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Spätstil (1) Vom letzten Beethoven gibt es höchst »ausdruckslose«, di- stanzierte Gebilde; darum mochte man von seinem Stil ebensogern auf neue, polyphonisch-objektive Konstruktion schließen wie aufjenes rücksichtslos Persönliche. Seine Zer- rissenheit ist nicht stets die von Todesentschluß und dämo- nischem Humor, sondern oftmals rätselhaft schlechthin, fühlbar in Stücken heiteren, selbst idyllischen Tones. Der unsinnliche Geist meidet nicht Vortragsbezeichnungen wie »Cantabile e cornpiacevole« oder »Andante amabile«, Kei- nesfalls ist seiner Haltung das Cliche »Subjektivismus« plan zugeordnet. Wirkt doch in Beethovens Musik insgesamt Subjektivität, ganz im Sinne der Kantischen, nicht sowohl formdurchbrechend denn ursprünglich formerzeugend. Da- für mag exemplarisch die Appassionata einstehen: gewiß dichter, geschlossener, »harrnonischer« als die letzten Quar- tette, aber um ebenso vieles auch subjektiver, autonomer, spontaner. Trotzdem behaupten diese letzten Werke vor ihr den Vorrang ihres Geheimnisses. Wo ist es gelegen? Zur Revision der Auffassung vom Spätstil könnte allein die technische Analyse der in Rede stehenden Werke verhel- fen. Sie hätte sich vorab an einer Eigentümlichkeit zu orien- tieren, die von der landläufigen Auffassung geflissentlich übersehen wird: der Rolle der Konventionen. Die ist beim alten Goethe, beim alten Stifter bekannt; ebensowohl aber bei Beethoven als dem vorgeblichen Repräsentanten radikal persönlicher Haltung festzustellen. Damit schärft sich die Frage. Denn keine Konventionen zu dulden, die unvermeid- lichen umzuschmelzen nach dem Drang des Ausdrucks ist das erste Gebot jeglicher »subjektivistischen« Verfahrungs- weise. So hat gerade der mittlere Beethoven die herkömmli- chen Begleitfiguren durch Bildung latenter Mittelstimmen, durch ihren Rhythmus, ihre Spannung und welches Mittel auch immer in die subjektive Dynamik hineingezogen und nach seiner Intention verwandelt, wo er sienicht gar - wie im ersten Satz der Fünften Symphonie - aus der thematischen Substanz selber entwickelt und kraft deren Einmaligkeit der Text 3: SPÄTSTlL BEETHOVENS Die Reife der Spätwerke bedeutender Künstler gleicht nicht der von Früchten. Sie sind gemeinhin nicht rund, sondern durchfurcht, gar zerrissen; sie pflegen der Süße zu entraten und weigern sich herb, stachlig dem bloßen Schmecken; es fehlt ihnen alljene Harmonie, welche die klassizistische Äs- thetik vom Kunstwerk zu fordern gewohnt ist,230und von Geschichte zeigen sie mehr die Spur als von Wachstum. Die übliche Ansicht pflegt das damit zu erklären, daß sie Pro- dukte der rücksichtslos sich bekundenden Subjektivität oder lieber noch »Persönlichkeit« seien, die da um des Ausdrucks ihrer selbst willen das Rund der Form durchbreche, die Har- monie wende zur Dissonanz ihres Leidens, den sinnlichen Reiz verschmähe kraft der Selbstherrlichkeit freigesetzten Geistes. Damit wird das Spätwerk an den Rand von Kunst verwiesen und dem Dokument angenähert; tatsächlich pflegt denn auch bei Erörterungen über den letzten Beethoven der Hinweis auf Biographie und Schicksal selten zu fehlen. Es ist, als wolle angesichts der Würde menschlichen Todes die Kunsttheorie ihres Rechtes sich begeben und vor der Wirk- lichkeit abdanken. Nicht anders kann verstanden werden, daß man an der Unzulänglichkeit jener Betrachtungsweise kaum je ernstlich Anstoß genommen hat. Die erweist sich, sobald man anstatt der psychologischen Herkunft das Gebilde selber im Auge behält. Denn dessen Formgesetz gilt es zu erkennen, wofern man nicht die Grenzlinie zum Dokument überschreiten mag - jenseits von welcher dann freilich jedes Konversationsheft Beethovens mehr zu bedeuten hätte als das cis-molI-Quar- tett. Das Formgesetz der Spätwerke ist aber jedenfalls von der Art, daß sie nicht im Begriff des Ausdrucks aufgehen. 180 181

Adorno Spätstil Beethovens

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  • Sptstil (1) Vom letzten Beethoven gibt es hchst ausdruckslose, di-stanzierte Gebilde; darum mochte man von seinem Stilebensogern auf neue, polyphonisch-objektive Konstruktionschlieen wie auf jenes rcksichtslos Persnliche. Seine Zer-rissenheit ist nicht stets die von Todesentschlu und dmo-nischem Humor, sondern oftmals rtselhaft schlechthin,fhlbar in Stcken heiteren, selbst idyllischen Tones. Derunsinnliche Geist meidet nicht Vortragsbezeichnungen wieCantabile e cornpiacevole oder Andante amabile, Kei-nesfalls ist seiner Haltung das Cliche Subjektivismus planzugeordnet. Wirkt doch in Beethovens Musik insgesamtSubjektivitt, ganz im Sinne der Kantischen, nicht sowohlformdurchbrechend denn ursprnglich formerzeugend. Da-fr mag exemplarisch die Appassionata einstehen: gewidichter, geschlossener, harrnonischer als die letzten Quar-tette, aber um ebenso vieles auch subjektiver, autonomer,spontaner. Trotzdem behaupten diese letzten Werke vor ihrden Vorrang ihres Geheimnisses. Wo ist es gelegen?Zur Revision der Auffassung vom Sptstil knnte allein

    die technische Analyse der in Rede stehenden Werke verhel-fen. Sie htte sich vorab an einer Eigentmlichkeit zu orien-tieren, die von der landlufigen Auffassung geflissentlichbersehen wird: der Rolle der Konventionen. Die ist beimalten Goethe, beim alten Stifter bekannt; ebensowohl aberbei Beethoven als dem vorgeblichen Reprsentanten radikalpersnlicher Haltung festzustellen. Damit schrft sich dieFrage. Denn keine Konventionen zu dulden, die unvermeid-lichen umzuschmelzen nach dem Drang des Ausdrucks istdas erste Gebot jeglicher subjektivistischen Verfahrungs-weise. So hat gerade der mittlere Beethoven die herkmmli-chen Begleitfiguren durch Bildung latenter Mittelstimmen,durch ihren Rhythmus, ihre Spannung und welches Mittelauch immer in die subjektive Dynamik hineingezogen undnach seiner Intention verwandelt, wo er sie nicht gar - wie imersten Satz der Fnften Symphonie - aus der thematischenSubstanz selber entwickelt und kraft deren Einmaligkeit der

    Text 3:

    SPTSTlL BEETHOVENS

    Die Reife der Sptwerke bedeutender Knstler gleicht nichtder von Frchten. Sie sind gemeinhin nicht rund, sonderndurchfurcht, gar zerrissen; sie pflegen der Se zu entratenund weigern sich herb, stachlig dem bloen Schmecken; esfehlt ihnen all jene Harmonie, welche die klassizistische s-thetik vom Kunstwerk zu fordern gewohnt ist,230und vonGeschichte zeigen sie mehr die Spur als von Wachstum. Diebliche Ansicht pflegt das damit zu erklren, da sie Pro-dukte der rcksichtslos sich bekundenden Subjektivitt oderlieber noch Persnlichkeit seien, die da um des Ausdrucksihrer selbst willen das Rund der Form durchbreche, die Har-monie wende zur Dissonanz ihres Leidens, den sinnlichenReiz verschmhe kraft der Selbstherrlichkeit freigesetztenGeistes. Damit wird das Sptwerk an den Rand von Kunstverwiesen und dem Dokument angenhert; tatschlich pflegtdenn auch bei Errterungen ber den letzten Beethoven derHinweis auf Biographie und Schicksal selten zu fehlen. Es ist,als wolle angesichts der Wrde menschlichen Todes dieKunsttheorie ihres Rechtes sich begeben und vor der Wirk-lichkeit abdanken.

    Nicht anders kann verstanden werden, da man an derUnzulnglichkeit jener Betrachtungsweise kaum je ernstlichAnsto genommen hat. Die erweist sich, sobald man anstattder psychologischen Herkunft das Gebilde selber im Augebehlt. Denn dessen Formgesetz gilt es zu erkennen, wofernman nicht die Grenzlinie zum Dokument berschreiten mag- jenseits von welcher dann freilich jedes KonversationsheftBeethovens mehr zu bedeuten htte als das cis-molI-Quar-tett. Das Formgesetz der Sptwerke ist aber jedenfalls vonder Art, da sie nicht im Begriff des Ausdrucks aufgehen.

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  • Konvention entreit. Ganz anders der spte. berall sind inseine Formensprache, auch dort, wo sie einer so singulrenSyntax sich bedient wie in den fnf letzten Klaviersonaten,Formeln und Wendungen der Konvention eingesprengt. Siesind voller schmckender Trillerketten, Kadenzen und Fiori-turen; oftmals wird kahl, unverhllt, unverwandelt die Kon-vention sichtbar: das erste Thema der Sonate op. 1 IO zeigteine unbefangen primitive Sechzehntelbegleitung, die dermittlere Stil kaum geduldet htte; die letzte der Bagatellenbringt Einleitungs- und Schlutakte wie das verstrte Vor-spiel einer Opernarie - all dies mitten in den hrtesten Ge-steinsschichten der vielstimmigen Landschaft, den verhal-tensten Regungen abgeschiedener Lyrik. Keine AuslegungBeethovens und wohl jeglichen Sptstils langt zu, die dieKonventionstrmmer nur psychologisch, mit Gleichgltig-keit gegen die Erscheinung motivierte. Hat doch Kunst alle-mal blo in der Erscheinung ihren Gehalt. Das Verhltnis derKonventionen zur Subjektivitt selber mu als das Formge-setz verstanden werden, aus welchem der Gehalt der Spt-werke entspringt, wofern sie wahrhaft mehr bedeuten sollenals rhrende Reliquien.Dies Formgesetz wird aber gerade im Gedanken an den

    Tod offenbar. Wenn vor dessen Wirklichkeit das Recht vonKunst vergeht: dann vermag er gewi nicht unmittelbar insKunstwerk einzugehen als dessen Gegenstand. Er ist ein-zig den Geschpfen, nicht den Gebilden auferlegt und er-scheint darum vonje in aller Kunst gebrochen: als Allegorie.Das verfehlt die psychologische Deutung. Indem sie diesterbliche Subjektivitt zur Substanz des Sptwerkes erklrt,hofft sie bruchlos im Kunstwerk des Todes innewerden zuknnen; das bleibt die trgende Krone ihrer Metaphysik.Wohl gewahrt sie die sprengende Gewalt von Subjektivittim spten Kunstwerk. Aber sie sucht in der entgegengesetz-ten Richtung als der, nach welcher sie drngt; sie sucht sie imAusdruck von Subjektivitt selber. Diese jedoch, als sterbli-che und im Namen des Todes, verschwindet in Wahrheit aus

    dem Kunstwerk. Die Gewalt der Subjektivitt in den sptenKunstwerken ist die auffahrende Geste, mit welcher sie dieKunstwerke verlt. Sie sprengt sie, nicht um sich auszu-drcken, sondern um ausdruckslos den Schein der Kunst ab-zuwerfen. Von den Werken lt sie Trmmer zurck undteilt sich, wie mit Chiffren, nur vermge der HohlstelIenmit, aus welchen sie ausbricht. Vom Tode berhrt, gibt diemeisterliche Hand die Stoffmassen frei, die sie zuvor formte;die Risse und Sprnge darin, Zeugnis der endlichen Ohn-macht des Ichs vorm Seienden, sind ihr letztes Werk. Darumder Stoffberschu im zweiten Faust und in den Wanderjah-ren, darum die Konventionen, die von Subjektivitt nichtmehr durchdrungen und bewltigt, sondern stehengelassensind. Mit dem Ausbruch von Subjektivitt splittern sie ab.Als Splitter, zerfallen und verlassen, schlagen sie endlich sel-ber in Ausdruck um; Ausdruck jetzt nicht mehr des verein-zelten Ichs, sondern der mythischen Artung der Kreatur undihres Sturzes, dessen Stufen die spten Werke gleichwie inAugenblicken des Einhaltens sinnbildlich schlagen.Sowerden beim letzten Beethoven die Konventionen Aus-

    druck in der nackten Darstellung ihrer selbst. Dazu dient dieoft bemerkte Verkrzung seines Stils: sie will die musikali-sche Sprache nicht sowohl von der Floskel reinigen als viel-mehr die Floskel vom Schein ihrer subjektiven Beherrscht-heit: die freigegebene, aus der Dynamik gelste Floskel redetfr sich.Jedoch nur im Augenblick, da Subjektivitt, entwei-chend, durch sie hindurchfahrt und mit ihrer Intention siejherleuchtet; daher die Crescendi und Diminuendi, die, schein-bar unabhngig von der musikalischen Konstruktion, diesebeim letzten Beethoven oftmals erschttern.Er sammelt nicht mehr die Landschaft, verlassenjetzt und

    entfremdet, zum Bilde. Er berstrahlt sie mit dem Feuer,dasSubjektivitt entzndet, indem sie ausbrechend auf dieWnde des Werkes aufprallt, treu der Idee ihrer Dynamik.Proze bleibt noch sein Sptwerk; aber nicht als Entwick-lung, sondern als Zndung zwischen den Extremen, die

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    keine sichere Mitte und Harmonie aus Spontaneitt mehrdulden. Zwischen Extremen im genauesten technischen Ver-stande: hier der Einstimmigkeit, dem Unisono, der bedeu-tenden Floskel, dort der Polyphonie, die unvermittelt dar-ber sich erhebt. Subjektivitt ist es, welche die Extreme imAugenblick zusammenzwingt, die gedrngte Polyphoniemit ihren Spannungen ldt, im Unisono sie zerschlgt unddaraus entweicht, hinter sich lassend den entblten Ton; dieFloskel einsetzt als Denkmal des Gewesenen, worin versteintSubjektivitt selber eingeht. Die Zsuren aber, das jhe Ab-brechen, das mehr als alles andere den letzten Beethoven be-zeichnet, sind jene Augenblicke des Ausbruchs; das Werkschweigt, wenn es verlassen wird, und kehrt seine Hhlungnach auen. Dann erst fgt das nchste Bruchstck sich an,vom Befehl der ausbrechenden Subjektivitt an seine Stellegebannt und dem voraufgehenden auf Gedeih und Verderbverschworen; denn das Geheimnis ist zwischen ihnen, undanders lt es sich nicht beschwren als in der Figur, die siemitsammen bilden. Das erhellt den Widersinn, da der letzteBeethoven zugleich subjektiv und objektiv genannt wird.Objektiv ist die brchige Landschaft, subjektiv das Licht,darin einzig sie erglht. Er bewirkt nicht deren harmonischeSynthese. Er reit sie, alsMacht der Dissoziation, in der Zeitauseinander, um vielleicht frs Ewige sie zu bewahren. In derGeschichte von Kunst sind Sptwerke die Katastrophen.r"

    Aus Moments musicaux (Gesammelte Schriften, Bd. 17.Frankfurt a. M. 1982, S. 13 ff.). - Geschrieben 1934

    ***

    Bedeutung der (aus der Wechseldominante des I. Taktes ab-geleiteten) Chromatik und einem Element das schwer zu fas-sen ist - Sequenzen der Sehnsucht - vor allem in der Durch-fhrung nach dem fis-moll-Einsatz [T. 41]. - Der 2. Satzgehrt in Charakter (und Tempel) genau zur Einleitung desFinales vom a-moll-Quartett [op. 132; 4. Satz: Alla marcia,assai vivace]. Die auerordentliche Schnbergsehe Stelle biszum Abreien ber Des [soetwa T. 19-30] (uerst schwerdarzustellen und sehr rtselhaft). Das ebenso merkwrdigezweistimmig kanonische Trio. Sehr bewegt nehmen damit esSinn gibt, um keinen Preis - wozu es verfhrt -langsamer. -Die Adagioeinleitung in Achteln nehmen. Spannung zum Fi-nale hnlich wie in der Waldsteinsonate, nur versunkener,subjektiver, Vorform zum langsamen Satz der Hammerkla-viersonate. - Das Literarische der Reminiszenz an den I. Satz,nicht formimmanent sondern poetisch wie die Zitate inder Einl[eitung] zum Finale der 9. Symphonie. - Das Finaleist der Prototyp des Sptstils, eine Art Urphnomen. Er hat:

    Neigung zur Polyphonie (die Exposition durchwegs imdoppelten Kontrapunkt, Vorbereitung der Fuge).Das Kahle. Oktavierte Zweistimmigkeit. Die simplen

    Akkorde zum (aus dem I. Thema abgeleiteten) Schlu-gruppentherna.Das Banale, Gassenhauerhafte dieses Themas selber, das

    zugleich durch Lagenwechsel in Stimmen aufgespaltenwird. Es ist als wre die aus Celehrt und Galant ver-einte Wiener Klassik wieder in ihre Elemente polarisiert:die vergeistigte Kontrapunktik und das unsublimiert, nichthereingenommene Volkstmliche.

    Auerordentliche Kunst, da die Durchfhrung nichtals Schulfuge erscheint (NB die unregelmige Beantwor-tung des Themas: a, c, d, a), in der Form verbleibt.Besonders interessant ist die Coda. Wenn in ihr der in

    der Reprise ausgesparte Mittelsatz des I. Themas erscheint[T. 325 ff], wirkt er als lngst vergangener, erinnerter, garnicht mehr gegenwrtiger, und daher unendlich rhrend -

    Als ich die Sonate op. 101 gebt hatte. - Ist der I. Satz das Modellzum Tristanvorspiel? Ganz anders im Ton, gleichsam die(beispiellos kondensierte) Sonatenform als lyrisches Gedicht,ganz subjektiviert, durchseelt, enttektonisiert. Und doch,nicht nur wegen Ji und 6/8, sondern wegen der konstruktiven