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A TRIBE CALLED QUEST · Horn. Ehemals die eine Hälfte der Buggles, produ-zierte er später Frankie Goes To Hollywood, Malcolm McLaren und Art Of Noise. Doch das Debütalbum von ABC,

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AA T R I B E C A L L E D Q U E S T

Gegründet 1989 in Queens, New York.

D er Einstieg für A Tribe Called Quest war ziemlicheinfach, vielleicht untypisch für Rapper. Bereits

vor Veröffentlichung des Erstlingswerks People’s In-stinctive Travels And The Paths Of Rhythm (1990)von Jonathan Davis, alias Q-Tip (Rapper/Produzent),Malik Taylor, alias Phife Dog (Rapper) und Ali Sha-heed Muhammad (DJ) waren die Gegebenheiten op-timal: Auf dem 3 Feet High And Rising-Album von DeLa Soul (1989), einem Welterfolg, war Q-Tip Gastmu-siker. HipHop hatte sich über Nacht verändert, undvom Tribes-Album erwartete man, daß sie diese Revo-lution fortführen würden. Außerdem hatte Q-Tipauch auf einer der Top-Singles des Jahres 1990 ge-rappt: »Groove Is In The Heart« von Deee-Lite. DieBand versprach also, zur Personifizierung des Rap-Op-timismus der 90er Jahre zu werden. Durch afrozen-trisch-politische Haltung, spielerische Art und unge-wöhnliche, aber interessante Samples schienen sieschlaffe Beats, einfallslose MC-Sprüche und gold-schmuckbehängte Rap-Pioniere wie Run DMC zuemanzipieren.

Instinctive Travel enthielt alle wichtigen Zutaten.Die Scheibe, witzig, schnell und komplex, stand 3Feet High in nichts nach. Sie erzählte amüsante Ge-schichten über wilde Wochenenden, z.B. in »I Left MyWallet In El Segundo«, und stellte unerwartete (heut-zutage unumgängliche) Samples vor: so war der Hit»Can I Kick It« aus »Walk On The Wild Side« geba-stelt.

ATCQ – oder Native Tongues, wie sie sich selbstgerne nannten – hatten Glück. Sie waren am richti-gen Ort zur rechten Zeit. Allerdings hielt das Glücknicht lange an. HipHop veränderte sich ständig, undbald wurden die Tribes – trotz auffallender Afrozen-trik – als soft und mittelständisch gebrandmarkt. DasHipHop-Zentrum verlagerte sich nach L.A. und favo-risierte rauhe Gangsta-Raps von NWA mit hartenSteel-Vibes (auch wenn Ice Cube genauso zur Mittel-klasse gehörte wie De La Soul). De La Soul veröffent-lichte das morbide Album De La Soul Is Dead. EinFlop, die Glanzzeit war vorbei.

Ausgerechnet dann landeten die Tribes den großenCoup mit der Veröffentlichung von The Low EndTheory (1991). Insgesamt viel einfacher und sehr fi-xiert auf die jazzigen Bass-Sequenzen von J. RonCarter. Eine mutige, innovative Platte, die den Rufder Tribes gegenüber unbeständigen Hardcore-Hip-Hop-Bands verteidigte.

Die Band zog sich zurück – normalerweise fatal imHipHop – und kam erst im November 1993 mit Mid-night Marauders zurück. Weniger jazzorientiert,dennoch cool und entspannt, präsentierten sie einenschlichteren, unauffälligeren Sound. Amerika war be-geistert, die LP erreichte Platz Nr. 8 in den BillboardCharts – ein großer Sprung im Vergleich zu Love End,das es nur bis auf Platz Nr. 45 schaffte.

Das langersehnte vierte Album erschien in Formvon Beats, Rhyme And Life (1996), wirkte allerdingswie der Kater, der auf den Rausch folgt, und war imVergleich zu Instinctive Travel eine müde Angele-genheit. Recht verhalten kam dann auch The LoveMoment (1998). Q-Tip, mit 25 bereits ein Veteran,produzierte damals schon Teen-Rapper wie Nas andShyheim und ist mittlerweile ein gefragter Handanle-ger. Sein Kollektiv arbeitete weiter und wirkte dabeitrotz allem stets wie eine der HipHop-Bands, denenes auf Dauer gelingen könnte, gleichermaßen ange-sagt wie glaubwürdig zu bleiben. Daumen hoch, daßdas so bleibt.

b People’s Instinctive Travels And The Paths of Rhythm(1990; Jive). Gags, wilde Samples, inkl. dem Nike-Hit »Can IKick It?«b The Low End Theory (1991; Jive). Eines der allerbestenHipHop-Alben. Jazzige Grooves mit erstklassigen Raps;mitverantwortlich für Trip-Hop und andere seltsame Dinge.b Midnight Marauders (1993; Jive). Eine Empfehlung füralle, vom Turnschuh-Rapper bis zum HipHop-Rocker:Spitzenklasse.

Marc Elliot

A B B AGegründet 1972 in Schweden aufgelöst 1982.

»Ihre Songs triefen von ehrlicher Melancholie …all die Verzierungen, z.B. doppelte Oktaven amKlavier – wir klauten, was das Zeug hielt.«Elvis Costello

D as Elvis Costello-Zitat ist echt: Er sprach nichtüber die Beatles oder die Beach Boys, sondern

über Abba, das schwedische Boy/Girl-Quartett, dasoft als Krönung des Kitsch-Trends der 70er verhöhntwurde. Costello war nur einer von vielen, die Anfangder 90er überraschenderweise in Lobeshymnen aus-brachen. Nach ihrem Sieg mit »Waterloo« im GrandPrix d’Eurovision 1974, in Samtanzügen und silber-nen Plateaustiefeln, stürmten Abba zwanzig Jahrespäter erneut die Hitparaden.

Alle vier Mitglieder – Benny Andersson (keyb./voc.), Agnetha Faltskög (voc., blond), Anni-Frid

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CLyngstad (voc., rothaarig) und Björn Ulvaeus (git./voc.) – waren in Schweden bereits als Solokünstlererfolgreich, bevor sie als Paare Ulvaeus/Faltskög undAndersson/Lyngstad 1972 das Quartett Abba gründe-ten. Zum dritten Mal angetreten, gewannen sieschließlich 1974 den Grand Prix und landeten mit»Waterloo« einen Welthit. In England erreichten siedie Nr. 1, und sogar in Amerika schafften sie die Top10 (der Anfang einer merkwürdigen Beziehung zumamerikanischen Plattenkäufer. Obwohl ihnen derDurchbruch nie richtig gelang, hatten sie doch zehnTop-20-Hits, unter anderem sogar eine Nr. 1 mit»Dancing Queen«). Danach kam die Flaute. Der Mana-ger der Gruppe, Stig Anderson, der Andersson/Ulva-eus anfangs beim Texten in englisch tatkräftig unter-stützt hatte, zog sich mehr und mehr zurück. DasPaar entwickelte jedoch ziemlich rasch eine Eigendy-namik.

Die Single »SOS« machte der Flaute ein Ende. DieSpector-ähnliche Produktion mit gestaffelten Chor-elementen katapultierte Abba zurück in die Top 10und war der Ausgangspunkt für zehn weitere Erfolgs-jahre. Das Rezept war einfach: gefühlvolle, ausgegli-chene Verse mit dramatischen, mitreißenden Re-frains. Sie schafften es, ein Momentum der Inspira-tion mit täuschend einfachen Mitteln zu kreieren:das A-Kapella-Intro bei »Take A Chance On Me«, dieChöre bei »Name Of The Game« oder das unbefangene›oh yeah‹ in »Dancing Queen« zählen zu den deut-lichsten Beispielen. Diese genialen Feinheiten unter-schieden sie eindeutig von anderen Boy/Girl-Quar-tetts, die später versuchten, den Abba-Sound wiederaufleben zu lassen.

Ein weiterer, wichtiger Aspekt in der Erfolgsge-schichte von Abba war, daß sie Pionierarbeit im Mu-sikvideobereich geleistet hatten, und zwar in den70ern, bevor es die MTV-Generation gab. Zu jeder Sin-gle gab es einen ›Promo-Film‹. So hatte die Gruppedie Möglichkeit, ohne aufwendige Tourneen weltweitpräsent zu sein. Diese Strategie entstand 1977 imZuge der Produktion des Kinofilms Abba: The Movie.Inhaltlich dünn, nach dem Motto ›unermüdlicherJournalist sucht Abba‹, besteht der Film vorwiegendaus Konzertausschnitten der Australien-Tournee undInterviews. Zwar seicht und sentimental, aber kombi-niert mit Abba: The Album (1978) der ultimative Er-folg.

Innerhalb der Band machte sich der Druck des Su-perstar-Rummels – besonders zwischenmenschlich –zunehmend bemerkbar. Der Scheidung von Ulvaeusund Faltskög 1978 folgte zwei Jahre später auch dievon Andersson/Lyngstad. Im Zuge dieser persönli-chen Dramen entstanden allerdings die hervorragend-sten Werke. Die Songs waren nun emotional tiefgrün-diger, z.B. die Nr. 1-Single »The Winner Takes It All«(1980). Das war Abbas ›Tour de Force‹, ein brillantstrukturiertes Melodram mit der zerbrechlichen, sen-timentalen Stimme von Faltskög als Mittelpunkt. IhrAuftritt im Video als einsame, isolierte Person unter-strich diesen Effekt zusätzlich. Das Erfolgsrezeptwurde in den späteren Videos beibehalten, z.B. »One

Of Us« und »The Day Before You Came«. Die Tage desfröhlichen Beisammenseins waren längst vorbei.

Nach ihrem letzten Studioalbum, dem komplexenThe Visitors (1981), das wenig Anklang fand, verein-ten sich Abba ein Jahr später noch einmal, um dasaufwendig gestaltete Doppel-LP-Set The Singles: TheFirst Ten Years (1982) zu promoten. Danach, obwohles nie eine offizielle Trennung gab, entschlossen sichalle vier Mitglieder, sich auf Soloprojekte zu konzen-trieren. Andersson und Ulvaeus blieben zusammenund schrieben (mit Tim Rice) das Musical Chess, wäh-rend Faltskög und Lyngstad wenig erfolgreiche Solo-LPs veröffentlichten.

Zehn Jahre danach, 1992, wurde die Abba-Legendewieder zum Leben erweckt. Die Tribut-EP von Erasure,ein Hitparadenstürmer, und der Erfolg von Abba-Ko-pien wie Björn Again inspirierte Polydor, eine Abba-Promotion-Kampagne zu starten, angefangen mitdem Singles-Sampler Abba Gold (1992). Den weltwei-ten Erfolg konnte man nicht einfach als billige 70er-Nostalgiewelle entschuldigen: Gary Glitter zieht zwarnach wie vor sein Publikum, aber sieben MillionenLPs, 20 Jahre später, verkauft er nicht. 1997 warf Po-lydor sämtliche Alben remastered auf den Markt, an-gefangen bei Ring Ring und bis hin zu Abba Live, undeine weitere Kompilation, Love Stories, ließ Ende1998 die Kassen süß erklingen. Im März 1999 nahmdie Geschichte der Band eine neue Wendung, als imLondoner Westend Mamma Mia startete, ein Musical,das rund um 27 beliebte ABBA-Songs gebaut war. Malabgesehen von den schrägen Frisuren und schrillenKostümen ist Abbas Popularität beständig gebliebenund hat sich sogar, dank ihres musikalischen Ver-mächtnisses, zu einem brillant ausgewogenen Ge-samtwerk entwickelt, was Andersson und Ulvaeusdurchaus das Recht einräumt, sich zu den Top-Kom-ponisten der modernen Zeit zählen zu dürfen.

b Abba Gold und More Abba Gold (1992 & 1993; Polydor).Der erste Teil dieser Anthologie reiht eine Anzahl von Hitswie eine Kette glitzernder Juwelen aneinander, während derzweite Teil etwas tiefer greift und die kleineren Hits (darunterdas hervorragende »The Day Before You Came«) präsentiert.Bonustrack ist die legendäre ›verlorene‹ 1983er Single »I AmThe City«. Ein Muß.

Jonathan Kennaugh

A B CGegründet 1980 in Sheffield, England.

»Ich wollte einen Namen, mit dem wir imTelefonbuch garantiert der erste Eintrag sind,oder, wenn man Abba mitzählt, der zweite.«Martin Fry

A us der Asche der Post-Punk-Gruppe Vice Versaentstanden ABC. Überzeugt davon, daß Earth,

Wind & Fire genauso wichtig und aufregend waren wiedie Sex Pistols, kreuzten sie die strammen Disco-Funk-Arrangements mit witzigen, scharfen New Wa-ve-Texten. Martin Fry (voc.) war gleichzeitig der

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Texter von ABC. In der Originalbesetztung spieltenMark White (git.), Mark Lickley (b.), Steve Sin-gleton (sax.) und David Palmer (dr.).

Ihre erste Single, »Tears Are Not Enough«, wurdeim Herbst 1981 veröffentlicht und schaffte kurz da-nach den Sprung in die englischen Top 20. Damalssagte Martin Fry in einem Interview nicht nur, daßseine Lieblingsgruppe The Clash, sondern auch, daßseine derzeitige Lieblingssingle »Hand Held In BlackAnd White« von Dollar sei. Diese widersprüchlicheBegeisterung für straighten Punk und kitschigen Dis-co-Pop teilte auch Phil Oakey von The Human League,der etwa zur gleichen Zeit verkündete, wie sehr erAbba bewundere.

Frys Begeisterung für Dollar führte zu einem Tref-fen mit dem Produzenten von »Hand Held«, TrevorHorn. Ehemals die eine Hälfte der Buggles, produ-zierte er später Frankie Goes To Hollywood, MalcolmMcLaren und Art Of Noise. Doch das Debütalbum vonABC, The Lexicon of Love (1982), war und blieb seinebeste Gesamtproduktion. Üppig, cinematisch, tanz-bar – geteilte Kritikermeinungen. Einige fanden es lä-cherlich, wie dieses Symbol des ›neuen Pop‹ die1977er Punk-Ethik zu einem schlechten Witz degra-dierte; anderen gefiel, wie glamourös der Pop gefeiertwurde. Wie auch immer, die Plattenkäufer liebten dieLP, und im Sommer 1982 landete sie auf Platz 1 derenglischen sowie auf Platz 24 der amerikanischen Al-bum-Charts. Die Songs inspirierten sogar den FilmMantrap (1982), dessen Regisseur Julien Temple vor-her u.a. auch für den Sex Pistols-Streifen GreatRock’n’Roll Swindle (1979) verantwortlich war.

Ein ständiges Problem war, einen gleichwertigenNachfolger für The Lexicon Of Love zu schreiben. Dienachfolgenden ABC-Veröffentlichungen waren zwarvielseitig, wurden aber immer mit dem Erstlingswerkverglichen. Eine zeitlang sah es tatsächlich so aus,als würde die Gruppe nicht überleben. Mark Lickleyverließ die Band Anfang 1982, nachdem die zweite

Single, »Poison Arrow«, im Kasten war. DavidPalmer sprang während der Welttournee1982/83 in Japan ab. Er beschloß, sich beimYellow Magic Orchestra zu bewerben, spieltedann allerdings hauptsächlich bei THE THE.

Fry und White kämpften gemeinsam wei-ter und stellten fest, daß sie im Zuge ihrermusikalischen Entwicklungsphase von Kriti-kern und Publikum links liegen gelassenwurden. Mit Beauty Stab (1983) wagten sieeinen Ausflug in die Rockszene, präsentier-ten Gitarrensolos und ›sozialkritische‹ Texte.1983 war derartiges fast universal out. Imnachhinein betrachtet war es allerdings ei-ner der waghalsigsten Karriereschritte jenerZeit – ein Vorreiter des Polit-Pop-Trends, dersich zwei bis drei Jahre später abzeichnete.Trotz allem, die Motivation war zwar bewun-dernswert, aber das Album selbst schwerfäl-lig und deplaziert, sowohl für ABC als auchfür die 1983er Popszene allgemein.

How To Be A Zillionaire (1985) kam besseran, zeigte aber erneut, daß Fry und White wieder amrichtigen Ort zur falschen Zeit waren. Diesmal verar-beiteten sie den Einfluß der New Yorker Discoszenesowie die aufstrebenden Electro- und HipHop-Trends,die in England noch nicht ganz im Mainstream inte-griert waren. Die LP verkaufte sich gut in Amerika,und eine Singleauskopplung »Be Near Me« erreichtePlatz Nr. 9 in den Billboard Hot 100. Großbritannienzögerte. Es ließ sich kaum nachvollziehen, welchenMarkt die Gruppe überhaupt anstrebte. Der ironischeVersuch eines neuen Images folgte: die Band als Kari-katur, mit den neuen Mitgliedern Eden (bekannt alsStyle-Journalistin Fiona Russell Powell) und DavidYarritu – aber nichts half, die Plattenverkäufe zusteigern oder das Gesamtprofil der Band aufzupolie-ren.

Fast hätten sich ABC nach How To Be A Zillionaireaufgelöst, nicht zuletzt wegen Frys schwerer Krank-heit 1985/86. Glücklicherweise erholte er sich, undinspiriert vom Erfolg von »Be Near Me« in Amerika(Zillionaire kam dem Sound des viel vermißten vonLexicon am nächsten) war das nächste Album eineRückkehr zur Basis. Eine Pop-Dance-LP, AlphabetCity (1987), wurde zur erfolgreichsten seit ihrer De-büt-LP. Der Tribut an Smokey Robinson, »When Smo-key Sings«, wurde ein Riesenhit auf beiden Seitendes Atlantiks.

Frys und Whites Begeisterung für House führte1989 zu UP, einer LP, auf der es an guten Songs man-gelte, während Abracadabra (1991) den Eindruck ei-nes halbherzigen Versuchs erweckte, die bewährteFormel noch einmal aufleben zu lassen. Es kam nie zueiner offiziellen Trennung, doch wurde es sehr stillum das Duo, bis sie mit Skyscraping (1997) wiederauftauchten und Fry stilvoll überzeugte, als ob es nieanders gewesen wäre. Selbstbewußter denn je (›Lookinto my eyes baby, it’s such a spectacular view‹ –schau mir in die Augen, der Anblick ist einfach spek-takulär) kokettierte er mit überschwenglicher Musik

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und versprühte Charme und Ironie. Ein breites Publi-kum war dafür aber nicht mehr empfänglich, undauch ABC/Fry blieb das Schicksal nicht erspart, da-nach immer wieder im Rahmen irgendwelcher Oldie-Nights aufzutreten.

b The Lexicon of Love (1982; Phonogram/Mercury). DerMaßstab für alle folgenden ABC-Veröffentlichungen. Zwarschon etwas älter, aber als Beispiel für den besten Pop der80er steht es Dare von The Human League in nichts nach. Die1996er-Wiederveröffentlichung enthält sechs zusätzlicheRemix-Titel, B-Seiten und Live-Cuts – keine besonders wichti-gen, aber trotz allem ein gutes Gesamtangebot.b The Look Of Love: The Very Best Of ABC (2001; Phono-gram/Mercury). Die obligatorische Greatest-Hits-Kollektion,die beweist, daß selbst in den schwächsten LPs von ABCeinige erfrischende Vier-Minuten-Kostbarkeiten verstecktwaren.

Justin Lewis

A C / D CGegründet 1973 in Sydney, Australien.

A C/DC, eine der unsterblichen Größen des HeavyMetal, wurden von Angus Young (git.) und sei-

nem Bruder Malcolm (rhythm git.) gegründet. In Ori-ginalbesetzung, mit Rob Bailey, Peter Clark, undSänger Dave Evans, nahmen sie 1974 ihre erste Sin-gle, das leicht anämische »Can I Sit Next To You Girl«,auf. Später im selben Jahr lösten dieBrüder Young die Band wieder auf undzogen nach Melbourne. Dort engagier-ten sie den Sänger und Kleinkriminel-len Bon Scott, Phil Rudd (dr.) undMark Evans (b.).

Die ersten beiden LPs, TNT (1975)und High Voltage (1976), waren vomFeinsten. Doch erst mit ihren Live-Auf-tritten – einschlägiger, harter Soundund theatralische Einlagen, der Wirbel-wind Angus in Schuluniform, von BonScott auf den Schultern durchs Publi-kum getragen – setzten AC/DC Ak-zente. Anfangs waren Einflüsse von denStones und The Who zu erkennen, aberbald wurden energiegeladene Frage-und-Antwort-Riffs und schweißtreiben-der Fun zum Schwerpunkt.

1976 übersiedelten AC/DC nach Eng-land. Punk war gerade im Aufschwung.Eine Zeitlang behauptete sich ihr oh-renbetäubender Wahnsinnssound sehrgut in jenen Clubs, die sonst die Sex Pi-stols oder The Damned zu Gast hatten.Wie die Punk-Bands hatten auch AC/DCdie traditionelle Rockszene satt. Den-noch hatte ausgerechnet Scott verlau-ten lassen, wie enttäuschend die musi-kalische Unfähigkeit der Punkbandssei.

Obwohl High Voltage 1976 schließ-lich doch in England veröffentlicht

wurde, schaffte sie den Sprung in die Charts nicht.Der provokative Metal-Klassiker Dirty Deeds DoneDirt Cheep schnitt nicht viel besser ab. Die verfrühteTournee zu Let There Be Rock (1977) war schlecht be-sucht. Doch eine der Shows auf dieser Tour, nämlichdie im Londoner Hammersmith Odeon, sollte denStein ins Rollen bringen. Der Grund: das inzwischenlegendäre Repertoire, mit Titeln wie »Whole Lotta Ro-sie«, »Problem Child« und einer halsbrecherische Ver-sion von »Rocker«.

Evans wurde durch Cliff Williams ersetzt, und LetThere Be Rock stürmte die englischen Charts, gefolgtvon der zurückhaltenderen LP, Powerage (1978). Ei-nige Songs auf Powerage, z.B. »Down Payment Blues«und »What’s Next To The Moon«, bewiesen, daß Scottdurchaus auch intelligente Texte schreiben konnte,auch wenn sein ausgeprägter Sexismus in anderenTexten dem widersprach. Der erste Hit, »Rock’n’RollDamnation«, sicherte ihnen einen TV-Auftritt bei TopOf The Pops. If You Want Blood, You Got It (1978)wurde zum bis dahin erfolgreichsten Album.

Die gemischte Reaktion auf Highway To Hell ver-hinderte keineswegs Verkäufe von weltweit einer Mil-lion, doch ein schwerer Schicksalsschlag sollte baldfolgen: Im Februar 1980 wurde Scott nach einem ex-zessiven Whisky-Gelage tot aufgefunden. Der Ge-richtsmediziner konnte nur noch ›Tod durch Alkohol-mißbrauch‹ feststellen.

Angus Young – die bekanntesten Knie des Rock

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Kreativ gesehen haben sich AC/DC von dieser Tra-gödie nie wieder erholt. Scott wurde durch den Bri-ten Brian Johnson ersetzt (Ex-Geordie), aber auchseine ausgezeichnete Bühnenpräsenz konnte nichtverhindern, daß Texte und Riffs schwächer und im-mer gleichklingender wurden. Trotz allem entwik-kelte sich die Gruppe zu einer der größten Stadion-bands der Welt.

Auf dem durchwachsenen 1980er Comeback-AlbumBack In Black, Nr. 1 in England, erwiesen sie Scottdie letzte Ehre mit dem gezielt anmaßenden »Have ADrink On Me«. Dieses Album brachte den großenDurchburch in Amerika. Dort verzeichnete es Ver-kaufszahlen von über zehn Millionen, weckte soenormes Interesse an früheren Veröffentlichungenund ebnete den Weg für For Those About To Rock (WeSalute You). Inzwischen waren AC/DC ein äußerst be-gehrter Live-Act. 1981 und 1984 spielten sie alsHeadliner auf dem wichtigsten Heavy Metal-FestivalEnglands, Castle Donington – vor jeweils mehr als70.000 Zuschauern.

Das Tourneeleben zehrte an Phil Rudd. 1983 wurdeer von Simon Wright abgelöst. Trotz erfolgreicher LPswie Flick Of The Switch (1983), Fly On The Wall (1985)oder Who Made Who und dem Headline-Auftritt beimRock In Rio Festival in Brasilien wurde immer deutli-cher, daß AC/DC ihren Zenit überschritten hatten. Einweiterer Personalwechsel folgte. Wright ging 1989 zuDio und Chris Slade übernahm am Schlagzeug.

Trotz allem erlebten AC/DC erneut einen kommer-ziellen Aufschwung von Ende der 80er bis Anfang der90er. Blow Up Your Video und The Razor’s Edge ver-kauften enorm. Live (1992), Highlights aus der1990/91er Welttournee, setzte ein Denkmal für dieJohnson-Jahre, konnte aber das schweißtriefende IfYou Want Blood, You’ve Got It nicht übertreffen.

Dann wurde es ein bißchen ruhiger um die Band.Eine Zusammenarbeit mit Rick Rubin erbrachte dieSingle »Big Gun« für den Soundtrack zu dem Schwar-zenegger-Film The Last Action Hero. Auch Ball-breaker (1995), das erste Studioalbum in fünf Jah-ren, hob sich, inzwischen wieder mit Phil Rudd amSchlagzeug, deutlich von der Meterware der späten80er ab.

Weihnachten 1997 betraten AC/DC erstmals CD-Bo-xen-Land und veröffentlichten Bonfire, eine Vernei-gung vor Bon Scott auf 4 CDs, die Konzertmit-schnitte, unveröffentlichte Demos und andere Rari-ties enthielt. Die Box füllte auch die Lücke bis zumnächsten Studioalbum.

Stiff Upper Lip (2000) wurde dann von vielen alsRückkehr zu alter Form gefeiert. Nicht daß die Plattedie Arbeiten von Ende 70, Anfang 80 übertroffenhätte – aber hier war wie früher der knarzige Bluesim Spiel. Nach wie vor waren und sind AC/DC auf derBühne allerdings spektakulär. Die Angus-Bronzesta-tue, die gigantische Glocke (bei »Hells Bells«), dieKanonen (bei »For Those About To Rock«) – man mußes erlebt haben, um es zu glauben! Oder zumindesteinen Blick in die Stiff Upper Lip Live DVD (2001)werfen.

b If You Want Blood, You’ve Got It (1978; Atlantic). Dasletzte Wort in Sachen Hardrock-Livealbum. Wenn die Ampsbrummen und die ersten Töne von »Riff Raff« nicht bei dirzünden, mußt du tot sein. Ein zeitloses Dokument.b Highway To Hell (1979; Atlantic). Eins der bestenStudioalben. Knisternd produziert von Mutt Lange und miteiner potentiellen Hitsingle nach der anderen.b Back In Black (1980; Atlantic). Brian Johnsons Stimmeklingt zwar ganz ähnlich wie die von Scott, doch es sind dieSongs, die dieses Album auszeichnen. Hier war die Band ganzoben, und dementsprechend klingt es.b Bonfire (1997; EMI). Etwas für Sammler. 4 CDs,vollgepackt mit Besonderheiten wie Scott-Demos, derlegendären Radiosession von 1977 sowie dem Soundtrack zudem Konzertfilm Let There Be Rock. Sagenhaft und jeden Eurowert.

Roger Sabin und Essi Berelian

A D A M A N D T H E A N T SGegründet 1977 in London; Adam immer noch gutim Geschäft.

P unk hatte immer einen Hauch von Kunst an sich.Für viele Geschmäcker hatten Adam And The

Ants einen Hauch zuviel davon. Adams Karriere läßtsich durch seine verschiedenen Imagewechsel besserbeschreiben als durch seine Musik. Doch seine Musikist Fun, z.B. seine Anspielung auf S & M im gewagten»Whip In My Valise« oder das tuntenhafte »StandAnd Deliver«.

Anfang 1977 waren sie eine von vielen Bands, dieversuchten, auf der Welle der Sex Pistols mitzu-schwimmen. Die Originalbesetzung, Adam (StuartGoddard), Andy Warren (b.), Lester Square (git.)und Paul Flanagan (dr.), präsentierte sich inschwarzem Leder (ein völlig normales Punk-Image),die Songs neigten gewöhnlich zu einem ›Sturm-und-Drang‹-Höhepunkt. Was sie in die obere Liga kata-pultierte, waren die Sado-Maso-Einlagen zwischenAdam und Band-Manager Jordan, ein Ex-Mitläufervon Malcolm McLaren, der ähnlich überheblichagierte.

Obwohl die Musik nichts Außergewöhnliches war,vermochte es die Bühnenshow, die Zuschauer von derBar fernzuhalten; außerdem durfte Adam (gemein-sam mit Jordan) eine Rolle in Derek Jarmans Film Ju-bilee übernehmen. Adam spielte die Rolle des Kid, derein paar Lieder sang, sich profilierte und zum Schlußsogar ermordet wurde; alles ausgezeichnete Promo-tion für das Debütalbum, Dirk Wears White Sox(1979). Inzwischen gab es auch neue Bandmitglieder:Gitarrist Mark Gaumont (der bald darauf gegen Mat-thew Ashman ausgetauscht wurde), SchlagzeugerDave Barbe und Bassist Leigh Gorman. Kurz nachder LP-Veröffentlichung schuf Malcolm McLaren ausdiesem Line-Up allerdings BOW WOW WOW. Die wan-kelmütige Musikpresse war begeistert und schriebAdam leichtfertig ab als wieder einen, dessen Karrierevorbei war.

Unbeirrt gründete Adam eine neue Band mitMarco Pirroni (git.), Terry Lee Miall (dr.), Merrick(dr.), und Kevin Mooney (b.), der im Frühjahr 1981

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durch Gary Tibbs (Roxy Music und The Vibrators) er-setzt wurde. Adam selbst legte sich ein neues Imagezu. Er trat in einer bizarren Kreation (Piratenkostümund Indianer-Make-up) als Frontmann einer drumla-stigen Heavy-Pop-Band auf. Ein Sound, inspiriert vonden afrikanischen Trommlern von Burundi, interes-santerweise kreiert von Simon Jeffes (vom PenguinCafé).

Adams zweite LP, Kings Of The Wild Frontier(1980), wurde mit diesen heißen Rhythmen ein Rie-senerfolg. Der Sänger, zum Umfallen schön, schmet-terte ausgelassene New Wave-Hymnen. Er schrieb so-gar eine Hymne für sich selbst. »Antmusic« sicherteihm neben »Dog Eat Dog« den Weg in die Charts.›Antmania‹ brach für eine Weile aus und sorgte dankaufwendiger Promovideos für eine Menge verkaufterSchallplatten, besonders in England. Von 1980 bis1982 kamen acht Singles auf den Markt – alle wur-den Hits in England, drei davon erreichten sogar dieNr. 1.

Teenybopper-Ruhm ist meistens kurzlebig, und fürAdam verblaßte er Ende 1981 nach der Veröffentli-chung seiner wenig erfolgreichen Prince Char-ming-LP. ›Man sollte keine Angst davor haben, sichlächerlich zu machen‹, erklärte unser Held im Titel-song. Eigentlich doch, wenn man sich derart präsen-tiert – frag’ mal den anderen Prince. Das war nichtRock’n’Roll, das war ein Kurzwarenladen.

Adam biß in den sauren Apfel und löste 1982 dieBand auf. Er arbeitete weiter mit Ant-Gitarrist Pirronizusammen, unter anderem auf der Nr.-1-Single»Goody Two Shoes«. Das Duo veröffentlichte einigeLPs, die sowohl bei Kritikern als auch beim Publikumkeine Resonanz fanden.

Nach einem Kurzauftritt 1985 bei Live Aid hängteAdam seine Bühnenklamotten an den Nagel, um sichstatt dessen auf eine Filmkarriere zu konzentrieren.Marco ging zu Spear Of Destiny und arbeitete imStudio mit Sinéad O’Connor.

1990 vereinten sie sich vorübergehend ein weite-res Mal und produzierten das Top-20-Album Man-ners & Physique, aber danach war die Luft endgültigraus. Dann war es still, bis Adam Anfang 1995 seinenPin-Up-Look und seine sexy Stimme erneut zum Ein-satz brachte, um mit Wonderful eine neue Genera-tion in Verzückung zu versetzen.

b Kings Of The Wild Frontier (1980; CBS). Sein erstesHit-Album mit neuem Image und anderer Band. Teils sind dieStücke Überbleibsel der früheren Ants, teils auf ein neuesPublikum zugeschnitten (erbärmlich: »Los Rancheros« und»Jolly Roger«). Kein Muß, aber gut, wenn man auf Fun-Musiksteht.b Hits 1980–85 (1986; CBS). Dreizehn Songs, alle Renner.Diese LP und Dirk, dann hat man das wichtigste desAnt-Kunstwerks.

Al Spicer

Lederklamotten, gequälte Miene? Das dürften Adam and the Ants sein, bevor die Lieferung mit denneuen Kostümen eintraf

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R YA N A D A M SGeb. 1974 in Jacksonville, North Carolina.

W enn Gram Parsons der ›Heilige Geist‹ des Alter-native Country ist, dann ist Ryan Adams si-

cherlich sein Messias, sowohl, was das ständige Un-terwegssein und die Exzesse, als auch, was dieemotionale Tiefe und die Genreerneuerung in seinerMusik betrifft. Das Etikett ›Alternative Country‹ hatAdams allerdings seit jeher abzuschütteln versucht:Durch ständige Stilwechsel hat er sich einer allzuleichtfertigen Kategorisierung entzogen und zudemdafür gesorgt, daß er auch im Mainstream zu einerArt Star wurde.

In Adams’ Musik atmet die Seele des Country,wenngleich er als Einflüsse für seine erste Band, ThePatty Duke Syndrome, die er mit fünfzehn gründete,Bands wie Black Flag, Hüsker Dü und die Dead Kenne-dys angibt. Innerhalb von vier Jahren hatte sich dieGruppe in ihrer Heimat einen gewissen Ruf erspielt,doch 1994, kurz nach seinem Umzug ins nahegele-gene Raleigh, stieg Adams aus und gründete eineneue Band mit Phil Wandscher (git.) und CaitlinCary (Violine; voc.). Daraus wurde mit den Neuzu-gängen Steve Grothman und Eric ›Skillet‹ Gilmoredie Gruppe Whiskeytown.

Mit dieser neuen Gruppe hatte Adams die Möglich-keiten, die er zuvor vermißt hatte, und er vereinigtenun Country, Punk, Pop und Rock. Zum Sprachrohrder Band wurde das wichtigste Medium der aufblü-henden Alt-Country-Szene, die Zeitschrift No Depres-sion, und dies insbesondere mit dem Erscheinen desDebüt-Albums Faithless St (1996). Die Platte, aufge-nommen mit viel Alkohol und mit Chris Stamey vonden dBs an den Reglern, strahlte Kargheit und einefast brutale Melancholie aus.

Es war dies ein entscheidender Moment, der dasGenre neu definierte: eine Hälfte Replacements, dieandere Parsons. Adams war aber nicht bereit, auf derStelle zu treten. Strangers Almanac (1997) legte dieProduktionslatte höher an, was zweifelsohne daranlag, daß nun ein Major-Label im Spiel war. Adams’Songwriting war weit gereift, und in seine Sentimen-talität mischte sich ein Lebens- und Weltüberdruß,der erstaunlich war angesichts der wenigen Lenze,die der Autor auf dem Buckel hatte. Zu diesem Zeit-punkt traute man Whiskeytown allerhand zu, dochinterne Unstimmigkeiten drohten die Gruppe zusprengen: das Touren war immer schwierig gewesen,die Arbeit an Strangers Almanac strapaziös, und esherrschte eine offensichtliche Animosität zwischenAdams und Wandscher.

Als die Gruppe wieder ins Studio ging, waren nurnoch Cary, Adams und der (neu hinzugekommene)Multiinstrumentalist Mike Daly im Boot. ProduzentEthan Johns schaffte es, bei Pneumonia (2001) inausgewogener Form sowohl den rohen Ansatz des De-büts zu bewahren, als auch einen Glanz zu erzielen,wie ihn Major-Firmen nun einmal fordern. Mit Gast-auftritten von James Iha (Smashing Pumpkins) und

dem Replacements-Drummer Tommy Stinson stelltedieses dritte Album – ähnlich wie Wilcos Being There– den gelungenen Versuch dar, sich aus der engenVerbindung zu No Depression zu lösen. Als es aber er-schien – aufgrund einer ›Neustrukturierung‹ der Plat-tenfirma drei Jahre später als ursprünglich vorgese-hen –, hatte Cary bereits eine eigenes Albumveröffentlicht und war Adams auch schon eigeneWege gegangen. Folgerichtig machten Whiskeytownden Laden dicht.

Adams’ erstes Solo-Unterfangen war, sich auf dieStraße zu begeben und eine Reihe akustischer Kon-zerte abzuliefern. Dann ging er mit den SongwriternGillian Welch und David Rawlings ins Studio (inNashville – wo sonst?). Bei dem großartigen Blood-shot-Label erschien dann Heartbreaker (2000), einAlbum, das von einer Musikpresse, die erwartungs-voll neuer Großtaten dieses vielversprechenden Ta-lents harrte, mit offenen Armen empfangen wurde.Welch und Rawlings bereicherten Adams’ flapsig-ro-hen Vortrag um eine seriösere, bodenständigere Kom-ponente, und Emmylou Harris trug als Gastsängerinbei »Oh My Sweet Carolina« zu noch mehr Country-Feeling bei.

Wieder versuchten die Majors, ein Stück vom Ku-chen abzukriegen, und Adams unterschrieb bei demUniversal-Ableger Lost Highway, der dann Gold(2001) herausbrachte – im selben Jahr, in dem auchPneumonia erschien. Gold orientierte sich mehr amRock der 70er und streifte Neil Young ebenso wie dieRolling Stones, scheute sich auch nicht vor einemZwischenstop im Hotel California. Adams war schonimmer ein unglaublich fleißiger Autor gewesen undhatte im Jahr vor der Veröffentlichung von Gold Ma-terial für insgesamt vier Alben angesammelt. Drei-zehn dieser Tracks wurden unter dem Titel Demoli-tion im Jahr 2002 veröffentlicht. Klarerweise han-delte es sich dabei um einen Lückenfüller, der dieZeit bis zum nächsten ›richtigen‹ Album überbrückensollte; dennoch waren hier einige wahre Perlen zufinden, etwa das verträumte »Tennessee Sucks« oderdas sentimentale »Cry On Demand«.

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(X

)Adams bleibt jedoch der Punk, der er war; er ist

Mitglied der Fucking Virgins, gemeinsam mit JamesIha, Evan Dando und Melissa Auf der Maur; außerdemwirkt er, wie man hört, bei der Hardcore-Truppe Fin-ger mit. Anfang 2003 war er mit den Rolling Stonesauf Tour und gründete dazu The Pink Hearts, Ende2003 legte er ein weiteres, von der Kritik hymnischgefeiertes Album, Rock’N’Roll, sowie die EPs Love IsHell, Pt. 1 & 2, vor.

Parsons wäre sicherlich stolz auf seinen musikali-schen Sprößling.

WHISKEYTOWN

b Faithless St (1996; Outpost). Adams wird mit Schnaps-taufe in die Welt des Country aufgenommen. Stellenweiseruppig, stellenweise klebrig, aber durchgängig lohnend –insbesondere bei gefühlvoll-brachialen Tracks wie »Excuse MeWhile I Break My Heart Tonight«.

RYAN ADAMS

b Heartbreaker (2000; Bloodshot). Nach Jahren des immerweiter und immer besser geht Adams zurück zu denUrsprüngen. Diese bittersüße Arbeit zeigt ihn als gereiftenAutor und Interpreten.b Gold (2001; Lost Highway). Einerseits überkandidelt undeine Nummer zu dick, andererseits eine absolut zeitgemäßeNeukonzeption des Countryrock. Niemand hat die Grundwertedes Alternative Country so überzeugend einem breitenPublikum zugänglich gemacht wie Adams.

Derryck Strachan

A D D N T O ( X )Gegründet 1994 in London.

S eit ihren Anfängen ist es Add N To (X) nicht nurgelungen, mit überkommenen Technologien gute,

auffällige und moderne Musik zu machen, sondern

zudem ein breites Publikum für ihren ganz eigenenElektronik-Poprock zu interessieren und das Traktie-ren von Analog-Instrumenten wieder salonfähig zumachen.

Barry Smith und Ann Shenton kannten sich vomWe Are Electric-Club und gründeten Add N To (X),nachdem Smith im Mülleimer einen ausrangiertenMS20-Synthesizer gefunden hatte. Unter Hinzu-nahme weiterer aufgelesener Keyboards, Thereminsund Oszillatoren absolvierten sie eine Reihe stan-dardmäßiger Elektronikkonzerte in London und Paris.Dies änderte sich, als 1997 Steve Claydon zur Gruppestieß. Die neue Formation betätigte sich nun in Sa-chen – wie sie das selbst bezeichnen – ›Avant-hard‹,veröffentlichte das Mini-Album Vero Electronic aufBlow Up Records und wurde daraufhin von SatelliteRecords unter Vertrag genommen. Zwei Maxi-Singlesentstanden hier, nämlich »The Black Regent« und»King Wasp« (letztere mit faszinierendem Artworkund 3D-Brille), beide wurden vom NME zur jeweiligenSingle Of The Week gekürt. Ein weiteres Stück, »De-mon Seed«, erschien auf dem Piao!-Label im Rahmeneiner Single, die man sich mit Fridge teilte, und Pop-Papst John Peel lud seine neuen Lieblinge 1998 ein,für ihn eine Session einzuspielen.

Das Debüt-Album On The Wires Of Our Nerves(1998) wurde von Musikpresse und Radiostationenbegeistert aufgenommen; es entstand sogar ein Do-kumentarfilm über die Band, in dem neben der Musikauch ein paar ihrer Experimentalfilme gezeigt wur-den. Das Album, das ältere Musiktechnologie (in derTradition von Cabaret Voltaire und Throbbing Gristle)mit relaxtem Jungle-Getrommel von Rob Alum (HighLlamas) zu kombinieren verstand, führte – unter-stützt von den echten Schlagzeugern Andy Ramsay(Stereolab) und John Russell – zu Live-Auftritten

bei John Peels Meltdown Festivalsowie mit Pulp im Londoner Fins-bury Park. Add N To (X) traten so-gar im Megadog-Club auf, wo dieTanzwütigen ganz überrascht wa-ren, daß die Gruppe live härter undaggressiver zur Sache geht, als esdie Plattenaufnahmen vermutenließen.

Mitte 1998 wechselte die Gruppezu Mute und veröffentlichte die EPLittle Black Rocks In The Sun(1998) sowie das Mechano-Porno-Video zur Single »Metal Fingers InMy Body« (1999). Das zweite Al-bum, Avant Hard (1999), brachtedann noch mehr genresprengendenElektronikspaß. Nach erfolgreichenTourneen, dem Neuzugang vonRoss Orton, der Änderung vonSmiths Namen in Barry 7 und derNebenbetätigung als Shenton En-gine veröffentlichte die GruppeAdd Insult To Injury (2000). DieseScheibe bot einen angenehmen Zu-

Add N To (X) und ihre fette Moog-Sammlung

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gang zu dem elektronischem Herumgepoppe, was na-türlich an der eingängigen Single »Plug Me In« undihrem tanzbodenfüllenden Disco-Remix lag. In dieseKerbe hieb dann auch Loud Like Nature (2002), wo-bei hier der beste Track wohl »Lick A Battery (TongueAcross The Terminals)« war.

b On The Wires Of Our Nerves (1998; Satellite). Irgendwozwischen Giorgio Moroder, den Beastie Boys und ThrobbingGristle bewegt sich dieses Album, das mehr als jedes andereseit Suicide für eine Breitenakzeptanz von elektronischemGeblubbere und Gefiepse gesorgt hat. Zwischen Chaos undVocodern dringt aber dennoch ab und zu die Stille durch.b Add Insult To Injury (2000; Mute). Grooviges mit denältesten und grauenhaftesten Synthies am Platze. Add N To(X) haben ihren Elektro-Pop gern lärmig und pervers undnutzen die Gelegenheit, sich mit S & M-Computerspielchenschadlos zu halten.

Richard Fontenoy

T H E A D V E R T SGegründet 1976 in London; aufgelöst Ende 1979.

»The Adverts kennen einen Akkord, The Damneddrei. Seht alle vier…« Konzertplakat 1977

T V Smith (git./voc.) und Gaye Advert (b.) grün-deten eine Band und spielten ihren ersten Gig im

Roxy – einem verschwitzten, versifften Club im Lon-doner Covent Garden. Verstärkt durch Howard Pik-kup (git.) und Laurie Driver (dr.) spielten sie alsVorgruppe von The Damned und gingen zu Stiff Re-cords. Nach einer kurzen Studiosession landete ihreerste 45er, »One Chord Wonders«, in den Plattenläden– eine starke Punk-Single, die Unerfahrenheit trotzigzu einer Tugend erhob.

Die zweite Single im Sommer 1977 sprach nichtnur die Kultfreaks an. »Gary Gilmore’s Eyes« war einemakabre Fantasiegeschichte über besagten Mörder,dessen Wunsch es war, seinen Körper der Medizin zurVerfügung zu stellen. Ein interessantes Thema für dieBoulevardpresse. Die Plattenfirma half mit provokati-ven Pressefotos von Gayle nach. Ein TV-Auftritt inTop Of The Pops stampfte plötzlich tausende neuePunk-Kids aus dem Boden – größtenteils männlicherNatur –, die von Gayles verwahrlostem Amphetamin-Look begeistert waren. Auf der B-Seite der Singleschlummerte die maßgeschneiderte Hymne »BoredTeenagers«.

Zwei weitere Singles schafften den Mainstream-Er-folg nicht, doch die LP Crossing The Red Sea With TheAdverts (1978) kroch in die untere Hälfte der UK-Top40. Das Album enthält die Singles sowie einige un-spektakuläre Konzertnummern – obwohl die Bandlive faszinierend war, kamen die Aufnahmen so lang-weilig und schlaff rüber wie die Frisur von TV Smith.

Nach Laurie Drivers Abgang rekrutierten TV undGaye verschiedene Aushilfsdrummer. Sie wechseltensogar das Plattenlabel, hatten aber Schwierigkeiten,einen Produzenten zu finden, der ihren Live-Soundim Studio umzusetzen wußte. Bis die zweite LP, Cast

Of Thousands (1998; Reissue bei Anagram), auf denMarkt kam, hatten sie bereits jegliche Punk-Glaub-würdigkeit verloren und sogar einen Synthesizerex-perten engagiert, der früher bei Mike Oldfield ge-spielt hatte. Nachdem die Platte von Kritikernentweder ignoriert oder verrissen wurde, besannensich TV und Gaye auf ihre eigentlichen Namen undverschwanden im Sonnenuntergang. Stilvoll bis zumSchluß.

b Crossing The Red Sea With The Adverts (1978; CBS). Alleguten Singles sowie ein verworrener Mix aus dem restlichenRepertoire.

Al Spicer

A E R O S M I T HGegründet 1970 in Sunapee, New Hampshire.

»Am Anfang waren wir nicht besonders ehrgeizig.Wir wollten nur die Größten sein.« Steven Tyler

A erosmith, Stadionrocker par excellence, habenDurchhaltevermögen bewiesen. Aus dem Ab-

grund, in den sie Ende der 70er gesunken waren,schafften sie im Zeitalter von Videos und MTV einComeback, wurden sogar zu Megastars. Gegründetvon Sänger Steven Tyler (richtiger Name Steven Tala-rico) und Rhythmusgitarrist Brad Whitford, kamenSchlagzeuger Joey Kramer, Bassist Tom Hamiltonund der begnadete Leadgitarrist Joe Perry dazu. Erund Tyler entwickelten sich zum Mittelpunkt derGruppe.

1972 veröffentlichten Aerosmith das gleichnamigeDebütalbum mit dem fetzenden »Mama Kin« und derträumerischen Ballade »Dream On«. Auf dem vonJack Douglas produzierten Album Get Your Wings(1974) demonstrierten sie erstmals ihr späteres Mar-kenzeichen: straffe Rockrhythmen und Tylers heisere,bluesige Gesangsakrobatik. Das Multi-Millionen-Al-bum Toys In The Attic (1975), zwar gewagter, aber zu-kunftsweisender Funk in »Walk This Way« und dascharakteristisch breite Innuendo auf »Big Ten Inch«,katapultierte die Band in die Stadien und widerlegtealle, durch Tylers Ähnlichkeit mit Jagger und PerrysGitarrenstil ausgelösten Zweifel, daß die Band nur einStones-Abklatsch sei.

Auf Rocks (1976) brachten Aerosmith eine unver-kennbare Mischung von Beatles-Harmonien und kom-promißlosen Heavy Metal-Riffs wie z.B. »Back In TheSaddle«. Wahrscheinlich waren es jene Beatles-Ele-mente, die ihnen 1978 die Ehre verschafften, denSong »Come Together« im Film Sgt. Pepper’s LonelyHearts Club Band zum Besten geben zu dürfen.

Auf der Bühne hatten sich Aerosmith zu einer At-traktion entwickelt. Ein androgyner, provokativer Ty-ler, der seinen Mikrophonständer durch die Luftschwang wie ein Bandleader seinen Taktstock, dieBand eine perfekte Basis für Perrys protzige Gitarren-exzesse. Das Publikum tobte derart (Tyler wurde re-gelmäßig in die Menge gezerrt), daß sie hinter einem

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Sspeziell angefertigten Gitter auftreten mußten. Lei-der blieben die Exzesse des Rock’n’Roll-Lebensstilsnicht ohne Folgen – Tyler gab später bekannt, daß erüber eine Million Dollar für Drogen ausgegeben hatte.Ein weiterer Streßfaktor war, daß ähnliche Erfolge aufder anderen Seite des Atlantiks ausblieben. 1977 er-lebten sie eine verheerende Europa-Tournee mitten inder Glanzzeit des Punk.

Das seichte Draw The Line wurde nur durch den Ti-telsong gerettet. Live Bootleg war zwar ein ausge-zeichnetes Album, doch Disharmonie aufgrund ihresDrogenkonsums spiegelte sich stark auf Night In TheRuts (1980) wider. Brad Whitfield verließ die Band,ebenso Joe Perry, der drei Soloalben mit dem JoePerry Project veröffentlichte. Tyler harrte aus, enga-gierte die Gitarristen Jim Crespo und Rick Dufayund veröffentlichte Rock In A Hard Place (1982).Aber abgesehen von Crespos empfehlenswerten Licksauf »Lightning Strikes« und »Bolivian Ragamuffin«hatte es nichts zu bieten.

Die Originalbesetzung – inzwischen entgiftet –vereinte sich 1985 wieder, wechselte zum Geffen-La-bel und veröffentlichte Done With Mirrors (1985).Das Album signalisierte eine neue Hochform undbrachte einen überarbeiteten Titel aus Perrys Solokol-lektion, »Let The Music Do The Talking«, als High-light. Im folgenden Jahr wurden sie von den Plati-num-Rappern Run DMC gebeten, auf deren Coverver-sion von »Walk This Way« mitzuwirken.

Permanent Vacation, eine Kollaboration mit BonJovi-Produzent Bruce Fairbairn, wurde von einer ge-spannten Rockpresse – die Aerosmith-inspiriertenNewcomer Guns N’ Roses machten damals Furore –sehnlichst erwartet. Dieses abwechslungsreiche, ehr-geizige Album präsentierte den Hit »Dude (LooksLike A Lady)«, das bluesige »Rag Doll«, den calypso-ähnlichen Titelsong und ein energiegeladenes Coverdes Beatles-Songs »I’m Down«. Die Band unternahmMammut-Tourneen und etablierte sich erneut – dies-mal auf beiden Seiten des Atlantiks. Der Grammy-Ge-winner Pump (1989) enthielt die Hits »Janie’s Got AGun« und »Love In The Elevator«, was wegen der Pas-sage ›going down‹ viele Radioeinsätze einbüßenmußte.

Get A Grip (1993) war ein weiterer Verkaufsschla-ger sowie eine Prophezeihung, daß die Gruppe den›Grunge Boom‹, der viele Glamrocker ihr Publikumkostete, überdauern würde. Vier schwere Jahre mitDrogen- und Egoproblemen folgten, bis schießlich1997 Nine Lives in den Plattenläden landete. Trotzanfänglicher Schwierigkeiten behauptete sich das Al-bum als außergewöhnlich stark mit 70 Minuten gna-denlosem Rock, Gitarrensolos, theatralischen Vocals,fürchterlichen Texten und heißen Zweideutigkeiten.Gems (1998) warf dann einen Blick auf die Highlightsder Karriere vor der Wiederauferstehung mit Run-D.M.C. Allerdings: Das Sprichwort ›Das Leben beginntmit Vierzig‹ hat sich bei dieser Band bewahrheitet.Reifer und stolz auf ihre altmodischen Formeln zei-gen sie sich fitter als so manche, die auf die neueSensibilität im Rock bauen. Man muß nur kurz in das

solide Live-Album A Little South Of Sanity (1998)oder in Jusy Push Play (2001) reinhören, um zu be-greifen, daß Aerosmith nicht gewillt sind, irgendwasin Sachen Sound oder Songwriting zu verändern. Derlegendäre Status der Band wurde dadurch unterstri-chen, daß sie im März 2001 in die Rock And Roll HallOf Fame eingeführt wurden.

b Rocks (1976; Columbia). Guns N’ Roses-Gitarrist Slashzitiert diesen Klassiker als ›das Album, das mein Lebenveränderte‹. Darauf zu hören »Last Child« und »Sick As ADog«. Definitiv das Aerosmith-Album.b Live Bootleg (1979; Columbia). Ein rauhes Live-Albumohne Nachmischung präsentiert aufgemotzte Versionen vonKlassikern wie »Walk This Way«, »Mama Kin«, und »SweetEmotion« sowie den funkigen James Brown-Tribut »MotherPopcorn«.b Permanent Vacation (1987; Geffen) Ein meisterhaftesSet, das Jahre der Rock-Erfahrung mit einer Reihe gewagterSongs verbindet. Es ist laut, frisch und funky, neu verpackt inkommerziellem Glanz.b Pandora’s Box (1991; Sony) Die ultimative Aerosmith-Kollektion, verpackt in einer schönen Dreier-CD-Box. Von1966er-Aufnahmen von Tylers Prä-Aerosmith-Band, ChainReaction, bis Rock In A Hard Place.

Michael Andrews

A F G H A N W H I G SGegründet 1987 in Hamilton, Ohio; aufgelöst 2001.

F rontmann der Afghan Whigs, ein gewisser GregDulli (git./voc.), ist mit einer Stimme begnadet,

die die Kleinstadtisolation, über die er singt, perfektporträtiert. Die Band gründete er nach dem Besucheines Hüsker Dü-Gigs, der ihn so tief berührte, daß ersein Filmstudium an den Nagel hängte, um in der Mu-sikszene mitzumischen. Die Originalbesetzung ent-stand während seines kurzen Aufenthalts im Knastvon Cincinnati (wegen Urinieren vor einem Polizi-sten). Dort traf er John Curley (b.; inhaftiert wegenDrogendelikten). Wieder frei und zurück in Hamilton,einer Stadt mit vorwiegend Stahlindustrie, ca. 30Meilen vor Cincinnati, wurde aus dem Duo eineGruppe mit Rick McCollum (git.) und Steve Earle(dr.).

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1988 kam ihr Debütalbum, Big Top Halloween, aufden Markt, eine wirklich gutturale Exposition der70er-Rock-Akkorde, mit Genuß und Substanz einge-spielt. Dullis Texte, im Suff geschrieben, waren halbFantasie und halb Realität, vor allem aber filmreif.Als erste Band auf dem Sub Pop-Label engagierten siezwei Jahre später den Star-Produzenten Jack Endinofür Up In It. Zwar erreichte die LP nie das erhoffteZiel, wurde aber zum Vorreiter des späteren Grunge.

Afghan Whigs verstanden es, trotz Übertreibungihr Volumen gekonnt zu balancieren – die Country-Rock-Parodie »Son Of The South« diente als Wegwei-ser für ihre EP mit Soul-Coverversionen, UptownAvondale. Congregation (1992) hingegen war ehertrübsinnig und unentschlossen, einsichtig und dochverdrießlich. The Afghan Whigs schlugen einen un-durchsichtigen Weg ein.

Im Grunge-Fieber wurden auch die Whigs als letzteder Sub Pop-Bands von einem Major eingekauft: Elek-tra wurde ihr neues Zuhause. Dulli behielt sich dasRecht vor, alle Videos zu produzieren sowie die Regiezu führen. In der Presse ging auch ein Gerücht überein Filmprojekt um.

Auch wenn Gentlemen (1993) sie nicht auf eineStufe mit Nirvana stellte, erntete es dennoch genü-gend Beifall, der ein langes Leben prophezeite. DieMusik war sehr ausgefeilt, die Texte hatten den rauh-en Beigeschmack behalten. Im folgenden Jahr wurdeDulli für eine ›Grunge Supergroup‹ engagiert, die dieBackground-Musik für Backbeat lieferte (mit von derPartie waren auch Thurston Moore, Dave Grohl undDave Pirner), einen Spielfilm über Stuart Sutcliffeund die frühen Jahre der Beatles. Er durfte den JohnLennon geben.

Für den Soundtrack von Beautiful Girls lieferteDulli eine Coverversion des Barry White-Titels »Cant’Get Enough Of Your Love, Babe« ab. Ein Schritt inRichtung Soul, der sich später auf Black Love (1996)auswirken sollte, ein gelungenes Werk mit aussichts-losen Geschichten und krankhafter Leidenschaft.

Columbia veröffentlichte 1999 ein weiteres Album,1965, das jedoch wenig erfolgreich war. Im Jahr dar-auf legte Dulli mit The Twilight Singers das AlbumTwilight As Played By The Twilight Singers vor. Diehier enthaltenen Stücke stammten aus dem Jahr1997 und waren schon als Bootlegs zu hören gewe-sen, doch die offizielle Veröffentlichung gewanndank zusätzlicher Musiker und der Produktion dermaßvollen Fila Brazillia an Reife und Tiefe – zudemzeigte sich Dulli auf diesem Meisterwerk, dem dannnoch Blackberry Belle (2003) folgte, so seelenvollund optimistisch wie nie.

Die Afghan Wigs fanden es indessen zunehmendschwieriger zusammenzuarbeiten – auch weil dieBandmitglieder so weit auseinander lebten –, undnachdem schon verlautet war, es gäbe bald neuesStudiomaterial, lösten sie sich 2001 im Guten auf.

b Big Top Halloween (1988; Ultrasuede). Ein Wahnsinns-debüt. Eine Glanzleistung an Schnelligkeit, Timing und Lyrics,für die die Mehrzahl von Seattles Musikern ihren Jack-Daniels-Arm geben würde.

b Gentlemen (1993; Elektra). Das Major-Debüt behandeltdie üblichen Afghans-Themen – Religion, Isolation, Sex (oderkeiner). Die Musik ist stimmungsvoller, mehr Motown. Dieschwärzeste Platte, die weißer Grunge je produziert hat.

Alex Ogg

T H E A L A R MGegründet 1981 in Rhyl, Wales; aufgelöst 1991.

O bwohl The Alarm eine der besten Live-Bands der80er war, hatten sie nie den Erfolg, den sie ei-

gentlich verdient hätten. Zuerst hießen sie Seven-teen (und sie waren damals alle 17). Mike Peters(voc./git.), Dave Sharp (git.), Eddie MacDonald (b.)und Nigel Twist (dr.) änderten dann ihren Namen inThe Alarm, gemäß dem Song »Alarm, Alarm«.

Zahlreichen Tourneen und der ersten (selbstfinan-zierten) Single, »Unsafe Building«, zufolge bautenThe Alarm eine stattliche Underground-Fangemeindeauf. Anfangs bei Illegal Records, dem Label von Poli-ce-Manager Miles Copeland, wechselten sie zu IRSund veröffentlichten 1984 ihr erstes Album Declara-tion. Sie wurden sofort mit The Clash verglichen: DieStimme von Peter klang ähnlich, und die Instrumen-tierung auf der Single »Sixty Eight Guns« (Nr. 17 inEngland) könnte eine Leihgabe von »London Calling«gewesen sein. Trotzdem, die Band hatte genügend Ta-lent für eine eigene Identität, was die akustisch/elektrische Mischung und Ohrwürmer wie »Blaze ofGlory« (Highlight eines jeden Alarm-Konzerts) und»Where Were You Hiding When The Storm Broke?«sehr wohl demonstrierten.

Als Vorgruppe von U2 waren sie Anfang der 80erdie perfekte Besetzung. Sie teilten nicht nur die kel-tische Abstammung, sondern auch Punkenergie undreligiöse Überzeugung. In den Texten von The Alarmkonnte man Peters christlichen Glauben stark erken-nen. Nach der Veröffentlichung von »The Chant HasJust Begun«/»The Bells Of Rhymey« (letzteres eineakustische Version des gleichnamigen Waliser Ge-dichts) erschien das durchwachsene Album Strength(1985). Mit einer Tendenz zum Stadionrock (im fol-genden Jahr spielten sie mit Queen und Status Quoim Wembley Stadion) hatte die LP durchaus gute Sei-ten, insbesondere »Spirit Of ’76« und »Walk ForeverBy My Side«. Eye Of The Hurricane (1987) dagegenhatte wenig zu bieten, mit Ausnahme der Top-20-Sin-gle »Rain In The Summertime« und dem Live-Track»One Step Closer To Home«.

Auf Change (1989) zeichnete sich ein Richtungs-wechsel von der ursprünglichen Punk/Folk-Mischungzum bluesigeren Sound ab, besonders auffällig bei»Sold Me Down The River« und »Devolution Workin’Man Blues«. Für viele allerdings galt »A New SouthWales«, mit dem Waliser Männerchor und dem WelshSymphony Orchestra, als Highlight dieser LP. VollerStolz über ihre Herkunft veröffentlichten sie diesesAlbum auch in walisischer Sprache.

Nach einer Amerika-Tournee, auf der sie Bob Dylanbegleiteten, veröffentlichten sie ein Mini-Live-Al-