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nr. 115 11 / 12 / 2009 zeitung für den studiofilm im arthouse alba arthouse commercio arthouse movie 1+2 arthouse nord-süd arthouse le paris arthouse piccadilly riff raff uto e w s i e n o v m Studiofilm-Vorpremieren Arthouse Le Paris, Zürich-Stadelhofen Sieben Tage die Woche um 12.15 Uhr www.lunchkino.ch whatever works NACH AUSFLÜGEN NACH SPANIEN («VICKY CRISTINA BARCELONA») UND ENGLAND («MATCH POINT») IST WOODY ALLEN WIEDER ZURÜCK IN NEW YORK: MIT SEINER BESTEN KOMÖDIE SEIT JAHREN. NACH AUSFLÜGEN NACH SPANIEN («VICKY CRISTINA BARCELONA») UND ENGLAND («MATCH POINT») IST WOODY ALLEN WIEDER ZURÜCK IN NEW YORK: MIT SEINER BESTEN KOMÖDIE SEIT JAHREN. whatever works

519915 MovieNews 115 qxp7:MovieNews 97 ZSD · NordöstlichvonLondon,inEssex,wodieThemsedemMeerzufliesst und hastig erstellteSozialsiedlungen, Einfamilienhäuser,stillgelegte Fabriken,riesigeEinkaufszentren

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Page 1: 519915 MovieNews 115 qxp7:MovieNews 97 ZSD · NordöstlichvonLondon,inEssex,wodieThemsedemMeerzufliesst und hastig erstellteSozialsiedlungen, Einfamilienhäuser,stillgelegte Fabriken,riesigeEinkaufszentren

Nordöstlich von London, in Essex, wo die Themse dem Meer zufliesstund hastig erstellte Sozialsiedlungen, Einfamilienhäuser, stillgelegteFabriken, riesige Einkaufszentren, überfüllte Schrottplätze und verwilder-te Parks unmittelbar nebeneinander stehen, spielt FISH TANK, der neueFilm der «Red Road»-Regisseurin Andrea Arnold. Es ist ein packendesComing-of-Age-Drama in der Nachfolgedes berührenden Sozialkinos von Regis-seuren wie Ken Loach und Mike Leigh.Im Zentrum steht die 15-jährige Mia.Hübsch, trotzig, wild ist sie, ein Girl, ver-loren in einer Gesellschaft, die sich umKids wie sie kaum kümmert. Von derSchule ausgeschlossen verbringt Miaihre Tage mit Nichtstun – und träumtdavon Tänzerin zu werden. Sie streitetsich mit den Nachbargirls, bandelt mitdem 19-jährigen Billy an und tanzt ihrerallein erziehenden Mutter so frech auf

der Nase herum wie der Sozialhelferin. Eines Tages bringt Mama ihrenneuen Lover nach Hause. Dieser sieht gut aus. Er arbeitet im Baumarkt,verwöhnt Mama, albert mit Mia und deren Schwester herum und lädtam Wochenende zur Fahrt ins Grüne. Schön ist das. Doch Mia trautdem plötzlichen Frieden nicht, und ihr Misstrauen ist, wie sich in

FISH TANK zeigt, durchaus berechtigt…Erschütternd ist FISH TANK. Er überzeugtdurch das gelassene Zusammenspiel dersehr authentisch wirkenden NewcomerinKatie Jarvis und des wie gewohnt kerlig-charismatisch auftretenden MichaelFassbender. Und er fährt mitten ins Herzdurch seine beiläufige Darstellung desan sich schlicht Ungeheuerlichen.

Regie: Andrea Arnold.Mit: Katie Jarvis, Michael Fassbender,Kierston Wareing.Verleih: Pathé Films.

Bettina Oberli hat einen neuen Film gedreht. Obwohl, wie Oberli meint,die Versuchung eine Fortsetzung von «Die Herbstzeitlosen» zu drehengross war, hat die Schweizer Erfolgsregisseurin einen anderen Weggewählt: TANNÖD ist die Adaption eines Bestsellers von Andrea MariaSchenkel, der 2007 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde.Zu Grunde liegt TANNÖD ein wahrer Fallaus dem Jahre 1922, Film und Romanindes spielen in den 1950er Jahren ineinem abgelegenen Kaff in Bayern. Hier-her kehrt die 26-jährige Kathrin zur Be-erdigung ihrer Mutter zurück. Jahre warsie nicht mehr zu Hause und abgesehendavon, dass Johann, ihr Gespiele ausKindheitstagen, ihr nun charmant denHof macht, scheint alles beim Alten. Dochin TANNÖD brodelt es. Und wie man zurKirche geht, die Tote zur letzten Ruhelegt und in der Kneipe zusammensitzt,

tannödbricht es hervor: Da hat sich vor zwei Jahren auf dem Tannödhof Unge-heuerliches ereignet. Man mag das Sündige nicht benennen. Doch jederweiss darum und den Mörder vermutet man noch heute im Dorf. Meis-terhaft schildert Oberli in TANNÖD das Funktionieren einer von Frömme-lei und bigotten Befürchtungen geprägten Dorfgemeinschaft. Grandios-

luzide spielt Julia Jentsch die unverhofftmit ihren eigenen Ängsten konfrontierteFrau, gross aber auch Monica Bleibtreuin einem ihrer letzten Auftritte in derRolle einer an der Welt irre Gewordenen.TANNÖD ist ein in stiller Wuchtigkeiterschütterndes Dorf- und Psychodrama– das unerwartet aktuell nach der Her-kunft des Bösen fragt.

Regie: Bettina Oberli.Mit: Julia Jentsch, Monica Bleibtreu,Volker Bruch.Verleih: Pathé Films.

SOUL KITCHEN titelt Fatih Akins sechster Film und vereinigt in sich dasBeste aus des Hamburgers bisherigem Schaffen: Die Lebenslust aus«Gegen die Wand», die Liebessehnsucht von «Im Juli», das zwischenden Kulturen, wie es «Solino» beschreibt. Eine Art «Heimatfilm», wieihn Akin bezeichnet, spielt SOUL KITCHEN zur Hauptsache im boomen-den Hamburger Vorort Wilhelmsburg,wo Zinos eher recht denn schlecht einLokal betreibt. Doch nun hat es ZinosFreundin Nadine nach Shanghai ver-schlagen und das war der Anfang vomEnde oder das Ende vom Anfang, werweiss das schon so genau? Zinos aufalle Fälle gerät nach Nadines Wegzug ineine Pechsträhne. Nicht genug erleideter einen Bandscheibenvorfall, vertreibtsein neu engagierter Koch auch nochdie letzten Stammgäste. Zwar beginntdas Szenenvolk das «Soul Kitchen»

soul kitchenallmählich zu entdecken, doch Zinos Liebeskummer heilt das nicht.SOUL KITCHEN ist, rasant erzählt, bald tragisch, bald lustig und manch-mal alles zugleich. Kein Musikfilm, doch ein Film voller Musik: Von Soulüber Rock, Reggae, Rembetiko, La Paloma bis zu Hans Albers gibt esdarin alles zu hören. Mit Adam Bousdoukos, Moritz Bleibtreu und Birol

Ünel hat Akin seine drei Lieblings-männer zum Spiel geladen, ihnen zurSeite stehen mit Pheline Roggan,Dorka Gryllus und der DebütantinAnna Bederke drei Frauen, die esmit jedem James-Bond-Girl aufnehmen.SOUL KITCHEN vor Leben, Wut und Lie-be strotzend ist Fatih Akin at his best!

Regie: Fatih Akin.Mit: Adam Bousdoukos, Birol Ünel,Moritz Bleibtreu.Verleih: Pathé Films.

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Sie sei für die Amerikaner meist zu wenig amerikanisch und für dieAraber zu wenig arabisch, erklärte Jungregisseurin Cherien Dabis anläss-lich der Uraufführung ihres ersten langen Spielfilms in Cannes. Ähn-lich wie der in Nebraska geborenen Tochter palästinensischer Einwan-derer ergeht es deren Protagonistin in AMERRIKA. Von ihrem Mannverlassen zieht Muna mit ihrem halb-wüchsigen Sohn Fadi von der besetztenWestbank ins Land der unbegrenztenMöglichkeiten. Den Empfang, denSchwester, Schwager und Nichten denZuwanderern bereiten, ist herzlich.Doch das Leben in der amerikanischenProvinz – und das liegt nicht nur amdusseligen Winterwetter von Illinois –ist alles andere als heiteres Honig-lecken. Nur schon die Jobsuche erweistsich für Bankfrau Muna als Spiessruten-lauf und endet vorläufig in einem Fast-

Food-Diner. Und Fadi, von seiner Cousine crashkursmässig zum US-Teenie zurechtgestylt, lernt – nicht ohne ein blaues Auge davonzu-tragen – sich durch das soziale Minenfeld einer US-Highschool zubewegen. Bald heiter, bald kurios, immer turbulent gestaltet sich inAMERRIKA so, was man gemeinhin als Integration bezeichnet. Mit der

überzeugenden Nisreen Faour in derRolle der Frohnatur Muna, dem lin-kisch-charmanten Newcomer MelkarMuallem als deren Sohn und «LemonTree»-Star Hiam Abbass in der Rolleihrer Schwester, ist AMERRIKA eineleise humorvolle, sehr humane und vorallem erstaunlich authentische Culture-Clash-Comedy.

Regie: Cherien Dabis.Mit: Nisreen Faour, Hiam Abbass,Melkar Muallem.Verleih: Look Now!

Zwanzig Jahre ist es, seit die Mauer fiel und Ost und West wiederzusammenfanden. Doch der Jubel im heute wiedervereinigtenDeutschland hält sich in Grenzen – und auch im deutschen Kino ist diePhase der fidelen Mauerfall- und Wende-Komödien vorbei. Eher ange-sagt sind ruhige Dramen, welche die Folgen der jüngeren Geschichtefür die deutsche Bevölkerung beleuch-ten, so wie Christian Schwochows still-packender NOVEMBERKIND. Erzähltwird in NOVEMBERKIND von Inga, einerlebenslustigen, mit beiden Füssen aufdem Boden stehenden jungen Frau ausMecklenburg-Vorpommern, die nachdem frühen «Tod» ihrer Mutter in den1980er Jahren bei ihren Grosseltern auf-wuchs. Im November 2007 nun aberspricht in der Bibliothek, in welcherInga arbeitet, ein Literatur-Professoraus Konstanz vor. Er lädt Inga zum

Essen ein und behauptet, deren Mutter vor einigen Jahren begegnet zusein. Inga ist irritiert. Entschlossen beginnt sie ihre Vergangenheit zuerforschen und muss alsbald entdecken, dass in Wirklichkeit vielesziemlich anders ist, als ihre Umgebung sie bisher glauben liess.NOVEMBERKIND ist sehr dramatisch und hoch komplex. Er erzählt in

warmen Winterbildern von tiefer Ver-unsicherung, verletzten Gefühlen, aberauch einer leise keimenden Liebe. Esist ein tief aufwühlendes deutschesFamiliendrama, ein Schauspielerfilm,den man – vor allem wegen Anna MariaMühes kraftvoller Darstellung Ingas –kaum je vergessen wird.

Regie: Christian Schwochow.Mit: Anna Maria Mühe, Ulrich Matthes.Verleih: Look Now!

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nr. 115 • 11 / 12 / 2009 zeitung für den studiofilm im arthouse alba • arthouse commercio •

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Studiofilm-VorpremierenA r t h o u s e L e P a r i s , Z ü r i c h - S t a d e l h o f e nS i e b e n Ta g e d i e W o c h e u m 1 2 . 1 5 U h rw w w . l u n c h k i n o . c h

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NACH AUSFLÜGEN NACH SPANIEN («VICKY CRISTINABARCELONA») UND ENGLAND («MATCH POINT»)IST WOODY ALLEN WIEDER ZURÜCK IN NEW YORK:MIT SEINER BESTEN KOMÖDIE SEIT JAHREN.

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Page 2: 519915 MovieNews 115 qxp7:MovieNews 97 ZSD · NordöstlichvonLondon,inEssex,wodieThemsedemMeerzufliesst und hastig erstellteSozialsiedlungen, Einfamilienhäuser,stillgelegte Fabriken,riesigeEinkaufszentren

Er könne sich kein glücklicheres Leben als mit seiner Frau Anna vorstel-len: Job, Haus, alles paletti. Dies erklärt Ben seinem Kumpel Andrew auswilden College-Zeiten, der um zwei Uhr nachts unerwartet an der Hau-stür klingelt. Der Weltenbummler, soeben von einer Reise zurück, suchteinen Ort zum Übernachten. Als guter Freund kann Ben gar nicht neinsagen. Statt am nächsten Abend mitBen und Anna zu essen, trifft sich And-rew lieber spontan anderweitig, hat erdoch die ausgelassene Monica kennengelernt (urkomisch – Regisseurin LynnShelton selbst!). Sie – kein Kind vonTraurigkeit – lädt ebenso spontan Benund Andrew zu ihrer «Thank God it’s Fri-day» Party ein. In der feucht-fröhlichenorgiastischen Stimmung kommt balddas Humpfest – ein lokaler Amateurpor-nowettbewerb – zur Sprache. Die Jungs,längst in ihre alte Dynamik von männ-

licher Angeberei zurückgefallen, beschliessen mitzumachen. Aber wasfür eine Art von pornographischem Video-Kunstwerk, das gängige Gren-zen sprengt, können die zwei Kerle bieten? Nach der Sauferei und Gros-smäuligkeit bleibt die Idee: als Heteros zusammen Sex zu haben … undzwar vor laufender Kamera. Nur, wie soll «es» sich abspielen? Und vor

allem: Wer wird Bens Frau Anna ins Bildsetzen? Dank der frechen Geschichteund dem Wechsel zwischen spitzbübi-schem Witz und Ernsthaftigkeit setztHUMPDAY – erfrischend und originell –neue Massstäbe der Indie-Komödie. InSundance und Cannes gefeiert, serviertuns Newcomerin Lynn Shelton einenBuddy-Movie mit Charme und Tiefgang.

Regie: Lynn Shelton.Mit: Mark Duplass, Joshua Leonard,Alycia Delmore.Verleih: Xenix Filmdistribution.

Hildegard von Bingen, geboren 1098, gestorben 1179, ist eine der faszi-nierendsten Frauen des Mittelalters und heute populärer denn je. IhreHeilpflanzen- und Kräuterkunde sowie ihr ganzheitliches Denken geltenals Grundlage der alternativen Medizin, ihre Kompositionen erleben seitgut zwanzig Jahren eine lebhafte Renaissance. Nachdem jüngst verschie-dene literarische Werke sich mit vonBingen beschäftigten, rückt Margarethevon Trotta deren Leben und Werk nunins Leinwandlicht. VISION – AUS DEMLEBEN DER HILDEGARD VON BINGENbeginnt mit dem Eintritt der achtjährigenHildegard ins rheinland-pfälzische Bene-diktinerkloster Disibodenberg. In derFolge schildert der Film seiner Protago-nistin nicht immer leichten Werdegangvom kränklichen, aber aufgewecktenMädchen zur visionären Heilerin, Kom-ponistin und Äbtissin. Mit grosser Sorg-

Es war eine Liebe heftig, gross und aussichtslos wie diejenige des jun-gen Goethe zu Charlotte von Stein. Ähnlich wie ebendieser ist ihr einesder Welt schönsten literarischen Liebesbezeugnisse zu verdanken:Vom englischen Romantiker John Keats und dessen loderndenGefühlen für die Schneiderin Fanny Brawne ist hier die Rede. «BrightStar» titelt eines der schönsten Gedich-te, das Keats Fanny widmete. BRIGHTSTAR heisst nun auch der neue Filmvon Jane Campion, in dem die Austra-lierin sechzehn Jahre nach ihrem phä-nomenalen «The Piano» zum zweitenMal von einer übergrossen Liebeberichtet. Man schreibt das Jahr 1818.Keats, 23-jährig und hoch begabt, wiesein Dichterfreund Mr. Brown überzeugtist, führt in London ein mausarmesBohème-Leben. Durch Brown machtKeats eines Tages die Bekanntschaft

der modebewussten und selbstsicheren Schneiderin Fanny Brawne. Esist allerdings keine Liebe auf den ersten Blick, die den beiden wider-fährt. Keats findet Fanny unausstehlich, sie hat kein Interesse an Lite-ratur. Doch dann erkrankt Keats jüngerer Bruder. Wie sich Fanny nunhingebungsvoll um den Kranken kümmert, erwachen auch in John die

Gefühle – die offiziell zu bestätigen erstseine Armut, dann seine Tuberkuloseverunmöglichen. Grandios ist BRIGHTSTAR. Prächtig gefilmt, mitreissend er-zählt. Ein prächtiges Kostümdrama. Vorallem aber eine zärtliche, tragische undhoch romantische Lovestory, getragenvom leidenschaftlichen Spiel seinerzwei grossartigen Hauptdarsteller:Abbie Cornish und Ben Wishaw.

Regie: Jane Campion.Mit: Abbie Cornish, Ben Wishaw.Verleih: Pathé Films.

bright star

falt und viel Liebe zum Detail erweckt von Trotta in VISION den mittelal-terlichen Kosmos zum Leben. In einer der schönsten Szenen ihres Filmesführt sie einen Auszug aus von Bingens Singspiel «Ordo Virtutum» vor.Die Rolle Hildegard von Bingens hat von Trotta einer wunderbar sublimspielenden Barbara Sukowa anvertraut. Dieser zur Seite stehen als deren

Schülerin Hannah Herzsprung sowie inder Rolle des Mönchs Volmar HeinoFerch. VISION ist das fesselnde Porträteiner Frau, die sich dem düsteren Chau-vinismus ihrer Zeit unerschrocken entge-genstellt. Eine Liebeserklärung einer dergrössten Regisseurinnen Deutschlandsan eine der mutigsten Frauen, welche dieWelt je sah.

Regie: Margarethe von Trotta.Mit: Barbara Sukowa, Heino Ferch,Hannah Herzsprung.Verleih: Filmcoopi.

Was Keith Jarretts legendäres «Köln Concert», Arvo Pärts selig machen-de «Tabula Rasa» und Jan Garbareks zusammen mit dem HilliardEnsemble eingespieltes «Officium» abgesehen von ihrer Meisterhaftig-keit gemein haben? Eigentlich nichts – aber doch das Wichtigste: Siesind alle bei ECM, der «Edition of Contemporary Music», erschienen.Seit vierzig Jahren steht das sich aus-schliesslich zeitgenössischer Musikwidmende Label trutzig in den toben-den Wogen der sich hektisch neu erfin-denden Musikbranche und sein legen-därer Ruf reicht inzwischen rund umdie Welt. Das war für Peter Guyer undNorbert Wiedmer Grund genug, umdem ECM-Gründer und -Leiter, demdeutschen Musikproduzenten ManfredEicher, in SOUNDS AND SILENCE einwenig ins Nähkästchen zu gucken. IhrFilm ist eine sanfte Annäherung in

Dass Martin Suters Geschichten für die Leinwand wie geschaffen sind,beweist der junge Schweizer Regisseur Alain Gsponer mit LILA, LILA,der herrlich gelungenen Verfilmung des gleichnamigen Romans. Diepfiffige Hochstapler-Komödie um einen unscheinbaren Kellner, derungewollt zum Shooting Star der Literaturszene wird, birgt Hitpoten-zial. David jobbt in einer angesagtenBerliner Bar. Sein Problem: Niemandbeachtet ihn, schon gar nicht die schö-ne Marie. Marie liebt belesene Männer,und wenn sie auch noch Schriftstellersind, ist sie hin und weg. Keine Chancefür David. Doch das Glück meint es gutmit ihm: In einem Nachttisch vom Tröd-ler findet er ein verstaubtes Manu-skript. Damit erobert er nicht nur Marieim Sturm, das Buch wird auch noch –im Nu unter seinem Namen publiziert –zum Bestseller. Im siebten Himmel

müsste David nun schweben. Doch er ist von der neuen Situation über-fordert. Und dann steht in einer Autogrammstunde plötzlich Jacky vorihm, ein abgehalfterter Herumtreiber, der sich als Autor von «Lila, Lila»zu erkennen gibt… Selten wurde der Literaturbetrieb süffisanter aufsKorn genommen als in LILA, LILA. Bis in die kleinsten Nebenrollen agie-

ren die Darsteller mit ansteckenderSpielfreude. Daniel Brühl kann seit«Goodbye Lenin» endlich wieder zeigen,welch ein begnadeter Komödiant er ist:Umwerfend, wie er sein Lügengebäudein immer verzweifeltere Höhen baut,derweil Hannah Herzsprung («Vier Minu-ten») hinreissend auf dem schmalenGrat von Davids Geheimnis balanciert.

Regie: Alain Gsponer.Mit: Daniel Brühl, Hannah Herzsprung,Henry Hübchen.Verleih: Warner Bros.

l ila, l ila

Loops und Schleifen. Das feinfühlige Porträt eines Menschen, der –selber hochmusikalisch – sein Instrument vor Jahren in die Ecke stell-te, um fortan im Dienst anderer der Musik zu frönen. SOUNDS ANDSILENCE ist eine abwechslungsreiche Reise durch eine Welt vollerMelodien, Töne, Klänge und Geräusche. Eine faszinierende, kinemato-

graphische Recherche, die ihrem stetsauf Perfektion bedachten Protagonis-ten auf der Suche nach dem reinstenTon und schönsten Klang durch Kon-zertsäle und Aufnahmestudios folgt –und dem Zuschauer dabei unvergess-liche Begegnungen mit grossartigenMusikern wie Eleni Karaindrou, DinoSaluzzi, Nik Bärtsch und Kim Kashkas-hian beschert.

Regie: Peter Guyer, Norbert Wiedmer.Dokumentarfilm.Verleih: Filmcoopi.

Ach ist das köstlich! Um einem «grumpy old man» – er heisst BorisYellnikoff, ist Jude, blitzgescheit, schwatzhaft, egozentrisch, misan-throp und grundsätzlich pessimistisch – nochmals eine Romanze zubescheren, setzt Woody Allen in WHATEVER WORKS die Südstaaten-Schönheit Melodie direkt vor die Tür von dessen New Yorker Apparte-ment. Bloss einige Nächte will Boris diejugendliche Tramperin bei sich unter-schlüpfen lassen. Melodie aber bleibt.Sie ist begeistert von Boris’ weltmänni-scher Weisheit und erklärt ihm nacheinigen Wochen unverdrossen ihre Lie-be. Ergo heiratet man. Boris schwelgtim Glück, Melodie reift unter seinerAnleitung zur jungen Frau. Übers Jahrtauchen Melodies hysterische Mutterund ihr verklemmter Vater in New Yorkauf: Munter im Kreise dreht sich inWHATEVER WORKS das Beziehungs-

whatever workskarussell. Aus Landpomeranzen werden Grossstadtbewohner, ausSingles Paare. Es wallen die Gefühle, regen sich die Triebe: WHATEVERWORKS ist humorvoll, lustig und sehr human. Herzerfrischend burschi-kos spielt Evan Rachel Wood Melodie, grossartig gibt Larry David denkauzigen Boris. Der witzigste Part aber gehört Patricia Clarkson, die

sich in der Rolle von Melodies Mamavon der biederen Hausfrau zur arrivier-ten Künstlerin mausert. WHATEVERWORKS, den Woody Allen nach Abste-chern nach London und Barcelona wie-der in New York gedreht hat, ist seinköstlichster – weil leichtfüssigster undverschmitztester – Film seit Jahren.

Regie: Woody Allen.Mit: Larry David, Evan Rachel Wood,Patricia Clarkson.Verleih: Frenetic Films.

vision – aus dem leben der hildegard von bingenDer Australier Adam Elliot ist ohne Zweifel einer der originellsten Trick-filmemacher der Welt. Nach einer Reihe grossartiger Kurzfilme, unterihnen der Oscar-gekrönte «Harvie Krumpet», stellt er mit MARY & MAXnun seinen ersten abendfüllenden Film vor: Die hinreissende Geschich-te um die kuriose Brieffreundschaft zwischen der aufgeweckten acht-jährigen Mary aus Melbourne und demkauzigen New Yorker mittleren AltersMax Horowitz. Auf der Suche nachjemandem, der ihre wichtigen Fragenehrlich beantworten kann – wie etwaob in Amerika Kinder auch in Bierdosengeboren werden –, pickt Mary einezufällige Adresse aus dem Telefonbuch.Max ist von der unverhofft eintreffen-den Post völlig überrumpelt. Dochnach einer Panikattacke und einigenSchokoriegeln schreibt er Mary zurück.In der Folge entwickelt sich zwischen

den beiden ein reger Briefwechsel, in welchem die vom Kind zur Frauheranwachsende Mary und der immer dicker werdende Max zu bestenFreunden werden. Voller Humor und Unmengen Plastilin berührt MARY& MAX durch eine bis ins kleinste Detail sorgfältige Gestaltung undden verschmitzten Tonfall der Erzählung. Verschroben-schräge Figuren

und ein knallroter Pompon als Gefühls-barometer – erfrischend unverdrossenberichtet MARY & MAX von menschli-chen Ängsten und Freuden. Ähnlich wie«Persepolis» und «Waltz with Bashir»ist MARY & MAX ein Herz erwärmendes,animiertes Kleinod, das weit nach Sei-nesgleichen sucht.

Regie: Adam Elliot.Mit den Stimmen von Toni Colette,Philip Seymour Hoffman.Verleih: Pathé Films.

mary & max

sounds and silenceÜber zwei Jahrzehnte war der Tänzer und Choreograph Maurice Béjartin Lausanne zu Hause und hat Einmaliges geschaffen: das Béjart BalletLausanne, bestehend aus rund vierzig Tänzern und Tänzerinnen, isteine der besten Tanztruppen der Welt. Kurz vor seinem Tod hat Béjart2007 seinen Schüler, den Franzosen Gil Roman, zu seinem Nachfolgerbestimmt. Hier setzt BÉJART – LE CŒURET LE COURAGE, der Dokumentarfilmder Spanierin Aranxta Aguirre, ein.Aguirre, die sich ihre Sporen unteranderem bei Almodóvar abverdiente,hat Gil Roman und das Béjart-Ensem-ble durch die ersten Monate nachBéjarts Tod begleitet. Es ist eine auf-wühlende und schwierige Zeit, eine Zeitauch voller Veränderungen. Abgesehendavon, dass jeder Einzelne über seinenVerbleib im Ensemble befinden muss,gilt es zu entscheiden, ob man fortan

das bestehende Repertoire pflegen oder sich auch an Neues wagensoll. Und dann ist da auch noch die von der Hauptsponsorin Stadt Lau-sanne anberaumte Frist von drei Jahren, innerhalb derer es sich ohneMeister zu beweisen gilt. BÉJART – LE CŒUR ET LE COURAGE ist einpackender, dringlicher und dichter Film. Hautnah dran an seinen Pro-

tagonisten, vor allem an Gil Roman,tastet er nach Befindlichkeiten undschildert eindrücklich den Zusammen-prall von innerem Ringen und von aus-sen kommenden Erwartungen. Doch«The Show Must Go On» heisst es inAguirres Film: Bald bangend, bald hof-fend geht das Béjart Ballet Lausannedie ersten Schritte in seine unbestimm-te Zukunft.

Regie: Aranxta Aguirre.Dokumentarfilm.Verleih: Xenix Filmdistribution.

béjart – le cœur et le courageBilal hat sich vor drei Jahren unsterblich verliebt. Doch vor sechs Mona-ten ist Mina mit ihrer Familie nach London gezogen. Wenig später istBilal aufgebrochen. Über 4000 Kilometer ist er Mina zu Fuss gefolgt: vonIrakisch-Kurdistan bis an die Grenze Frankreichs. Kurz nach der Abreisehaben die Türken Bilal eine Weile festgehalten, vor einigen Tagen dieFranzosen ihn aus dem Camion einesSchleppers gefischt. Nun aber befindetsich der jugendliche Protagonist vonWELCOME – überzeugend: NewcomerFirat Ayverdi – in Calais, und da dürfte erals Minderjähriger denn auch bleiben.Doch die Zeit drängt: Bald schon sollMina in London einen anderen heiraten.Bilal ist verzweifelt. Schwimmen, denkter. Wieso soll er, der zu Hause als Top-Fussballer gilt und am liebsten bei ManUeinsteigen würde, die letzten 34 Kilome-ter nicht schwimmend zurücklegen? Im

Hallenbad lernt Bilal den ehemaligen Schwimmchampion Simon –charismatisch: Vincent Lindon – kennen. Und Simon will, obwohl dasGesetz dies bei Strafe untersagt, Bilal helfen. Eine herzerwärmendeRomeo & Julia-Story, ein packendes Emigranten-Drama, aber auch dieGeschichte einer ungewöhnlichen Männerfreundschaft ist WELCOME.

Wohltuend unaufgeregt inszeniert sorg-te Philippe Liorets Film in Frankreichwegen seines unverdrossenen Umgangsmit einem politisch heiklen Thema fürFurore. Auf der diesjährigen Berlinaleaber wurde WELCOME aus just demgleichen Grund von der ÖkumenischenJury und vom Publikum ausgezeichnet.

Regie: Philippe Lioret.Mit: Firat Ayverdi, Vincent Lindon,Audrey Dana.Verleih: Agora Films.

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Page 3: 519915 MovieNews 115 qxp7:MovieNews 97 ZSD · NordöstlichvonLondon,inEssex,wodieThemsedemMeerzufliesst und hastig erstellteSozialsiedlungen, Einfamilienhäuser,stillgelegte Fabriken,riesigeEinkaufszentren

Er könne sich kein glücklicheres Leben als mit seiner Frau Anna vorstel-len: Job, Haus, alles paletti. Dies erklärt Ben seinem Kumpel Andrew auswilden College-Zeiten, der um zwei Uhr nachts unerwartet an der Hau-stür klingelt. Der Weltenbummler, soeben von einer Reise zurück, suchteinen Ort zum Übernachten. Als guter Freund kann Ben gar nicht neinsagen. Statt am nächsten Abend mitBen und Anna zu essen, trifft sich And-rew lieber spontan anderweitig, hat erdoch die ausgelassene Monica kennengelernt (urkomisch – Regisseurin LynnShelton selbst!). Sie – kein Kind vonTraurigkeit – lädt ebenso spontan Benund Andrew zu ihrer «Thank God it’s Fri-day» Party ein. In der feucht-fröhlichenorgiastischen Stimmung kommt balddas Humpfest – ein lokaler Amateurpor-nowettbewerb – zur Sprache. Die Jungs,längst in ihre alte Dynamik von männ-

licher Angeberei zurückgefallen, beschliessen mitzumachen. Aber wasfür eine Art von pornographischem Video-Kunstwerk, das gängige Gren-zen sprengt, können die zwei Kerle bieten? Nach der Sauferei und Gros-smäuligkeit bleibt die Idee: als Heteros zusammen Sex zu haben … undzwar vor laufender Kamera. Nur, wie soll «es» sich abspielen? Und vor

allem: Wer wird Bens Frau Anna ins Bildsetzen? Dank der frechen Geschichteund dem Wechsel zwischen spitzbübi-schem Witz und Ernsthaftigkeit setztHUMPDAY – erfrischend und originell –neue Massstäbe der Indie-Komödie. InSundance und Cannes gefeiert, serviertuns Newcomerin Lynn Shelton einenBuddy-Movie mit Charme und Tiefgang.

Regie: Lynn Shelton.Mit: Mark Duplass, Joshua Leonard,Alycia Delmore.Verleih: Xenix Filmdistribution.

Hildegard von Bingen, geboren 1098, gestorben 1179, ist eine der faszi-nierendsten Frauen des Mittelalters und heute populärer denn je. IhreHeilpflanzen- und Kräuterkunde sowie ihr ganzheitliches Denken geltenals Grundlage der alternativen Medizin, ihre Kompositionen erleben seitgut zwanzig Jahren eine lebhafte Renaissance. Nachdem jüngst verschie-dene literarische Werke sich mit vonBingen beschäftigten, rückt Margarethevon Trotta deren Leben und Werk nunins Leinwandlicht. VISION – AUS DEMLEBEN DER HILDEGARD VON BINGENbeginnt mit dem Eintritt der achtjährigenHildegard ins rheinland-pfälzische Bene-diktinerkloster Disibodenberg. In derFolge schildert der Film seiner Protago-nistin nicht immer leichten Werdegangvom kränklichen, aber aufgewecktenMädchen zur visionären Heilerin, Kom-ponistin und Äbtissin. Mit grosser Sorg-

Es war eine Liebe heftig, gross und aussichtslos wie diejenige des jun-gen Goethe zu Charlotte von Stein. Ähnlich wie ebendieser ist ihr einesder Welt schönsten literarischen Liebesbezeugnisse zu verdanken:Vom englischen Romantiker John Keats und dessen loderndenGefühlen für die Schneiderin Fanny Brawne ist hier die Rede. «BrightStar» titelt eines der schönsten Gedich-te, das Keats Fanny widmete. BRIGHTSTAR heisst nun auch der neue Filmvon Jane Campion, in dem die Austra-lierin sechzehn Jahre nach ihrem phä-nomenalen «The Piano» zum zweitenMal von einer übergrossen Liebeberichtet. Man schreibt das Jahr 1818.Keats, 23-jährig und hoch begabt, wiesein Dichterfreund Mr. Brown überzeugtist, führt in London ein mausarmesBohème-Leben. Durch Brown machtKeats eines Tages die Bekanntschaft

der modebewussten und selbstsicheren Schneiderin Fanny Brawne. Esist allerdings keine Liebe auf den ersten Blick, die den beiden wider-fährt. Keats findet Fanny unausstehlich, sie hat kein Interesse an Lite-ratur. Doch dann erkrankt Keats jüngerer Bruder. Wie sich Fanny nunhingebungsvoll um den Kranken kümmert, erwachen auch in John die

Gefühle – die offiziell zu bestätigen erstseine Armut, dann seine Tuberkuloseverunmöglichen. Grandios ist BRIGHTSTAR. Prächtig gefilmt, mitreissend er-zählt. Ein prächtiges Kostümdrama. Vorallem aber eine zärtliche, tragische undhoch romantische Lovestory, getragenvom leidenschaftlichen Spiel seinerzwei grossartigen Hauptdarsteller:Abbie Cornish und Ben Wishaw.

Regie: Jane Campion.Mit: Abbie Cornish, Ben Wishaw.Verleih: Pathé Films.

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falt und viel Liebe zum Detail erweckt von Trotta in VISION den mittelal-terlichen Kosmos zum Leben. In einer der schönsten Szenen ihres Filmesführt sie einen Auszug aus von Bingens Singspiel «Ordo Virtutum» vor.Die Rolle Hildegard von Bingens hat von Trotta einer wunderbar sublimspielenden Barbara Sukowa anvertraut. Dieser zur Seite stehen als deren

Schülerin Hannah Herzsprung sowie inder Rolle des Mönchs Volmar HeinoFerch. VISION ist das fesselnde Porträteiner Frau, die sich dem düsteren Chau-vinismus ihrer Zeit unerschrocken entge-genstellt. Eine Liebeserklärung einer dergrössten Regisseurinnen Deutschlandsan eine der mutigsten Frauen, welche dieWelt je sah.

Regie: Margarethe von Trotta.Mit: Barbara Sukowa, Heino Ferch,Hannah Herzsprung.Verleih: Filmcoopi.

Was Keith Jarretts legendäres «Köln Concert», Arvo Pärts selig machen-de «Tabula Rasa» und Jan Garbareks zusammen mit dem HilliardEnsemble eingespieltes «Officium» abgesehen von ihrer Meisterhaftig-keit gemein haben? Eigentlich nichts – aber doch das Wichtigste: Siesind alle bei ECM, der «Edition of Contemporary Music», erschienen.Seit vierzig Jahren steht das sich aus-schliesslich zeitgenössischer Musikwidmende Label trutzig in den toben-den Wogen der sich hektisch neu erfin-denden Musikbranche und sein legen-därer Ruf reicht inzwischen rund umdie Welt. Das war für Peter Guyer undNorbert Wiedmer Grund genug, umdem ECM-Gründer und -Leiter, demdeutschen Musikproduzenten ManfredEicher, in SOUNDS AND SILENCE einwenig ins Nähkästchen zu gucken. IhrFilm ist eine sanfte Annäherung in

Dass Martin Suters Geschichten für die Leinwand wie geschaffen sind,beweist der junge Schweizer Regisseur Alain Gsponer mit LILA, LILA,der herrlich gelungenen Verfilmung des gleichnamigen Romans. Diepfiffige Hochstapler-Komödie um einen unscheinbaren Kellner, derungewollt zum Shooting Star der Literaturszene wird, birgt Hitpoten-zial. David jobbt in einer angesagtenBerliner Bar. Sein Problem: Niemandbeachtet ihn, schon gar nicht die schö-ne Marie. Marie liebt belesene Männer,und wenn sie auch noch Schriftstellersind, ist sie hin und weg. Keine Chancefür David. Doch das Glück meint es gutmit ihm: In einem Nachttisch vom Tröd-ler findet er ein verstaubtes Manu-skript. Damit erobert er nicht nur Marieim Sturm, das Buch wird auch noch –im Nu unter seinem Namen publiziert –zum Bestseller. Im siebten Himmel

müsste David nun schweben. Doch er ist von der neuen Situation über-fordert. Und dann steht in einer Autogrammstunde plötzlich Jacky vorihm, ein abgehalfterter Herumtreiber, der sich als Autor von «Lila, Lila»zu erkennen gibt… Selten wurde der Literaturbetrieb süffisanter aufsKorn genommen als in LILA, LILA. Bis in die kleinsten Nebenrollen agie-

ren die Darsteller mit ansteckenderSpielfreude. Daniel Brühl kann seit«Goodbye Lenin» endlich wieder zeigen,welch ein begnadeter Komödiant er ist:Umwerfend, wie er sein Lügengebäudein immer verzweifeltere Höhen baut,derweil Hannah Herzsprung («Vier Minu-ten») hinreissend auf dem schmalenGrat von Davids Geheimnis balanciert.

Regie: Alain Gsponer.Mit: Daniel Brühl, Hannah Herzsprung,Henry Hübchen.Verleih: Warner Bros.

l ila, l ila

Loops und Schleifen. Das feinfühlige Porträt eines Menschen, der –selber hochmusikalisch – sein Instrument vor Jahren in die Ecke stell-te, um fortan im Dienst anderer der Musik zu frönen. SOUNDS ANDSILENCE ist eine abwechslungsreiche Reise durch eine Welt vollerMelodien, Töne, Klänge und Geräusche. Eine faszinierende, kinemato-

graphische Recherche, die ihrem stetsauf Perfektion bedachten Protagonis-ten auf der Suche nach dem reinstenTon und schönsten Klang durch Kon-zertsäle und Aufnahmestudios folgt –und dem Zuschauer dabei unvergess-liche Begegnungen mit grossartigenMusikern wie Eleni Karaindrou, DinoSaluzzi, Nik Bärtsch und Kim Kashkas-hian beschert.

Regie: Peter Guyer, Norbert Wiedmer.Dokumentarfilm.Verleih: Filmcoopi.

Ach ist das köstlich! Um einem «grumpy old man» – er heisst BorisYellnikoff, ist Jude, blitzgescheit, schwatzhaft, egozentrisch, misan-throp und grundsätzlich pessimistisch – nochmals eine Romanze zubescheren, setzt Woody Allen in WHATEVER WORKS die Südstaaten-Schönheit Melodie direkt vor die Tür von dessen New Yorker Apparte-ment. Bloss einige Nächte will Boris diejugendliche Tramperin bei sich unter-schlüpfen lassen. Melodie aber bleibt.Sie ist begeistert von Boris’ weltmänni-scher Weisheit und erklärt ihm nacheinigen Wochen unverdrossen ihre Lie-be. Ergo heiratet man. Boris schwelgtim Glück, Melodie reift unter seinerAnleitung zur jungen Frau. Übers Jahrtauchen Melodies hysterische Mutterund ihr verklemmter Vater in New Yorkauf: Munter im Kreise dreht sich inWHATEVER WORKS das Beziehungs-

whatever workskarussell. Aus Landpomeranzen werden Grossstadtbewohner, ausSingles Paare. Es wallen die Gefühle, regen sich die Triebe: WHATEVERWORKS ist humorvoll, lustig und sehr human. Herzerfrischend burschi-kos spielt Evan Rachel Wood Melodie, grossartig gibt Larry David denkauzigen Boris. Der witzigste Part aber gehört Patricia Clarkson, die

sich in der Rolle von Melodies Mamavon der biederen Hausfrau zur arrivier-ten Künstlerin mausert. WHATEVERWORKS, den Woody Allen nach Abste-chern nach London und Barcelona wie-der in New York gedreht hat, ist seinköstlichster – weil leichtfüssigster undverschmitztester – Film seit Jahren.

Regie: Woody Allen.Mit: Larry David, Evan Rachel Wood,Patricia Clarkson.Verleih: Frenetic Films.

vision – aus dem leben der hildegard von bingenDer Australier Adam Elliot ist ohne Zweifel einer der originellsten Trick-filmemacher der Welt. Nach einer Reihe grossartiger Kurzfilme, unterihnen der Oscar-gekrönte «Harvie Krumpet», stellt er mit MARY & MAXnun seinen ersten abendfüllenden Film vor: Die hinreissende Geschich-te um die kuriose Brieffreundschaft zwischen der aufgeweckten acht-jährigen Mary aus Melbourne und demkauzigen New Yorker mittleren AltersMax Horowitz. Auf der Suche nachjemandem, der ihre wichtigen Fragenehrlich beantworten kann – wie etwaob in Amerika Kinder auch in Bierdosengeboren werden –, pickt Mary einezufällige Adresse aus dem Telefonbuch.Max ist von der unverhofft eintreffen-den Post völlig überrumpelt. Dochnach einer Panikattacke und einigenSchokoriegeln schreibt er Mary zurück.In der Folge entwickelt sich zwischen

den beiden ein reger Briefwechsel, in welchem die vom Kind zur Frauheranwachsende Mary und der immer dicker werdende Max zu bestenFreunden werden. Voller Humor und Unmengen Plastilin berührt MARY& MAX durch eine bis ins kleinste Detail sorgfältige Gestaltung undden verschmitzten Tonfall der Erzählung. Verschroben-schräge Figuren

und ein knallroter Pompon als Gefühls-barometer – erfrischend unverdrossenberichtet MARY & MAX von menschli-chen Ängsten und Freuden. Ähnlich wie«Persepolis» und «Waltz with Bashir»ist MARY & MAX ein Herz erwärmendes,animiertes Kleinod, das weit nach Sei-nesgleichen sucht.

Regie: Adam Elliot.Mit den Stimmen von Toni Colette,Philip Seymour Hoffman.Verleih: Pathé Films.

mary & max

sounds and silenceÜber zwei Jahrzehnte war der Tänzer und Choreograph Maurice Béjartin Lausanne zu Hause und hat Einmaliges geschaffen: das Béjart BalletLausanne, bestehend aus rund vierzig Tänzern und Tänzerinnen, isteine der besten Tanztruppen der Welt. Kurz vor seinem Tod hat Béjart2007 seinen Schüler, den Franzosen Gil Roman, zu seinem Nachfolgerbestimmt. Hier setzt BÉJART – LE CŒURET LE COURAGE, der Dokumentarfilmder Spanierin Aranxta Aguirre, ein.Aguirre, die sich ihre Sporen unteranderem bei Almodóvar abverdiente,hat Gil Roman und das Béjart-Ensem-ble durch die ersten Monate nachBéjarts Tod begleitet. Es ist eine auf-wühlende und schwierige Zeit, eine Zeitauch voller Veränderungen. Abgesehendavon, dass jeder Einzelne über seinenVerbleib im Ensemble befinden muss,gilt es zu entscheiden, ob man fortan

das bestehende Repertoire pflegen oder sich auch an Neues wagensoll. Und dann ist da auch noch die von der Hauptsponsorin Stadt Lau-sanne anberaumte Frist von drei Jahren, innerhalb derer es sich ohneMeister zu beweisen gilt. BÉJART – LE CŒUR ET LE COURAGE ist einpackender, dringlicher und dichter Film. Hautnah dran an seinen Pro-

tagonisten, vor allem an Gil Roman,tastet er nach Befindlichkeiten undschildert eindrücklich den Zusammen-prall von innerem Ringen und von aus-sen kommenden Erwartungen. Doch«The Show Must Go On» heisst es inAguirres Film: Bald bangend, bald hof-fend geht das Béjart Ballet Lausannedie ersten Schritte in seine unbestimm-te Zukunft.

Regie: Aranxta Aguirre.Dokumentarfilm.Verleih: Xenix Filmdistribution.

béjart – le cœur et le courageBilal hat sich vor drei Jahren unsterblich verliebt. Doch vor sechs Mona-ten ist Mina mit ihrer Familie nach London gezogen. Wenig später istBilal aufgebrochen. Über 4000 Kilometer ist er Mina zu Fuss gefolgt: vonIrakisch-Kurdistan bis an die Grenze Frankreichs. Kurz nach der Abreisehaben die Türken Bilal eine Weile festgehalten, vor einigen Tagen dieFranzosen ihn aus dem Camion einesSchleppers gefischt. Nun aber befindetsich der jugendliche Protagonist vonWELCOME – überzeugend: NewcomerFirat Ayverdi – in Calais, und da dürfte erals Minderjähriger denn auch bleiben.Doch die Zeit drängt: Bald schon sollMina in London einen anderen heiraten.Bilal ist verzweifelt. Schwimmen, denkter. Wieso soll er, der zu Hause als Top-Fussballer gilt und am liebsten bei ManUeinsteigen würde, die letzten 34 Kilome-ter nicht schwimmend zurücklegen? Im

Hallenbad lernt Bilal den ehemaligen Schwimmchampion Simon –charismatisch: Vincent Lindon – kennen. Und Simon will, obwohl dasGesetz dies bei Strafe untersagt, Bilal helfen. Eine herzerwärmendeRomeo & Julia-Story, ein packendes Emigranten-Drama, aber auch dieGeschichte einer ungewöhnlichen Männerfreundschaft ist WELCOME.

Wohltuend unaufgeregt inszeniert sorg-te Philippe Liorets Film in Frankreichwegen seines unverdrossenen Umgangsmit einem politisch heiklen Thema fürFurore. Auf der diesjährigen Berlinaleaber wurde WELCOME aus just demgleichen Grund von der ÖkumenischenJury und vom Publikum ausgezeichnet.

Regie: Philippe Lioret.Mit: Firat Ayverdi, Vincent Lindon,Audrey Dana.Verleih: Agora Films.

welcome

humpday

© 2009 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.

Page 4: 519915 MovieNews 115 qxp7:MovieNews 97 ZSD · NordöstlichvonLondon,inEssex,wodieThemsedemMeerzufliesst und hastig erstellteSozialsiedlungen, Einfamilienhäuser,stillgelegte Fabriken,riesigeEinkaufszentren

Er könne sich kein glücklicheres Leben als mit seiner Frau Anna vorstel-len: Job, Haus, alles paletti. Dies erklärt Ben seinem Kumpel Andrew auswilden College-Zeiten, der um zwei Uhr nachts unerwartet an der Hau-stür klingelt. Der Weltenbummler, soeben von einer Reise zurück, suchteinen Ort zum Übernachten. Als guter Freund kann Ben gar nicht neinsagen. Statt am nächsten Abend mitBen und Anna zu essen, trifft sich And-rew lieber spontan anderweitig, hat erdoch die ausgelassene Monica kennengelernt (urkomisch – Regisseurin LynnShelton selbst!). Sie – kein Kind vonTraurigkeit – lädt ebenso spontan Benund Andrew zu ihrer «Thank God it’s Fri-day» Party ein. In der feucht-fröhlichenorgiastischen Stimmung kommt balddas Humpfest – ein lokaler Amateurpor-nowettbewerb – zur Sprache. Die Jungs,längst in ihre alte Dynamik von männ-

licher Angeberei zurückgefallen, beschliessen mitzumachen. Aber wasfür eine Art von pornographischem Video-Kunstwerk, das gängige Gren-zen sprengt, können die zwei Kerle bieten? Nach der Sauferei und Gros-smäuligkeit bleibt die Idee: als Heteros zusammen Sex zu haben … undzwar vor laufender Kamera. Nur, wie soll «es» sich abspielen? Und vor

allem: Wer wird Bens Frau Anna ins Bildsetzen? Dank der frechen Geschichteund dem Wechsel zwischen spitzbübi-schem Witz und Ernsthaftigkeit setztHUMPDAY – erfrischend und originell –neue Massstäbe der Indie-Komödie. InSundance und Cannes gefeiert, serviertuns Newcomerin Lynn Shelton einenBuddy-Movie mit Charme und Tiefgang.

Regie: Lynn Shelton.Mit: Mark Duplass, Joshua Leonard,Alycia Delmore.Verleih: Xenix Filmdistribution.

Hildegard von Bingen, geboren 1098, gestorben 1179, ist eine der faszi-nierendsten Frauen des Mittelalters und heute populärer denn je. IhreHeilpflanzen- und Kräuterkunde sowie ihr ganzheitliches Denken geltenals Grundlage der alternativen Medizin, ihre Kompositionen erleben seitgut zwanzig Jahren eine lebhafte Renaissance. Nachdem jüngst verschie-dene literarische Werke sich mit vonBingen beschäftigten, rückt Margarethevon Trotta deren Leben und Werk nunins Leinwandlicht. VISION – AUS DEMLEBEN DER HILDEGARD VON BINGENbeginnt mit dem Eintritt der achtjährigenHildegard ins rheinland-pfälzische Bene-diktinerkloster Disibodenberg. In derFolge schildert der Film seiner Protago-nistin nicht immer leichten Werdegangvom kränklichen, aber aufgewecktenMädchen zur visionären Heilerin, Kom-ponistin und Äbtissin. Mit grosser Sorg-

Es war eine Liebe heftig, gross und aussichtslos wie diejenige des jun-gen Goethe zu Charlotte von Stein. Ähnlich wie ebendieser ist ihr einesder Welt schönsten literarischen Liebesbezeugnisse zu verdanken:Vom englischen Romantiker John Keats und dessen loderndenGefühlen für die Schneiderin Fanny Brawne ist hier die Rede. «BrightStar» titelt eines der schönsten Gedich-te, das Keats Fanny widmete. BRIGHTSTAR heisst nun auch der neue Filmvon Jane Campion, in dem die Austra-lierin sechzehn Jahre nach ihrem phä-nomenalen «The Piano» zum zweitenMal von einer übergrossen Liebeberichtet. Man schreibt das Jahr 1818.Keats, 23-jährig und hoch begabt, wiesein Dichterfreund Mr. Brown überzeugtist, führt in London ein mausarmesBohème-Leben. Durch Brown machtKeats eines Tages die Bekanntschaft

der modebewussten und selbstsicheren Schneiderin Fanny Brawne. Esist allerdings keine Liebe auf den ersten Blick, die den beiden wider-fährt. Keats findet Fanny unausstehlich, sie hat kein Interesse an Lite-ratur. Doch dann erkrankt Keats jüngerer Bruder. Wie sich Fanny nunhingebungsvoll um den Kranken kümmert, erwachen auch in John die

Gefühle – die offiziell zu bestätigen erstseine Armut, dann seine Tuberkuloseverunmöglichen. Grandios ist BRIGHTSTAR. Prächtig gefilmt, mitreissend er-zählt. Ein prächtiges Kostümdrama. Vorallem aber eine zärtliche, tragische undhoch romantische Lovestory, getragenvom leidenschaftlichen Spiel seinerzwei grossartigen Hauptdarsteller:Abbie Cornish und Ben Wishaw.

Regie: Jane Campion.Mit: Abbie Cornish, Ben Wishaw.Verleih: Pathé Films.

bright star

falt und viel Liebe zum Detail erweckt von Trotta in VISION den mittelal-terlichen Kosmos zum Leben. In einer der schönsten Szenen ihres Filmesführt sie einen Auszug aus von Bingens Singspiel «Ordo Virtutum» vor.Die Rolle Hildegard von Bingens hat von Trotta einer wunderbar sublimspielenden Barbara Sukowa anvertraut. Dieser zur Seite stehen als deren

Schülerin Hannah Herzsprung sowie inder Rolle des Mönchs Volmar HeinoFerch. VISION ist das fesselnde Porträteiner Frau, die sich dem düsteren Chau-vinismus ihrer Zeit unerschrocken entge-genstellt. Eine Liebeserklärung einer dergrössten Regisseurinnen Deutschlandsan eine der mutigsten Frauen, welche dieWelt je sah.

Regie: Margarethe von Trotta.Mit: Barbara Sukowa, Heino Ferch,Hannah Herzsprung.Verleih: Filmcoopi.

Was Keith Jarretts legendäres «Köln Concert», Arvo Pärts selig machen-de «Tabula Rasa» und Jan Garbareks zusammen mit dem HilliardEnsemble eingespieltes «Officium» abgesehen von ihrer Meisterhaftig-keit gemein haben? Eigentlich nichts – aber doch das Wichtigste: Siesind alle bei ECM, der «Edition of Contemporary Music», erschienen.Seit vierzig Jahren steht das sich aus-schliesslich zeitgenössischer Musikwidmende Label trutzig in den toben-den Wogen der sich hektisch neu erfin-denden Musikbranche und sein legen-därer Ruf reicht inzwischen rund umdie Welt. Das war für Peter Guyer undNorbert Wiedmer Grund genug, umdem ECM-Gründer und -Leiter, demdeutschen Musikproduzenten ManfredEicher, in SOUNDS AND SILENCE einwenig ins Nähkästchen zu gucken. IhrFilm ist eine sanfte Annäherung in

Dass Martin Suters Geschichten für die Leinwand wie geschaffen sind,beweist der junge Schweizer Regisseur Alain Gsponer mit LILA, LILA,der herrlich gelungenen Verfilmung des gleichnamigen Romans. Diepfiffige Hochstapler-Komödie um einen unscheinbaren Kellner, derungewollt zum Shooting Star der Literaturszene wird, birgt Hitpoten-zial. David jobbt in einer angesagtenBerliner Bar. Sein Problem: Niemandbeachtet ihn, schon gar nicht die schö-ne Marie. Marie liebt belesene Männer,und wenn sie auch noch Schriftstellersind, ist sie hin und weg. Keine Chancefür David. Doch das Glück meint es gutmit ihm: In einem Nachttisch vom Tröd-ler findet er ein verstaubtes Manu-skript. Damit erobert er nicht nur Marieim Sturm, das Buch wird auch noch –im Nu unter seinem Namen publiziert –zum Bestseller. Im siebten Himmel

müsste David nun schweben. Doch er ist von der neuen Situation über-fordert. Und dann steht in einer Autogrammstunde plötzlich Jacky vorihm, ein abgehalfterter Herumtreiber, der sich als Autor von «Lila, Lila»zu erkennen gibt… Selten wurde der Literaturbetrieb süffisanter aufsKorn genommen als in LILA, LILA. Bis in die kleinsten Nebenrollen agie-

ren die Darsteller mit ansteckenderSpielfreude. Daniel Brühl kann seit«Goodbye Lenin» endlich wieder zeigen,welch ein begnadeter Komödiant er ist:Umwerfend, wie er sein Lügengebäudein immer verzweifeltere Höhen baut,derweil Hannah Herzsprung («Vier Minu-ten») hinreissend auf dem schmalenGrat von Davids Geheimnis balanciert.

Regie: Alain Gsponer.Mit: Daniel Brühl, Hannah Herzsprung,Henry Hübchen.Verleih: Warner Bros.

l ila, l ila

Loops und Schleifen. Das feinfühlige Porträt eines Menschen, der –selber hochmusikalisch – sein Instrument vor Jahren in die Ecke stell-te, um fortan im Dienst anderer der Musik zu frönen. SOUNDS ANDSILENCE ist eine abwechslungsreiche Reise durch eine Welt vollerMelodien, Töne, Klänge und Geräusche. Eine faszinierende, kinemato-

graphische Recherche, die ihrem stetsauf Perfektion bedachten Protagonis-ten auf der Suche nach dem reinstenTon und schönsten Klang durch Kon-zertsäle und Aufnahmestudios folgt –und dem Zuschauer dabei unvergess-liche Begegnungen mit grossartigenMusikern wie Eleni Karaindrou, DinoSaluzzi, Nik Bärtsch und Kim Kashkas-hian beschert.

Regie: Peter Guyer, Norbert Wiedmer.Dokumentarfilm.Verleih: Filmcoopi.

Ach ist das köstlich! Um einem «grumpy old man» – er heisst BorisYellnikoff, ist Jude, blitzgescheit, schwatzhaft, egozentrisch, misan-throp und grundsätzlich pessimistisch – nochmals eine Romanze zubescheren, setzt Woody Allen in WHATEVER WORKS die Südstaaten-Schönheit Melodie direkt vor die Tür von dessen New Yorker Apparte-ment. Bloss einige Nächte will Boris diejugendliche Tramperin bei sich unter-schlüpfen lassen. Melodie aber bleibt.Sie ist begeistert von Boris’ weltmänni-scher Weisheit und erklärt ihm nacheinigen Wochen unverdrossen ihre Lie-be. Ergo heiratet man. Boris schwelgtim Glück, Melodie reift unter seinerAnleitung zur jungen Frau. Übers Jahrtauchen Melodies hysterische Mutterund ihr verklemmter Vater in New Yorkauf: Munter im Kreise dreht sich inWHATEVER WORKS das Beziehungs-

whatever workskarussell. Aus Landpomeranzen werden Grossstadtbewohner, ausSingles Paare. Es wallen die Gefühle, regen sich die Triebe: WHATEVERWORKS ist humorvoll, lustig und sehr human. Herzerfrischend burschi-kos spielt Evan Rachel Wood Melodie, grossartig gibt Larry David denkauzigen Boris. Der witzigste Part aber gehört Patricia Clarkson, die

sich in der Rolle von Melodies Mamavon der biederen Hausfrau zur arrivier-ten Künstlerin mausert. WHATEVERWORKS, den Woody Allen nach Abste-chern nach London und Barcelona wie-der in New York gedreht hat, ist seinköstlichster – weil leichtfüssigster undverschmitztester – Film seit Jahren.

Regie: Woody Allen.Mit: Larry David, Evan Rachel Wood,Patricia Clarkson.Verleih: Frenetic Films.

vision – aus dem leben der hildegard von bingenDer Australier Adam Elliot ist ohne Zweifel einer der originellsten Trick-filmemacher der Welt. Nach einer Reihe grossartiger Kurzfilme, unterihnen der Oscar-gekrönte «Harvie Krumpet», stellt er mit MARY & MAXnun seinen ersten abendfüllenden Film vor: Die hinreissende Geschich-te um die kuriose Brieffreundschaft zwischen der aufgeweckten acht-jährigen Mary aus Melbourne und demkauzigen New Yorker mittleren AltersMax Horowitz. Auf der Suche nachjemandem, der ihre wichtigen Fragenehrlich beantworten kann – wie etwaob in Amerika Kinder auch in Bierdosengeboren werden –, pickt Mary einezufällige Adresse aus dem Telefonbuch.Max ist von der unverhofft eintreffen-den Post völlig überrumpelt. Dochnach einer Panikattacke und einigenSchokoriegeln schreibt er Mary zurück.In der Folge entwickelt sich zwischen

den beiden ein reger Briefwechsel, in welchem die vom Kind zur Frauheranwachsende Mary und der immer dicker werdende Max zu bestenFreunden werden. Voller Humor und Unmengen Plastilin berührt MARY& MAX durch eine bis ins kleinste Detail sorgfältige Gestaltung undden verschmitzten Tonfall der Erzählung. Verschroben-schräge Figuren

und ein knallroter Pompon als Gefühls-barometer – erfrischend unverdrossenberichtet MARY & MAX von menschli-chen Ängsten und Freuden. Ähnlich wie«Persepolis» und «Waltz with Bashir»ist MARY & MAX ein Herz erwärmendes,animiertes Kleinod, das weit nach Sei-nesgleichen sucht.

Regie: Adam Elliot.Mit den Stimmen von Toni Colette,Philip Seymour Hoffman.Verleih: Pathé Films.

mary & max

sounds and silenceÜber zwei Jahrzehnte war der Tänzer und Choreograph Maurice Béjartin Lausanne zu Hause und hat Einmaliges geschaffen: das Béjart BalletLausanne, bestehend aus rund vierzig Tänzern und Tänzerinnen, isteine der besten Tanztruppen der Welt. Kurz vor seinem Tod hat Béjart2007 seinen Schüler, den Franzosen Gil Roman, zu seinem Nachfolgerbestimmt. Hier setzt BÉJART – LE CŒURET LE COURAGE, der Dokumentarfilmder Spanierin Aranxta Aguirre, ein.Aguirre, die sich ihre Sporen unteranderem bei Almodóvar abverdiente,hat Gil Roman und das Béjart-Ensem-ble durch die ersten Monate nachBéjarts Tod begleitet. Es ist eine auf-wühlende und schwierige Zeit, eine Zeitauch voller Veränderungen. Abgesehendavon, dass jeder Einzelne über seinenVerbleib im Ensemble befinden muss,gilt es zu entscheiden, ob man fortan

das bestehende Repertoire pflegen oder sich auch an Neues wagensoll. Und dann ist da auch noch die von der Hauptsponsorin Stadt Lau-sanne anberaumte Frist von drei Jahren, innerhalb derer es sich ohneMeister zu beweisen gilt. BÉJART – LE CŒUR ET LE COURAGE ist einpackender, dringlicher und dichter Film. Hautnah dran an seinen Pro-

tagonisten, vor allem an Gil Roman,tastet er nach Befindlichkeiten undschildert eindrücklich den Zusammen-prall von innerem Ringen und von aus-sen kommenden Erwartungen. Doch«The Show Must Go On» heisst es inAguirres Film: Bald bangend, bald hof-fend geht das Béjart Ballet Lausannedie ersten Schritte in seine unbestimm-te Zukunft.

Regie: Aranxta Aguirre.Dokumentarfilm.Verleih: Xenix Filmdistribution.

béjart – le cœur et le courageBilal hat sich vor drei Jahren unsterblich verliebt. Doch vor sechs Mona-ten ist Mina mit ihrer Familie nach London gezogen. Wenig später istBilal aufgebrochen. Über 4000 Kilometer ist er Mina zu Fuss gefolgt: vonIrakisch-Kurdistan bis an die Grenze Frankreichs. Kurz nach der Abreisehaben die Türken Bilal eine Weile festgehalten, vor einigen Tagen dieFranzosen ihn aus dem Camion einesSchleppers gefischt. Nun aber befindetsich der jugendliche Protagonist vonWELCOME – überzeugend: NewcomerFirat Ayverdi – in Calais, und da dürfte erals Minderjähriger denn auch bleiben.Doch die Zeit drängt: Bald schon sollMina in London einen anderen heiraten.Bilal ist verzweifelt. Schwimmen, denkter. Wieso soll er, der zu Hause als Top-Fussballer gilt und am liebsten bei ManUeinsteigen würde, die letzten 34 Kilome-ter nicht schwimmend zurücklegen? Im

Hallenbad lernt Bilal den ehemaligen Schwimmchampion Simon –charismatisch: Vincent Lindon – kennen. Und Simon will, obwohl dasGesetz dies bei Strafe untersagt, Bilal helfen. Eine herzerwärmendeRomeo & Julia-Story, ein packendes Emigranten-Drama, aber auch dieGeschichte einer ungewöhnlichen Männerfreundschaft ist WELCOME.

Wohltuend unaufgeregt inszeniert sorg-te Philippe Liorets Film in Frankreichwegen seines unverdrossenen Umgangsmit einem politisch heiklen Thema fürFurore. Auf der diesjährigen Berlinaleaber wurde WELCOME aus just demgleichen Grund von der ÖkumenischenJury und vom Publikum ausgezeichnet.

Regie: Philippe Lioret.Mit: Firat Ayverdi, Vincent Lindon,Audrey Dana.Verleih: Agora Films.

welcome

humpday

© 2009 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.

Page 5: 519915 MovieNews 115 qxp7:MovieNews 97 ZSD · NordöstlichvonLondon,inEssex,wodieThemsedemMeerzufliesst und hastig erstellteSozialsiedlungen, Einfamilienhäuser,stillgelegte Fabriken,riesigeEinkaufszentren

Nordöstlich von London, in Essex, wo die Themse dem Meer zufliesstund hastig erstellte Sozialsiedlungen, Einfamilienhäuser, stillgelegteFabriken, riesige Einkaufszentren, überfüllte Schrottplätze und verwilder-te Parks unmittelbar nebeneinander stehen, spielt FISH TANK, der neueFilm der «Red Road»-Regisseurin Andrea Arnold. Es ist ein packendesComing-of-Age-Drama in der Nachfolgedes berührenden Sozialkinos von Regis-seuren wie Ken Loach und Mike Leigh.Im Zentrum steht die 15-jährige Mia.Hübsch, trotzig, wild ist sie, ein Girl, ver-loren in einer Gesellschaft, die sich umKids wie sie kaum kümmert. Von derSchule ausgeschlossen verbringt Miaihre Tage mit Nichtstun – und träumtdavon Tänzerin zu werden. Sie streitetsich mit den Nachbargirls, bandelt mitdem 19-jährigen Billy an und tanzt ihrerallein erziehenden Mutter so frech auf

der Nase herum wie der Sozialhelferin. Eines Tages bringt Mama ihrenneuen Lover nach Hause. Dieser sieht gut aus. Er arbeitet im Baumarkt,verwöhnt Mama, albert mit Mia und deren Schwester herum und lädtam Wochenende zur Fahrt ins Grüne. Schön ist das. Doch Mia trautdem plötzlichen Frieden nicht, und ihr Misstrauen ist, wie sich in

FISH TANK zeigt, durchaus berechtigt…Erschütternd ist FISH TANK. Er überzeugtdurch das gelassene Zusammenspiel dersehr authentisch wirkenden NewcomerinKatie Jarvis und des wie gewohnt kerlig-charismatisch auftretenden MichaelFassbender. Und er fährt mitten ins Herzdurch seine beiläufige Darstellung desan sich schlicht Ungeheuerlichen.

Regie: Andrea Arnold.Mit: Katie Jarvis, Michael Fassbender,Kierston Wareing.Verleih: Pathé Films.

Bettina Oberli hat einen neuen Film gedreht. Obwohl, wie Oberli meint,die Versuchung eine Fortsetzung von «Die Herbstzeitlosen» zu drehengross war, hat die Schweizer Erfolgsregisseurin einen anderen Weggewählt: TANNÖD ist die Adaption eines Bestsellers von Andrea MariaSchenkel, der 2007 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde.Zu Grunde liegt TANNÖD ein wahrer Fallaus dem Jahre 1922, Film und Romanindes spielen in den 1950er Jahren ineinem abgelegenen Kaff in Bayern. Hier-her kehrt die 26-jährige Kathrin zur Be-erdigung ihrer Mutter zurück. Jahre warsie nicht mehr zu Hause und abgesehendavon, dass Johann, ihr Gespiele ausKindheitstagen, ihr nun charmant denHof macht, scheint alles beim Alten. Dochin TANNÖD brodelt es. Und wie man zurKirche geht, die Tote zur letzten Ruhelegt und in der Kneipe zusammensitzt,

tannödbricht es hervor: Da hat sich vor zwei Jahren auf dem Tannödhof Unge-heuerliches ereignet. Man mag das Sündige nicht benennen. Doch jederweiss darum und den Mörder vermutet man noch heute im Dorf. Meis-terhaft schildert Oberli in TANNÖD das Funktionieren einer von Frömme-lei und bigotten Befürchtungen geprägten Dorfgemeinschaft. Grandios-

luzide spielt Julia Jentsch die unverhofftmit ihren eigenen Ängsten konfrontierteFrau, gross aber auch Monica Bleibtreuin einem ihrer letzten Auftritte in derRolle einer an der Welt irre Gewordenen.TANNÖD ist ein in stiller Wuchtigkeiterschütterndes Dorf- und Psychodrama– das unerwartet aktuell nach der Her-kunft des Bösen fragt.

Regie: Bettina Oberli.Mit: Julia Jentsch, Monica Bleibtreu,Volker Bruch.Verleih: Pathé Films.

SOUL KITCHEN titelt Fatih Akins sechster Film und vereinigt in sich dasBeste aus des Hamburgers bisherigem Schaffen: Die Lebenslust aus«Gegen die Wand», die Liebessehnsucht von «Im Juli», das zwischenden Kulturen, wie es «Solino» beschreibt. Eine Art «Heimatfilm», wieihn Akin bezeichnet, spielt SOUL KITCHEN zur Hauptsache im boomen-den Hamburger Vorort Wilhelmsburg,wo Zinos eher recht denn schlecht einLokal betreibt. Doch nun hat es ZinosFreundin Nadine nach Shanghai ver-schlagen und das war der Anfang vomEnde oder das Ende vom Anfang, werweiss das schon so genau? Zinos aufalle Fälle gerät nach Nadines Wegzug ineine Pechsträhne. Nicht genug erleideter einen Bandscheibenvorfall, vertreibtsein neu engagierter Koch auch nochdie letzten Stammgäste. Zwar beginntdas Szenenvolk das «Soul Kitchen»

soul kitchenallmählich zu entdecken, doch Zinos Liebeskummer heilt das nicht.SOUL KITCHEN ist, rasant erzählt, bald tragisch, bald lustig und manch-mal alles zugleich. Kein Musikfilm, doch ein Film voller Musik: Von Soulüber Rock, Reggae, Rembetiko, La Paloma bis zu Hans Albers gibt esdarin alles zu hören. Mit Adam Bousdoukos, Moritz Bleibtreu und Birol

Ünel hat Akin seine drei Lieblings-männer zum Spiel geladen, ihnen zurSeite stehen mit Pheline Roggan,Dorka Gryllus und der DebütantinAnna Bederke drei Frauen, die esmit jedem James-Bond-Girl aufnehmen.SOUL KITCHEN vor Leben, Wut und Lie-be strotzend ist Fatih Akin at his best!

Regie: Fatih Akin.Mit: Adam Bousdoukos, Birol Ünel,Moritz Bleibtreu.Verleih: Pathé Films.

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Sie sei für die Amerikaner meist zu wenig amerikanisch und für dieAraber zu wenig arabisch, erklärte Jungregisseurin Cherien Dabis anläss-lich der Uraufführung ihres ersten langen Spielfilms in Cannes. Ähn-lich wie der in Nebraska geborenen Tochter palästinensischer Einwan-derer ergeht es deren Protagonistin in AMERRIKA. Von ihrem Mannverlassen zieht Muna mit ihrem halb-wüchsigen Sohn Fadi von der besetztenWestbank ins Land der unbegrenztenMöglichkeiten. Den Empfang, denSchwester, Schwager und Nichten denZuwanderern bereiten, ist herzlich.Doch das Leben in der amerikanischenProvinz – und das liegt nicht nur amdusseligen Winterwetter von Illinois –ist alles andere als heiteres Honig-lecken. Nur schon die Jobsuche erweistsich für Bankfrau Muna als Spiessruten-lauf und endet vorläufig in einem Fast-

Food-Diner. Und Fadi, von seiner Cousine crashkursmässig zum US-Teenie zurechtgestylt, lernt – nicht ohne ein blaues Auge davonzu-tragen – sich durch das soziale Minenfeld einer US-Highschool zubewegen. Bald heiter, bald kurios, immer turbulent gestaltet sich inAMERRIKA so, was man gemeinhin als Integration bezeichnet. Mit der

überzeugenden Nisreen Faour in derRolle der Frohnatur Muna, dem lin-kisch-charmanten Newcomer MelkarMuallem als deren Sohn und «LemonTree»-Star Hiam Abbass in der Rolleihrer Schwester, ist AMERRIKA eineleise humorvolle, sehr humane und vorallem erstaunlich authentische Culture-Clash-Comedy.

Regie: Cherien Dabis.Mit: Nisreen Faour, Hiam Abbass,Melkar Muallem.Verleih: Look Now!

Zwanzig Jahre ist es, seit die Mauer fiel und Ost und West wiederzusammenfanden. Doch der Jubel im heute wiedervereinigtenDeutschland hält sich in Grenzen – und auch im deutschen Kino ist diePhase der fidelen Mauerfall- und Wende-Komödien vorbei. Eher ange-sagt sind ruhige Dramen, welche die Folgen der jüngeren Geschichtefür die deutsche Bevölkerung beleuch-ten, so wie Christian Schwochows still-packender NOVEMBERKIND. Erzähltwird in NOVEMBERKIND von Inga, einerlebenslustigen, mit beiden Füssen aufdem Boden stehenden jungen Frau ausMecklenburg-Vorpommern, die nachdem frühen «Tod» ihrer Mutter in den1980er Jahren bei ihren Grosseltern auf-wuchs. Im November 2007 nun aberspricht in der Bibliothek, in welcherInga arbeitet, ein Literatur-Professoraus Konstanz vor. Er lädt Inga zum

Essen ein und behauptet, deren Mutter vor einigen Jahren begegnet zusein. Inga ist irritiert. Entschlossen beginnt sie ihre Vergangenheit zuerforschen und muss alsbald entdecken, dass in Wirklichkeit vielesziemlich anders ist, als ihre Umgebung sie bisher glauben liess.NOVEMBERKIND ist sehr dramatisch und hoch komplex. Er erzählt in

warmen Winterbildern von tiefer Ver-unsicherung, verletzten Gefühlen, aberauch einer leise keimenden Liebe. Esist ein tief aufwühlendes deutschesFamiliendrama, ein Schauspielerfilm,den man – vor allem wegen Anna MariaMühes kraftvoller Darstellung Ingas –kaum je vergessen wird.

Regie: Christian Schwochow.Mit: Anna Maria Mühe, Ulrich Matthes.Verleih: Look Now!

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nr. 115 • 11 / 12 / 2009 zeitung für den studiofilm im arthouse alba • arthouse commercio •

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Studiofilm-VorpremierenA r t h o u s e L e P a r i s , Z ü r i c h - S t a d e l h o f e nS i e b e n Ta g e d i e W o c h e u m 1 2 . 1 5 U h rw w w . l u n c h k i n o . c h

whateverworksNACH AUSFLÜGEN NACH SPANIEN («VICKY CRISTINABARCELONA») UND ENGLAND («MATCH POINT»)IST WOODY ALLEN WIEDER ZURÜCK IN NEW YORK:MIT SEINER BESTEN KOMÖDIE SEIT JAHREN.

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Nordöstlich von London, in Essex, wo die Themse dem Meer zufliesstund hastig erstellte Sozialsiedlungen, Einfamilienhäuser, stillgelegteFabriken, riesige Einkaufszentren, überfüllte Schrottplätze und verwilder-te Parks unmittelbar nebeneinander stehen, spielt FISH TANK, der neueFilm der «Red Road»-Regisseurin Andrea Arnold. Es ist ein packendesComing-of-Age-Drama in der Nachfolgedes berührenden Sozialkinos von Regis-seuren wie Ken Loach und Mike Leigh.Im Zentrum steht die 15-jährige Mia.Hübsch, trotzig, wild ist sie, ein Girl, ver-loren in einer Gesellschaft, die sich umKids wie sie kaum kümmert. Von derSchule ausgeschlossen verbringt Miaihre Tage mit Nichtstun – und träumtdavon Tänzerin zu werden. Sie streitetsich mit den Nachbargirls, bandelt mitdem 19-jährigen Billy an und tanzt ihrerallein erziehenden Mutter so frech auf

der Nase herum wie der Sozialhelferin. Eines Tages bringt Mama ihrenneuen Lover nach Hause. Dieser sieht gut aus. Er arbeitet im Baumarkt,verwöhnt Mama, albert mit Mia und deren Schwester herum und lädtam Wochenende zur Fahrt ins Grüne. Schön ist das. Doch Mia trautdem plötzlichen Frieden nicht, und ihr Misstrauen ist, wie sich in

FISH TANK zeigt, durchaus berechtigt…Erschütternd ist FISH TANK. Er überzeugtdurch das gelassene Zusammenspiel dersehr authentisch wirkenden NewcomerinKatie Jarvis und des wie gewohnt kerlig-charismatisch auftretenden MichaelFassbender. Und er fährt mitten ins Herzdurch seine beiläufige Darstellung desan sich schlicht Ungeheuerlichen.

Regie: Andrea Arnold.Mit: Katie Jarvis, Michael Fassbender,Kierston Wareing.Verleih: Pathé Films.

Bettina Oberli hat einen neuen Film gedreht. Obwohl, wie Oberli meint,die Versuchung eine Fortsetzung von «Die Herbstzeitlosen» zu drehengross war, hat die Schweizer Erfolgsregisseurin einen anderen Weggewählt: TANNÖD ist die Adaption eines Bestsellers von Andrea MariaSchenkel, der 2007 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde.Zu Grunde liegt TANNÖD ein wahrer Fallaus dem Jahre 1922, Film und Romanindes spielen in den 1950er Jahren ineinem abgelegenen Kaff in Bayern. Hier-her kehrt die 26-jährige Kathrin zur Be-erdigung ihrer Mutter zurück. Jahre warsie nicht mehr zu Hause und abgesehendavon, dass Johann, ihr Gespiele ausKindheitstagen, ihr nun charmant denHof macht, scheint alles beim Alten. Dochin TANNÖD brodelt es. Und wie man zurKirche geht, die Tote zur letzten Ruhelegt und in der Kneipe zusammensitzt,

tannödbricht es hervor: Da hat sich vor zwei Jahren auf dem Tannödhof Unge-heuerliches ereignet. Man mag das Sündige nicht benennen. Doch jederweiss darum und den Mörder vermutet man noch heute im Dorf. Meis-terhaft schildert Oberli in TANNÖD das Funktionieren einer von Frömme-lei und bigotten Befürchtungen geprägten Dorfgemeinschaft. Grandios-

luzide spielt Julia Jentsch die unverhofftmit ihren eigenen Ängsten konfrontierteFrau, gross aber auch Monica Bleibtreuin einem ihrer letzten Auftritte in derRolle einer an der Welt irre Gewordenen.TANNÖD ist ein in stiller Wuchtigkeiterschütterndes Dorf- und Psychodrama– das unerwartet aktuell nach der Her-kunft des Bösen fragt.

Regie: Bettina Oberli.Mit: Julia Jentsch, Monica Bleibtreu,Volker Bruch.Verleih: Pathé Films.

SOUL KITCHEN titelt Fatih Akins sechster Film und vereinigt in sich dasBeste aus des Hamburgers bisherigem Schaffen: Die Lebenslust aus«Gegen die Wand», die Liebessehnsucht von «Im Juli», das zwischenden Kulturen, wie es «Solino» beschreibt. Eine Art «Heimatfilm», wieihn Akin bezeichnet, spielt SOUL KITCHEN zur Hauptsache im boomen-den Hamburger Vorort Wilhelmsburg,wo Zinos eher recht denn schlecht einLokal betreibt. Doch nun hat es ZinosFreundin Nadine nach Shanghai ver-schlagen und das war der Anfang vomEnde oder das Ende vom Anfang, werweiss das schon so genau? Zinos aufalle Fälle gerät nach Nadines Wegzug ineine Pechsträhne. Nicht genug erleideter einen Bandscheibenvorfall, vertreibtsein neu engagierter Koch auch nochdie letzten Stammgäste. Zwar beginntdas Szenenvolk das «Soul Kitchen»

soul kitchenallmählich zu entdecken, doch Zinos Liebeskummer heilt das nicht.SOUL KITCHEN ist, rasant erzählt, bald tragisch, bald lustig und manch-mal alles zugleich. Kein Musikfilm, doch ein Film voller Musik: Von Soulüber Rock, Reggae, Rembetiko, La Paloma bis zu Hans Albers gibt esdarin alles zu hören. Mit Adam Bousdoukos, Moritz Bleibtreu und Birol

Ünel hat Akin seine drei Lieblings-männer zum Spiel geladen, ihnen zurSeite stehen mit Pheline Roggan,Dorka Gryllus und der DebütantinAnna Bederke drei Frauen, die esmit jedem James-Bond-Girl aufnehmen.SOUL KITCHEN vor Leben, Wut und Lie-be strotzend ist Fatih Akin at his best!

Regie: Fatih Akin.Mit: Adam Bousdoukos, Birol Ünel,Moritz Bleibtreu.Verleih: Pathé Films.

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Sie sei für die Amerikaner meist zu wenig amerikanisch und für dieAraber zu wenig arabisch, erklärte Jungregisseurin Cherien Dabis anläss-lich der Uraufführung ihres ersten langen Spielfilms in Cannes. Ähn-lich wie der in Nebraska geborenen Tochter palästinensischer Einwan-derer ergeht es deren Protagonistin in AMERRIKA. Von ihrem Mannverlassen zieht Muna mit ihrem halb-wüchsigen Sohn Fadi von der besetztenWestbank ins Land der unbegrenztenMöglichkeiten. Den Empfang, denSchwester, Schwager und Nichten denZuwanderern bereiten, ist herzlich.Doch das Leben in der amerikanischenProvinz – und das liegt nicht nur amdusseligen Winterwetter von Illinois –ist alles andere als heiteres Honig-lecken. Nur schon die Jobsuche erweistsich für Bankfrau Muna als Spiessruten-lauf und endet vorläufig in einem Fast-

Food-Diner. Und Fadi, von seiner Cousine crashkursmässig zum US-Teenie zurechtgestylt, lernt – nicht ohne ein blaues Auge davonzu-tragen – sich durch das soziale Minenfeld einer US-Highschool zubewegen. Bald heiter, bald kurios, immer turbulent gestaltet sich inAMERRIKA so, was man gemeinhin als Integration bezeichnet. Mit der

überzeugenden Nisreen Faour in derRolle der Frohnatur Muna, dem lin-kisch-charmanten Newcomer MelkarMuallem als deren Sohn und «LemonTree»-Star Hiam Abbass in der Rolleihrer Schwester, ist AMERRIKA eineleise humorvolle, sehr humane und vorallem erstaunlich authentische Culture-Clash-Comedy.

Regie: Cherien Dabis.Mit: Nisreen Faour, Hiam Abbass,Melkar Muallem.Verleih: Look Now!

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warmen Winterbildern von tiefer Ver-unsicherung, verletzten Gefühlen, aberauch einer leise keimenden Liebe. Esist ein tief aufwühlendes deutschesFamiliendrama, ein Schauspielerfilm,den man – vor allem wegen Anna MariaMühes kraftvoller Darstellung Ingas –kaum je vergessen wird.

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Das Weihnachtsgeschenk für Freude ohne Verfalldatum.

nr. 115 • 11 / 12 / 2009 zeitung für den studiofilm im arthouse alba • arthouse commercio •

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Studiofilm-VorpremierenA r t h o u s e L e P a r i s , Z ü r i c h - S t a d e l h o f e nS i e b e n Ta g e d i e W o c h e u m 1 2 . 1 5 U h rw w w . l u n c h k i n o . c h

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