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Giorgio Agamben Das Offene Der Mensch und das Tier Mantz, Grebel & Reublin MG&R

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Giorgio AgambenDas Offene

Der Mensch und das TierMantz, Grebel & Reublin

MG&R

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Giorgio Agamben

Das OffeneDer Mensch und das Tier

Mantz, Grebel & Reublin - dataretribal

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Titel der Originalausgabe: L'aperto. L'uomo e l'animale

Zweite Auflage, 2006copyriot, alle Rechte vorenthalten

«Nazi-Crust fuck off!», Band 7Verlag, Satz und Druck: Mantz, Grebel & Reublin

Dataretribal, Zollikon

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Inhalt

1. Theriomorph ......................................... 7 2. Azephal ................................................ 83. Snob ..................................................... 9 4. Mysterium disiunctionis ....................... 11 5. Physiologie der Seligen ......................... 12 6. Cognitio experimentalis ........................ 147. Klassifikationen ..................................... 158. Ranglos ................................................ 179 Anthropologische Maschine .................. 1910. Umwelt*............................................... 4911. Zecke ................................................... 2112. Weltarmut ............................................ 22 13. Das Offene ........................................... 2414. Tiefe Langeweile ................................... 27 15 . Welt und Erde....................................... 30 16. Animalisierung ...................................... 31 17. Anthropogenese ................................... 32 18. Zwischen .............................................. 32 19. Desoeuvrement .................................... 34 20. Außerhalb des Seins .............................. 35Literatur........................................................ 39

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Das Offene

S'il n'exitait point d'animaux, la nature de l'homme serait encore plus incompréhensible. George-Louis Buffon

Indigebant tamen eis ad experimentalem cognitonemsumendam de naturis eorum. Thomas von Aquin S

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1. Theriomorph

In den letzten drei Stunden des Tages setzt sich Gott

und spielt mit dem Leviathan, wie es geschrieben

steht: »Der Leviathan, den du geschaffen hast, um

mit ihm zu spielen.«

In den Beständen der Mailänder Ambrosiana wird eine hebräische Bibel des 13. Jahrhunderts mit kostbaren Mi-niaturen aufbewahrt. Die zwei letzten Seiten des dritten Kodex sind vollständig mit Szenen von mystischer und messianischer Inspiration illustriert. Seite 135v zeigt die Vision Ezechiels ohne die Darstellung des Wagens: Im Zentrum stehen die sieben Himmel, der Mond, die Son-ne und die Sterne, und in den Ecken, weidend auf blau-em Grund, die vier eschatologischen Tiere: der Hahn, der Adler, der Ochse und der Löwe. Die letzte Seite (136r) ist zweigeteilt: In der oberen Hälfte sind die drei Tiere des Ursprungs dargestellt: der Vogel Ziz (als geflügelter Greif), der Ochse Behemoth und der grosse Fisch Levi-athan, im Wasser zusammengerollt. Die Szene, die uns hier besonders interessiert, ist die letzte in jedem Wort-sinn, weil sie am Ende sowohl des Kodex als auch der Menschheitsgeschichte steht. Sie stellt das Messianische Gastmahl der Gerechten am letzten Tag dar. Die Gerech-ten sitzen mit gekrönten Häuptern an einer prachtvoll ausgestatteten Tafel im Schatten paradiesischer Bäume und freuen sich an der Musik zweier Spieler. Die Vorstel-lung, dass die Gerechten, die ihr ganzes Leben die Vor-schriften der Thora eingehalten haben, in den Tagen des Messias vom Fleische Leviathans und Behemoths speisen werden, ohne sich um deren mehr oder weniger kosche-re Schlachtung zu kümmern, ist der rabbinischen Tradi-tion sehr wohl bekannt. Ein bisher noch nicht erwähntes Detail aber ist überraschend: Der Miniaturist hat die ge-krönten Häupter der Gerechten nicht mit menschlichem, sondern mit unverwechselbar tierischem Antlitz darge-stellt. Die drei Figuren rechts geben den Reissschnabel des Adlers, den roten Kopf des Ochsen und das Löwen-haupt der eschatologischen Tiere zu erkennen, und auch die anderen zwei Gerechten treten mit grotesken Zügen auf: der eine mit denjenigen eines Esels, der andere mit dem Umriss eines Panthers. Auch die zwei Musiker ha-ben den Kopf eines Tieres - insbesondere hat der rechte, der eine Art Viola spielt und besser sichtbar ist, eine af-fenähnliche Mundpartie.

Warum sind die Repräsentanten menschlicher Per-fektion mit Tierköpfen dargestellt? Die Gelehrten, die sich der Frage angenommen haben, konnten bislang keine überzeugende Antwort finden. Gemäss der aus-führlichen Studie von Zofia Ameisenowa, die hebräische Materialien mit den Methoden der Warburg-Schule un-tersucht, wären die Abbildungen der Gerechten mit tieri-schem Antlitz auf das gnostisch-astrologische Thema der Darstellung der theriomorphen Dekane zurückzuführen. Gemäss der gnostischen Lehre steigen die Körper der

Gerechten (oder besser der Geistigen) nach dem Tode durch die Himmel, verwandeln sich in Sterne und glei-chen sich den jeweiligen Mächten der Himmel an.

Gemäss der rabbinischen Überlieferung aber sind die-se Gerechten keineswegs gestorben: Sie sind ganz im Gegenteil die Repräsentanten des restlichen Israel, d.h. jener Gerechten, die bei der Ankunft des Messias noch am Leben sind. So kann man in der Apokalypse des Ba-ruch (29,4) lesen: »Und offenbaren wird sich der Behe-moth aus seinem Ort, und der Leviathan wird aufstei-gen aus dem Meere; die beiden grossen Seeungeheuer, die ich am fünften Tage der Schöpfung geschaffen und bis auf jene Zeit aufbewahrt habe. Diese werden dann zur Speise für alle sein, welche übrig sind.« Im übrigen ist die Darstellung der gnostischen Archonten in Tier-gestalt und der astrologischen Dekane alles andere als befriedigend für die Gelehrten und bedarf selbst einer Erklärung. In den manichäischen Texten entspricht jeder Archon einem Teil des animalischen Reichs (Zweifüssler, Vierfüssler, Vögel, Fische, Reptilien) und gleichzeitig den »fünf Eigenschaften« des menschlichen Körpers (Kno-chen, Nerven, Venen, Fleisch, Haut), so dass die Abbil-dung der Archonten in Tiergestalt direkt auf die düstere Verwandtschaft zwischen tierischem Makrokosmos und menschlichem Mikrokosmos verweist (Puech 1979, S. 105). Anderseits gibt es jenen Passus im Talmud, der vom Leviathan als Speise des messianischen Gastmahls der Gerechten berichtet, nach einer Reihe von Hagga-doth, die eine andere Ökonomie im Verhältnis zwischen dem Animalischen und dem Humanen andeuten. Dass im übrigen die animalische Natur im messianischen Reich eine Verwandlung erfahren würde, ist schon in der mes-sianischen Prophezeiung des Jesaja (11, 6) (die dem Ivan Karamazov sehr gefiel) angedeutet, wo zu lesen ist, dass »die Wölfe bei den Lämmern und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben.«

Es ist indes nicht unmöglich, dass der Künstler des am-brosianischen Manuskripts, indem er dem Rest Israels den Kopf eines Tieres zuwies, bedeuten wollte, dass am letz-ten Tag die Beziehungen zwischen Tieren und Menschen eine neue Form annehmen und dass sich der Mensch selbst mit seiner tierischen Natur versöhnen würde.

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2. Azephal

Georges Bataille war von den gnostischen Darstellungen der Archonten mit Tierköpfen, die er im Cabinet des me-dailles der Bibliothèque Nationale gesehen hatte, derart beeindruckt, dass er ihnen 1930 einen Artikel in seiner Zeitschrift Documents widmete.1 Die Archonten schaf-fen und beherrschen in der gnostischen Mythologie als dämonische Wesen die materielle Welt, in welcher die hellen Elemente des Geistes mit den dunklen des Kör-pers vermischt und in ihnen gefangen sind. Die Bilder sind als Dokumente der Tendenz vom »niedrigen Ma-terialismus« der Gnosis hin zur Vermischung der huma-nen und animalischen Formen wiedergegeben und stel-len gemäss Bataille Fussnoten dar: »drei Archonten mit Entenköpfen«, »einen panmorphen Jao«, einen »Gott mit menschlichen Beinen, einem Schlangenkörper und dem Kopf eines Hahns« und zuletzt einen »azephalen Gott mit zwei darüberliegenden Tierköpfen«. Auf dem von André Masson gezeichneten Titelbild der Zeitschrift »Acéphale« war sechs Jahre später eine nackte mensch-liche Figur ohne Kopf als Zeichen der von Bataille und einer kleinen Gruppe von Freunden angestifteten »hei-ligen Verschwörung« dargestellt. Obwohl der Ausbruch des Menschen aus seinem Kopf nicht notwendigerwei-se einen Verweis auf seine Animalität implizierte (»Der Mensch ist seinem Kopf entkommen wie der Verurteil-te dem Gefängnis«, heisst es im Programmtext [Bataille 1936, S.445]), zeugen die Illustrationen der Nummern 3 und 4 der Zeitschrift, in denen nun der nackte Mensch aus der ersten Nummer einen majestätischen Stierkopf trägt, von einer Aporie, die sich durch das ganze Projekt Batailles hindurchzieht.

Zu den zentralen Themen seiner Hegel-Lektüre zählte Kojève, zu dessen Hörern Bataille an der École des hautes études zählte, das Problem vom Ende der Geschichte und der Form, die der Mensch und die Natur in der posthis-torischen Welt annehmen würden, wenn der mühselige Prozess der Arbeit und der Negation zur Vollendung ge-langt wäre, durch den das Tier der Gattung Homo sapi-ens menschlich geworden sei. Kojève widmete diesem zentralen Problem gemäss einer ihm ganz eigenen Geste nur eine Fussnote seiner Vorlesung von 1938/1939:

»Das Verschwinden des Menschen am Ende der Geschichte ist kei-

ne kosmische Katastrophe: Die natürliche Welt bleibt so, wie sie seit

Ewigkeiten war. Es ist auch keine biologische Katastrophe: Der Mensch

bleibt am Leben als Tier, das im Einklang mit der Natur oder dem ge-

gebenen Sein ist. Was verschwindet, ist der Mensch im eigentlichen

Wortsinn, das heisst die negierende Tätigkeit des Gegebenen und der

Fehler oder, im allgemeinen, das dem Objekt entgegengesetzte Sub-

jekt. In der Tat bedeutet das Ende der Zeit des Menschen oder der Ge-

schichte, das heisst die definitive Vernichtung des Menschen im eigent-

lichen Wortsinn oder des freien und historischen Individuums, ganz

einfach den Stillstand der Tätigkeit im starken Wortsinn. Was praktisch

bedeutet: das Verschwinden der Kriege und der blutigen Revolutio-

nen. Und zudem das Verschwinden der Philosophie, denn wenn der

Mensch sich nicht mehr wesentlich ändert, gibt es keinen Grund mehr,

die (wahren) Prinzipien zu ändern, die die Grundlage seiner Welt- und

Selbstkenntnis bilden. Aber der ganze Rest kann sich undefiniert erhal-

ten: die Kunst, die Liebe, das Spiel usw., kurz alles, was den Menschen

glücklich macht.« (Kojève 1947, S. 434f.)

Der Unterschied zwischen Bataille und Kojève nährt sich genau aus jenem »Rest«, der den Tod des Menschen am Ende der Geschichte, wenn er wieder Tier wird, über-lebt. Der Schüler - der freilich fünf Jahre älter als der Lehrer war - konnte um keinen Preis billigen, dass »die Kunst, die Liebe, das Spiel« so wie auch das Lachen, die Ekstase und der Luxus (die mit auratischer Ausserordent-lichkeit ins Zentrum des Interesses von »Acéphale« und, zwei Jahre später, des Collège de Sociologie rückten) ihre übermenschlichen, negativen und heiligen Züge ablegen würden, um einfach in die Animalität zurückgeführt zu werden. Die kleine Gruppe von Anfang Vierzigern, die sich nicht scheute, sich lächerlich zu machen, indem sie in kleinen Wäldern der Pariser Vororte den »Genuss vor dem Tod« praktizierte, und die später während der eu-ropäischen Krise »Zauberlehrling« spielte, indem sie die Rückkehr der europäischen Völker »zum alten Haus des Mythos« predigte, sah zwar in dem kopflosen Wesen, das für einen Augenblick in ihren privilegierten Erfahrun-gen erschienen war, kein humanes oder göttliches We-sen - es durfte aber auf keinen Fall animalisch sein.

Selbstredend stand dabei auch die Interpretation He-gels auf dem Spiel. Auf diesem Feld war Kojèves Auto-rität besonders bedrohlich. Wenn die Geschichte nichts als die geduldige, dialektische Arbeit der Negation und der Mensch zugleich Subjekt und Einsatz im Spiel dieser negierenden Tätigkeit waren, so implizierte die Vollen-dung der Geschichte notwendigerweise das Ende des Menschen und die Verwandlung des Gelehrtenantlitzes in ein animalisches Gesicht, das zum Ende der Zeit mit Genugtuung diesem Ende zuschaut, wie es auf der Mini-atur der Ambrosiana dargestellt ist.

Deswegen kann Bataille in seinem Brief an Kojève vom 6. Dezember 1937 nur auf die Vorstellung einer »Negati-vität ohne Beschäftigung« setzen, die - man weiss nicht wie - das Ende der Geschichte überlebt und die er nur mit seinem eigenen Leben belegen kann, mit jener »of-fenen Wunde, die mein Leben ist«:

»Ich gebe zu (als wahrscheinliche Hypothese), dass die Geschichte von jetzt an vollendet ist (mit Ausnahme des Epilogs). Ich stelle mir die Dinge gleichwohl anders vor. [... ] Wenn die Tätigkeit (das ›Tun‹) - wie Hegel sagt - die Negativität ist, so möchte man wissen, ob die Negativität desjenigen, der ›nichts mehr zu tun hat‹ verschwindet oder als ›Negativität ohne Beschäftigung‹ bestehen bleibt [...] (ich kann mich nicht genauer fassen). Ich anerkenne, dass Hegel diese Möglichkeit vorgesehen hat, er hat sie aber nicht ans Ende des Prozesses gestellt, den er beschrieben hat. Ich stelle mir vor, dass mein Leben - oder des-sen Abtreibung, die offene Wunde, die mein Leben ist - von sich aus die Widerlegung des geschlossenen Systems Hegels darstellt.« (Bataille in: Hollier 1979, S. 171)

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Das Ende der Geschichte ist folglich von einem »Epi-log« begleitet, in dem sich die menschliche Negativität als »Rest« in Form des Erotismus, des Lachens, des Ge-nusses vor dem Tod aufbewahrt. Im ungewissen Licht dieses Epilogs sieht der souveräne und selbstbewusste Weise keine Tierköpfe vor seinen Augen vorbeiziehen, sondern kopflose Figuren der hommes farouchement religieux, »Liebhaber« oder »Zauberlehrlinge«. Der Epi-log musste sich aber als zerbrechlich erweisen. Als 1939 der Krieg unvermeidlich vor dem Ausbruch stand, verriet eine Deklaration des Collège de Sociologie dessen eige-ne Impotenz, indem sie die Passivität und die fehlenden Reaktionen vor dem drohenden Krieg als eine Form von »Entmännlichung« anzeigte, die die Menschen in eine Art »wissende und resignierte Schafe vor der Schlach-tung« verwandelte (Bataille 1939, S. 540). Wenn auch in einem anderen als Kojèves Sinne, waren die Menschen nunmehr tatsächlich wieder Tiere geworden.

1.Vgl. Bataille 1930.

3. Snob

Kein Tier kann ein Snob sein.

Alexandre Kojève

Als 1968 der Schüler-Rivale bereits seit sechs Jahren tot war, kommt Kojève in der zweiten Ausgabe der »In-troduction« wieder auf das Problem der Tierwerdung des Menschen zu sprechen. Er tut dies wieder in Form einer Fussnote, die er jener der ersten Ausgabe hinzufügt (wäh-rend der Text der »Introduction« wesentlich aus Notizen besteht, die Queneau zusammengestellt hat, sind die Fussnoten der einzige Teil des Buches, der mit Bestimmt-heit von Kojèves Hand stammt). Er hält darin fest, dass jene erste Fussnote uneindeutig war: Wenn man davon ausgeht, dass der Mensch »im eigentlichen Wortsinn« am Ende der Geschichte verschwinden muss, kann man nicht schlüssig annehmen, dass sich der »ganze Rest« (die Kunst, die Liebe, das Spiel) unendlich erhält:

»Wenn der Mensch wieder Tier wird, so müssen auch seine Künste,

seine Liebe, seine Spiele wieder rein ›natürlich‹ werden. Man müsste

also eingestehen, dass die Menschen nach dem Ende der Geschichte

ihre Gebäude so errichten werden, wie die Vögel ihre Nester bauen

und wie die Spinnen ihre Netze weben, dass die Menschen Konzerte

wie Frösche oder Zikaden spielen werden, dass sie spielen werden wie

junge Tiere und lieben werden wie erwachsene Tiere. Aber man könnte

nicht behaupten, dass all dies ›den Menschen glücklich‹ macht. Man

müsste sagen, dass die posthistorischen Tiere der Gattung Homo sapi-

ens (die im Überfluss und in völliger Sicherheit leben werden), in bezug

auf ihr artistisches, erotisches, spielerisches Verhalten befriedigt sein

werden, da dies ihrer Definition entspricht.« (Kojève 1979, S-436)

Das endgültige Verschwinden des Menschen im ei-gentlichen Wortsinn muss notwendigerweise den Verlust der menschlichen Sprache bedeuten, die durch mimische oder klangliche Zeichen - der Bienensprache vergleich-bar - ersetzt wird. Kojève argumentiert weiter, dass da-mit nicht nur die Philosophie, also die Liebe zur Weisheit, verschwindet, sondern selbst die Möglichkeit zur Weis-heit als solcher.

An dieser Stelle formuliert die Fussnote eine Reihe von Thesen über das Ende der Geschichte und den aktuellen Stand der Welt, in welcher die Möglichkeit abhanden ge-kommen ist, zwischen absolutem Ernst und ebenso ab-soluter Ironie zu unterscheiden. Wir erfahren somit, dass der Autor in den Jahren nach der Abfassung der ersten Fussnote (1946) eingesehen hat, dass das »hegelianisch-marxistische Ende der Geschichte« kein zukünftiges Er-eignis ist, sondern bereits stattgefunden hat. Nach der Schlacht von Jena hat die Avantgarde der Humanität vir-tuell das Ende der historischen Evolution des Menschen erreicht. Alles, was sich danach ereignete - einschliesslich der beiden Weltkriege, des Nationalsozialismus und der Sowjetisierung Russlands -, stellt nichts anderes dar als

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eine beschleunigte Angleichung des Restes der Welt an die fortschrittlichsten europäischen Länder. Gleichwohl kommt Kojève durch wiederholte Reisen in die Vereinig-ten Staaten und nach Sowjet-Russland zwischen 1948 und 1958 (als er also bereits ein hoher Funktionär der französischen Regierung war) zu der Überzeugung, dass auf dem Weg zum posthistorischen Zustand »die Russen und Chinesen nichts als arme Amerikaner sind, übrigens auf schnellem Weg zum Reichtum«, während die Ver-einigten Staaten bereits »das Endstadium des ›marxisti-schen Kommunismus‹« erreicht haben (Kojève 1979, S. 436f.). Daher die Schlussfolgerung, dass

»der American way of life die der posthistorischen Periode eigene Lebensweise [ist und dass] die gegenwärtige Präsenz der Vereinigten Staaten in der Welt die künftige „ewige Gegenwart” der ganzen Hu-manität symbolisiert. Die Rückkehr des Menschen zur Animalität er-scheint symbolisiert nicht mehr als eine künftige Möglichkeit, sondern als eine schon gegenwärtige Gewissheit.« (Kojève 1979, S. 437)

Eine Reise nach Japan im Jahre 1959 jedoch löst eine weitere Verschiebung der Perspektive aus. In Japan hat Kojève mit eigenen Augen eine Gesellschaft beobachten können, die, obwohl sie im posthistorischen Zustand leb-te, nicht aufhörte, »menschlich« zu sein:

»Die japanische posthistorische Zivilisation hat sich in eine gegen-über dem amerikanischen Weg diametral entgegengesetzte Richtung bewegt. Gewiss, in Japan gibt es keine Religion, Moral oder Politik im ›europäischen‹ oder ›historischen‹ Sinne dieser Begriffe mehr. Aber der Snobismus im Reinzustand hat hier Disziplinen produziert, die das ›na-türlich‹ oder ›animalisch‹ Gegebene negieren und die bezüglich ihrer Wirksamkeit diejenigen einer ›historischen‹ Tätigkeit, wie beispielswei-se kriegerischer oder revolutionärer Kämpfe oder der Zwangsarbeit in Japan und woanders, bei weitem übersteigen. Zweifellos gehört der (nirgendwo sonst erreichte) Höhepunkt des spezifisch japanischen Sno-bismus, der im Theater Nô, in der Tee-Zeremonie und in der Kunst der Blumensträusse zum Ausdruck kommt, weiterhin zur exklusiven Apa-nage der Noblen und Reichen. Trotz der bestehenden ökonomischen und sozialen Ungleichheiten sind aber restlos alle Japaner im Stande, in Funktion total formalisierter Werte - das heisst vollkommen leer von jeglichem ›menschlichen‹ im Sinne von ›historischen‹ Inhalt - zu leben. So ist im Grenzfall jeder Japaner prinzipiell fähig, aus purem Snobis-mus völlig ›umsonst‹ zu einem Selbstmord zu schreiten (das klassische Schwert des Samurai kann durch ein Flugzeug oder einen Torpedo er-setzt werden), der nichts damit gemein hat, wenn man sein Leben im Laufe eines Kampfes für ›historische‹ Werte mit sozialem oder politi-schem Inhalt aufs Spiel setzt. Was vermuten lässt, dass die beginnende Interaktion zwischen Japan und der Welt nicht mit der Barbarisierung der Japaner, sondern mit der ›Japanisierung‹ der westlichen Welt (Russ-land inbegriffen) enden wird.

Da nun kein Tier ein Snob sein kann, wird jede ›ja-panisierte‹ posthistorische Epoche spezifisch menschlich sein. Es gäbe deshalb keine ›definitive Vernichtung des Menschen im eigentlichen Wortsinn‹, solange es Tiere der Gattung Homo sapiens gäbe, die als ›natürlicher‹ Träger dessen dienen, was in den Menschen menschlich ist.« (Kojève 1979,S.437)

Der possenhafte Ton, den Bataille seinem Lehrer jedes-mal vorwarf, wenn dieser den posthistorischen Zustand zu beschreiben versuchte, erreicht in dieser Fussnote sei-nen Höhepunkt. Nicht nur wird hier der »American way

of life« einem animalischen Leben gleichgesetzt. Auch gleicht das Überleben der Geschichte in Form des japani-schen Snobismus einer eleganten (wenn auch, vielleicht, parodistischen) Version jener »Negativität ohne Beschäf-tigung«, die Bataille in gewiss naiverer Art und Weise zu definieren versuchte und die Kojève geschmacklos erscheinen musste.

Versuchen wir die theoretischen Implikationen dieser posthistorischen Figur des Humanen zu bedenken. Al-lererst lässt das Überleben des historischen Dramas der Menschheit - zwischen der Geschichte und ihrem Ende - an eine Franse des Übergeschichtlichen denken, die an das messianische Reich von tausend Jahren erinnert, das sich sowohl nach der hebräischen wie auch der christli-chen Tradition zwischen dem letzten messianischen Er-eignis und dem ewigen Leben auf der Erde errichten wird (es erstaunt nicht, diese Überlegung bei einem Denker zu finden, der seine erste Arbeit dem Philosophen Solov'ëv gewidmet hat, dessen Arbeiten voller messianischer und eschatologischer Motive sind). Entscheidend ist aber, dass in dieser überhistorischen Franse der menschliche Rest des Menschen das Überleben der Tiere der Gattung Homo sapiens voraussetzt, die als Träger fungieren. In Kojèves Hegel-Lektüre ist der Mensch tatsächlich weder eine biologisch definierte Gattung noch eine für sich ge-gebene Substanz; er ist vielmehr ein Feld dialektischer Spannungen, das, von Zäsuren durchschnitten, immer wieder - wenigstens virtuell - geteilt ist in »anthropopho-re« Animalität und Humanität, die sich in jener materia-lisiert. Der Mensch existiert geschichtlich nur in solchen Spannungen: Er kann nur insofern menschlich sein, als er das »anthropophore« Tier, das ihn trägt, transzendiert und verwandelt, nur, weil er gerade durch die negieren-de Tätigkeit fähig ist, seine eigene Animalität zu beherr-schen und - eventuell - zu vernichten (in diesem Sinne hält Kojève fest, dass der »Mensch eine tödliche Krank-heit des Tieres ist« [Kojève 1979, S. 554]).

Wie steht es aber um die Animalität des Menschen in der Posthistorie? Welche Verbindung besteht zwischen dem japanischen Snob und seinem animalischen Körper und zwischen diesem und der von Bataille flüchtig er-blickten kopflosen Kreatur? Dagegen bevorzugt Kojève in der Beziehung zwischen Mensch und Tier den Aspekt der Negation und des Todes und scheint jenen Prozess nicht zu beachten, wonach der Mensch (und stellver-tretend für ihn der Staat) in der Moderne anfängt, sich um das eigene animalische Leben zu kümmern, und das natürliche Leben der Einsatz in jenem Spiel wird, das Foucault Biomacht genannt hat. Vielleicht ist der Kör-per des anthropophoren Tieres (der Körper des Dieners) jener uneingelöste Rest, den der Idealismus dem Den-ken überlässt, und vielleicht koinzidieren die Aporien der heutigen Philosophie mit den Aporien dieses Körpers, der irreduzibel gespannt und geteilt ist zwischen Animalität und Humanität.

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4. Mysterium distunctionts

Eine der ersten und lehrreichsten Beobachtungen, die man bei der genealogischen Untersuchung des Begriffs des »Lebens« in unserer Kultur macht, besteht darin, dass das Leben als solches nie definiert wird. Was derart unbestimmt bleibt, wird jedoch von Mal zu Mal durch eine Reihe von Zäsuren und Gegensätzen gegliedert und geteilt, die es in scheinbar so entfernten Bereichen wie Philosophie, Theologie, Politik und, nur viel später, Medi-zin und Biologie mit einer entscheidenden strategischen Funktion ausstatten. Es scheint so, dass in unserer Kul-tur das Leben dasjenige ist, was nicht definiert werden kann, aber gerade deswegen unablässig gegliedert und geteilt werden muss.

Diese strategische Gliederung des Lebensbegriffs kennt in der abendländischen Philosophiegeschichte ih-ren entscheidenden Augenblick. In De anima trennt Aris-toteles von den verschiedenen Bedeutungen, in denen der Terminus »leben« verwendet wird, die allgemeinste und am besten herauszulösende ab:

»Wir sagen nun [... ], dass das Beseelte gegenüber dem Unbeseel-

ten durch das Leben bestimmt ist. Da aber das Leben in mehrfacher

Bedeutung verstanden wird, sagen wir, dass etwas lebe, wenn Leben

auch nur in einer seiner Bedeutungen vorliegt: als Vernunft, Wahrneh-

mung, örtliche Bewegung und Stehen, ferner als Bewegung der Ernäh-

rung, dem Schwinden und dem Wachstum nach. Daher scheinen auch

alle Pflanzenarten zu leben; denn sie besitzen anscheinend in sich ein

Vermögen und Prinzip von solcher Art, wodurch sie Wachstum und

Schwinden nach entgegengesetzten Örtern haben. [... ] Dieses Vermö-

gen kann von den anderen getrennt werden. Unmöglich aber können

bei den sterblichen Wesen die anderen von jenen getrennt werden.

Dies ist offenkundig bei Pflanzen; denn ihnen kommt kein anderes

Seelen-Vermögen zu. Das Leben kommt also durch dieses Prinzip dem

Lebendigen zu [...]. Nährvermögen [threptikón] nennen wir den so be-

schaffenen Teil der Seele, an dem auch die Pflanzen teilhaben.« (De

anima 413a-413 b)

Es ist wichtig festzustellen, dass Aristoteles in keiner Weise definiert, was das Leben sei; er beschränkt sich darauf, es dank der Isolierung der Ernährungsfunktion zu zerlegen, um es dann in einer Reihe von verschiedenen, aufeinander bezogenen Vermögen oder Fähigkeiten (Er-nährung, Bewegung, Wahrnehmung, Denken) neu zu gliedern. Hier sehen wir jenes Grundprinzip am Werk, welches schlechthin das strategische Dispositiv von Aris-toteles' Denken bildet. Es besteht darin, jede Frage nach dem »was ist es?« in eine Frage nach dem »wodurch [diá tì] gehört eine Sache zu einer anderen?« zu verwandeln. Zu fragen, weshalb ein bestimmtes Wesen als Lebewe-sen gilt, bedeutet, das Fundament zu suchen, aufgrund dessen das Leben zu diesem Wesen gehört. Man muss also unter den verschiedenen Bedeutungen, in denen das Leben verstanden wird, eine einzelne von den ande-ren abtrennen und als Prinzip zugrunde legen, wodurch

das Leben einem bestimmten Wesen zuerkannt werden kann. Mit anderen Worten, was geteilt und abgetrennt worden ist (in diesem Fall das nutritive Leben), ist genau das, was - gemäss einer Art von divide et impera - die Einheit des Lebens als hierarchische Gliederung einer Rei-he von oppositionellen Fähigkeiten und Funktionen zu konstruieren erlaubt.

Die Isolierung des nutritiven Lebens (das bereits die antiken Kommentatoren vegetatives Leben nannten) ist ein in jedem Sinn fundamentales Ereignis für die abend-ländische Wissenschaft. Wenn viele Jahrhunderte später Xavier Bichat in seinen Untersuchungen über das Leben und den Tod das »animalische Leben«, das sich durch die Beziehung mit der Aussenwelt definiert, von einem »organischen Leben« (Bichat 1829, S.7; 1802, S. 4f.) un-terscheidet, das nichts weiter als eine »dauernde Aufein-anderfolge von Assimilation und Exkretion« darstellt, ist es noch einmal das nutritive Leben von Aristoteles, das den dunklen Grund malt, von dem sich das Leben der höheren Tiere abhebt. Nach Bichat leben in jedem hö-heren Organismus sozusagen zwei »Tiere« gleichzeitig: l'animal existant audedans, dessen Leben - von Bichat als »organisch« definiert - nichts als die Wiederholung einer Reihe von sozusagen blinden und bewusstlosen Funktionen (Blutkreislauf, Atmung, Assimilation, Exkreti-on etc.) ist, und l'animal vivant au-dehors (Bichat 1829, S. 15; 1802, S. 14), dessen Leben - das einzige, das für Bichat den Namen »animalisch« verdient - durch die Beziehung zur Aussenwelt definiert wird. Diese beiden Tiere wohnen zusammen im Menschen, stimmen jedoch nicht überein: Das organische Leben des »Tieres nach in-nen« beginnt im Fötus früher als das animalische, und beim Altern und Sterben überlebt es den Tod des »Tieres nach aussen«.

Es erübrigt sich, an die strategische Bedeutung zu erinnern, die die Erkenntnis dieser Scheidung zwischen Funktionen des vegetativen Lebens und relationalen Funktionen in der Geschichte der modernen Medizin ge-habt hat. Die Erfolge der modernen Chirurgie und der Anästhesie gründen unter anderem in der Möglichkeit, die beiden Tiere Bichats zugleich zu trennen und zusam-menzufügen. Und wenn der moderne Staat, wie Fou-cault gezeigt hat, vom 17. Jahrhundert an beginnt, die Sorge um das Leben der Bevölkerung zu seinen wesent-lichen Aufgaben zu zählen und so die Politik in Biopoli-tik verwandelt, ist es in erster Linie eine fortschreitende Verallgemeinerung und Neubestimmung des Begriffs des vegetativen Lebens (das nun mit dem biologischen Erbe der Nation zusammenfällt), durch die er seine neue Bestimmung verwirklicht. Und noch heute ist es in den Diskussionen über die Definition ex lege der Kriterien für den klinischen Tod eine weitere Bestimmung dieses nackten Lebens - eines Lebens, das von jeder Hirntä-tigkeit abgekoppelt und sozusagen ohne Subjekt ist -, die darüber entscheidet, ob ein bestimmter Körper als lebend betrachtet wird oder ob er die Endstation erreicht hat und der Organtransplantation überlassen wird.

Die Teilung des Lebens in vegetatives und relationales,

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organisches und animalisches, animalisches und huma-nes Leben durchzieht also wie eine bewegliche Grenze vornehmlich das Innere des Menschen, und ohne die-se innerste Zäsur wäre die Entscheidung darüber, was menschlich und was nicht menschlich ist, wahrscheinlich nicht möglich. Nur weil so etwas wie das animalische Le-ben im Innern des Menschen abgetrennt worden ist, nur weil Distanz und Nähe zum Tier im Innersten und Un-mittelbarsten ermessen und erkannt worden sind, ist es möglich, den Menschen den anderen Lebewesen entge-genzusetzen und zugleich die komplexe - und nicht im-mer erbauliche - Ökonomie der Beziehungen zwischen Menschen und Tieren zu organisieren.

Aber wenn das zutrifft, wenn die Zäsur zwischen Mensch und Tier in erster Linie das Innere des Menschen durchzieht, dann muss die Frage nach dem Menschen - und dem »Humanismus« - als solche neu gestellt wer-den. In unserer Kultur ist der Mensch immer als Tren-nung und Vereinigung eines Körpers und einer Seele ge-dacht worden, eines Lebewesens und eines lógos, eines natürlichen (oder tierischen) und eines übernatürlichen, sozialen oder göttlichen Elements. Wir müssen hingegen lernen, den Menschen als Ergebnis der Entkoppelung die-ser zwei Elemente zu denken und nicht das metaphysi-sche Geheimnis der Vereinigung, sondern das praktische und politische der Trennung zu erforschen. Was ist der Mensch, wenn er stets der Ort - und zugleich das Ergeb-nis - von unablässigen Teilungen und Zäsuren ist? Die-se Teilungen zu untersuchen, sich zu fragen, auf welche Weise der Mensch - im Menschen - vom Nichtmenschen und das Animalische vom Humanen abgetrennt worden ist, drängt mehr, als zu den grossen Fragen, den soge-nannten menschlichen Werten und Menschenrechten, Stellung zu beziehen. Und womöglich hängt auch die lichtvollste Sphäre der Beziehungen mit dem Göttlichen in irgendeiner Weise von jener Sphäre - der dunkelsten - ab, die uns vom Tier trennt.

5. Physiologie der Seligen

Was ist dieses Paradies anderes als der Gasthof

eines unaufhörlichen Fressens und das Freudenhaus

ununterbrochener Schamlosigkeit?

Wilhelm von Paris

Aus dieser Perspektive ist die Lektüre mittelalterlicher Traktate über die Integrität und die Eigenschaften des Körpers der Auferstandenen besonders erhellend. Das Problem, dem sich die Patres stellen mussten, war das der Identität zwischen dem auferstandenen Körper und demjenigen, dem der Mensch im Leben verbunden war. Die Identität schien tatsächlich zu implizieren, dass die ge-samte Körpermasse des Verstorbenen wiederauferstehen und ihren Platz im Organismus des Seligen wiederbeset-zen musste. Aber gerade hier entstanden Schwierigkei-ten. Musste sich beispielsweise bei der Auferstehung die abgetrennte Hand eines Diebes, der Reue gezeigt hatte und erlöst worden war, wieder mit dem Körper vereini-gen? Und wird die Rippe Adams, aus welcher der Körper Evas gebildet wurde - so fragt sich Thomas -, in ihrem oder in seinem Körper wiederauferstehen? Des weiteren verwandelt sich gemäss der mittelalterlichen Wissen-schaft die Nahrung durch die Verdauung in lebendiges Fleisch. Dies müsste im Falle eines Anthropophagen, der sich von anderen menschlichen Körpern ernährt hat, im-plizieren, dass dieselbe Materie in verschiedene Indivi-duen wieder Eingang finden müsste. Und was soll man über Haare und Nägel sagen? Und über das Sperma, den Schweiss, die Milch, den Urin und andere Ausscheidun-gen? Wenn die Eingeweide auferstehen, dann werden sie entweder leer oder voll auferstehen müssen, hält die Argumentation eines Theologen fest: Im letzteren Fall bedeutet dies, dass auch der Abfall auferstehen wird; im ersten hingegen wird man ein Organ vorfinden, dem kei-ne natürliche Funktion mehr eigen ist.

So verschiebt sich das Problem von der Identität und Integrität des auferstandenen Körpers auf dasjenige von der Physiologie des seligen Lebens. Wie wird man sich die vitalen Funktionen des paradiesischen Körpers vorstellen müssen? Um ein derart unebenes Gelände auszumessen, griffen die Patres auf ein nützliches Paradigma zurück: die Körper Adams und Evas vor dem Sündenfall. »Denn die wahre Pflanzung Gottes« »in der Wonne der ewigen Glückseligkeit« ist - gemäss Scotus Eruigena - »die nach dem Bilde Gottes gemachte menschliche Natur« (Scotus Eruigena 1853, S.822; 1983, S. 133). Aus dieser Perspek-tive konnte die Physiologie des seligen Körpers als Wie-derherstellung des paradiesischen Körpers wahrgenom-men werden, der als Archetyp unverdorbener humaner Natur galt. Dies implizierte allerdings Konsequenzen, die die Patres nicht gänzlich akzeptieren wollten. Gewiss, Adams Sexualität vor dem Fall glich - gemäss Augusti-

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nus - nicht der unseren, da seine Sexualorgane willent-lich bewegt werden konnten wie Hände oder Füsse, so dass die sexuelle Vereinigung ohne Stimulus der Begierde stattfinden konnte. Und die adamitische Nahrung war unendlich edler als unsere, weil sie nur aus Früchten aus dem Garten Eden bestand. Gleichwohl blieb die Frage, wie man den Umgang der Seligen mit den Sexualorga-nen - oder auch nur mit der Nahrung - verstehen sollte.

Wenn man nämlich davon ausging, dass die Aufer-standenen ihre Sexualität zur Fortpflanzung ausübten und Nahrung aufnahmen, allein um sich zu ernähren, musste man daraus folgern, dass sich Anzahl und körper-liche Ausprägungsformen der Menschen ins Unendliche steigern oder verändern würden und dass es unzählige Selige geben würde, die vor der Auferstehung nicht ge-lebt haben konnten und deren Humanität deswegen un-möglich einer Definition zugänglich sein würde.

Die zwei grundlegenden Funktionen des animalischen Lebens - die Nahrung und die Zeugung - unterstehen der Erhaltung des Individuums und der Gattung. Da aber nach der Auferstehung das menschliche Geschlecht seine prästabilierte Anzahl erreicht haben und es keinen Tod mehr geben sollte, wären die beiden Funktionen gänzlich überflüssig geworden. Wenn darüber hinaus die Auf-erstandenen weiter ässen und sich fortpflanzten, wäre das Paradies nicht gross genug, um sie alle zu beher-bergen, nicht einmal all ihre Exkremente würden darin Platz finden: Daher der ironische Ausfall Wilhelms von Paris: »Verdammt das Paradies, in dem soviel geschissen wird!«

Es gab freilich eine weit listigere Doktrin, die behaup-tete, dass die Auferstandenen nicht zum Zweck der Er-haltung des Individuums oder der Gattung Sexualität ausübten und Nahrung zu sich nahmen, sondern - da-von ausgehend, dass die Glückseligkeit im vollkomme-nen Vollzug der menschlichen Natur bestand - aus dem Grund, dass im Paradies der ganze Mensch, in seinen körperlichen ebenso wie in seinen geistigen Vermögen, glückselig sei. Gegen diese Häretiker, die er mit den Mo-hammedanern und Juden vergleicht, bekräftigt Thomas von Aquin in den Fragen zu De resurrectione, die die Summa theologica ergänzen, mit Entschiedenheit, dass der usus venereorum et ciborum aus dem Paradies aus-geschlossen sei. Die Auferstehung ist gemäss seiner Leh-re nicht auf die Vollendung des natürlichen Lebens des Menschen, sondern einzig auf die Vollendung des kon-templativen Lebens gerichtet.

»Und darum werden jene natürlichen Tätigkeiten, die auf die Verur-

sachung oder Bewahrung der ersten Vollkommenheit der menschlichen

Natur hingeordnet sind, bei der Auferstehung fehlen. [...] Und weil

Essen, Trinken, Schlafen und Sichfortpflanzen zum sinnenhaften Leben

gehören, da sie auf die erste Vollkommenheit der Natur hingeordnet

sind, werden solcherlei Tätigkeiten nach der Auferstehung fehlen.«

(Thomas von Aquin 1958, S. 340)

Derselbe Autor, der kurz zuvor behauptet hatte, dass die Sünde des Menschen in keiner Weise die Natur und

den Zustand der Tiere verändert habe, verkündet jetzt ohne jeglichen Zweifel, dass das animalische Leben aus dem Paradies ausgeschlossen, dass das selige Leben in keiner Weise ein animalisches Leben sei. Folglich sind auch Pflanzen und Tiere aus dem Paradies ausgeschlos-sen und »werden sich gemäss dem Ganzen und dem Teil auflösen«. In den Körpern der Auferstandenen werden die animalischen Funktionen »untätig und leer« blei-ben - genau, wie gemäss der mittelalterlichen Theologie der Garten Eden nach der Austreibung Adams und Evas ohne jedes menschliche Leben bleibt. Es wird nicht das gesamte Fleisch gerettet werden, und die göttliche oi-konomía der Rettung hinterlässt in der Physiologie der Seligen einen unerlösbaren Rest.

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6. Cognitio experimentalis

Wir können nun einige vorläufige Hypothesen formulie-ren, um zu sehen, warum in der ambrosianischen Minia-tur die Darstellung der Gerechten mit tierischen Köpfen so rätselhaft ist. Das messianische Ende der Geschichte oder die Vollendung der göttlichen oikonomía der Ret-tung zeigt eine kritische Schwelle an, an welcher der für unsere Kultur so entscheidende Unterschied zwischen Animalischem und Humanem zu erlöschen droht. Die Beziehung zwischen Mensch und Tier umreisst so ein wesentliches Feld, auf welchem sich jede historische Vorgehensweise jener Franse des Überhistorischen ge-genübergestellt sieht, zu der man ohne Rückgriff auf die Erste Philosophie keinen Zugang finden kann. Die Festle-gung der Grenze zwischen Humanem und Animalischem scheint so nicht eine Frage unter vielen zu sein, denen sich Philosophen und Theologen, Wissenschaftler und Politiker widmen, sondern vielmehr eine grundlegende metaphysisch-politische Operation, durch die allein so etwas wie ein »Mensch« bestimmt und hergestellt wer-den kann. Wenn animalisches und humanes Leben voll-ständig zur Deckung kämen, wären weder der Mensch noch das Tier - und vielleicht auch nicht das Göttliche - denkbar. Deswegen impliziert das Erreichen des Post-historischen notwendigerweise die Reaktualisierung der prähistorischen Schwelle, an welcher jene Grenze ge-zogen worden war. Das Paradies stellt Eden wieder zur Diskussion.

Thomas scheint sich an einer Stelle der Summa, die unter der signifikativen Rubrik Utrum Adam in statu in-nocentiae animalibus dominaretur1 steht, für einen Au-genblick dem Kern des Problems zu nähern, indem er ein »kognitives Experiment« evoziert, das in der Beziehung zwischen Mensch und Tier stattfindet:

»Die Menschen bedurften im Unschuldsstande der Tiere nicht für

die leiblichen Bedürfnisse, weder zur Bekleidung, weil sie nackt waren

und sich nicht schämten, da keine Regung der untergeordneten Begier-

lichkeit auftrat; noch zur Nahrung, weil sie sich von den Bäumen des

Paradieses nährten, noch auch zur Fortbewegung wegen ihrer Körper-

stärke. Sie bedurften ihrer aber, um sich ein Erfahrungswissen über ihre

Naturen anzueignen [Indigebant tarnen eis ad experimentalem cogni-

tionem sumendam de naturis eorum]. Das wurde dadurch angedeutet,

dass Gott die Tiere zu ihm hinführte, damit er ihnen Namen gebe, die

ihre Natur bezeichneten.« (Thomas von Aquin 1941, S. 123)

Wir müssen den Einsatz im Spiel dieser cognitio ex-perimentalis begreifen. Vielleicht sind nicht nur Theo-logie und Philosophie, sondern auch Politik, Ethik und Jurisprudenz in dieser Differenz zwischen Mensch und Tier aufgespannt und aufgehoben. Das kognitive Expe-riment, von dem hier die Rede ist, betrifft letztlich die Natur des Menschen - genauer aber: die Herstellung und Definition dieser Natur -, es ist ein Experiment de homi-nis natura. Wenn die Differenz erlöscht und die beiden

Begriffe zusammenfallen, wie es sich heute zu ereignen scheint, dann verschwindet auch die Differenz zwischen dem Sein und dem Nichts, dem Zulässigen und dem Unzulässigen, dem Göttlichen und dem Dämonischen, und an ihre Stelle tritt etwas, für das man kaum Namen finden kann. Vielleicht sind auch die Konzentrations- und Vernichtungslager ein Experiment dieser Art, ein rücksichtsloser und monströser Versuch der Unterschei-dung zwischen dem Humanen und Inhumanen, der die Möglichkeit zur Unterscheidung selbst in seinen Vernich-tungssog gezogen hat.

1. »Ob Adam im Unschuldsstande über die Tiere herrschte«.

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7. Klassifikationen

Cartesius Gerte non vidit simios.

Linné

Linné, der Erfinder der modernen wissenschaftlichen Klassifikation, hatte eine Schwäche für Affen. Wahr-scheinlich hatte er während seines Studienaufenthalts in Amsterdam, das damals ein wichtiges Handelszentrum für exotische Tiere war, die Möglichkeit, sie aus der Nähe zu sehen. Als er später nach Schweden zurückkehrte und königlicher Leibarzt wurde, gründete er in Uppsala einen kleinen Zoo, der Affen verschiedener Untergat-tungen versammelte. Unter ihnen befand sich ein Ber-beraffenweibchen namens Diana, das er besonders be-vorzugt haben soll. Die Behauptung, wonach sich Affen wie alle anderen bruta vom Menschen wesentlich darin unterscheiden würden, dass sie seelenlos seien, konnte Linné den Theologen nicht so einfach zugestehen. Eine Fussnote zum Systema naturae widerspricht der carte-sianischen Theorie und ihrer Annahme, dass Tiere als automata mechanica zu betrachten seien, indem sie et-was verärgert festhält: »Offenbar hat Descartes nie ei-nen Affen gesehen.« Linné erklärt in seinem folgenden Buch Menniskans Cousiner, Vettern des Menschen,1 wie schwer es aus naturwissenschaftlicher Perspektive ist, die spezifische Differenz zwischen anthropomorphen Tieren und Menschen zu bestimmen. Dabei blieb die klare Dif-ferenz unberührt, die auf einer moralischen und religiö-sen Ebene den Menschen vom Tier trennt:

»Nur der Mensch ist das Geschöpf, welches Gott der Schöpfer ge-

würdiget hat mit einer unsterblichen Seele zu zieren; ja es gefiel ihm,

diesen allein unter den lebendigen Geschöpfen an Kindes Statt anzu-

nehmen, ihm ein besseres Leben zu verheissen[; Gott hat sogar seinen

einzigen Sohn auf die Erde geschickt, um ihn zu retten].« (Linné 1776,

S. 59; 1955, S. 4)

Aber all dies, so folgerte er,

»gehört nicht hierher. Ich will bey meinem Zweck bleiben, und mich nicht wie jener Schuster vom Leisten entfernen. Ich will als Naturfor-scher den Menschen nach allen Theilen seines Körpers betrachten; und wann ich dies thue: so finde ich schwerlich ein einziges Merkmal, wo-durch der Mensch von Affen unterschieden werden kann, wann nicht etwa die Hauzähne, welche beym Menschen von einander stehen, ei-nen Unterschied machen.« (Ebd.)

Die entschiedene Geste, mit der Linné Homo neben Si-mia, Lemur und Vespertilio (die Fledermaus) in die Ord-nung der Anthropomorpha einreiht, die nach der zehn-ten Ausgabe von 1758 Primates heissen, ist daher nicht überraschend. Übrigens lag diese Geste, die selbstredend zahlreiche Polemiken auslöste, gewissermassen in der Luft. Bereits 1693 hatte John Ray unter den Vierfüssern die Gruppe der Anthropomorpha, die »den Menschen Ähnlichen«, unterschieden. Im allgemeinen sind im Anci-

en Régime die Grenzen des Humanen viel unsicherer und fluktuierender als nach der Entwicklung der Humanwis-senschaften im 19. Jahrhundert. Bis zum 18. Jahrhundert liegt die Sprache, die zum Erkennungszeichen des Men-schen par excellence werden sollte, jenseits jeder Ord-nung und jeder Klasse, weil man mutmasste, dass auch die Vögel sprechen können. Der sicherlich zuverlässige Zeuge John Locke erzählt die mehr oder weniger wahre Geschichte, dass der Papagei des Prinzen von Nassau in der Lage war, eine Konversation aufrechtzuerhalten und »wie ein vernünftiges Wesen« auf Fragen zu antworten.2 Aber auch die physische Abgrenzung des Menschen von anderen Gattungen implizierte unentschiedene Zonen, in denen die Zuschreibung sicherer Identitäten unmöglich war. Noch die Ichthyologia des Peter Artedi führt die Si-rene neben der Robbe und den Seelöwen auf (1738, S. 81), und selbst Linné klassifiziert in seinem Pan Europaeus die Sirene - die der dänische Anatom Caspar Bartholin Homo marinus nannte - zusammen mit dem Menschen und dem Affen. Des weiteren war auch die Grenze zwi-schen anthropomorphen Affen und gewissen primitiven Völkern alles andere als klar. In der ersten Beschreibung eines Orang-Utan unterstreicht der Arzt Nicolaus Tulpius 1641 die menschlichen Züge dieses Homo sylvestris (dies entspricht der Bedeutung des malaysischen Ausdrucks Orang-Utan). Bis zur ersten sicheren Festlegung der phy-sischen Differenz zwischen Affen und Menschen auf der Grundlage der komparatistischen Anatomie musste man auf die Dissertation Edward Tysons im Jahre 1699 warten (Orang-Outang, sive Homo Sylvestris, or, the Anatomy of a Pygmie). Obwohl dieses Werk als eine Art Inkuna-bel der Primatologie gilt, stellt das von Tyson »Pygmäe« genannte Wesen - das sich anatomisch in achtundvierzig Merkmalen vom Menschen und in deren vierunddreissig vom Affen unterschied - eine Art »Tier zwischen« dem Menschen und dem Affen dar und befindet sich in der symmetrischen Verlängerung der Beziehung zwischen Mensch und Engel. So schreibt Tyson in seiner Widmung an Lord Falconer:

»Das Tier, dessen Anatomie ich hier wiedergebe, ist dasjenige, das der Humanität am nächsten ist, und stellt die Verbindung zwischen dem Tier und dem Vernunftwesen dar, genauso wie sich Ihre Hoheit wegen Ihres Wissens und Ihrer Weisheit derjenigen Art von Wesen nähern, die am nächsten über uns liegt.« (Tyson 1699, The Epistle Dedicatory)

Es genügt ein Blick auf den ganzen Titel der Dissertati-on, um einzusehen, dass die Grenzen des Humanen nicht nur durch reale Tiere, sondern auch durch Figuren aus der Mythologie gefährdet waren: Orang-Outang, sive Homo Sylvestris, or, the Anatomy of a Pygmie Compa-red with that of a Monkey, an Ape, and a Man, to which is Added, a Philological Essay Conerning the Pygmies, the Cynocephalt, the Satyrs and Sphinges of the An-cients: Wherein it Will Appear that They are Either Apes or Monkeys, and not Men, as Formerly Pretended.

Tatsächlich besteht Linnés Genie nicht nur in der Ent-schiedenheit, mit der er den Menschen unter die Pri-maten einreiht, sondern auch in der Ironie, mit der er

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der Gattungsbezeichnung Homo - anders als bei den anderen Gattungen - kein spezifisches Kennzeichen bei-fügt als jenen alten philosophischen Sinnspruch nosce te ipsum. Auch als die Benennung in der zehnten Ausga-be zu Homo sapiens vervollständigt wird, repräsentiert das neue Epitheton offensichtlich keine neue Beschrei-bungsebene, sondern lediglich eine Trivialisierung jenes Sinnspruchs, der übrigens seinen Ort neben dem Begriff Homo beibehält. Es lohnt sich, über diese klassifikato-rische Anomalie nachzudenken, die keine Gegebenheit, sondern einen Imperativ als spezifische Differenz setzt.

In der Analyse des Introitus, der das Systema einleitet, kann kein Zweifel an der Bedeutung bestehen, die Linné seinem Motto beimass: Der Mensch hat keine spezifische Identität ausser derjenigen, dass er sich selbst erkennen kann. Den Menschen aber nicht durch eine nota charac-teristica, sondern durch die Selbsterkenntnis zu definie-ren, bedeutet, dass nur derjenige Mensch sein wird, der sich selbst als solcher erkennt, dass der Mensch dasjeni-ge Tier ist, das sich selbst als menschlich erkennen muss, um es zu sein. In der Tat schreibt Linné, dass die Na-tur den Menschen bei der Geburt »nackt auf die nackte Erde« geworfen habe, unfähig zu erkennen, zu reden, zu gehen, sich zu ernähren, wenn ihm all das nicht beige-bracht wird (Nudus in nuda terra [...] cui scire nichil sine doctrina; non fari, non ingredi, non vesci, non aliud na-turae sponte). Er kommt nur zu sich selbst, indem er sich über den Menschen erhebt (o quam contempta res est homo, nisi supra humana se erexerit: Linné 1735, S. 6).

Seinem Kritiker Johann Georg Gmelin, der ihm vor-warf, dass man aus dem Systema den Eindruck gewin-nen könne, der Mensch sei nach dem Bilde des Affen geschaffen worden, antwortete Linné in einem Brief mit der Ausführung der Bedeutung seines Mottos: »Gleich-wohl erkennt der Mensch sich selbst. Vielleicht sollte ich jene Wörter tilgen. Aber ich fordere Sie und die ganze Welt auf, mir aus der Naturgeschichte heraus eine spe-zifische Differenz zwischen dem Menschen und dem Af-fen anzuzeigen. Ich kenne sie nicht.« (Gmelin 1861, S. 55) Aus seinen Notizen zu einem Antwortbrief an einen weiteren Kritiker, Theodor Klein, kann man erahnen, wie sehr Linné auf der in der Formel Homo sapiens implizi-ten Ironie zu beharren bereit war. Diejenigen sollten das nosce te ipsum auf sich selbst anwenden, die - wie Klein - nicht mit dem ihnen vom Systema zugewiesenen Ort einverstanden waren: Indem sie sich darin nicht selbst erkennen konnten, zählten sie sich selbst zu den Affen.

Homo sapiens ist folglich weder eine Substanz noch eine klar definierte Gattung: Die Formel ist eher eine Maschine oder ein Artefakt, um die Erkenntnis des Hu-manen zu produzieren. Ganz zeitgemäss ist die Vorstel-lung der anthropogenen (oder - gemäss Furio Jesi - an-thropologischen) Maschine als einer optischen Maschine (dies entspricht gemäss jüngsten Studien auch der im Leviathan beschriebenen Vorrichtung, aus dessen Einlei-tung Linné vielleicht sein Motto gewonnen hat: Nosce te ipsum, Read thy self, wie Hobbes dieses saying not of late understood übersetzt). Diese optische Maschi-

ne besteht aus einer Reihe von Spiegeln, in welcher der Mensch sein eigenes Bild betrachtet, das immer schon zu Affenfratzen verzerrt ist. Homo ist grundlegend ein »anthropomorphes« Tier (im Sinne des Terminus »dem Menschen ähnlich«, den Linné konstant bis zur zehnten Ausgabe des Systema benutzt): Der Mensch muss sich, um menschlich zu sein, als Nicht-Mensch erkennen.

In der mittelalterlichen Ikonographie hält der Affe ei-nen Spiegel in der Hand, in dem sich der sündige Mensch als simia dei erkennen soll. In der optischen Maschine Linnés wird gerade derjenige zum Affen, der sich wei-gert, sich als Affen zu erkennen, gleichsam Pascal para-phrasierend: qui fait l'homme, fait le singe. Deswegen muss Linné - der Homo als dasjenige Tier definiert hat, das nur ist, wenn es erkennt, dass es nicht ist - am Ende seiner Einleitung zum Systema grosse, als Kritiker verklei-dete Affen ertragen, die ihm auf die Schultern steigen, um ihn zu belachen: ideoque ringentium Satyrorum ca-chinnos, meisque humeris insilentium cercopithecorum exsultationes sustinui.3

1 Linnés Text »Anthropomorpha« (in: »amoeni-tates academicae«, 1763) erschien in einer zeitge-nössischen deutschsprachigen Ausgabe unter dem Titel »Vom Thiermenschen« (1776). Diese Über-setzung kürzt den originalen lateinischen Text, wie der Herausgeber selbst in der »Vorrede« erklärt.

2 Vgl. Locke 1975, II, XXVII, 8 (S.333). Das ent-sprechende Kapitel mit dem Titel »Identity and Di-versity« hat Locke erst in der zweiten Auflage des »Essays« 1694 hinzugefügt.

3 »Und daher hielt ich das spöttische Gelächter der zähnefletschenden Satyrn und die Ausgelas-senheit der geschwänzten Affen auf meinen Schul-tern aus.«

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9. Anthropologische Maschine

Homo alalus primigenius Haeckelii ...

Hans Vathinger

Im Jahr 1899 hat Ernst Haeckel, Professor an der Univer-sität Jena, bei Emil Strauss in Bonn Die Welträthsel ver-öffentlicht, ein Buch, das gegen jeglichen Dualismus und jegliche Metaphysik die philosophische Erforschung der Wahrheit mit den Fortschritten der Naturwissenschaften zu versöhnen beabsichtigte. Trotz des technischen Cha-rakters und der Fülle der gestellten Probleme überschritt das Buch in wenigen Jahren die Grenze von hundertfünf-zigtausend Exemplaren und wurde zu einer Art Evangeli-um des wissenschaftlichen Progressismus.1 Der Titel ent-hielt mehr als nur eine ironische Anspielung auf die Rede, die Emil Du Bois-Reymond ein paar Jahre zuvor an der Berliner Akademie der Wissenschaften gehalten hatte. Darin hatte der berühmte Wissenschaftler sieben »Welt-räthsel« aufgezählt, von denen er drei für »transcendent und unlösbar«, drei für lösbar, aber noch nicht gelöst und eines für ungewiss erklärte (vgl. Haeckel 1899, S.18). Im fünften Kapitel seines Buches meint Haeckel, mit seiner eigenen Auffassung der Substanz die drei ersten Rätsel aus der Welt geschafft zu haben, und konzentriert sich auf die »Frage aller Fragen« (ebd., S. 91), die nach dem Ursprung des Menschen, die in gewisser Weise die drei lösbaren, aber noch nicht gelösten Probleme von Du Bois-Reymond in sich vereint. Auch diesmal meint er, die Frage mit Hilfe der radikal und konsequent weiterentwi-ckelten Evolutionslehre Darwins endgültig beantwortet zu haben.

Bereits Thomas Huxley, erklärt er, habe gezeigt, »dass die ›Abstammung des Menschen vom Affen‹ eine nothwendige Consequenz des Darwinismus sei« (Hae-ckel 1899, S. 95). Doch gerade durch diese Gewissheit erlege man sich die schwierige Aufgabe auf, die Entwick-lungsgeschichte des Menschen sowohl auf der Basis der Resultate der vergleichenden Anatomie wie der paläon-tologischen Funde zu begründen. Dieser Aufgabe hatte Haeckel schon 1874 seine Anthropogenie gewidmet, in der er die Geschichte des Menschen von den silurischen Fischen bis zu den Menschenaffen oder Anthropomor-phen des Miozäns rekonstruierte. Aber seine spezifische Leistung - worauf er mit Recht stolz ist - besteht darin, als Übergangsform von den Anthropomorphen (oder Menschenaffen) zum Menschen ein gesondertes Wesen angenommen zu haben, das er »Affenmensch« oder, wegen seiner Sprachlosigkeit, Pithecanthropus alalus nennt:

»Von diesen letzteren [den ›Zottenthieren‹ oder›Placentalien‹] tre-

ten wieder zunächst in der ältesten Tertiär-Zeit (Eocaen) die niedersten

Primaten-Ahnen auf, die Halbaffen, darauf (in der Miocän-Zeit) die

echten Affen, und zwar von den Catarrhinen zuerst die Hundsaffen

(Cynopitheken), später die Menschenaffen (Anthropomorphen); aus

einem Zweige dieser letzteren ist erst während der Pliocän-Zeit der

sprachlose Affenmensch entstanden (Pithecanthropus alalus), und aus

diesem endlich der sprechende Mensch.« (Haeckel 1899, S. 96)

Die Existenz dieses Pithecanthropus oder Affenmen-schen, der 1874 noch lediglich eine Hypothese war, wurde 1891 Wirklichkeit, als der holländische Militärarzt Eugen Dubois auf der Insel Java ein Stück Schädel und einen Oberschenkelknochen fand, der demjenigen des jetzigen Menschen ähnlich war. Zur grossen Befriedi-gung Haeckels, dessen begeisterter Leser er im übrigen war, taufte Dubois das Wesen, zu dem die Fundstücke gehört hatten, auf den Namen Pithecanthropus erectus. »Er ist in der That das vielgesuchte ›Missing link‹, das angeblich ›fehlende Glied‹ in der Primaten-Kette, welche sich ununterbrochen vom niedersten katarrhinen Affen bis zum höchstentwickelten Menschen hinaufzieht«, so stellt Haeckel unverrückbar fest (Haeckel 1899, S. 99f.).

Die Idee dieses sprachlosen Urmenschen - wie ihn Haeckel anderswo auch definiert - barg jedoch Aporien, denen er sich in keiner Weise bewusst zu sein schien. Der Übergang vom Tier zum Menschen wurde trotz der Betonung der vergleichenden Anatomie und der paläon-tologischen Funde durch die Subtraktion eines Elementes hervorgebracht, das mit keinem dieser beiden Bereiche etwas zu tun hatte, sondern als Merkmal des Humanen vorausgesetzt wurde: der Sprache. Indem er sich mit die-ser identifiziert, stellt der Mensch seine eigene Stumm-heit als schon oder noch nicht menschlich ausser sich.

Dem Linguisten Heymann Steinthal, einem der letz-ten Vertreter jener Wissenschaft des Judentums*, die die Erforschung des Judaismus mit modernen wissenschaftli-chen Methoden zu betreiben versuchte, war es beschie-den, die impliziten Aporien der Haeckelschen Lehre vom Homo alalus und noch allgemeiner dessen, was man die anthropologische Maschine der Moderne nennen kann, aufzudecken. Etliche Jahre vor Haeckel hatte Steinthal in seinen Untersuchungen über den Ursprung der Spra-che seinerseits die Idee eines vorsprachlichen Stadiums der Menschheit vorgebracht. Er stellte sich eine Phase des menschlichen Wahrnehmungslebens vor, in der die Sprache noch nicht erschienen war, und verglich sie mit dem Wahrnehmungsleben der Tiere; sodann versuchte er zu zeigen, auf welche Weise die Sprache dem mensch-lichen, nicht aber dem tierischen Wahrnehmungsleben entspringen konnte. Aber genau hier tauchte eine Aporie auf, deren er sich erst ein paar Jahre später voll bewusst werden sollte:

»Wir haben diesen rein theoretisch construirten Zustand der Men-

schenseele mit der tierischen verglichen, und für erstere überall und in

allen Beziehungen einen Überschuss an Kraft gefunden. Diesen Über-

schuss lassen wir nun die menschliche Seele auf die Bildung der Sprache

verwenden. Darauf kam es uns ja an, zu zeigen, warum zwar aus der

menschlichen Seele, aus ihrer Wa[h]rnehmung, Sprache entspringe,

nicht aber aus der tierischen. [...] Bei unserer ganzen obigen Darstel-

lung der Tier- und Menschenseele mussten wir von der Sprache abse-

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hen, deren Möglichkeit ja erst erwiesen werden sollte. Woher die Kraft

stamme, vermittelst welcher die Seele Sprache bildet, das sollte erst

gezeigt werden; diese Kraft zur Schöpfung der Sprache kann natürlich

nicht aus der Sprache stammen. Darum haben wir einen Zustand des

Menschen, wie er vor der Sprache ist, fingirt. Das ist freilich nur eine

Fiction; denn die Sprache ist dem menschlichen Wesen so notwendig

und natürlich, dass ohne sie der Mensch weder wirklich existirt, noch

als wirklich existirend gedacht werden kann. Der Mensch hat entweder

Sprache, oder er ist gar nicht. Andererseits aber - und dies rechtfer-

tigt die obige Fiction - darf doch die Sprache nicht als zum Sein der

menschlichen Seele selbst gehörig angesehen werden; sie ist vielmehr

allerdings schon eine nicht ohne ein gewisses Bewusstsein vollbrachte

Schöpfung des Menschen, wenn auch noch keine selbstbewusste Tat.

Sie ist eine Stufe der geistigen Entwickelung der Seele und verlangt

eine Ableitung aus den ihr vorangehenden Stufen. Mit ihr beginnt das

eigentlich menschliche Tun und Treiben; sie ist die Brücke, die aus dem

Tierreiche in das Menschenreich führt. [... ] Warum sich aber nur die

menschliche Seele diese Brücke baut, warum nur der Mensch vom Tier-

stande zur reinen Menschheit vermittelst der Sprache schreitet, und

nicht auch das Tier: das wollten wir uns durch eine Vergleichung des

Tieres mit dem Tier-Menschen klar machen. Diese Vergleichung zeigt

uns, dass der Mensch, wie wir ihn uns ohne Sprache fingiren müssen,

zwar ein Tier-Mensch, aber kein Menschentier, noch sonst eine Art Tier

ist, sondern immer schon eine Art Mensch.« (Steinthal 1881, S. 355

f.)

Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist die

Sprache, aber diese ist keine natürliche, der psychophy-sischen Struktur bereits innewohnende Gegebenheit, sondern eine historische Produktion, die als solche weder dem Menschen noch dem Tier im eigentlichen Sinn zu-geschrieben werden kann. Nimmt man dieses Element weg, verschwindet der Unterschied zwischen dem Men-schen und dem Tier, sofern man sich nicht einen nicht sprechenden Menschen vorstellt - den Homo alalus eben -, der als Brücke vom Animalischen zum Humanen fun-gieren sollte. Doch dieser ist ganz offensichtlich bloss ein von der Sprache geworfener Schatten, eine Vorausset-zung des Menschen, durch die wir immer nur zu einer Animalisierung des Menschen (einem Tiermenschen wie Haeckels Affenmenschen) oder zu einer Humanisierung des Tieres (einem Menschenaffen) gelangen. Der Tier-mensch und das Menschentier sind die beiden Gesichter derselben Bruchstelle, die weder von der einen noch von der anderen Seite her geschlossen werden kann.

Als er einige Jahre später die Thesen von Darwin und Haeckel, die nun im Zentrum der wissenschaftlichen und philosophischen Debatte standen, kennenlernte, kam Steinthal auf seine Theorie zurück und wurde sich der impliziten Widersprüche seiner Hypothese vollkommen bewusst. Er versuchte zu verstehen, warum nur der Mensch und nicht das Tier die Sprache herausbildet; aber das entsprach dem Versuch, zu verstehen, auf welche Weise der Mensch vom Tier abstammt. Und genau hier ergab sich der Widerspruch.

»Der vorsprachliche Standpunkt der Anschauung kann nur einer und

nicht zwiefach, nicht für Tier und Mensch verschieden sein. Ist er aber

verschieden, und natürlich der menschliche höher als der tierische, so

liegt der Ursprung der Menschen nicht im Ursprung der Sprache, son-

dern im Ursprung seiner höhern Anschauung aus der niedern der Tiere.

Diesen Ursprung setzte ich also mir unbewusst voraus; der Mensch also

mit menschlichem Charakter war mir durch die Schöpfung gegeben;

und nun suchte ich, das Entstehen der Sprache im Menschen zu erken-

nen. So widersprach ich meiner Voraussetzung, Ursprung der Sprache

und des Menschen sei dasselbe; ich setzte erst den Menschen und liess

ihn dann erst die Sprache erzeugen.« (Steinthal 1877, S. 303)

Der Widerspruch, den Steinthal hier erfasst, ist dersel-be, der die anthropologische Maschine definiert, die - in ihren zwei Varianten, der antiken und der modernen - in unserer Kultur am Werk ist. Insofern in ihr die Erzeugung des Humanen mittels der Opposition Mensch/Tier, hu-man/inhuman auf dem Spiel steht, funktioniert die an-thropologische Maschine notwendigerweise mittels einer Ausschliessung (die immer auch ein Einfangen ist) und einer Einschliessung (die immer schon eine Ausschlies-sung ist). Gerade weil das Humane jedesmal bereits vorausgesetzt wird, schafft die Maschine eine Art Aus-nahmezustand, eine Zone der Unbestimmtheit, wo das Aussen nichts als die Ausschliessung des Innen und das Innen seinerseits nur die Einschliessung eines Aussen ist.

Nehmen wir die anthropologische Maschine der Mo-dernen. Sie funktioniert, wie wir gesehen haben, indem sie ein Schon-Humanes als (noch) Nicht-Humanes aus sich ausschliesst, das heisst sie animalisiert den Men-schen, indem sie das Nicht-Humane im Menschen ab-sondert: den Homo alalus oder den Affenmenschen. Und es genügt, unser Forschungsfeld um einige Jahr-zehnte nach vorn zu verlagern, und wir werden anstelle dieses harmlosen paläontologischen Fundes den Juden, den im Menschen erzeugten Nichtmenschen, vorfinden oder den néomort und den Ultrakomatösen, das heisst das im menschlichen Körper selbst abgesonderte Tier.

Die anthropologische Maschine der Alten funktioniert exakt spiegelverkehrt. Wenn die Maschine der Moder-nen das Aussen mittels Ausschliessung eines Innen er-zeugt, so wird hier das Innen mittels Einschliessung eines Aussen hervorgebracht, der Nichtmensch mittels Huma-nisierung eines Tieres: des Menschenaffen, des enfant sauvage oder des Homo ferus, aber auch und vor allem des Sklaven, des Barbaren, des Fremden als Figuren des Animalischen mit menschlichen Formen.

Beide Maschinen können nur dadurch funktionieren, dass sie in ihrem Innern eine Zone der Ununterschie-denheit einrichten, in der sich - wie ein missing link, das immer fehlt, weil es virtuell schon da ist - die Verbin-dung zwischen dem Humanen und dem Animalischen, zwischen Mensch und Nicht-Mensch, Sprechendem und Lebendem ereignen muss. In Wahrheit ist diese Zone wie jeder Ausnahmeraum völlig leer, und das wahrhaft Humane, das sich hier ereignen sollte, ist lediglich der Ort einer ständig erneuerten Entscheidung, in der die Zäsuren und ihre Zusammenfügung stets von neuem verortet und verschoben werden. Was auf diese Weise erreicht werden sollte, ist jedenfalls weder ein tierisches

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noch ein menschliches Leben, sondern bloss ein von sich selbst abgetrenntes und ausgeschlossenes Leben - bloss ein nacktes Leben.

Angesichts dieser extremsten Figur des Humanen und des Inhumanen geht es nicht so sehr um die Frage, welche der beide Maschinen (oder der beiden Varianten derselben Maschine) die bessere oder wirksamere sei - oder eher die weniger blutige und todbringende -, als vielmehr darum, ihre Funktionsweise zu begreifen, um sie gegebenenfalls zum Stillstand zu bringen.

1 Dieser Erfolg war an die Volksausgabe des Buches gebunden, die gleichzeitig bei Kröner in Stuttgart erschien und bereits in der Auflage von 1903 das 150. Tausend erreichte.

10. Umwelt*

Kein Tier kann in Beziehung zu einem Objekt als

solchem treten.

Jakob von Uexküll

Es ist ein Glück, dass der Baron Jakob von Uexküll, der heute zu den wichtigsten Zoologen des 20. Jahrhun-derts und zu den Begründern der Ökologie gezählt wird, während des Ersten Weltkriegs ruiniert wurde. Gewiss, er hatte sich als freier Forscher in Heidelberg und nach-her an der Stazione Zoologica in Neapel schon vorher mit seinen Untersuchungen zur Physiologie und zum Nervensystem der Wirbellosen einen bescheidenen wis-senschaftlichen Namen gemacht. Aber als er sein Fami-lienvermögen verlor, war er gezwungen, die Sonne des Südens zu verlassen (obwohl er weiterhin in Besitz eines Landhauses auf Capri blieb, wo er 1944 sterben sollte und wo Walter Benjamin 1924 einige Monate verbrach-te) und sich an der Universität Hamburg niederzulassen, wo er jenes Institut für Umweltforschung gründete, das ihm Ruhm verleihen sollte.

In seinen Untersuchungen auf dem Gebiet der Tiere ist Uexküll Zeitgenosse der Quantenphysik und der künst-lerischen Avantgarde. Sie äussern wie diese die restlose Aufgabe jeglicher anthropozentrischen Perspektive in den Humanwissenschaften und die radikale Enthumani-sierung der Natur (es überrascht deswegen nicht, dass sie einen starken Einfluss sowohl auf denjenigen Philosophen des 20. Jahrhunderts hatten, der sich am meisten um die Abtrennung des Menschen vom Lebewesen bemüht hat, nämlich Heidegger, als auch auf Gilles Deleuze, der versucht hat, das Tier als vollkommen nicht-anthropo-morph zu denken). Wo die klassische Wissenschaft eine einheitliche Welt sah, in welcher von den elementaren Formen bis hin zu den höheren Organismen alle leben-den Gattungen hierarchisch geordnet waren, setzt Uex-küll eine unendliche Vielfalt von Wahrnehmungswelten, die alle gleichermassen vollkommen und wie in einer gi-gantischen Partitur miteinander verbunden sind. Gleich-wohl kommunizieren sie nicht miteinander, schliessen sich gegenseitig aus und weisen in ihrem Zentrum kleine vertraute und zugleich längst vergangene Wesen auf, namentlich Echinus esculentus, Amoeba terricola, Rhi-zostoma pulmo, Sipunculus, Anemonia sulcata, Ixodes ricinus usw. Als »Spaziergänge in unbekannte Welten« bezeichnet Uexküll deswegen seine Rekonstruktionen der Umwelt des Seeigels, der Amöbe, der Qualle, der Seeanemone, der Zecke - dies die geläufigen Namen - und anderer von ihm bevorzugter Miniaturorganismen, weil ihre funktionale Einheit mit der Umwelt so verschie-den von derjenigen des Menschen und der sogenannt höheren Tiere zu sein scheint.

Allzuoft stellen wir uns - so hält er fest - die Bezie-hungen, die ein bestimmtes Tier mit seiner Umwelt un-

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terhält, im selben Raum und in derselben Zeit vor, die uns mit den Gegenständen unserer menschlichen Welt verbinden. Diese Illusion gründet im Glauben an eine einheitliche Welt, die alle Lebewesen umfasst. Uexküll beweist, dass eine solche einheitliche Welt nicht existiert und dass es eine Zeit und einen Raum, die für alle Le-bewesen gleich wären, nicht gibt. Die Biene, die Libelle oder die Fliege, die wir an einem sonnigen Tag neben uns fliegend beobachten, bewegen sich weder in dersel-ben Welt, in welcher wir sie beobachten, noch teilen sie mit uns - oder unter sich - dieselbe Zeit und denselben Raum.

Uexküll unterscheidet mit Bedacht zwischen der Um-gebung, dem objektiven Raum, in welchem wir ein Le-bewesen in Bewegung sehen, und der Umwelt, die sich aus einer mehr oder weniger umfangreichen Reihe von Elementen zusammensetzt, die er Bedeutungsträger und Merkmalträger nennt und die allein für das Tier rele-vant sind. Die Umgebung ist in Wirklichkeit unsere ei-gene Umwelt, die von Uexküll mit keinerlei Privilegien versehen wird und die somit je nach Perspektive verän-derbar ist. Es gibt keinen Wald als objektiv festlegbare Umwelt, sondern einen Wald-für-den-Förster, einen Wald-für-den-Jäger, einen Wald-für-den-Botaniker, ei-nen Wald-für-den-Spaziergänger, einen Wald-für-den-Naturschwärmer, einen Wald-für-den-Holzleser, und es gibt schliesslich einen Märchenwald, in welchem sich Rotkäppchen verirrt. Auch das kleinste Detail - beispiels-weise ein Blumenstiel - stellt als Bedeutungsträger ein je unterschiedliches Element je unterschiedlicher Umwelten dar, je nachdem, ob man ihn in der Umwelt eines blu-menpflückenden Mädchens betrachtet, das sich einen Strauss bunter Blumen bindet, den es sich ans Mieder steckt, oder in derjenigen einer Ameise, der er als Weg zum Erreichen der im Blumenkelch befindlichen Nahrung dient, oder in derjenigen einer Zikadenlarve, die die Saft-wege des Stengels erbohrt und ihn als Zapfstelle benutzt, um die flüssigen Wände ihres luftigen Hauses zu erbau-en, oder schliesslich in derjenigen einer Kuh, die ihn ganz einfach als Nahrung kaut und schluckt.

Jede Umwelt ist eine in sich geschlossene Einheit, die sich aus der Selektion einer Reihe von Elementen oder »Merkmalträgern« aus der Umgebung konstituiert, die ihrerseits nichts anderes als die Umwelt des Menschen ist. Die erste Aufgabe des Wissenschaftlers, wenn er ein Tier beobachtet, besteht darin, die Bedeutungsträger zu erkennen, die dessen Umwelt definieren. Diese sind aber nicht objektiv oder künstlich isoliert, sondern bilden eine funktionale - oder, wie Uexküll zu sagen vorzieht, musikalische - Einheit mit den Rezeptionsorganen des Tieres, die ein Merkmal wahrnehmen (Merkorgan) oder auf ein solches reagieren (Wirkorgan). Alles geschieht so, als ob der Bedeutungsträger und dessen Rezeptor im Körper des Tieres zwei Elemente derselben Partitur dar-stellen würden, fast zwei Tasten der »Klaviatur, auf der die Natur ihre überzeitliche und überräumliche Bedeu-tungssymphonie spielt«, ohne dass man sagen könnte, weswegen zwei derart heterogene Elemente so intim

verbunden werden können.Man betrachte aus dieser Perspektive ein Spinnen-

netz. Die Spinne weiss nichts von der Fliege und kann nicht Massnehmen wie der Schneider, der das Kleid eines Kunden anfertigt. Gleichwohl bemisst sie die Grösse der Maschen ihres Netzes gemäss den Dimensionen des Flie-genkörpers und die Widerstandskraft der Fäden in exak-ter Proportionalität zur Kraft beim Anprall eines fliegen-den Fliegenkörpers. Die Radialfäden sind darüber hinaus solider als die Zirkularfäden, weil diese - im Unterschied zu den ersteren von einer klebrigen Flüssigkeit umgeben - genügend Elastizität besitzen müssen, um die Fliege gefangenzuhalten und sie am Weiterflug zu hindern. Die Radialfäden hingegen sind glatt und trocken, weil sie der Spinne dazu dienen, sich schnellstmöglich auf die Beute zu stürzen und sie endgültig in ihr unsichtbares Gefäng-nis einzuwickeln. Wirklich überraschend ist der Umstand, dass die Fäden des Netzes genau nach der Sehkraft des Fliegenauges bemessen sind, so dass die Fliege sie nicht sehen kann und in den Tod fliegt, ohne es zu merken. Die zwei Wahrnehmungswelten der Fliege und der Spin-ne kommunizieren auf grundlegende Weise nicht mit-einander und sind gleichwohl derart perfekt aufeinander abgestimmt, dass die originale Partitur der Fliege - die man ihr Urbild oder ihren Archetyp nennen kann - so auf diejenige der Spinne wirkt, dass man ihr Netz als »fliegenhaft« bezeichnen könnte. Obwohl die Spinne in keiner Weise die Umwelt der Fliege sehen kann, drückt das Netz die paradoxe Koinzidenz dieser gegenseitigen Blindheit aus (Uexküll betont - und formuliert dabei ein durchaus erfolgreiches Prinzip -, dass »kein Tier in Bezie-hung zu einem Gegenstand als solchem treten kann«, sondern nur mit den eigenen Bedeutungsträgern).

Die Untersuchungen des Begründers der Ökologie fol-gen nur einige Jahre auf diejenigen von Paul Vidal de la Blache über die Beziehung von Bevölkerungen mit ihrer Umwelt (Tableau de la géographie de la France, 1903) und diejenigen von Friedrich Ratzel über den Lebens-raum* der Völker (Politische Geographie, 1897), die die Geographie des Menschen im 20. Jahrhundert zutiefst revolutionieren sollten. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Hauptthese von Sein und Zeit über das In-der-Welt-sein* als grundlegender menschlicher Struktur wie eine Art Antwort auf dieses Problemfeld gelesen werden kann, die am Anfang des Jahrhunderts die Beziehung zwischen dem Lebewesen und seiner Umwelt wesent-lich verändert. Bekanntlich übte Ratzels These, dass jedes Volk aufs engste mit seinem Lebensraum als einer ihm wesentlichen Dimension verbunden sei, einen beträcht-lichen Einfluss auf die nationalsozialistische Geopolitik aus. Diese Nähe schlägt sich in einer kuriosen Episode von Uexkülls intellektueller Biographie nieder. Dieser so nüchterne Wissenschaftler schreibt 1928, fünf Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, ein Vorwort zu den Grundlagen des neunzehnten Jahr-hunderts von Houston Chamberlain, der heute als ein Vorläufer des Nationalsozialismus gilt.

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11. Zecke

Das Tier hat ein Gedächtnis, aber keine Erinnerung

Heymann Steinthal

Uexkülls Bücher enthalten bisweilen Illustrationen, die darzustellen versuchen, wie aus der Sicht des Igels, der Biene, der Fliege oder des Hundes ein Segment der menschlichen Welt erscheinen könnte. Das Experiment produziert den nützlichen Effekt, dass es den Leser deso-rientiert und ihn dazu zwingt, mit nichtmenschlichen Au-gen ihm wohl vertraute Orte zu betrachten. Diese Deso-rientierung hat ihren expressiven Höhepunkt in Uexkülls Beschreibung der Umwelt des Ixodes ricinus erreicht - besser bekannt als Zecke -, die sicherlich zusammen mit Ubu roi und Monsieur Teste den Gipfel des modernen Antihumanismus darstellt.

Der Eingang schlägt idyllische Töne an:

»Ein jeder Landbewohner, der mit seinem Hunde häufig Wald und

Busch durchstreift, hat gewiss die Bekanntschaft eines winzigen Insekts

gemacht, das, an den Zweigen der Büsche hängend, auf seine Beute,

sei es Mensch oder Tier, lauert, um sich auf sein Opfer zu stürzen und

sich mit seinem Blute vollzusaugen. [...] Aus dem Ei entschlüpft ein

noch nicht voll ausgebildetes Tierchen, dem noch ein Beinpaar und die

Geschlechtsorgane fehlen. In diesem Zustand ist es bereits befähigt,

kaltblütige Tiere, wie Eidechsen, zu überfallen, denen es, auf der Spitze

eines Grashalmes sitzend, auflauert. Nach mehreren Häutungen hat

es die ihm fehlenden Organe erworben und begibt sich nun auf die

Jagd auf Warmblüter. Nachdem das Weibchen begattet worden ist,

klettert es mit seinen vollzähligen acht Beinen bis an die Spitze eines

vorstehenden Astes eines beliebigen Strauches, um aus genügender

Höhe sich entweder auf unter ihm hinweglaufende kleinere Säugetiere

herabfallen zu lassen oder um sich von grösseren Tieren abstreifen zu

lassen.« (Uexküll 1934, S. 1 f.)

Versuchen wir, uns in Anlehnung an Uexkülls Ausfüh-rungen die am Baum hängende Zecke an einem schönen Sommertag vorzustellen, mitten im Sonnelicht und um-geben von den Farben und den Düften der Feldblumen, vom Summen der Bienen und anderer Insekten, vom Ge-sang der Vögel. Damit ist die Idylle auch schon an ihrem Ende, denn die Zecke nimmt von all dem absolut nichts wahr.

»Den Weg auf seinen Wartturm findet das augenlose Tier mit Hilfe

eines allgemeinen Lichtsinns der Haut. Die Annäherung der Beute wird

dem blinden und tauben Wegelagerer durch seinen Geruchssinn of-

fenbar. Der Duft der Buttersäure, die den Hautdrüsen aller Säugetiere

entströmt, wirkt auf die Zecke als Signal, um ihren Wachtposten zu

verlassen und sich herabzustürzen. Fällt sie dabei auf etwas Warmes,

was ihr ein feiner Temperatursinn verrät - dann hat sie ihre Beute, den

Warmblüter, erreicht und braucht nur noch mit Hilfe ihres Tastsinnes

eine möglichst haarfreie Stelle zu finden, um sich über den Kopf in das

Hautgewebe ihrer Beute einzubohren. Nun pumpt sie langsam einen

Strom warmen Blutes in sich hinein.« (Ebd., S. 2)

Man darf an dieser Stelle mit Recht erwarten, dass die Zecke wenigstens den Geschmack des Blutes liebe und einen Sinn besitze, um ihn wahrzunehmen. Dem ist aber nicht so. Auf der Grundlage von Experimenten im Labor, bei denen sich Uexküll künstlicher, mit Flüssigkei-ten jeder Art gefüllter Membranen bediente, informiert er uns darüber, dass die Zecke auf keinen Fall mit einem Geschmackssinn versehen ist: Sie nimmt begierig jede Flüssigkeit zu sich, die die richtige Temperatur besitzt, d.h. jene 37 Grad der Säugetiere. Wie auch immer, das blutige Bankett der Zecke ist auch ihre kleine Todesfeier, weil ihr von jetzt an nichts anderes übrig bleibt, als sich zu Boden fallen zu lassen, die Eier zu deponieren und zu sterben.

Das Beispiel der Zecke zeigt anschaulich die allge-meine Struktur der Umwelt, die allen Tieren eigen ist. In unserem Fall ist die Umwelt* auf lediglich drei Bedeu-tungs- oder Merkmalträger reduziert: 1) Der Geruch der Buttersäure, die im Schweiss aller Säugetiere enthalten ist. 2) Die Temperatur von 37 Grad, die derjenigen des Blutes der Säugetiere entspricht. 3) Die Typologie der Haut der Säugetiere, die in der Regel mit Haaren und Blutgefässen versehen ist. Die Zecke ist mit diesen drei Elementen in einer derart unmittelbaren, intensiven und leidenschaftlichen Beziehung vereint, wie man sie viel-leicht in keiner Beziehung beobachten kann, die den Menschen mit seiner scheinbar um so vieles reicheren Umwelt verbindet. Die Zecke ist diese Beziehung, sie lebt nur in ihr und für sie.

Jetzt aber gibt uns Uexküll, trotz allem, die Auskunft, dass in einem Laboratorium in Rostock eine Zecke über achtzehn Jahre lang ohne Nahrung, in absoluter Isolie-rung von ihrer Umwelt also, am Leben erhalten wurde. Für diesen einzigartigen Umstand gibt er keine Erklärung, er beschränkt sich lediglich auf die Vermutung, dass die Zecke »während ihrer Wartezeit sich in einem schlafähn-lichen Zustand befindet« (Uexküll 1934, S. 10) - ohne daraus, dass es »ohne lebendes Subjekt [...] weder Zeit noch Raum geben« kann (Uexküll 1934, S. 10), die Konsequenz zu ziehen. Wie steht es aber um die Zecke und ihre Umwelt in diesem achtzehn Jahre andauernden Schwebezustand? Wie ist es möglich, dass ein Lebewe-sen, das gänzlich aus seiner Beziehung zur Umwelt be-steht, in ausschliesslicher Abkapselung von ihr überleben kann? Und wie sinnvoll ist es, von einer »Wartezeit« zu sprechen, wenn es keine Zeit und keine Welt gibt?

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12. Weltarmut

Das Benehmen des Tieres ist nie ein Vernehmen von etwas als etwas.

Martin Heidegger

Im Wintersemester 1929/1930 hält Martin Heidegger an der Universität Freiburg seine Vorlesung Die Grundbe-griffe der Metaphysik. Welt - Endlichkeit - Einsamkeit. Als er 1975, ein Jahr vor seinem Tod, den Text der Vorle-sung zur Publikation freigibt (die erst 1983 in den Bänden 29/30 der Gesamtausgabe erfolgt), fügt er ihm in limine eine Widmung für Eugen Fink hinzu und erinnert damit daran, dass dieser »wiederholt den Wunsch äusserte, diese Vorlesung möchte vor allen anderen veröffentlicht werden.« Von seiten des Autors ist dies gewiss eine dis-krete Geste, um die Wichtigkeit zu unterstreichen, die er jenen Lektionen beigemessen hatte und 1975 immer noch beimass. Warum steht diese Vorlesung idealiter vor allen anderen, das heisst all jenen Vorlesungen, die im Projekt der Gesamtausgabe 45 Bände umfassen?

Die Antwort ist nicht einfach, auch weil die Vorlesung - wenigstens auf den ersten Blick - nicht ihrem Titel ent-spricht und in keiner Weise als eine Einleitung zu den grundlegenden Konzepten jener so besonderen Disziplin, der »Ersten Philosophie«, auftritt. Vielmehr widmet sie sich zunächst einer ausführlichen Analyse der »tiefen Langweile« als einer grundlegenden emotionalen Stim-mung, die etwa zweihundert Seiten umfasst, und gleich darauf einer noch umfassenderen Untersuchung zur Be-ziehung des Tieres zu seiner Umwelt und zu derjenigen des Menschen zu seiner Welt.

Heidegger geht es darum, durch die Beziehung zwi-schen der Weltarmut* des Tieres und dem weltbilden-den* Menschen dieselbe grundlegende Struktur des Da-seins* - des In-der-Welt-Seins - in bezug auf das Tier zu bestimmen, um auf diese Weise nach Ursprung und Sinn jener Öffnung nachzudenken, die mit dem Menschen im Lebewesen entstanden ist. Heidegger hat bekanntlich die traditionelle metaphysische Definition des Menschen als animal rationale, als könnte das Wesen des Menschen als das mit Sprache (oder Vernunft) begabte Lebewesen durch die einfache Hinzufügung von etwas zum »blos-sen Lebewesen« bestimmbar sein, hartnäckig abgelehnt. In den Paragraphen 10 und 12 von Sein und Zeit ver-sucht er zu zeigen, wie die dem Dasein* eigene Struktur des In-der-Welt-Seins immer schon in jeder (sei es phi-losophischen, sei es wissenschaftlichen) Konzeption des Lebens vorausgesetzt ist, so dass das Leben in Wahrheit immer »auf dem Weg einer privativen Interpretation« von dieser Struktur aus definiert wird.

»Leben ist eine eigene Seinsart, aber wesenhaft nur zugänglich im

Dasein. Die Ontologie des Lebens vollzieht sich auf dem Wege einer pri-

vativen Interpretation; sie bestimmt das, was sein muss, dass so etwas

wie Nur-noch-leben sein kann. Leben ist weder pures Vorhandensein,

noch aber auch Dasein. Das Dasein wiederum ist ontologisch nie so zu

bestimmen, dass man es ansetzt als Leben - (ontologisch unbestimmt)

und als überdies noch etwas anderes.« (Heidegger 1967, S. 50)

Gerade dieses metaphysische Spiel von Voraussetzung und Aufschub, von Entzug und Supplement zwischen dem Tier und dem Menschen wird in den Vorlesungen von 1929/1930 zur Diskussion gestellt. Die Auseinan-dersetzung mit der Biologie, die in Sein und Zeit in weni-gen Zeilen beiseite geschoben wurde, wird jetzt mit dem Versuch wieder aufgenommen, die Beziehung zwischen dem blossen Lebewesen und dem Dasein* radikaler zu denken. Aber gerade hier erweist sich der Spieleinsatz als derart hoch, dass die Notwendigkeit verständlich wird, diese Vorlesungen vor allen anderen zu veröffentlichen. Im Abgrund - und gleichzeitig in der einzigartigen Nähe-, den die nüchterne Prosa der Vorlesung zwischen Tier und Mensch offenlegt, verliert nicht nur die animali-tas, indem sie als dasjenige vorgeführt wird, »was am schwersten zu denken ist«, jegliche Selbstverständlich-keit, sondern auch die humanitas erscheint als etwas Un-greifbares und Abwesendes, schwebend zwischen einem »Nicht-bleiben-Können« und einem »Den-Platz-nicht-aufgeben-Können«.

Der rote Faden, der sich durch Heideggers Ausführun-gen zieht, ist durch eine dreifache These gegliedert: »Der Stein ist weltlos, das Tier ist weltarm, der Mensch ist weltbildend.« Da der Stein (das Leblose), dem jeglicher Zugang zu dem, was ihn umgibt, verwehrt ist, schnell abgefertigt wird, kann Heidegger seine Untersuchung mit der mittleren These beginnen, indem er unverzüg-lich das Problem angeht, was man sich unter »Weltar-mut« vorzustellen hat. Die philosophische Analyse ist hier gänzlich auf die zeitgenössischen Untersuchungen der Biologie und Zoologie gerichtet, im einzelnen auf diejenigen von Hans Driesch, Karl von Baer, Johannes Müller und besonders auf diejenigen seines Schülers Ja-kob von Uexküll. Nicht nur wird festgehalten, dass die Untersuchungen Uexkülls »zum Fruchtbarsten gehören, was die Philosophie heute sich aus der herrschenden Bi-ologie zueignen kann«. Darüber hinaus ist der Einfluss auf die Konzepte und die Begriffe der Vorlesungen ein-schneidender, als es Heidegger selbst erkennt, wenn er schreibt, dass sein Wortschatz zur Definition von Weltar-mut des Tieres nichts anderes ausdrückt, als was Uexküll mit den Begriffen Umwelt und Innenwelt meint (Heideg-ger 1983, S. 383). Heidegger setzt das Enthemmende für Uexkülls Definition von Bedeutungsträger und Merk-malträger und Enthemmungsring für Umwelt. Uexkülls Wirkorgan entspricht Heideggers Fähigkeit zu, die im Gegensatz zu einem einfachen mechanischen Mittel ein Organ definiert. Das Tier ist in seinem eigenen Enthem-mungsring eingeschlossen, der wie bei Uexküll aus den wenigen Elementen besteht, die seine Wahrnehmungs-welt ausmachen. Deswegen kann das Tier wie bei Uex-küll, »wenn es zu Anderem in Beziehung kommt, nur auf solches treffen, was das Fähigsein ›angeht‹, an-lässt. Alles andere vermag im vorhinein nicht in den Umring des Tieres einzudringen.« (Heidegger 1983, S. 369)

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Aber gerade in der Interpretation der Beziehung zwi-schen Tier und Enthemmungsring und in der Untersu-chung des Wesens dieser Beziehung weicht Heidegger von seinem Vorbild ab, um eine Strategie zu erarbeiten, in welcher das Verständnis von Weltarmut und mensch-licher Welt parallel voranschreitet.

Das Wesen des Tieres, das seine Beziehung zum Ent-hemmenden definiert, ist seine Benommenheit. Heideg-ger spielt hier mit einer wiederholten etymologischen Figur auf die Verwandtschaft der Begriffe benommen, eingenommen und Benehmen an, die alle auf das Verb nehmen verweisen (aus der indoeuropäischen Wurzel *nem mit den Bedeutungen von ›teilen‹,›zuteilen‹). In-sofern das Tier grundlegend benommen und vollständig eingenommen vom eigenen Enthemmenden ist, kann es nicht wirklich handeln oder sich ihm gegenüber verhal-ten: Es kann sich nur benehmen.

»Das Benehmen als Seinsart überhaupt ist nur möglich aufgrund

der Eingenommenheit des Tieres in sich. Wir kennzeichnen das spezi-

fische tierische Bei-sich-sein, das nichts von einer Selbstheit des sich

verhaltenden Menschen als Person hat, diese Eingenommenheit des

Tieres in sich, darin alles und jedes Benehmen möglich ist, als Benom-

menheit. Nur sofern das Tier seinem Wesen nach benommen ist, kann

es sich benehmen. [...] Die Benommenheit ist die Bedingung der Mög-

lichkeit dafür, dass das Tier seinem Wesen nach in einer Umgebung sich

benimmt, aber nie in einer Welt.« (Ebd., S. 347f.)

Als anschauliches Beispiel der Benommenheit, die sich nie auf eine Welt hin öffnen kann, erwähnt Heidegger ein bereits von Uexküll beschriebenes Experiment, in wel-chem eine Biene im Laboratorium vor eine Schale voller Honig gehalten wird. Wenn man der Biene, nachdem sie zu saugen begonnen hat, den Hinterleib abtrennt, fährt sie ruhig fort zu saugen, während der Honig aus dem offenen Hinterleib herausfliesst.

»Das zeigt aber schlagend, dass die Biene in keiner Weise das Zu-

vielvorhandensein von Honig feststellt. Sie stellt weder dieses fest noch

auch nur - was noch näher läge - das Fehlen ihres Hinterleibes. Von all

dem ist keine Rede, sondern sie treibt ihr Treiben weiter, gerade weil

sie nicht feststellt, dass immer noch Honig vorhanden ist. Sie ist viel-

mehr einfach von dem Futter hingenommen. Diese Hingenommenheit

ist nur möglich, wo triebhaftes Hin-zu vorliegt. Diese Hingenommen-

heit in dieser Getriebenheit schliesst aber zugleich die Möglichkeit einer

Feststellung des Vorhandenseins aus. Gerade die Hingenommenheit

vom Futter verwehrt dem Tier, sich dem Futter gegenüberzustellen.«

(Ebd., S. 352f.)

An dieser Stelle fragt Heidegger über das Wesen der Öffnung der Benommenheit selbst weiter und beginnt so, die Beziehung zwischen Mensch und Tier fast wie eine Hohlform zu skizzieren. Auf was hin ist die Biene geöffnet, was kennt das Tier, wenn es zum Enthemmen-den in Beziehung tritt?

Heidegger hält fest, gleichsam mit den Komposita des Verbs nehmen weiterspielend, dass man hier kein Vernehmen vorfindet, sondern nur ein instinktives Be-

nehmen, insofern dem Tier »die Möglichkeit des Ver-nehmens von etwas als etwas genommen ist, und zwar nicht jetzt und hier, sondern genommen im Sinne des ›überhaupt nicht gegeben‹« (ebd., S. 360). Das Tier ist insofern benommen, als ihm diese Möglichkeit radikal genommen worden ist.

»Benommenheit des Tieres besagt also einmal: wesenhafte Ge-

nommenheitjeglichen Vernehmens von etwas als etwas, sodann: bei

solcher Genommenheit gerade eine Hingenommenheit durch... Be-

nommenheit des Tieres kennzeichnet also einmal die Seinsart, gemäss

der dem Tier in seinem Sichbeziehen auf anderes die Möglichkeit ge-

nommen ist oder, wie wir sprachlich auch sagen, benommen ist, sich

dazu, zu diesem anderen, als dem und dem überhaupt, als einem Vor-

handenen, als einem Seienden, zu verhalten und sich darauf zu be-

ziehen. Und gerade weil dem Tier diese Möglichkeit, das, worauf es

sich bezieht, als etwas zu vernehmen, genommen ist, gerade deshalb

kann es in dieser schlechthinnigen Weise hingenommen sein von denn

anderen.« (Ebd., S. 360)

Nachdem Heidegger so das Sein in der Umwelt des Tieres negativ - durch seine Genommenheit - eingeleitet hat, versucht er auf den wohl dichtesten Seiten seiner Vorlesung den spezifischen ontologischen Rang dessen, auf das sich das Tier in der Benommenheit richtet, noch genauer zu fassen.

»In der Benommenheit ist für das Benehmen des Tieres Seiendes

nicht offenbar, nicht aufgeschlossen, aber eben deshalb auch nicht

verschlossen. Benommenheit steht ausserhalb dieser Möglichkeit. Wir

können nicht sagen: dem Tier ist das Seiende verschlossen. Das könnte

es nur sein, wenn irgendeine Möglichkeit der Aufgeschlossenheit be-

stände, wenn sie auch noch so gering wäre, sondern die Benommen-

heit des Tieres stellt das Tier wesensmässig ausserhalb der Möglichkeit,

dass ihm Seiendes sei es aufgeschlossen, sei es verschlossen ist. Die Be-

nommenheit ist das Wesen der Tierheit, sagt: Das Tier steht als solches

nicht in einer Offenbarkeit von Seiendem. Weder seine sogenannte

Umgebung noch es selbst sind als Seiendes offenbar.« (Ebd., S. 361)

Die Schwierigkeit liegt in dem Umstand, dass die Art zu sein, die begriffen werden muss, weder aufgeschlos-sen noch verschlossen ist, so dass das Sein in bezug auf sie nicht als eine wahre Beziehung, als ein Sich-Einlassen, definierbar ist.

»Weil das Tier aufgrund seiner Benommenheit und aufgrund des

ganzen seiner Befähigungen innerhalb einer Triebmannigfaltigkeit

umgetrieben ist, hat es grundsätzlich nicht die Möglichkeit, auf das

Seiende, das es nicht ist, sowie auf das Seiende, das es selbst ist, sich

einzulassen. Aufgrund dieser Umgetriebenheit hängt das Tier gleich-

sam zwischen sich selbst und der Umgebung, ohne dass das eine oder

das andere als Seiendes erfahren würde. Allein, dieses Nichthaben von

Offenbarkeit des Seienden ist als Genommenheit der Offenbarkeit zu-

gleich eine Hingenommenheit durch ... Wir müssen sagen, dass das

Tier bezogen ist auf..., dass die Benommenheit und das Benehmen eine

Offenheit zeigen für ... Wofür? Wie ist das zu kennzeichnen, was in

der spezifischen Offenheit der Hingenommenheit auf die Getriebenheit

des triebhaften Benommenseins gleichsam stösst?« (Ebd., S. 361 f.)

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Die weitergehende Definition des ontologischen Ran-ges des Enthemmenden führt in den Kern der These über die Weltarmut als wesentliche Eigenschaft des Tieres. Das Sich-nicht-Einlassen ist nicht rein negativ: Es ist tatsäch-lich eine Art Öffnung und, genauer, eine Öffnung, die aber nie das Enthemmende als Seiendes offenbart.

»Wenn das Benehmen keine Beziehung zu Seiendem ist, ist es dann

eine Beziehung zu Nichts? Nein! Wenn aber zu Nichts, dann je zu et-

was, was dann doch sein muss und ist. Gewiss - aber die Frage ist, ob

nicht gerade das Benehmen eine Beziehung auf ... ist derart, dass das,

worauf das Benehmen als Sich-nicht-Einlassen sich bezieht, für das Tier

in gewisser Weise offen ist, was aber keineswegs heisst: als Seiendes

offenbar.« (Ebd., S. 368)

Der ontologische Rang der animalischen Umwelt kann folgendermassen definiert werden: Sie ist offen, aber nicht offenbar. Das Seiende ist für das Tier offen, aber nicht zugänglich, offen in einer Nicht-Zugänglichkeit und einer Undurchsichtigkeit, das heisst gewissermassen eine Nicht-Beziehung. Diese Öffnung ohne Offenbarung definiert die Weltarmut des Tieres, während die Welt-bildung den Menschen charakterisiert. Das Tier ist im Gegensatz zum Stein nicht einfach ohne Welt, weil es im Benehmen offen ist und ihrer entbehren muss. Sein Wesen kann deshalb von einer Armut und einem Mangel her bestimmt werden:

»Gerade weil das Tier in seiner Benommenheit Beziehung hat auf all

das, was im Enthemmungsring begegnet, gerade deshalb steht es nicht

auf der Seite des Menschen, gerade deshalb hat es keine Welt. Allein,

dieses Nichthaben von Welt drängt das Tier nun doch auch nicht - und

zwar grundsätzlich nicht - auf die Seite des Steins. Denn das triebhafte

Fähigsein des hingenommenen Benommenseins, d.h. des Hingenom-

menwerdens vom Enthemmenden, ist ein Offensein für..., wenngleich

mit dem Charakter des Sich-nicht-Einlassens-auf... Der Stein dagegen

hat auch diese Möglichkeit nicht. Denn für das Sich-nicht-Einlassen-

auf ... ist ein Offensein vorausgesetzt. In all dem liegt: Bei der Weltlo-

sigkeit des Steins fehlt sogar auch die Bedingung der Möglichkeit der

Weltarmut. Diese innere Möglichkeit der Weltarmut - ein konstitutives

Moment dieser Möglichkeit - ist das triebhafte Offensein der beneh-

menden Hingenommenheit. Dieses Offensein besitzt das Tier in seinem

Wesen. Das Offensein in der Benommenheit ist wesenhafte Habe des

Tieres. Aufgrund dieser Habe kann es entbehren, arm sein, in seinem

Sein durch Armut bestimmt sein. Dieses Haben ist freilich kein Haben

von Welt, sondern das Hingenommensein an den Enthemmungsring

- ein Haben des Enthemmenden. Aber weil dieses Haben das Offen-

sein für das Enthemmende ist, diesem Offensein-für jedoch gerade die

Möglichkeit des Offenbarhabens des Enthemmenden als Seiendem

genommen ist, deshalb ist diese Habe des Offenseins ein Nichthaben,

und zwar ein Nichthaben von Welt, wenn anders zur Welt Offenbarkeit

von Seiendem als solchem gehört.« (Ebd., S. 391 f.)

13. Das Offene

Nicht einmal die Lerche sieht das Offene.

Martin Heidegger

Was in der Vorlesung auf dem Spiel steht, ist die Defini-tion des Konzepts »offen« als des Namens - oder besser - als des Namens kat' exochén des Seins und der Welt. Mehr als zehn Jahre später, mitten im Zweiten Weltkrieg, greift Heidegger den Begriff wieder auf und fasst kurz dessen Genealogie zusammen. Es überrascht in einem gewissen Sinne nicht, dass er aus der achten Duineser Elegie stammt. Indem er aber als Name des Seins aufge-nommen wird (»Das Offene, in das jedes Seiende [...] be-freit ist, das Offene ist das Sein selbst« [Heidegger 1993, S.224]), erfährt Rilkes Begriff eine wesentliche Verschie-bung, die Heidegger nachdrücklich unterstreicht. In der achten Elegie ist es in der Tat das Tier (die Kreatur*), das »mit allen Augen« das Offene sieht, während im ent-schiedenen Gegensatz dazu die Augen des Menschen »umgekehrt« und um es herum »als Fallen« gestellt sind. Während der Mensch immer die Welt vor sich hat, steht er ihr immer nur »gegenüber*« und findet nie den Zu-gang zu jenem »reinen Raum« des Draussen. Das Tier hingegen bewegt sich im Offenen, in einem »niemals Nirgends ohne Nicht« (Rilke 1997, S. 35).

Es ist gerade diese Umkehrung im hierarchischen Ver-hältnis zwischen Mensch und Tier, die Heidegger in Fra-ge stellt. Wenn man, so schreibt er, an das Offene als Namen für das denkt, was die Philosphie als alétheia - als UnverborgenheitVerborgenheit des Seins - gedacht hat, so ist die Umkehrung nicht wirklich eine solche, weil das Offene bei Rilke nichts mit dem Offenen gemein hat, das Heideggers Denken dem Denken zurückzugeben versucht. »Denn das Offene, das Rilke meint, ist nicht das Offene im Sinne des Unverborgenen. Rilke weiss und ahnt nichts von der [?]; er weiss und ahnt nichts davon, so wenig wie Nietzsche.« (Heidegger 1993, S. 231) Sowohl bei Nietzsche als auch bei Rilke ist jene Seinsvergessenheit am Werk, die »dem Biologismus des 19. Jahrhunderts und der Psychoanalyse« zugrunde liegt und »deren Folge eine ungeheuerliche Vermenschung ›der Kreatur‹ und d. h. des Tieres, und eine entsprechen-de Vertierung des Menschen ist« (Heidegger 1993, S. 226). Das Offene, das die Unverborgenheit des Seienden benennt, kann nur vom Menschen, eigentlich nur vom wesentlichen Blick des authentischen Gedanken gesehen werden. Das Tier hingegen sieht nie dieses Offene.

»Deswegen kann es sich aber auch nicht im Verschlossenen als ei-

nem solchen bewegen und kann sich gleichwertig zum Verborgenen

verhalten. Das Tier ist aus dem Wesensbereich des Streits zwischen Un-

verborgenheit und Verborgenheit ausgeschlossen. Das Zeichen dieses

wesenhaften Ausschlusses ist dies, dass kein Tier und kein Gewächs

›das Wort hat‹.« (Ebd., S. 237)

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An dieser Stelle erwähnt Heidegger explizit - auf ei-ner äusserst dichten Seite - das Problem der Differenz zwischen der Umwelt des Tieres und der Welt des Menschen, das im Zentrum seiner Vorlesung der Jahre 1929/1930 stand:

»Denn das Tier ist auf seinen Nahrungs- und Beute- und Ge-

schlechtskreis bezogen und wesentlich anders darauf bezogen, als der

Stein auf den Erdboden bezogen ist, dem er aufliegt. Im Umkreis des

durch Pflanze und Tier gekennzeichneten Lebendigen finden wir jenes

eigentümliche Sichregen einer Regsamkeit, der gemäss das Lebendige

›auf-geregt‹ ist, d. h. erregt zu einem Aufgehen in einem Umkreis der

Erregbarkeit, aufgrund welcher Erregbarkeit es anderes in den Umkreis

seines Sichregens einbezieht. Keine Regsamkeit und Erregbarkeit von

Pflanze und Tier bringen das Lebendige jemals in das Freie dergestalt,

dass das Auf-geregte je das Erregende auch nur das ›sein‹ lassen könn-

te, was es als Erregendes ist, von dem zu schweigen, was es vor dem

Erregen und ohne dieses ist. Pflanze und Tier hängen in einem Ausser-

halb ihrer, ohne weder das Draussen noch das Drinnen je zu ›sehen‹,

d. h. als Anblick unverborgen im Freien des Seins stehen zu haben.

Niemals kann ein Stein, sowenig wie ein Flugzeug, je der Sonne zu

jubilierend sich erheben und sich regen wie die Lerche, und dennoch

sieht sie nicht das Offene.« (Heidegger 1993, S. 237f.)

Die Lerche (dieses Symbol, das in der poetischen Tra-dition den reinsten Liebesflug darstellt - man denke an die lauzeta des Bernart de Ventadorn) sieht das Offene nicht, weil sie gerade in dem Augenblick für die Sonne blind ist, in dem sie sich mit Verlassenheit zu ihr erhebt. Sie kann es nie als Seiendes offenbaren und sich auch nicht zu seiner Verborgenheit in Beziehung setzen, wie die Zecke Uexkülls in bezug auf ihr Enthemmendes. Und gerade weil in Rilkes Dichtung »die Wesensgrenze zwi-schen dem Geheimnis des Lebendigen (Pflanze-Tier) und dem Geheimnis des Geschichtlichen« (ebd., S. 239) we-der erfahren noch thematisiert wird, bleibt das dichtende Wort diesseits »einer geschichtegründenden Entschei-dung« und der Gefahr einer »grenzen- und grundlosen Vermenschung des Tieres« ausgesetzt, die es sogar über den Menschen stellt und es zu einer Art »Über-men-schen« macht.

Wenn folglich das Problem auf die Definition der Grenze - also gleichsam Trennung und Nähe - zwischen Mensch und Tier zugespitzt werden kann, ist es vielleicht an der Zeit, die paradoxe ontologische Verfassung der tierischen Umwelt zu bestimmen, wie sie in der Vorle-sung von 1929/1930 in Erscheinung tritt. Das Tier ist, gleichzeitig, offen und nicht-offen - oder besser, es ist weder das eine noch das andere: offen in einer Nicht-Unverborgenheit, die es einerseits benimmt und in un-erhörter Weise in sein Enthemmendes versetzt und die anderseits das, das es doch so fesselt und absorbiert, in keiner Weise als Seiendes offenbart. Heidegger scheint hier zwischen zwei entgegengesetzten Polen hin und her zu pendeln, die ans Paradox der mystischen Erkenntnis - oder eher Nicht-Erkenntnis - erinnert. Einerseits ist die Benommenheit eine Öffnung, die intensiver und hinreis-sender als jegliche menschliche Erkenntnis ist, anderseits

ist sie insofern in eine umfassende Dunkelheit verschlos-sen, als sie nicht imstande ist, ihr Enthemmendes zu offenbaren. Tierische Benommenheit und Öffnung der Welt beziehen sich so aufeinander wie negative und po-sitive Theologie. Ihre Beziehung ist ebenso zweideutig wie diejenige, die die dunkle Nacht der Mystik und den hellen Tag rationaler Erkenntnis unterscheidet und gleich-zeitig in heimlicher Komplizenschaft verbindet. Vielleicht drängt Heidegger eine verschwiegene, ironische Andeu-tung dieser Beziehung zur Illustration der animalischen Benommenheit durch eines der ältesten Symbole der unio mystica, des Nachtfalters, der von derjenigen Flam-me verbrannt wird, die ihn anzieht und die von ihm bis zuletzt hartnäckig unerkannt bleibt. Das Symbol ist hier besonders unangebracht, weil gemäss den Zoologen der Nachtfalter allererst für die Nicht-Öffnung des Enthem-menden, seine Benommenheit in ihm blind ist. Während die mystische Erkenntnis wesentlich die Erfahrung einer Nicht-Erkenntnis und einer Verborgenheit als solcher ist, kann sich das Tier nicht auf das Nicht-Offene beziehen und bleibt vom wesentlichen Konflikt zwischen Unver-borgenheit und Verborgenheit ausgeschlossen.

Gleichwohl wird bisweilen in der Vorlesung die Welt-armut des Tieres in einen unvergleichlichen Reichtum umgekehrt und die These ihres Mangels an Welt als eine unzulässige Projektion der menschlichen Welt auf dieje-nige des Tieres in Frage gestellt:

»Die Schwierigkeit des Problems liegt daran, dass wir diese Weltar-

mut und diese eigentümliche Umringung des Tieres in unserem Fragen

immer so interpretieren müssen, dass wir dabei fragen, als wäre das,

worauf sich das Tier bezieht und wie es sich bezieht, ein Seiendes und

die Beziehung eine dem Tier offenbare Seinsbeziehung. Dass das nicht

so ist, nötigt zu der These, dass das Wesen des Lebens nur im Sinne

einer abbauenden Betrachtung zugänglich ist, was nicht heisst, dass

das Leben gegenüber dem menschlichen Dasein minderwertig oder

eine niedere Stufe sei. Vielmehr ist das Leben ein Bereich, der einen

Reichtum des Offenseins hat, wie ihn vielleicht die menschliche Welt

gar nicht kennt.« (Heidegger 1983, S. 371 f.)

Als dann aber die These vorbehaltlos aufgegeben zu werden scheint und animalische Umwelt und mensch-liche Welt in radikaler Heterogenität erscheinen, wird sie von Heidegger erneut mit Verweis auf die berühmte Stelle des paulinischen Briefes an die Römer (8,19) auf-genommen: Paulus evoziert dort das innige Warten der ganzen Schöpfung auf die Erlösung, so dass die Welt-armut des Tieres nun »ein inneres Problem der Tierheit selbst« widerzuspiegeln scheint:

»Wir müssen vielmehr die Möglichkeit offen lassen, dass das ei-

gentliche und ausdrückliche metaphysische Verständnis des Wesens

der Welt uns nötigt, das Nichthaben von Welt beim Tier doch als ein

Entbehren zu verstehen und in der Seinsart des Tieres als solchen ein

Armsein zu finden. Dass die Biologie dergleichen nicht kennt, ist kein

Gegenbeweis gegen die Metaphysik. Dass vielleicht nur die Dichter ge-

legentlich davon reden, ist ein Argument, das die Metaphysik nicht in

den Wind schlagen darf. Am Ende bedarf es nicht erst des christlichen

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Glaubens, um etwas von jenem Wort zu verstehen, das Paulus (Rö-

mer VIII, 19) schreibt von der [?], von dem

sehnsüchtigen Ausspähen der Geschöpfe und der Schöpfung, deren

Wege, wie auch das Buch Esra (IV, 7, 12) sagt, in diesem Äon schmal,

traurig und mühselig geworden sind. Aber auch ein Pessimismus ist

nicht notwendig, um die Weltarmut des Tieres als inneres Problem

der Tierheit selbst entwickeln zu können. Denn mit dem Offensein des

Tieres für das Enthemmende ist das Tier in seiner Benommenheit we-

senhaft hinausgestellt in ein Anderes, was ihm zwar weder als Seiendes

noch als Nichtseiendes je offenbar sein kann, was aber als Enthem-

mendes [...] eine wesenhafte Erschütterung in das Wesen des Tieres

bringt.« (Ebd., S. 395 f.)

So wie die apokaradokía aus der Perspektive der mes-sianischen Erlösung die Kreatur dem Menschen annäher-te, so verkürzt die wesenhafte Erschütterung, die das Tier erfährt, wenn es der Nicht-Unverborgenheit ausgeliefert ist, die Entfernung zwischen Tier und Mensch, zwischen Öffnung und Nicht-Öffnung, auf drastische Art und Weise. Die Weltarmut - in welcher das Tier in gewisser Weise die eigene Nicht-Offenheit vernimmt - hat somit die strategische Funktion, einen Durchgang zwischen animalischer Umwelt und dem Offenen zu sichern: Aus dieser Perspektive ist die Benommenheit als Wesen des Tieres »gleichsam der geeignete Hintergrund, auf dem sich jetzt das Wesen der Menschheit abheben kann« (ebd., S. 408).

An dieser Stelle kann Heidegger die Abhandlung über die Langeweile in Aussicht stellen, die ihn schon im ers-ten Teil der Vorlesung beschäftigt hatte, und ganz uner-wartet in der Benommenheit des Tieres jene fundamen-tale Stimmung, die er tiefe Langeweile genannt hatte, anklingen lassen:

»Es wird sich zeigen, wie diese Grundstimmung und all das, was in

ihr beschlossen liegt, abzuheben ist gegenüber dem, was wir als das

Wesen der Tierheit behaupteten, gegenüber der Benommenheit. Diese

Abhebung wird für uns umso entscheidender werden, als gerade das

Wesen der Tierheit, die Benommenheit, scheinbar in die nächste Nähe

dessen rückt, was wir als ein Charakteristikum der tiefen Langeweile

kennzeichneten und die Gebanntheit des Daseins innerhalb des Seien-

den im Ganzen nannten. Es wird sich freilich zeigen, dass diese nächs-

te Nähe beider Wesensverfassungen nur täuschend ist, dass zwischen

ihnen ein Abgrund liegt, der durch keine Vermittlung in irgendeinem

Sinne überbrückt werden kann. Dann aber muss uns das vollständige

Auseinanderfallen der beiden Thesen und damit das Wesen der Welt

aufleuchten.« (Ebd., S. 409)

Die Benommenheit des Tieres wird hier als eine Art fundamentale Stimmung vorgestellt, in welcher sich das Tier - nicht wie das Dasein - auf eine Welt hin öffnet, sondern vielmehr ekstatisch aus sich selbst gezogen und gänzlich erschüttert ausgestellt ist. Das Verständnis der menschlichen Welt ist nur durch eine - wenn auch trü-gerische - »äusserste Nähe« zu dieser Ausstellung ohne Unverborgenheit möglich. Vielleicht können das Sein und die menschliche Welt nicht vorausgesetzt werden, um auf diesem Wege durch Subtraktion, durch eine »ab-

bauende Betrachtung« zum Tier zu gelangen. Vielleicht ist auch und vor allem das Gegenteil zutreffend, dass nämlich die Öffnung der menschlichen Welt - insofern sie auch und zuallererst eine Öffnung auf den wesentli-chen Konflikt zwischen Unverborgenheit und Verborgen-heit ist - nur auf dem Weg durch das Nicht-Offene der animalischen Welt erreicht werden kann. Und der Ort, durch den dieser Weg führt und wo sich die menschli-che Öffnung zu einer Welt und die animalische Öffnung auf das Enthemmende für einen Augenblick zu berühren scheinen, dieser Ort ist die Langeweile.

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14. Tiefe Langeweile

La noia è il desiderio di felicità lasciato allo stato

puro.1

Giacomo Leopardi

Die Abhandlung der Langeweile erstreckt sich über fast hundertachtzig Seiten von den Paragraphen 18 bis 39 der Vorlesung und stellt die umfassendste Analyse dar, die Heidegger einer Stimmung vorbehalten hat (in Sein und Zeit sind der Angst nur acht Seiten gewidmet). Er bespricht zunächst das Problem, wie eine Stimmung im allgemeinen verstanden werden muss, als die grundle-gende Art und Weise nämlich, wie das Sein immer schon gestimmt ist, und folglich als die ursprünglichste Weise, mit der wir uns selbst und anderen begegnen. Daraufhin entfaltet Heidegger seine Analyse der Langeweile gemäss den drei Formen oder Stufen, wonach sie sich fortschrei-tend verdichtet, um schliesslich jene Figur zu erreichen, die er als tiefe Langeweile* definiert. Diese drei Formen stimmen in zwei Zügen oder Strukturmomenten*überein, die für Heidegger das Wesen der Langeweile festlegen. Die erste ist die Leergelassenheit*, die Verlassenheit in der Leere. Heidegger hebt mit der Beschreibung dessen an, was ihm als locus classicus der Erfahrung der Lange-weile erschien.

»Wir sitzen z. B. auf einem geschmacklosen Bahnhof einer verlo-

renen Kleinbahn. Der nächste Zug kommt erst in vier Stunden. Die

Gegend ist reizlos. Wir haben zwar ein Buch im Rucksack - also lesen?

Nein. Oder eine Frage, ein Problem durchdenken? Es geht nicht. Wir

lesen die Fahrpläne oder studieren das Verzeichnis der verschiedenen

Entfernungen dieser Station zu anderen Orten, die uns gar nicht weiter

bekannt sind. Wir sehen auf die Uhr - gerade erst eine Viertelstunde

vorbei. Also hinaus auf die Landstrasse. Wir laufen hin und her, nur um

etwas zu treiben. Aber es hilft nichts. Nun zählen wir die Bäume auf

der Landstrasse, sehen wieder auf die Uhr - gerade fünf Minuten, seit

wir sie befragten. Des Hin- und Hergehens überdrüssig, setzen wir uns

auf einen Stein, zeichnen allerlei Figuren in den Sand und ertappen uns

dabei, dass wir schon wieder nach der Uhr gesehen haben - eine halbe

Stunde ... « (Heidegger 1983, S. 140)

Der Zeitvertreib, durch den wir uns zu unterhalten versuchen, zeugt von der Leergelassenheit als einer wesentlichen Erfahrung der Langeweile. Während wir üblicherweise beständig in und mit Sachen beschäftigt sind - was Heidegger sogar mit Begriffen präzisiert, die diejenigen zur Definition des Verhältnisses zwischen dem Tier und seiner Umwelt vorwegnehmen: »wir sind von den Dingen hingenommen, wenn nicht gar an sie ver-loren, oft sogar durch sie benommen« (ebd., S. 153) -, so überlässt uns die Langeweile auf einmal der Leere. In dieser Leere werden uns aber die Dinge nicht einfach »weggetragen oder vernichtet« (ebd., S.154); sie sind vorhanden, haben aber »nichts zu bieten«, sie lassen uns

völlig gleichgültig, allerdings in so hohem Masse, dass wir uns von ihnen nicht befreien können, weil wir ge-bunden und ausgeliefert an das sind, was uns langweilt: »Im Gelangweiltwerden von etwas sind wir gerade noch festgehalten von dem Langweiligen, wir lassen es selbst noch nicht los oder sind an es aus irgendwelchen Grün-den gezwungen, gebunden.« (Ebd., S.138)

Hier offenbart sich die Langeweile als so etwas wie eine Grundstimmung*, die für das Dasein* tatsächlich konstitutiv ist, während die Angst in Sein und Zeit nichts als eine Art Antwort oder wiederaufnehmender Reaktion zu sein scheint. Die Gleichgültigkeit, ja,

»das Seiende im Ganzen verschwindet aber nicht, sondern zeigt

sich gerade als solches in seiner Gleichgültigkeit. Die Leere besteht hier

demgemäss in der Gleichgültigkeit, die im Ganzen das Seiende um-

fängt. [... ] Das sagt: Das Dasein findet sich durch diese Langeweile

gerade vor das Seiende im Ganzen gestellt, sofern in dieser Langweile

das Seiende, das uns umgibt, keine Möglichkeit des Tuns und keine

Möglichkeit des Lassens mehr bietet. Es versagt sich im Ganzen hin-

sichtlich dieser Möglichkeiten. Es versagt sich so einem Dasein, das als

solches inmitten dieses Seienden im Ganzen zu ihm sich verhält - zu

ihm, zum Seienden im Ganzen, das sich jetzt versagt - sich verhalten

muss, wenn anders es sein soll als das, was es ist. Das Dasein findet

sich so ausgeliefert an das sich im Ganzen versagende Seiende.« (Ebd.

1983, S. 208-210)

In diesem Ausgeliefertsein an »das sich versagende Seiende« als erstem wesentlichem Moment der Lan-geweile offenbart sich die grundlegende Struktur jenes Seienden - des Daseins -, für das es in seinem Sein sein eigenes Sein aufs Spiel setzt. Das Dasein kann festgelegt werden als Langeweile zum Seienden, das sich ihm im Ganzen versagt, weil es »seinem eigenen Sein überant-wortet ist«, »geworfen« und »verloren« in die Welt, de-ren es sich annimmt. Aber gerade deswegen erhellt die Langeweile die unerwartete Nähe zwischen Dasein und Tier. Das »Dasein« ist, indem es sich langweilt, an etwas ausgeliefert», das sich ihm versagt, genau wie das Tier in seiner Benommenheit in etwas Nicht-Offenbartes hi-nausgesetzt* ist.

In der Leergelassenheit der tiefen Langeweile hallt ein Echo jener »wesentlichen Erschütterung« wider, die aus dem Ausgeliefertsein an ein »anderes« und aus der Hin-genommenheit von diesem »anderen« zum Tier dringt, das sich ihm aber nie als solches offenbart. Deswegen findet sich der sich langweilende Mensch in einer - wenn auch offenkundigen - »äussersten Nähe« zur Benom-menheit des Tieres. Beide sind in ihrem eigensten Gestus auf eine Schliessung hin offen, gänzlich einem sich Ver-sagenden ausgeliefert (vielleicht ist es erlaubt, in diesem sich versagenden Ausgeliefertsein die charakteristische Stimmung jedes Denkers wiederzufinden, die jedenfalls die spezifische Stimmung von Heideggers Denken be-stimmt).

Die Analyse des zweiten Strukturmoments der tiefen Langeweile erlaubt es, sowohl dessen Nähe zur Benom-menheit des Tieres als auch den weitergehenden Schritt

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zu klären, den die Langeweile über sie hinaus vollzieht. Dieses zweite Strukturmoment, das aufs engste mit dem ersten, der Leergelassenheit, verstrickt ist, ist die Hinge-haltenheit*. Das sich im Ganzen versagende Seiende, das als erstes Moment stattfindet, offenbart in gewisser Weise durch einen Entzug, was das Dasein hätte machen oder erproben können, d. h. seine Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten stehen nun in ihrer absoluten Gleichgül-tigkeit vor ihm, gleichsam anwesend und gänzlich un-zugänglich:

»Von diesen Möglichkeiten des Daseins sagt das Versagen. Das

Versagen spricht nicht darüber, eröffnet darüber nicht eine Verhand-

lung, sondern versagend weist es auf sie und macht sie kund, indem

es sie versagt.[ ... ] Das Seiende im Ganzen ist gleichgültig geworden.

Aber nicht nur das, in eins damit zeigt sich noch irgendetwas, geschieht

das Aufdämmern der Möglichkeiten, die das Dasein haben könnte, die

aber gerade in diesem ›es ist einem langeweilig‹ brachliegen, als brach-

liegende uns im Stich lassen. Wir sehen jedenfalls: lm Versagen liegt

eine Verweisung auf anderes. Diese Verweisung ist das Ansagen der

brachliegenden Möglichkeiten.« (Ebd., S. 212)

Das Verb brachliegen stammt aus der Sprache der Landwirtschaft. Die Brache bezeichnet dasjenige Feld, das man unbestellt liegen lässt, um es erst im folgenden Jahr zu besäen. Brachliegen bedeutet also inaktiv, unbe-stellt lassen. Auf diesem Wege offenbart sich auch die Bedeutung der Hingehaltenheit als zweites Moment der tiefen Langeweile. Nun sind es die spezifischen Möglich-keiten des Daseins, die in der Schwebe liegen und inaktiv sind, seine Möglichkeit, dies oder jenes zu tun. Aber die-se Deaktivierung der konkreten Möglichkeiten offenbart zum ersten Mal ganz allgemein das Ermöglichende*, die reine Möglichkeit oder, wie sie Heidegger nennt, die ur-sprüngliche Ermöglichung*:

»Von dem sich im Ganzen versagenden Seienden ist das Dasein

als solches betroffen, d. h. das, was zu seinem Sein-Können als sol-

chem gehört, was die Möglichkeit des Daseins als solche angeht. Was

eine Möglichkeit aber als solche angeht, das ist das sie Ermöglichende,

was ihr selbst als diesem Möglichen die Möglichkeit verleiht. Dieses

Äusserste und Erste, alle Möglichkeiten des Daseins als Möglichkeiten

Ermöglichende, dieses, was das Seinkönnen des Daseins, seine Mög-

lichkeiten trägt, ist von dem sich im Ganzen versagenden Seienden be-

troffen. Das heisst aber: Das sich im Ganzen versagende Seiende sagt

nicht beliebige Möglichkeiten meiner selbst an, berichtet nicht darüber,

sondern dieses Ansagen im Versagen ist ein Anrufen, das eigentlich Er-

möglichende des Daseins in mir. Dieses Anrufen der Möglichkeiten als

solcher, das mit dem Sichversagen zusammengeht, ist kein unbestimm-

tes Hinweisen auf beliebige, wechselnde Möglichkeiten des Daseins,

sondern ein schlechthin eindeutiges Hinweisen auf das Ermöglichende,

das alle wesenhaften Möglichkeiten des Daseins trägt und führt, für

das wir scheinbar doch keinen Inhalt haben, so dass wir nicht sagen

können, was es ist, so, wie wir auf vorhandene Dinge hindeuten und

sie als das und das bestimmen. [...] Das ansagende Hinweisen auf das,

was das Dasein in seiner Möglichkeit eigentlich ermöglicht, ist ein Hin-

zwingen auf die einzige Spitze dieses ursprünglichen Ermöglichenden.

[. ..] Zu diesem Im-Stich-gelassenwerden von dem sich im Ganzen

versagenden Seienden gehört zugleich das Hingezwungenwerden an

diese äusserste Spitze der eigentlichen Ermöglichung des Daseins als

solchen.« (Ebd., S. 215 f.)

Die Hingehaltenheit als zweiter wesentlicher Zug der tiefen Langeweile ist also nichts anderes als diese Erfah-rung der Offenbarung der ursprünglichen Ermöglichung (d. h. der reinen Potenz) in der Aufhebung und im Ent-zug aller spezifischen konkreten Möglichkeiten.

Was erstmals in der Deaktivierung, im Brachliegen* der Möglichkeit als solchen erscheint, ist also der Ursprung selbst der Potenz und somit auch des Daseins, d.h. des Seienden, das in der Form des Sein-Könnens existiert. Aber diese Potenz oder ursprüngliche Ermöglichung hat gerade deswegen die grundlegende Form einer Nicht-Potenz, einer Impotenz, insofern sie nur ausgehend von einem Nicht-Können, von einer Deaktivierung der ein-zelnen spezifischen künstlichen Möglichkeiten, kann.

Damit kommen schliesslich die Nähe und mit ihr die Distanz zwischen tiefer Langeweile und der Benommen-heit des Tieres ans Licht. In der Benommenheit war das Tier in unmittelbarer Beziehung zum Enthemmenden, aber derart ihm ausgesetzt und von ihm betäubt, dass es sich ihm nicht offenbaren konnte. Genaugenommen ist das Tier nicht fähig, seine Beziehung zum spezifischen Enthemmungsring aufzuheben und zu deaktivieren. Die Umwelt des Tieres ist so beschaffen, dass sich in ihr nie-mals so etwas wie eine reine Möglichkeit eröffnen kann. Die tiefe Langeweile erscheint also als metaphysischer Operator, in welchem der Übergang von der Weltarmut zur Welt, von der animalischen Umwelt zur Welt des Menschen stattfindet: Zur Diskussion steht in ihm nichts weniger als die Anthropogenese, das Da-sein-werden des lebendigen Menschen. Aber dieser Übergang, dieses Dasein-werden* des lebendigen Menschen (oder, wie es Heidegger in der Vorlesung auch beschreibt, diese Über-nahme der Last, die für ihn das Dasein ist) eröffnet kei-nen jenseitigen Raum, der grösser und heller wäre und der jenseits der Grenzen der animalischen Umwelt und ohne Beziehung zu ihr erobert würde: Im Gegenteil ist er nur durch Aufhebung und Deaktivierung der Beziehung zwischen dem Tier und seinem Enthemmenden offen. Die Benommenheit des Tieres und sein Ausgesetztsein an ein Nicht-Offenbartes können in der Aufhebung des Enthemmenden, in diesem Brachliegen* erstmals als solche begriffen werden. Das Offene - »Frei-vom-Sein« - bezeichnet nichts radikal anderes als das Weder-offen-noch-geschlossen der animalischen Umwelt: Es ist die Erscheinung eines Nicht-Offenbarten als solchen, die Aufhebung und das Begreifen des Die-Lerche-nicht-das-Offene-Sehens. Das eingefasste Juwel im Zentrum der menschlichen Welt und seiner Lichtung ist nichts anderes als die animalische Benommenheit; die Verwunderung darüber, dass »das Dasein sei«, überkommt das Lebewe-sen in dessen Ausgesetztsein an ein Nicht-Offenbartes. Die Lichtung ist in diesem Sinne wirklich ein lucus a non lucendo: Die Öffnung, die in ihr auf dem Spiel steht, ist wesentlich eine Öffnung auf eine Schliessung, und der-

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jenige, der ins Offene schaut, sieht nur ein sich Schlies-sendes, sieht nur ein Nicht-Sehen.

In seiner Vorlesung über Parmenides beharrt Heideg-ger mehrmals auf dem Vorrang der léthé vor der Un-verborgenheit. Der Ursprung der Verborgenheit* bleibt in bezug auf die Unverborgenheit* derart im Schatten, dass er als eine Art ursprüngliches Geheimnis der Un-verborgenheit gefasst werden kann: »Einmal sind wir bei dem Wort ›Un-verborgenheit‹ auf dergleichen wie ›Ver-borgenheit‹ gewiesen. Was da bei der ›Unverborgenheit‹ zuvor verborgen ist, wer verbirgt und wie das Verbergen geschieht, wann und wo und für wen Verborgenheit ist, all das bleibt unbestimmt. [... ] Wo Verborgenheit ist, muss sich Verbergung ereignen oder ereignet haben. [. . .] Was nun aber die Griechen erfahren und denken, wenn sie in der ›Unverborgenheit‹ jeweils die Verborgen-heit mitnennen, liegt nicht sogleich am Tag.« (Heidegger 1993, S. 19-22) Die hier vorgeführte Perspektive sieht das Geheimnis der Unverborgenheit darin, dass die léthé im Herzen der alétheia - die Gleichursprünglichkeit von Nicht-Wahrheit und Wahrheit - die Nicht-Offenbarung, das Nicht-Offene des Tieres ist. Der ausgangslose Kampf zwischen Unverborgenheit und Verborgenheit, zwischen Offenbarung und Verbergung, der die Welt des Men-schen definiert, ist der innere Kampf zwischen Mensch und Tier.

Deswegen steht im Zentrum des Vortrags »Was ist Metaphysik?« vom Juli 1929 - der also die Vorbereitung zur Vorlesung »Grundbegriffe der Metaphysik« begleitet - die gegenseitige Zugehörigkeit von Sein und Nichts: »Da-sein heisst: Hineingehaltenheit in das Nichts [Hi-neingehaltenheit, fast dasselbe Wort, das das zweite wesentliche Moment der Langeweile kennzeichnet].« (Heidegger 1967a, S. 12) »Das menschliche Dasein kann sich nur zu einem Seienden verhalten [verhalten, das in der Vorlesung die Beziehung des Menschen zur Umwelt im Gegensatz zum Sich-benehmen des Tieres definiert], wenn es sich in das Nichts hineinhält.« (Ebd., S.18) Die Stimmung* der Angst erscheint in der Vorlesung (in der die Langeweile nicht erwähnt wird) als Annahme jener ursprunglichen Öffnung, die sich nur durch »die hel-le Nacht des Nichts« erzeugt (ebd., S. i 1). Aber woher stammt diese Negativität, die im Sein selbst nichtet? Ein Vergleich zwischen dem Vortrag und der Vorlesung legt einige mögliche Antworten auf diese Frage nahe.

Das Sein ist ursprünglich vom Nichts durchkreuzt, die Lichtung* ist gleichursprünglich zur Nichtung*, weil sich dem Menschen die Welt nur durch Unterbrechung und Nichtung der Beziehung zwischen dem Lebendigen und seinem Enthemmenden öffnet. Gewiss, das Lebendige kennt weder das Sein noch das Nichts, aber das Sein er-scheint nur deswegen in der »hellen Nacht des Nichts«, weil sich der Mensch in der Erfahrung der Langeweile aufs Spiel setzt, indem er als Lebendiges seine Beziehung zur Umwelt aufhebt. Die léthé - die gemäss der Einlei-tung zum Vortrag als das Wesende* im Offenen herrscht als das, was das Sein gibt und in ihm ungedacht übrig bleibt - ist nichts anderes als das Nicht-Offenbarte der animalischen Umwelt. Sich an ersteres zu erinnern, be-

deutet notgedrungen, sich an letzteres zu erinnern, sich einen Augenblick vor der Schliessung einer Welt an die Benommenheit zu erinnern. Was im Sein West und nich-tet, stammt aus dem »weder seiend noch nicht-seiend« des Enthemmenden des Tieres. Das Dasein ist einfach ein Tier, das gelernt hat, sich zu langweilen, das aus der eigenen Benommenheit in die eigene Benommenheit er-wacht ist. Dieses Lebewesen, das in die eigene Benom-menheit erwacht, diese angsterfüllte und entschiedene Öffnung auf ein Nicht-Offenes ist das Menschliche.

Als Heidegger 1929 seine Vorlesung vorbereite-te, konnte er die Beschreibung der Umwelt der Zecke nicht kennen: Sie fehlt in den Texten, auf die er Bezug nimmt, und wird von Uexküll erst 1934 in seinem Buch Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Men-schen eingeführt. Wenn er sie gekannt hätte, hätte er vielleicht über die achtzehn Jahre nachgedacht, während deren die Zecke im Rostocker Laboratorium in völliger Absenz von Enthemmendem überlebt hat. Das Tier kann tatsächlich unter aussergewöhnlichen Umständen - wie sie der Mensch etwa im Laboratorium herstellen kann - die unmittelbare Beziehung zu seiner Umwelt aufheben, ohne deswegen aufzuhören, ein Tier zu sein, und ohne ein Mensch zu werden. Vielleicht hütet die Zecke im Ro-stocker Laboratorium ein Geheimnis des »blossen Lebe-wesens«, mit dem sich zu messen weder Uexküll noch Heidegger bereit waren.

1 »Die Langeweile ist der im Reinzustand gebliebene Wunsch nach Glück.«

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15 . Welt und Erde

Die Beziehung zwischen Mensch und Tier, zwischen Welt und Umwelt scheint jenen inneren Streit zwischen Welt und Erde zu evozieren, der gemäss Heidegger im Kunstwerk auf dem Spiel steht. In beiden scheint das-selbe Paradigma vorhanden zu sein, das eine Öffnung und eine Schliessung zusammennimmt. Auch im Kunst-werk steht die Dialektik zwischen Verborgenheit und Unverborgenheit, zwischen Öffnung und Schliessung im Kontrast zwischen Welt und Erde zur Diskussion, die Heidegger im Ursprung des Kunstwerkes mit fast den-selben Worten wie in seiner Vorlesung von 1929/1930 formuliert: »Der Stein ist weltlos. Pflanze und Tier haben gleichfalls keine Welt; aber sie gehören dem verhüllten Andrang einer Umgebung, in die sie hineinhängen. Da-gegen hat die Bäuerin eine Welt, weil sie sich im Offenen des Seienden aufhält.« (Heidegger 1950, S. 31) Wenn im Werk die Welt das Offene darstellt, bezeichnet die Erde »das wesenhaft Sich-verschliessende«. »Offen gelichtet als sie selbst erscheint die Erde nur, wo sie als die wesen-haft Unerschliessbare gewahrt und bewahrt wird, die vor jeder Erschliessung zurückweicht und d. h. ständig sich verschlossen hält.« (Ebd., S. 33) Im Kunstwerk kommt dieses Unerschliessbare offen ans Licht. »Das Werk rückt und hält die Erde selbst in das Offene einer Welt.« »Die Erde her-stellen heisst: sie ins Offene bringen als das Sichverschliessende. « (Ebd., S. 32 f.)

Welt und Erde, Öffnung und Schliessung sind nie trennbar, obwohl sie sich in einem wesentlichen Konflikt gegenüberstehen: »Die Erde ist das zu nichts gedräng-te Hervorkommen des ständig Sichverschliessenden und dergestalt Bergenden. Welt und Erde sind wesenhaft voneinander verschieden und doch niemals getrennt. Die Welt gründet sich auf die Erde, und Erde durchragt Welt.« (Ebd., S.35)

Es überrascht nicht, dass Heidegger diese untrennbare Opposition zwischen Welt und Erde mit entschieden po-litisch gefärbten Begriffen beschreibt:

»Das Gegeneinander von Welt und Erde ist ein Streit. Allzuleicht

verfälschen wir freilich das Wesen des Streites, indem wir sein Wesen

mit der Zwietracht und dem Hader zusammenwerfen und ihn deshalb

nur als Störung und Zerstörung kennen. Im wesenhaften Streit jedoch

heben die Streitenden, das eine je das andere, in die Selbstbehauptung

ihres Wesens. Die Selbstbehauptung des Wesens ist jedoch niemals das

Sich-versteifen auf einen zufälligen Zustand, sondern das Sichaufgeben

in die verborgene Ursprünglichkeit der Herkunft des eigenen Seins. [...

] Je härter der Streit sich selbständig übertreibt, um so unnachgiebiger

lassen sich die Streitenden in die Innigkeit des einfachen Sichgehörens

los. Die Erde kann das Offene der Welt nicht missen, soll sie selbst

als Erde im befreiten Andrang ihres Sichverschliessens erscheinen. Die

Welt wiederum kann der Erde nicht entschweben, soll sie als waltende

Weite und Bahn alles wesentlichen Geschickes sich auf ein Entschiede-

nes gründen.« (Ebd., S. 35 f.)

Ohne Zweifel steht für Heidegger in der Dialektik zwischen Verborgenheit und Unverborgenheit, die die Wahrheit definiert, ein politisches Paradigma, sogar das politische Paradigma par excellence auf dem Spiel. In der Parmenides-Vorlesung wird die pólis genau über den Konflikt Verborgenheit-Unverborgenheit* definiert:

»Die [?] ist die in sich gesammelte Stätte der Unverborgenheit

des Seienden. Wenn nun aber, wie das Wort sagt, zur [?] das

streithafte Wesen gehört, und wenn das Streithafte auch im Gegen-

sätzlichen der Verstellung und der Vergessung erscheint, dann muss in

der [?] als der Wesensstätte des Menschen alles äusserste Gegen-

wesen und darin alles Un-wesen zum Unverborgenen und zum Seien-

den, d. h. das Unseiende in der Mannigfaltigkeit seines Gegenwesens,

walten. « (Heidegger 1993, S. 133 )

Das ontologische Paradigma der Wahrheit als Konf-likt zwischen Verborgenheit und Unverborgenheit ist bei Heidegger unmittelbar und ursprünglich ein politisches Paradigma. Nur weil sich der Mensch wesentlich in der Öffnung auf eine Schliessung hin ereignet, sind so etwas wie eine pólis und eine Politik möglich.

Wenn wir nun dem Geschlossenen, der Erde und der léthé - gemäss der Interpretation der Vorlesung von 1929/1930, die wir bislang nahegelegt haben - ihre eigenen Namen »Tier« und »blosses Lebewesen« wie-dergeben, so wird der ursprünglich politische Konflikt zwischen Unverborgenheit und Verborgenheit gleich-sam zu demjenigen zwischen Humanität und Animalität des Menschen. Das Tier ist das Unerschliessbare, das der Mensch bewahrt und als solches ans Licht bringt. Hier aber wird alles kompliziert. Wenn nämlich das Eigene der humanitas darin besteht, offen auf die Schliessung des Tieres zu bleiben, wenn, was die Welt ins Offene bringt, ausschliesslich die Erde als in sich verschliessende ist, wie muss man dann Heideggers Vorwurf an die Metaphysik und an die von ihr abhängigen Wissenschaften verste-hen, dass sie den Menschen »von der animalitas her und nicht zu seiner humanitas hin« (Heidegger 1967, S. 15 S) denkt? Wenn die Humanität nur durch die Aufhebung der Animalität erworben worden ist und deswegen auf deren Schliessung hin offen bleiben muss, in welchem Sinne entgeht dann Heidegger im Versuch, »das eksta-tische Wesen des Menschen« zu begreifen, dem meta-physischen Primat der animalitas?

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16. Animalisierung

... dass Menschen Tiere sind, von denen die einen ihresgleichen züchten.

Peter Sloterdijk

Heidegger war vielleicht der letzte Philosoph, der gut-gläubig davon ausging, dass die pólis - der pólos, an dem der Konflikt zwischen Verborgenheit und Unverborgen-heit, zwischen animalitas und humanitas des Menschen herrscht - noch verhandelbar sei, dass es der Aufenthalt an diesem gefährlichen Ort den Menschen, einem Volk, noch möglich mache, das eigene geschichtliche Schick-sal zu finden. Er war also der letzte, der wenigstens bis zu einem gewissen Punkt und nicht ohne Zweifel und Widersprüche daran glaubte, dass die anthropologische Maschine noch Schicksal und Geschichte produzieren könne, indem sie immer wieder den Konflikt zwischen Mensch und Tier, zwischen Offenem und Nicht-Offenem entscheide und erneut herausbilde. Es ist wahrscheinlich, dass er an einem gewissen Punkte seines Fehlers gewahr wurde, dass er einsah, dass nirgends eine Entscheidung möglich war, die auf einen geschichtlichen Auftrag des Seins antwortete. Schon 1934/1935, in jener Vorlesung über Hölderlin, in der er versucht die »Grundstimmung des geschichtlichen Daseins« wiederzuwecken, schreibt Heidegger, dass die »Möglichkeit der grossen Erschüt-terung [Erschütterung, dasselbe Wort, das das Ausgelie-fertsein des Tieres an ein Nicht-Offenbartes bestimmt] des geschichtlichen Daseins des Volkes geschwunden [ist]. Tempel, Bild und Sitte sind ausserstande, die ge-schichtliche Sendung eines Volkes im Ganzen von Grund aus zu übernehmen und in einen neuen Auftrag zu zwin-gen.« (Heidegger 1980, S.99) Das Ende der Geschichte begann nunmehr an den Toren der vollendeten Meta-physik zu klopfen.

Fast siebzig Jahre später ist heute für jeden klar, dass es wider besseres Wissen für den Menschen keine histo-rischen Aufgaben mehr gibt, die er übernehmen oder die man ihm auch nur auftragen könnte. Es war gewisser-massen bereits nach dem Ersten Weltkrieg offensichtlich, dass die europäischen Nationalstaaten keine historischen Aufgaben mehr würden wahrnehmen können und dass die Völker selbst dem Verschwinden geweiht waren. Man missversteht das Wesen der grossen totalitären Ex-perimente des 20. Jahrhunderts vollständig, wenn man sie nur als Verlängerung der letzten grossen Aufgaben der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert betrachtet, des Nationalismus und des Imperialismus. Es handelt sich nun um einen ganz anderen und viel extremeren Einsatz, weil die künstliche Existenz der Völker selbst, und das heisst letztlich, ihr nacktes Leben zur Aufgabe wird. Un-ter dieser Perspektive stellen die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts wirklich das andere Gesicht der hegelia-nisch-kojèvschen Idee vom Ende der Geschichte dar: Der Mensch hat nunmehr sein geschichtliches télos erreicht, und für eine wieder Tier gewordene Menschheit bleibt

nichts anderes als die Entpolitisierung der menschlichen Gesellschaften durch eine unbedingte Entfaltung der oi-konomía oder die Erhebung des biologischen Lebens zur höchsten politischen (oder eher unpolitischen) Aufgabe übrig.

Es ist wahrscheinlich, dass die heutige Zeit dieser Apo-rie nicht entkommen ist. Sind wir Menschen und Völker ohne Essenz und ohne Identität, die wir sozusagen an unsere Essenzlosigkeit und Untätigkeit ausgeliefert sind, etwa nicht auf der stetigen tastenden Suche nach einem Erbe und einer Aufgabe, einer Erbschaft als Aufgabe, auch um den Preis grobschlächtiger Fälschungen? Selbst die reine und einfache Niederlegung aller historischen Aufgaben - die auf einfache Funktionen innerer oder in-ternationaler Polizei reduziert werden - im Namen des Triumphs der Ökonomie erhält heute oft eine Empha-se, mit welcher das natürliche Leben selbst und dessen Wohlstand zur letzten historischen Aufgabe der Mensch-heit zu werden scheinen, sofern es hier noch Sinn ergibt, von einer »Aufgabe« zu sprechen.

Die traditionellen geschichtlichen Mächte - Dichtung, Religion, Philosophie -, die sowohl in der hegelianisch-kojèvschen als auch in der heideggerschen Perspektive das historisch-politische Schicksal der Völker wach hiel-ten, sind seit einiger Zeit in kulturelle Schauspiele und in private Erfahrungen verwandelt worden und haben jegliche historische Wirksamkeit verloren. In Anbetracht dieser Verdunkelung bleibt als einzige einigermassen se-riöse Aufgabe die Sorge und »integrale Verwaltung« des biologischen Lebens, d.h. der Animalität des Menschen selbst übrig. Genom, globale Ökonomie und humanitäre Ideologie sind die drei solidarischen Gesichter dieses Pro-zesses, in welchem die Menschheit ihre eigene Physiolo-gie als letztes und unpolitisches Mandat nach dem Ende der Geschichte zu übernehmen scheint.

Es ist nicht einfach, zu sagen, ob die Humanität, die das Mandat der integralen Verwaltung der eigenen Ani-malität übernommen hat, noch menschlich im Sinne jener anthropologischen Maschine ist, die die humanitas pro-duzierte, indem sie immer wieder über Mensch und Tier ent-schied. Es ist auch nicht klar, ob der Wohlstand eines Lebens, das sich selbst nicht mehr als menschlich oder animalisch erkennen kann, als befriedigend empfunden werden kann. Gewiss, in Heideggers Perspektive bleibt eine solche Humanität nicht mehr offen gegenüber dem Nicht-Offenbarten des Tieres, sondern versucht überall, das Nicht-Offene zu öffnen und zu sichern, gleichsam seiner eigenen Öffnung sich verschliessend. Sie vergisst dabei ihre eigene humanitas und macht aus ihrem Sein ihr spezifisches Enthemmendes. Die integrale Humani-sierung des Tieres koinzidiert mit der integralen Animali-sierung des Menschen.

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17. Anthropogenese

Versuchen wir die provisorischen Ergebnisse unserer Lektüre der anthropologischen Maschine in der westli-chen Philosophie in Form von Thesen zu formulieren:

1) Die Anthropogenese resultiert aus der Zäsur und der Gliederung zwischen Humanem und Animalischem. Diese Zäsur verläuft allererst im Inneren des Menschen.

2) Die Ontologie - oder Erste Philosophie - ist keine unschädliche akademische Disziplin, sondern die in je-dem Sinne grundlegende Operation, in welcher die Anthropogenese, das Menschwerden des Lebewesens erfolgt. Die Metaphysik ist von Anfang an von dieser Strategie geprägt: Sie setzt genau jenes metá ein, das die Überwindung der animalischen phýsis in Richtung auf die menschliche Geschichte vollendet und begleitet. Die-se Überwindung ist kein ein für alle Mal abgeschlossenes Geschehen, sondern ein Ereignis, das in jedem Indivi-duum immer wieder zwischen Humanem und Animali-schem, zwischen Natur und Geschichte, zwischen Leben und Tod entscheidet.

3) Das Sein, die Welt, das Offene sind aber bezüglich der Umwelt und dem animalischen Leben nicht etwas anderes: Sie sind nichts anderes als die Unterbrechung und Beschlagnahme der Beziehung zwischen Lebewe-sen und Enthemmendem. Das Offene ist nichts anderes als das Ergreifen des animalischen Nicht-Offenen. Der Mensch hebt seine Animalität auf und eröffnet auf diese Weise eine »freie und leere« Zone, in welcher das Leben in einer ausserordentlichen Zone gefangen, verlassen und verbannt ist.

4) Gerade weil sich die Welt dem Menschen nur durch die Aufhebung und Beschlagnahme des animalischen Le-bens eröffnet, ist das Sein immer schon durchkreuzt vom Nichts, ist die Lichtung immer schon eine Nichtung.

5) Der entscheidende politische Konflikt in unserer Kultur, der über jeden anderen Konflikt herrscht, ist der-jenige zwischen Animalität und Humanität. Die Politik der westlichen Staaten ist deswegen gleichursprünglich mit Biopolitik.

6) Wenn die anthropologische Maschine der Motor für die Historisierung des Menschen war, so bedeuten das Ende der Philosophie und die Vollendung der epo-chalen Bestimmungen des Seins, dass sich die Maschine heute im Leerlauf befindet.

Aus Heideggers Perspektive sind nun zwei Szenarien möglich: a) Der Mensch am Ende der Geschichte bewacht die eigene Animalität nicht mehr als Unerschliessbares, sondern versucht, sie zu beherrschen und sie durch die Technik auf sich zu nehmen. b) Der Mensch, der Hirte des Seins, eignet sich seine eigene Verborgenheit, seine eigene Animalität an, die nicht versteckt bleibt und nicht das Objekt von Beherrschung wird, sondern als solche gedacht wird, als reine Verlassenheit.

18. Zwischen

Alle Rätsel der Welt scheinen uns einfach im Vergleich zum winzigen Geheimnis der Sexualität.

Michel Foucault

Einige Texte Benjamins bieten ein ganz anderes Bild vom Verhältnis zwischen Mensch und Natur und zwischen Natur und Geschichte: Die anthropologische Maschine scheint in ihnen überhaupt nicht im Spiel zu sein. Der erste Text ist der Brief an Florens Christian Rang vom 9. Dezember 1923 über die »gerettete Nacht«. Hier sind die Natur als Welt der Verschlossenheit* und der Nacht und die Geschichte als Sphäre der Offenbarung* ein-ander entgegengesetzt. Überraschenderweise schreibt Benjamin auch Ideen und Kunstwerke der geschlossenen Sphäre der Natur zu. Letztere sind sogar definiert

»als Modelle einer Natur, welche keinen Tag also auch keinen Ge-

richtstag erwartet, als Modelle einer Natur, die nicht Schauplatz der

Geschichte und nicht Wohnort der Menschen ist. Die gerettete Nacht.«

(Benjamin 1996, S. 393)

Die Verbindung zwischen Natur und Erlösung, zwi-schen Schöpfung und erlöster Humanität, die der pauli-nische Text über die apokaradokía tès ktíseos herstellte, ist hier zerbrochen. Die Ideen, die wie die Sterne »nur in der Nacht der Natur scheinen«, offenbaren nicht das kreatürliche Leben, noch öffnen sie es auf die mensch-liche Sprache hin, sondern übergeben es wieder ihrer Schliessung und ihrer Verschwiegenheit. Die Trennung zwischen Natur und Erlösung ist ein herkömmliches Mo-tiv der Gnosis, und dies hat Jacob Taubes dazu geführt, Benjamin neben den Gnostiker Marcion zu stellen. Bei Benjamin entspricht die Trennung aber einer speziellen Strategie, die mit derjenigen von Marcion unvereinbar ist. Was bei Marcion wie auch bei der Mehrheit der Gnostiker zur Entwertung und Verurteilung der Natur als Werk eines bösen Demiurgen führte, wird hier zu einer Überbewertung, die sie zum Archetypen der beatitudo macht. Die »gerettete Nacht« ist der Name dieser wie-der sich selbst übergebenen Natur, deren Schlüsselwort, gemäss einem anderen Fragment Benjamins, die Ver-gänglichkeit und deren Rhythmus die Glückseligkeit ist. Die Rettung, die hier auf dem Spiel steht, betrifft nichts Verlorenes oder wieder Herzustellendes, das vergessen wurde und das wieder erinnert werden muss, sondern vielmehr das Verlorene und Vergessene als solches, d. h. ein Unrettbares. Die gerettete Nacht ist Beziehung mit einem Unrettbaren. Deswegen wird der Mensch, inso-fern er auch für gewisse »Stufen« Natur ist, als ein Feld vorgeführt, das von zwei unterschiedlichen Spannungen, von zwei verschiedenen Erlösungen durchquert wird:

»Der geistlichen restitutio in integrum, welche in die Unsterblichkeit

einführt, entspricht eine weltliche, die in die Ewigkeit eines Untergan-

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ges führt und der Rhythmus dieses ewig vergehenden, in seiner Tota-

lität vergehenden, in seiner räumlichen, aber auch zeitlichen Totalität

vergehenden Weltlichen, der Rhythmus der messianischen Natur ist

Glück.« (Benjamin 1977, S. 204)

In dieser einzigartigen Gnosis ist der Mensch das Sieb, durch welches kreatürliches Leben und Geist, Schöpfung und Erlösung, Natur und Geschichte immer wieder un-terschieden und getrennt werden und sich gleichwohl für die eigene Rettung heimlich verschworen haben.

Benjamin versucht in seinem Zum Planetarium beti-telten Text, der die Einbahnstrasse beschliesst, die Be-ziehung des modernen Menschen zur Natur in Hinblick auf diejenige des antiken Menschen zum Kosmos zu umreissen. Für den antiken Menschen ist dieser Ort in der Trunkenheit zu finden. Für den modernen Menschen befindet sich der eigentliche Ort dieser Beziehung in der Technik. Gewiss ist damit aber nicht die Technik im ge-läufigen Sinne als menschliche Beherrschung der Natur gemeint:

»Naturbeherrschung, so lehren die Imperialisten, ist Sinn aller Tech-

nik. Wer möchte aber einem Prügelmeister trauen, der Beherrschung

der Kinder durch die Erwachsenen für den Sinn der Erziehung erklären

würde? Ist nicht Erziehung vor allem die unerlässliche Ordnung des

Verhältnisses zwischen den Generationen und also, wenn man von

Beherrschung reden will, Beherrschung der Generationsverhältnisse

und nicht der Kinder? Und so auch Technik nicht Naturbeherrschung:

Beherrschung vom Verhältnis von Natur und Menschheit. Menschen

als Spezies stehen zwar seit Jahrtausenden am Ende ihrer Entwicklung;

Menschheit als Spezies aber steht an deren Anfang.« (Benjamin 1972,

S. 147)

Was bedeutet »Beherrschung vom Verhältnis von Na-tur und Menschheit«? Dass weder der Mensch die Na-tur noch die Natur den Menschen beherrschen soll. Und nicht einmal in einem dritten Begriff als dialektische Syn-these aufgehoben werden sollen. Vielmehr ist gemäss Benjamins Modell einer »Dialektik im Stillstand« nur das »Zwischen« entscheidend, das Intervall und das Spiel zwischen den zwei Begriffen, deren unmittelbare Kon-stellation einer Nicht-Koinzidenz. Die anthropologische Maschine verbindet nicht mehr Natur und Mensch, um durch Aufhebung und Beschlagnahme des Unmensch-lichen Menschliches zu produzieren. Die Maschine be-wegt sich sozusagen nicht mehr, ist »im Stillstand«, und in der gegenseitigen Aufhebung der beiden Begriffe nis-tet sich zwischen Natur und Humanität, im beherrschten Verhältnis, in der geretteten Nacht etwas ein, für das wir keine Namen haben und das weder Mensch noch Tier mehr ist.

Im selben Buch evoziert Benjamin wenige Seiten vor-her in einem seiner dichtesten Aphorismen das unsichere Bild dieses Lebens, das sich von seinem Verhältnis mit der Natur nur dadurch gelöst hat, dass es das eigene Ge-heimnis verloren hat. Das Element der sexuellen Erfül-lung, das freilich gänzlich der Natur anzugehören scheint, diese aber überall übersteigt, durchschneidet - löst nicht

- jene heimliche Fessel, die den Menschen an die Na-tur bindet. Im paradoxen Bild eines Lebens, das sich in der äussersten Peripetie der Lüsternheit vom Geheimnis löst, um sozusagen eine Nicht-Natur zu erkennen, hat Benjamin so etwas wie die Hieroglyphe einer neuen Un-Menschlichkeit gezeichnet:

»Die sexuelle Erfüllung entbindet den Mann von seinem Geheimnis,

das in Sexualität nicht besteht, in ihrer Erfüllung aber, und vielleicht in

ihr allein, durchschnitten - nicht gelöst - wird. Es ist der Fessel zu ver-

gleichen, die ihn an das Leben bindet. Die Frau durchschneidet sie, der

Mann wird frei zum Tode, weil sein Leben das Geheimnis verloren hat.

Damit gelangt er zur Neugeburt, und wie die Geliebte ihn vom Banne

der Mutter befreit, so löst die Frau buchstäblich von der Mutter Erde

ihn, die Hebamme, welche jene Nabelschnur durchschneidet, die aus

Naturgeheimnis geflochten ist.« (Benjamin 1972, S. 140f.)

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19. Desoeuvrement

Im Kunsthistorischen Museum in Wien wird ein spätes Werk von Tizian aufbewahrt, das als »Nymphe mit Schä-fer« bekannt ist. Von einigen wird es als sein »letztes Ge-dicht« bezeichnet - fast ein Abschied von der Malerei. Im Vordergrund sind die beiden Figuren dargestellt, versun-ken in eine düstere Feldlandschaft: Der sitzende Schäfer hält eine Flöte in seinen Händen, als hätte er sie eben von den Lippen genommen. Die nackte Nymphe liegt mit dem Rücken zu ihm auf einem Pantherfell, das tra-ditionellerweise Symbol für Entfesselung und Lüsternheit ist, und exponiert ihre vollen und leuchtenden Hüften. Mit gesuchter Geste wendet sie ihr versonnenes Gesicht zum Publikum, und mit der linken Hand streift sie wie in einer Liebkosung ihren rechten Arm. Ein wenig wei-ter befindet sich ein vom Blitz getroffener Baum, der wie derjenige in der Allegorie von Lorenzo Lotto zur Hälfte abgestorben und zur Hälfte grün ist und an dem sich dramatisch, als wolle es seine Blätter abfressen, ein Tier aufbäumt, das für einige einen »kühnen Bock«, für an-dere ein Hirschkalb darstellt. Weiter oben verliert sich der Blick, wie so oft beim späten impressionistischen Tizian, in einer hellen Farbpartie.

Die Gelehrten stehen einigermassen ratlos vor diesem enigmatischen paysage moralise mit seiner zugleich äus-serst sinnlichen und leise melancholischen Atmosphä-re und wissen keine erschöpfende Erklärung zu geben. Gewiss, die Szene ist zwar »zu gefühlsüberladen, um eine Allegorie darzustellen«, aber gleichwohl »ist dieses Gefühl zu sehr zurückgehalten, um irgendeiner der vor getragenen Hypothesen eingefügt werden zu können« (Panofsky 1969, S. 172). Es scheint offensichtlich, dass die Nymphe und der Schäfer erotisch in Verbindung stehen, aber ihre zugleich promiskuitive und entfernte Beziehung ist derart singulär, dass es sich um »niederge-schlagene Liebende [handeln muss], die sich körperlich so nahe und emotional so fern sind« (Panofsky 1969, S. 172). Und alles im Bild - die fast monochromatische Farbtönung, der düstere und liebende Ausdruck der Frau und ihre Pose - »legt nahe, dass das Paar vom Baum der Erkenntnis gegessen hat und im Begriff ist, sein Eden zu verlieren« (Dundas 1985, S. 54).

Judith Dundas hat die Beziehung zwischen diesem Bild und einem anderen Tizians, Die drei Lebensalter des Mannes inder National Galley of Scotland in Edinburgh, richtig beobachtet. Das Wiener Bild, das viele Jahre spä-ter gemalt worden ist, nimmt gemäss Dundas einige Ele-mente des vorhergehenden Bildes auf (das Liebespaar, die Flöte, den abgestorbenen Baum, die Anwesenheit eines Tieres, wahrscheinlich desselben), stellt sie aber düsterer und verzweifelter dar und hat nichts mehr ge-mein mit der klaren Heiterkeit der Drei Lebensalter. Das Verhältnis zwischen den zwei Bildern ist aber komplexer und legt es nahe, davon auszugehen, dass Tizian das Ju-gendwerk mit Absicht wiederaufnahm, um es Punkt für

Punkt im Sinne einer Vertiefung des geläufigen Themas der Erotik zu widerrufen: So bezeugt die Anwesenheit des Eros und des abgestorbenen Baumes, dass auch im Bild aus Edinburgh das ikonographische Thema der »drei Lebensalter« in der Reflexion über die Liebe entfaltet wird. Allererst sind die beiden Liebesfiguren invertiert: Im ersten Werk ist nämlich der Mann nackt und die Frau gekleidet. Diese ist hier im Profil abgebildet und hält die Flöte, die im späteren Werk in die Hände des Hirten übergehen wird. Auch in Drei Lebensalter können wir rechts den zerbrochenen und abgestorbenen Baum als Symbol der Erkenntnis und der Sünde vorfinden, auf den sich Eros abstützt: Als Tizian das Motiv im späteren Werk aufnimmt, lässt er den Baum seitlich spriessen und ver-einigt auf diese Weise die beiden paradiesischen Bäume, denjenigen des Lebens mit demjenigen der Erkenntnis über Gut und Böse. Und während das Hirschkalb in Drei Lebensalter ruhig im Gras liegt, erhebt es sich nun an der Stelle des Eros gegen den Baum des Lebens.

Das Geheimnis der sexuellen Beziehung zwischen Mann und Frau, das schon iln Zentrum des ersten Bil-des stand, erhält so einen neuen und reifen Ausdruck. Lüsternheit und Liebe, so bezeugt es der halb wieder erblühte Baum, symbolisieren nicht nur Tod und Sünde. Gewiss, die Liebenden erkennen in der Befriedigung vom anderen etwas, das sie nicht hätten wissen dürfen - sie haben ihr Geheimnis verloren -, ohne deswegen weniger undurchdringlich zu werden. Aber in diesem gegenseiti-gen Verlust des Geheimnisses gelangen sie - genau wie in Benjamins Aphorismus - zu einem neuen und glückse-ligeren Leben, das weder animalisch noch human ist.

In der Befriedigung wird nicht die Natur erreicht, son-dern, wie es das Tier symbolisiert, das sich neben dem Baum der Erkenntnis und des Lebens aufbäumt, ein hö-heres Stadium, das jenseits der Natur und der Erkenntnis, der Verborgenheit und der Unverborgenheit liegt. Diese Liebenden haben sich ihrer eigenen Geheimnislosigkeit als ihrem intimsten Geheimnis hingegeben, sie vergeben sich gegenseitig und stellen ihre vanitas aus. Sie sind, ob nackt oder gekleidet, weder verborgen noch unver-borgen, sondern vielmehr unscheinbar. Aus der Haltung der beiden Liebenden wie auch aus der von den Lippen entfernten Flöte ist klar ersichtlich, dass sie sich im oti-um befinden, dass sie untätig sind. Wenn es stimmt, was Dundas schreibt, dass Tizian in diesen Bildern »ein Reich zur Reflexion über das Verhältnis zwischen Körper und Geist« geschaffen habe (Dundas 1985, S. 55), so ist die-ses Verhältnis im Wiener Bild sozusagen neutralisiert. Die Liebenden, die in der Befriedigung ihr Geheimnis verloren haben, schauen auf eine menschliche Natur, die vollends untätig ist - die Untätigkeit und das desoeuvrement des Humanen und Animalischen als höchste und unrettbare Figur des Lebens.

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20. Ausserhalb des Seins

Esoterismo significa così: articolazione di modalità di non-conoscenza.1

Furio Jesi

Der Gnostiker Basilides, aus dessen Umfeld die Bildnis-se mit Tierköpfen stammen, die Bataille in »Documents« wiedergegeben hat, verfasst um die Mitte des 2. Jahr-hunderts n. Chr. in Ägypten seine Exegese der Evange-lien in zwanzig Büchern. In seiner Darstellung des so-teriologischen Dramas hat der nichtexistierende Gott ursprünglich einen dreifachen Samen (oder eine dreifa-che Sohnschaft) in den Kosmos entlassen, dessen letz-ter »wie eine Abtreibung« in der »grossen Masse« der Körpermaterie steckengeblieben ist und der letztlich zur göttlichen Inexistenz zurückkehren muss, von der er her-stammt. Soweit unterscheidet sich Basilides' Kosmologie nicht vom grossen gnostischen Drama der kosmischen Vermischung und Trennung. Seine unvergleichliche Ori-ginalität besteht darin, dass er als erster das Problem der Materie und des natürlichen Lebens aufgeworfen hat, wenn es von allen göttlichen oder geistigen Elementen, die ihrerseits zu ihrem ursprünglichen Ort zurückkehren, verlassen worden ist. Er tut dies in einer genialen Exegese der Stelle im Brief an die Römer, in welcher Paulus von der stöhnenden und unter Geburtswehen leidenden Na-tur spricht, die auf die Erlösung wartet:

»Wenn nun [. . .] die ganze Sohnschaft [nach oben] gekommen

ist und oberhalb der Grenze, des Geistes, sein wird, dann wird der

Schöpfung Erbarmung widerfahren. Denn bis jetzt seufzt sie und wird

gequält und erwartet die Offenbarung der Kinder Gottes, damit alle

Menschen der Sohnschaft von hier nach oben gelangen. Wenn das

geschehen ist, sagt er, wird Gott über die ganze Welt die grosse Un-

wissenheit [ [?]] bringen, dass alles (seiner) Natur ge-

mäss [ [?]] bleibe und nicht irgendetwas gegen seine Natur

begehre. Vielmehr nämlich werden alle Seelen in diesem Raum (hier

unten) bleiben, deren Natur es ist, in ihm allein unsterblich zu bleiben,

ohne etwas anderes oder Besseres zu kennen als diesen Raum: In den

unteren (Räumen) wird keine Kunde und keine Kenntnis von den darü-

ber liegenden (Räumen) sein, damit die unten befindlichen Seelen nicht

dadurch gequält werden, dass sie nach etwas Unmöglichem streben,

wie ein Fisch, der danach streben würde, auf den Bergen mit den Scha-

fen zu weiden: ein solches Begehren wäre für sie ja der Untergang.«

(Simonetti 1993, S. 172; Andresen 1969, S. 97)

Basilides hat in der Vorstellung dieses unrettbaren und von jedem geistigen Element völlig verlassenen natürli-chen Lebens, das gleichwohl durch »grosse Unwissen-heit« vollkommen glückselig ist, eine grandiose Kontra-faktur der wiedergefundenen Animalität des Menschen am Ende der Geschichte erdacht, von der Bataille so irritiert war. Hier haben sich Finsternis und Licht, Ma-terie und Geist, animalisches Leben und Logos, deren Gliederung in der anthropologischen Maschine das Hu-mane produzierte, auf immer getrennt. Aber nicht, um

sich in einem noch undurchdringlicheren Geheimnis zu verschliessen, sondern um die eigene, noch wahrhafti-gere Natur zu befreien. In bezug auf Jarry hat ein Wis-senschaftler geschrieben, dass einer der alchemistischen Schlüssel zu seinem Werk »der aus den mittelalterlichen Wissenschaften entnommene Glaube sei, dass derjenige Mensch, der seine verschiedenen, während seiner Exis-tenz eng ineinander verflochtenen Elemente zu trennen vermag, den tiefen Sinn des Lebens in sich selbst befreien könne« (Massat 1948, S. 12). Es ist nicht einfach, die neue oder schon sehr alte Figur des Lebens zu denken, das in der »geretteten Nacht« dieses ewigen, unrettbaren Überlebens der Natur (und im Speziellen der menschli-chen Natur) dort aufleuchtet, wo es vom Logos und von seiner eigenen Geschichte Abschied nimmt. Dieses Le-ben ist nicht mehr menschlich, weil es jegliches rationale Moment, jegliches Projekt zur Beherrschung des animali-schen Lebens völlig vergessen hat. Es ist aber auch nicht animalisch, wenn unter Animalität eben jene Weltarmut und jene finstere Erwartung einer Offenbarung und einer Rettung verstanden wird. Bestimmt »sieht es nicht das Offene«, insofern es sich dessen nicht als Mittel zu Be-herrschung und Erkenntnis bedient. Es bleibt aber auch nicht einfach in der eigenen Benommenheit verschlos-sen. Seine ágnoia, seine Nicht-Erkenntnis, impliziert nicht den Verlust jeglichen Verhältnisses mit der eigenen Ver-borgenheit. Vielmehr bleibt dieses Leben in heiterer Be-ziehung zur eigenen Natur (ménei ... katà phýsin) als zu einer Zone der Nicht-Erkenntnis.

Die Etymologen sind vor dem lateinischen Verb ignos-cere immer etwas ratlos gewesen: Das Verb scheint er-klärbar zu sein als *ingnosco, bedeutet aber nicht ›nicht wissen‹, sondern ›verzeihen‹. Eine Zone der Unwissenheit - oder besser des Verzeihens - zu artikulieren, bedeutet in diesem Sinne nicht einfach ein Sein-Lassen, sondern Ausserhalb-des-Seins-Lassen, unrettbar werden. So wie sich die Liebenden Tizians den gegenseitigen Verlust des Geheimnisses vergeben, so bleibt das Leben in der ge-retteten Nacht, das weder offen noch unerschliessbar ist, in heiterer Beziehung zur eigenen Verborgenheit, hält sie ausserhalb des Seins.

In Heideggers Interpretation kann sich das Tier nicht auf sein Enthemmendes als ein Seiendes oder ein Nicht-Seiendes beziehen, weil das Enthemmende erst beim Menschen als solches sein kann. Erst beim Menschen kann sich so etwas wie das Sein ergeben und ein Seien-des zugänglich und manifest werden. Deswegen heisst die höchste ontologische Kategorie Heideggers: sein las-sen. In seinem Projekt macht sich der Mensch für das Mögliche frei und lässt, indem er sich ihm übergibt, die Welt und die Seienden als solche sein. Wenn aber unse-re Lektüre richtig sieht und der Mensch erst dann eine Welt öffnen und ein Mögliches befreien kann, wenn er in der Langeweile die Beziehung des Tieres zum Enthem-menden aufheben und deaktivieren kann, wenn also im Zentrum des Offenen die Unerschliessbarkeit des Tieres steht, so müssen wir uns fragen: Was passiert mit dieser Beziehung, wie kann der Mensch das Tier sein lassen,

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wenn die Welt gerade durch dessen Aufhebung offen bleibt?

Insofern das Tier weder seiend noch nicht-seiend, we-der offen noch verschlossen ist, liegt es ausserhalb des Seins, aussen in einer Exteriorität, die weiter aussen liegt als jedes Offene, und innen in einer Intimität, die weiter innen liegt als jedes Verschlossene. Das Tier sein lassen, bedeutet also: es ausserhalb des Seins lassen. Die Zone der Nicht-Erkenntnis - oder des Verzeihens -, die hier zur Diskussion steht, liegt ausserhalb des Erkennens und des Nicht-Erkennens, der Offenbarung und der Verbergung, des Seins und des Nichts. Was hier aber ausserhalb des Seins gelassen wird, ist deswegen nicht verneint oder be-seitigt und auch nicht inexistent. Es ist etwas Existieren-des, Reales, das jenseits der Differenz zwischen Sein und Seiendes gelangt ist.

Es geht hier nicht darum, die Umrisse einer neuen, nicht mehr menschlichen und nicht mehr animalischen Kreatur zu zeichnen, die ebenso wie andere mytholo-gisch wäre. Der Mensch war in unserer Kultur, wie wir gesehen haben, stets das Resultat einer Teilung und zu-gleich einer Gliederung des Animalischen und Humanen, wobei einer der beiden Begriffe jeweils auf dem Spiel stand. Die herrschende Maschine unserer Konzeptionen des Menschen abzuschalten, bedeutet also nicht, nach neuen, effizienteren und authentischeren Verbindungen zu suchen, als vielmehr, die zentrale Leere auszustellen, den Hiat, der - im Menschen - den Menschen vom Tier trennt, bedeutet also, sich in dieser Leere aufs Spiel zu setzen: Aufhebung der Aufhebung, Shabbat sowohl des Tieres als auch des Menschen.

Und wenn eines Tages das »Gesicht aus Sand« endgül-tig erlischt, das die Humanwissenschaften gemäss einer nunmehr klassischen Vorstellung ins Strandtuch unserer Geschichte geprägt haben, wird kein neues Mandylion oder die »Veronika« einer wiedergefundenen Humani-tät oder Animalität an seine Stelle treten. Die Gerechten mit Tierköpfen stellen in der Miniatur der Mailänder Am-brosiana keine neue Deklination im Verhältnis zwischen Tier und Mensch dar als vielmehr die Figur der »grossen Unwissenheit«, die beide ausserhalb des Seins lässt, ge-rettet in ihrer eigentlichen Unrettbarkeit. Es gibt vielleicht noch eine Möglichkeit, wie sich Lebewesen an die mes-sianische Tafel der Gerechten setzen können, ohne eine historische Aufgabe zu übernehmen oder die anthropo-logische Maschine in Gang zu setzen. Noch einmal löst sich das mysterium coniunctionis, aus dem das Humane produziert worden ist, durch eine unerhörte Vertiefung des praktischpolitischen Geheimnisses der Trennung.

1 »Esoterik bedeutet also: Äusserung von Formen von Nicht-Erkenntnis.«

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Literatur

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