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5/11/2018 Adornos Taschentuch Moeglichkeiten Und - slidepdf.com
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DiedrichDiederichsen
ADORNOS
TASC HE NTU C HMoglichkeiten und Strategien
des Nonkonformismus
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Wovon handelt diesesWeihnachtsmarchen? Nonkonformismus scheint
heutzutage keine Option zu sein. Doch wie ist die Geschichte dieses
Modells verlaufen?Oberraschendwerdeich auf eineAdorno-StellestoBen,
wo es so etwas wieeine Ur- oder Vorform gibt: eine Geste aus Begriffen,
eine Kommunikation durch Kommunikationsabbruch, ein notwendig
asthetisch gewordenes,von seinerIntention her aber politisches Handeln,
das zur Politik und Argumentation nicht mehr kommen kann, weil die
rationale Argumentation an die instrumentelle Vernunft gefallen ist.Der
glorioseMoment derGeste ausBegriffenund der notwendig asthetischen
Politik wird auch zur Formel des nonkonformistischen Molekiils in sei-
nen ersten existenzialistischen Fassungen - nun aber nicht mehr legiti-
miert durch die Aporien des kommunikativen Vemunftgebrauchs, son-
dern durch die inkommensurabel intensiven Erfahrungen junger Men-
schen mit und ohne Drogen, Sex und Emanzipationsversprechen. Von
da an gibt es eine Verfallsgeschichtezu erzahlen, eine Geschichte derDes-
integration dieses Molekiils. Sie fiihrt uns in die politisch-kiinstlerische
Szene von Los Angeles im Friihjahr 2001 und zu den Figuren der Fern-
sehserie »Ally McBeal«.Sie traumen den Traum der Rekonstruktion des
desintegrierten Molekiils, aber sie wissen es nicht. Am Ende surrt nur
noch elektronisch ein posthumanes Klicken und Glitchen - auch darin
sollen noch Spuren des vor 50 Jahren gesprengten Molekii1szu f inden
sein? Aber der Reihe nach ...
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Die Vots teUung is t verbrei te t, dass die sozialen Differenzierungen der
letzten 40,$OJahre, die Entstehung von altemativ.en Lebenssti len ebenso
wie die Karriere von Werten wie Flexibili ti t, aber auch Differenz und
Diversitat - und Karriere hei«t h ie r: d er umwertende Weg vom dissiden-
1ten zum affirmativen Konzept -, dass diese Entwicklungen nicht denk-
bar gewesen ~iren o~e die Vorlauferschaft oder Geburtshilfe des Begriffi
Nonkonfonrusmus, Eines Konzepts, das sehr stark davon gepragt ist , zum
einen ezistenziell, also durch die Lebensfuhrung selbst, einen Einspruchzum Ausdruck zu bringen und auch zu begriinden, zum anderen davon,
dass das Gegeniiber, dasjenige, demgegenuber es einen Einspruch zu for-
mulieren gil t, seinerseits ein in sich homogenes Gebilde ist , das seine Kon-
formitatsnormen von der eigenen Homogenitat und Geschlossenheit sti it-
zen lisst , wenn nicht ableitet,
Die beiden Seiten dieses Nonkonformismus scheinen heutzutage,
gerade im Lichte der aus ibm hervorgegangenen Subjektformationen eines
flexibilistischen KapitaJ.ismus, extrem anachronistisch: Existenzialismus
ist nur noch e twas fUr Naive, wenn nicht sogar der Ansatzpunkt neuer
KonttoUregimes, und das zu bekimpfende Gegeni iber is t - egal, was man
darunter verstehen wi ll - eines bes timmt nicht mehr , naml ich homogen.
Seine Imperat ivdaufenfolgerich tig nicht auf Konformitat hinaus. Es
scheint fast,unddas i~datm der endgiil tige Todesstog fUr jeden Versuch,
den Nonkonformismus noch einmal denken zu wol len, als ob gerade die
Nonkonformitl it dasheut~ Verordnete sei , InDiagnosemodellen wie den
v o n Z i ze k , Stnnet· · oder Deleu.ze istgerade der sich selbst verwirklichende
Einzelnein 'Seinern IDdividualismus, zugespitzt g es ag t, e in Untertan im
::Zr.n':0ndmn Sm.ne. Gerade die ..f reiec bzw. als eigen empfundene
die 'V ~~11es ..ozutidst Men~chmc, der stets j en se it s d er o de r gegen
~.~W&ung. gedachten Eigenschaftenund Bere iche (GefUhle, Erfah-
run~.Kreatmtit)seiheute de r wiehtigste Rohstoff okonomischer Pro-
zesse.
. Naiv ~eUt s ichso fOit die;~e Frage e m , ob, .wennNonkonfor-mrsmus den Fordenmgen desH~ rich' . oc h H
, .' ....• < . systems entsp t, er n an-ger semen Namen verdiene und":::~-.H.-~ . V nfo .
, U&_r~ em nO rnusmus gewor-
den set, Miisste man spinnt man d i . · . . . . ; : . : i . . . . ; · . · · · . · . , . . . ~. _ _ .L '. • ..J__ icht, . "'_'·_en welter, WOln nl
von einem Nonkonformismus im Verhaltnis zu diesem aeuen Konfor-
mismus sprechen konnen? Oder s ind das nur inc Phantasmen der per-
sonlichen Abweichung und der in der Person existenzialistisch situierten
Handlungsmoglichkeiten, deren gemeinsamer Fehler genau das ist - von
der Person als verantwortli ch und einhei tl ich handelndem Subjekt aus
gedacht worden zu sein? Von einer Person, die aus freien Stiicken mensch-
l ic he Qu al it at en e rwe rb en k an n, die politische Konsequenzen j en sei ts de r
okonomischea Verwertung hatten?
Ich werde dieser Frage im Lichte der erwihnten zeitgenOssischen Posi-
t ionen zu Fragen der polit ischen Dimens ion von Subjekt ivi ta t nachge-
hen und s ie personl ichen Erlebnissen sowie Beobachtungen aus Kunstund Popkultur gegenuberstellen. Zunachst aber mOehte ich genealogisch
einem nieht unwesentl ichen Ursprung der mit dem B.egriffdes Nonkon-
formismus allemal im deutschen Sprachraum zusammenhangenden Vor-
stellung auf die Spur kommen. Nicht umsonst nennt Alex Demirovic
seine zirka tausendseit ige Monografie der Frankfurter Schule . .Der non-
konformistische IntellektueUe«. ' Dcnn wenn man tiber Nonkonformis-
mus reden will , tanp man am besten dort an, wo alle wesentlichen Fra-
gen cines Zusammenhangs abweichender Posi tion mit anderem Leben
zuerst auf Deutsch - und natiirlich auf amerikanischem Boden - disku-
tiert worden sind. Auch wean dieses Leben gerade nicht existenzialistisch
und eben auch nicht einfach als Sphare der Erfahruog gegen die derBegriffe und der hemchenden Rationali ta t gedacht war.
Wlihrend der Vorameiten zur -Dialektik der Autldanm,«schrribt
Adorno am 21 . Augu~ 1941 an Horkheimer, zunicbstauf eiDCD Baal.i-
nes Partners B.ezug nehmend:lOEs geht wirklich eiac.~davon aus
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- f ast konnteman sagen, der Aufsatz stelle ein eGeb irde dar noch mehr
a ls e inen Gedanken. Etwa wie wenn man, ver lassen auf e iner Insel, ver-
zweifelt ein~ davonfahrenden Schi ff mit e inem Tueh naehwinkt, wenn
es sehonzq . ...e it weg is t zum Rufen. Unsere Sachen werden immer mehr
solehe Gesten aus Begriffen werden mussen und immer weniger Theorien
herkommliehen Sinnes .e ' D iese Gesten aus Begr if fen s ind notwendig
geworden, so Alex Demirovic , bei dem ich diese Stel le gefunden habe, '
weil es weder moglich sei , die Begriffe, also die aufklarerischen Univer-
s al ien wei te rh inso zu verwenden, a ls s ei d iephilosophiseh gei st esge-
schiehtl iche Tradi tion , d ie s ie hervorgebracht hat , noch intakt, noch s ie
~fallen zulassen und dem Gegner i iberlassen.
Es sollte von hun an haufig er darum gehen , so kann man meiner Mei-
nung nach diese Satze aueh wei te rdenken, n ieht so sehr mit dem pol it i-
schen Gegner zu diskut ie ren, sondern s ich ihm gest is eh mitzuteil en , ihm
eine Ges te entgegenzubr ingen. Ein Winken, das - spa te r, von anderen -
aueh relat iv leicht in einen ausgestreckten Mittelfinger transformiert wer-
den konnte, wenn diese r denn aus Begr if fen gearbe it et war . In der Fest -
s te llung der Unmogli chke it , d ie Diskus sion in gemeinsamen Begri ffen
fortzusetzen, scheint mir aberder Kern nicht nur des intel lektuellen Non-konformismus Frankfurter Provenienz vorformuliert , sondern ich erkenne
in dieser Geste auch, die Urbeschreibung einer Strategie der Coolness.
Yom spater pragenden nonkonformist ischen Existenzial ismus ebenso
wie von einer rein polit ischen Deutung der in den Fiinfrigern so popularen
Vokabel weicht Adornos Formulierung jedenfalls an zwei entscheiden-
den Stellen aboZurn einen ist sein Nonkonformismus keiner des Anders-
seinsv sondem er auSert s ich in e inem Verha lt en . Dieses result ie rt n icht
aus e iner unhinte rgehbaren Essenz des Anders- oder aueh Nichte inver-
s tandense ins, sonde~ aus e iner Einsicht , konvent ione ll n ieht mehr kom-
muniz ie ren zu konnen. Diese Einsicht i st aber nieht nur st rat egisch. Es
geht nieht darum, dass wir unter den gegebenen Bedingungen gestenhaft
reden, wei! die LagedrauBen hassl ich und das Wetter schlecht ist , wahrend
~ti ef drinnen weit er von e inem unbeschadigten Glauben an demokra -
t isehe,Werte zehren. Nein, solange, vereinfacht gesagt, demokratisehe
oderandersJormll)ierte uJl lveuale polit isehe Werte an kapital is tisehe
(oder anders v~tao~: qIsche) Konkretiongebunden sind, kann ich
nieht anders denken und hande1n als in der tei ls kryptischen (weil unvoll-
s tandig~n, ell iptischen, lapidaren),~s aber geoffaeten, gerichteten, also
doch kommunikativen und Dieht re~i~en Geste. Dies hat weder nur
. . . . . mit meinem Leben zu tun (wie im Existenzialismus) noch nur mit den
Begriffen.
Zum anderen erlaubt d iese Konstr uktion aber aueh einen anderen
BiiclcaUfdie no~aig\~~S~ ;eckr'OOttIi:ODfOrltiis~ Kem-
munikatioR, a u f die iStbetischcfSeiteder Geste. I:>iescdst e b e n 'krift Gegen-
sali zu-ihrer pelitischen Waltiheit;kein~ Maske" keine Sttategie;itondern
notwendige~ politisehes - E r g e b r u s der.~; ':Asthetiscl} Wirddie 'Linke, urn
links und gegenwirt ig, polit ischundkolninl inikat iv bleiben 'zu kOimen.
1m Klartext mitzudiskutieren· hieSe, die konkreten Bedeutungen anzu-
nehmen,die den Universal ien'Von den MachthabernaufgezWUiigen wur-
den. Die Geste 'und in' i.hret FoIge:'di~nonkonfoi1llis6sche<Ubehsform
erlaubten c ia zu sein, prismt Z1l' sein, polit ische Posit ionen zu repriSen-
t ie ren - ohne sie imimmer sChOll verlorenen'Spielder R-ealpolitik zu ver-
schieigen. Die Stirkung der i$thetischen Seite istabernari irlichlt tich die
Voraussetzung fUrdiespateJ"e Desintegration diesesDonkonformistischen
Modells.
Die Einsicht, dass Gegnerschaft si ch nieht mehrinder ra tionalen Dis-
kus sion mit den Machthabem ausdri icken lass t, d iir ft e so etwas wie der
gemeinsame formale Nenner kiinstlerischet wie polit ischer Bewegungen
der folgenden Jahrzehnte geworden sein. Daraus folgte eine radikale oder
asthetische Kommunikationsverweigerung, die diese aber kommunizierte,
weshalb sie so attraktiv Wurde. Die iSthetische und die-polit isch radikaleVersion gingen oft ine inander i iber oder verweehsel ten si ch selbs t mit -
einander. Aber dieser kommunikationspolit iseh letzte gemeinsame Nen-
ner ist wahrscheinlieh aueh der , der heutige so genannte Globalisie-
rungsgegner fast unsichtbar mit der Tradition von Einsichten verbindet ,
deren globa le rHauptgegner noch e in monol ithi scher Fasehismus oder
ein vom industriell-militarischen Komplex bestimmter, fordistisch-kon-
formistiseher Nachkriegslrapitalismw war. Hier liegt aber auch ein Haupt-
unterschied zwischen der e rs ten Generation Kri ti seher Theor ie und der
zweiten und ihrem ausdriicklichen Vettrauen aufKommunikation. Viel-
leicht kann man so weit gehen zu sagen, dass mit diesem Schritt zum
Kommunika tionsopt imismus die kdmmunikat ionspessimist ische und
damit auch radikal it at st augl ichere Sei te der Kr iti schen Theor ie abge-
schnitten wrde und nun, spitestens urn 1970, einem unordentlichen .
Wuchem in den verschiedenen - a ll erdings schon stark existenzialistisch
vorgepragten - Undergrounds zur VerfUgung stand.
Die nonkonforme Geste 1stunterschiedlich polit isch interpret iert oder
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angelegt worden. Sie kannte die Variante, dass nur cine kiinstlerische Pra-
xis uberhaupt Gesten Machen kann, nicht eine intellektuelle, die mit
Begri ff en ope riert . Sie i st durch Reformul ie rungen gegangen, wie des
jiingst verstorbenen Ken Keseys legendare Wamung, nieht denen ihr Spiel
zu spielen. Sie resultierte aber nicht nur in immer wieder ne u beein-
druckenden Radikalismen der Geste und des gestenhaften Kommunika-
tionsabbruchs, der paradoxerweise Kommunikation.verstarken und ret-
ten sollte - von der Insel an das Narrenschiff der Modeme - nein, vor
allem fiihr te sie zur kompletten Durchtrennung der zwei Nabelschniire ,
an d ie Adorno s ie gekn iipf t ha tte: an den Begr iff und an die po lit ische
Entwicklung. Das geschah zunachst (FiinfzigerISechziger) dadureh, dass
ihre erfolgreichsten, eher exististenzia listischen Vertreter die Geste vor
allem an die Lebenserfahrung geknfipft wissen wollten, ans Besserwissen,
an das n ieht mehr vermittelbare , nur noch in Gesten re sul tier ende Bes-
serwissen qua Besserleben (intensiver und so) . Sodann dadurch, dass nach
der groBen Politisierung die asthetische und die politische Seite der nun
pluralisier ten Nonkonformismen nieht mehr zueinander f inden konnten
(Seehziger ISiebzigerl Achtziger), bis die Elemente der Nonkonformitat
schlieBlich fragmentier t und desintegriert nur noch als Konsumgegen-stilnde oder Ressourcen der Distinktion auftauehten.
Alles Weitere sche int nun bekannt z u sein. Die Geste hat sich also
ve rse lbstand igt , s ie b le ibt auf der ande ren Sei te de r s ie bes timmenden
Verb indung von pol it ischem, verb ind liehem Denken und subjekt ive r
inteUektueller und kiinsderischer Erfahrung gefangen. Gefangen in einem
Pathos der Erfahrung, das wede r zum Begri ff noeh zur Poli tik f inde r und
schl ieBl ich nur noch s ich selbst e rfahrt . Sie e rmogl icht keine Schr it te
mehrin unbekannte Under, sondem untemimmt nur immer extreme r
aDSgestlIttete und outrierter gestaltete Bewegungen inda s immergleiche
biiqerliche Territoritun des Selbst.
Doch nieht genUS damit, dass die Geste aus Begriffen irgendwann im
SoIipsismDS des leitenden Angeste llten gelandet ist - sie hat unter Namen
wieNonkonfonnisnlUs nodt immer e inen nich t nur guten, sondem oft
genug aucllpolitischen Ruf. Dabei ist der aus dem Nonkonformismus
hervorgegangene lndividaalismus'*"u die Voraussetzung, auf hoheren
wie auf niedrigereren Ehenen de s globaIen ~Kapitalismus richtig zu
funk tion ie ren, nimlich um den immate riel len Konsum zu managen wie
auch selbst zu betre iben. Originelle TYPen undQ!Ierdenker ste llen nicht
nur die Modelle fU r einen glamourisierten ~am gegenuber den Impe-
rativen der Flexibilisierung dar , sie versehen, immer noch vom guten poli-
tischen Ruf der nonkonformen Gate lebend, diese Imperative mit e inem
progressiven politischen Gehalt.
So oder ihn lich lau ten die Diagnosen der letztenJahre - tei ls die e ige -
nen, teils die der anderen. Die Geduld mit al s mikropolitisehe Kimpfe
in den Achtzigem und When Neunzigem noch notdurft ig mask ie rten
Solipsismen scheint am Ende, esgehOre ihnen dringend die Maske ihres
Komplotts mit den neoliberalen Welttrends abgerissen. Eine Reihe von
Texten, Ereignissen und kultureUen Erscheinungen verschiedenster Art
verlangt wiede r nach e ine r Ruckbindung de r Gesten an Ta ten und rea l-
politische Formationen. Und sagt insbesondere der heruntergekommens-
ten kommerz ie llen Version de r ind ividue llen Geste, dem Logo , beson-
de rs vehement den Kampf an.
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Man kann diese Diagnosen auf verschiedene Weise anzweifeln: Sind die
. Selbsterfahrungen tatsachlich notwendig alle solipsistiseh? Sind die auf
"Nonkonformititc basierenden noch bestehenden politischen Erfahrun-
gen tatsachlich aIle dazu verdammt, von einem »pose-politischen- tole-
ranten, multikulturalistisehen Regime- des ..heutigen Kapitalismus« -neu-
tra lisier t« und als »Lebensst i l« »absorbiert« zu werden, wie Slavoj Zizek
meint? Einem System, das »ganz eindeutig ein Subjektivitatsmodell favo-
risiert, fUr das zahlreiehe Identititsweehsel eharakteristiseh sind-?'
Doch sind in der neoliberalen Wirklichkeit die individuellen Akteure ,
die angebl ieh nur noeh a ls Untemehmer ihre r Lebenszei t und Vert rags-
par tner ihres Sozialen agieren, tatsachlich die Erben des alten Nonkon-
formismus , ode r s ind s ie nieh t ehe r Erfolgsmenschen a lter Sehule, die
den patriarehalen Untemehmer nur in ein reformier tes Soziales gerette t
haben? Vor allem aber interessier t mich: An welcher Stelle des Desinte-
grationsprozesses jenes femen, 50 Jahre alten coolen Nonkonfonnismus
sind w ir angelangt? 1st irgendjemand da umdrehen will?
Wie unter sche iden sich schl ieBJich eme .Qi j • • i lbl id
Realpolitik ledisfich Fasc:hisJID~••~~~·"
.~
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';"
Ichwill drei Beispiele fUrB~~~~er Fragen und Konstella-
tionen beschreiben: erstens ein#'~aiipt-Party fU r einen Burgermeis-
terkaDdidatenin LosAngeles.~~in'tanen bestimmten Mechanismus
inderinsbesondere bei konfo~~nonkonformistischen Angestell-
ten beliebten Femsehserie "Ally'~Beal«, und drittens schliefll ich im
Anschluss an diese und andere Femsehsendungen die Beliebtheit der
Gerichtsverhandlung als dramatische Form.
Zu Beginn des geradezu Ende gehenden Jahres hielt ich mich meh-
rereMonate lang in Los Angeles auf. Ich unterrichtete an einer Kunst-
hochschule:Niele derheute an diesem Institut Lehrenden haben an der
Cal-Arts s~diert und sind maflgeblich von der politisch verstandenen,
selbstreflexivenund institutionskritischen Kunstpraxis von MichaelAsher,
Alan Sekula,John Baldessariund Douglas Huebler beeinflusst. Man kannohne grobeVereinfachungen von einer linken politischen Tradition die-
sesMilieus sprechen. Inde,tkiinstlerischen PraxisderBetreffenden au«ert
sich dieselinke Traditionvor allem dadurch, dass dasGegebene von kul-
turellen Bildem und Begriffen analytisch zerlegt und aufgetrennt wird
und dieBestandteilevon Bewusstseinund Bewusstseinsindustrie markiert
werden. 1m Gegensatz dazuwird die eigene kiinstlerische Praxisals gleich-
zeitig offen .wieihrer inhiirenten Probleme bewusst inszeniert. Symbo-
lisch, wenn nicht auch p~. offnet sich dieseKunst a lsoeinem auf-
~Iicl len Diskurs. Siegreiftandcrswo tabuisierte Themen aus den Fel-
dem Sexuaijtiit. Rassismus, US-Nationalismus und Migration auf und
stellt ibre Reflexionendariiber einerseits einer Iinken und gegenkulturel-
lenSzene zur VerlUgung,wiesie gleichzeitig durchentsprechende kimst-
~ GestendieLesbarkeit fU r eine square,.spie«ige6ffentlichkeit ein-
scluinkt. Wtdmpriiche wie der,dassman zuweilen gerademit »kritischen
Positioften'!wi... l1fd_.J~unstmarkt attraktiv sein kann, werden oft
zum Inhalt.dieser Atbeiten.
Indiesem Friihjabrfanden nun dieVotwahlen des Biirgenneisters von
LosAngeles statt. E s gab einen reciltc!rl,~blikaner, demwenig Chan-
cen eingeraumt wurden. Daneben gab ~hispanische Kandidaten,
deren einem, dem linkstehenden und mit d$ neuen mexikanisch-ame-
rikanischenGewerkschaftenengverbundenen ~nio Villaraigosa,g r o « e
Chancen eingeriumt W l U d e n . Dann eines beiderafro.
ir
,{
•
. . . .
Parteiverlassen hatte, hatte sich in den achtzigerJahren alsStadtverord-
neter Verdienste um die Versorgungvon Aids-Kranken in LosAngeles
erworben. Piinktlich zum Beginn desWahlkampfes hatte der Politikprofi
sein schwules Coming-out. Er galt als Freund der Kimste, als aufge-
schlossener Sammler, derschon vorJahren in einem seltsamen Gelobnis
geschworen hatte, grundsatzllch ein Viertel seiner Einkunfte fUrdenErwerbbildender Kunst auszugeben, also immer schon einprivatesKul-
turbudget vorzeigen konnte.
Beider afro-amerikanischen Bevolkerung hatte Wachsdie schlechtes-
ten Karten, auch die Latinos wollten ihn nieht wahlen, stark war er vor
.allem imValleyund bei den Wei«en uber 65 . Sein politisches Programm
umfasste neben der Starkungder so genannten Creative Community und
einer liberalen Unterstiitzung minoritiirer sexueller Orientierungen vor
alternneoliberale Bekennmisse zum Kapitalismus in auch fUrkalifomi-
scheVerhiltnisse risoroser Weise,sowie dieWeigerung, die wegenMor-
den und Foltervonriirfen auf eiDer bewnders beriichtigten Wache unter
. "
D
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oft"entlichenBeschussgeratene Polizei zu reformieren. Man kann zusam-
men&ssenduber diesenKandidaten sagen, dasser auf den Feldem Av~t-
gardekunst und schwul-Iesbische Gleichstellung relativ progressive oder
linke, auf allen anderen Feldem, insbesondere derWIrtschaftspolitik und
der Innenpolitik, rechte, und zwardezidiert rechte Positionen vertrat.Die Entkoppelung linker Themen istein aufder ganzenWelt zu beob-
achtender Trend, ebenso ihre Rekombination mit einer politischen Ori-
entierung, die man fruher nichtzu Unrecht reaktionar genannt harte.
Dasselbegilt fUrdie dissident-existenzialistischen Styles, die in der Nach-
folgedes Adomoschen Taschentuchs nach und nach allesverloren haben,
wassieeinst ausgemacht hatte - indem sie den Grund der Geste ganz an
die Erfahrung vergeben haben. Sie sind so von ibren politischen, histo-
rischen und kulturellen Entstehungsbedingungen getrennt worden, und
siehaben kaum noch Archive oder,wenn essiegibt, ein Wissen urn deren
Lesbarkeit, das es Ihnen erlaubt, die Geschichte dieser Entkoppelungen
zu rekonstruieren. Die heute noch ubrig gebliebenen Gesten muss man
sichvorstellen alsreineTaschentucher,ohne Insel, ohne Schiff, ohne Wm-
kende - nur noch das Taschentuch gibt es. Niemand weig, was esbedeu-
tet uacI woher eskommt, und dennoch hat esimmer noch eine enorme
Attraktivitat, die es seiner unleserlichen Geschichte verdankt. Wenn man
esentfaltet, sieht man, dass einNike-Swoosh darauf gedruckt ist.
Was bat dieser Vorgang und diese Entwicklung nun mit dem seltsa-
men und im iimgen in den Vorwahlen auch chancenlos ausgeschiede-
nen KandidatenJoel Wachs zu tun? Nun, wabrend meines Aufenthaltes
wurde ich zu einer Fundraising-PartyfUr diesen Kandidaten eingeladen
- un.dzwar nicht nur von einem befreundeten Paar konzeptueller Ktmst-
ler, nein. so ziemlich von allen, die in der linken, selbstreflexiven Kunst-
szenevon LA. einen Namen haben. Nahezu alleKiinstlerInnen Galeris-tInnen, Studierenden und befreundeten Musiker rund um den 'Pool der
konzeptuell, institutionskritisch, ortsspezifisch und selbstreflexiv arbei-
tenden LA.-Szene trafen sich zu einer Party fUrJoel Wachs in einer Gale-
rie, in der gerade eineMel-B&hner-AussteUung zu sehen war.
Eshandelte sich alsonieht um¥ute, die wie die Taschentuchbenut-
zer von heute nicht wissen, was sie~ eshandelte sichnicht um abge-
spaltene und entkoppelte 'Ieile, die ti~#em Regime der Enthistori-
sierung und Kulturis ierung nach und nd~ander bl ind geworden
sind und ihr ehemsliges Zusammengeho~essen haben. Nein, die .
Unterstiitzer von Joel Wachs waren Teil einetliwussten und reflektier-' ~JM
u
ten, in ihrem Beruf standig historisc;hesOenkenperfonnierenden.kuJtu-
rellen Elite. Also Leute,die es o£knsiChili~h mit m,'er eigenen expJ,izit
linken kiinstlerischen Praxis fU r vereinbar hielten, einen Kandidaten zu
unterstiitzen, der neoliberale IdeoloJ,ieprodazierte, wannimmer er auBer-
halh einer Galerie den Mund aufmachte.
Ich versuchte, mit Ihnen iiber ihrHandeln zu reden. Die Begriin-
dungen waren nicht realpolitisch, etwa in dem Sinnet dassWachsetwas
fUrihr Businesstun konne, woer doch die bildende Kunstfordere.Wenn
dieserAspekt eineRolle spielte,dann eherurn eineArt personliche D a n k -barkeit fUrseine Kaufe zu bezeugen, cinealtmodische Abhangigkeit von
dem personlichen Sammler. Haufiger warenArgumente, die mitWachs'
Schwulsein arbeiteten. Keine groBeUS-amerikanische Stadt habe einen
schwulenBiirgermeister.Abu auchdas erschienmir unzureichend, erklarte
es doch bestenfalls eine milde Praferenz fUrden Kandid'aten und nicht
daspersonliche Engagement in einem Fundraising-Dinner und den AlI-
tag politischer Arbeit, an dem viele der L.A.-Kiinstlertatsachlich betei-
ligtwaren.Esblieb dabei: Ich verstand esnicht. Als wiirde b-books fUrWester-
welle mobilisieren, murmelte ich. Naturlich boten sich alle moglichen
MutmaBungen an. Eine war die, dass ein bestimmter Begriffvon Q!1eer-
ness tatsachlich eine Integration sehr verschiedener, womoglich einander
widersprechender Personlichkeitsteileermoglicht und letztlich an ein pro-
gressivesProjekt anzubinden versucht. Doch Wachs' Schwulsein schien
gerade nicht queer in einem Sinne zu sein, wieAktivisten queerer Politik
diesen Begriff verwenden.
Tatsachlich fielmir aha in allenGesprachen auf, dassdas linke Selbst-
verstandnis der Kiinstler in ihrem Beruf die Anbindung an die Seman-
tik eines linken undauch sogenannten Projektsin ibrerArbeitauch sonst
in keiner Weise mit ihrem sonstigen Verhalten und ihren Vorlieben inVerbindung stand. E s gab einfach iiberhaupt keine kultureUen Verbin-
dungen, die iiber dieSemantikder kUnstlerischenAmeit herstellbar gewe-
sen waren. E s gab soziale Verbindungen, die iiber andere Verbindwigen
entstanden waren, esgab eine Kollegenkultur, eine der Lehrenden wie
eine der kUnstlerischArbeitenden. aber es gab keine semantische Bezie-
hung zwischendem ,.IinkenKunstler- und dem "politischen Mensdlenc•
Wahrscheinlich haben wir es hier also mit e iDe r baomim hoch ent-
wiclceltenFormVOJlDesintegrationzu t u D • .~ mit demaktu-
ellen Stand, JlIldidem ich ~~~.J ;)ieIe Desintegration kann man
,<~
.i
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auf dec psychologischen Ebene von Personlichkeitsteilen diskutieren oder
auf der sozialen als die komplett v on ei na nd er g et re nn te r s oz ia le r B e zu gs -
riume de r Bet ro ffenen. Indes wire e s zu e infach, nach e inem gehe imen
niederen Motiv zu suchen, nach einem bloflen Opportunismus. Die meis-
ten h ab en k ei ne Vortei le von diesem pol it ischen Engagement . .Die psychologische ,rie die s ozi al e Ebene verweisen auf dieselbe schon
erwibnte Desintegrationsgescbichte. Sicher sind die einst a ls Kampfbe-
griffi: imexistenzialistisch-linken Gegenmilieu entstandenen Ideologeme
von der Selbstverwirklichung und der irreduziblen Individualitat ent-
scheidend in dieser Desintegrations- und Entkoppelungsgeschichte wirk-
sam geworden. Sie b ilde ten das Interf ace, das den Druck sozialer, oko-
nomische r und pol it ische r Entwick lungen in e ine sich noch a ls intakt
empfindende existenzialistische Innenwelt iibersetzte. Die selbstandige
Wucherung der Selbstve rwirk lichung im sich be rufsma li ig selbs t ve r-
wirklichenden Kiinstler hat offensichtlicb dazu gefiihr t, dass er die Uher-
zeugungen, in deren Namen er seine kiinstler ischen Entscheidungen triff t,
n icht mebr auf abs trakte oder a llgeme ine Prinz ipien zur iickf iihrt , die e r
dann wiederum bei se inen pol it i schen Entscbeidungen zum Einsatz bringt.
Na tt irl ich ist Me ine Verwunderung ube r e in solehes Handeln e iner
unausgesprochenen Koharenzvorstellung geschuldet, wie menschliche
Wertvorstellungen auszusehen hatten. Diese scheine ich ganz besonders
bei solchen Subjektivitatsmodellen vorauszusetzen, die sich selbst the-
matisieren, wie dies bei konzeptuell arbeitenden Kunstlern der Fall ist.
Denn die se haben ja e ine of t e labor ie rte Theorie von dem, was s ie da tun ,
und das scheint Meiner Meinung nach offensichtlich eine Garantie dafiir
z u s ei n, c la ss sie die dabei anfallenden begrifflichen Abstraktionen kon-
sequenziel l und womoglich auch norma tiv anlegen. Ich sche ine , wenn
ich mich uber die Diskrepanz von nicht nur symbolischer kunstlerischerOrient ie rung , sondem auch explizi te r und expl iz it po li tischer Theor ie
k iinsde ri schen Handelns auf de r e inen Sei te und dem poli ti schen Han-
deln aufder a nd cr en S ei te s o stark wundere , davon auszugehen, dass Kon-
sequenz und Kohi renz EigeDschaften cines aufgeklar ten Subjetks sind,
Inkonsequenz undWiderspriicblichkeit hingegen unaufgeklar ten und
begriffslosen Subjekten zukommen.
Nun ist im Zuge postmodemer Subjeitkr jtik oft a ls Zwang und Macht-
e ff ekt ve rri ssen worden, was schon in der IGttischen Theorie als Iden-
t it it sp rinz ip n icht besonders gu t angeschrieb~ . .ar . Die integrier te und
konsequente Gesamtpersonlichkeit erschien je~d je als Variante des
autoritiren Cbarakters oder als unerwiinschte Schlieaung prinzipiell offe-
ner und beweglicher . Verhaltnisse, a ls e in Imperativ fur Unter tanen, dem
freie Geister schon seit den Sechzigem Walter Benjamins beriihmten Satz
entgegenhielten: »Immer radikal, niemals konsequent!« Authentisch sein
zu miissen und s ich auf Autbent iz itat zu be rufen, gal t auch im Rahmen
der subkulturellen I>~batten der Achtziger und Neunziger als regressiv
b is r eakt iona r, a ls Reduktion de r Person und der Per son lichkei t auf e inehierarchisch militir is~he Binnenlogik. In feministischen Diskursen der
unterschiedlichstenProvenienz, ~b sie mit Luce Irigaray essenzialistisch
von dem Gescblecht,dasnicht e ins ist aus argumentieren oder mitJuditb
Butler anti-essenzialistisch gegen die Schliefsung in einer autbentischen
Weiblichkeit, galt die Berufung auf Authentiz itat auSerdem als ~ ..
tisch und pballog()zentrisch.
Es ist nun ein gegen postmodeme Linke oft ~ 'lorgebrachtes
Argument, ihre ~t$kritik und Auflosung von
Identitaten, ... ~~pQ1iliis~~\~.Wtt>;tJ_.6glIICh und arbeite letztlich
Velthiltni~dl unte~., .p$tj~"*If1en Bedingungen zu - von Terry
••UtI~L'W'if·es:oft gebOrt. Doch in den Neunzi-
,._-" von postmodemer und dekonstrukti-
:!' .T , ' : ' , =->,
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vistiseher Seite gegeben, der relativen Harte des Gegenstands Politik und
der Notwendigke it in diesem Kontex t zumindes t s tra tegiseh Reehnung
tragend. Ich denke etwa an die Erfolgsgesehiehte von Gayatri Spivaks Slo-
gan vom »strategischen Essenzialismus«. Was flir die (politisehe) Analyse
und die Kri tik des Diskur siven gal t, rnusste n ieht unbeding t dann noeh
gelten, wenn ein gewiinsehter politiseher Effekt Vorrang haben konnte.
Ja, insbesondere in feministisehen, antirassistischen und postkolonialen
Diskussionen konnte man e rleben, wie e s zu e iner sozusagen postmo-
demen Politisierung kam, die Subjektkr itik und politische Handlungs-
f ah igkei t zusammendenken woll te - und me ine L.A. -Kunst le r sind e in
Beispiel flir eine solche Entwicklung.
Das Vers torende scheint nur zu sein, da ss man ihr Handeln wenige r
so beschreiben muss, wie es altlinke Kritik an postrnodemer Politik immer
getan hat , a ls e ines , da s zu Unvemunft und Abenteurertum und letzt lich
zu politische r Handlungsunfahigkeit fuhre. Ihr Handeln ist eher eine
besonders irritierende Herstellung von Handlungsfahigkeit. Ja, politischer
Handlungsfahigkeit. Nach Aktenlage des Klasseninteresses, wenn man sowil l. Und die s ist nat ii rl ich e in gene re ller Zug verseh iedene r Stadien der
Desintegration des Nonkonformismus: dass die desintegrierten Teile sehr
schnell zuruckfinden zu Strategie und Pragmatismus.Ja , dass man erken-
nen kann, dass das langsame Auseinanderbrechen unter jeweils sehr spe-
z ifi schem Rea li ta td ruck zus tande kam. Is t a lso d ie l inke Pos tmodeme
nichts als die Verklarung der politischen Niederlage des Nonkonformis-
mus und des sen Ergebnis, des Desintegrationsprozesses?
Die kognitive Dissonanz alsErrungenschaft postrnodemer Linker wird
bei diesem L.A. -Beisp ie l in ihre r ganzen Prach t vorgefuhr t, schon und
praktisch und effektiv und in ganz verschiedenen Feldem auf absolut zeit-
genossischem Niveau.
Meanwhile konnte man dagegen in fiir die unteren Schichten gedach-
ten Mode llen wie den notor ischen -Big-Bro the r=Shows und Mit tags-
talkshows in den letztenJahren erleben, wie erlebnisorientier te Freizeit-
kultur und Selbstverwirldichungsrhetor ik - . .Ich bin ein Mensch, der . ..«
- zu e inem besonde rs ha rten Authent iz ismus zusammenschmolzen, der
die konsequen te und koha rente Per sonl ichkei t gnadenlos e inpauken
wollte. Esgeht in allen RTU-Showformen strukturell ja immer nur darum,
dass s ich wiede r i rgendwo e ine r vers te ll t hat und man s ich aufkeinen Fal l
ver stel len da rf, sonde rn v ie ! mehr so sein muss, wie man wirk lich ist . Je
unklarer ist , aufgrund welcher biograf ischen, politischen, lebensweltli-
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chen, berufl ichen Konstanten und Siehe rhe iten e s so e in vor rang ige s
-wirklich . . in dem gibt, was man »wirklich- sei, desto brachialer wird der
Imperativ, die eigene Echtheit zu performen. Passend zu solcher Selbst-
disziplinierung erfreut sich auch offene Repression bei der Gesta ltung
von Personlichkeit steigender Beliebtheit. Kanzlergattin Doris Schroder-
Kopf fordert e ine strengere Kindererziehung, und Angela Merkel freut
sich auf Schuluniformen.
Kognitiv dissonant zu leben, erscheint sogesehen als ein Klassenpri-
vileg: Der Gewinn fiir seine Nutzniefser besteht dar in, dass sie im unan-
gernessenen, dissonanten Verhiiltnis der eigentlich Harmonie beanspru-
chenden Personl ichkei ts te ile (wie Uberzeugung und Lebensst il ) das
Geglaubte (aber nicht zu Realisierende) wenigstens noch im Blick haben,
dass sich ihr Bewusstsein noch leisten kann, ihrem Sein zu widersprechen.
Auch wenn essich nicht mehr einbilden darf, Schmerzen zu verursachen.
Wir haben es bei diesen unterschiedlichen Entwicklungen aber nicht
nur mit e iner klassengesellschaftlichen Losung von Flexibilisierung zu
tun - die e inen d ii rfen im Nichtzusammenpassen der Lebens te ile e ineChance erkennen, die anderen miissen dem unbedingt psychisch entge-
gena rbe iten und kontra fakt isch Ident itat bunkem -, sondem auch mit
e ine rn Prob lem de r Verwechslung von Deskr ipt ion und Norm in In te l-
lektuellenkreisen. Denn die postrnoderne Kritik des Authentiz ismus ist
ja zunachst e ine Kritik der Beschreibung von Subjektivitat a ls Expression
von Eigenem. Dass die Subjekte ihren Diskurs nicht hervorbringen, heiBt
n icht auf e iner norma tiven Ebene , ja nicht : Sei unau thent isch , sonde rn
kritisiert das Beschreibungsmodell authentisches Subjekt. Aus dieser Kri-
t ik der Beschreibung zu fo lgem, e sse idahe r auch auf der Ebene des Ver-
haltens wiinschenswert, der Korrektur des Beschreibungsmodells aus eige-
nen Anst rengungen entsprechen zu mussen, i st e in folgenschwere s und
verbreite tes Missverstandnis. Tatsachlich laufen viele Leute mit e iner so
verstandenen »postmodemen Moral- he rum und wehren s ich gegen die
Zumutung, auf politische Konsequenzen einer ihrer voriibergehenden
"Ube rzeugungen« hingewiesen zu werden, mit de r Bemerkung, das sei
ihnen zu authentizistisch. Oft wird das wiederum mit Konze pten von
Deleuze/Guattar i, dem Imperativ -Seid Vielheiten!« begriindet oder neu-
e rd ings durch den groBen Erfolg des Buchs . .Empire= von Negri/Hardt
mi t dem darin gefundenen Reviva l des Begr iffs der Mult itude a ls e inem
angemessenen neuen Modell, wie mit den politischen Widerspruchen der
eigenen Existenz umzugehen sei.
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vielen Halluzinationen der Hauptfigur stets auf, urnein Machtwort der
Wahrheit und desgesunden Menschenverstandes zu sprechen. Kurz:die
historische Rolle der afro-amerikanischen Musik und der afro-amerika-
nischen Kirche, Menschen zu heilen, die zunachst durch Sklaverei,spa-
ter durch eine rassistisch organisierte Gesellschaft psychische Schaden
genommen hatten, wird in der Serie explizit auf die Seelsorgeurn typi-
scheVertreter postmodemer Angestellten-Subjektivitat ubertragen.
Soul wird aber daruber hinaus zurn Nachfolger genau der Geste,mit
der man sein eigenes Verhaltniszur Welt zusammenfasst, zumTaschen-
tuch mit dem die Gestalten aus ..AllyMcBeal«winken. Oder nochmal
anders: Soul und der Gospelehor sind vielleicht auch so etwas wie ein
ersehntes Publikum das seineGesten sieht und beantwortet, ein idealer
imaginarer Gesellschaftskorper, mit dem Ally und ihre Kollegen gerne
kommunizieren wiirden, wenn sieihre je spezifischeLeerespiiren.
Warum gerade Soul?Warumhat eineKirche(und deren sakulareAble-
ger und Varianten), die die Subjektivitat von Gedemutigten versorgen
musste nun eine soleh zentrale Funktion in der Welt dieser ansonsten,
skrupellosen neoliberalen Rechtsanwalte? _
Nun die afro-amerikanische Theorie kennt seit W.E.B.DuBoISden
viel diskutierten Begriffdes »Double Consciousness«,und der hat weni-
- - -- Ged litigt n zu tun sondem realistischerger mit der Psychevon pnmar emu rzren zu cuu, _ ___- d S I I b Menschen die in - mindestens - zwei volhgmit em ee en e en von ,
- I b sind Double Consciousnessverschiedenen Welten zu e en gezwungen .
beschreibt nicht das Problem einer gespaltenen Personlichkeit, sondem
d - di . . di terschl -edlichenBewertungenund Reaktionenaufas emer, ie stan ig un _- - d daher in dem Bewusstsem lebt zugleiches Verhalten ausgesetzt ist un __- I D --b - d ie e ntweder unglucklich und neurotisch, oder sie
~ffi. ~~~s _ ..
nimmt diese Lagean und spieltmit ihrund erfindet noch em paar zusa~-
liche Rollen. Diese unterscheiden sich von dem ,.normalen«Rollensptel
desAlltags dadurch, dass siein ein Selbstbild eingefiigt werden miissen,
das nicht nur mit verschiedenen situationsspezifischen Rollen umzuge-
hen gelernt hat _ wie wir aile, die wir uns trotzdem immer vor dem Hin-
- - bil Ibn Der Double Conciousnesstergrund elmger sta I er nstanzen ewege - _
unterworfene Akteure konnten nie von der stabilen ReferenzernerNor-- __ bl C - - d ebenfalls als Chance, alsmahtat ausgehen. Dou e onsoousness Wlf _
-kunstlerische Kondition«, aber auch als permanenter Horror beschne-. - - Kit - t die emphatische Betonungben, Sein Gegentiber, sein omp emen IS
derAufgehobenheit in der Gemeinde, in Gott, istdieAnrufungvon Soul
, '
Diese mit dem Begriffder Multitude verbundenen Vorstellungensind
natiirlich nicht gleichzusetzen mit jenen ausder Verwechslungvon Norm
und Deskription entstandenen postmodemen Moralstrategien. Sie len-
ken aber den Blickdarauf, dass man nicht darum herumkommt, genauer
nach demWie derKoexistenzzu fragen,die allsolchenModellen gemein-
sam ist. Genauer gesagt: nach genau der politischen Dimension dieser
Koexistenz- und kognitive-Dissonanz-Modelle, nach der Politik der Ver-
knupfung und - wennman sowill- auch nach der Reintegration der abge-
spaltenen Teile.Vielleicht geht es auf symbolischer Ebene ja urn nichts
anderes: Ein Bild, ein Modell zu finden, das aus den bestehenden Sub-
jektivitatslagen einen neuen nonkonforrnen Zugang zu Politik und gesell-
schaftlicher Realitat wenigstens zu imaginieren in der Lageist. Das Ta-
schentuch lassenwir erstmal in derWasche.
EineTV-Serie,die die junge, zeitgenossischeAngestelltenkultur am schons-
ten und genauesten zu treffen scheint, ist »Al ly McBeal«.Ihr Erfolg liegt
genau darin, dass sie unausgesetzt darauf hinweist, dass die emotion ale
Integration der abgespaltenen Lebens- und Vorstellungsteile modemer
kognitiv dissonanter Praktiker sich fur die Betroffenen keineswegs er-
ubrigt, Abwesende integrativeInstanzen werden standig alsProblememp-funden. Sehr haufig kommt esin "Ally McBeal« daher zu Fallen von
Regression in friihere kindliche Vorstellungen von Ganz- und Geschlos-
senheit. Die Akteure und Akteurinnen haben aIle moglichen Marotten
und Ticks, siesind aberglaubisch, exzentrisch und wunderlich, wenn es
darum geht, sich als integrales Subjekt zu rekonstruieren. Es gibt aber
eine seltsame Instanz in »AllyMcbeal-, die die postmodernen Subjekte
immer wieder heilt und mit sich selbstversohnt - die afro-amerikanische
Kultur. Einer der Chefs der Anwaltskanzlei muss sich nur vor den Spie-
gel stellen und an die Musik von Barry White denken und wird sofort
wieder -er selbst-. Ally hat im Gerichtssaal eine Vision und der schwarze
Richter erscheint alsAl Green, und seine Rechtssprechung erhalt einen
Sinn. Hochzeiten und 'Iodesfallewerden generell nach afro-amerikanisch-
baptistischem Ritus begangen, Gospelchore treten sowohl real wiein den
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auch imWortsinn als Seele. Seele als die Formel fur die gottliche Bestimmt-
heit individueller Kontingenz.
Afro-amerikanisehe Religion kann man als Religion unter ersehwer-
ten Bedingungen beseh reiben - n ieht weil das Leid , das es zu kompen -
sieren gil t, gro&erware, sondem wei!die Klientel aus in einem ganz beson-
deren S inne wel te rfahrenen Subjekten bes teht , d ie die kul ture ll e Kon-
s truier thei t ihrer Personl ichkei t n ieht nur durehsehaut haben, sondem
damit st andig umgehen mii ssen. S ie sind a lso noeh aufgekla rte r a ls der
konvent ione ll aufgekla rt e Athei st , der Got t dureh den Mensehen erse tz t
hat. Die Afroamerikaner , das ist immer wieder gesag t wo rden , haben
immer schon e in pos tmodemes Bewuss ts ein, sind aber gle iehzei tig zum
Glauben berei t. Das erkennen wir bei "Ally MeBeal« wieder. Ally MeBeal
und ihr e Freunde sind aueh zum Glauben bereit, aber eigen tlieh nur an
das Zita t e ines Glaubens, e ines Glaubens - und da ble iben sieh die Bea l-
Mensehen ganz authentiseh selbst treu -, der hip ist und mit dem man
niehts falseh maehen kann, in keinem der vielen und widerspri iehliehen
Kontexte.
Man konnte sieh natiirlich versueht fiihlen, in genau solchen Pha-
nomenen des Religiosen und Sekundar-Religiosen den Nonkonformis-
mus zum Konformisms des normal-gespalten-zynisehen Bewusstseins zu
erkennen. Eswiirde aueh gut etwa zu zeitgenossischen Diskurskonstella-
t ionen passen wie der sel tsamen Allianz von Katholiken und Linken unter
den gegenwart igen Gegnem der Gen- und Reproduktionsteehnologien,
zu dem viel verwendeten Bonmot vom Papst als letztem Antikapital is ten
oder zu der Verbrei tung esote ri seher Ideengebi lde unter so genannten
Globa li si erungsgegnem, aber aueh zur Freundsehaft von Jan Delay und
Xavier Naidoo.
Aber aueh diese Beschr eibung hat ein en Haken. Sie nimmt den the-
rapeutischen Effekt der Religion und ihre Nahe zu der psyehologischenFunktion, die Welterklarungsmodelle immer schon hatten, unabhangig
von ihrer Riehtigkeit fiiJ:den welterklarerischen Gehalt dieser neuen Alli-
anzen von Linken und Glaubigen oder von Gospel und Postmodeme.
Tatsachlich aber ist die polit isehe Q!1alitat einer anderen, nieht zynisehen
Verkntipfung oder Integrationsmethode nieht allein oder womoglich gar
nieht an ihren psyehologis ehen Effekten zu messen. Die pol iti sehe Qua-
l itat lage, wenn man sie nieht nur strategiseh in Mobil is ierungseffekten
er kennen will, doeh wohl dar in , wie so ein alternatives Modell mit d er
Tatsaehe umgeht, dass die Subiekte schon alles t iber s ieh wissen, dass man
ihnen niehts Neues mehr e rzahlen kann, dass Verona Fe ldbuseh vie l k la -
rer selbstexplikativ als Alice Schwarzer erzahlen kann, wie sie funktio-
niert.
Verona Feldbuseh weiB aIles t iber s ieh, aber niehts t iber den Zusam-
menhang, in den sie so gut passt . Schwarzer weill aIles t iber diesen Zusam-
menhang, aber nieht s tibe r Leute , d ie so genau wis sen, wie s ie funktio-
nieren aus welchen Teilen sie in welchem Verhaltnis zusammengesetzt
s ind. S ie weiB nieht oder ber ii eksi ehtigt n ieht, das s man denen nieht s
sagen kann, weil s ie das ult imative Naheverhaltnis ihres objektiven Pak-
t enwissens und ihrer a ffektiven und psyehisehen S truktur st andig e rl e-
ben: als Umgang mit s ieh selbst. Dass dieser Umgang mit s ieh selb.staber
e iner i st , der wie der Umgang mit e iner objektiven Sache, t iber die man
Kenntnisse haben kann, funktioniert, ist die aktuelle Stufe des guten alten
kapitalistisehen Verdingliehungsprozesses - die Stufe, tiber die man offen-
s ieht li eh nieht mehr mit den Bet roffenen spreehen kann, wei l si eeseben
. .. h h b it .. n und teils bereitsind auehschon wissen well sre aue noe erei ware '. ' . . hne si u verbinden mit dem Teil, fur
diese Erkenntnis zu akzepneren.0
ne sre zden sie gedaeht i st . - Ich bin doeh das Weibehen«, sagt Verona.
. Vergle iehbare Zus tande s ind unter anderen Vorze iehen und anderen
. d L' hi bekannt nur eben nieht al sVerbreitungsgraden aus er Iteratur wo ,
. . d D dvi mus nahe Erseheinung, undMassenphanomen. Es ist erne em an YIS .
.. h h ft beh d It worden Nl'etzsches Vorsehlag vom akti-sie i st aue se on 0" an e « .. . . I der Allys zitierter Gospelgebor-
ven Vergessen ist nur emer von vie en, .. • =L I' h i Akti esVergessen bnngt aber besten-
genhe it gar nicht so unann ic ist. IV
. d G fuhl allergroBter Nahe und umfas-falls emen Neuanfang. Gegen as e
. di "'T I hilft b keine Regression sondern nursenden Wlssens t iber ie we t I a er ,
d D . d' W' dureh die Erfahrung des e igenen Niehtwis-as ementi ieses rssens Ii
..b di .. 0 u"ber die eigentl ieh ob;ektive Dimension von Welt.sens u er ie ausere,
~ . , .
~l'~\!!.._-,-."./
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Ein solches Aufschl ie8en der ansons ten in ihren solips is ti schen Selbs t-
verha ltni ss en schon das GefUhl von Objektivi ta t e rl ebenden Subjekte
kann es nu r durch ex teme Orien tier ungen geben. Du rch die Erf ahrung
von Zusammenhangen, die innen nur als Paranoia bekannt sind: die
Anwendung der aus dem objektivierten Innen bekannten Verknupfungs-regeln auf die auBere Welt . Wie aber macht das jemand, der s ich a ls Mul -
titude kennt?
Es i st kein Wunder , dass wir neue Subjektmode lle sei t den Neunzi -
gem n icht mehr in erster Linie durch neue Pop -Musik oder Kunst, son-
dem durch Fernsehse ri en kennenlernen und beschreiben. Diese Ser ien
s ind nicht nur durch bes timmte verbrei te te neue Formen e iner mit kogni -
tiver Dissonanz souveran jonglierenden alltagsdandyistischen Angestell-
tensubjektivi tat auffall ig, s ie folgen auch bestimmten Regeln, die man fiir
formatbedingt halten kann, aber die auch konstitut iv fii r die Plausibil itat
gerade dieser Bewusstseinstypen sind. Viel Studiodreh, wiederholte und
meist kleine Innenraume, Stadtlandschaften, die meist zu stereotyopen
Establishing Shots gerinnen - all das macht die Welt sehr klein. Die GroBe
und Widerspri .ichl ichkei t d iese r neuen urbanen Innenwelt en kann nur
uberleben, weil die AuBenweit in allen Aspekten auf wenige zusammen-
fassende S te reotypen zusammenschnurrt und jeder wei te re Kontakt a ls
psychotisch, angstbesetzt oder anderweit ig verhangnisvoll erlebt wird.
Auch wenn man dari. iber lachen und die eigene soziale Unfahigkeit erfolg-
reich zur vielschichtigen narziss tischen Personlichkeit schlagen kann.
Noch mehr als fiir "Ally Mcbeal- gilt das f ur das Quartett in -Sein -
feld« , der e rfolgrei chsten US-amer ikanis chen Ser ie der Neunz iger : Fur
eine Freizei tgemeinschaft, der jeder Ausbruch aus ihrem sozialen Gefang-
nis zum Desaster gerat , In der letzten Foige treten aileVertreter der AuBen-
wel t vor Gericht auf und rechnen mit den angeklagten »Se infe ld .-Cha-
rakteren ab, deren solipsist isch-episodenhaftes Stolpem durch ein zu Stu-
diose tt ings geschrumpf tes klaus trophobes New York von Kar ikaturen
reduz ie rt er funky Bassf iguren zusammengehal ten wird, e iner noch sehr
viel weiter zugespitzten Schwundstufe afro-amerikanischer Musik als je
ein Gospelchor oder ein Barry-White- oder Aretha-Franklin-Auftrit t bei
-Ally McBeal«.
Doch gibt es in diesen engen, berei ts a rchi tektonisch und ges ta lt e-
risch zum Solipsism us einladenden Welten eine In stanz, die Heilung
anbietet, Heilung in Form einer organis ierten Reintegration von Person-
Iichkeits teilen. Eine Therapie, die als Fernziel zu versprechen scheint , die
'1~· .
22
Macken und Marotten wieder an dieUntersti.itzung einer gerechten Sac~e
anzuschliefsen (und damit auch die Rekonstruktion des Nonk~nfo~ls ,, -
mus, des sen durch die Gegend gewirbe lt e Einze lt ei le heute .dl e Person-
. I . . ). Diese Instanz 1Steben dasl ichkei ten des Senenpersona s ty ranmsleren .
Gericht. Und anders als die "Seinfeld.-Charaktere sind die ,.AllyM~Be~«-
. d G . h dem des sen Gestalter, sre sindFiguren mcht nur Opfer es enc ts, son
Anwalte. I . dMoral und generel l die Bewertbarkeit menschlichen Hande ns Wlr
. d I· D· Akteure st ehen ihren Lebens-an Exper ten und Zustandige e egrer t. ie .
d ich ni h ts n allein ver steht. Die Quellewel ten so f remd gegenuber , a ss 51 me vo .. .
der Komik i st sehr oft d ie Nicht igke it oder F luchugke lt des vo~ Gencht
..I· h . It auch in diese Ausweitung derverhandelten Gegenstands. Natur IC spie .
. . Gedanke hinein: Alles 1StVerhandlungszone ein genulD progresslver
b b di k ti bar und las· ·t s ich in e ine poli ti sche Forderung ver -enenn ar, IS ut er .. . d h will fuhrt am besten emen
wandeln. Wer etwas pohtlsch urc setzen , .. .. . Ri h Anwalten Sachverstandl-
Musterprozess. Die DiskusslOn mit c tern, . ' .
I h·· ist eine VersIOn v on: -Das Pri-gen und gelegentlich auch Gospe cnoren .
. hd olitische Handeln einer Sortevate ist politisch «. Es ist aber auc as P ... hli h
. . d k lexe in sich wlderspruc IC eSuperindividualisten, die m erart omp . ' .
ih kei AuBenmanagement mehr gehngt.Personen zer fa ll en sind , das s I nen em
. . . d am besten nach den genauen,Es muss umstandlich orgamslert wer en, . .
die ei Prozess vor Gencht auszelChnen.risikoarmen Verfahrensregeln, ie emen
Einspruch! Warte mal! Moment! .".. ch a I dem heutigen Stand der DesmtegratlOn etwa
AnwaIte entspre en so "df der einen und Komrmssare auf er
so wie Abenteurer und Gangster au "
d Sit d Zustand der Welt zu Zeiten des alten Nonkonfo rmls-
an eren ei e em " ·" Bmus. Das Ger icht aber i st e in inviele rl ei Hinsicht besonders zel tgema er
O Z. " d in den Verhandlungen in »Ally MeBeal« jenes als
rt. urn einen Wlr " II
I"" h kl ierte Private oft bis zur Groteske gesteigert als a ge-
po ItiSC pro ami fab"• "NT ". glieh dargestellt und so er st wieder anschluss I g
rnernen wer ten zugan c . ·"t ode ll en" . d hi denen Nonkomormlta sm
an AuBenwelten. Die m en verse ie li
Gh " keitsid ee entweicht au s den so rp-
(asthetisch) eingeschlossene eree tlg ". " I gl " h-"" d ch die rivaten VerhaItmsse a s eic
sistischen Selbsten und irrlichtert ur p irft si h ih handelt mit
IMan unterwl SIC I r,
zeitig f remde wie vertraute nstanz. "T UU-" . im Umgang mit der von racey
ih r oder zweifelt sie an - ganz so Wle
man dargestellten Analytikerin. "
be
. t das Gericht a ls das bes se re Par lament e rne ver -
Zum anderen a r IS " di... di~ US_Burgerrechtsbewegung und darnit an reschut te te Ennnerung an
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Hochzeit des NoKo. An aile ihre Erfolge (Gleichstel lung der Afro-Ame-
rikaner, Legalis ierung der Abtreibung etc.) erinnert man sich in Amerika
unte r den Namen von Ger icht surte il en (Roe vs. Wade , Brown vs. Board
of Education etc.). Oft hat man das Gefuhl, dass diese entkoppelten
Anwal tspsychen sich erhoffen , gegen sich se lbst und gegen ihre Subjek-
t iv it at sformen obers te Urtei le zu erwi rken, d ie zur Re integrat ion zwin-
gen - sei es zum handlungs fahigen, normal en bii rger li chen Subjekt, se i
es zur nonkonformist is chen Person, d ie ihre Macken wieder mit deren
pol iti schen Gri inden verkniipfen kann. Dieses groteske Ger icht i st d ie
Antwo rt au f den Wunsch nach einer Synthese aus Parlamen t und Psy-
choanalyse . Hier soli d ie pol it is che wie psychologi sche Anamnese der
Genese stattfinden.
Das Elend pol it is ch handlungsunfahig oder nur zynisch handlungs-
fah ig gewordener Subjekte lasst sich also nur dur ch den Gewinn einer
Dimension der Erfahrung bekampfen, Erfahrung in e iner fur diese F igu-
ren angemessenen Weise , a lso so, das s si e nicht e infach nur etwas Neues
lernen. Denn wis sen tun s ie j a schon aUes. Alles? Al les i iber s ich, abernichts i iber die Objekte als -objektive« Objekte. Diese Schri tte miiss ten
so organis ie rt s ein, dass si e unbedingt das e igene Mil ieu ver lassen. Die
alte Castro-Idee der erzwungenen Milieuwechsel fal lt einem ein als Weg
in die Welt jenseits der Produktion von rein konform-nonkonformer,
marktformiger Subjekrivirat.
Das bedeutet aber auch, dass keine Geste, die nur »wir«sagt - wir Non-
konformen e twa - und mit d iesem Wir auf exi st ie rende Gemeinsamkei -
t en verweist , e ine e twaige neue oder t at sachli che Nonkonformitat mei -
nen kann. Dies miisste eher ein Wir sein, wenn denn iib erhaupt ein sol-
ches, das genau die Dist anzie rung von der Distanz mitvollz ieht , d ie im
Milieuwechsel und anderen womoglich gewaltsam herbeigefuhrten Akten
der Erfahrung steckt. Vielleicht ist gerade das Bild von einem ewigen Pro-zes s, e iner Ger icht sverhandlung urn Dinge des Al lt ags, urn die Nahe zu
Objekten wirkl ich t re ffend fur so e in Durcharbei ten zur Wirkl ichkei t,
eine fur Rekonstruktion, eine Anamnese der Zerfallsgenese der aktuellen
Formen von Subjektivitat - und sogar ihrer Vorteile und Errungenschaf-
ten. Vielleicht lasst s ich Erfahrung angemessen tatsachlich im miihsel ig
komischen, auch peinl ichen Modus des Gerichtsverfahrens organis ieren,
denn schlieGlich stell t das Gerichtsverfahren gegen und rund urn Gefuhle
und poe ti sche Empfindungen Hohepunkt wie Aufhebung des exi st en-
zialist ischen Nonkonformismus dar. Es versucht einerseits das Nichtob-
jektivierbare der Erfahrung tatsachlich zu objektivieren und zu regulie-
ren andererseits bringt esden auch noch soIdeinen und schwachen Regun-
ge~ die groBtmogliche Aufmerksamkeit und Emsthaftigkeit ~~gege~. Es
entreiBt dem Existenzialisten und erfahrungsversessenen IndiV1duallst~n
dessen wertvoUste private Besitzt iimer und sozialisiert s ie, bewertet s ie,
stellt ihre Anschlussfahigkeit her. . .
Dann wiederum kann diese miihselige Reintegration erfahru~~sfahl-
ktieil
inderger Subjekte ja schon a ll eine deswegen nicht fun .t lOmere.n, wZeit, in der s ie miihsel ig herbeigefuhrt wird, Geschlchte weitergeht, ohne
den Subjekten frei zu geben, ohne die Verhiil tnisse auBer Kraft .zu s~tzen,
. fuh h b Vi Ileicht ist also diese idealedie zu ihrer Desintegration ge rt a en. ie .Il ein Bild fur den ewigenamerikanische Gerichtsverhandlung vor a em .
d Pfl i h t s eine AuBense lt e zu ver -Traum davon, frei zu werden von er rent, . .. ., G e t der Nega tion , se t esa lsAnpas-
teidigen und zu definieren, sei es m s en h .. . al Zeit hat, a lles noc em-
sung oder Konkurrenz, dafur dass man emm . I d.. k" nach vernunftigen Rege n unmal genau sagen und horen zu onnen,
. . ild fu d Umgang mit den Erfahrungs-mit vernunftigen Leuten, em Bi r en d ..
. kti . .. hi fur den angemessenen un wur-triimmem unserer Subje nvitat: sowo h .
di d U it den Friichten ihrer Feinfuhligkeit, Zerstreut eitigen en mgang m .,. n diese wenn notigund Widerspr ii chlichkeit , w ie auch fur die Bemiihu_n.g~, F" d Bauen
. ichkei fuhren zu p ohttsleren. ur aszu reintegrieren, zur Wrrkh ert zu runreu, .. k h. . . h ines dauerhaften Fiihrver e rs
von Motorbooten, das die Einric tung e
zwischen Ozeandampfer und Inse! ermoglicht.
4
.' deine Idee seiner politischen Umset-Aber selbst wenn dieses Bild ugen. h II t" dig Unge-
.. bl ibt es rmmer noc unvo san.
zung nach sich ziehen konnte, el ._.. . . am Ende mit wem durch Geste oder Kommumklart bleibt dabei, wer bl h k muniziert.
h . Ze i n des Pro ems noc omkationsabbruch oder durc em 1ge J: hort?
k . rt NonkofiIormlsten zu 0 .NT . d Ge "be das dem re onstrure enwer ist as genu r, .' ht Al
) Wer konnte das sein, wenn rueWer teilt seine neuen Erfahrungen. .. h) Wieder nur
I . d zur Verfugung ste en.Green oder eine Gospe gemem e . de konkrete
I·' hi d er Gedanke, gegen Ieirgendein Vater? Idea Iter rst es wo . Zei d ck Verfahren
. . .. d ih Z - ge und ihren It ru, •okonomische Reali tat un 1 re wan
zu install ieren, die Zeit schaffen und in letzter Instanz Gerechtigkeit jen-
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seits der Okonomie durchsetzen.
Doch mit wem streiten wir un s urn drei? Wenn es ein Gericht ist, d as
die Verbindungen von Erfahrungen und Begr if f- reorgani si er t, dann i st
auch der Rechtss taa t n icht fern. In seine r ganzenPracht, schi ll emd zwi -
schen Phantasma und Propaganda-Objekt, indes sen Namen a ll es mog-
l icl8i legit im ist , st andig bedroht aber auch begehrt a ls womogli ch let z-
t er l inker Bezugspunkt f li r einen Durchbruch zur Realpolit ik , a ls S tar t-
rampe der Democratie a venir , d ie j a auch bei Derrida , ihrem Erf inder,
geme an intemationale GerichtshOfe gebunden ist , an die Definit ion und
Verfolgung von Volkerrecht und Verbrechen gegen die Menschlichkeitetwa.
Inder Regel i st der Zuhorer aber e twas, das wei t s chlimmer i st a ls nur
so ein alter phantasmatischer Vater wie der Rechtss taat , namlich vielmehr
eine Modeme, die nicht nur das Privi leg, Zeit fli r die Rekonstruktion eige-
ner Werte aufwenden zu konnen, immer geiziger verwaltet , sondem auch
immer groBeren Teilen der Bevolkerung das Privi leg entzieht oder zu ent-
ziehen droht, sich die eigene Desintegr ation von auBen, wie in einer
Gerichtsverhandlung, anzuschauen. Die altmodische Repression ist zuriick
und verschont auch die Handler von Ich-Akt ien nicht mehr. E s gibt keine
langen Studienzeiten mehr, keine experimentellen Lebensformen und keine
grofle Unterbrechungen und Pausen. Auch der le tz te Aussteige r hat s ich
langst von den Reiseseiten des stem zuriickgezogen. Zeit und Aufwand fur
die Pflege des Narzissmus geht schlieBlich auch denen aus, die ihn immer-
hin schon als Ressource entdeckt haben. Ego issell ing, but who's buying?
Die eingangs e rwahnten Diagnosen von Zizek, Senne t und anderen
lassen sich nicht davon trennen, dass selbst eine Selbstverwirklichung zu
kommerz ie ll en Zwecken immer noch mehr mit dem al ten nonkonfor -
m istischen Modell zu tun hatte und mobilisier en konnte als d ie auf der
Riickseite der kommerzialisierten Nonkonformismen entstandenen neuen
Imperat ive der Selbstdiszipl inierung an Arbeitsplatzen und anderswo.
Moglicherweise wirdeinem jetzt auch klar, dass in diesem Angestell ten-
dandyi smus doch mehr von den wer tvol len Bestandte il en des bii rger li-
chen Utopismus und Hedonismus aufbewahrt war, als esdiel inken Aggres-
sionen und Analysen der Neunziger gegen die verantwortungslosen Hyper-
indiv idua li st en und Selbstve rmarkte r mitbekommen wol lt en . Diese
Aggres sion war dagegen auch e in Symptom der Desintegra tion, d ie man
nur bei den anderen erkennen wol lte . Wenn der Dandy und der Moral ist
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h . be i beiden etwas schief gelaufen.s ich a ls Gegner gegeniibe rs te en, 1St ei ....
., II "h"It' sen konnen sie muhelos mit-Unter gesunden opposl tlOne en ver a ms
einander verschmelzen. (Doch kann esdie geben?)
di . I" g erfreut sich auch offenePassend zu e iner neuen Selbst ISZIPmierun , .
. b hei N' ht erst seit den Anschlagen in denRepression steigender Belie t eit. IC .
. . . I" h K zepte wieder hoffahig. InUSA sind rabiatere, slcherheltspo ItiSC e on ..
den USA sitzen schon langer fastzwei Prozent der Bevolkerung un G~:ang-
. dei F m von staathcher Uber-nis f ast funfProzen t stehen un ter irgen erner or
'h d k II Abbau von Biirgerrechten ist weitreichend. Undwac ung - er a tue e .
i ch brauche wohl gar nicht e rst d ie Namen Schil l und Schily zu n~nnen,
h di d t he Begeisterung fur die Riickkehr zur Rep ression zuurn auc te eu sc . I' . h
E h s rund des existenzia IStiSC enillustrieren. So ware der alte ntste ung g .
N k forrni narnlich Repression und Erfahrungsverhmderungon on orrmsmus, . 1d
durch kultu relle und legale No rmen n ich t nu r noch da, sonde~ im .ren .
WI h t nkonformist isch exi st enzie ll e Erfahrungen mit pol it ischerwer eu e no gk . Z ar
Ob jektivitat machen wollte, harte also gar keine Schwieri elten:. w
.' I h Trend ben ennen, romanttslerensind Lebensformen, die emen so c en .
. .' S' ht Aber man hatte die Chance,oder ritualisieren, mcht unbedingt m IC .
~
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die existenzielle Dimension des Politisehen uberall da wiederzuentdecken,
wo Repression aueh als Dementi einer letzten Endes wohlwollenden Tole-
ranz gegeniiber anderen Lebensformen funktioniert. Einer Toleranz, wie
si evie ll ei eht in den S iebz igem und Aehtz igem manchmal aueh die Main-
stream-Kultur pragte, wo Repression etwas Bestimmtes verbietet, was einst
erlaubt war oder das erlaubt sein soIIte. Dies ist durehaus wieder moglich.
Gerade auch in einer Gegenuberstel lung neuester Repression mit den Neun-
zigem und den Freuden ihrer durehgeknallten Konsumkultur.
Doeh lassen s ieh diese Erfahrungen nieht mehr ohne weit eres in e in
- utopist isehes - Bild erwiinsehter Verhaltnisse eintragen. Die sobesehrie-
benen Nonkon formisten maehen ihre Erfah rung ex negativo. Es folgt
nieht direkt etwas aus ihnen, auBer Gegnersehaft. Und diese Gegnersehaft
si eht, wo man s ie noeh f inde t, s ei tJahrzehnten gle ieh aus , bringt d ie gle i-
chen Umgangsformen, Traume und sonstige Produktionen hervor, seheint
s ieh nieht zu entwickeln, n ieht zu lemen. Yom Hauserkampfsr zum Glo-
bal is ie rungsgegner hat s ieh nieht so vie l verandert - was die S trahlkra ft
auf den Rest der Gesel ls ehaf t bet ri ff t. D ie ewigen Fr ii ehte des Zoms, der
ewige Punk, die ewige sehleehte Laune . Die Ges ten s ind nieht mehr aus
den Erfahrungen gewonnen, d ie e in kri ti seher Theoret iker mit dem Ver-
haltnis von Begr if fen zu r Welt und der Ver stand igung gemaeht hat, sie
s ind auf dem existenzial is tisehen Level fes tgefroren. Ihnen sind die Asthe-
t ik und deren pol it iseher Grund ver loren gegangen, d ie ganz bei den Ieh-
Aktionaren gelandet ist .
Gegen die Trost losigkeit, mit der Erfahrungen heute gemaeht werden,
ware genau danaeh zu fragen , was wem verboten ist und welche Selb st-
verwirkIiehungen das flexible untemehmerisehe Subjekt unter neolibe-
ralen Bedingungen in Angriff zu nehmen ermuntert bis gezwungen wurde
- und welche nieht. Der Befund von einer relativen Unordnung der
Lebensform und der geschmaekliehen Avaneiertheit von Personen, deren
beruf li che und pol it isehe Produkt ion eher konse rvativ i st , b le ib t zu for -
mal und ist nur etwaswer t, wenn erauf das spezi fi sehe Management e in-geht, mit dem zum Beispiel abgespaltene Personlichkeits teile und Wert-
spharen auf einander bez~n werden, welches Integrationsmanagement
also hemeh t -wenn revolu~are Kiin stler etwa WesterweIIe zum Bun -
deskanzler machen wollten.
Wir haben gesehen , dass weder die kogn itive Dissonanz per se p ro-
gressiv noch das Einfordem von Konsequenz in der Subjektorganisation
per se reaktionar i st. Ebenso wenig s ind F1exibi li smus und Nonkonfor -
mismus notwendig an best immte Inhal te gebunden. Heide sind in erst er
Linie formale und st ruktureI Ie Befunde , d ie s ich geme von Formen der
Wirtsehaftsorganisation ablei ten und entsprechend zu deren Formalis-
men a ls har te und nieht h in te rgehbare Bedingungen ihrer Inhal te zuver-
s tehen waren, Dem ist aber nieht notwendig so. Waht is t aUerdings, dass
die jeweilige Strenge oder Loekerheit in der Verarbeitung des jeweiligen
Erfahrungsmaterials schon fUrModali taten verantwortl ieh ist , die auf die
entspreehenden Inhalte abfarben. Wer also unter noch so gouvememen-
tal organis ierten Bedingungen okonomisierter Freihei t eine Loekerheit
erfahrt aueh wenn sie sieh noeh so sehr als eine falsehe Freihei t, als "Frei-
hei t der Laborratte«, erweisen sollte, kennt trotzdem einen anderen und
der i . G fl· i s des Au-weiteren Erfahrungsmodus als der, er rmrner im e angn
thent iz ismus und der Repression si tz t. D iese Erfahrungstei le aber,. so
wiirde ieh wornoglich unzulassig optimistiseh folgern, s ind potenziel l
aueh immer wieder mehr als nur Indikatoren von Privi legien. Grundsatz-
l ieh s ind sie Rezeptoren , d ie potenziel l aueh f ii r a lle s andere offen s in~.
.. lbstversta dli h . h t Riiekkehr heiBen. DieReintegration kann se stverstan rc me
-Geste« ist nat ii rl ieh kein absoluter Ursprung. Ihr Verfall ist nieht nur Ver-
. .. N k f .smus in der Naehfolge desfall. Dass es emen popularen on on o rrm .. ..
i nt el lektuel len geben konnte, war e ine histor iseh womogheh smgulare
. . B .ff, und die aus gerade noehErscheinung. Dass die -Geste aus egn en« .,
nieht zum Begriff gelangten VorsteIIungen einander ahnlich sahen, war
vie ll ei eht e in Zufal l. Ent standen war diese KonsteI Iat ion aus dem pr~-
. d di .. pubertaren Note und dieduk tiv en Missverstandnis. ass ie eigenen
.. ... h d er auf derselben Ebene ver-Emanzipation und die Burgerree te an er
hande lt werden konnen. Dass Pol it ik , d ie man gar nieht verst eh~n m~ss ,
. G . d der aus man elgenthehauf emer pubertaren Ebene zur este Wlr ,von . .
d D· . An ·f f hmen will Doeh diese Kette von Projektio-
an ere inge In gn ne· .. ... d . d Hoffnungen hatte eme
nen und Obertragungen, MIssverstan mssen un . .
sehr lange Naehwirkung, hinterl ieB Reali tat aller Art . Sei t ungefahr zehn
Jah .t i
ah 1·h dif fuse r Weise an die Stel le der l angsam weggefade-ren IS man ic . di P . kten Pol it ik die Teehnologie getret en , das Image , das Gesleht, i e rojex-
t ion von Teehnologie . Die rea len und phantasi er ten Statusw~ehse l und
. k d Obi kten der Umbau ihrer Kon--versehiebungen von Subje ten un Je , .
s truktion die an diesen Techno-Images hangen, all das enthalt noeh immer
, .. I· h V i .. d ng mit der der GeseII-Spuren der alten Idee, dass person ic e eran eru . _ .
. . . T o hn Imagmare em-sehaf t ver bunden ist _ der Nonkonfo rmlst ist ms ec 0-
gespeist.
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Nur i st e r inmit ten der Infospharen unversehenszum Nichtwissen-
den geworden. Er weiB nicht wie sein exi st enzial is ti scher Urahn bes se r,
weil er mehr erlebt, sondem immer weniger, obwohl er v iele Inf os hat.
Er ist aufGnostik und Agnostik, auf Paranoia und Intui tion, auf Verschwo-
rungstheor ien angewiesen . Dennoch drangt es immer wieder Leute zum
Handeln, zur Polit ik, zur Bewegung, der Schri tt wird vollzogen, das Modell
rekonst ru ie rt . Nur , das s es jet zt n icht mehr vorn bes se ren Wissen - in der
e rs ten Fassung der Begri ffe, in der zweiten der Erfahrung - aus dem vor-
beifahrenden Schiff zuwinkt , sondem im Schiff s itzend, verzweifelt Aus-
schau hal t, ob da nicht irgendwo eine Inse l i st oder gar e iner , der winkt .
III1f
, Alex Dernirovic, -Der nonkonformist ische Intel lektuelle«, Frankfun '999
1 Adorno an Hcrkheimer, 21 August ' 94 ', in : Max Hork he irn er , G esammdt e S ch rif te n,
B d . ' 7 , S . ' 53
1Demirovic, S. 51
•Slavoj Zizek, »Die Tucke des Subjekts «. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2001.
D a nk a n d ie A u ft ra gg eb er / ru he re r V er si on en : R o be rt S ch m id t ( Be rl in ), U lf W ug -
g en ig ( Lu ne bu rg ), O li a L ia li na u nd F lo ri an S ch ne id er ( ma ke -w or ld , M un ch en )
. -I. . .
•-
Diedrich Diederichsen, geboren 1957 in Hamburg,
lebt inBerlin. Er lehrt in Stuttgart und Pasad~na
d war Herausgeber der Zeitschrift Spex. Er 1St~ 'h' htAutor zahlreicher Bucher, u.a. »Frel eitmac arm~
,.Politische Korrekturen« und -Der lange Weg nac
Mine-. Zuletzt erschien »2000 Schallplatt.en von
1979 bis 1999" im Verlag Kiepenheuer &Wltsch.
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Nun [altm Sit entlang emergtdachlt1l 'Vtrlilutlm Mil/tlJi"it dir linkt Hii!fit
nadr binten: Sit bal tm tin Itkin" Biehlei" i1l t i e r Hand. ],lzi "'IT noch dit gt,chlo",nt1l
Kantm recbtsund obenmil tintm ,charfin MmtT alljschntidm. Ferlig.