhalten der brigen Gemeindeglieder hin, und auch hier sttzt er sich zumeist auf die Aussagen von Pfarrern, deren Beurteilungen dem schon referierten Tenor entsprechen'") .

    Die Beweggrnde fr das kollektive Verhalten einfacher Gemeindeglieder im Kir-chenkampf werden also bei Sommer nicht oder nur am Rande und dann auch nur unzureichend erfat: mittelbar ber Einschtzungen, die nicht auf den konkreten Ereigniszusammenhang bezogen sind, und unmittelbar vornehmlich aus der Per-spektive Geistlicher.

    erinnern an Erweckung": Gottesdienste auerhalb der Kirche, Zusammenknfte mehrerer Gemein-den, Posaunenchor zu Beginn des Gottesdienstes, Beteiligung der Gemeinde (fr eine Einfhrung in dieses Thema danke ich Herrn Archivar Meyer, OKR Oldenburg). Ich habe diese Spur nicht weiter-verfolgt, weil sich weder in historischen Quellen noch in den Interviews mit heutigen Wiefelsern Hinweise darauf fanden. Siehe dazu Rolf S c h a f e r, Skizzen aus der Oldenburger Erweckungsbewe-gung, in: OJb. 85, 1985, S. 77-88; d e r s . , Beobachtungen zur Kirchlichkeit im 19. Jahrhundert, in: Bei-trge zur oldenburgischen Kirchengeschichte (s. Anm. 3), S. 117-124; vgl. auch d e r s . . Von der Refor-mation bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: Oldenburgische Kirchengeschichte (s. Anm. 3), S. 192-386, insbes. S. 376-381; ders.. Evangelische und katholische Kirche im 19. Jahrhundert, I. Teil: Die evangelische Kirche, in: ebd., S. 387-472, insbes. S. 397 f., 402-406; zum Pietismus in Ostfriesland s. Menno S m i d , Ostfriesische Kirchengeschichte (Ostfriesland im Schutze des Deiches 6), Pewsum 1974, S. 352-384.

    107) S o m m e r (s. Anm. 1),S. 478 f. 108) Siehe ebd., S. 229-236. 109) Siehe hierzu ebd., S. 231-235, Funoten 23, 32, 34, 36, 39, 42-44; vgl. auch S. 475 f., Funoten 80,83. 110) Ebd., S. 39, Funote 118. 111) Siehe z.B. ebd., S. 254, 258, 266, 273, 328 f., 334 f., 405.

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  • Der Fall Wiefels 1934-1940 135

    2.3 Geschichtsdeutung auf der Basis lebensweltlicher Erfahrung

    1991/92 wurde in Wiefels ein Geschichtsprojekt zum ev. Kirchenkampf durchge-fhrt, an dem ber einen Zeitraum von einem halben Jahr etwa 80 Frauen und Mnner sowie einzelne Jugendliche beteiligt waren. Sie wurden in drei Arbeits-gruppen von externen Fachleuten betreut und erarbeiteten fr einen gemeinsam veranstalteten Dorftag eine historische Ausstellung, eine musikalische Revue und ein Theaterspiel. Die Verarbeitungsprozesse im Projekt wurden begleitend beob-achtet. Zustzlich wurden 15 qualitative Interviews mit Dorfbewohnern ausge-wertet" 2 ) .

    Daraus lie sich folgendes Bild von der Geschichtsdeutung der Wiefel