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7. Newtons experimentum crucis
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7. Newtons experimentum crucis
Mehrere nachfolgende Studien haben ergeben, dass
eine aufgestellte Behauptung umso wahrer angesehen
wird, je öfter sie wiederholt wird (Effekt der »Illusion
des Wahren«). – »Illusionen des Wahren« kommen
sogar noch dann vor, wenn die Teilhabenden zum
Zeitpunkt der Darstellung ausdrücklich darauf hinge-
wiesen wurden, dass diese Information falsch ist.150
a. Die Bedeutung des experimentum crucis innerhalb der Optik
In den gegenwärtigen Veröffentlichungen zur Optik wird Newtons experimentum
crucis immer wieder genannt und als scheinbar »gesicherte Grundlage« selbstver-
ständlich benutzt. Von diesem Experiment und seinem Ergebnis gilt, was der
Psychologe REINER MAUSFELD dem erstaunten Leser mit obigem Zitat vorlegt.
Die Richtigkeit von Newtons experimentum crucis wird angenommen, geglaubt und
stets neu befestigt, indem das angebliche Ergebnis der diversen Brechbarkeit der
jeweiligen Spektralfarbe und ihrer Monochromatizität nach einer »zweiten Refrak-
tion« immer wieder behauptet wird:
Newtons diverse Refrangiblilität des Sonnenlichts ist die einzige Theorie, die
sich erstens mit den Beobachtungen aus den prismatischen Experimenten
logisch verträgt und zweitens mit allen Prämissen, ohne die keine sinnvolle
Naturwissenschaft möglich wäre (wie z.B. Naturkonstanz).151
Goethe, der gerade diesen Versuch sehr genau untersucht hat, kam zu ganz ande-
ren Ergebnissen als Newton und verglich in der Folge Newtons Optik mit einer
Burgruine, die, auf diesem Versuch fußend, recht dürftig dasteht. Obwohl Goethe
schon 1810 den Streit durch seine Farbenlehre für entschieden glaubte, gibt es
gerade in Bezug auf diesen zentralen Versuch noch »keine« wissenschaftlich
abgesicherte Erkenntnis. Es ist daher bedeutend und notwendig, diesen Versuch
genau zu kennen bzw. kennenzulernen. Das Selbstverständnis der »Richtigkeit«
dieses Versuches führt zu der Annahme:
150 Schwarz, N. (2010). Meaning in context - Metacognitive experiences. In: L. F. Berett, B. Mesquita & Smith
(eds.): The mind in context. New York. – Übers. a. d. Englischen d. Verf. 151 Müller, Olaf, 2015, 329.
a. Die Bedeutung des experimentum crucis innerhalb der Optik
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1. dass das (Sonnen-) Licht i n s i c h die Farben bereits enthielte, es also heterogen
zusammengesetzt sei.
2. dass die Farben durch die Spaltung des Lichtes ausgesondert und sichtbar gemacht
werden könnten.
3. dass die einmal ausgesonderte prismatische Farbe beim Durchgang durch ein
zweites Prisma keine weiteren Farben (Kantenspektren) mehr zeigen bzw. hervor-
bringen könnte, weil ein solches farbiges Licht nun als monochromatisch ange-
sehen wird. Aufgrund dieser Annahme bezeichnete Newton die Spektralfarben
als homogene Farblichter.
4. dass man das gespaltene Licht wieder zusammensetzen könne und dann alle
prismatischen Farben zusammen weiß ergeben würden, was anders ausgesprochen
bedeuten würde, dass alle prismatischen Farben zusammen genauso hell seien,
wie das „ungespaltene“ Licht.
5. dass im Grunde unendlich viele Übergänge innerhalb des Spektrums liegen
würden, sodass es eine Vielzahl von Gelbs gäbe, die dann langsam ins Orange
übergingen usw. bis ins Infrarot.
Mit diesen Schlussfolgerungen verknüpft wird:
6. die Annahme, dass jede Farbe einen ihr eigenen Brechungswinkel hätte.
7. die Annahme, dass Sonnenlicht anders zusammengesetzt sei, als beispielweise
Kerzen- oder Neonlicht und daher die Spektren dieser Lichter verschieden
seien.
8. die Annahme, dass die prismatischen Farben, wenn sie einmal entstanden sind,
sich ganz anders verhalten würden als farbiges Licht aus Farbfiltern oder von
farbigen Untergründen.
9. die Annahme, dass monochrome Hauptbilder die aus farbigen Lichtern besteh-
en (LED, Laser) »deshalb« keine Spektralfarben zeigen würden, weil sie ja
bereits monochromatisch sind.
* * *
Die Klassik Stiftung Weimar erwähnt das experimentum crucis in einem umfangrei-
chen Artikel zu Goethes Farbenlehre. Dort wird auch das angebliche Ergebnis
wiederholt. Nicht darauf hingewiesen wird, dass Goethe Newtons Nachweis genau
untersucht und seine Schlussfolgerungen auf das schärfste verurteilt hat:
Newton ließ in ein verdunkeltes Zimmer Sonnenlicht durch ein Loch im
Fensterladen fallen […] sein berühmtes Experimentum crucis führte zu einem
Ergebnis: Nachdem er verschiedene Teile des Farbspektrums isoliert und durch
ein zweites Prisma brechen lässt, erkennt er, dass diese Strahlen zwar unter-
schiedlich stark refraktiert werden, jedoch kein Spektrum, d. h. kein verlän-
gertes farbiges Lichtbild, entsteht. Daraus schlussfolgert er, dass die »wahre
7. Newtons experimentum crucis
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Ursache der Länge dieses Bildes aufgedeckt« sei. » [...] sie besteht in nichts
anderem, als darin, daß das Licht aus unterschiedlich brechbaren Strahlen
besteht, die, unabhängig von der Verschiedenheit des Einfallswinkels, je nach
ihrem Grade der Brechbarkeit zu verschiedenen Stellen der Wand geleitet
werden.« (Newton, Isaac, New Theory about Light and Colors, 1672, zit. nach J.
A. Lohne / Bernhard Sticker, Newtons Theorie der Prismenfarben, München
1969, S. 25.)152
* * *
152 Klassik Stiftung Weimar | Goethes Farbenlehre | 10.2011 - https://www.klassik-
stiftung.de/fileadmin/user_upload/Sammlungen/Goethes_Sammlungen/Goethes_Farbenlehre.pdf - Okt. 2016.
b. Der Versuch und sein angebliches Ergebnis
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Als experimentum crucis (lat., sinngemäß etwa „entscheidendes
Experiment“) wurde schon vor Newton ein Experiment bezeichnet,
dessen Resultate für die Richtigkeit und Bestätigung einer Theorie von
besonderer Bedeutung sind.
b. Der Versuch und sein angebliches Ergebnis
In der Dauerausstellung im Goethe Nationalmuseum in Weimar konnte man 2010
über Newtons Hauptbeweis lesen:
Was nun hat man sich unter der besonderen Bedeutung genau vorzustellen?
Als experimentum crucis […] bezeichnet man in der Wissenschaftstheorie ein
Experiment, dessen Scheitern die dem Experiment zugrunde liegende Theorie
falsifiziert oder überwindet. Falsifikation […] oder Widerlegung, ist der Nach-
weis der Ungültigkeit der Aussage. (W-5/2016; siehe Anm. 24)
Abgekürzt gesprochen: Mit diesem Versuch steht oder fällt Newtons Theorie über
das Licht. – Dieses Experiment soll oder » m u s s « die Richtigkeit von Newtons
Lehre vom »farbigen Sonnenlicht« und der »Spaltbarkeit« desselben beweisen.
Gelingt dies nicht, so wäre das der Nachweis der Ungültigkeit der Aussage. Sie wäre,
zumindest der Definition nach, damit »überwunden«!
Dann hieß es weiter:
Newton beschreibt dieses Experiment ausführlich in seinem 1704 erschienenen
Hauptwerk Optics. Das besondere an dem Experiment ist, dass Newton zwei
Prismen hintereinander verwendet. Das erste Prisma (ABC) am Fensterladen [F]
Bild 163a – Newtons experimentum crucis. Mit frdl. Gen. der Klassik Stiftung Weimar.
Bild 163 – Originaltext zum experimentum crucis.
7. Newtons experimentum crucis
190
erzeugt auf dem mittig stehenden Schirm (DE) ein Sonnenspektrum [S]. Teile
dieses Spektrums gelangen durch das kleine Loch (g) in Schirm[de] zum
zweiten Prisma (abc), das direkt hinter dem Schirm steht. Dieses zweite Prisma
verschiebt das kleine Blendbild nach oben auf den entfernten Schirm (NM).
Newton dazu im Wortlaut (Zweite Proposition. Zweites Theorem):
406.
Bei den Versuchen zu der vierten Proposition des ersten Teils dieses ersten
Buchs, als ich die heterogenen Strahlen voneinander geschieden hatte, […]er-
schien das Spektrum […] [de], welches durch die geschiedenen Strahlen
hervorgebracht war, im Fortschritt […] von dem Ende […] [d], wohin die refran-
gibelsten Strahlen fielen, zu dem Ende […] [e], wohin die wenigst refrangiblen
Strahlen anlangten, gefärbt mit den Reihen von Farben, […] Violett, Dunkel-
und Hellblau, Grün, Gelb, Orange und Rot zugleich […] mit allen ihren
Zwischenstufen […] in einer beständigen Folge, die immer abwechselte, […]
dergestalt, dass sie als ebenso viele Stufen von Farben erschienen, als er Arten
von Strahlen gibt, die an Refrangibilität verschieden sind. […] Diese Farben also
konnten durch Refraktion nicht weiter verändert werden. Ich erkannte das, als
ich durch ein Prisma einen kleinen Teil bald dieser bald jener Lichter wieder der
Brechung unterwarf: denn durch eine solche Brechung war die Farbe des
Lichtes niemals im Mindesten verändert. [Herv. d. Verf.] 153
Das Ergebnis der Versuchsreihe wurde dann in den folgenden zwei Punkten
zusammengefasst:
Mit anderen Worten: Die jeweils ausgesonderte Spektralfarbe bleibt im Wesentlichen
gleichfarbig. Sie ist also monochrom, aber nicht ganz, sondern nur im Wesentlichen.
Was man sich darunter vorzustellen hat, soll in den folgenden Abschnitten unter-
sucht werden, denn es lohnt sich tatsächlich, gerade diesen Versuch selbst zu
probieren. Im Übrigen sei angemerkt, dass Newton von der unterschiedlichen Brech-
153 Goethe, 1988, III, 141f.
Bild 163b – Originaltext zum experimentum crucis.
Die farbigen Blendenbilder des Lochs g werden durch das zweite
Prisma verrückt, bleiben aber im Wesentlichen gleichfarbig.
Jeder dieser Farben entspricht eine für die jeweilige Farbe
spezifische Bildverrückung durch das Prisma.
Probieren Sie es selbst!
b. Der Versuch und sein angebliches Ergebnis
191
barkeit (Brechungswinkel) der jeweiligen Farbe sprach, während der Begriff des
Bildes und seiner Verrückung eigentlich auf Goethe zurückgeht.
Dann folgt Newtons Schlussfolgerung die Goethe neugierig machte, diese beson-
deren Farblichter selbst einmal zu sehen:
Noch einmal wird wiederholt, dass eine ausgesonderte Spektralfarbe nach einer
weiteren Refraktion nicht weiter verändert werden würde. Goethe wollte dieses
»Wunder der Natur« einmal mit eigenen Augen bestaunen und lieh sich dazu
Gerätschaften von HOFRAT BÜTTNER. Zu seiner Verwunderung sah er spontan
kein Spektrum (Siehe 9b; offene Fragen). Seine nachfolgenden Untersuchungen
bestätigten ihm schließlich, dass hier sehr wohl eine weitere Veränderung zu sehen
ist, die noch dazu von grundlegender Bedeutung ist. Während Newton das Spek-
trum durch die Aufspaltung des Sonnenlichtes erklärt, sieht Goethe dieses durch
das Spektrum erzeugt.
Damit ist sie geboren, die seit mehr als zwei Jahrhunderten währende Streitfrage:
* * *
Bild 163c – Originaltext zum experimentum crucis.
Aus diesem und weiteren Experimenten zieht Newton den Schluss,
dass das Sonnenlicht ein Gemisch verschiedenfarbiger Lichtstrahlen
ist, von denen jede Farbe eine spezifische Brechbarkeit bzw. Ablenk-
barkeit besitzt. Das erste Prisma entmischt diese farbigen Licht-
strahlen: ein Spektrum entsteht. Das zweite Prisma zeigt nun, dass
sich diese Lichtstrahlen beim Durchgang durch das zweite Prisma
nicht weiter verändern. Ein Prisma – so folgert Newton – erzeugt
daher keine Farben, sondern selektiert nur die im Licht enthaltenen
Farben auseinander.
Enthält das einfallende Licht bereits die Spektralfarben
und werden diese durch das Prisma gespalten
oder
werden die Farben durch Licht und Finsternis im Prisma erzeugt?
c. Der Versuch aus dem Stehgreif
192
Die Seiten 192 + 193 sind nicht Teil dieser Vorschau.
7. Newtons experimentum crucis
193
d. Das experimentum crucis im systematischen Versuch
Insofern scheint es – abgesehen von allen weiteren
Untersuchungen, ob Newtons Argumentation in sich
schlüssig ist – fraglich, inwieweit Newtons Experi-
mente geeignet sind seine Theorie zu beweisen.154
Da es sich hier um Newtons Hauptbeweis handelt, erscheint es gerechtfertigt,
diesem Punkt die gehörige Aufmerksamkeit zu schenken und ihn gründlich zu
untersuchen. Als Grundlage der Betrachtung sollen die von PROSKAUER zusam-
mengestellten Bedingungen für eine prismatische Farbenerscheinung dienen, die
sich für farbige Bilder/Lichter ergeben haben (Punkt 12 – 16).
12. Farbige Bilder kommen darin mit grauen überein, daß sie insgesamt heller als
Schwarz und dunkler als Weiß sind.
13. Sie verhalten sich deshalb zu ihrer Umgebung wie helle Bilder auf dunklem –
oder wie dunkle Bilder auf hellem Grunde, und wollen die entsprechenden
farbigen Randfarben hervorbringen.
14. Die durchs Prisma entstehenden Farbstreifen sind den farbigen Flächen entwe-
der homogen oder heterogen.
15. Wenn sich homogene prismatische und Flächenfarben vereinigen, scheint die
Fläche vergrößert, bei heterogenen Farben erscheint sie verkleinert.
16. Dementsprechend erscheinen die Farben gegeneinander verschoben, immer an
anderer Stelle, je nachdem ob sie auf dunklem oder hellem Grunde stehen.155
Zum Versuchsaufbau
Ein Spalt- Spektrum wurde durch einen Diaprojektor und ein Wasserprisma er-
zeugt und dann auf eine größere, in der Höhe verstellbare Tafel geworfen, aus
welcher ein Spalt von 1 bis 2 mm ausgeschnitten war. Die Tafel wurde nun so
platziert, dass immer nur eine Prismenfarbe durch den Spalt gelangen konnte.
154 Rang, 2015, 256. 155 Proskauer, 1985, 35.
194
7. Newtons experimentum crucis
194
Direkt hinter dem Spalt wurde ein »stark« projizierendes Prisma angebracht.
Dahinter wurde in geringer Entfernung ein weißer Auffangschirm platziert, so dass
die ausgesonderte Farbe darauf eine gut sichtbare Größe erreichte. Auf diesem
waren zwei Dinge zu sehen:
1. Die Projektion („Verrückung“) der Farbe (des Bildes) durch das zweite Prisma.
2. Die farbigen Ränder, die sich an der prismatischen Farbe zeigen, mit derselben
überlagern und dadurch ggf. verändert erscheinen.
Einige Hinweise
Das Spektrum wurde objektiv erzeugt und die ausgesonderte Farbe dann auf
einem Auffangschirm abgebildet. Durch ein Prisma vor dem Auge wurde die
jeweilige Farbe dann betrachtet. Die Kamera, an dessen Stelle gesetzt, erzeugte
dann die nachfolgenden Abbildungen. Dieser Versuchsaufbau geht auf den
Forscher DESAGULIERS zurück, der eine gemischt abgelöst und eingebundene Varian-
te darstellt. Dabei nimmt der Experimentator […] dann ein Prisma zur Hand und blickt
durch dieses auf das abgelöste Bild des präparierten bzw. selektierten Spektralausschnitts
[…].156
Wer einmal mit mechanischem Präzisionsspalt, Kondensorlinsen, Geradsicht-
prisma und umlenkenden Spiegeln gearbeitet hat wird vielleicht einwenden, dass
diese Versuche zu „grobschlächtig“ und „amateurhaft“ sind und, beispielsweise,
die herzustellende Parallelität des Sonnenlichtes vermissen lassen. Hierzu sei
eingewendet, dass der Verfasser zahlreiche Versuche u. a. mit der von Rang entwi-
ckelten Spiegelspaltblende aufgebaut hat. Dabei war festzustellen, dass man alle
Anstrengung unternehmen muss, um die stets auftauchenden Rand- und Saum-
farben zum Verschwinden zu bringen. Denn es ist im Grunde nicht die Frage, ob
die Spektralfarben nach einer weiteren Refraktion ebenfalls erscheinen, sondern es
wird bei den Versuchsaufbauten deutlich, dass man die Bedingungen herausfinden
muss, unter welchen sie sich nicht »zeigen«.
Der Verfasser ist davon überzeugt, das prismatische Geschehen »rein« und so
schlicht wie möglich abgebildet zu haben. Das Licht, bzw. die spätere Spektralfarbe
hat in dem kombinierten Versuch die »geringst mögliche« Veränderung erfahren.
Rang, der später noch eine Ausführliche Begründung anführt, warum ein monochro-
matisches Spektralbild versuchstechnisch überhaupt nicht zu realisieren ist, bezei-
chnet selbst den kombinierten Versuch, als die »beste Versuchsanordnung«.
Darüber hinaus sei dem Anwender von Linsen, Spiegeln und weiteren Prismen
entgegnet, dass diese Mittel alle eine »zusätzliche« Refraktion hervorrufen, da eine
Linse in Teilprismen gegliedert werden kann. (Siehe die Einwendungen Kap. 8d,
156 Rang, 2015, 272f.
195
d. Das experimentum crucis im systematischen Versuch
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Rang 6.2.3) In diesem Sinne zeigen die „hygienisch“ bereinigten Versuchsaufbauten
im Grunde »zusammengesetzte«, und damit komplexere Phänomene. An dieser
Stelle sei nochmal hingewiesen, dass bereits Goethe die Bedingungen untersucht
und angegeben hat, die eine Refraktion »ohne« Farbenerscheinung ermöglichen
(XII. Refraktion ohne Farbenerscheinung, XIII. Bedingungen der Farbenerscheinung).157
Dem Einwand, dass ja die ausgesonderte Farbe nie „ganz rein“ sei, weil sich die
andersfarbigen „Lichtstrahlen“ die neben dieser Farbe liegen mit hineinmischen sei
entgegnet, dass die Annahme von unzähligen, chromatisch fließend übergehenden
Lichtstrahlen durch den Nachweis exakt begrenzter Nebenbilder hinfällig ist
(Kap. 2b). Bei der jeweils ausgesonderten Farbe vergewissere sich der Betrachter,
auf welche Nebenbilder er blickt. Hat er es im Spalt-Spektrum mit der Primärfarbe
Rot zu tun oder mit der Sekundärfarbe Gelb, die aus der Überlagerung des roten mit
dem grünen Nebenbild hervorgegangen ist. Will man dann eine Verfärbung durch
diese „Einmischung“ annehmen, so darf man keine beliebige Farbe wählen,
sondern muss sich neben dem roten auf das beteiligte grüne Nebenbild beziehen. In
diesem Sinne sind dann auch Farben verwendbar, die nicht „ganz rein“ sind, weil
man ihre Abkunft »genau« bestimmen kann.
Der Betrachter sei aufgerufen die verschiedenen Farben des Spektrums sorgfältig
zu betrachten, denn die helleren Farben bilden einen stärkeren Kontrast und zeigen
daher die Nebenbilder und deren Überstände deutlicher. Der genaue Beobachter
wird aber auch bei Rot und Violett eines Streifens gewahr. In allen Abbildungen
dieser Reihe ist die Richtung der Projektion nach oben. Alle ausgesonderten Spek-
tralfarben, auch die des Steg-Spektrums, erscheinen vor schwarzem Hintergrund.
Sie sind also ein »helles Bild auf dunklem Grund«, weshalb jeweils die RGB-Neben-
bilder zu erwarten sind.
Bei mehreren Aufnahmen bediente sich der Verfasser der technischen Möglichkeit
die digitalen Bilder aufzuhellen und in der Farbe zu verstärken. Damit wurden diese
Bilder zwar »verändert«, aber nicht »verfälscht«, denn es kann nur »verstärkt«
werden, was im Ansatz vorhanden ist. Die Aufhellung verändert zwar den
Farbton, aber nicht die Anzahl der Nebenbilder (Farben). Sie macht auch ein Blau
nicht zu einem Gelb usw. womit trotz dieser Veränderungen das »wahre« Bild
erhalten bleibt. Alle diesbezüglichen Veränderungen werden dem Leser angezeigt.
* * *
157 Goethe, 1988, I, 122f.
196
7. Newtons experimentum crucis
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Das dreifarbige Spalt-Spektrum (Abb. 170)
Bild 170 – Spektrales Zinnober aus dem RGB-Spektrum.
Bild 171 – Die Spektralfarbe durch ein zweites Prisma aufgenommen.
Bild 172 – Bild 171 etwas vergröpert, aufgehellt und in der Farbe verstärkt.
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d. Das experimentum crucis im systematischen Versuch
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Auf den ersten Blick, scheint das Spektralbild (Abb. 171) einfarbig. Die Aufhellung
und Verstärkung der Farbe (Abb. 172) zeigt aber drei Farben: unten das Rot, in
welchem sich das rote Nebenbild zeigt. Darüber sieht man das mittlere, grüne
Nebenbild wie einen schwachen Nebel liegen. In der Überlagerung dieser beiden
Nebenbilder entsteht der gelbe Streifen zwischen ihnen. Das ganz oben liegende
blaue Nebenbild ist nicht zu sehen. Diese Spektralfarbe ist also nach seiner
Refraktion nicht monochrom, sondern zumindest »dreifarbig«. Wenn auch das blaue
Nebenbild (hier) nicht zu sehen ist, so lässt sich doch erkennen, dass es sich hier um
ein »echtes« Spektralbild handelt, das aus zwei (sichtbaren) Nebenbildern entsteht.
Die Seiten 199 + 215 sind nicht Teil dieser Vorschau.
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