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4° Z 3019  1 Leipzig-BerHn 1932 Warburg~  Aby G~  Sc~rï/

Aby Warburg Gesammelte Schriften Band i 1

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  • 4 Z 3019 1Leipzig-BerHn

    1932

    Warburg~ AbyG~ Sc~r/

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    NF Z 43-120-10

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  • A.WARBURG GESAMMELTE SCHRIFTEN

    HERAUSGEGEBEN VON DER BIBLIOTHEK WARBURG

    BAND 1

    UNTER MITARBEIT VON FRITZ ROUGEMONTHERAUSGEGEBEN VON GERTRUD BING

    B. G. TEUBNER LEIPZIG BERLIN 1932 2

  • DIE ERNEUERUNGDER HEIDNISCHEN ANTIKE

    KULTURWISSENSCHAFTLICHE BEITRGE ZUR GESCHICHTE)~.

    REREUROPISCHEN RENAISSANCE 1

    MIT EINEM ANHANGUNVER.FFENTLICHTER ZUSTZE

    B. G. TEUBNER LEIPZIG BERLI N 1932

    1 n r-7-/L)30~)

  • vANLAGE DER GESAMTAUSGABEDie Ausgabe der Gesammelten Schriften von A. Warburg wird

    folgende sechs Gruppen umfassen:i. Die Schriften, die in den vorliegenden beiden Bnden enthalten

    sind. Es sind die Arbeiten, die Warburg schon zu Lebzeiten veroffent-licht hat, vermehrt um die Anmerkungen seiner Handexemplare.

    2. Den bei Warburgs Tode zum grBten Teil vollendeten Atlas, indem er seine frheren Forschungen zusammenzufassen gedachte:..Mnemosyne eine Bilderreihe zur Untersuchung der Funktion vor-geprgter antiker Ausdruckswerte bei der Darstellung bewegten Lebensin der Kunst der europischen Renaissance".

    3. Die unveroffentlichten Vortrge und kleineren Abhandlungenkulturwissenschaftlichen Inhalts.

    4. Fragmente zur ,,Ausdruckskunde auf anthropologischer Grund-lage".

    5. Briefe, Aphorismen und autobiographische Aufzeichnungen.6. In Ergnzung und als AbschluB dieser Arbeiten soll der Katalog

    der Bibliothek veroffentlicht werden. Denn die Bibliothek und dieSchriften bilden erst zusammen die Einheit von Warburgs Werk.

    F. SAXL.

  • VI

  • VII

    INHALTSVERZEICHNIS

    BAND IVorwort XI

    Die Antike in der Florentinerbrgerlichen Kultur. Text

    ,Seite Seite

    Sandro Botticellis "Geburt der Venus" und,,Frhling" (1893) i 307Sandro Botticelli (1898) 0 6l 320Die Bilderchronik eines florentinischen Goldschmiedes (18g9) 69 329Dlie "Imprese Amorose" nelle pi antiche incisioni florentine

    (1905) 77 330Bildniskunst und florentinisches Brgertum (1902) 89 340Francesco Sassettis letztwillige Verfgung (1907). 127 353Matteo de' Strozzi (1893). 159 366Der Baubeginn des Palazzo Medici (1908) 165 366Eine astronomische Himmelsdarstellung in der alten Sakristeivon S. Lorenzo in Florenz (1911) 169 366

    Der Eintritt des antikisierenden Idealstils in die Malerei derFrhrenaissance (1914) 173 367

    Austausch zwischen Florentinerund Flandrischer Kultur.

    Austausch knstlerischer Kultur zwischen Norden und Sdenim 15. Jahrhundert (1905) 177 368

    Flandrische Kunst und florentinische Frhrenaissance (1902) 185 370Flandrische und florentinische Kunst im Kreise des LorenzoMedici um 1480 (1901) 207 381

  • VIII _K~o!
  • Inhaltsverzeichnis ~MBand II IX

    T. .a_,i.

    Kulturpolitische Gelegenheitsschriften.Seite

    Amerikanische Chap-books (1897) 569 658Die Wandbilder im hamburgischen Rathaussaale (1910). 579 658Die Bilderausstellungen des Volksheims (1907). 589 658Eine heraldische Fachbibliothek (1913) 593 658Ein neuentdecktes Fresko des Andrea del Castagno (1899).. 597 659BegrBungsworte zur Erffnung des kunsthistorischen Insti-tuts im Palazzo Guadagni zu Florenz am 15. Oktober 1927(1927) 6oi 659

    Zum Gedchtnis Robert Mnzels (1918) 605 66oDas Problem liegt in der Mitte (1918) 6n 66o

    Verzeichnis der Abbildungen 661Register 669

    Text Anhang

  • x

  • XI

    VORWORTEine eingehende biographische Darstellung Warburgs, die aufzu-

    weisen htte, wie eng sich bei ihm wissenschaftliche und personlicheProblematik verband, soll in einem spteren Bande seiner "Schriften",der Briefe und autobiographische Aufzeichnungen enthalten wird, er-scheinen. An dieser Stelle kann nur durch eine vorlufige Skizzierungseines wissenschaftiichen Entwicklungsganges versucht werden, denberblick ber sein Schaffen zu erleichtern.

    Warburg wurde 1866 in Hamburg geboren und studierte Kunst-geschichte, erst in Bonn bei Karl Justi, dann in StraBburg bei Janitschekund Michaelis. In diesen Studienjahren begann er seine Untersuchungenber Botticelli und Polizian, durch die er zu der Einsicht gelangte, daBin der Kunst der Frhrenaissance berall dort antike Vorbilder gesuchtund gefunden werden, wo es sich um die Darstellung von Bewegunghandelt. Das Interesse fr die psychologischen Voraussetzungen derartigerknstlerischer Auswahl- und Umformungsprozesse veranlaBte ihn, nachder Vollendung seiner Dissertation ber Botticellis mythologische Ge-mlde und nachdem er schon zwei Jahre in Florenz gearbeitet hatte,nach Berlin zu gehen und dort Psychologie auf medizinischer Grundlagezu studieren. Eine Reise nach Amerika, die ihn auch zu den Pueblo-Indianern brachte, verschaffte ihm, der in Bonn Schler Usenersgewesen war, die Anschauung lebender heidnischer Religionsformen, dieEinsicht in den ProzeB reUgiser bildhafter Ausdrucksprgung. AufGrund dieser Erfahrungen nahm er seine frheren kunsthistorischenForschungen in Florenz wieder auf. Die Flle des Materials, die ihmaus dem ,,unerschpflichen Reichtum des Florentiner Archivs" zufloB,erleichterte es ihm, die Isolierung des Kunstwerkes, in die es durcheine sthetisch-formale Betrachtung gebracht zu werden drohte, zuberwinden, und die gegenseitige Ergnzung von bildhaftem und lite-rarischemDokument, die Beziehung des Knstlers zumBesteller, dieVer-bundenheit des Kunstwerkes mit seiner sozialen Umgebung und seinempraktischen Zweck am Einzelobjekt zu untersuchen. Er bezieht nun-mehr nicht nur die Produkte der groBen Kunst, sondern auch entlegenereund sthetisch irrelevante Bilddokumente in die Betrachtung ein undwendet seine Aufmerksamkeit neben den Knstlern den Privatpersonen

  • XII Vorwort

    des Medici-Kreises zu. Indem er ihre Impresen, ihre volkstmlich-kirch-lichen Gebruche, den illustrativen Schmuck ihrer Gebrauchsgerte, dieDarstellungsinhalte ihrer offentlichen und privaten Feste, kurz die Bild-formen des "bewegten Lebens", untersucht, gewinnt er seine Vorstellungvon der psychischen Polaritt der Menschen dieses Ubergangszeitalters,die zwischen Unterwerfung unter das Schicksal und Selbstbestimmungeinen "charaktervollen Ausgleich" suchten. Er verfolgt ihre Handels-beziehungen und erkennt, wie der Austausch der knstlerischen undgewerblichen Erzeugnisse die gebrdensprachliche Mimik der antikenGestalten nach dem Norden, den Wirklichkeitssinn der flandrischenTrachtendarstellung, die Andachtsphysiognomik des flandrischen Portrtsnach Italien trgt. Damit waren fr ihn Norden und Sden as ein ingemeinsamer Abhngigkeit vom Erbgut des Mittelmeerbeckens zu-sammenhngendes Kulturgebiet erscMossen, dessen einheitliche Erfor-schung durch keine ,,politischen Grenzpfhie" gehemmt sein durfte.

    Von 1001 an lebte Warburg wieder in Hamburg, aber in dauerndemKontakt mit Italien. Die Bilddarstellungen der antiken Mythologiebleiben das Objekt seiner Untersuchungen, aber er fragt nicht mehrallein nach der psychologischen Moglichkeit ihrer Aufnahme, nach derBeschaffenheit der Menschen, die die antiken Bildvorstellungen alseigene Ausdruckssymbole zu rezipieren fahig waren, sondern zugleichnach der wesensmGigen Beschaffenheit dieser Symbole selbst. Er findetden Grund ihrer Uberlebenskraft in der Tatsache, daB die heidnischeKultur in ihren Kulthandiungen und Bildprgungen elementaren Er-regungen zu einem maximalen Ausdruck verholfen hat. As formelhafteErinnerungszeichen an diese Vorgnge knnen die Bildformen tradiert,verndert und auf Grund gleichgearteter Spannungen zu eigenem, turbu-lentem Leben wiedererweckt werden. Auf den ,,Wanderwegen", auf denender Austausch knstlerischer Ausdrucksformen erfolgt, empfngt Durerdie italienisch geformten antiken "Pathosformeln", gelangen auch die grie-chischen und romischen Gotterbilder in ihrer mythologischen Gestalt undin jener astralen Umformung, die der Orient ihnen gegeben hat, berItalien nach dem Norden. Die astrologische Lehre wurde fur Warburg daspragnante Beispiel historisch bedingter Ausdruckspragung, weil sich inihr mythisch-bildhafte, magisch-praktische und logisch-wissenschaftlicheElemente vereinigen. Damit war durch rumiiche Ausdehnung des Beob-achtungsfeldes auf Deutschland einerseits, den Orient andererseits dieursprngliche Frage nach dem Nachleben der Antike zu der des "geistigenErbgutveikehrs zwischen Sden und Norden, Osten und Westen"erweitert, und durch die Einbeziehung von Kosmologie und Magie dieProblematik so verndert, daB danach gefragt werden konnte, "durch

  • ~0~0)'< XIII

    welche selektiven Tendenzen die gedchtnismBige Gestaltung dieserErbmasse in den verschiedenen Epochen charakterisiert wird".

    AuBer in den hier gesammelten Schriften bearbeitete Warburg dieseProbleme in einer Reihe von Vortrgen und Studien, die in den folgendenBnden verffentlicht werden sollen. Es befinden sich darunter Abhand-lungen ber ein frhes Inventar der Medici, die Vortrge ber den "Ein-tritt des antikisierenden Idealstils in die Malerei der Frhrenaissance",ber die ,,Wanderung der antiken Gotterweit", von denen hier nurkurze Berichte abgedruckt werden; Vortrge spterer Jahre ber dieSchiangentnze der Indianer in ihrer religionswissenschaftlichen Be-deutung, ber die italienische Antike im Zeitalter Rembrandts, ber dieBriefmarke als bildmBiges staatspolitisches Machtsymbol; endlich derBilderatlas, der die Ergebnisse seiner Forschung zusammenfassen soll.Er stand mitten in der Arbeit an diesem Atlas, as er 1020 starb.

    Das gleiche Wort ,,Mnemosyne", das Warburg als Titel fr diesenAtlas gewhlt hatte, lieB er ber die Eingangstr des Gebudes setzen,das seine Bibliothek enthlt. Er deutete damit an, daB zu seinemLebenswerk neben seine literarischen uerungen auch die Bibliothekgehort, die mehr ist als ein Instrumentarium fr seine eigenen Arbeiten.Die dort gesammelten wissenschaftlichen Hilfsmittel, Bcher und Photo-graphien, gehen weit ber den Umkreis dessen hinaus, was er hoffendurfte, noch selbst bearbeiten zu konnen. Er hat damit ein Institutgeschaffen, das, losgelost vom Arbeitsbereich eines Einzelnen, der For-schung dienen soll, der er die Wege bereitet hat.

    Die Anlage und der vorzeitige Abbruch von Warburgs Arbeit stellendie Herausgeber seiner Schriften vor zwei verschiedene Aufgaben. Ausder Gesamtausgabe seiner Werke soll seine eigenartige Methodik undDenkform und das Bild seiner Personlichkeit hervortreten zugleichsollen seine im Verlauf der letzten vierzig Jahre verfaBten Schriften dergegenwrtigen und knftigen Benutzung und Verarbeitung zugnglichgemacht werden.

    Die vorliegenden Bande umfassen alls, was Warburg selbst imDruck verffentlicht hat. Sie enthalten zugleich die Notizen, dieer, an seinen bereits verffentlichten Schriften stndig weiterarbeitend,in seine Handexemplare als Ergnzungen und Korrekturen eingetragenhatte. Dieser Doppelheit des Materials entspricht die Teilung der Bandein Text und Anhang.

    Anordnung des Textes. Die Aufsatze sindin Gruppen angeordnet,deren Uberschriften ihre inhaltliche Zusammengehrigkeit andeuten, dieverschiedenen Stoffgebiete gegeneinander abgrenzen und den einzelnen

  • XIV Vorwort

    Anf~StyfTi~r~n PIatynnr! ibr~TinnU~rm ')rm~efnief)11f*T< ynorlo~ti tc+ ~~0~-Aufstzen ihren Platz und ihre Funktion anweisen sollen. Zugleich ist aberauch die chronologische Reihenfolge nach Moglichkeit gewahrt worden.Der Aufsatz ber Botticellis "Geburt der Venus", der vielleicht denZugang zu Warburgs Schriften nicht leicht macht, weil die Flle desMaterials in dieser Erstlingsarbeit noch nicht mit der Seibstverstnd-lichkeit der spteren Aufstze gedanklich beherrscht erscheint, stehtdennoch am Anfang, weil all Interessengebiete, ja fast all Fragen der sp-teren Aufstze hier bereits berhrt sind. Von der chronologischen Reihen-folge wurde dort abgewichen, wo mehrere Aufstze, die zu verschiedenenZeiten abgefaBt wurden, die gleichen oder nah verwandte Gegenstndebehandeln (,,Bildniskunst und Brgertum" ,,Die letztwillige Verfgungdes Sassetti" oder "Mediceische Feste" ! Costumi Teatrali"). End-lich wurden kleinere Aufstze, besonders solche, die inhaltlich mit denFragen der greren Aufstze nicht unmittelbar zu tun haben, an denSchluB des Abschnittes gestellt, zu dem sie sachlich gehoren (,,Bau-beginn des Palazzo Medici").

    Der letzte Abschnitt ,Kulturpolitische Gelegenheitsschriften" wurdenicht nur aus dem uGerlichen Grunde aufgenommen, daB all ge-druckten Schriften Warburgs in diesen Bnden gesammelt werdensollten. Sie gehoren in ihrer geographischen und zeitlichen Bezogenheitdorthin, wo ein t?berblick ber Warburgs ganzes Schalen gegebenwerden sollte. Denn einerseits hat ihn seine Verbundenheit mit Hamburgund Florenz zur historischen Betrachtung nordiicher und sdlicherKultur und ihrer Spannung gefhrt; andererseits gewann er aus derEinfhlung in das historische Objekt die Ma6stbe, die er an die Gegen-wart anlegte.

    Die Folgerichtigkeit von Warburgs Arbeit lieB sich vor allem inder Bandeinteilung zum Ausdruck bringen. Die stoffliche und metho-dische Erweiterung der im 2. Band gesammelten Aufstze gegenberdenen des i. Bandes ist zugleich Frucht spterer Jahre. Der Aufsatz ber"Drer und die italienische Antike" gehort trotz seiner relativ frhenAbfassungszeit an den Anfang dieser Reihe, weil von ihm die Aufmerk-samkeit auf den ProzeB der Ausdrucksprgung herrhrt, die jedes Bildals Auseinandersetzungsprodukt zwischen individuellem Ausdruckswillenund dem berlieferten Vorrat ,,vorgeprgter"Formen, und damit als dasspezifische Objekt kulturwissenschaftlicher Betrachtung ansieht; aJIer-dings werden im AnschluB an diese Drer-Analyse in spter erschienenenAufstzen, die wir aber aus anderen Grnden in den ersten Band ein-gereiht haben (z. B. dem ,,Sassetti"), hniiche Phnomene berhrt.

    Anhang. Die Zustze, die, um die Geschlossenheit der einzelnenAufstze nicht zu gefhrden, vom Text getrennt, in einem Anhang ge-

  • roftOO)~ XVsammelt wurden, geben die handschriftlichen Notizen Warburgswieder, oder fhren sie aus. Sie sind jeweils der Textstelle hinzugefgt,zu der Warburg sie eingetragen hatte, und schlieBen sich auch in ihrerFormulierung an diese an; sie sind aber nach Moglichkeit sprachlich sogehalten, daB sie auch fr sich verstanden werden konnen.

    Auswahl und Bedeutung der Zustze. Bine Neubearbeitungder Aufstze, die etwa dazu gefhrt htte, daB im Anhang all gleich-mBig mit dem gegenwrtigen Stand der Forschung in Einklang gebrachtworden wren, wurde nicht angestrebt. Die Auswahl dessen, was ergnztwurde, was nicht, richtete sich vielmehr ganz nach dem von Warburgselbst hinzugefgten Material. Daher sind die Zustze zur "Geburt derVenus" zahlreicher und weniger einheitlich als die der spteren Auf-stze der groBere Reichtum des neu hinzukommenden Stoffes entsprichtder weiter zurckliegenden Abfassungszeit und dem Umstand, daB dieFragen, die in den spteren Aufstzen in einzelne auseinandergelegt undbis in die Details hinein analysiert werden, hier noch nach mehrerenSeiten zugleich behandelt werden sollten. Bei den spteren Aufstzenwies hufig die Mehrzahl der Zustze in ein und dieselbe Richtung, sodaB sie einen bereits von Warburg selbst eingeschlagenen Weg zurWeiterarbeit zeigten; ein im Text nur angedeuteter oder in seinemUmfang noch nicht erschopfter Gedanke wird in ihnen weiter ausgefuhrt.Die Zustze zum Aufsatz ber die GhirIandajo-Portrts z. B. behandelnhauptschlich die Wachsvoti, bei der "Letztwilligen Verfgung desSassetti" wird die Gestalt der Fortuna als Beispiel bildhafter Aus-drucksprgung bis zum Ende des 16. Jahrhunderts verfolgt, bei demAufsatz ber Memlings .Jngstes Gericht" betonen die Zustze dieAkzentverschiebung vom Knstler auf den im Portrt dargestelltenMenschen durch Hinzufgung persniicher Dokumente.

    Es ligt aber in der Natur der Warburgschen Arbeitsweise, daB mitder Inangriffnahme eines neuen Gegenstandes nicht nur eine stoffliche,sondern auch eine methodische Neubetrachtung der alten Gegen-stnde verknpft war. Da jede konkrete Untersuchung durch die Aus-bildung neuer, aus der Materie gewonnener, begrifflicher Hilfsmittel dieFragestellung vertiefte, muBte nicht nur der alte Stoff mit dem neuenin Einklang gebracht werden, sondern das frher Bearbeitete fordertegeradezu zu einer Durchsicht in Hinblick auf die Tauglichkeit der neuenInstrumente heraus; diese sollten sich nicht nur daran bewhren, sondernmuBten umgekehrt auch den jeweils im Verhltnis zur Gesamtfrageunvollkommen bearbeiteten lteren Untersuchungen neue Aspekte ab-gewinnen. So enthalten etwa die Zustze zur "Geburt der Venus" den Be-griff ,,Antichit alla franzese", der sich in der Analyse der ,,Imprese Amo-

  • XVI_ Vorwort

    rose" ergeben hatte; erst danach konnten verschiedene Stadien in der Auf-nahme der Antike unterschieden und die von dem Wunsch nach Aus-druckssteigerung bestimmte, pathetisch bewegte Wiedergabe antikerGestalten von der stofflich getreuen, durch realistische Einzelheitenbeschwerten Darstellung geschieden werden. Die Zustze zu ,,Bildnis-kunst und Brger tum" bringen charakteristische Gebruche und Formender brgerlichen und volkstmlichen weltlichen Kultur mit religiosenRiten in Verbindung; sie setzen damit die Erkenntnis der Uberlebens-kraft mythischer Bilder voraus, die sich Warburg erst erschlossen hatte,nachdem er die Konstanz der astrologischen Gestalten durch ihre Meta-morphosen hindurch verfolgt hatte. Die psychologische Polaritt, dieer im Text des ,,Sassetti" als typische Haltung des Frhrenaissance-menschen bezeichnet hatte, wird, wie in den spteren Aufstzen, so auchin den Zustzen zur Frage der Polaritt des bildhaften Ausdrucks ber-haupt erweitert. Aus der Analyse des Drerschen Orpheusblattes wirdder Begriff der Pathosformel gewonnen, durch den die bemahme knst-lerischer Formen aus einer Verwandtschaft des Ausdrucksbedrfnisseserkirt wird; damit erscheinen Einzelheiten der Bildgestaltung, die bis-her als formale betrachtet waren, in spteren Aufstzen und Zustzenals inhaltlich erfllte Prgungen, die der Gesamtheit des in ihnen auf-bewahrten Bildungserbes ihr Fortleben verdanken.

    Eine solche Neubetrachtung dringt bis in die Details der sprach-lichen Formulierung ein. Deshalb sind auch die meisten sprachlichennderungen, die Warburg notiert hat, von Bedeutung; denn wenn etwa(auf S. 158) der Ausdruck ,sthetische Betrachtung" in "hedonistischeBetrachtung" abgendert wird, so bedingt diese scheinbare Belang-losigkeit eine solche Wandiung der Grundanschauung, daB gerade dieAufnahme einer derartigen Korrektur die Richtung veranschaulicht, inder sich das Denken bewegt hatte.

    Auch Hypothesen, die Warburg notiert hatte, wurden aufgenom-men, um, in Warburgs Sinn, ,,sachverstndigere Kollegen zur Hilfe-leistung zu bewegen." Vielleicht hatte Warburg manche bei einer Neu-bearbeitung seiner Aufstze auBer acht gelassen. Der Herausgeber, demes darauf ankam, auch DenkprozeB und Arbeitsweise deutlich werdenzu lassen, durfte in einem solchen Fall weniger skrupuls sein, als derAutor selbst es moglicherweise gewesen wre.

    Um die teilweise sehr fragmentarisch aufgezeichneten einzelnenNotizen Warburgs verstndiich zu machen, haben wir uns hauptschlichauf die Hinzufgung von Quellenbelegen beschrnkt. Denn wennWarburgs Notiz an sich schon einen Hinweis auf ein historisches Faktumenthielt, so gengte es, durch den AnschluB an einen aus den Aufstzen

  • Vo~o~XVII

    hekannten Gedanken den Leser darauf hinzuweisen, in welchem Sinnbekannten Gedanken den Leser darauf hinzuweisen, in welchem Sinnes gedeutet werden soll. Handelte es sich in der Notiz dagegen um einResultat der Analyse oder der Interpretation, so konnte seine Bedeutungdurch einen Quellenbeleg im Zusammenhang mit dem Text anschau-licher gemacht werden als durch eine Erklrung.

    Die seibstndigen Zustze der Herausgeber knpfen dortan, wo Warburgs Text selbst Veranlassung dazu bot weiterzuarbeiten,vor allem dort, wo er ausdrcklich auf eine noch nicht geloste Frageoder auf die Moglichkeit einer Weiterarbeit hingewiesen hatte. Dieswar z. B. der Fall bei Rucellais Zibaldone (S. 356ff.) oder bei den Dekan-figuren in Ferrara (S. 3off.). Gelegentlich sind wir auch indirekten Hin-weisen Warburgs nachgegangen, die wir in seinem Zettelapparat oderin von ihm angestrichenen Stellen der benutzten Bcher fanden; einsolcher indirekter Hinweis ergab z. B. die richtigere Identifikation des"Compare" in Pulcis Morgante (S. 3511.). Nur in wenigen Fllen sind wirso weit gegangen, zustziiche Belege aufzunehmen, die uns bei derBearbeitung von Warburgs Zustzen als wichtig auffielen, denen aberkeine Notiz und kein Hinweis von ihm selbst zugrunde lag. Stammtensie aus der neueren Literatur, die Warburg nicht gekannt hat, so habenwir den Zusammenhang angedeutet, in den Warburg selbst sie vielleichtgestellt htte. Andernfalls haben wir, um nicht Warburgs Entscheidungdarber, was er aufgenommen, was auBer acht gelassen htte, will-krlich zu verunklren, sie nur dann bercksichtigt, wenn sie zu beson-ders charakteristischen Stellen der Aufstze eine prgnante Ergnzungbildeten.

    Nur in zwei Fllen sind wir ber diese Grundstze hinausgegangen:bei den "Costumi Teatrali" und bei den Fresken im Palazzo Schifanoja.Im ersten Fall war seit Warburgs Bearbeitung die Literatur ber dieEntstehung der Oper und des Balletts so bereichert worden (es sei nuran die Namen Solerti, Nicoll und Prunires erinnert), daB Bild- undTextdokumente, die Warburg scheinbar zufllig, aber, wie sich geradedurch die neueren Arbeiten herausstellte, durchaus berechtigterweise alsParallelen zu seinem eigentlichen Vorwurf beigebracht hatte, sich nunmit dem Gegenstand der Untersuchung enger verbinden lieBen, als erselbst gesehen hatte. Die Memorie des Serjacopi erschienen so wichtig,daB sie abweichend von anderen Fllen (z. B. bei dem Aufsatz ,,Flan-drische Kunst und florentinische Frhrenaissance", wo wir den Inhaltneuer von Warburg zur Bearbeitung vorgemerkter Dokumente nur imAuszug mitteilten), abgedruckt und mit dem Text des Aufsatzes nachMoglichkeit verarbeitet wurden. Durch diese Hinzufgungen wurdenWarburgs Ergebnisse erweitert und besttigt, aber nicht verndert.

    Warburg, GesammelteSchriften.Bd.i b

  • XVIII _owo~

    Etwas anders lag der Fall beim Palazzo Schifanoja. Hier wirdEtwas anders lag der Fall beim Palazzo Schifanoja. Hier wirddurch neuere Forschungen, die an Warburg anknpfen, das Bild, daser von der Uberlieferungsgeschichte der Fresken gehabt hat, tatschlichverndert, wenn auch nur in den Details. Diese Ergebnisse ausfhrlichdarzustellen, waren wir durch Warburg selbst in doppelter Weise autori-siert. Es war, wie er im Text sagt, seine Absicht gewesen, auch die imAufsatz noch nicht analysierten Dekanfiguren der Fresken und desAstrolabium Planum so auf ihre Herkunft hin zu untersuchen, wie er esbei einer Figur, dem ersten Widderdekan, bereits getan hatte. Dazu hatteer Tabellen angelegt, die als Grundlagen seiner spteren Weiterarbeitdienen sollten. Diese veranlaBten uns, das neue Material ebenfalls inTabellenform vorzulegen; Dr. Elsbeth Jaff hat sich der Mhe unter-

    zogen, sie auf Grund ihrer Textkenntnis auszuarbeiten. Auch in einerNotiz hatte Warburg versucht, seine Auffassung von der Metamorphoseder Heidengotter ber das im Aufsatz Gesagte hinaus dadurch zu be-

    legen, daB er die Etappen der Verwandlung eines verstirnten griechischenHelden in den orientalisierten Dmon Schritt fr Schritt verfolgte. DieArbeit an diesem Zusatz fhrte zu den jetzt vorgelegten Ergebnissen.

    Aus der Fachliteratur wurden in der Regel diej enigen Forschungs-ergebnisse erwahnt, die mit Warburgs Ergebnissen nicht bereinstimmenoder sie in Frage stellen. Bei entlegeneren Gegenstnden, besonderssolchen, die Warburg erstmalig in den Kreis der Betrachtung inbezogenhatte oder die fr ihn durch den Zusammenhang, in dem er sie sah, einebesondere Bedeutung besaBen, haben wir die Literaturangaben ausfhr-licher gehalten. Im allgemeinen brachte es die Art der Bearbeitung mitsich, daB hauptschlich jene altre kritische Literatur herangezogenwurde, die Warburg selbst gekannt und bentzt hat. Wo diese jedochzu einem sicheren Beleg nicht ausreichte, wurde die neuere Literatur,die sonst nur konsultiert wurde, auch ausdrcklich angefhrt.

    Die Abbildungen geben in der Hauptsache die Bildbelege wieder,die Warburg selbst seinen Ausgaben beigefgt hat. Die einzigen wesent-lichen Ergnzungen gehoren zu den beiden Aufstzen, die durch dieHerausgeber im Anhang auch textlich erweitert wurden: die "CostumiTeatrali" enthalten in unserer Ausgabe neu aufgetauchte ZeichnungenBuontalentis und andere Bilddokumente zu seinen Bhnenbildern; demAufsatz ber den Palazzo Schifanoja wurden im Anhang neue Illustra-tionen aus astrologischen Handschriften beigegeben, die die in denTexten verfolgte Metamorphose der Dekangestalten auch im Bild be-gleiten und veranschaulichen.

    Druckanordnung. Der an einzelnen Fragen nher interessierteLeser wird vom Text der Aufstze durch Zeichen am Rande der Seiten

  • Vorwort _XIX

    auf die zugehorigen Stellen des Anhanges verwiesen. Ein Sternchen (*)weist auf einen Zusatz von Warburg selbst hin, ein Kreuz (t) auf einenZusatz der Herausgeber.

    Alle Abweichungen vom Wortlaut der ursprnglichen Ausgaben wur-den, soweit sie in den Haupttext aufgenommen werden muBten, in eckigeKlammern eingeschlossen. Es handelt sich dabei lediglich umErgn-zungen zu den Stellen, wo durch Warburgs Benutzung altrer Literaturunntige Schwierigkeiten erwachsen oder MiBverstndnisse moglich ge-wesen wren. Neuere Literatur wurde sonst nur im Anhang aufgefhrt;es sollte sichtbar bleiben, mit welchen Hilfsmitteln Warburg seinerzeitgearbeitet hat. Die einzige stillschweigende nderung ist die Vernderungvon Orthographie und Interpunktion auf Grund neuerer kritischerAusgaben in einigen Zitaten, wo von Warburg selbst nur unkritischeAusgaben zugrunde gelegt worden waren. Im Anhang wurde, was vonWarburgs Notizen wortiich bernommen wurde, in Antiqua, jede Hin-zufgung der Herausgeber dagegen in Kursivdruck gesetzt. Der ur-sprngliche Wortlaut von Warburgs eigenen Notizen ist also berallleicht wieder herzustellen.

    Der Index ist nicht nur wegen der Weitschichtigkeit des in denAufstzen verarbeiteten Materials so umfangreich geworden, sondernauch deshalb, weil er versucht, die fr Warburgs Methode wichtigstenBegriffe herauszuarbeiten und unter diese das Material nach prinzi-piellen Gesichtspunkten zu subsumieren.

    !):

    Fr die freundschaftliche Hilfe, die die Herausgeber von vielenSeiten erfahren haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt, besondersauch denjenigen, deren Namen nicht an den entsprechenden Stellenim Anhang erscheinen konnten, weil ihre Hilfeleistung sich nicht aufeinzelne Teile beschrnkte. Die Mitarbeiter und engeren Freunde derBibliothek Warburg, die an dieser Edition nicht unmittelbar beteiligtwaren, haben sie doch indirekt durch Rat und Kritik gefordert. Das-selbe gilt fr die Freunde vom Florentiner Institut. Erwhnt sei abernoch ausdrcklich das groBe Entgegenkommen, das die Herausgeber beider Leitung der Biblioteca Nazionale, des Archivio di Stato und derSopraintendenza dlie belle Arti in Florenz gefunden haben.

    G.B.

    b*~`

  • XX

    BERICHTIGUNGDie Bezeichnung

    Abb. i des Anhangs (S. 310) verweist auf Abb. 87 (Venus, Relief).Abb. 2 des Anhangs (S. 329): Abb. 88 (Si!enus,Miniatur).Abb. 3 des Anhangs (S. 343): Abb. 89 (Ghirlandajo, Zeichnung).Abb. 6 des Anhangs (S. 294, 405, 427): Abb. 92 (Buontalenti, Arion).Abb. 9 des Anhangs (S. 402): Abb. 95 (Buontalenti, Ncessita).Abb. 10 des Anhangs (S. 271, 412. 429): Abb. 96 (Holzschnitt zu Gafurius).

    S. 319, Z. il von oben: statt Sonna lies Donna.S. 367, Z. 3 von unten: statt S. 311 lies S. 449.S. 377, Z. i von oben: statt Guiccardini lies Guicciardini.Tafel III, Abb. 4: statt Polophili lies Poliphili.Tafel L, Abb. 88: statt Bacchus lies Silenus.

  • 1Wa r b u r g Gesammelte Schriften. Bd.i 1 [

    ,,GEBURT DER VENUS" UND ,,FRUHLING"

    EINE UNTERSUCHUNG OBER DIE VORSTELLUNGEN VON

    DER ANTIKE IN DER ITALIENISCHEN FRHRENAISSANCE

    1,1

    SA~DRO BOTTICELLIS il

    \f-