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Einladung zur Pressekonferenz
5. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2018 erscheint am 27. Juni
Pressekonferenz am 27.06.2018 um 10:30 Uhr
im Tagungszentrum im Haus der Bundespressekonferenz
Schiffbauerdamm 40/Ecke Reinhardtstraße 55, 10117 Berlin-Mitte, Raum IV
Drogenpolitisch ist Deutschland ein Entwicklungsland. Wir fordern, den Reformstau aufzulösen!
Der ADSB kommentiert die offizielle Drogenpolitik der Bundesregierung und gibt vor allem konkrete, evi-denz-basierte Anregungen zur Behebung des Reformstaus in vielen Bereichen von Drogenhilfe, Prävention und Recht, sowohl im Hinblick auf legale als auch auf illegale Drogen.
Die Herausgeber wollen mit dieser nunmehr fünften Ausgabe des Alternativen Drogen- und Suchtberichts mittels einer Vielzahl von relevanten Themen, Kritikpunkten und Lösungsvorschlägen aus Theorie und Pra-xis etwas zur Verbesserung des Status Quo beitragen.
Ein thematischer Schwerpunkt dieser Ausgabe liegt bei der mit Abstand meist konsumierten illegalisierten Droge in Deutschland wie auch weltweit – Cannabis.
Ein weiteres Thema ist der politische Umgang mit den legalen Drogen Alkohol und Tabak, geschätzte 74.000 alkoholbedingte und 110.000 tabakbedingte vorzeitige Sterbefälle pro Jahr sind offenbar nicht der Rede wert. Hier zeigt der Bericht Möglichkeiten der Harm Reduction anhand konkreter Modelle auf.
Ihre diesjährigen Gesprächspartner sind:
Hubert Wimber, ehemaliger Polizeipräsident von Münster und Vorsitzender von Law Enforcement Against Prohibition (LEAP) Deutschland: Wem gehört die Stadt – zur Verdrängung von Randgrup-pen.
Dietmar Jazbinsek, Fachjournalist für Präventionspolitik: E-Zigaretten und Tabakwerbeverbot. Eckpunkte eines Kompromissvorschlags.
Prof. Dr. Heino Stöver (Vorstandsvorsitzender von akzept e.V. und geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences): Vorschläge für eine verbesserte Alkohol-bezogene Drogenpolitik.
Dr. Bernd Werse (Vorstandsmitglied der European Society for Social Drug Research, Goethe-Uni-versität Frankfurt): Entkriminalisierung ist auch in Deutschland möglich (das NpSG* hat es vorge-macht) – Strafverfolgung ist nicht für Gesundheitsprävention zuständig.
Urs Köthner (Sozialarbeiter, Sozial-/Suchttherapeut, Geschäftsführer ‚Freiraum Hamburg e.V.‘): Unionsbürger_innen - Rechtlos im Hilfesystem.
Weitere Informationen und Anmeldung: akzept e.V. (www.akzept.org) Christine Kluge Haberkorn, Tel. (030) 827 06 946, [email protected] und Prof. Dr. Heino Stöver, Tel. 069-1533 2823, mobil 0162 1334533
Wir bitten um formlose Anmeldung an: [email protected]
Anlagen: Presseinformation, Inhaltsverzeichnis ADSB 2018
* Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz
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PRESSEMITTEILUNG
5. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2018 (kurz: ADSB; Hrsg. akzept e.V., Deutsche AIDS-Hilfe und JES**)
Deutschland ist drogenpolitisches Entwicklungsland: Rekordzahlen für Kriminalisierung, Schlusslicht bei der Prävention von Alkohol und Tabak
Zum fünften Mal legen akzept e.V., Deutsche Aids-Hilfe und JES den Alternativen Drogen- und Suchtbe-
richt vor Dieser ist nötig geworden, weil der Drogen- und Suchtbericht der Drogenbeauftragten der Bundes-
regierung keine Antworten auf drängende Fragen gibt, sondern aktuelle und drängende Themen zur Kon-
trolle legaler und illegaler Drogen ignoriert. Deshalb das Format eines Alternativberichtes, das Lösungsvor-
schläge macht, die bisher ausgeblendet wurden. Was läuft falsch bzw. was läuft überhaupt nicht?
Das Kernproblem der aktuellen Drogenpolitik: Nicht Forschungsergebnisse und systematisierte Er-
fahrungen sind die Grundlage drogenpolitischer Entscheidungen, sondern parteipolitische Überle-
gungen und ideologische Glaubenssätze.
Nicht Fachleute aus den Ministerien, die wiederum von Praxisvertreter_innen und Wissenschaftler_innen
beraten werden, sondern eine politische Besetzung des Amtes der/des Drogenbeauftragten soll Deutsch-
lands Drogenpolitik steuern.
Es gibt kein Gesamtkonzept für die Regulierung von legalen wie illegalen Drogen. Selektiv greift die
Drogenbeauftragte immer wieder Themen heraus, die sie medial vermarktet, statt eine umfassende Analyse
der Risiken bestimmter Drogen und der Wirkungen bestimmter Kontrollpolitiken vorzunehmen. Ein Beispiel:
die alljährliche Pressekonferenz mit dem BKA zu den Zahlen der Drogentoten. Kein Wort über das Drogen-
verbot als eigentliche Ursache vieler vermeidbarer Todesfälle und erst recht keines über die Sterblichkeit
durch legale Drogen – geschätzte 74.000 alkoholbedingte, 110.000 tabakbedingte vorzeitige Sterbefälle pro
Jahr werden beinahe tatenlos hingenommen.
Die Fehler der offiziellen Drogenpolitik lassen sich am Umgang mit Cannabis zu Genusszwecken verdeutli-
chen: während anderswo auf der Welt zunehmend von Strafen abgesehen wird, geht Deutschland einen
Schritt zurück: die Innenminister der Länder haben sich gerade auf die vergleichsweise niedrige Menge von
6 Gramm Cannabis geeinigt, bis zu der ein Strafverfahren eingestellt werden kann (nicht muss). Kurz zuvor
hat die deutsche Polizei ein Allzeithoch bei den sogenannten Rauschgiftdelikten vermeldet (>330.000 Fälle),
und niemand fragt, wer da eigentlich kriminalisiert wird.
Es sind zu ca. 80% Konsument_innen aus allen Schichten der Gesellschaft, und zu einem sehr viel gerin-
geren Grad Händler_innen oder Schmuggler_innen, d.h. die Polizei steckt ihre Energie hauptsächlich in die
Verfolgung von Menschen, die psychoaktive Substanzen zum Eigenbedarf bei sich tragen, und niemanden
– außer vielleicht sich selbst – schaden!
Es ist ein Skandal, dass die sinnlose Strafverfolgung von Drogenkonsumierenden – entgegen den
Beteuerungen auch konservativer Politiker_innen – immer weiter ausgebaut wird.
** Junkies, Ehemalige und Substituierte
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Besonders beim gesellschaftlichen Umgang mit legalen Drogen (v.a. Tabak und Alkohol) gibt es Verbesse-
rungsbedarf. Deutschland weist vergleichsweise hohe Konsumraten auf, hauptsächlich bedingt durch eine
laxe Kontrollpolitik: 340.000 Zigarettenautomaten, Erlaubnis von Außenwerbung, äußerst billige Alkoholika
zu jeder Tages- und Nachtzeit sind nur einige – aber europaweit gesehen außergewöhnliche – Beispiele
einer Politik, die der legalen Drogenindustrie, ihren Lobbyisten und Werbeagenturen das Feld über-
lässt, statt gesundheitspolitisch nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen
anderer Länder steuernd einzugreifen.
Mehr noch: es findet keine übergreifende Diskussion statt, es gibt keine runden Tische und keine politikbe-
ratenden Gremien, sondern wir erleben ein „Weiter-So“, ein „Immer-mehr-desselben“, das aber den Heraus-
forderungen unserer Zeit nicht mehr genügen kann.
Weitere 4 Jahre den Reformstau aussitzen zu wollen, nehmen wir nicht hin, sondern haben mit dem
vorliegenden Alternativen Drogen- und Suchtbericht konkrete Kritiken und Lösungsvorschläge namhafter
Expert_innen vorgelegt, die dringend erörtert werden müssen. Das betrifft sowohl die großen Fragen des
gesellschaftlichen und rechtlichen Umgangs mit psychoaktiven Substanzen als auch zahlreiche Einzelas-
pekte etwa konkrete Maßnahmen zur Prävention und Schadensminderung, die nicht ausreichend genutzt
werden.
Themen der 5. Ausgabe des ADSB sind unter anderem:
► Cannabis: - Cannabisregulierung und Jugendschutz; - Plädoyer für ein Cannabis-Substanzmonitoring in Deutschland; - Ein Jahr Cannabis als Medizin-Gesetz; - Cannabis-Legalisierung in Kanada: „Bill C-45“.
► E-Zigaretten und Tabakwerbeverbot: - Eckpunkte eines Kompromissvorschlags.
► Städtische Aspekte der Drogenpolitik: - Wem gehört die Stadt – zur Verdrängung von Randgruppen - Crack in Frankfurt am Main – Steine auf dem Frankfurter Weg Digitale Pressemappe: www.akzept.org (ab 27.06.16 Uhr) Der 5. Alternative Drogen-und Suchtbericht ist erhältlich über den Verlag pabst publishers http://www.pabst-publishers.com, den stationären und den online-Buchhandel unter den ISBN Nummern: 978-3-95853-409-4 (print) e-Book: 978-3-95853-410-0 (www.ciando.com) www.pabst-publishers.de – www.psychologie-aktuell.com
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5. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2018 – Inhaltsverzeichnis
Vorwort Heino Stöver, Bernd Werse & Gerrit Kamphausen
Wem gehört die Stadt? – Null Toleranz gegenüber der Drogenszene Hubert Wimber & Bernd Werse
Rechtlos im Hilfesystem - Auswirkungen der sozialrechtlichen Ausschlussregelungen für Unionsbür-ger_innen im Kontext von niedrigschwelliger Drogenhilfe Wibke Schumann, Jonny Schanz & Christian Richter
Qualifiziertes Drugchecking. Wiedereinführung eines dringend benötigten Instruments der Schadensmi-nimierung und Prävention Tibor Harrach & Rüdiger Schmolke
Peerpartizipation in Drogenintervention, -forschung und -politik Anke Stallwitz
Schwerpunkt Cannabis Das Wechselspiel der Cannabinoide: Plädoyer für ein Cannabis-Substanzmonitoring in Deutschland Jakob Manthey, Heino Stöver & Hans-Günter Meyer-Thompson
„Grass oder was“ – Über die merkwürdige Idee, dass die Polizei Drogenprävention betreiben sollte Bernd Werse
Ein Jahr Cannabis als Medizin-Gesetz – ein ambivalentes Zwischenfazit Maximilian Plenert
Cannabis-Legalisierung in Kanada: „Bill C-45“ – Chancen und Probleme Neil Boyd
Effekte und Nebeneffekte der Umsetzung der Regulierung von Marihuana in den USA: Stand Herbst 2016 Gundula Barsch
Die Zeit ist reif für kommunale Modellprojekte zur Cannabisabgabe Georg Wurth
Cannabisregulierung und Jugendschutz Michael Büge & Nina Pritszens
E-Zigaretten und Tabakwerbeverbot. Eckpunkte eines Kompromissvorschlags Dietmar Jazbinsek & Heino Stöver
E-Zigaretten und ihr Einfluss auf den Konsum konventioneller Zigaretten. Anmerkungen zu einer aktuellen Kohortenstudie mit Jugendlichen aus Deutschland. Dietmar Jazbinsek
Reduktion des Alkoholkonsums in Deutschland: Wirkungsvolle Maßnahmen zur Zielerreichung sind nicht in Sicht Jakob Manthey
Neue psychoaktive Substanzen (NPS): eigentlich nichts Besonderes Bernd Werse
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„Die Kokainschwemme“: Warum Polizeidaten keine Prävalenzdaten sind und Angebot sich nicht auto-matisch Nachfrage schafft Bernd Werse
Steine auf dem Frankfurter Weg - Crack im Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main Gerrit Kamphausen
Das Bundteilhabegesetz (BTHG) aus Sicht der Praxis: Veränderungen – Anforderungen - Risiken Anabela Dias de Oliveira
Arbeit, Beschäftigung und Qualifikation für Konsument_innen illegaler Drogen: Angebote und Finanzie-rung dringend gesucht Max Hopperdietzel
Vom Spritzentausch zur qualifizierten Vergabe von Konsumutensilien Dirk Schäffer & Astrid Leicht
Infektionsrisiken bekämpfen – Harm Reduction jederzeit ermöglichen – Spritzenautomaten realisieren. Daniel Deimel, Brigitte Bersch & Heino Stöver
Was heißt hier schwer erreichbar? Über die Notwendigkeit des Angebots von Beratung, Testung und Behandlung für Drogengebraucher_innen in niedrigschwelligen Einrichtungen Dirk Schäffer
Gute Behandlungsangebote in und bedarfsgerechte Überleitung nach der Haft – was kann, was muss gemacht werden? Heino Stöver
Gewalt- und Suchtprävention in Fußballstadien: Soziale Arbeit in Fanprojekten stärken Daniel Deimel, Marius Künzel, Philipp Lessel & Thorsten Köhler
Abwasseranalyse – Die große Zukunft in der Drogenforschung? Luise Klaus
Herausforderungen auf dem Weg zu evidenzbasierter und partizipativer Suchtprävention an Schulen Maximilian von Heyden & Henrik Jungaberle
Aufruf zu einer weltweiten Lesung für eine neue Drogenpolitik am 24. November 2018 Heino Stöver
Autorinnen und Autoren
5. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2018 Pressevorstellung am 27.06.2018
Vorschläge für eine verbesserte Alkohol-bezogene Drogenpolitik.
Der Alkoholkonsum stagniert in Deutschland seit einem Jahrzehnt auf sehr hohem
Niveau, obwohl die Reduktion des Alkoholkonsums als nationales Gesundheitsziel
formuliert wurde. Während effektive Instrumente zur Zielerreichung fehlen, werden
Forderungen nach wirksamen, an alkoholbedingten Schäden ausgerichteten
Maßnahmen abgewiesen. Der politische Stillstand in Deutschland wird besonders
sichtbar durch die Umsetzung erfolgreicher Strategien im europäischen Ausland.
Druck durch internationale Abkommen könnte diesen Stillstand beenden
Entgegen sinkendem Pro-Kopf Konsums in der Europäischen Union bleiben in
Deutschland sowohl Trinkmengen als auch alkoholbedingte Krankheiten und
Todesfälle auf international höchstem Niveau. Ein Blick in den Koalitionsvertrag der
großen Koalition zeigt auf, dass in der aktuellen Legislaturperiode ein
alkoholpolitisches Umdenken nicht zu erwarten ist (CDU et al. 2018).
Die Entwicklungen im europäischen Ausland geben Hoffnung, dass auch in
Deutschland effektive Maßnahmen zur Reduzierung des Alkoholkonsums eingeführt
werden können. Von hoher Bedeutung wird in Zukunft die Rolle der EU in der
Ausgestaltung und Umsetzung von Maßnahmen in der Alkoholpolitik sein. Das erst
kürzlich veröffentlichte Fundament für eine gemeinsame Strategie enthält leider keine
Vorschläge wirksamer Maßnahmen (European Commission 2018). Dabei wäre vor
allem eine Überarbeitung der Preispolitik wünschenswert, damit Mindestabgaben auf
alkoholische Getränke generell angehoben (Mindestabgabe auf Wein liegt derzeit bei
0%), sowie am Alkoholgehalt ausrichtet (z.B. MUP Modell) und inflationsbereinigt
werden.
Eine EU-weite Strategie sollte außerdem beachten, dass in grenznahen Regionen ein
reger Import von Alkohol stattfindet, wenn im Nachbarland Alkohol deutlich billiger ist.
In einzelnen Ländern kann dies einen beträchtlichen Anteil des Gesamtkonsums
ausmachen, wie zum Beispiel in Finnland (17%) und Schweden (13%) (eu2017.ee
2017). So wurden beispielsweise in Finnland nach dem Eintritt Estlands in die EU
zunächst die Alkoholabgaben gesenkt. Die niedrigeren Alkoholpreise in Finnland
führten zwar zur gewünschten Eindämmung des Alkoholimports durch nach Estland
5. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2018 Pressevorstellung am 27.06.2018
reisende Finn_innen, aber anderseits auch zu einem Anstieg des Gesamtkonsums
(OECD 2015). Erschwert wird eine EU-weite Lösung für dieses Problem dadurch, dass
der gemeinsame Markt zwar keine Grenzkontrollen kennt, jedoch regionale
Unterschiede im verfügbaren Einkommen bestehen. Eine gemeinsame Strategie muss
daher einen Kompromiss zwischen Preisharmonisierung und Erschwinglichkeit
widerspiegeln.
Eine weitere Hoffnung kann aus den Erfolgen in der Tabakpolitik geschöpft werden.
Als zentraler Einflussfaktor für eine erfolgreiche Regulierung gilt das „Framework
Convention on Tobacco Control“, in dessen Rahmen 180 Länder rechtlich bindende
Maßnahmen vereinbarten (Bertollini et al. 2016). Auch wenn Deutschland in der
Umsetzung der Maßnahmen stark zurückbleibt (Britton/Bogdanovica 2013) und einen
der letzten Plätze unter 34 europäischen Ländern belegt, wäre eine ähnlich
erfolgreiche Politik ohne internationalen Druck hierzulande nicht denkbar.
Ein äquivalentes Abkommen zur Regulierung von Alkohol würde den Alkoholkonsum
in Deutschland senken, so dass das vereinbarte Ziel zur Reduzierung des
Alkoholkonsums erreicht werden kann (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen 2018).
Zudem könnte sehr stark aus den Erfahrungen europäischer Länder gelernt werden,
z.B. Mindestpreise für Alkohol: Beispiel Schottland: Mit dem Mindestpreis von 50
Pence (57 Cent) pro zehn Milliliter purem Alkohol soll die Zahl der
Alkoholkonsument_innen reduziert und die Zahl der alkohol-bedingten frühzeitigen
Sterbefälle gesenkt werden.
Prof. Dr. Heino Stöver
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LEAP Deutschland e.V. Hubert Wimber
Polizeipräsident a.D. Gereonstraße 14 48145 Münster
Presseinformation anlässlich der Vorstellung des 5. Alternativen Drogen- und Suchtberichts am 27.06.2018 in Berlin
Wem gehört die Stadt? – Null Toleranz gegenüber der Drogenszene Der Umgang mit der Drogenszene im öffentlichen Raum hat in diversen urbanen Räumen in den letzten Jahren zunehmend repressivere Züge angenommen. Entgegen den Willensbekundungen von Politiker_innen und Sicherheitsverantwortlichen hat dabei auch das Ausmaß der Kriminalisierung von Drogenkonsumierenden zugenommen. Nach dem im Mai veröffentlichten Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität des Bundeskriminalamts sind im Jahr 2017 330.580 polizeiliche Ermittlungsverfahren auf der Grundlage des Betäubungsmittelstrafrechts durchgeführt worden. Während die Kriminalität insgesamt im Vergleich zum Vorjahr um fast 10 % zurückgegangen ist, sind die Drogendelikte im siebten Jahr in Folge angestiegen (gegenüber dem Vorjahr um 9,2 %) und haben den deutlich höchsten Wert an Fallzahlen seit der Erfassung in einer „gesamtdeutschen“ Polizeilichen Kriminalstatistik. Mit 166.236 konsumnahen Delikten waren in mehr als jedem zweiten Ermittlungsverfahren Cannabiskonsumenten als Tatverdächtige betroffen. Betäubungsmittelkriminalität ist eine sogenannte Kontrollkriminalität. Der weit überwiegende Teil der polizeilichen Erkenntnisse zu diesem Phänomen wird durch eigeninitiierte Kontrollmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden
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gewonnen. Ohne Kontrollen bleiben sie zumeist unentdeckt, da es, wie das Bundeskriminalamt selbst einräumt, keine Opfer gibt, die von sich aus Strafanzeigen erstatten oder ihre Beobachtungen der Polizei mitteilen. Der Anstieg der polizeilichen Ermittlungsverfahren bei Drogendelikten und den dazugehörigen Tatverdächtigen ist daher im Wesentlichen auf eine erhöhte Polizeipräsenz und verstärkte Kontrollintensität zurückzuführen. Aus der Auswertung von Fallstudien in mehreren deutschen Städten lassen sich zwei Erklärungsansätze für die Erhöhung des Kontrolldrucks der Polizei auf die Drogenszene finden:
- Es formieren sich Interessen, die den Ort des offenen Drogenhandels als städtischen Angstraum definieren und beklagen, dass die Polizei „rechtsfreie“ Räume zulässt. Das subjektive Sicherheitsgefühl sei beeinträchtigt, ein Argument das gegenwärtig immer dann besonders angeführt wird, wenn Migrant_innen in der Szene auftauchen.
- Innenstadtnahe Quartiere insbesondere in Großstädten werden durch
Umbau und Sanierung aufgewertet mit der Folge, dass die dort ansässige Wohnbevölkerung durch zahlungskräftigere Bevölkerungsschichten verdrängt wird. Die Existenz einer offenen Drogenszene wird dann als renditehemmend wahrgenommen und die Beschwerdemacht derjenigen, die in das Stadtviertel investieren, nimmt zu.
Diese Wirkungszusammenhänge erhöhen den Handlungsdruck auf die Polizei. Die Entwicklung in den letzten Jahren rund um den Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg zeigt jedoch, dass die Erhöhung der Polizeipräsenz und die Intensivierung von Polizeirazzien ohne spürbare Auswirkungen auf die Interaktion von Angebot und Nachfrage am Drogenmarkt bleibt. Es ist vielmehr an der Zeit, die Kriminalisierung von Drogenkonsumierenden durch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes zu beenden und die Strafverfolgungsbehörden von einer Vielzahl sinnloser Ermittlungsverfahren zu entlasten.
Beitrag zur Pressekonferenz am 27.06.2018 im Haus der Bundespressekonferenz
Vorstellung 5. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2018, Pabst-Verlag
Thema: E-Zigaretten und Tabakwerbeverbot. Eckpunkte eines Kompromissvorschlags
Dietmar Jazbinsek, Heino Stöver
Zusammenfassung: Im April 2016 hat das Bundeskabinett ein Verbot der Plakatwerbung und eine Ein-
schränkung der Kinowerbung für Tabakprodukte beschlossen. Diese Gesetzesinitiative ist in der letzten
Legislaturperiode an Vorbehalten innerhalb der Großen Koalition gescheitert und wurde bei den Koali-
tionsverhandlungen Anfang 2018 aus dem Regierungsprogramm gestrichen. Die Bundestagsdebatte vom
7. Juni 2018 hat gezeigt, dass es auf absehbare Zeit keine parlamentarische Mehrheit für ein Tabakwerbe-
verbot in der bislang vorliegenden Fassung geben wird.
Um die aktuelle Blockade zu überwinden, haben wir im 5. Alternativen Drogenbericht einen Kompro-
missvorschlag unterbreitet. Der Vorschlag läuft im Kern darauf hinaus, die Werbung für Tabakprodukte
strenger zu regeln, als es bisher vorgesehen ist, und im Gegenzug Werbung für E-Zigaretten in größerem
Umfang zu erlauben als ursprünglich geplant.
Niemand behauptet, das Dampfen von E-Zigaretten sei „gesund“ oder „vollkommen harmlos“. Zugleich
bestreitet kein ernstzunehmender Experte, dass E-Zigaretten für die Konsumenten weitaus weniger gefähr-
lich sind als Tabakprodukte. Über diesen Sachverhalt ist die deutsche Bevölkerung schlecht informiert:
Umfragen wie dem Epidemiologischen Suchtsurvey zufolge sind mehr als die Hälfte der Bundesbürger
davon überzeugt, dass E-Zigaretten genauso gefährlich oder sogar gefährlicher sind als herkömmliche Zi-
garetten.
Werbung kann einen Beitrag leisten, um dieses Versagen der gesundheitlichen Aufklärung wettzumachen.
Sie kann einen Anstoß dazu geben, dass von den rund 18 Millionen Rauchern in Deutschland mehr als
bisher auf das Dampfen umsteigen. Außerdem ist Werbung die Voraussetzung dafür, dass sich die Anbie-
ter von E-Zigaretten verstärkt darum bemühen, die Betriebssicherheit der Geräte und die Qualitätsstan-
dards der Liquids zu erhöhen. Denn Investitionen in Innovationen rentieren sich nur, wenn für innovative
Produkte auch geworben werden darf.
Unser Vorschlag, E-Zigaretten vom Werbeverbot auszunehmen, ist an die Vorbedingung geknüpft, dass
die Werbekampagnen ihrer Art nach nicht „besonders dazu geeignet sind, Jugendliche oder Heranwach-
sende zum Konsum zu veranlassen oder darin zu bestärken“ (TabakerzG Abschnitt 4 § 21). Deshalb soll
eine Meldestelle eingerichtet werden, der die Werbemotive vorzulegen sind, bevor sie veröffentlicht wer-
den dürfen.
Im Unterschied zu den bislang vorliegenden Gesetzentwürfen soll der Jugendschutz auch dadurch gestärkt
werden, dass das Sponsoring von jugendaffinen Großereignissen wie Musikfestivals durch Tabakkonzerne
verboten wird. Ein konsequentes Tabakwerbeverbot nimmt die von den Branchenführern bekundete Ab-
sicht ernst, in Zukunft verstärkt auf risikoreduzierte Produkte setzen zu wollen.
Angaben zu den Autoren:
Dietmar Jazbinsek, freier Journalist, Berlin. Kontakt: [email protected]; Tel. 0176 5111 4134
Prof. Heino Stöver, Frankfurt University of Applied Sciences, Institut für Suchtforschung.
Kontakt: [email protected]; Tel. 0162 133 4533
Rechtlos im Hilfesystem –
Auswirkungen der sozialrechtlichen Ausschlussregelungen für
EU-bürger*innen im Kontext von niedrigschwelliger Drogenhilfe
Nicht nur in Hamburg zeigt sich die katastrophale Situation von nicht versicherten und nicht
leistungsberechtigen Drogenabhängigen, welche in großer Anzahl EU-Ostbürger*innen sind. Hier
gibt es eine Verelendungsspirale und Diskriminierungen, wie wir sie lange nicht mehr gesehen
haben.
Gab es bis zur Gesetzesverschärfung im Dezember 2016 noch Spielräume in der Beantragung von
Sozialleistungen für diese Personengruppe, existieren diese nun nicht mehr. Lediglich eine Rückreise
ins Heimatland wird finanziert. Aufgrund der dortigen Lebensbedingungen und unmenschlichen
Drogengesetzgebung, nicht wirklich eine menschenwürdige Alternative.
In der alltäglichen Arbeit einer Hamburger Beratungsstelle mit integriertem Drogenkonsumraum,
lässt sich seit knapp 10 Jahren eine Zuwanderung von Menschen, vor allem aus EU -
Ostmitgliedsstaaten, Staaten der ehemaligen UdSSR sowie dem ehemaligen Jugoslawien,
feststellen. So sind im Jahr 2017 knapp 40% der Nutzenden des Abrigado der eben genannten
Personengruppe zu zurechnen. Mit der Zunahme dieser Hilfesuchenden und der verschärften
Gesetzgebung verändern sich strukturelle und adressatenbezogene Bedingungen und
Anforderungen in der niedrigschwelligen Drogenhilfe.
Die Lebensbedingungen dieser Personengruppe führen oftmals zu einem physischen und
psychischen schlechten Allgemeinzustand, gepaart mit Wohnungslosigkeit und keinem regulären
Einkommen. Durch die Gesetzesverschärfung oder aufenthaltsrechtliche Problematiken, sind sie
von existenzsichernden Sozialleistungen ausgeschlossen. Diese Menschen befinden sich ohne
erkennbare Perspektive in einem Kreislauf aus bitterer Armut, Drogenkonsum und einem sich
verschlechternden Gesundheitszustand.
In Beratungsgesprächen wird immer wieder deutlich: Menschen, die sich in einer solch prekären
Lebenslage wiederfinden, müssen oft ausbeuterische und unmenschliche Arbeitsbedingungen in
Kauf nehmen, so dass ihnen Arbeitnehmerrechte ebenfalls vorenthalten werden – eine doppelte
Entrechtung. Schlimmstenfalls werden Pässe eingezogen und vereinbarte Lohnzahlungen nur
teilweise bzw. nicht bezahlt.
Den Betroffenen bleibt mitunter nur Sexarbeit, Betteln oder Flaschensammeln sowie das Aufsuchen
von Essens- und Kleiderausgabestellen um überleben zu können.
Der Zugang zu dringend notwendiger medizinischer und pflegerischer Versorgung, zur Substitution
sowie zu stationären Entgiftungsbehandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen steht Menschen
ohne eigenem Erwerbseinkommen und sozialen Leistungsansprüchen aufgrund fehlender
Krankenversicherungen nicht zu. Eine Notfallbehandlung im Krankenhaus ist theoretisch
gewährleistet, benötigt in der Praxis häufig Begleitung durch Fachpersonal und ein starkes
insistieren auf die Einhaltung dieses Grundrechtes. Gerade im Hinblick auf intravenösen
Drogengebrauch ist es ein unhaltbarer Zustand, dass mögliche chronische Erkrankungen wie HIV
oder Hepatitis C unbehandelt bleiben. Hier wird eine teilweise vermeidbare gesundheitliche
Gefährdung Betroffener, Angehöriger sowie Sexualpartner*innen billigend in Kauf genommen.
Selbst leistungsberechtigte EU- Bürger*innen, berichten über große Probleme im Umgang mit
Behörden: Anträge auf Leistungen werden gar nicht erst angenommen oder rechtswidrig abgelehnt.
Hilfesuchende müssen folglich häufiger von Mitarbeitenden zu Ämtern und Behörden begleitet
werden, vermehrt werden Widersprüche gegen Bescheide eingelegt. Zunehmen sind Eilklagen vor
den Sozialgerichten einzureichen, um die Ansprüche der Betroffenen durchzusetzen.
Diese Menschen werden ursächlich aufgrund ihrer Armut kriminalisiert. Immer wieder werden Sie
z.B. aufgrund von wiederholtem Schwarzfahren und Diebstählen geringwertiger Sachen
(Lebensmittel, Hygieneartikel, etc.), inhaftiert, da aufgrund mangelnder Mittel verhängte
Geldstrafen nicht bedient werden können.
Die Neue Richtervereinigung stellte entsprechend fest: „Die Abschaffung von Sozialleistungen an
besonders schwache Mitmenschen untergräbt die deutsche Rechts- und Verfassungsordnung (…) Die
Regelung schafft eine Gruppe moderner Sklaven, die alle Arbeitsbedingungen und jedes Lohnniveau
akzeptieren müssen, um hier zu überleben. (…) Die Regelung legt Axt an das Fundament unserer
Verfassungs- und Gesellschaftsordnung. Nach dem einleuchtenden Verständnis des
Bundesverfassungsgerichts wurzeln existenzsichernde Leistungen unmittelbar in der
Menschenwürde. Bisher galt, dass jeder Mensch unabhängig von seiner Herkunft dasselbe Recht auf
ein Leben in Würde in sich trägt. Die Neuregelung ersetzt dieses tragende Prinzip durch
sozialrechtliche Apartheid.“ (www.neuerichter.de; 24.11.2016)
In Hamburg wird das Konzept des „sozialrechtlichen Aushungerns“, wie der Paritätische
Gesamtverband es nennt, auf die Spitze getrieben. So wird obdachlosen Osteuropäer*innen oftmals
selbst der im Winter dringend benötigte Erfrierungsschutz durch eine Aufnahme in das
Winternotprogramm verwehrt. „Insgesamt sind in den vergangenen zwölf Monaten knapp 800
Menschen zur Ausreise aufgefordert worden, im letzten Winternotprogramm wurde mehr als 100
Menschen der Zutritt verwehrt.“ (Paritätischer Gesamtverband 2017)
Dies ist bemerkenswert, wenn man sich die Ziele der europäischen Union vor Augen hält:
„Förderung (…) des Wohlergehens ihrer Bürgerinnen und Bürger, (…) und Eindämmung sozialer
Ungerechtigkeit und Diskriminierung (…) Alle EU-Mitgliedsländer teilen die Werte der EU: Sie
streben eine Gesellschaft an, in der Inklusion, Toleranz, Rechtstaatlichkeit, Solidarität, Teilhabe und
Nichtdiskriminierung selbstverständlich sind“
Für die Betroffenen bleibt in der Summe ein unfreiwilliges Verharren in einer perspektivlosen
Situation, die durch eine staatlich angestrebte Rückführung in Herkunftsländer nicht zu verbessern
zu sein scheint.
Die Auswirkung der momentanen Gesetzgebung betrifft neben den Opfern in zunehmendem
Ausmaß auch die Mitarbeitenden von Beratungsstellen und Hilfeeinrichtungen. Da sich die
geschilderten Problemlagen nicht von alleine lösen, verschärft sich insbesondere die Situation in
niedrigschwelligen und offenen Einrichtungen und verändert die bisherige sozialarbeiterische und
pflegerische Praxis sowie den Arbeitsalltag rasant. Es gibt erheblichen Beratungs- und
Unterstützungsbedarf und damit eine permanent steigende Arbeitsbelastung, in einem
Arbeitsbereich, der von jeher personell, räumlich und in der Regel auch mit extrem knappen
Sachmitteln ausgestattet ist. Die psychische Belastung, die aus den beschriebenen gesetzlichen
Bedingungen entsteht, ist sowohl für die zu beratenden als auch für die beratenden Menschen
gravierend. Die Menschen verelenden begleitet durch Fachpersonal, dem das benötigte
„Handwerkszeug“ nicht mehr zur Verfügung steht. Die eigentliche Aufgabe niedrigschwelliger,
lebensweltorientierter Sozialer Arbeit, Menschen auf dem Weg in ein gelingenderes Leben zu
begleiten und zu unterstützen, ist nicht mehr zu realisieren. Letztlich wird die niedrigeschwellige
Drogenarbeit zur Exklusions- und Elendsverwaltung degradiert und mit den betroffenen Personen
und ihren mannigfaltigen Problemen strukturell alleine gelassen.
Urs Köthner, Hamburg 22.06.2018
5. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2018 Pressevorstellung am 27.06.2018
Bernd Werse Statement zum 5. ADSB 2018 Entkriminalisierung ist auch in Deutschland möglich (das NpSG* hat es vorgemacht) – Strafverfolgung ist nicht für Gesundheitsprävention zuständig.
Als erstes möchte ich das wichtige Thema Kriminalisierung aufgreifen, das der Kollege Wimber
vorhin angesprochen hat: Abgesehen von den sogenannten harten Drogenkonsumenten, die aus
dem sichtbaren städtischen Raum „herauskontrolliert“ werden, betrifft die steigende Anzahl von
Polizeiaufgriffen ja vor allem ganz normale Bürgerinnen und Bürger, die meistens kein Problem
mit ihrem gelegentlichen oder auch regelmäßigen Drogenkonsum haben. Entgegen der
Beteuerungen von Politikern aus praktisch allen Lagern, dass man Konsumenten nicht
kriminalisieren will, passiert seit Jahren das Gegenteil, und das ist ein Skandal.
Nahezu alle relevanten Expertinnen und Experten sind sich einig: die Bestrafung von
Konsumierenden bringt keinerlei Nutzen, sondern stellt das größte vermeidbare Problem in der
Drogenpolitik dar. Selbst wenn dem Polizeizugriff keine Strafe folgt, weil das Verfahren
eingestellt wird, ist ein Eintrag da, und nicht selten gibt es dann noch eine Ersatzbestrafung in
Form von Führerscheinentzug und MPU nach dem absurden deutschen Führerscheinrecht.
Deswegen sind – wie wir in unseren Forschungen immer wieder mitbekommen –
Konsument_innen auch dort besonders kreativ, wo besonders repressiv mit illegalen Drogen
umgegangen wird. So werden z.B. in Bayern deutlich mehr neue psychoaktive Substanzen (NPS)
– vulgo „Legal Highs“ – konsumiert als anderswo in Deutschland. Zum Beispiel steigen dort
deutlich mehr Cannabiskonsumierende zeitweilig auf synthetische Cannabinoide um und
riskieren schwerwiegende, bis hin zu tödlichen Nebenwirkungen. Sofern sie dabei zu noch nicht
dem BtMG unterstellten Stoffen greifen, riskieren sie dabei im Unterschied zum „normalen“
Kiffer keine Strafe, weil das vor 1 ½ Jahren eingeführte NPSG diese für Konsument_innen explizit
ausgeschlossen hat.
Es gibt also bereits ein Modell für die Entkriminalisierung, mit einfachen Formulierungen in einem
Gesetzestext festgelegt. Man könnte diese Formulierungen einfach ins BtMG integrieren.
Stattdessen wird mittlerweile mit dreierlei Maß gemessen: es gibt nicht wenige neuere
(weitgehend unerforschte) psychoaktive Stoffe, deren Besitz und Verkauf noch komplett erlaubt
ist, dann die dem NPSG unterstellten, teils hochriskanten Stoffe, für die Konsumenten keine
Strafen zu erwarten haben, und drittens die gemäß BtMG komplett verbotenen altbekannten
Drogen (plus zahlreiche schon länger illegale NPS), die oftmals weniger riskant sind als die
weniger oder gar nicht verbotenen.
Warum wird seitens verantwortlicher Politiker nicht einmal drüber nachgedacht, eine solche
generelle Straflosigkeit bei geringen Mengen aller Drogen einzuführen? Stattdessen haben die
Justizminister der Länder gerade beschlossen, die schwammige Regelung zur möglichen
Einstellung von Cannabis-Verfahren auf einheitliche 6 Gramm festzulegen: ein Rückschritt statt
ein großer Wurf für eine progressive Politik.
Überhaupt wird immer noch viel zu viel von diesem gesundheitspolitischen Thema der
Strafverfolgung überlassen, die dafür weder zuständig noch qualifiziert ist: Abgesehen von
5. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2018 Pressevorstellung am 27.06.2018
Rekordzahlen bei der strafrechtlichen Erfassung von Drogen Konsumierenden erfährt in diesem
Land immer noch die krude Idee große Unterstützung, dass die Polizei Drogenprävention
betreiben sollte. Was das teilweise für seltsame Blüten treibt und wie in diesem Zusammenhang
versucht wird, aktiv in die drogenpolitische Debatte einzugreifen, das können Sie in einem Artikel
des ADSB nachlesen. Dabei sind viele Polizeibedienstete gedanklich schon wesentlich weiter als
viele Vertreter der Führungsebene oder auch die verantwortlichen Politiker: die Verfolgung von
Konsumentinnen und Konsumenten ergibt einfach keinen Sinn! Die so verschwendeten
Ressourcen wären anderswo weitaus wirksamer eingesetzt. Andere Länder haben es erfolgreich
vorgemacht.