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1. Der erste Blick Das war die Tageszeit, zu der ich mir wünschte, ich wäre in der Lage zu schlafen. High School. Oder wäre Fegefeuer das richtige Wort? Wenn es irgendeinen Weg gäbe für meine Sünden zu büßen, dann müsste mir diese Zeit angerechnet werden. Diese Eintönigkeit war etwas an das ich mich nie gewöhnen würde; jeder Tag wirkte unglaublich monotoner als der letzte. Ich denke, das war meine Art zu schlafen – wenn Schlaf als der Status zwischen aktiven Handlungen definiert wird. Ich starrte auf die Risse die durch das Mauerwerk in der hinteren Ecke der Cafeteria liefen, und versuchte ein Muster zu erkennen, das nicht da war. Es war eine Möglichkeit die Stimmen auszublenden, die wie ein rauschender Fluss durch meinen Kopf strömten. Einige hundert dieser Stimmen ignorierte ich aus Langeweile. Wenn es um die menschlichen Gedanken geht, hatte ich alles schon gehört. Heute drehten sich alle Gedanken um das triviale Drama, dass eine Neue auf die Schule gekommen war. Es brauchte nur so wenig um alle in Aufruhr zu versetzen. Ich hatte das neue Gesicht zum wiederholten Male aus allen Blickwinkeln in ihren Gedanken gesehen. Nur ein ganz gewöhnliches menschliches Mädchen. Die Aufregung um ihre Ankunft war ermüdend berechenbar – wie das Aufblitzen eines glitzernden Gegenstandes vor einem Kind. Die Hälfte der Jungs sah sich bereits mit ihr in einer Beziehung, nur weil sie etwas Neues war. Ich versuchte noch stärker sie auszublenden. Nur vier Stimmen schaltete ich aus Höflichkeit aus nicht aus Abscheu: Meine Familie, meine zwei Brüder und zwei Schwestern, die so sehr daran gewöhnt waren, keine Privatsphäre in meiner Gegenwart zu haben, dass sie kaum darüber nachdachten. Ich gab ihnen so viel Privatsphäre wie ich konnte. Ich versuchte nicht zuzuhören, so weit es ging. So sehr ich es auch versuchte… ich hörte sie dennoch. Rosalie dachte, wie immer, über sich selbst nach. Sie erblickte ihr Profil in der Reflektion der Brille eines Schülers, und grübelte über ihre eigene Perfektion.

1. Der Erste Blick

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1. Der erste Blick

Das war die Tageszeit, zu der ich mir wünschte, ich wäre in der Lage zu schlafen.High School.Oder wäre Fegefeuer das richtige Wort? Wenn es irgendeinen Weg gäbe für meine Sünden

zu büßen, dann müsste mir diese Zeit angerechnet werden. Diese Eintönigkeit war etwas an das ich mich nie gewöhnen würde; jeder Tag wirkte unglaublich monotoner als der letzte.

Ich denke, das war meine Art zu schlafen – wenn Schlaf als der Status zwischen aktiven Handlungen definiert wird.

Ich starrte auf die Risse die durch das Mauerwerk in der hinteren Ecke der Cafeteria liefen, und versuchte ein Muster zu erkennen, das nicht da war. Es war eine Möglichkeit die Stimmen auszublenden, die wie ein rauschender Fluss durch meinen Kopf strömten.

Einige hundert dieser Stimmen ignorierte ich aus Langeweile.Wenn es um die menschlichen Gedanken geht, hatte ich alles schon gehört. Heute drehten

sich alle Gedanken um das triviale Drama, dass eine Neue auf die Schule gekommen war. Es brauchte nur so wenig um alle in Aufruhr zu versetzen. Ich hatte das neue Gesicht zum wiederholten Male aus allen Blickwinkeln in ihren Gedanken gesehen. Nur ein ganz gewöhnliches menschliches Mädchen. Die Aufregung um ihre Ankunft war ermüdend berechenbar – wie das Aufblitzen eines glitzernden Gegenstandes vor einem Kind. Die Hälfte der Jungs sah sich bereits mit ihr in einer Beziehung, nur weil sie etwas Neues war. Ich versuchte noch stärker sie auszublenden.

Nur vier Stimmen schaltete ich aus Höflichkeit aus nicht aus Abscheu: Meine Familie, meine zwei Brüder und zwei Schwestern, die so sehr daran gewöhnt waren, keine Privatsphäre in meiner Gegenwart zu haben, dass sie kaum darüber nachdachten. Ich gab ihnen so viel Privatsphäre wie ich konnte. Ich versuchte nicht zuzuhören, so weit es ging.

So sehr ich es auch versuchte… ich hörte sie dennoch.Rosalie dachte, wie immer, über sich selbst nach. Sie erblickte ihr Profil in der Reflektion der

Brille eines Schülers, und grübelte über ihre eigene Perfektion. Rosalie's Gedanken waren ein Oberflächlicher Tümpel mit wenigen Überraschungen.

Emmet war wütend darüber, dass er letzte Nacht ein Wrestling Match gegen Jasper verloren hatte. Es würde seine gesamte begrenzte Geduld erfordern den Schultag hinter sich zu bringen, bis er seine Revanche fordern konnte. Es kam mir nicht aufdringlich vor wenn ich Emmett's Gedanken zuhörte, da er nie über etwas nachdachte, dass er nicht auch laut aussprach oder in die Tat umsetzte. Vielleicht fühlte ich mich nur schuldig, wenn ich die Gedanken der anderen las, weil ich wusste, dass sie über Dinge nachdachten, von denen sie nicht wollten, dass ich sie wusste. Wenn Rosalie’s Gedanken ein oberflächlicher Tümpel waren, dann waren Emmett’s ein klarer See ohne Schatten.

Und Jasper… litt. Ich unterdrückte ein Seufzen.Edward. Alice rief in Gedanken meinen Namen und hatte sofort meine ungeteilte

Aufmerksamkeit.Es war fast das gleiche, als würde jemand meinen Namen laut rufen. Ich war erleichtert, dass

mein Name in letzter Zeit aus der Mode gekommen war – es war lästig; jedesmal wenn jemand an irgendeinen Edward dachte, drehte ich automatisch meinen Kopf in dessen Richtung…

Diesmal dreht sich mein Kopf nicht. Alice und ich waren gut in diesen privaten Unterhaltungen. Es war selten, dass irgendjemand etwas davon mitbekam. Ich behielt meine Augen auf den Linien im Putz.

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Wie macht er sich? Fragte sie mich.Ich runzelte die Stirn und verzog ganz leicht meinen Mund. Nichts was den anderen auffallen

würde. Ich könnte genauso gut aus Langeweile die Stirn runzeln.Alice’s Stimmung war nun alarmiert und ich sah in ihren Gedanken, dass sie sich mit ihren

Zukunftsvisionen auf Jasper konzentrierte. Besteht Gefahr? Sie suchte weiter in der unmittelbaren Zukunft, blätterte durch monotone Visionen auf der Suche nach dem Grund für mein Stirnrunzeln.

Langsam bewegte ich meinen Kopf nach links, als würde ich zu den Ziegeln an der Wand blicken, seufzte, und dann nach rechts, zurück zu den Rissen an der Decke. Nur Alice wusste, dass ich meinen Kopf schüttelte.

Sie entspannte sich. Sag mir bescheid, wenn es schlimmer wird.Ich bewegte nur meine Augen, nach oben an die Decke und wieder nach unten.Danke, dass du das für mich machst.Ich war froh, dass ich ihr nicht laut antworten konnte. Was sollte ich sagen? `Ist mir ein

Vergnügen`? Das traf es kaum. Es war keine Freude, Jasper bei seinem inneren Kampf zuzuhören. War es wirklich nötig so herumzuexperimentieren? Wäre es nicht der sicherere Weg, einfach zu akzeptieren, dass er nie in der Lage sein würde, seinen Durst so zu zügeln wie der Rest von uns, statt seine Grenzen auszutesten? Warum mit dem Unheil flirten?

Unser letzter Jagdausflug war jetzt zwei Wochen her. Das war keine besonders schwere Zeitspanne für den Rest von uns. Zeitweise ein bisschen unbequem – wenn ein Mensch zu nah vorbeilief, wenn der Wind aus der falschen Richtung wehte. Aber Menschen liefen selten zu nah vorbei. Ihre Instinkte sagten ihnen, das was ihr Bewusstsein niemals verstehen würde: wir waren gefährlich.

Jasper war zurzeit sehr gefährlich.In diesem Moment hielt ein junges Mädchen am Ende des Tisches, der unserem am nächsten

stand um mit einem Freund zu reden. Sie warf ihre kurzen strohblonden Haare herum und fuhr mit den Fingern hindurch. Die Heizlüfter wehten ihren Duft in unsere Richtung. Ich war daran gewöhnt, welche Gefühle so ein Duft in mir auslöste – der trockene Schmerz in meiner Kehle, das hole verlangen meines Magens, das automatische Anspannen meiner Muskeln, der übermäßige Giftfluss in meinem Mund…

Das war alles ziemlich normal, für gewöhnlich leicht zu ignorieren. Jetzt war es schwerer, die Gefühle waren stärker, verdoppelt, weil ich Jaspers Reaktionen überwachte. Zwillingsdurst, vielmehr als nur meiner.

Jasper lies seinen Vorstellungen freien Lauf. Er stellte es sich vor – stellte sich vor, wie er sich von seinem Platz neben Alice erhob und sich neben das Mädchen stellte. Wie er sich zu ihr hinab beugte als würde er ihr etwas ins Ohr flüstern wollen, und stattdessen mit seinen Lippen den Bogen ihrer Kehle berührte. Stellte sich vor, wie sich der heiße Fluss ihres Pulses unter der feinen Haut auf seinen Lippen anfühlte…

Ich trat gegen seinen Stuhl.Unsere Blicke trafen sich für eine Minute, dann senkte er seinen Blick. Ich konnte

Beschämung und den rebellierenden Kampf in seinem Kopf hören.„Sorry,“ flüsterte Jasper.Ich zuckte mit den Schultern.„Du hattest nicht vor irgendetwas zu tun,“ murmelte Alice um ihn zu beruhigen. „Das konnte

ich sehen.“

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Ich unterdrückte einen Gesichtsausdruck der ihre Lüge verraten hätte. Wir mussten zusammenhalten, Alice und ich. Es war nicht leicht, Stimmen hören und in die Zukunft sehen zu können. Die Freaks unter den Freaks. Wir schützten unsere Geheimnisse gegenseitig.

„Es hilft ein bisschen wenn du sie als Personen betrachtest,“ empfahl Alice, ihre hohe musikalische Stimme war zu schnell für menschliche Ohren, selbst wenn jemand nah genug gewesen wäre um zuzuhören. „Ihr Name ist Whitney. Sie hat eine kleine Schwester die sie abgöttisch liebt. Ihre Mutter hatte Esme zu dieser Gartenparty eingeladen, erinnerst du dich?“

„Ich weiß, wer sie ist,“ sagte Jasper knapp. Er dreht sich weg und starrte aus einem der kleinen Fenster die direkt unter dem Dachvorsprung des langen Raumes angebracht waren. Sein Tonfall beendete die Unterhaltung.

Er würde heute Nacht jagen müssen. Es war lächerlich solche Risiken einzugehen, seine Stärke zu testen um seine Ausdauer zu verbessern. Jasper sollte seine Grenzen akzeptieren und sie nicht überschreiten. Seine früheren Gewohnheiten waren nicht besonders dienlich für den Lebensstil den wir gewählt hatten; er sollte sich selbst nicht zu sehr unter Druck setzen.

Alice seufzte leise, stand auf, nahm ihr Tablett – ihre Requisite – mit und ließ ihn allein. Sie wusste wann er Genug von ihren Aufmunterungsversuchen hatte. Obwohl Rosalie und Emmett sehr schamlos mit ihrer Beziehung umgingen, waren es Alice und Jasper die die Gefühle des anderen genauso gut kannten wie ihre eigenen. Als könnten sie auch Gedanken lesen – nur die des anderen.

Edward Cullen.Reflexartige Reaktion. Ich drehte meinen Kopf als hätte jemand meinen Namen gerufen, nur

dass ihn niemand gerufen hatte, sondern gedacht.Meine Augen sahen für den Bruchteil einer Sekunde in ein paar Schokoladenbraune

Menschenaugen in einem blassen herzförmigen Gesicht. Ich kannte das Gesicht, obwohl ich es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht selbst gesehen hatte. Es war heute führend in allen menschlichen Köpfen. Die neue Schülerin, Isabella Swan. Tochter des örtlichen Polizeichefs, die aufgrund einer neuen Sorgerechtssituation hierhergezogen war. Bella. Sie korrigierte jeden, der ihren vollen Namen benutzte…

Ich wandte mich gelangweilt ab. Es dauerte eine Sekunde bis ich merkte, dass es nicht sie war, die meinen Namen gedacht hatte.

Natürlich verknallt sie sich sofort in die Cullens, hörte ich den ersten Gedanken weiter.Jetzt erkannte ich die `Stimme`. Jessica Stanley – es war schon eine Weile her, seit sie mich

mit ihrem einheimischen Geschwätz genervt hatte. Was für eine Erleichterung es war, als sie über ihre fehlplatzierte Verliebtheit hinweggekommen war. Es war fast unmöglich ihren lächerlichen Tagträumen zu entfliehen. Zu der Zeit wünschte ich mir, dass ich ihr genau erklären könnte, was passieren würde, wenn meine Lippen, und die Zähne dahinter, auch nur in ihre Nähe gekommen wären. Das hätte diese lästigen Fantasien verstummen lassen. Der Gedanke an ihre Reaktion brachte mich fast zum lächeln.

Das geschieht ihr ganz recht, dachte Jessica weiter. Sie ist nicht mal wirklich hübsch. Ich versteh nicht, warum Eric sie so anstarrt… oder Mike.

Sie winselte in Gedanken bei dem letzten Namen. Ihre neue Flamme, der allgemein beliebte Mike Newton, interessierte sich kein bisschen für sie. Aber offenbar interessierte er sich für das neue Mädchen. Erneut, das Kind mit dem glitzernden Gegenstand. Das verursachte einen bitteren Beigeschmack in Jessicas Gedanken, obwohl sie äußerlich sehr freundlich zu der Neuen war, als sie ihr das übliche Wissen über unsere Familie mitteilte. Die neue Schülerin musste nach uns gefragt haben.

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Heute schauen auch alle zu mir, dache Jessica selbstgefällig. Was für ein Glück, dass Bella zwei Kurse mit mir zusammen hat.. Ich wetter Mike wird mich fragen, was sie –

Ich versuchte das alberne Geschwätz auszublenden bevor mich dessen Belanglosigkeit und Trivialität verrückt machte.

„Jessica Stanley teilt dem Swan-Mädchen die ganze schmutzige Wäsche über den Cullen-Clan mit,“ flüsterte ich Emmett als Ablenkung zu.

Er kicherte verhalten. Ich hoffe, sie gibt ihr bestes, dachte er.„Eigentlich sehr einfallslos. Nur der kleinste Hinweis eines Skandals. Kein Quäntchen Horror.

Ich bin ein bisschen enttäuscht.“Und das neue Mädchen? Ist sie von dem Klatsch und Tratsch auch enttäuscht?Ich versuchte zu hören, was das neue Mädchen, Bella, von Jessicas Story hielt. Was sah sie,

wenn sie sich die seltsame, kreidebleiche Familie anschaute, die allgemein gemieden wurde?Es war so etwas wie meine Pflicht ihre Reaktion zu kennen. Ich handelte als eine Art

Aussichtsposten, falls jemand einen unerwünschten Eindruck von meiner Familie bekommen könnte. Um uns zu schützen. Wenn jemand misstrauisch würde, könnte ich meine Familie rechtzeitig warnen und wir konnten uns zurückziehen. Es passierte gelegentlich – manche Menschen mit ausgeprägter Fantasie sahen in uns Figuren aus einem Buch oder einem Film. Normalerweise lagen sie falsch, aber es war besser umzuziehen, als einen genaueren Blick zu riskieren. Ganz ganz selten lag vielleicht mal jemand richtig. Wir gaben ihnen keine Chance ihre Theorie zu beweisen. Wir verschwanden einfach und waren nicht mehr als eine gruselige Erinnerung…

Ich hörte nichts, obwohl ich sehr nah neben Jessicas innerem Monolog lauschte. Es war als würde niemand neben ihr sitzen. Wie eigenartig, hatte sich das Mädchen woanders hingesetzt? Das wäre merkwürdig, denn Jessica redete immer noch mit ihr. Irritiert schaute ich auf um nachzusehen. Ich musste prüfen, was mein „besonderes Gehör“ mir mitteilte – das war etwas was ich sonst nie tun musste.

Wieder blieb mein Blick an diesen großen braunen Augen hängen. Sie saß genau da wo sie vorher auch gesessen hatte und sah zu uns herüber, ganz natürlich, dachte ich, da Jessica sie immer noch mit dem üblichen Klatsch über die Cullen versorgte.

Über uns nachzudenken wäre auch ganz natürlich.Aber ich konnte nicht mal ein flüstern hören.Ein einladendes warmes Rot befleckte ihre Wangen, als sie den Blick senkte, weg von dem

peinlichen Fauxpas dabei erwischt zu werden, einen Fremden anzustarren. Es war gut, dass Jasper immer noch aus dem Fenster starrte. Ich wollte mir nicht vorstellen, was dieser einfache Zusammenfluss von Blut mit seiner Kontrolle angerichtet hätte.

Die Gefühle standen so klar und deutlich in ihrem Gesicht, als wären sie in Großbuchstaben auf ihre Stirn geschrieben: Überraschung, als sie unwissentlich die subtilen Zeichen des Unterschieds zwischen ihrer Art und unserer aufsaugte, Neugierde, als sie Jessicas Geschichten lauschte, und noch etwas anderes… Faszination? Es wäre nicht das erste Mal. Wir waren schön für sie, unsere natürliche Beute. Dann, letztlich, Scham als ich sie erwischte, wie sie mich anstarrte.

Und dennoch, obwohl ihre Gedanken so deutlich in ihren seltsamen Augen standen – Seltsam, wegen ihrer Tiefe; braune Augen wirkten oft Flach in ihrer Dunkelheit – Ich konnte nichts hören außer Stille von dem Platz auf dem sie saß. Gar nichts.

Ich fühlte mich einen Moment lang unwohl.So etwas war mir noch nie passiert. Stimmte etwas nicht mit mir? Ich fühlte mich wie immer.

Besorgt, hörte ich konzentrierter zu.Alle stimmen die ich blockiert hatte, schrien plötzlich in meinem Kopf.

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…Ich frage mich was für Musik sie hört…vielleicht könnte ich dieses neue Album erwähnen… dachte Mike, zwei Tische weiter – fixiert auf Bella Swan.

Wie er sie anstarrt. Ist es nicht genug, dass die Hälfte der Mädchen an dieser Schule für ihn Schlange steht… Eric Yorkie hatte hitzige Gedanken, die sich auch um dieses Mädchen drehten.

…ekelhaft. Man könnte meinen sie wäre berühmt oder so etwas… Sogar Edward Cullen starrt sie an… Lauren Mallory war so eifersüchtig, dass ihr Gesicht jadegrün anlaufen müsste. Und Jessica, stellt ihre neue beste Freundin zur Schau. Was für ein Witz… Immer mehr Gift versprühte sie in ihren Gedanken.

…Ich wetter, jeder hat sie das schon gefragt. Aber ich würde gern mit ihr reden. Ich sollte mir eine originellere Frage überlegen… grübelte Ashley Dowling.

…Vielleicht ist sie bei mir in Spanisch… hoffte June Richardson.…Haufenweise zu tun heute Abend! Mathe, und der Englisch Test. Ich hoffe meine Mutter…

Angela Weber, ein ruhiges Mädchen, dessen Gedanken ungewöhnlich freundlich waren, war die einzige an diesem Tisch die nicht von dieser Bella besessen war.

Ich konnte sie alle hören, jede unwichtige Kleinigkeit die ihre Gedanken passierte. Aber absolut nichts von der neuen Schülerin mit den trügerisch offenen Augen. Und natürlich konnte ich hören, was sie sagte, wenn sie mit Jessica sprach. Ich brauchte keinen Gedanken lesen zu können um ihre ruhige klare Stimme auf der anderen Seite des Raumes hören zu können.

„Wer ist der Junge mit den Kupferfarbenen Haaren?“ Hörte ich sie fragen, während sie mir aus dem Augenwinkel einen verstohlenen Blick zuwarf, nur um schnell wieder wegzuschauen, als sie sah, dass ich sie immer noch anstarrte.

Wenn ich Zeit gehabt hätte zu hoffen, dass der Klang ihrer Stimme mir helfen würde den Klang ihrer Gedanken herauszupicken, irgendwo versteckt wo ich sie nicht erreichen konnte, wäre ich enttäuscht gewesen. Normalerweise hörten die Menschen ihre Gedanken in einem ähnlichen Klang wie dem ihrer Stimme. Aber diese ruhige schüchterne Stimme war mir unbekannt, keine von den hunderten von Stimmen die durch den Raum flogen, dessen war ich mir sicher. Absolut neu.

Na dann viel Glück, Idiot! Dachte Jessica bevor sie auf die Frage antwortete. „Das ist Edward. Er sieht toll aus, klar, aber verschwende nicht deine Zeit. Er verabredet sich nicht. Offensichtlich sind ihm die Mädchen hier nicht hübsch genug.“ Sie rümpfte ihre Nase.

Ich dreht meinen Kopf weg um mein lächeln zu verbergen. Jessica und ihre Klassenkameradinnen hatten keine Ahnung, was für sein Glück sie hatten, dass mir keine von ihnen gefiel.

Neben dem flüchtigen Humor, fühlte ich einen Seltsamen Impuls, einen den ich nicht richtig verstand. Es hatte etwas mit dem bösartigen Unterton in Jessicas Gedanken zu tun, von dem das Mädchen keine Ahnung hatte… ich verspürte das seltsame Verlangen, dazwischen zu gehen um diese Bella Swan vor den bösen Gedanken in Jessicas Kopf zu schützen. Was für ein seltsames Gefühl. Während ich versuchte den Grund für diesen Impuls aufzuspüren, inspizierte ich das neue Mädchen noch einmal.

Vielleicht war es nur ein lange vergrabener Beschützerinstinkt – Der Starke für den Schwächeren. Das Mädchen wirkte zerbrechlicher als ihre neuen Klassenkameradinnen. Ihre Haut war so durchscheinend, es war schwer zu glauben, dass sie ihr irgendeine Art von Schutz vor der Welt da draußen bieten konnte. Ich konnte das rhythmische pulsieren des Blutes durch ihre Venen unter der klaren blassen Membran sehen… Aber darauf sollte ich mich besser nicht konzentrieren. Ich war gut in dem Leben, das ich gewählt hatte, aber ich war genauso durstig wie Jasper und ich sollte mich besser nicht in Versuchung führen.

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Da war eine leichte Falte zwischen ihren Augenbrauen, derer sie sich scheinbar nicht bewusst war.

Es war unglaublich frustrierend! Ich konnte deutlich erkennen, dass es eine Belastung für sie war dort zu sitzen, sich mit fremden zu unterhalten, im Mittelpunkt zu stehen. Ich konnte ihre Schüchternheit spüren, daran wie sie ihre zerbrechlich wirkenden Schultern hielt, leicht gekrümmt, als würde sie jeden Moment eine Abfuhr erwarten. Und doch konnte ich nur spüren, nur sehen, konnte mir nur vorstellen. Da kam nichts als Stille von diesem gewöhnlichen Menschenmädchen. Ich konnte nichts hören. Warum?

„Sollen wir?“ murmelte Rosalie und unterbrach meine Konzentration.Mit einer Spur von Erleichterung wendete ich meinen Blick von dem Mädchen ab. Ich wollte

nicht länger daran scheitern – es irritierte mich. Und ich wollte kein Interesse an den Gedanken dieses Mädchens entwickeln nur weil sei vor mir verborgen waren. Kein Zweifel, wenn ich ihre Gedanken entschlüsseln konnte – und ich würde einen Weg finden – wären sie genauso belanglos und trivial wie alle anderen menschlichen Gedanken. Sie wären den Aufwand nicht wert, den ich aufbringen müsste.

„Also, hat die Neue jetzt Angst vor uns?“ fragte Emmett, der immer noch auf meine Antwort auf seine Frage wartete.

Ich zuckte mit den Schultern. Er war nicht interessiert genug um mehr Informationen zu fordern. Und ich sollte auch nicht interessiert sein.

Wir standen von unserem Tisch auf und verließen die Cafeteria.Emmett, Rosalie und Jasper gaben vor in der Abschlussklasse zu sein; sie begaben sich zu

ihren Kursen. Ich spielte eine jüngere Rolle als sie. Ich machte mich auf den Weg zu meinem Biologie-Kurs und stellte mich auf eine langweilige Stunde ein. Es war zu bezweifeln, dass Mr. Banner, ein Mann mit gerade einmal durchschnittlicher Intelligenz, in der Lage wäre irgendetwas zu lehren, dass jemanden mit einem zweifachen Abschluss in Medizin überraschen könnte.

Im Klassenraum ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und verteilte meine Bücher – wieder Requisiten; sie beinhalteten nichts, dass ich nicht schon wusste – quer über dem Tisch. Ich war der einzige Schüler der einen Tisch für sich allein hatte. Die Menschen waren nicht clever genug um zu wissen, dass sie Angst vor mir hatten, aber ihr Überlebensinstinkt reichte aus, um sie von mir fern zu halten.

Der Raum füllte sich langsam, als die Schüler vom Mittagessen zurückkamen. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und wartete darauf, dass die Zeit verstrich. Wieder einmal wünschte ich mir ich wäre in der Lage zu schlafen.

Weil ich über sie nachgedacht hatte, erweckte ihr Name meine Aufmerksamkeit, als Angela Weber das neue Mädchen durch die Klassentür begleitete.

Bella scheint genauso schüchtern zu sein, wie ich. Ich wette der Tag heute ist verdammt schwer für sie. Ich wünschte ich könnte irgendetwas sagen… aber es würde vermutlich nur blöd klingen…

Yes! Dachte Mike Newton, während er seinen Stuhl drehte um die Mädchen beim Betreten des Raumes zu beobachten.

Und immer noch nichts von der Stelle, an der Bella Swan stand. Die Leere wo ihre Gedanken sein müssten irritierte und verunsicherte mich.

Sie kam näher, während sie an mir vorbei den Gang entlang zum Lehrerpult ging. Armes Mädchen; neben mir war der einzige freie Platz. Automatisch räumte ich die Hälfte des Tisches frei, die ihr gehören würde, und stapelte meine Bücher übereinander. Ich bezweifelte, dass sie sich hier sehr wohl fühlen würde. Das würde ein langes Semester für sie werden – in diesem Kurse jedenfalls.

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Aber vielleicht, wenn ich neben ihr saß, wäre ich in der Lage ihr Geheimnis herauszufinden… nicht das ich jemals vorher die nähere Umgebung gebraucht hätte… geschweige denn, dass ich irgendetwas hören würde, dass es wert wäre gehört zu werden.

Bella Swan trat durch den heißen Luftstrom, der von dem Heizlüfter direkt zu mir wehte.Ihr Duft traf mich wie eine Abrissbirne, wie ein Rammbock. Es gab kein Bild, das brutal genug

war um zu beschreiben, was in diesem Moment mit mir geschah.In diesem Augenblick war ich alles andere als nah an dem Menschen der ich einst gewesen

war; Nicht der Anflug eines Fetzens der Menschlichkeit, in die ich mich sonst hüllte blieb übrig.Ich war ein Jäger. Sie war meine Beute. Die ganze Welt bestand nur noch aus dieser einen

Wahrheit.Es gab keinen Raum voller Zeugen – sie waren nur noch Kollateralschaden in meinem Kopf.

Das Mysterium ihrer Gedanken war vergessen. Ihre Gedanken bedeuteten nichts mehr, denn sie würde nicht länger denken können.

Ich war ein Vampir und sie hatte das süßeste Blut, das ich in 80 Jahren gerochen hatte.Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass ein solcher Duft existieren konnte. Wenn ich das

gewusst hätte, hätte ich schon vor langer Zeit begonnen danach zu suchen. Ich hätte den ganzen Planeten nach ihr durchkämmt. Ich konnte mir den Geschmack vorstellen…

Der Durst brannte wie Feuer in meiner Kehle. Mein Mund war trocken und ausgebrannt. Der frische Strom von Gift änderte nichts daran. Mein Magen drehte sich vor Hunger, der ein Echo des Durstes war. Meine Muskeln drohten zu zerspringen.

Nicht mal eine Sekunde war vergangen. Sie beendete gerade den Schritt, der ihren Duft zu mir herüber geweht hatte.

Als ihr Fuß den Boden berührte, wanderte ihr Blick zu mir, eine Bewegung die definitiv verstohlen gemeint war. Ihr Blick traf meinen und ich sah meine Reflektion in ihren geweiteten Augen.

Der Schock des Gesichts dass ich dort sah, rettete für wenige Augenblicke ihr Leben.Sie machte es nicht leichter. Als sie den Ausdruck auf meinem Gesicht sah, schoss ihr das Blut

wieder in die Wangen und verlieh ihrem Gesicht die köstlichste Farbe die ich je gesehen hatte… Der Duft hüllte mein Gehirn in eine dicke Nebelwand. Ich konnte kaum denken. Meine Gedanken wüteten zusammenhanglos, ohne Kontrolle.

Sie beschleunigte Ihren Schritt, als hätte sie verstanden, dass es besser war zu flüchten. Ihre Eile machte sie tollpatschig – sie stolperte und viel fast auf das Mädchen das vor mir saß. Verletzlich, schwach. Mehr noch als normale Menschen.

Ich versuchte mich auf das Gesicht zu konzentrieren, dass ich in ihren Augen gesehen hatte, ein Gesicht, dass ich mit Abscheu erkannte. Das Gesicht des Monsters in mir – das Gesicht, das ich mit Jahrzehnte langer Anstrengung und kompromissloser Disziplin zurückgeschlagen hatte. Wie leicht es jetzt wieder an die Oberfläche trat!

Der Duft umfing mich erneut, trübte meine Gedanken und hob mich fast aus meinem Stuhl.Nein.Meine Hände umklammerten die Tischkannte, als ich versuchte mich auf dem Stuhl zu

halten. Das Holz war mir nicht gewachsen. Meine Hände brachen durch die Strebe und zerbröselten das Holz zu Spänen. Meine Finger hinterließen einen Abdruck in der Tischkannte.

Vernichte die Beweise. Das war eine Grundregel. Schnell zerbröselte ich den Rest der Kannte mit meinen Fingerspitzen und hinterließ ein unförmiges Loch. Das Holzpulver verteilte ich mit meinem Fuß über dem Boden.

Vernichte die Beweise. Kollateralschaden…

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Ich wusste, was jetzt passieren musste. Das Mädchen würde sich neben mich setzten müssen und ich musste sie töten.

Die Unschuldigen Umstehenden im Klassenraum, achtzehn anderen Kinder und ein Mann, würden den Raum nicht verlassen können, wenn sie gesehen hatten, was sie bald sehen würden.

Ich zuckte zusammen bei dem Gedanken was ich tun müsste. Selbst zu meiner schlimmsten Zeit hätte ich nie eine solche Gewalttat begangen. Ich hatte nie unschuldige getötet, nicht einmal in acht Jahrzehnten. Und jetzt plante ich zwanzig von ihnen auf einmal zu töten.

Das Gesicht des Monsters im Spiegel verspottete mich.Obwohl ein Teil von mir vor dem Monster zurückschreckte, plante der andere Teil das

Verbrechen.Wenn ich das Mädchen zuerst tötete, hätte ich nur fünfzehn oder zwanzig Sekunden, bis die

Menschen in diesem Raum reagieren würden. Vielleicht ein bisschen länger wenn sie nicht sofort merken würden, was ich tat. Das Mädchen würde keine Zeit haben zu schreien oder schmerzen zu spüren; ich würde sie nicht brutal töten. Soviel konnte ich dieser Fremden mit ihrem unheimlich begehrenswerten Blut geben.

Aber dann musste ich die anderen davon abhalten zu fliehen. Um die Fenster musste ich mir keine Gedanken machen, zu hoch und zu klein um als Fluchtmöglichkeit zu dienen. Nur die Tür – wenn ich sie blockierte waren sie gefangen.

Es würde länger dauern und schwieriger sein, sie alle umzubringen, wenn sie panisch durcheinander rannten. Nicht unmöglich, aber es wäre sehr viel lauter. Zeit für viel Geschrei. Jemand würde es hören… und ich wäre gezwungen noch mehr unschuldige zu töten.

Und ihr Blut würde auskühlen während ich die anderen tötete.Ihr Duft strafte mich, füllte meinen Rachen mit trockenen Schmerzen…Also dann die Zeugen zu erst.Ich plante es in meinem Kopf. Ich befand mich in der Mitte des Raumes, die am weitesten

entfernte Reihe im Rücken. Ich würde die rechte Seite zuerst nehmen. Ich konnte vier oder fünf ihrer Hälse pro Sekunde schnappen, schätze ich. Es wäre nicht laut. Die rechte Seite wäre die glücklichere; sie würden mich nicht kommen sehen. Vorne angekommen würde ich umdrehen und die linke Seite bis nach hinten durchgehen, es würde mich maximal fünf Sekunde kosten, jedes Leben in diesem Raum zu vernichten.

Lange genug für Bella Swan um zu sehen, was bald auf sie zukommen würde. Lange genug für sie um Angst zu empfinden. Vielleicht lange genug, falls der Schock sie nicht erstarren ließe, um zu schreien. Ein dünner Schrei, der niemanden aufschrecken würde.

Ich atmete tief ein und der Duft brannte wie Feuer in meinen trockenen Venen.Jetzt drehte sie sich um. In wenigen Sekunden würde sie sich nur ein paar Zentimeter neben

mich setzen.Das Monster in mir lächelte vor Verlangen.Zu meiner Linken schlug jemand einen Ordner zu. Ich sah nicht auf um zu sehen, welcher der

zum Tode verurteilten Menschen es war. Aber die Bewegung wehte einen Hauch alltäglicher unparfümierter Luft in mein Gesicht.

Für eine Sekunde war ich in der Lage klar zu denken. In dieser wertvollen Sekunde sah ich zwei Gesichter nebeneinander in meinem Kopf.

Das eine war mein eigenes, oder besser war es gewesen: das rot-äugige Monster, das so viele Menschen getötet hatte, dass ich irgendwann aufgehört hatte zu zählen. Durchdachte, gerechtfertigte Morde. Ein Killer von Killern, ein Killer von anderen, schwächeren Monstern. Es war ein Gott-Komplex, das gab ich zu – zu entscheiden wer den Tod verdient hatte. Es war ein

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Kompromiss, den ich mit mir selbst geschlossen hatte. Ich hatte menschliches Blut getrunken, aber nur in einer lockeren Definition. Meine Opfer waren in ihrer dunklen Vergangenheit kaum menschlicher als ich es war.

Das andere Gesicht war das von Carlisle.Es gab keine Ähnlichkeit. Carlisle war nicht mein biologischer Vater. Wir hatten keine

gemeinsamen Eigenschaften. Die Ähnlichkeit unserer Hautfarbe war das Ergebnis von dem war wir waren; jeder Vampir hatte die gleiche Schneeweiße Haut. Genau wie die Ähnlichkeit unserer Augenfarbe – die Reflektion einer gegenseitigen Entscheidung.

Und trotzdem, obwohl es sonst keine Ähnlichkeiten gab, stellte ich mir vor, dass mein Gesicht anfing seins zu reflektieren, in den letzten siebzig seltsamen Jahren in denen ich seine Wahl annahm und in seine Fußstapfen trat. Meine Züge hatten sich nicht verändert, aber es kam mir vor als hätte ein Teil seiner Weisheit mich geprägt, dass ein bisschen von seinem Mitgefühl in der Form meines Mundes zu erkennen war, und der Hauch seiner Geduld war ersichtlich in meinen Augenbrauen.

All diese kleinen Veränderungen verloren sich im Gesicht des Monsters. In wenigen Augenblicken wäre nichts mehr in mir übrig, dass die Jahre die ich mit meinem Schöpfer, meinem Mentor, meinem Vater verbracht hatte, wiederspiegeln würde. Meine Augen würden rot leuchten wie die eines Teufels; alle Ähnlichkeit wäre für immer verloren.

Carlisles freundliche Augen verurteilten mich nicht in meinem Kopf. Ich wusste dass er mir diese schreckliche Tat die ich begehen würde, vergeben würde. Weil er mich liebte. Weil er dachte, dass ich besser wäre, als ich wirklich war. Und er würde mich immer noch lieben, auch wenn ich jetzt beweisen würde, dass er falsch lag.

Bella Swan setzte sich auf den Stuhl neben mir, ihre Bewegungen waren angespannt und unbeholfen – aus Angst? – und der Duft ihres Blutes erblühte in einer unaufhaltsamen Wolke um mich herum.

Ich würde meinem Vater beweisen, dass er unrecht hatte. Die Erkenntnis dieser Tatsache schmerzte fast genauso sehr wie das Feuer in meiner Kehle.

Ich lehnte mich angewidert von ihr weg, als ein plötzlich aufkeimender, heftiger, unbegründeter Hass mich durchfuhr.

Wer war diese Kreatur? Warum ich, warum jetzt? Warum musste ich alles verlieren, nur weil sie beschlossen hatte in diese unscheinbare Stadt zu ziehen?

Warum ist sie hierhergekommen!Ich wollte kein Monster sein! Ich wollte diesen Raum voller unschuldiger Kinder nicht

auslöschen! Ich wollte nicht alles verlieren was ich mir durch Opfer und Abschwörungen verdient hatte!

Das würde ich nicht tun. Sie konnte mich nicht dazu bringen.Der Duft war das Problem, der abscheulich ansprechende Duft ihres Blutes. Wenn es nur

einen Weg gäbe zu wiederstehen… wenn nur eine weitere Bö frischer Luft meine Kopf frei machen würde.

Bella Swan warf ihre langen, dicken Mahagoni farbenen Haare in meine Richtung.War sie wahnsinnig? Es war als würde sie das Monster ermutigen wollen! Es verhöhnen.Da war keine freundliche Briese, die den Geruch von mir fortwehte. Bald würde alles verloren

sein.Nein, keine helfende Briese. Aber ich musste nicht Atmen.Ich stoppte den Luftfluss in meinen Lungen; die Erleichterung kam augenblicklich, aber

unvollständig. Ich hatte immer noch die Erinnerung des Duftes in meinem Kopf, den Geschmack auf der Zunge. Auch so würde ich nicht lange widerstehen können. Aber vielleicht konnte ich für eine

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Stunde wiederstehen. Eine Stunde. Gerade genug Zeit um aus diesem Raum voller Opfer zu verschwinden, Opfer die vielleicht gar keine Opfer sein mussten. Wenn ich für eine kurze Stunde wiederstehen könnte.

Es war ein unangenehmes Gefühl nicht zu atmen. Mein Körper brauchte keinen Sauerstoff, aber es war gegen meine Instinkte. Wenn ich angespannt war verließ ich mich mehr auf meinen Geruchssinn als auf meine anderen Sinne. Er wies die Richtung bei der Jagd, er war die erste Warnung wenn Gefahr drohte. Mir begegnete nicht oft etwas dass genauso gefährlich war wie ich selbst, aber der Selbsterhaltungstrieb meiner Art war genauso groß wie der von gewöhnlichen Menschen.

Unangenehm aber erträglich. Erträglicher als sie riechen zu müssen ohne meine Zähne durch diese dünne, durchsichtige Haut sinken zu lassen und das heiße, nasse, pulsierende –

Eine Stunde! Nur eine Stunde. Ich durfte nicht an den Duft denken, an den Geschmack.Das stille Mädchen hielt ihre Haare zwischen uns und lehnte sich nach vorne, so dass es über

ihren Ordner fiel. Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen, um zu versuchen die Gefühle in ihren klaren, tiefen Augen zu lesen. War das der Grund weshalb sie ihren gelockten Fächer zwischen uns ausbreitete? Um diese Augen vor mir zu verstecken? Aus Angst? Schüchternheit? Um ihre Geheimnisse vor mir zu verbergen?

Meine anfängliche Verunsicherung von ihren Stummen Gedanken Schach matt gesetzt zu werden war schwach und blass im Vergleich zu dem Verlangen – und dem Hass – das/der mich jetzt beherrschte. Ich hasste diese zarte Frau – dieses Kind – neben mir, hasste sie voller Inbrunst, mit der ich an meinem alten Ich hing, die Liebe meiner Familie, meine Träume etwas Besseres zu sein als ich war… Ich hasste sie, hasste es welche Gefühle sie in mir auslöste – es half ein bisschen. Ja das Unbehagen, das ich vorher verspürt hatte war schwach, aber es half auch ein bisschen. Ich klammerte mich an jedes Gefühl, dass mich davon ablenkte mir vorzustellen, wie sie schmecken würde…

Hass und Verunsicherung. Ungeduld. Würde diese Stunde jemals enden?Und wenn die Stunde vorbei war.. Dann würde sie diesen Raum verlassen. Und was würde

ich tun?Ich könnte mich vorstellen. Hallo, mein Name ist Edward Cullen. Kann ich dich zu deinem

nächsten Kurs begleiten?Sie würde ja sagen. Es wäre höflich das zu tun. Auch wenn sie bereits Angst vor mir hatte,

wovon ich ausging, würde sie sich an die Gepflogenheiten halten und neben mir hergehen. Es würde einfach sein, sie in die falsche Richtung zu lotsen. Ein Teil des Waldes streckte sich wie ein Finger um den hinteren Teil des Parkplatzes zu berühren. Ich könnte behaupten ich hätte ein Buch in meinem Wagen vergessen…

Würde irgendjemand bemerken, dass ich die letzte Person war mit der sie gesehen wurde? Es regnete, wie immer; zwei dunkle Regenjacken, die in die falsche Richtung gingen würden nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, oder mich verraten.

Außer dass ich heute nicht der einzige Schüler war, der sich ihrer bewusst war – obwohl sich ihr niemand auf so mörderisch Art bewusst war wie ich. Mike Newton ganz besonders, er bemerkte jede Gewichtsverlagerung während sie in ihrem Stuhl herum zappelte – sie fühlte sich unwohl in meiner Nähe, so wie sich jeder fühlen würde, so wie ich es erwartet hatte bevor ihr Duft alle menschenfreundlichen Anliegen zerstört hatte. Mike Newton würde bemerken, wenn sie den Klassenraum mit mir zusammen verließ.

Wenn ich eine Stunde überstehen könnte, könnte ich auch zwei überstehen?Der brennende Schmerz ließ mich zusammenzucken.

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Sie würde nach Hause gehen in ein leeres Haus. Chief Swan arbeitete den ganzen Tag. Ich kannte sein Haus, wie ich jedes Haus in dieser kleinen Stadt kannte. Sein Haus schmiegte sich an dicke Baumstämme ohne nahe Nachbarn. Selbst wenn sie Zeit zum Schreien hätte, die sie nicht haben würde, würde sie niemand hören.

Das wäre der verantwortlichste Weg damit umzugehen. Ich bin sieben Jahrzehnte ohne menschliches Blut ausgekommen. Wenn ich meinen Atem anhielt konnte ich zwei Stunden überstehen. Und wenn ich sie allein erwischte, würde niemand anders Gefahr laufen verletzt zu werden. Und kein Grund diese Erfahrung zu schnell vorbeigehen zu lassen, bestätigte das Monster in meinem Kopf.

Es war kleinlich zu glauben, nur weil ich die neunzehn Menschen in diesem Raum verschonte, wäre ich weniger ein Monster wenn ich dieses unschuldige Mädchen tötete.

Obwohl ich sie hasste, wusste ich dass mein Hass ungerechtfertigt war. Ich wusste was ich wirklich hasste, war ich selbst. Und ich würde uns beide noch viel mehr hassen, wenn sie tot war.

Ich überstand diese Stunde auf diese Art und Weise – ich überlegte mir den besten Weg sie zu töten. Ich versuchte mir nicht den eigentlichen Akt vorzustellen. Das wäre zu viel für mich; Ich könnte diesen Kampf verlieren und würde damit enden jeden in meinem Blickfeld zu töten. Also entwickelte ich Strategien und nicht mehr. Es brachte mich durch die Stunde.

Einmal, kurz vor Ende der Stunde, blinzelte sie durch die fließende Wand ihrer Haare zu mir herüber. Ich konnte fühlen wie der unberechtigte Hass in mir aufflammte als sich unsere Blicke trafen – sah die Reflektion in ihren ängstlichen Augen. Blut färbte ihre Wangen rot bevor sie sie wieder hinter ihren Haaren verstecken konnte, es zerriss mich fast.

Aber dann läutete die Schulglocke. Gerettet von der Klingel – was für ein Klischee. Wir waren beide gerettet. Sie, gerettet vor dem sicheren Tod. Ich, für kurze zeit davor gerettet, die albtraumhafte Kreatur zu werden, die ich fürchtete und verabscheute.

Ich konnte nicht so langsam gehen wie ich sollte als ich aus dem Raum stürmte. Wenn jemand auf mich geachtet hätte, wäre ihm aufgefallen, dass etwas nicht stimmte, mit der Art wie ich mich bewegte. Niemand achtete auf mich. Alle menschlichen Gedanken drehten sich immer noch um das Mädchen, das dazu verurteilt war in weniger als einer Stunde zu sterben.

Ich versteckte mich in meinem Auto.Ich mochte die Vorstellung dass ich mich verstecken müsste nicht. Es klag so feige. Aber es

war ohne Frage der Fall.Ich hatte nicht genug Disziplin übrig um mich in der Nähe von Menschen aufzuhalten. Da ich

mich so sehr darauf konzentrierte die eine nicht zu töten, hatte ich nicht mehr genug Konzentration übrig um den anderen zu wiederstehen. Was für eine Verschwendung das wäre. Wenn ich dem Monster schon nachgab, dann sollte die Niederlage es auch wert sein.

Ich legte eine CD ein die mich normalerweise beruhigte, aber jetzt half sie wenig. Nein, was jetzt am meisten half war die kühle, feuchte, klare Luft die mit dem leichten Regen in mein Fenster strömte. Obwohl ich mich mit perfekter Klarheit an den Duft von Bella Swans Blut erinnerte, war es als würde die saubere Luft meinen Körper von dieser Infektion reinwaschen.

Ich war wieder bei Verstand. Ich konnte wieder klar denken. Und ich konnte wieder kämpfen. Ich konnte dagegen ankämpfen was ich nicht sein wollte.

Ich musste nicht zu ihr nach Hause gehen. Ich musste sie nicht töten. Offensichtlich war ich eine vernünftige, denkende Kreatur und ich hatte eine Wahl. Es gab immer eine Wahl.

In Klassenraum hatte es sich nicht danach angefühlt… aber jetzt war ich weg von ihr. Vielleicht, wenn ich ihr ausweichen würde, gäbe es keinen Grund mein Leben zu ändern. Ich mochte

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mein Leben so wie es zurzeit aussah. Warum sollte ich mir das von einem unangenehmen und köstlichen Niemand ruinieren lassen?

Ich musste meinen Vater nicht enttäuschen. Ich musste meiner Mutter keine Sorgen, keinen Stress… keine Schmerzen verursachen. Ja, es würde auch meine Adoptivmutter verletzen. Und Esme war so sanft, zart und weich. Jemandem wie Esme schmerzen zuzufügen war absolut unverzeihlich.

Wie ironisch, dass ich dieses Menschenmädchen vor Jessica Stanleys erbärmlichen, abfälligen Gedanken schützen wollte. Ich war die letzte Person die jemals als Beschützer vor Isabella Swan stehen würde. Sie würde niemals mehr Schutz vor etwas benötigen als vor mir.

Wo war Alice, wunderte ich mich plötzlich? Hatte sie nicht gesehen wie ich das Swan-Mädchen auf zig verschiedene Arten umbrachte? Warum war sie nicht gekommen um zu helfen – um mich zu stoppen oder um die Beweise zu vernichten, was auch immer? War sie so sehr darauf bedacht ob es Ärger mit Jasper gab, dass sie diese viel schlimmere Möglichkeit übersehen hatte? War ich doch stärker als ich dachte? Hätte ich dem Mädchen wirklich nichts getan?

Nein. Ich wusste, dass das nicht wahr war. Alice musste sich wirklich sehr stark auf Jasper konzentrieren.

Ich suchte in der Richtung wo sie sein musste, in dem kleinen Gebäude dass für die Englisch-Kurse genutzt wurde. Es dauerte nicht lange bis ich ihre bekannte `Stimme` lokalisiert hatte. Und ich hatte recht. All ihre Gedanken drehten sich um Jasper während sie alle seine Möglichkeiten mit prüfendem Blick betrachtete.

Ich wünschte ich könnte sie um Rat fragen, aber gleichzeitig war ich froh, dass sie nicht wusste wozu ich fähig war. Dass sie keine Ahnung hatte von dem Massaker das ich in der letzen Stunde erdacht hatte.

Ich fühlte ein neues Brennen in meinem Körper – das brennen vor Scham. Ich wollte nicht dass irgendeiner von ihnen etwas wusste.

Wenn ich Bella Swan aus dem Weg gehen könnte, wenn ich es schaffen würde, sie nicht zu töten – sogar als ich darüber nachdachte, wand sich das Monster in mir und knirschte frustriert mit den Zähnen – dann musste niemand etwas erfahren. Wenn ich mich von ihrem Duft fernhalten könnte…

Es gab keinen Grund weshalb ich es nicht wenigstens versuchen sollte. Eine gute Wahl treffen. Versuchen das zu sein, was Carlisle dachte was ich war.

Die letzte Schulstunde war fast vorbei. Ich beschloss meinen neuen Plan in die Tat umzusetzen. Besser als hier auf dem Parkplatz herumzusitzen wo sie an mir vorbei laufen konnte und mein Vorhaben ruinieren könnte. Wieder empfand ich den ungerechtfertigten Hass für das Mädchen. Ich hasste, dass sie diese unbewusste Macht über mich hatte. Dass sie aus mir etwas machte, was ich verabscheute.

Ich lief schnell – ein bisschen zu schnell, aber es gab keine Zeugen – über den kleinen Hof zum Sekretariat. Es gab keinen Grund weshalb Bella Swan mir hier begegnen sollte. Sie würde gemieden werden wie die Plage die sie war.

Das Büro war leer, abgesehen von der Sekretärin, die ich sehen wollte.Sie bemerkte mein leises Eintreten nicht.„Mrs. Cope?“Die Frau mit den unnatürlich roten Haaren schaute auf und ihre Augen weiteten sich. Es traf

sie immer unerwartet, die kleinen Anzeichen die sie nicht verstanden, egal wie oft sie einen von uns schon gesehen hatten.

„Oh,“ hauchte sie etwas verwirrt. Sie glättete ihr Shirt. Albern, dachte sie sich. Er ist jung genug um mein Sohn zu sein. Zu jung um auf diese Art von ihm zu denken…

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„Hallo Edward. Was kann ich für dich tun?“ Ihre Wimpern klimperten hinter ihrer dicken Brille.

Unbehaglich. Aber ich wusste wie scharmant ich sein konnte wenn ich wollte. Es war einfach, seit ich wusste wie welcher Ton, welche Geste verstanden wurde.

Ich lehnte mich vor und erwiderte ihren Blick als würde ich ihr tief in die nicht tiefgründigen kleinen braunen Augen blicken. Ihre Gedanken flatterten bereits. Das würde einfach werden.

„Ich hab mich gefragt ob sie mir mit meinem Stundenplan helfen könnten,“ sagte ich in der sanften Stimme die ich mir aufhob um Menschen nicht zu erschrecken.

Ich hörte wie ihr Herzschlag schneller wurde.„Natürlich Edward. Wie kann ich dir helfen?“ Zu jung, zu jung, leierte sie sich selbst herunter.

Das war natürlich falsch. Ich war älter als ihr Großvater. Aber laut meinem Führerschein hatte sie recht.

„Ich hab mich gefragt, ob ich von meinem Biologiekurs in einen anderen Naturwissenschaftlichen Leistungskurs wechseln könnte? Physik vielleicht?“

„Gibt es ein Problem mit Mr. Banner, Edward?“„Keineswegs, es ist nur so, dass ich den Stoff schon durchgenommen habe…“„In dieser Schule für Begabte, die ihr alle in Alaska besucht habt, stimmt.“ Sie schürzte ihre

schmalen Lippen als sie das bedachte. Sie sollten alle aufs College gehen. Ich hab gehört wie sich die Lehrer beschweren. Perfekte Zehnen, nie eine verzögerte oder falsche Antwort, nie ein Fehler in einer Klausur – als ob sie einen Weg gefunden hätten in jedem Fach zu schummeln. Mr. Varner würde eher glauben, dass jemand betrügt, als einzusehen, dass ein Schüler schlauer ist als er… Ich wetter ihre Mutter gibt ihnen Nachhilfe… „Ehrlichgesagt, Edward, Physik ist zur Zeit überfüllt. Mr. Banner hasst es, wenn er mehr als 25 Schüler in einem Kurs hat“

„Ich mache bestimmt keine Probleme.“Natürlich nicht. Nicht ein perfekter Cullen. „Das weiß ich Edward. Aber es gibt einfach nicht

genug Stühle, so leid es mir tut…“„Kann ich den Kurs dann vielleicht abwählen? Ich könnte die zeit für unabhängige Studien

nutzen.“„Biologie abwählen?“ Ihr Unterkiefer klappte auf. Das ist verrückt. Wie schwer kann es schon

sein, ein Fach abzusitzen, das man schon kennt? Es muss ein Problem mit Mr. Banner geben. Ich frag mich ob ich mit Bob darüber reden sollte? „Du wirst nicht genug Punkte für den Abschluss zusammenbekommen.“

„Das hole ich nächstes Jahr nach.“„Vielleicht solltest du mit deinen Eltern darüber reden.“Hinter mir öffnete sich die Tür, aber wer immer es war, machte sich keine Gedanken über

mich, also ignorierte ich den Neuankömmling und konzentrierte mich weiter auf Mrs. Cope. Ich lehnte mich noch ein Stück vor und weitete meine Augen noch etwas. Das würde besser funktionieren wenn sie Gold statt schwarz wären. Die Schwärze ängstigte die Leute und so sollte es ja auch eigentlich sein.

„Bitte, Mrs. Cope?“ Ich ließ meine Stimme so weich und überwältigend klingen wie es ging – und sie konnte erstaunlich überwältigend sein. „Gibt es kein anders Fach in das ich wechseln könnte? Ich bin mir sicher, dass es irgendwo einen freien Platz gibt? Die sechste Stunde Biologie kann doch nicht die einzige Möglichkeit sein…“

Ich lächelte sie an, darauf bedacht meine Zähne nicht so deutlich zu zeigen, dass es ihr angst machte.

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Ihr Herz schlug schneller. Zu jung, erinnerte sie sich verzweifelt. „Naja, vielleicht kann ich mit Bob – Ich meine Mr. Banner reden. Ich könnte schauen ob…“

Es dauerte nur eine Sekunde und alles veränderte sich: die Atmosphäre des Raumes, meine Mission hier, den Grund weshalb ich mich zu der rothaarigen Frau lehnte… Was zu einem bestimmten Zweck gewesen ist, war jetzt für einen anderen.

Es dauerte nur eine Sekunde, in der Samantha Wells die Tür öffnete um einen verspäteten unterschriebenen Beleg in den Korb an der Tür zu werfen, und wieder zu verschwinden um die Schule so schnell wie möglich zu verlassen.

Es dauerte nur eine Sekunde, bis die leichte Briese durch die offene Tür mit mir zusammentraf. Es dauerte nur eine Sekunde bis ich begriff warum die Person die zuerst hereinkam mich nicht durch ihre Gedanken unterbrochen hatte.

Ich drehte mich um obwohl ich mich nicht zu vergewissern brauchte. Ich drehte mich langsam während ich um die Kontrolle meiner Muskeln kämpfte die gegen mich rebellierten.

Bella Swan stand mit dem Rücken an die Wand gepresst neben der Tür, ein Stück Papier umklammert in ihrer Hand. Ihre Augen waren noch weiter als ohnehin schon als sie meinen grimmigen unmenschlichen stechenden Blick sah.

Der Geruch ihres Blutes durchtränkte jeden Luftpartikel in dem kleinen heißen Raum. Meine Kehle brach in Flammen aus.

Das Monster starrte mir aus dem Spiegel ihrer Augen entgegen, eine Maske des Bösen.Meine Hand verharrte in der Luft über dem Tresen. Ich müsste mich nicht wieder umdrehen

um darüber hinweg nach Mrs. Copes Kopf zu greifen und ihn mit genug Kraft durch ihren Tisch zu schmettern und sie damit sofort zu töten. Zwei Leben sind besser als zwanzig. Ein guter Handel.

Das Monster wartete ungeduldig, hungrig darauf, dass ich es tat.Aber es gab immer eine Wahl – es musste eine Wahl geben.Ich schnitt das Gefühl in meiner Lunge ab und fixierte Carlisles Gesicht vor meinen Augen. Ich

wendete mich wieder Mrs. Cope zu und bemerkte ihre innerliche Überraschung über die Veränderung in meinem Gesichtsausdruck. Sie schrak vor mir zurück, aber konnte sich ihre Angst nicht erklären.

Ich brachte all die Selbstbeherrschung auf die ich mir in Jahrzehntelanger Abstinenz angeeignet hatte um meine Stimme wieder ausgeglichen und weich klingen zu lassen. Es war noch genug Luft in meiner Lunge um noch einmal hastig zu sprechen.

„Macht nichts. Ich verstehe, dass es unmöglich ist. Haben sie vielen Dank für ihre Mühe.“Ich schwang herum, stürmte aus dem Raum und versuchte den vom Blut erwärmten Körper

des Mädchens nicht zu spüren als ich nur Millimeter an ihr vorbei lief.Ich hielt nicht an, bis ich mein Auto erreichte, legte den gesamten Weg viel zu schnell zurück.

Die meisten Menschen waren schon weg, deshalb gab es kaum Zeugen. Ich hörte einen Unterstufenschüler, D.J. Garrett, wie er mich bemerkte, aber dann nicht weiter beachtete…

Wo ist Cullen hergekommen – als wäre er plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht… Ich mal wieder mit meiner Fantasie. Wie meine Mutter immer sagt…

Als ich in meinen Volvo stieg waren die anderen schon da. Ich versuchte meine Atmung zu kontrollieren, aber ich keuchte in der frischen Luft, als wäre ich kurz vorm ersticken.

„Edward?“ fragte Alice alarmiert.Ich schüttelte nur meinen Kopf.„Was zur Hölle ist denn mit dir passiert?“ fragte Emmett, der einen Moment abgelenkt davon

war, dass Jasper nicht in der Stimmung für eine Revanche war.

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Statt zu antworten, setze ich den Wagen zurück. Ich musste von diesem Parkplatz verschwinden bevor Bella Swan mir auch hierher folgen konnte. Mein eigener, persönlicher Dämon, der mich jagte… Ich schwang den Wagen herum und beschleunigte. Ich erreichte die 40 bevor ich auf der Straße war. Auf der Straße erreichte ich die 70 noch vor der Ecke.

Ohne zu gucken wusste ich, dass Emmett, Rosalie und Jasper sich alle umgedreht hatten und Alice anstarrten. Sie zuckte mit den Schultern. Sie konnte nicht sehen was war, nur was kommen würde.

Sie konzentrierte sich jetzt auf meine Zukunft. Wir beide verfolgten was sie in ihrem Kopf sah und wir waren beide überrascht.

„Du verlässt uns?“ flüsterte sie.Die anderen starrten mich an.„Tue ich das?“ zischte ich durch meine zusammengekniffenen Zähne.Dann sah sie es, als meine Entschlossenheit schwankte und eine andere Möglichkeit meine

Zukunft in eine dunklere Richtung lenkte.„Oh.“Bella Swan, tot. Meine Augen, glühend rot mit frischem Blut. Die Durchsuchung die folgte.

Die vorsichtige Zeit in der wir warteten bis es wieder sicher für uns war hervorzutreten und von vorn anzufangen…

„Oh,“ sagte sie wieder. Das Bild wurde jetzt klarer. Ich sah zum ersten Mal das Haus von Chief Swan von innen, sah Bella in der kleinen Küche mit den gelben Schränken, mit dem Rücken zu mir als ich mich aus den Schatten an sie heranpirschte… mich von ihrem Duft zu ihr hinziehen ließ…

„Stopp!“ stöhnte ich, nicht in der Lage noch mehr zu ertragen.„Sorry,“ flüsterte sie mit geweiteten Augen.Das Monster frohlockte.Und die Vision in ihrem Kopf änderte sich erneut. Ein leerer Highway bei Nacht, die

schneebedeckten Bäume am Rand flogen mit 100 Meilen pro Stunde vorbei.„Ich werde dich vermissen,“ sagte sie. „Egal wie kurz du weg sein wirst.“Emmett und Rosalie tauschten einen besorgten Blick.Wir waren kurz vor der Biegung auf die lange Auffahrt die zu unserem Haus führte.„Lass uns hier raus,“ instruierte Alice. „Du solltest es Carlisle selbst sagen.“Ich nickte und das Auto kam quietschend zum Stehen.Emmett, Rosalie und Jasper stiegen ohne ein Wort aus; sie würden Alice nach einer Erklärung

fragen, wenn ich weg war. Alice berührte meine Schulter.„Du wirst das richtige tun,“ murmelte sie. Keine Vision dieses Mal – ein Befehl. „Sie ist Charlie

Swans einzige Familie. Es würde auch ihn töten.“„Ja,“ sagte ich, und stimmte damit nur dem letzten Teil zu.Sie glitt aus dem Wagen zu den anderen, ihre Augenbrauen besorgt zusammengezogen. Sie

verschmolzen mit dem Wald und waren außer Sicht bevor ich den Wagen wenden konnte.Ich raste zurück zur Stadt und ich wusste die Visionen in Alices Kopf würden von dunkel in

strahlendes Licht getaucht werden, wie durch ein Stroboskop. Während ich mit 90 nach Forks zurückfuhr, war ich mir nicht sicher was ich tun würde. Meinem Vater auf Wiedersehen sagen? Oder das Monster in mir mit offenen Armen empfangen? Die Straße flog unter meinen Reifen dahin.

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2. Wie ein offenes Buch

Ich lehnte mich gegen die weiche Schneewehe und das trockene Puder verformte sich unter meinem Gewicht. Mein Körper hatte sich noch weiter abgekühlt um sich der Luft um mich herum anzupassen und die kleinen Eisstücke fühlten sich wie Samt auf meiner Haut an.

Der Himmel über mir war klar, voller leuchtender Sterne, ein schimmerndes blau an einigen Stellen, gelb an anderen. Die Sterne bildeten majestätische, verschlungene Formen in dem schwarzen Universum – ein großartiger Anblick. Ungemein schön. Oder besser, sollte ungemein schön sein. Wäre es gewesen, wenn ich in der Lage gewesen wäre es wirklich zu sehen.

Es wurde einfach nicht besser. Sechs Tage waren mittlerweile vergangen, sechs Tage versteckte ich mich bereits in der leeren Wildnis von Denali, aber ich war der Freiheit kein Stück näher gekommen seit ich zum ersten Mal ihren Duft aufgeschnappt hatte.

Wenn ich hinauf zu dem juwelenbehangenen Himmel starrte war es als wäre da eine Blockade zwischen meinen Augen und seiner Schönheit. Die Blockade war ein Gesicht, nur ein belangloses menschliches Gesicht, aber ich konnte es nicht aus meinem Kopf verbannen.

Ich hörte die sich nähernden Gedanken bevor ich die dazugehörenden Schritte hörte. Die Bewegungsgeräusche waren nur der Hauch eines Flüsterns auf dem weißen Puder.

Ich war nicht überrascht, dass Tanya mir hierher gefolgt war. Ich wusste dass sie schon einige Tage über das Gespräch das jetzt kommen würde nachgrübelte, sie schob es vor sich her, bis sie genau wusste, was sie sagen wollte.

Ungefähr sechzig Yards entfernt sprang sie in Sicht, auf die Spitze eines unter dem Schnee hervortretenden schwarzen Felsens und balancierte dort auf den Ballen ihrer nackten Füße.

Tanyas Haut war silbern im Sternenlicht und ihre langen blonden Locken leuchteten schwach, fast rosa auf ihrem Erdbeertaint. Ihre bernsteinfarbenen Augen leuchteten auf, als sie mich entdeckte, halb begraben unter dem Schnee, und ihre vollen Lippen umspielte ein Lächeln.

Vorzüglich. Wenn ich wirklich in der Lage gewesen wäre sie zu sehen. Ich seufzte.Sie hockte sich auf den Felsen, ihre Fingerspitzen berührten den Stein, ihr Körper rollte sich

zusammen.Kanonenkugel, dachte sie.Sie schoss in die Luft, ihre Umrisse wurden zu einem dunklen, verdrehten Schatten als sie

zwischen mich und die Sterne sprang. Sie rollte sich zu einer Kugel zusammen als sie auf den aufgetürmten Schnee neben mir traf.

Ein Schneesturm erhob sich um mich herum. Die Sterne wurden schwarz und ich war begraben unter den federähnlichen eisigen Kristallen.

Ich seufzte wieder, aber machte keine Anstalten, mich aus dem Schnee zu heraus zu graben. Die Schwärze unter dem Schnee tat weder weh noch veränderte sie die Sicht. Ich sah immer noch dasselbe Gesicht.

„Edward?“Wieder flog Schnee, als Tanya mich schnell ausgrub. Sie fegte das Pulver von meinem

unbeweglichen Gesicht, darauf bedacht, meinem Blick nicht zu begegnen.„Sorry,“ murmelte sie. „Es sollte ein Witz sein.“„Ich weiß. Es war lustig.“Ihre Mundwinkel verzogen sich nach unten.

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„Irina und Kate sagen, ich sollte dich in Ruhe lassen. Sie denken ich nerve dich.“„Kein bisschen,“ versicherte ich ihr. „Ganz im Gegenteil, ich bin derjenige der unhöflich ist –

furchtbar unhöflich. Es tut mir sehr leid.“Du gehst wieder nach Hause, oder? Dachte sie.„Ich hab mich… noch nicht vollkommen… entschieden.“Aber du bleibst nicht hier. Ihre Gedanken waren jetzt wehmütig, traurig.„Nein. Es scheint nicht wirklich… zu helfen.“Sie zog ein Gesicht. „Das ist meine Schuld, nicht wahr?“„Natürlich nicht,“ log ich reibungslos.Seih kein Gentleman.Ich lächelte.Wegen mir fühlst du dich unwohl, klagte sie.„Nein.“Sie zog eine Augenbraue hoch. Ihr Gesicht war so ungläubig, dass ich lachen musste. Ein

kurzes Lachen gefolgt von einem weiteren Seufzer.„Na gut,“ gab ich zu. „Ein kleines bisschen.“Sie seufzte auch und stütze ihr Kinn auf ihre Hände. Ihre Gedanken waren verärgert.„Du bist tausendmal lieblicher als die Sterne, Tanya. Dessen bist du dir natürlich absolut

bewusst. Lass dein Vertrauen nicht von meiner Eigensinnigkeit erschüttern.“ Ich kicherte bei dieser abwegigen Idee.

„Ich bin solche Reaktionen nicht gewöhnt,“ brummte sie und verschob ihre Unterlippe zu einem attraktiven Schmollmund.

„Natürlich nicht,“ stimmte ich ihr zu und versuchte dabei ihre Gedanken auszublenden in denen sie all die Erinnerungen an ihre abertausend Eroberungen durchging. Tanya bevorzugte Menschliche Männer – für eine Sache waren sie besonders bekannt, für die Tatsache, dass sie weich und warm waren. Und immer gierig, mit Sicherheit.

„Sukkubus,“ zog ich sie auf, in der Hoffnung die Bilder aus ihren Gedanken zu vertreiben.Sie grinste breit. „Das Original.“Anders als Carlisle hatten Tanya und ihre Schwestern ihr Gewissen langsam entdeckt. Am

Ende war es ihr Verlangen nach menschlichen Männern, weshalb sie sich gegen das Abschlachten entschlossen haben. Jetzt… lebten die Männer die sie liebten.

„Als du hier aufgetaucht bist,“ sagte Tanya langsam. „Dachte ich…“Ich wusste was sie gedacht hatte. Ich hätte mir denken können, dass sie so fühlen würde.

Aber im Moment war ich nicht gerade gut darin überlegt zu handeln.„Du dachtest, ich hätte meine Meinung geändert.“„Ja.“ Sie starrte finster vor sich hin.„Ich fühle mich schlecht weil ich mit deinen Erwartungen gespielt habe, Tanya. Das wollte ich

nicht – ich hab nicht nachgedacht. Es ist nur so, dass ich… sehr plötzlich aufgebrochen bin.“„Ich gehe davon aus, dass du mir nicht erzählen wirst, warum…?“Ich setzte mich auf und schlang die Arme um meine Beine. „Ich möchte nicht darüber reden.“Tanya, Irina und Kate waren gut in dem Leben, dass sie sich ausgesucht hatten. Auf manche

Art sogar besser als Carlisle. Abgesehen von der verrückten unmittelbaren Nähe die sie sich zu denen erlaubten die – einmal mehr – ihre Beute sein sollten, sie machten keine Fehler. Es war mir zu peinlich meine Schwäche vor Tanya einzugestehen.

„Probleme mit Frauen?“ vermutete sie und ignorierte meine Zurückhaltung.Ich lachte schrill. „Nicht so wie du es denkst.“

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Dann war sie still. Ich lauschte ihren Gedanken, während sie verschiedene Möglichkeiten durchging bei dem Versuch den Sinn meiner Worte zu verstehen.

„Du bist nicht mal nahe dran,“ sagte ich ihr.„Ein Tipp?“ fragte sie.„Bitte lass es gut sein, Tanya.“Dann war sie wieder still, immer noch am grübeln. Ich ignorierte sie, und versuchte

vergeblich die Sterne wahr zu nehmen.Nach einem Moment der Stille gab sie auf und ihre Gedanken schlugen eine andere Richtung

ein.Wohin wirst du gehen, Edward, wenn du wieder abreist? Zurück zu Carlisle?„Ich glaube nicht,“ flüsterte ich.Wohin würde ich gehen? Ich konnte mir keinen Ort auf dem gesamten Planeten vorstellen,

der irgendetwas Interessantes für mich barg. Es gab nichts was ich sehen oder tun wollte. Denn egal wo ich hinging, ich würde nirgendwo hin gehen – ich würde immer nur vor etwas weg rennen.

Ich hasste es. Wann bin ich so ein Feigling geworden?Tanya legte ihren schlanken Arm um meine Schultern. Ich versteifte mich, löste mich aber

nicht aus dieser Umarmung. Sie bezweckte nicht mehr damit als freundschaftliche Unterstützung. Hauptsächlich.

„Ich denke du wirst zurückgehen,“ sagte sie, in ihrer Stimme lag nur noch ein Hauch ihres lange verloren gegangen russischen Akzents. „Egal was es ist… oder wer es ist… das dich verfolgt. Du wirst ihm entgegentreten. Du bist so ein Typ.“

Ihre Gedanken waren sich dessen so sicher wie ihre Worte. Ich versuchte die Vision die sie von mir hatte festzuhalten. Derjenige, der den Dingen direkt entgegentrat. Es tat gut wieder so von mir selbst zu denken. Ich hatte nie an meinem Mut gezweifelt, meiner Fähigkeit mit Schwierigkeiten fertig zu werden, vor dieser schrecklichen Stunde in dem High School Biologiekurs vor so kurzer Zeit.

Ich küsste ihre Wange; und drehte mich schnell wieder weg als sie ihr Gesicht zu meinem drehte, ihre Lippen schon gespitzt. Sie lächelte reumütig über meine Schnelligkeit.

„Danke Tanya. Das musste ich hören.“Ihre Gedanken wurden launisch. „Gern geschehen, denke ich. Ich wünschte du würdest

besser mit dir reden lassen, Edward.“„Es tut mir leid, Tanya. Du weißt, dass du zu gut für mich bist. Es ist nur… ich hab noch nicht

gefunden wonach ich suche.“„Na gut, wenn du gehst bevor wir uns noch einmal sehen… auf Wiedersehen Edward.“„Auf Wiedersehen Tanya.“ Als ich die Worte aussprach konnte ich es sehen. Ich konnte mich

gehen sehen. Stark genug um zu dem einzigen Ort zurück zu gehen an dem ich sein wollte. „Danke nochmal.“

Mit einer flinken Bewegung sprang sie auf ihre Füße und rannte weg, geisterte so schnell über den Schnee, dass ihre Füße keine zeit hatten in den Schnee einzusinken; sie hinterließ keine Fußspuren. Sie drehte sich nicht um. Meine Reaktion störte sie mehr als sie sich hatte anmerken lassen, sogar in ihren Gedanken. Sie würde mich nicht noch einmal sehen wollen bevor ich ging.

Ich verzog ärgerlich meinen Mund. Ich mochte es nicht Tanya zu verletzen, obwohl ihre Gefühle für mich nicht tief, nicht rein waren und auf jeden Fall nichts was ich erwidern konnte. Es kam mir trotzdem so vor als wäre ich dadurch weniger ein Gentleman.

Ich legte mein Kinn auf meine Knie und schaute wieder hinauf zu den Sternen, obwohl ich es plötzlich eilig hatte mich auf den Weg zu machen. Ich wusste, dass Alice sehen würde, wie ich nach Hause kam und es den anderen erzählte. Das würde sie glücklich machen – besonders Carlisle und

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Esme. Aber ich blickte noch einmal hoch zu den Sternen, versuchte an dem Gesicht in meinem Kopf vorbei zusehen. Zwischen mir und den funkelnden Lichtern im Himmel starrte mir ein verwirrtes schokoladenbraunes Augenpaar entgegen. Es schien zu fragen, was diese Entscheidung für sie bedeuten würde. Natürlich konnte ich mir nicht sicher sein, dass es das war, was diese eigenartigen Augen zu wissen begehrten. Selbst in meiner Vorstellung konnte ich ihre Gedanken nicht hören. Bella Swans Augen fragten weiter und ein ungehinderter Blick zu den Sternen blieb mir verwehrt. Mit einem schweren Seufzer, gab ich auf und erhob mich. Wenn ich rannte war ich in weniger als einer Stunde bei Carlisles Auto…

Ich wollte meine Familie so schnell wie möglich wiedersehen – wollte unbedingt der Edward sein, der den Problemen ins Gesicht sah – Ich rannte über das sternenklare Schneefeld, ohne Fußspuren zu hinterlassen.

„Es wird alles gut werden,“ hauchte Alice. Ihre Augen blickten ins Leere und Jasper hielt mit einer Hand ihren Ellenbogen um sie zu führen während wir aneinandergedrängt die Cafeteria betraten. Rosalie und Emmett gingen voran, Emmett sah lächerlicherweise aus wie ein Bodyguard mitten im Feindesland. Rose sah sich auch wachsam um, aber eher irritiert als beschützend.

„Natürlich wird es das,“ grummelte ich. Ihr Verhalten war albern. Wenn ich mir nicht sicher wäre mit der Situation umgehen zu können, wäre ich zu Hause geblieben.

Die plötzliche Verlagerung von unserem normalen, sogar verspielten Vormittag – es hatte in der Nacht geschneit und Emmett und Jasper waren sich nicht zu schade um meine Zerstreuung auszunutzen um mich mit Schneebällen zu bombardieren; als ich mich nicht wehrte, waren sie gelangweilt und bombardierten sich gegenseitig – auf diese übertriebene Wachsamkeit wäre komisch gewesen, wäre es nicht so ärgerlich.

„Sie ist noch nicht hier, aber auf dem Weg den sie hereinkommt… sie wird nicht in Windrichtung sein, wenn wir an unserem Stammplatz sitzen.“

„Natürlich setzten wir uns auf unseren Stammplatz. Hör auf damit, Alice. Du gehst mir auf die Nerven. Es geht mir gut und daran wird sich nichts ändern.“

Sie blinzelte kurz als Jasper ihr auf ihren Stuhl half, und ihre Augen blickten mir endlich ins Gesicht.

„Hmm,“ sagte sie überrascht. „Ich glaube du hast recht.“„Selbstverständlich habe ich recht,“ murmelte ich.Ich hasste es, im Mittelpunkt ihrer Sorgen zu stehen. Plötzlich hatte ich Mitleid mit Jasper als

ich mich daran erinnerte wie wir alle schützend über ihm schwebten. Er erwiderte kurz meinen Blick und grinste.

Nervig, nicht war?Ich schnitt ihm eine Grimasse.War es erst letzte Woche gewesen, dass dieser lange, graue Raum so tödlich stumpf auf mich

gewirkt hat? Dass es sich wie Schlaf, wie ein Koma anfühlte, hier zu sein?Heute waren meine Nerven angespannt – wie die Seiten eines Pianos, gespannt um bei der

kleinsten Berührung zu singen. Meine Sinne waren in äußerster Alarmbereitschaft; ich prüfte jedes Geräusch, jeden Seufzer, jeden Lufthauch der meine Haut berührte, jeden Gedanken. Besonders die Gedanken. Es gab nur einen Sinn den ich unterdrückte. Den Geruchssinn selbstverständlich. Ich atmete nicht.

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Ich erwartete mehr über die Cullens zu hören in den Gedanken die ich durchforstete. Den ganzen Tag wartete ich, suchte nach irgendeiner Erkenntnis die Bella Swan jemandem anvertraut hatte, versuchte zu sehen welche Richtung der neue Klatsch und Tratsch nehmen würde. Aber da war nichts. Niemand beachtete die fünf Vampire in der Cafeteria, es drehte sich immer noch alles um das neue Mädchen. Einige der Menschen hier dachten immer noch an sie, immer noch dieselben Gedanken wie letzte Woche. Doch anstatt es unsagbar langweilig zu finden, war ich fasziniert.

Hatte sie mit niemandem über mich gesprochen?Es war unmöglich dass sie meinen schwarzen, mörderischen Blick nicht bemerkt hatte. Ich

hatte ihre Reaktion darauf gesehen. Sicher hatte ich sie zu Tode erschreckt. Ich war überzeugt gewesen, dass sie es vor irgendwem erwähnt haben musste, vielleicht sogar ausgeschmückt hatte um die Story noch besser zu machen. Mir ein paar bedrohliche Zeilen gab.

Und dann hatte sie ja auch noch mitbekommen wie ich versucht hatte den gemeinsamen Biologiekurs zu wechseln. Sie musste sich gefragt haben, nachdem sie meinen Gesichtsausdruck gesehen hatte, ob sie der Grund dafür war. Ein normales Mädchen hätte sich umgehört, ihr Erfahrungen mit denen der anderen verglichen um Gemeinsamkeiten zu entdecken die mein Benehmen gerechtfertigt hätten, damit sie sich nicht ausgeschlossen fühlte. Menschen wollten unbedingt normal sein, dazugehören. Sich in ihre Umgebung einfügen wie eine nichtssagende Schafherde. Dieses Bedürfnis war bei heranwachsenden ganz besonders ausgeprägt. Dieses Mädchen würde keine Ausnahme dieser Regel sein.

Aber niemand nahm Notiz von uns wie wir hier saßen, an unserem üblichen Tisch. Bella musste außerordentlich schüchtern sein, wenn sie sich niemandem anvertraut hatte. Vielleicht hatte sie mit ihrem Vater gesprochen, möglicherweise war dies die stärkste Bindung… obwohl das unwahrscheinlich war aufgrund der Tatsache, dass sie nur sehr wenig Zeit mit ihm verbracht hatte in ihrem Leben. Sie würde ihrer Mutter näherstehen. Trotzdem sollte ich bald mal bei Chief Swan vorbeischauen und mir anhören was er dachte.

„Irgendetwas neues?“ fragte Jasper.„Nichts. Sie… scheint kein Wort darüber verloren zu haben.“Alle hoben eine Augenbraue bei dieser Neuigkeit.„Vielleicht bis du ja gar nicht so gruselig wie du immer dachtest,“ sagte Emmett kichernd.

„Ich wette ich hätte ihr mehr Angst einjagen können als du.“Ich verdrehte ihm gegenüber meine Augen.„Ich frag mich warum…?“ Er wunderte sich wieder über meine Offenbarung über die

einzigartige Stille dieses Mädchens.„Wir sind damit durch. Ich weiß es nicht.“„Sie kommt rein,“ murmelte Alice. Ich merkte wie mein Körper sich versteifte. „Versuch

menschlich auszusehen.“„Menschlich meinst du?“ fragte Emmett.Er hob seine rechte Faust und dreht seine Finger um den Schneeball hervorzubringen den er

in seiner Handfläche versteckt hatte. Natürlich war er dort nicht geschmolzen. Er hatte ihn zu einem klumpigen Eisbrocken zusammengedrückt. Sein Blick ruhte auf Jasper aber ich sah die Richtung seiner Gedanken. Genau wie Alice. Als er den eisigen Klumpen nach ihr warf, lenkte sie ihn mit einem beiläufigen Fingerschnippen in eine andere Richtung. Das Eis flog quer durch die Cafeteria, zu schnell für menschliche Augen, und zerschmetterte mit einem lauten Krach an der Backsteinwand. Der Stein krachte auch.

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Die Köpfe in der Ecke des Raumes drehten sich alle um auf den kleinen Eisklumpen auf dem Boden zu starren und sich dann nach dem Schuldigen umzusehen. Sie schauten nur ein paar Tische weiter. Niemand sah zu uns.

„Sehr menschlich, Emmett,“ kritisierte Rosalie. „Warum schlägst du nicht gleich ein Loch in die Wand, wenn du schon einmal dabei bist?“

„Es würde beeindruckender aussehen, wenn du das tun würdest, Baby.“Ich versuchte ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken, grinste vor mich hin als wäre ich

Teil ihres Geplänkels. Ich erlaubte mir nicht zu der Schlange zu sehen in der ich wusste, dass sie stand. Aber das war alles wo ich hinhörte.

Ich konnte Jessicas Ungeduld mit der Neuen hören, die abgelenkt schien und bewegungslos in der Reihe stand. Ich sah, in Jessicas Gedanken, dass Bella Swans Wangen wieder rot gefärbt waren von ihrem Blut.

Ich nahm kurze, flache Atemzüge, bereit sofort das Atmen einzustellen, falls auch nur ein Hauch ihres Duftes die Luft in meiner Nähe erreichen sollte.

Mike Newton war bei den beiden Mädchen. Ich hörte seine beiden Stimmen, mental und verbal, als er Jessica fragte, was mit dem Swan-Mädchen los seih. Ich mochte es nicht wie seine Gedanken sich um sie drehten, das Aufflackern bereits hergestellter Fantasien, die seinen Verstand vernebelten, während er sie beobachtete wie sie aus einer Träumerei aufblickte als hätte sie vergessen, dass er da war.

„Gar nichts,“ hörte ich Bella mit dieser leisen, klaren Stimme sagen. Es hörte sich wie das Klingeln einer Glocke an durch das Gebrabbel in der Cafeteria, aber ich wusste, dass das nur daran lag, dass ich so konzentriert zuhörte.

„Ich nehme heute nur eine Limo,“ sagte sie, während sie weiterging um zum Ende der Schlange aufzuschließen.

Ich konnte mich nicht davon abhalten ihr einen kurzen Blick zuzuwerfen. Sie starrte auf den Fußboden, das Blut schwand langsam aus ihrem Gesicht. Schnell wandte ich meinen Blick ab, zu Emmett, der jetzt über das schmerzverzerrte Lächeln in meinem Gesicht lachte.

Du siehst krank aus, Bruder.Ich arrangierte meinen Gesichtsausdruck, damit er leicht und lässig wirkte.Jessica wunderte sich über die Appetitlosigkeit des Mädchens. „Bist du nicht hungrig?“„Ehrlichgesagt, ist mir im Moment ein bisschen schlecht.“ Ihre Stimme war leiser, aber immer

noch sehr klar.Warum störten mich die beschützerischen Bedenken die plötzlich von Mikes Gedanken

ausstrahlten? Was machte es schon, dass da ein Besitzergreifender Ton in ihnen lag? Es war nicht meine Angelegenheit, wenn Mike Newton sich unnötigerweise um sie sorgte. Vielleicht war das die Art wie jeder auf sie reagierte. Hatte ich sie nicht auch instinktiv beschützen wollen? Bevor ich sie töten wollte…

Aber war das Mädchen krank?Es war schwer zu beurteilen – sie sah so delikat aus mit ihrer transparenten Haut… Dann

bemerkte ich, dass ich mich auch um sie sorgte, genau wie dieser dämliche Junge, und ich zwang mich, nicht über ihre Gesundheit nachzudenken.

Abgesehen davon mochte ich es nicht, sie durch Mikes Gedanken zu beobachten. Also wechselte ich zu Jessicas und schaute genau zu während die drei sich einen Tisch aussuchten. Glücklicherweise setzen sie sich zu Jessicas üblicher Gesellschaft an einen der ersten Tische des Raumes. Nicht in Windrichtung, genau wie Alice versprochen hatte.

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Alice stieß mich mit ihrem Ellenbogen an. Sie wird bald herübersehen. Benimm dich menschlich.

Hinter meinem Grinsen biss ich die Zähne zusammen.„Beruhig dich, Edward,“ sagte Emmett. „Mal ehrlich. Dann tötest du halt einen Menschen.

Das ist wohl kaum das Ende der Welt.“„Wer weiß,“ murmelte ich.Emmett lachte. „Du musst lernen über Dinge hinwegzukommen. Wie ich. Die Ewigkeit ist eine

lange Zeit um in Schuldgefühlen zu versinken.“Genau in dem Moment, schleuderte Alice eine kleinere Handvoll eis, die sie versteckt hatte,

in Emmetts unerwartetes Gesicht.Er blinzelte überrascht und dann grinste er in Erwartung.„Du hast es nicht anders gewollt,“ sagte er als er sich vorbeugte und seine schneebedeckten

Haare in ihre Richtung schüttelte. Der Schnee, der in dem warmen Raum bereits zu schmelzen begann, flog in einem dicken Schauer aus Wasser und Eis aus seinen Haaren.

„Iiih!“ kreischte Rosalie, als sie und Alice vor den Tropfen zurückwichen.Alice lachte und wir alle stimmten mit ein. Ich konnte in Alice Gedanken sehen wie sie diesen

perfekten Moment dirigiert hatte und ich wusste, dass das Mädchen – ich sollte aufhören auf diese Art an sie zu denken, als wäre sie das einzige Mädchen auf der Welt – dass Bella uns zusah wie wir lachten und spielten, wir sahen so glücklich und menschlich und unrealistisch ideal aus wie ein Norman Rockwell Gemälde.

Alice lachte weiter und hielt ihr Tablett als Schild vor ihr Gesicht. Das Mädchen – Bella musste immer noch zu uns herüber sehen.

…starrt wieder zu den Cullens, dachte jemand und erregte meine Aufmerksamkeit.Automatisch reagierte ich auf diesen unbeabsichtigten Ruf, und bemerkte, als meine Augen

ihr Ziel fanden, dass ich die Stimme kannte – Ich hatte ihr heute schon so oft zugehört.Aber meine Augen glitten an Jessica vorbei, zu dem durchdringenden Blick des Mädchens.Schnell senkte sie ihren Blick und versteckte sich wieder hinter ihren dicken Haaren.Was dachte sie? Die Frustration wurde mit der Zeit immer größer anstatt abzustumpfen. Ich

versuchte – unsicher darüber was ich da tat, da ich es nie zuvor getan hatte – mit meinen Gedanken die Stille um sie herum zu erforschen. Meine Gabe war immer ganz natürlich zu mir gekommen, ohne dass ich danach fragen musste; ich musste nie daran arbeiten. Aber jetzt konzentrierte ich mich um das Schild zu durchbrechen, dass sie umgab.

Nichts als Stille.Was hat sie nur an sich? Dachte Jessica und spiegelte meine eigene Frustration wieder.„Edward Cullen starrt dich an,“ flüsterte sie in dem Swan-Mädchen ins Ohr und kicherte. In

ihrem Ton lag kein Anzeichen ihrer Eifersucht. Jessica schien gut darin zu sein Freundschaften vorzutäuschen.

Ich lauschte angestrengt auf die Antwort des Mädchens.„Er sieht aber nicht sauer aus, oder?“ flüsterte sie zurück.Also hatte sie meine wilde Reaktion letzte Woche bemerkt. Natürlich hatte sie das.Die Frage verwirrte Jessica. Ich sah mein Gesicht in ihren Gedanken als sie meinen Ausdruck

überprüfte, aber ich traf nicht ihren Blick. Ich konzentrierte mich immer noch auf das Mädchen und versuchte irgendetwas zu hören. Meine starke Konzentration schien nicht zu helfen.

„Nein,“ teilte ihr Jess mit und ich wusste, dass sie sich wünschte, sie hätte ja sagen können – wie mein Blick sie wurmte – aber davon war keine Spur in ihrer Stimme. „Wieso sollte er?“

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„Ich glaube, er kann mich nicht leiden,“ flüsterte das Mädchen zurück und legte ihren Kopf auf ihren Arm als wäre sie plötzlich müde. Ich versuchte die Bewegung zu verstehen aber ich konnte nur raten. Vielleicht war sie müde.

„Die Cullens können niemanden leiden,“ versicherte ihr Jess. „Naja, eigentlich beachten sie niemanden genug um ihn leiden zu können.“ Jedenfalls bis jetzt nicht. Ihre Gedanken waren ein klagendes grummeln. „Obwohl – er schaut dich immer noch an.“

„Hör auf, ihn anzugucken,“ sagte das Mädchen ängstlich und hob den Kopf von ihrem Arm um sicherzugehen, dass Jessica ihrer Bitte nachkam.

Jessica kicherte, tat aber was ihr gesagt wurde.Für den Rest der Stunde sah das Mädchen nicht mehr von ihrem Tisch auf. Ich dachte –

obwohl ich natürlich nicht sicher sein konnte – dass es Absicht war. Es wirkte so als ob sie zu mir herüber sehen wollte. Ihr Körper würde sich leicht in meine Richtung bewegen, ihr Kinn würde sich drehen, und dann würde sie sich dabei erwischen, tief einatmen und stur zu demjenigen starren der gerade sprach.

Ich ignorierte den Großteil der Gedanken um sie herum, da sie im Moment nicht von ihr handelten. Mike Newton plante eine Schneeballschlacht nach der Schule auf dem Parkplatz und bemerkte nicht, dass der Schnee sich in Regen verwandelt hatte. Das rieseln der Schneeflocken auf dem Dach war zu dem üblichen trommeln von Regentropfen geworden. Konnte er die Veränderung wirklich nicht hören? Für mich hörte es sich sehr laut an.

Als die Mittagspause zu Ende ging, blieb ich auf meinem Stuhl sitzen. Die Menschen strömten hinaus und ich erwischte mich dabei wie ich versuchte ihre Schritte von denen der anderen zu unterscheiden, als ob da etwas Wichtiges oder Unnormales an ihnen wäre. Wie dumm.

Meine Familie machte auch keine Anstalten sich zu bewegen. Sie warteten ab, was ich tun würde.

Würde ich in den Klassenraum gehen, mich neben das Mädchen setzen, wo ich den starken Duft ihres Blutes riechen und die Wärme ihres Pulses in der Luft auf meiner Haut spüren konnte? War ich stark genug dafür? Oder hatte ich genug für heute?

„Ich… denke es ist okay,“ sagte Alice zögernd. „Dein Geist ist bestimmt. Ich denke du überstehst die Stunde.“

Aber Alice wusste nur zu gut wie schnell ein Geist sich ändern konnte.„Warum das Glück herausfordern, Edward?“ fragte Jasper. Er wollte sich nicht selbstgefällig

fühlen, weil ich jetzt der Schwache war, aber ich konnte hören, dass er es ein bisschen tat. „Geh nach Hause. Geh es langsam an.“

„Was ist schon groß dabei?“ wiedersprach Emmett. „Entweder er tötet sie oder eben nicht. So oder so muss er es hinter sich bringen.“

„Ich will noch nicht wieder umziehen,“ beschwerte sich Rosalie. „Ich will nicht von vorn anfangen. Wir sind fast fertig mit der High School Emmett. Endlich.“

Ich war hin und hergerissen in meiner Entscheidung. Ich wollte, wollte wirklich dem Problem gegenübertreten, statt schon wieder davon zu laufen. Aber ich wollte auch nicht zu weit gehen. Es war ein Fehler von Jasper letzte Woche zur Schule zu gehen obwohl er so lange nicht auf der Jagd gewesen war; war das hier jetzt ein genauso sinnloser Fehler?

Ich wollte meine Familie nicht entwurzeln. Niemand von ihnen würde mir dafür danken.Aber ich wollte in meinen Biologiekurs gehen. Ich bemerkte, dass ich ihr Gesicht wiedersehen

wollte.Das war es das mich meine Entscheidung treffen lies. Dieses Merkwürdige Verlangen. Ich war

wütend auf mich weil ich so fühlte. Hatte ich mir nicht geschworen, dass die Stille der Gedanken

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dieses Mädchens nicht unnötigerweise mein Interesse wecken würde? Und hier stand ich nun, vollkommen unnötig interessiert.

Ich wollte wissen, was sie dachte. Ihr Kopf war verschlossen, aber ihre Augen waren geöffnet. Vielleicht konnte ich sie lesen.

„Nein, Rose, ich glaube wirklich, dass es ok ist,“ sagte Alice. „Es… wird beständiger. Ich bin mir zu 93% sicher, dass nichts Schlimmes passieren wird, wenn er in seinen Biologiekurs geht.“ Sie sah mich neugierig an, wunderte sich, welche Veränderung in meinen Gedanken ihre Zukunftsvision sicherer gemacht hatte.

Würde Neugierde ausreichen um Bella Swan am Leben zu erhalten?Emmett hatte irgendwie recht – warum es nicht einfach hinter sich bringen, so oder so? Ich

würd der Versuchung gegenübertreten.„Zum Unterricht, also,“ ordnete ich an und erhob mich von meinem Platz. Ich wandte mich

ab und verließ die Cafeteria ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich konnte Alices sorgen hören, Jaspers Tadel, Emmetts Anerkennung und Rosalies Verärgerung.

Vor der Tür des Klassenraumes atmete ich ein letztes Mal tief ein und dann hielt ich die Luft an, während ich den kleinen warmen Raum betrat.

Ich war nicht zu spät. Mr. Banner rüstete sich noch für den bevorstehenden Unterricht. Das Mädchen saß an meinem – an unserem Tisch, den Kopf gesenkt und starrte auf den Ordner den sie vollkritzelte. Ich begutachtete die Zeichnung als ich näherkam, sogar interessiert an dieser trivialen Kreation ihres Geistes, aber es war nichtssagend. Nur ein wiederholtes kritzeln von Kringel zu Kringel. Vielleicht konzentrierte sie sich gar nicht auf das Muster, sondern dachte an etwas anderes?

Ich zog meinen Stuhl unnötig grob zurück und ließ ihn über das Linoleum kratzen; Menschen fühlten sich wohler wenn ein Geräusch das Erscheinen von jemandem ankündigte.

Ich wusste, dass sie das Geräusch gehört hatte; sie sah nicht auf, aber ihre Hand ließ einen Kringel in der Zeichnung aus und machte sie unsymmetrisch.

Warum sah sie nicht auf? Vielleicht hatte sie Angst. Ich musste sichergehen, dass sie einen anderen Eindruck von mir hatte, wenn sie später ging. Musste sie glauben machen, dass sie sich alles nur eingebildet hatte.

„Hallo,“ sagte ich mit der ruhigen Stimme die ich benutze, wenn ich wollte, dass die Menschen sich in meiner Gegenwart wohlfühlten und formte ein freundliches Lächeln mit meinen Lippen, das keinen meiner Zähne entblößte.

Sie sah auf, ihre großen brauen Augen erstarrten – fast perplex – und voller stummer Fragen. Es war derselbe Ausdruck der meine Sicht die ganze letzte Woche blockiert hatte.

Als ich in diese seltsam tiefen braunen Augen blickte, merkte ich dass sich der Hass – der Hass von dem ich dachte, dass dieses Mädchen ihn verdiente nur weil sie existierte – in Luft aufgelöst hatte. Jetzt bloß nicht atmen, nicht ihren Duft schmecken, es war schwer vorstellbar, dass jemand so verletzliches Hass verdiente.

Ihre Wangen wurden rot und sie sagte nichts.Ich schaute ihr weiterhin in die Augen, konzentrierte mich nur auf die fragenden Zweifel und

versuchte die appetitliche Farbe ihrer Haut zu ignorieren. Ich hatte genug Atem um noch eine Weile weiter zu sprechen ohne einatmen zu müssen.

„Meine Name ist Edward Cullen,“ sagte ich obwohl ich wusste, dass sie das wusste. Es war höflich so zu beginnen. „Ich bin letzte Woche nicht dazu gekommen mich vorzustellen. Du must Bella Swan sein.“

Sie wirkte verwirrt – da war die kleine Falte zwischen ihren Augen wieder. Sie brauchte eine halbe Sekunde länger als gewöhnlich um zu antworten.

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„Woher kennst du meinen Namen?“ fragte sie und ihre Stimme zitterte nur ganz leicht.Ich muss ihr wirklich Angst eingejagt haben. Ich fühlte mich schuldig; Sie war so Schutzlos. Ich

lachte freundlich – ein Geräusch von dem ich wusste, dass es Menschen half sich behaglich zu fühlen. Wieder war ich vorsichtig mit meinen Zähnen.

„Oh, ich würde sagen alle hier wissen wie du heißt.“ Sie muss doch bemerkt haben, dass sie zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit an diesem monotonen Ort geworden war. „Die ganze Stadt hat auf deine Ankunft gewartet.“

Sie runzelte die Stirn, als ob ihr diese Information unangenehm war. Ich vermutet, so schüchtern wie sie wohl war, musste Aufmerksamkeit etwas Schlechtes für sie sein. Die meisten Menschen empfanden das Gegenteil. Obwohl sie nicht aus der Herde austreten wollten, krochen sie gleichzeitig zum Scheinwerferlicht um ihre individuelle Uniformität zu präsentieren.

„Nein,“ sagte sie. „Ich meine, warum hast du mich Bella genannt?“„Ist dir Isabella lieber?“ fragte ich verwirrt aufgrund der Tatsache, dass ich nicht sehen

konnte wo die Frage hinführte. Ich verstand es nicht. Sie hatte ihre Vorliebe am ersten Tag mehrmals klar gemacht. Waren alle Menschen so unergründlich ohne den geistigen Zusammenhang als Hilfe?

„Nein, ich mag Bella,“ antwortete sie und legte ihren Kopf leicht zur Seite. Ihr Gesichtsausdruck – wenn ich ihn richtig las – war hin und hergerissen zwischen Scham und Irritation. „Aber ich glaube dass Charlie – ich meine mein Dad –mich anscheinend hinter meinem Rücken Isabelle nennt. Jedenfalls scheint mich hier jeder unter diesem Namen zu kennen.“ Ihr Gesicht wurde einen Rotton dunkler.

„Oh,“ sagte ich lahm und drehte mich schnell weg.Plötzlich hatte ich verstanden, worauf ihre Frage abzielte: Ich hatte einen Ausrutscher

gemacht – einen Fehler. Wenn ich die anderen Schüler am ersten Tag nicht belauscht hätte, hätte ich sie automatisch mit ihrem vollen Namen angesprochen, wie alle anderen auch. Ihr war der Unterschied aufgefallen.

Ich fühlte ein stechendes Unbehagen. Mein Ausrutscher war ihr sehr schnell aufgefallen. Sehr scharfsinnig, besonders für jemanden, der in meiner Nähe Angst verspüren sollte.

Aber ich hatte größere Probleme als die Frage was für Gedanken sie über mich in ihrem Kopf verschloss.

Ich hatte keine Luft mehr. Wenn ich weiter mit ihr reden wollte, musste ich einatmen.Es würde schwer sein nicht zu reden. Unglücklicherweise, für sie, machte der gemeinsame

Tisch sie zu meinem Versuchspartner und wie würden heute zusammen arbeiten müssen. Es würde seltsam aussehen – und unglaublich unhöflich – wenn ich sie während des Versuchs ignorieren würde. Es würde sie noch misstrauischer, noch ängstlicher machen…

Ich lehnte mich soweit von ihr weg wie es möglich war ohne meinen Stuhl wegzuschieben und drehte meinen Kopf zum Gang. Ich stütze mich ab, spannte meine Muskeln an und nahm einen schnellen Atemzug indem ich nur durch meinen Mund atmete.

Ah!Es war wirklich schmerzhaft. Selbst wenn ich sie nicht roch, konnte ich sie auf meiner Zunge

schmecken. Meine Kehle stand plötzlich wieder in Flammen, das Verlangen war genauso stark wie letzte Woche in dem Moment als ich ihren Duft das erste Mal aufgeschnappt hatte.

Ich presste die Zähne zusammen und versuchte mich zusammenzureißen.„Die Zeit läuft,“ gab Mr. Banner den Startschuss.Es fühlte sich an, als müsste ich jedes kleine bisschen Selbstkontrolle aufbringen, dass ich mir

in siebzig Jahren erarbeitet hatte um sie ansehen zu können. Sie starrte vor sich auf den Tisch und lächelte.

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„Ladies first?“ bot ich ihr an.Sie sah auf und ihr Gesicht wurde ausdruckslos und ihre Augen weiteten sich. Stimmte etwas

nicht mit meinem Gesichtsausdruck? Hatte ich ihr wieder Angst gemacht? Sie sagte nichts.„Ich kann auch anfangen, wenn du willst,“ sagte ich leise.„Nein,“ sagte sie und ihr Gesicht lief wieder rot an. „Ich mach schon.“Ich starrte das Material auf dem Tisch an, das Mikroskop, die Schachtel mit den Präparaten –

besser als zuzusehen wie das Blut unter ihrer blassen Haus zirkulierte. Ich nahm einen weiteren hastigen Atemzug durch meine Zähne und zuckte zusammen unter den Schmerzen die ihr Geschmack in meiner Kehler verursachte.

„Prophase,“ sagte sie nach einem kurzen Blick durch das Mikroskop. Sie wollte das Präparat schon entfernen obwohl sie kaum darauf geschaut hatte.

„Lässt du mich auch einen Blick darauf werfen?“ Instinktiv – dämlich, als wäre ich einer von ihnen – griff ich nach ihrer Hand um sie daran zu hindern, das Präparat zu entfernen. Für eine Sekunde brannte ihre Haut auf meiner. Es war wie ein elektrischer Impuls – heißer als 89,6 Grad. Die Hitze schoss durch meine Hand meinen Arm hinauf. Hastig zog sie ihre Hand unter meiner zurück.

„Entschuldigung,“ murmelte ich durch meine zusammengebissenen Zähne. Ich brauchte etwas wo ich hingucken konnte, also starrte ich kurz durch das Okular des Mikroskops. Sie hatte recht.

„Prophase,“ stimmte ich ihr zu.Ich war immer noch zu verstört um sie anzusehen. Ich ignorierte den brennenden Durst als

ich so leise wie möglich durch meine Zähne einatmete und konzentrierte mich auf die Aufgabe während ich das Wort in der richtigen Stelle des Arbeitsblattes eintrug und anschließend das Präparat austauschte.

Was dachte sie jetzt? Wie hat es sich für sie angefühlt als ich ihre Hand berührte? Meine Haut muss eiskalt gewesen sein – abstoßend. Kein Wunder dass sie so still war.

Ich streifte das Präparat mit einem Blick.„Anaphase,“ sagte ich mehr zu mir selbst als ich es in der nächsten Zeile eintrug.„Darf ich?“ fragte sie.Ich sah auf und war überrascht zu sehen, dass sie eine Hand erwartungsvoll nach dem

Mikroskop ausgestreckt hatte. Sie sah nicht verängstigt aus. Dachte sie wirklich meine Antwort wäre falsch?

Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich den Hoffnungsvollen Blick sah mit dem sie das Mikroskop entgegennahm.

Sie schaute durch das Okular mit einem Eifer, der sich schnell wieder auflöste. Ihre Mundwinkel senkten sich.

„Präparat Nr. drei?“ fragte sie ohne von dem Mikroskop aufzusehen und hielt ihre Hand auf. Ich lies es in ihre Hand fallen, darauf bedacht sie nicht noch einmal zu berühren. Neben ihr zu sitzen war wie neben einem Heizstrahler zu sitzen. Ich konnte fühlen wie meine Temperatur leicht anstieg.

Sie sah sich das Präparat nicht sehr lange an. „Interphase,“ sagte sie lässig – vielleicht versuchte sie etwas zu lässig zu klingen – und schob mir das Mikroskop zu. Sie berührte das Arbeitsblatt nicht und wartet stattdessen darauf, dass ich die Antwort eintrug. Ich überprüfte ihre Antwort kurz – sie hatte wieder recht.

Wir beendeten die Übung auf diese Weise, sprachen nur das Nötigste und sahen uns nicht an. Wir waren als erstes fertig – die anderen hatten mehr Probleme mit dem Versuch. Mike Newton hatte Probleme sich zu konzentrieren – er versuchte Bella und mich zu beobachten.

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Ich wünschte er wäre da geblieben wo auch immer er gewesen ist, dachte Mike und beobachtet mich wütend. Hmm, interessant. Ich wusste nicht, dass dieser Junge irgendeine Abneigung gegen mich hegte. Das war eine ganz neue Entwicklung, genau so neu wie die Ankunft des Mädchens. Aber was ich noch interessanter fand – zu meiner Überraschung – diese Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit.

Ich sah wieder zu dem Mädchen, verwirrt von der großen Spanne von Chaos und Umbruch die sie trotz ihres gewöhnlichen unbedrohlichen Auftretens in meinem Leben verursacht hatte.

Es war nicht so, dass ich nicht nachvollziehen konnte, was in Mike vorging. Sie war ehrlichgesagt ziemlich hübsch… auf eine ungewöhnliche Art und Weise. Ihr Gesicht war mehr interessant als schön. Nicht gerade symmetrisch – ihr schmales Kinn passte nicht zu ihren breiten Wangenknochen; Extreme Farben – der hell/dunkel Kontrast zwischen ihrer Haut und ihren Haaren; und dann waren da noch die Augen die übersprudelten vor lauter stillen Geheimnissen…

Augen die sich plötzlich in mich bohrten.Ich starrte zurück und versuchte wenigstens eins dieser Geheimnisse zu ergründen.„Hast du Kontaktlinsen bekommen?“ fragte sie auf einmal.Was für eine seltsame Frage. „Nein.“ Ich musste fast lachen bei der Vorstellung, ich müsste

mein Sehstärke verbessern.„Oh,“ nuschelte sie. „Ich hatte das Gefühl dass deine Augen irgendwie anders sind.“Ich fühlte mich plötzlich wieder kälter als ich verstand, dass ich offensichtlich nicht der

einzige war der heute Geheimnisse aufdeckte.Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich in die Richtung wo der Lehrer seine Runden

zog.Natürlich sahen meine Augen anders aus seit sie sie das letzte Mal gesehen hatte. Um mich

auf die Tortur, auf das Verlangen heute vorzubereiten, hatte ich das ganze Wochenende damit verbracht zu jagen, meinen Durst so gut es ging zu stillen, zu übersättigen. Ich überfüllte mich mit dem Blut von Tieren, nicht dass es viel geändert hatte wenn ich wieder dem Duft gegenüberstand, der die Luft um sie herum füllte. Als ich sie das letzte Mal angesehen hatte, waren meine Augen schwarz vor Durst. Jetzt wo mein Körper mit Blut gefüllt war, hatten meine Augen einen warmen Goldton. Bernsteinfarben von meinem exzessiven Versuch meinen Durst zu stillen.

Noch ein Ausrutscher. Wenn ich gesehen hätte, was sie mit ihrer Frage meinte, hätte ich einfach ja gesagt.

Seit zwei Jahren saß ich nun zwischen den Menschen in dieser Schule, und sie war die erste die mich intensiv genug beobachtet hatte um den Unterschied meiner Augenfarbe zu bemerken. Die anderen schauten sofort weg, wenn wir die Blicke erwiderten die sie uns zuwarfen weil sie Schönheit meiner Familie bewunderten. Sie scheuen zurück, blockieren die Details unsere Erscheinung in dem instinktiven Bestreben besser nicht zu verstehen. Ignoranz war der Segen des menschlichen Geistes.

Warum musste es ausgerechnet dieses Mädchen sein, das zu viel sah?Mr. Banner erreichte unseren Tisch. Dankbar inhalierte ich den frischen Windzug den er

mitbrachte und der noch nicht von ihrem Duft getränkt war.„Edward,“ sagte er mit dem Blick auf unseren Antworten. „Meinst du nicht Isabella hätte

auch ein wenig am Mikroskop üben sollen?“„Bella“ korrigierte ich reflexartig. „Um ehrlich zu sein, drei der fünf hat sie identifiziert.“Mr. Banners Gedanken waren skeptisch, als er sich dem Mädchen zuwandte. „Hast du die

Übung schon mal gemacht?“Ich beobachtete sie, vertieft in ihr lächeln, dass ein wenig peinlich berührt aussah.„Nicht mit Zwiebelwurzeln.“

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„Mit Fisch-Blastula?“ riet Mr. Banner.„Ja.“Das überraschte ihn. Die heutige Übung hatte er von einem fortgeschritteneren Kurs

übernommen. Er nickte dem Mädchen gedankenverloren zu. „Warst du in Phoenix in einem College-Vorbereitungskurs?“

„Ja.“Sie war also fortgeschritten, intelligent für einen Menschen. Das überraschte mich nicht.„Naja,“ sagte Mr. Banner und schürzte seine Lippen. „Vielleicht ist es ganz gut, dass ihr

zusammensitzt.“ Er drehte sich um und nuschelte „Dann bekommen die anderen Kids die Chance selbst etwas zu lernen,“ vor sich hin. Ich bezweifelte, dass das Mädchen das gehört hatte. Sie begann wieder Kringel auf ihren Ordner zu malen.

Zwei Ausrutscher in einer halben Stunde. Eine ganz miserable Vorstellung von meiner Seite. Obwohl ich immer noch keine Ahnung hatte, was das Mädchen von mir dachte – wie viel Angst hatte sie, wie viel ahnte sie? – wusste ich dass ich mich noch mehr anstrengen musste um einen guten Eindruck bei ihr zu hinterlassen. Irgendwie musste ich ihre Erinnerung an unsere letzte grausame Begegnung ertränken.

„Schade um den Schnee, nicht war?“ wiederholte ich den Smalltalk, den duzende von Schülern schon geführt hatten. Ein langweiliges Gesprächsthema. Das Wetter – ein sicheres Thema.

Sie starrte mich zweifelnd an – eine unnormale Reaktion auf meine normale Frage. „Nicht wirklich,“ sagte sie und überraschte mich schon wieder.

Ich versuchte die Unterhaltung wieder auf einen banalen Pfad zu lenken. Sie kam aus einer warmen, helleren Gegend – ihre Haut strahlte das irgendwie aus – die Kälte musste unangenehm sein für sie. Genau wie meine eisige Berührung…

„Du magst die Kälte nicht,“ nahm ich an.„Genau wie die Nässe,“ stimmte sie mir zu.„Es muss schwer für dich sein, in Forks zu leben.“ Vielleicht hättest du nicht herkommen

sollen, wollte ich noch hinzufügen. Vielleicht solltest du dahin zurückgehen wo du hingehörst.Aber ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich wollte. Ich würde mich immer an den Duft

ihres Blutes erinnern – gab es eine Garantie dafür, dass ich ihr nicht folgen würde? Abgesehen davon, wenn sie wieder wegging würden ihre Gedanken für immer ein Geheimnis bleiben. Ein quälendes ungelöstes Puzzel.

„Du hast ja keine Ahnung,“ sagte sie mit schwacher Stimme und blickte für einen Moment gedankenverloren an mir vorbei.

Ihre Antworten waren nie das, was ich erwartet hatte. Sie veranlassten mich dazu mehr Fragen zu stellen.

„Warum bist du dann hierher gekommen?“ hakte ich nach, und merkte sofort, dass mein Tonfall anklagend klang, nicht lässig genug für diese Unterhaltung. Die Frage klang unhöflich, neugierig.

„Es ist… kompliziert.“Sie blinzelte kurz mit ihren großen Augen und beließ es dabei. Ich platzte fast vor Neugierde

– die Neugierde brannte genauso heiß wie der Durst in meiner Kehle. Ehrlichgesagt, wurde es langsam einfacher zu atmen; die Qual wurde erträglicher durch die Vertrautheit.

„Ich denke, ich werd's verstehen,“ beharrte ich. Vielleicht würde normale Neugierde sie dazu bringen meine Fragen so lange zu beantworten, wie ich unhöflich genug war, sie zu stellen.

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Sie schwieg und starrte auf ihre Hände. Das machte mich ungeduldig; ich wollte meine Hand unter ihr Kinn legen und ihren Kopf anheben, damit ich in ihren Augen lesen konnte. Aber das wäre dumm von mir – gefährlich – ihre Haut noch einmal zu berühren.

Plötzlich sah sie auf. Es war eine Erleichterung die Gefühle wieder in ihren Augen sehen zu können. Sie sprach schnell, ratterte die Wörter herunter.

„Meine Mutter hat wieder geheiratet.“Ah, das war sehr menschlich, leicht zu verstehen. Sie senkte betrübt ihre klaren Augen und

die kleine Falte erschien wieder zwischen ihnen.„Das hört sich nicht so kompliziert an,“ sagte ich. Meine Stimme war freundlich ohne dass ich

groß etwas dazu beitragen musste. Ihre Betrübnis machte mich seltsam hilflos und ich wünschte mir ich könnte irgendetwas für sie tun. Ein merkwürdiger Impuls. „Wann war das?“

„Letzten September.“ Sie atmete tief aus – nicht wirklich ein Seufzen. Ich hielt die Luft an, als ihr warmer Atem mein Gesicht berührte.

„Und du magst ihn nicht.“ Vermutete ich in der Hoffnung mehr Informationen zu bekommen.„Nein, Phil ist schon ok,“ sagte sie und korrigierte meine Annahme. Die Andeutung eines

Lächelns umspielte ihre vollen Lippen. „Ein bisschen zu jung vielleicht, aber nett.“Das passte nicht zu der Situation die ich mir ausgemalt hatte.„Warum bist du nicht bei ihnen geblieben?“ fragte ich etwas zu neugierig. Es klang naseweis.

Was ich zugegebenermaßen ja auch war.„Phil reist sehr viel. Er spielt Profi-Baseball.“ Das kleine Lächeln trat nun deutlicher hervor;

diese Berufswahl amüsierte sie.Ich lächelte auch ohne dass ich es beabsichtigt hätte. Ich versuchte gar nicht ihr ein

behagliches Gefühl zu vermitteln. Ihr Lächeln bewirkte, dass ich zurücklächeln wollte – um ehrlich zu sein.

„Kenne ich ihn?“ Ich arbeitete die Liste aller Profi Baseballer im Kopf ab und fragte mich, welcher Phil ihrer war…

„Eher nicht. So gut spielt er nicht.“ Wieder ein Lächeln. „Zweite Liga. Er wechselt ständig.“Die Liste in meinem Kopf veränderte sich und ich tabellierte eine Liste anderer Möglichkeiten

in weniger als einer Sekunde. Zur selben Zeit, malte ich mir die neue Situation aus.„Und deine Mutter hat dich hierher geschickt, damit sie mit ihm reisen kann,“ sagte ich.

Spekulationen schienen mehr Informationen aus ihr herauszubekommen als meine Fragen vorher. Es klappte wieder. Sie schob ihr Kinn vor und ihr Gesichtsausdruck war plötzlich starsinnig.

„Nein, sie hat mich nicht geschickt,“ sagte sie und ihre Stimme klang hart. Meine Annahme hatte sie aufgebracht, obwohl ich nicht verstand, warum. „Ich hab mich selbst geschickt.“

Ich verstand die Bedeutung nicht und auch nicht den Grund für ihren Groll. Ich war gänzlich verloren.

Also gab ich auf. Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem Mädchen. Sie war nicht wie anderen Menschen. Vielleicht waren die Stille ihrer Gedanken und ihr verlockender Duft nicht die einzigen Dinge die anders an ihr waren.

„Das verstehe ich nicht,“ gab ich zu und hasste es, das einzugestehen.Sie seufzte und schaute mir in die Augen, länger als nahezu jeder normale Mensch es

geschafft hätte.„Zuerst blieb sie bei mir aber sie hat ihn vermisst,“ erklärte sie langsam, ihr Tonfall hörte sich

mit jedem Wort einsamer an. „Es hat sie unglücklich gemacht… also habe ich mich dazu entschlossen, etwas mehr Zeit mit Charlie zu verbringen.“

Die kleine Falte zwischen ihren Augen wurde tiefer.

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„Und jetzt bist du unglücklich,“ murmelte ich. Ich könnte nicht damit aufhören meine Hypothesen laut auszusprechen in der Hoffnung aus ihren Reaktion zu lernen. Diese, wie auch immer, schien nicht allzu weit von der Wahrheit entfern zu sein.

„Und?“ sagte sie, als wäre das ein Aspekt der nicht berücksichtigt werden müsse.Ich starrte ihr weiter in die Augen und merkte dass ich nun endlich meinen ersten echten

kleinen Einblick in ihre Seele bekommen hatte. In diesem einen Wort sah ich, welchen Platz sie sich auf ihrer Prioritätenskala einräumte. Anders als bei anderen Menschen, standen ihre eigenen Bedürfnisse ganz weit unten auf der Liste.

Sie war selbstlos.Als mir das bewusst wurde begann sich das Geheimnis um diese Person die sich hinter

stummen Gedanken versteckte ein wenig zu lüften.„Das klingt nicht gerade fair,“ sagte ich. Lässig zuckte ich mit den Schultern um meine

Neugierde zu verbergen.Sie lachte, aber es klang nicht amüsiert. „Hat dir das noch keiner gesagt? Das Leben ist nicht

fair.“Ich wollte über ihre Worte lachen, obwohl auch ich nicht amüsiert war. Ich wusste ein kleines

bisschen was über die Ungerechtigkeit im Leben. „Ich denke, das habe ich schon mal irgendwo gehört.“

Sie starrte mich an und wirkte wieder verwirrt. Ihre Augen flackerten und dann trafen sie meine wieder.

„Das ist alles,“ sagte sie mir.Aber ich war noch nicht bereit, diese Unterhaltung zu beenden. Das kleine V zwischen ihren

Augen, ein Anzeichen von Sorge, störte mich. Ich wollte es mit meinen Fingerspitzen glattstreichen. Aber selbstverständlich konnte ich sie nicht berühren. Es war in so vielerlei Hinsicht nicht sicher.

„Du überspielst das ziemlich gut.“ Ich sprach langsam, erwog immer noch die nächste Hypothese. „Aber ich wette du leidest mehr als du irgendjemandem zeigst.“

Sie verzog das Gesicht, ihre Augen verengten sich, ihre Lippen formten einen Schmollmund und sie wandte sich wieder nach vorn zum Lehrerpult. Sie mochte es nicht, wenn ich richtig riet. Sie war kein typischer Märtyrer – sie wollte kein Publikum für ihren Schmerz.

„Habe ich unrecht?“Sie wich leicht zurück, aber tat so als hätte sie mich nicht gehört.Ich musste lächeln. „Ich denke nicht.“„Warum interessiert dich das überhaupt?“ verlangte sie zu wissen und starrte mich wieder

an.„Das ist eine gute Frage.“ Gab ich zu, mehr zu mir selbst statt als Antwort.Ihr Urteilsvermögen war besser als meins – sie sah den Kern der Dinge während ich am Rand

herum zappelte und blind die Anhaltspunkte durchsiebte. Die Details ihres menschlichen Lebens sollten mich nicht interessieren. Es war falsch von mir mich um ihre Gedanken zu sorgen. Abgesehen vom Schutz meiner Familie waren menschliche Gedanken bedeutungslos.

Ich war es nicht gewohnt der weniger intuitiver Part einer Beziehung zu sein. Ich verließ mich zu sehr auf mein besonderes Gehör – ich war nicht so scharfsinnig wie ich immer dachte.

Das Mädchen seufzte und blickte wieder nach vorne. Irgendetwas an ihrem frustrierten Gesichtsausdruck war belustigend. Die ganze Situation, die ganze Unterhaltung war belustigend. Niemand befand sich jemals in größerer Gefahr vor mir als diese kleine Mädchen – jeden Moment, abgelenkt von dieser lächerlichen Konversation, konnte ich durch meine Nase einatmen, die

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Beherrschung verlieren und sie anfallen – und sie war irritiert weil ich ihre Frage nicht beantwortet hatte.

„Nerve ich dich?“ fragte ich und schmunzelte über die Lächerlichkeit des ganzen.Sie warf mir einen flüchtigen Blick zu und dann schienen ihre Augen von meinen gefangen.„Nicht wirklich,“ erklärte sie mir. „Ich bin von mir selbst genervt. Mein Gesicht ist so einfach

zu lesen – meine Mutter nennt mich immer ihr offenes Buch.“Verärgert runzelte sie die Stirn.Ich starrte sie erstaunt an. Sie war verärgert weil ich sie zu leicht durchschaute. Wie bizarr. Es

hat mich in meinem ganzen Leben noch nie so viel Aufwand gekostet um jemanden zu verstehen – oder besser Existenz, Leben war wohl kaum das richtige Wort. Ich hatte nicht wirklich ein Leben.

„Ganz im Gegenteil,“ wiedersprach ich und fühlte mich seltsam… vorsichtig, als ob da irgendeine versteckte Gefahr wäre die ich nicht sehen konnte. Plötzlich war ich auf der Hut, die Vorwarnung machte mich vorsichtig. „Ich finde du bist sehr schwer zu lesen.“

„Dann musst du ein guter Leser sein,“ folgerte sie, und hatte mit ihrer Vermutung wieder mitten ins Schwarze getroffen.

„Normalerweise,“ stimmte ich ihr zu.Ich lächelte breit um meine leuchtenden, messerscharfen Zähne zu zeigen.Es war dumm von mir das zu tun aber plötzlich wollte ich verzweifelt eine Warnung an dieses

Mädchen loswerden. Ihr Körper war näher als vorher, ihre Haltung hatte sich unbewusst geändert während unserer Unterhaltung. All die kleinen Zeichen und Hinweise die dazu dienten alles Menschliche ängstlich auf Abstand zu halten, schienen bei ihr nicht zu wirken. Warum wich sie nicht zurück vor Schreck? Sicher hatte sie genug von meiner dunklen Seite gesehen um die Gefahr zu bemerken, aufmerksam wie sie war.

Ich kam nicht dazu zu sehen, ob meine Warnung den gewünschten Effekt erzielt hatte. Mr. Banner bat um die Aufmerksamkeit der Klasse und sie wandte sich von mir ab. Sie wirkte erleichtert über die Unterbrechung, also hatte sie es vielleicht unterbewusst verstanden.

Ich hoffe, sie hatte.Ich bemerkte die Faszination die in mir aufkeimte und versuchte sie zu entwurzeln. Ich

konnte es mir nicht leisten, Bella Swan interessant zu finden. Oder besser, sie konnte es sich nicht leisten. Und trotzdem sehnte ich mich schon nach einer weiteren Chance um mit ihr zu reden. Ich wollte mehr über ihre Mutter wissen, ihr Leben bevor sie hierherkam, ihr Beziehung zu ihrem Vater. All die unbedeutenden Details die ihren Charakter deutlicher hervorbringen würden. Aber jede Sekunde, die ich mit ihr verbrachte, war ein Fehler, ein Risiko dass sie nicht eingehen sollte.

Gedankenverloren warf sie ihre Haare herum genau in dem Moment als ich mir erlaubte zu atmen. Eine konzentrierte Welle ihres Duftes traf mich tief im Rachen.

Es war wie am ersten Tag – wie die Abrissbirne. Der Schmerz der brennenden Trockenheit ließ mich schwindeln. Ich musste wieder den Tisch umklammern um mich auf meinem Stuhl zu halten. Dieses Mal hatte ich etwas mehr Kontrolle. Wenigstens machte ich nichts kaputt. Das Monster knurrte in mir, genoss aber nicht den Schmerz. Er war zu fest angebunden. Für den Moment.

Ich stellte das Atmen vollständig ein und lehnte mich so weit von dem Mädchen weg, wie ich konnte.

Nein, ich konnte es mir nicht leisten, sie faszinierend zu finden. Je interessanter ich sie fand umso größer war die Chance, dass ich sie töten würde. Ich hatte heute schon zwei kleine Ausrutscher gehabt. Würde ich einen dritten machen, der nicht klein war?

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Sobald die Glocke klingelte, floh ich aus dem Klassenraum – vermutlich zerstörte ich dadurch den kleinsten Eindruck von Höflichkeit den ich fast aufgebaut hatte während dieser Stunde. Wieder keuchte ich an der frischen Luft als wäre sie eine heilende Essenz. Ich beeilte mich, so viel Abstand wie möglich zwischen mich und das Mädchen zu bringen.

Emmett wartete vor unserem Spanischkurs auf mich. Er las meinen wirren Gesichtsausdruck für einen Moment.

Wie lief es? Wunderte er sich wachsam.„Niemand ist gestorben,“ murmelte ich.Na das ist doch was. Als ich sah wie Alice das Ende der letzten Stunde geschwänzt hat, dachte

ich schon…Als wir den Klassenraum betraten sah ich seine Erinnerung an kurze Zeit vorher, die er durch

die offene Tür seiner letzten Unterrichtsstunde gesehen hatte: Alice lief eilig und ausdruckslos über den Platz in Richtung Wissenschaftsgebäude. Ich fühlte die Erinnerung an sein verlangen aufzustehen und zu ihr zu gehen und dann seine Entscheidung zu bleiben. Wenn Alice seine Hilfe brauchte, würde sie fragen…

Ich schloss meine Augen vor Ekel und Abscheu während ich mich auf meine Stuhl fallen lies. „Ich hatte nicht bemerkt, dass es so knapp war. Ich hätte nicht gedacht, ich würde… ich sah nicht, dass es so schlimm war,“ flüsterte ich.

War es auch nicht, beruhigte er mich. Niemand ist gestorben, richtig?„Richtig,“ quetsche ich durch meine Zähne. „Diesmal nicht.“Vielleicht wird es leichter.„Klar.“Oder, vielleicht tötest du sie auch. Er zuckte mit den Schultern. Du wärst nicht der erste, der

es vermasselt. Niemand würde dich zu hart verurteilen. Manchmal riecht ein Mensch einfach zu gut. Ich bin beeindruckt, dass du so lange durchhältst.

„Das ist nicht gerade hilfreich, Emmett!“Ich war empört darüber, dass er einfach so akzeptierte, dass ich das Mädchen töten würde,

dass das irgendwie unumgänglich war. War es etwa ihre Schuld, dass sie so gut roch?Ich weiß noch, als es mir passierte…, er erinnerte sich und nahm mich mit sich ein halbes

Jahrhundert zurück, auf eine Landstraße in der Dämmerung, wo eine Frau mittleren Alters ihre trockene Wäsche abnahm, die zwischen zwei Apfelbäumen an einer Leine hing. Der Duft von Äpfeln hing schwer in der Luft – die Ernte war vorüber und die überreifen Früchte lagen auf dem Boden verteilt, die Druckstellen ließen ihren Duft in dicken Wolken auslaufen. Ein frisch gemähtes Feld bildete den Hintergrund zu diesem Duft, harmonisch. Er ging die Landstraße entlang, nahm die Frau überhaupt nicht war auf seinem Botengang für Rosalie. Der Himmel über ihm war lila, im Westen orange. Er wäre den verschlängelten Weg weitergegangen und es hätte keinen Grund gegeben, sich an diesen Nachmittag zu erinnern, abgesehen von der leichten Briese, die die weißen Laken aufblähte wie Segel im Wind und die den Duft der Frau über Emmetts Gesicht fächerte.

„Ah,“ grummelte ich leise. Als ob die Erinnerung an meinen eigenen Durst nicht schon genug wäre.

Ich weiß. Ich hab's nicht mal eine Sekunde ausgehalten. Ich hab nicht mal darüber nachgedacht zu wiederstehen.

Seine Erinnerungen wurden zu detailiert für mich um sie noch länger zu ertragen.Ich sprang auf meine Füße, meine Zähne so hart aufeinander gepresst, dass sie durch Stahl

hätten schneiden können.

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„Esta bien, Edward?“ fragte Senora Goff, erschrocken von meiner plötzlichen Bewegung. Ich konnte mein Gesicht in ihren Gedanken sehen und wusste, dass ich alles andere als gesund aussah.

„Me perdona,“ murmelte ich, als ich zur Tür stürmte.„Emmett – por favor, puedas tu ayuda a tu hermano?“ fragte sie und gestikulierte hilflos in

meine Richtung, als ich aus dem Raum hastete.„Klar,“ hörte ich ihn sagen. Und dann war er direkt hinter mir.Er folgte mir zur anderen Seite des Gebäudes, wo er mich einholte und mir seine Hand auf

die Schulter legte.Ich schüttelte seine Hand mit unnötiger Gewalt ab. Es hätte sämtliche Knochen in einer

menschlichen Hand gebrochen und sogar noch die Knochen des Arms der daran hing.„Tut mir leid, Edward.“„Ich weiß.“ Ich atmete ein paarmal tief ein und aus um einen klaren Kopf zu bekommen und

meine Lungen zu reinigen.„Ist es genauso schlimm?“ fragte er und versuchte nicht an den Duft und den Geschmack aus

seinen Erinnerungen zu denken, nicht gerade erfolgreich.„Schlimmer, Emmett, schlimmer.“Für einen Moment war er ganz still.Vielleicht…„Nein, es wäre nicht besser, wenn ich es einfach hinter mich bringe. Geh zurück in die Klasse,

Emmett. Ich möchte allein sein.“Er drehte sich ohne ein weiteres Wort und ohne einen Gedanken um und ging zurück. Er

würde der Spanischlehrerin sagen, dass ich krank war, oder dass ich schwänzte, oder dass ich ein gefährlicher, unkontrollierbarer Vampir war. War seine Entschuldigung wirklich von Bedeutung? Vielleicht kam ich nicht mehr zurück. Vielleicht musste ich gehen.

Ich ging zurück zu meinem Auto um auf Schulschluss zu warten. Um mich zu verstecken. Schon wieder.

Ich hätte die Zeit nutzen sollen um einen Entscheidung zu treffen, oder um meine Entschlossenheit zu verstärken, stattdessen, wie ein Süchtiger, erwischte ich mich dabei wie ich die Gedanken, die vom Schulgebäude wiederhallten durchsuchte. Die bekannten Stimmen traten deutlich hervor, aber ich war im Moment nicht interessiert an Alices Visionen oder Rosalies Beschwerden. Ich fand Jessica, aber das Mädchen war nicht bei ihr, also suchte ich weiter. Mike Newtons Gedanken erregten meine Aufmerksamkeit und ich fand sie letztendlich im Sportunterricht. Er war unglücklich weil ich heut in Biologie mit ihr gesprochen hatte. Er grübelte über ihre Reaktion als er das Thema angesprochen hatte…

Ich hab ihn ehrlichgesagt noch nie mit jemandem mehr als nur ein paar Wörter wechseln sehen. Natürlich entschloss er sich Bella interessant zu finden. Ich mag nicht, wie er sie ansieht. Aber sie scheint nicht besonders angeregt zu sein von ihm. Was hat sie noch gleich gesagt? `Ich frag mich, was er letzten Montag hatte.` Irgendwas in der Art. Hörte sich nicht so an, als würde es sie interessieren. Es kann keine besondere Unterhaltung gewesen sein…

Auf diese Art redete er sich weiter Mut zu, überzeugt davon, dass Bella kein Interesse an dem Austausch mit mir gehabt hat. Das ärgerte mich ein bisschen zu sehr für meinen Geschmack, also hörte ich auf ihn zu belauschen.

Ich legte eine CD mit brutaler Musik ein und drehte die Anlage so weit auf, bis sie alle anderen Stimmen übertönte. Ich musste mich sehr stark auf die Musik konzentrieren um nicht wieder zu Mike Newtons Gedanken zu driften, um das ahnungslöse Mädchen auszuspionieren…

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Ich schummelte ein paar Mal als die Schulstunde sich dem Ende näherte. Nicht um zu spionieren, redete ich mir ein. Ich wollte mich bloß vorbereiten. Ich wollte genau wissen, wann sie die Sporthalle verließ, wann sie auf dem Parkplatz sein würde. Ich wollte nicht, dass sie mich überraschte.

Als die Schüler aus der Sporthalle strömten stieg ich aus meinem Auto aus, unsicher, warum ich das tat. Es regnete leicht – ich ignorierte, dass er langsam meine Haare tränkte.

Wollte ich, dass sie mich hier sah? Hoffte ich, dass sie mich ansprechen würde? Was tat ich hier?

Obwohl ich versuchte, mich davon zu überzeugen wieder ins Auto zu steigen, bewegte ich mich nicht, wohlwissen dass mein Verhalten erbärmlich war. Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust und atmete sehr flach, als ich sah wie sie in meine Richtung lief, ihre Mundwinkel nach unten verzogen. Sie sah mich nicht an. Sie blickte ein paarmal wütend zum Himmel, als ob er sie ärgern wollte.

Ich war enttäuscht, als sie ihren Wagen erreichte bevor sie an mir vorbei musste. Hätte sie mich angesprochen? Hätte ich sie angesprochen?

Sie stieg in einen ausgeblichenen roten Chevy Truck, ein rostiger Gigant, der älter als ihr Vater war. Ich beobachtete wie sie den Truck startete – der alte Motor röhrte lauter als irgendein anderes Gefährt auf dem Parkplatz – um dann die Hände vor den Heizlüfter zu halten. Die Kälte war ihr unangenehm – sie mochte sie nicht. Sie kämmte mit ihren Fingern durch ihre dichten Haare, hielt die Locken in die warme Luft als ob sie versuchte sie zu föhnen. Ich stellte mir vor, wie das Führerhaus des Trucks roch und verwarf den Gedanken schnell wieder.

Sie sah sich kurz um, bevor sie ausparkte und blickte endlich in meine Richtung. Sie starrte mich für weniger als eine halbe Sekunde an und alles was ich in ihren Augen lesen konnte war Überraschung, bevor sie wieder wegsah und ihren Truck zurücksetzte. Nur um sofort wieder mit quietschenden Reifen zum Stehen zu kommen. Die Rückseite ihres Trucks wäre um ein Haar mit Erin Teagues Kleinwagen zusammengestoßen.

Sie starrte in ihren Rückspiegel und verzog ärgerlich den Mund. Als der Wagen an ihr vorbeigefahren war, überprüfte sie alle toten Winkel zweimal und fuhr dann so langsam und vorsichtig aus ihrer Parklücke, dass ich grinsen musste. Es war als würde sie denken sie sei gefährlich in ihrem baufälligen Truck.

Der Gedanke dass Bella Swan irgendwem gefährlich werden konnte, egal was für ein Auto sie fuhr, brachte mich zum Lachen während sie an mir vorbeifuhr und stur geradeaus schaute.

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3. Erscheinung

Ehrlichgesagt, war ich gar nicht durstig und doch entschied ich mich, diese Nacht jagen zu gehen. Ein kleiner Versuch der Vorbeugung, obwohl ich wusste, dass es ungenügend sein würde.

Carlisle begleitete mich; seit ich aus Denali zurückgekehrt war, waren wir nicht mehr allein miteinander gewesen. Während wir durch den dunklen Wald rannten, hörte ich, wie er über meinen abrupten Aufbruch letzte Woche nachdachte.

In seinen Gedanken sah ich wie meine Gesichtszüge in grimmiger Verzweiflung verzogen waren. Ich fühlte seine Überraschung und seine aufkeimende Sorgen.

„Edward?“„Ich muss weg Carlisle. Ich muss sofort gehen.“„Was ist passiert?“„Nichts. Noch nicht. Aber es wird etwas passieren, wenn ich bleibe.“Er streckte sich nach meinem Arm aus. Ich fühlte wie es ihn verletzt hatte, als ich ihm

meinem Arm entzog.„Das verstehe ich nicht.“„Hast du jemals… gab es mal eine Zeit in der…“Ich sah, wie ich tief durchatmete, sah das wilde Flackern in meinen Augen durch den Filter

seiner tiefen Besorgnis.„Hat irgendein Mensch jemals besser für dich gerochen als die anderen? Viel besser?“„Oh.“Als ich merkte, dass er verstanden hatte, zeichnete sich Scham in meinem Gesicht ab. Er

streckte wieder seinen Arm nach mir aus, diesmal ignorierte er, dass ich zurückzuckte und ließ seine Hand auf meiner Schulter liegen.

„Tu was immer du für nötig halst um zu wiederstehen mein Sohn. Ich werde dich vermissen. Hier, nimm meinen Wagen. Er ist schneller.“

Jetzt fragte er sich, ob es richtig gewesen war, mich wegzuschicken. Fragte sich, ob er mich verletzt hatte durch sein geringes Vertrauen.

„Nein,“ flüsterte ich beim Rennen. „Das war es, was ich brauchte. Ich hätte dein Vertrauen zu leicht missbrauchen können, wenn du mir gesagt hättest, dass ich bleiben soll.“

„Es tut mir leid, dass du leidest, Edward. Aber du solltest alles in deiner Macht stehende tun um das Swan-Kind am Leben zu lassen. Auch wenn das bedeutet, dass du uns wieder verlassen musst.“

„Ich weiß, ich weiß.“„Warum bist du zurückgekommen? Du weißt, wie glücklich es mich macht, dich hier zu

haben, aber wenn es so schwer für dich ist…“„Ich wollte kein Feigling sein,“ gab ich zu.Wir wurden langsamer – wir joggten mehr durch die Dunkelheit.„Besser das, als sie der Gefahr auszusetzen. In ein oder zwei Jahren wird sie hier

verschwinden.“„Du hast recht, das weiß ich.“ Entgegen aller Vernunft, bewirkten seine Worte eher, dass ich

bestrebter war zu bleiben. In ein oder zwei Jahren würde das Mädchen verschwinden…

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Carlisle blieb stehen und ich auch; er wandte sich mir zu um meinen Gesichtsausdruck zu untersuchen.

Aber du wirst nicht wegrennen, oder?Ich senkte meinen Kopf.Bist du zu stolz, Edward? Es ist keine Schande, wenn – „Nein, es ist nicht mein Stolz, der mich hier hält. Nicht jetzt.“Weißt du nicht, wo du hinsollst?Ich lachte kurz auf. „Nein, das würde mich nicht aufhalten, wenn ich mich dazu bewegen

könnte, zu gehen.“„Wir kommen selbstverständlich mit dir, wenn es das ist, was du brauchst. Du musst es nur

sagen. Ihr seid immer mit uns gezogen ohne euch zu beschweren. Sie werden dir das nicht nachtragen.“

Ich hob eine Augenbraue.Er lachte. „Ja, Rosalie vielleicht, aber sie schuldet dir was. Abgesehen davon, es ist besser für

uns, jetzt so gehen, wo noch nichts passiert ist, als zu warten bis ein Leben beendet wurde.“ Am Ende des Satzes war sein Humor verflogen.

Ich runzelte die Stirn bei seinen Worten.„Ja,“ stimmte ich ihm mit rauer Stimme zu.Aber du wirst nicht gehen?Ich seufzte. „Ich sollte.“„Was hält dich hier, Edward? Ich kann es nicht sehen…“„Ich weiß nicht, ob ich es erklären kann.“ Selbst für mich machte es keinen Sinn.Er studierte sehr lange meinen Gesichtsausdruck.Nein, ich verstehe es nicht. Aber ich respektiere deine Privatsphäre, wenn es dir lieber ist.„Danke. Das ist großzügig von dir, wenn man bedenkt, dass ich niemandem Privatsphäre

gebe.“ Mit einer Ausnahme. Ich gab mein bestes um das zu ändern, oder nicht?Wir haben alle unsere Macken. Er lachte wieder. Sollen wir?Er hatte gerade den Duft einer kleinen Rehherde aufgeschnappt. Es war schwer genug

Begeisterung aufzubringen, wenn man bedenkt, dass das Aroma einem nicht gerade das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Und jetzt, wo ich die Erinnerung an den Duft des Mädchens noch frisch im Kopf hatte, drehte sich mir sogar fast der Magen um bei dem Geruch.

Ich seufzte. „Na los,“ stimmte ich zu, obwohl ich wusste, dass es kaum helfen würde, wenn ich noch mehr Blut meine Kehle hinunter zwang.

Wir nahmen beide unsere Jagdhaltung an und ließen uns von dem unappetitlichen Duft vorwärts leiten.

Als wir wieder nach Hause kamen, war es kälter geworden. Der geschmolzene Schnee war gefroren; es war als wäre alles mit einer dünnen Glasschicht überzogen – jede Tannennadel, jeder Farnwedel, jeder Grashalm war mit Eis überzogen.

Während Carlisle sich fertig machte für seine Frühschickt im Krankenhaus, blieb ich am Fluss stehen und wartete auf den Sonnenaufgang. Ich fühlte mich aufgebläht von dem vielen Blut, dass ich getrunken hatte, aber ich wusste, dass ich keinen Durst verspürte würde wenig helfen, wenn ich wieder neben dem Mädchen saß.

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Kalt und regungslos wie der Stein auf dem ich saß, starrte ich auf das dunkle Wasser wie es zwischen dem Eis hindurchfloss, starrte direkt hindurch.

Carlisle hatte recht. Ich sollte Forks verlassen. Sie konnten irgendeine Geschichte verbreiten, die meine Abwesenheit erklären würde. Ein Internat in Europa. Besuch bei entfernten Verwandten. Ein jugendlicher Ausbruch von zu Hause. Die Geschichte war egal. Niemand würde nachfragen.

Es waren nur ein oder zwei Jahre, und dann würde das Mädchen verschwinden. Sie würde ihr Leben weiterleben – sie würde ein Leben haben, dass sie weiterleben konnte. Sie würde irgendwo aufs College gehen, älter werden, eine Karriere beginnen, vielleicht jemanden heiraten. Das konnte ich mir vorstellen – ich konnte das Mädchen ganz in weiß vor mir sehen, wie sie den Gang entlang schritt, den Arm unter dem ihres Vaters.

Es war seltsam, dass diese Bild schmerzen in mir auslöste. Ich verstand es nicht. War ich eifersüchtig, weil sie eine Zukunft hatte die ich nie haben konnte? Das ergab keinen Sinn. Jeder Mensch um mich herum hatte diese Möglichkeiten – ein Leben – und ich beneidete sie nicht.

Ich sollte sie ihrer Zukunft überlassen. Sollte aufhören ihr Leben zu riskieren. Das war das einzig richtige. Carlisle fand immer den richtigen Weg. Ich sollte auch jetzt auf ihn hören.

Die Sonne erhob sich hinter den Wolken und das seichte Licht glänzte auf dem gefrorenen Glas.

Nur noch ein Tag, entschied ich. Ich würde sie nur noch einmal sehen. Ich schaffte das. Vielleicht würde ich erwähnen, dass ich wegging, um die Geschichte einzuleiten.

Das würde schwieriger werden als ich gedacht hatte; weil mir die Vorstellung zu gehen wiederstrebte, fing ich jetzt schon an Entschuldigungen zu suchen um zu bleiben – um die Frist noch zwei Tage zu verlängern, drei, vier… Aber ich würde das richtige tun. Ich wusste, ich konnte Carlisles Rat vertrauen. Und ich wusste auch, dass ich zu durcheinander war um die richtige Entscheidung allein zu treffen.

Viel zu durcheinander. Wie viel von diesem Widerwillen kam von meiner zwanghaften Neugierde und wie viel von meinem ungesättigten Appetit?

Ich ging hinein um mir etwas Frisches für die Schule anzuziehen.Alice wartete auf mich, sie saß auf der obersten Treppenstufe zur zweiten Etage.Du gehst schon wieder weg, klagte sie.Ich seufzte und nickte.Ich kann nicht sehen wo du diesmal hingehst.„Ich weiß noch nicht wo ich hingehen werde,“ flüsterte ich.Ich möchte, dass du bleibst.Ich schüttelte meinen Kopf.Vielleicht können Jazz und ich mit dir kommen?„Sie brauchen euch alle noch mehr, wenn ich nicht mehr da bin um mich für sie umzuhören.

Und denk an Esme. Würdest du ihr ihre halbe Familie mit einem Schlag entreißen wollen?“Du wirst sie so unglücklich machen.„Ich weiß. Und deshalb musst du bleiben.“Es ist nicht dasselbe, als wenn du hier wärst und das weißt du.„Ja. Aber ich muss das richtige tun.“Es gibt viele richtige Wege, und viele falsche Wege, nicht war?Für einen kurzen Moment verschwamm sie in eine ihrer seltsamen Visionen; ich beobachtet

gemeinsam mit ihr wie die unbeständigen Bilder flackerten. Ich sah mich selbst zwischen seltsamen Schatten, die ich nicht zuordnen konnte – verschleierte ungenaue Formen. Und dann, plötzlich, meine Haut wie sie in der Sonne glitzerte auf einer kleinen Lichtung. Diesen Ort kannte ich. Da war

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eine Person mit mir auf der Lichtung, aber wieder war es ungenau, nicht wirklich da um sie besser zu erkennen. Das Bild wackelte und verschwand als sich millionen kleiner Stückte zu einer anderen Zukunft zusammensetzten.

„Ich hab nicht viel davon verstanden,“ sagte ich ihr, als die Vision schwarz wurde.Ich auch nicht. Deine Zukunft verändert sich sehr stark so dass ich nicht viel davon greifen

kann. Aber ich denke…Sie hielt inne und überflog ein paar andere Visionen für mich. Sie waren alle gleich –

verschwommen und vage.„Ich glaube, irgendetwas wird sich ändern,“ sagte sie laut. „Dein Leben scheint sich an einer

Kreuzung zu befinden.“Ich lachte grimmig. „Dir ist schon klar, dass du dich anhörst wie eine Wahrsagerin vom

Jahrmarkt?“Sie streckte mir ihre kleine Zunge raus.„Heute ist alles in Ordnung, oder?“ fragte ich sie und meine Stimme klang plötzlich besorgt.„Ich sehe nicht, dass du heute irgendjemanden töten wirst,“ versicherte sie mir.„Danke, Alice.“„Geh dich umziehen. Ich werde den anderen nichts sagen – du kannst ihnen selber Bescheid

geben, wenn du fertig bist.“Sie stand auf und schoss mit hängenden Schultern die Treppe hinunter. Vermiss dich wirklich.Ja, ich würde sie auch sehr vermissen.Es war eine ruhige Fahrt bis zur Schule. Jasper merkte, dass Alice wegen irgendetwas

unglücklich war, aber er wusste, wenn sie darüber hätte sprechen wollen, dann hätte sie das bereits getan. Emmett und Rosalie hatten einen ihrer Momente, in denen sie nichts um sich herum wahrnahmen und sich nur verliebt in die Augen blickten – es war ekelhaft ihnen dabei zuzusehen. Wir waren uns alle vollkommen im Klaren darüber wie überglücklich verliebt die beiden waren. Vielleicht war ich aber auch nur verbittert, weil ich der einzige war, der alleine war. An manchen Tagen war es schwerer als an anderen mit drei perfekt zusammenpassenden Pärchen zusammenzuleben. Heute war einer dieser Tage.

Vielleicht wären sie alle glücklicher, wenn ich nicht mehr da wäre, grimmig und verbittert wie der alte Mann, der ich eigentlich mittlerweile sein sollte.

Natürlich war das erste was ich tat, als wir die Schule erreichten, nach dem Mädchen Ausschau zu halten. Nur um mich wieder vorzubereiten.

Richtig.Es war peinlich zu sehen, dass die Welt um mich herum vollkommen leer schien und sich alles

nur noch um sie drehte – meine ganze Existenz kreiste nur noch um sie, statt um mich selbst.Dennoch war es auch irgendwie leicht zu verstehen; nach achtzig Jahren, jeden Tag und jede

Nacht dasselbe wurde jede Veränderung zu etwas ganz besonderem.Sie war noch nicht da, aber ich konnte den dröhnenden Motor ihres Trucks in der Ferne

hören. Ich lehnte mich an meinen Wagen um zu warten. Alice blieb bei mir, während die anderen direkt zum Unterricht gingen. Sie waren gelangweilt von meiner Fixierung – es war unverständlich für sie wie ein Mensch mein Interesse so lange aufrecht erhalten konnte, egal wie köstlich sie roch.

Langsam fuhr das Mädchen in Sichtweite, ihre Augen auf die Straße geheftet und mit den Händen das Lenkrad umklammert. Sie schien wegen irgendetwas verängstigt zu sein. Ich brauchte eine Sekunde um zu begreifen was dieses Etwas war, zu bemerkten, dass jeder Mensch heute mit diesem Gesichtsausdruck fuhr. Die Straße war vereist und alle fuhren noch vorsichtiger als sonst. Ich konnte sehen, dass sie das erhöhte Risiko sehr ernst nahm.

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Das schien zu dem bisschen zu passen, was ich bisher über ihren Charakter herausgefunden hatte. Ich fügte es meiner kleinen Liste hinzu: Sie war eine ernsthafte Person, eine verantwortungsvolle Person.

Sie parkte nicht allzu weit von mir entfernt, aber sie hatte noch nicht bemerkt, dass ich hier stand und sie beobachtete. Ich fragte mich wie sie reagieren würde, wenn sie mich bemerkte? Erröten und weitergehen? Das war meine erste Überlegung. Aber vielleicht würde sie meinen Blick erwidern. Vielleicht würde sie herkommen und mit mir reden.

Ich atmete tief eine, hoffnungsvoll, nur für den Fall.Sie stieg vorsichtig aus dem Truck aus und prüfte die Standfestigkeit ihrer Füße bevor sie ihr

Gewicht darauf abstützte. Sie schaute nicht auf, was mich frustrierte. Vielleicht würde ich rübergehen und mit ihr reden…

Nein, das wäre ein Fehler.Anstatt in Richtung Schule zu gehen, lief sie um ihren Truck herum, hangelte sich vorsichtig

an ihm entlang als würde sie ihren Füßen nicht trauen. Es brachte mich zum lächeln, und ich spürte Alices Augen auf meinem Gesicht ruhen. Ich hörte nicht was auch immer sie sich dabei dachte – es amüsierte mich zu sehr, zu beobachten wie das Mädchen ihre Schneeketten überprüfte. So wie ihre Füße herum schlingerten schien sie ernsthaft in Gefahr zu sein hinzufallen. Niemand sonst hatte so viele Probleme – hatte sie an einer besonders eisigen Stelle geparkt?

Sie hielt für einen kurzen Moment inne und ihr Gesicht bekam einen seltsamen Ausdruck. Es war… weich? Als ob irgendetwas an den Ketten sie… rührte?

Und wieder schmerzte die Neugierde in mir wie der Durst. Es war als müsste ich wissen was sie denkt – als ob alles andere unwichtig wäre.

Ich würde zu ihr gehen und mit ihr reden. Sie sah sowieso danach aus, als könnte sie eine helfende Hand gebrauchen, zumindest bis sie von dem glatten Parkplatz runter war. Das konnte ich ihr selbstverständlich anbieten, oder nicht? Ich zögerte hin und hergerissen. Bei der Abneigung die sie gegen Schnee hegte, würde sie die Berührung meiner kalten Hand sicher nicht willkommen heißen. Ich hätte Handschuhe anziehen sollen –

„NEIN!“ schrie Alice laut auf.Instinktiv durchforstete ich ihre Gedanken in dem Glauben ich hätte eine schlechte

Entscheidung getroffen und sie sähe wie ich etwas Unverzeihliches tat. Aber es hatte nichts mit mir zu tun.

Tyler Crowley hatte sich entschieden, die Kurve auf den Parkplatz etwas zu schnell zu nehmen. Diese Entscheidung brachte ihn auf dem rutschigen Eis zum schliddern…

Die Vision kam nur eine halbe Sekunde bevor sie eintrat. Tylers Van schoss um die Ecke während ich immer noch das Ende der Vision beobachtet, das Alice zu diesem ängstlichen Aufschrei bewogen hatte.

Nein, diese Vision hatte nichts mit mir zu tun, und doch hatte es alles mit mir zu tun, denn Tylers van – die Reifen trafen nun in dem schlechtmöglichsten Winkel auf das Eis – würde über den Parkplatz rutschen und das Mädchen zerquetschen, das ungewollt zum Mittelpunkt meiner Welt geworden war.

Auch ohne Alices Vorhersage war es leicht zu erkennen, welchen Bahn der Wagen, über den Tyler gerade die Kontrolle verlor einschlagen würde.

Das Mädchen, das genau am falschen Platz neben ihrem Truck stand, sah auf, irritiert von dem Geräusch der quietschenden Reifen. Sie sah direkt in meine geschockten Augen um dann direkt in ihren nahenden Tod zu blicken.

Nicht sie! Die Worte schrien in meinem Kopf als ob sie zu jemand anderem gehörten.

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Immer noch gefangen in Alices Gedanken, sah ich wie die Vision sich veränderte, aber ich hatte keine Zeit mir den Ausgang anzusehen.

Ich schoss über den Platz und warf mich zwischen den heran rutschenden Van und das vor Schock gefrorene Mädchen. Ich bewegte mich so schnell, dass alles um mich herum verschwamm außer dem Objekt in meinem Blickfeld. Sie sah mich nicht – kein menschliches Auge hätte meinem Flug folgen können – und starrte immer noch auf das massige Gefährt dass ihren Körper gleich in den Metall Rahmen ihres Trucks quetschen würde.

Ich packte sie um die Taille und warf sie mit einer solchen Eile um, dass ich nicht mal annähernd so behutsam mit ihr umging, wie ich es hätte tun müssen. In der hundertstel Sekunde nachdem ich sie aus der Schusslinie warf und bevor ich mit ihr in meinen Armen auf den Boden aufschlug, wurde mir bewusst, wie schwach und zerbrechlich ihr Körper war.

Als ich ihren Kopf auf das Eis aufschlagen hörte, erstarrte ich selbst auch zu Eis.Aber ich hatte nicht mal eine Sekunde zeit um ihren Zustand zu überprüfen. Ich hörte wie der

Van hinter uns sich quietschend um den eisernen Körper des Trucks wickelte. Er änderte funkensprühend seine Richtung und schlidderte erneut auf sie zu – als wäre sie ein Magnet der den Van anzog.

Ein Wort, das ich niemals in der Gegenwart einer Lady benutzt hätte, entwich mir durch meine zusammengebissenen Zähne.

Ich hatte schon zu viel getan. Als ich fast durch die Luft geflogen bin um sie aus dem Weg zu stoßen, war ich mir vollkommen bewusst, dass ich einen Fehler machte. Zu wissen, dass es ein Fehler war, konnte mich nicht aufhalten, aber das Risiko dass ich einging, war mir nicht bewusst – nicht nur für mich, sondern für meine ganze Familie.

Entlarvung.Aber es half nichts, ich konnte dem Van nicht erlauben bei seinem zweiten Versuch ihr das

Leben zu nehmen zu gewinnen.Ich ließ sie los und streckte dem Van meine Hände entgegen bevor er sie berühren konnte.

Die Wucht des Aufpralls presste meine Schulter in den Wagen der neben dem Truck stand und ich konnte spüren wie sich das Metall unter dem Druck verbog. Der Van erschauerte unter der unnachgiebigen Sperre meiner Arme und balancierte unstabil auf zwei Rädern.

Wenn ich meine Hände wegnahm, würde der Hinterreifen auf ihre Beine fallen.Oh, verdammt noch mal, es war verflucht, würde diese Katastrophe denn nie enden? Konnte

noch mehr schiefgehen? Ich konnte schlecht hier sitzen bleiben, den Van in die Luft halten und auf Rettung warten. Wegwerfen konnte ich ihn auch nicht – da war auch immer noch der Fahrer, dessen Gedanken zusammenhanglos waren vor lauter Panik.

Ich stöhnte innerlich auf und stieß den Van kurz von uns weg. Als er wieder runterfiel, fing ich ihn mit einer Hand unter der Karosserie auf und packte mit der andern wieder die Taille des Mädchens um sie näher zu mir hin und unter dem Wagen weg zu ziehen. Ihr Körper war schlaff als ich sie herum schwang um ihre Beine in Sicherheit zu bringen – war sie bewusstlos? Wie schwer hatte ich sie verletzt bei meinem improvisierten Rettungsversuch?

Jetzt wo ich sie nicht mehr verletzen konnte, ließ ich den Van fallen. Die Fenster vibrierten als er auf den Asphalt krachte.

Ich wusste, dass ich mich mitten in einer Kriese befand. Wie viel hatte sie mitbekommen? Hatte irgendein anderer Zeuge gesehen, wie ich mich aus dem Nichts neben ihr materialisiert hatte und dann mit dem Van jonglierte um sie darunter hervorzuholen? Diese Fragen sollten meine größte Sorge sein.

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Aber ich war zu besorgt um mir darüber Gedanken zu machen, dass wir entlarvt werden könnten. Zu sehr von der Panik erfasst, dass ich sie bei meinem versucht sie zu schützen selbst verletzt haben könnte. Zu beängstigt da ich wusste, was ich riechen würde, wenn ich mir erlaubte einzuatmen. Mir zu sehr ihres warmen, weichen Körpers bewusst, der gegen meinen gepresst war – trotz der doppelten Hinderung unsere Jacken konnte ich diese Hitze spüren…

Die erste Sorge war die größte. Als das schreien der zeugen um uns herum ausbrach, lehnte ich mich über sie und begutachtete ihr Gesicht um zu sehen ob sie bei Bewusstsein war – hoffte inständig, dass sie nirgendwo blutete.

Ihre Augen waren weit geöffnet vor Schock.„Bella?“ fragte ich eindringend. „Bist du in Ordnung?“„Es geht mir gut.“ Sagte sie automatisch mit schwacher Stimme.Erleichterung durchfuhr mich als ich den Klang ihrer Stimme hörte, der so herrlich war, dass

es fast wehtat. Ich nahm einen kurzen Atemzug durch meine Zähne und der begleitende Schmerz in meiner Kehler störte mich nicht. Ich genoss ihn fast.

Sie versuchte sich aufzusetzen, aber ich war noch nicht bereit, sie loszulassen. Es fühlte sich irgendwie… sicherer an? Besser jedenfalls, sie an meiner Seite zu haben.

„Seih vorsichtig,“ warnte ich sie. „Ich glaube du hast dir deinen Kopf ziemlich heftig angeschlagen.“

Da war kein Geruch von frischem Blut – welche Erleichterung – aber das schloss noch lange keine inneren Verletzungen aus. Ich wollte sie so schnell wie möglich zu Carlisle bringen und zu einem voll ausgestatteten Radiologischen Institute.

„Au,“ sagte sie und ihre Stimme klang komischerweise überrascht, als sie merkte, dass ich recht hatte, was ihren Kopf anging.

„Das hab ich mir gedacht.“ Ich lächelte vor Erleichterung, fast schon albern.„Wie zum Teufel…“ Ihre Stimme brach weg und ihre Lider zitterten. „Wie bist du so schnell

hierhergekommen?“Die Erleichterung wurde bitter, der Humor verschwand. Sie hatte zu viel gesehen.Jetzt, da mir klar wurde, dass dem Mädchen nichts fehlte, wurde die Sorge um meine Familie

größer.„Ich stand direkt neben dir, Bella.“ Aus Erfahrung wusste ich, dass ich sehr überzeugend sein

konnte, wenn ich log, es verunsicherte jeden Fragesteller bzgl. der Wahrheit.Sie versuchte wieder sich aufzusetzen und diesmal ließ ich es zu. Ich musste einatmen um

meine Rolle besser spielen zu können. Ich brauchte Abstand zu ihrem mit warmem Blut gefüllten Körper, damit er mich in Kombination mit ihrem Duft nicht übermannte. Ich wich so weit von ihr zurück, wie es der schmale Raum zwischen den beiden Fahrzeugen zuließ.

Sie starrte zu mir hoch und ich starrte zurück. Zuerst wegzuschauen war ein Fehler den nur ein inkompetenter Lügner begehen würde, und ich war kein inkompetenter Lügner. Mein Gesichtsausdruck war mild und freundlich… Es schien sie zu verwirren. Das war gut.

Die Unfallstelle war nun umstellt. Hauptsächlich Schüler, Kinder die versuchten durch die Wracks einen Blick auf zerquetschte Körper erhaschen zu können. Stimmengewirr und schockierte Gedanken erhoben sich. Ich durchsuchte die Gedanken um sicherzugehen, dass es noch keine Verdächtigungen gab und dann blendete ich sie aus um mich wieder auf das Mädchen zu konzentrieren.

Sie war abgelenkt von dem Durcheinander. Sie blickte sich um, ihr Gesichtsausdruck immer noch geschockt und wollte aufstehen.

Ich legte meine Hand auf ihre Schulter um sie sanft wieder auf den Boden zu drücken.

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„Bleib besser noch etwas liegen.“ Sie wirkte zwar unverletzt, aber sollte sie ihren Hals schon bewegen? Wieder wünschte ich Carlisle wäre hier. Meine jahrelangen theoretischen Studien in Medizin waren kein Vergleich zu seiner Jahrhundertelangen Praxiserfahrung.

„Aber es ist kalt,“ stellte sie fest.Sie war vor wenigen Sekunden fast zu Tode gequetscht worden und ihre einzige Sorge war

die Kälte. Mir entfuhr ein kichern bevor ich mich dran erinnerte, dass die Situation nicht komisch war.Bella blinzelte und blickte mir dann direkt ins Gesicht. „Du warst dort drüben.“Das ernüchterte mich wieder.Sie blickte nach Süden, obwohl dort nichts weiter zu sehen war als die verbeulte Seite des

Vans. „Du warst bei deinem Auto.“„Nein, war ich nicht.“„Ich hab dich gesehen,“ beharrte sie; ihre Stimme wirkte kindlich, wenn sie stur war. Sie

schob ihr Kinn vor.„Bella, ich stand neben dir und hab dich beiseite gezogen.“Ich schaute tief in ihre großen Augen um sie dazu zu bringen meine Version zu akzeptieren –

die einzig akzeptable Version die zur Verfügung stand.„Nein.“Ich versuchte, ruhig zu bleiben, nicht in Panik zu geraten. Wenn ich sie nur wenige

Augenblicke ruhig stellen könnte, um mir die Chance zu geben die Beweise zu vernichten… und um ihre Geschichte durch die Bekanntgabe ihrer Kopfverletzung zu untergraben.

Sollte es nicht leicht sein, dieses stille, geheimnisvolle Mädchen ruhig zu halten? Wenn sie mir nur vertrauen würde, nur für ein paar Augenblicke…

„Bitte, Bella,“ sagte ich, meine Stimme zu fordernd, weil ich wollte, dass sie mir vertraute. Ich wollte es ganz verzweifelt, nicht nur wegen des Unfalls. Ein dummes Verlangen. Was für einen Sinn würde es für sie machen, mir zu vertrauen?

„Warum?“ fragte sie immer noch in Verteidigungshaltung.„Vertrau mir,“ bat ich sie.„Versprichst du mir später alles zu erklären?“Es machte mich wütend, dass ich sie schon wieder anlügen musste, obwohl ich mir so sehr

wünschte, ich könnte ihr Vertrauen verdienen. Deshalb klang meine Erwiderung scharf.„Gut.“„Gut,“ sagte sie in demselben Tonfall.Als die Rettungsaktion um uns herum begann – Erwachsene tauchten auf, Lehrer riefen,

Sirenen heulten in der Ferne – versuchte ich das Mädchen zu ignorieren und meine Prioritäten zu ordnen. Ich durchsuchte alle Gedanken in der Menge, die Zeugen und die später da zugestoßenen, aber ich konnte nichts Gefährliches finden. Viele waren überrascht, mich hier mit Bella zu sehen, aber alle schlossen – da es keine andere Möglichkeit gab – dass sie einfach nicht registriert hatten, dass ich neben dem Mädchen stand, vor dem Unfall.

Sie war die einzige die die einfache Erklärung nicht akzeptierte, aber sie würde die am wenigsten glaubhafte Zeugin sein. Sie war ängstlich, traumatisiert und von der Beule an ihrem Hinterkopf ganz zu schweigen. Vielleicht stand sie unter Schock. Ihre Geschichte war annehmbar, wenn sie verwirrt war, oder nicht? Niemand würde ihr allzu viel Beachtung schenken bei so vielen anderen zeugen…

Ich zuckte zusammen, als ich die Gedanken von Rosalie, Jasper und Emmett auffing, die gerade erst am Ort des Geschehens eintrafen. Sie würden mir heute Abend die Hölle heiß machen.

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Ich wollte den Abdruck den meine Schultern in dem braunen Auto hinterlassen hatte ausbügeln, aber das Mädchen war zu nah. Ich würde warten müssen, bis sie weggetragen wurde.

Es war frustrierend zu warten – so viele Augen auf mich gerichtet – als die Menschen mit dem Van kämpften um uns zu befreien. Ich hätte ihnen gern geholfen um das ganze zu beschleunigen, aber ich hatte schon genug Schwierigkeiten und das Mädchen hatte scharfe Augen. Endlich hatten sie es geschafft, den Wagen weit genug weg zu schieben, damit sie Sanitäter mir ihren Tragen zu uns durchkamen.

Ein bekanntes, besorgtes Gesicht begutachtete mich.„Hey, Edward,“ sagte Brett Warner. Er war Pfleger und ich kannte ihn gut aus dem

Krankenhaus in dem Carlisle arbeitete. Ein glücklicher Zufall – das einzige Glück heute – dass er als erster bei uns war. In Gedanken stellte er fest, dass ich gesund und ruhig aussah. „Bist du in Ordnung, Junge?“

„Alles bestens, Brett. Ich hab nichts abbekommen. Aber ich glaube, Bella könnte eine Gehirnerschütterung haben. Sie ist sehr hart mit dem Kopf aufgeschlagen, als ich sie beiseite gezogen habe…“

Brett widmete seine Aufmerksamkeit dem Mädchen, das mir einen grimmigen Blick zuwarf. Ach ja, richtig. Sie war der Stille Märtyrer – sie hätte lieber im Stillen gelitten.

Sie stritt meine Geschichte nicht sofort ab, was mich erleichterte.Der nächste Sanitäter wollte mich nicht so einfach davon kommen lassen, aber ich hatte

keine Mühe ihn davon zu überzeugen, dass es mir gut ging. Ich versprach, dass ich mich von meinem Vater untersuchen lassen würde und damit ließ er es gut sein. Den meisten Menschen musste man einfach nur mit einem Sicheren Auftreten begegnen. Den meisten Menschen, aber nicht dem Mädchen, natürlich nicht. Passte sie auf irgendeines der normalen Muster?

Als sie ihr eine Halskrause anlegten – ihr Gesicht lief rot an vor Scham – nutzte ich den Moment in dem alle abgelenkt waren um mit meinem Fuß die Delle in dem braunen Auto auszubeulen. Nur meine Geschwister merkten was ich da tat und ich hörte Emmett Versprechen in Gedanken, dass er sich um alles kümmern würde, was ich übersehen hatte.

Dankbar für seine Hilfe – und noch dankbarer dafür, dass Emmett mir meine gefährliche Wahl schon vergeben hatte – stieg ich beruhigt auf den Beifahrersitz des Krankenwagens neben Brett.

Der Polizeichef erreichte den Unfallort bevor man Bella in den hintern Teil des Krankenwagens geschoben hatte.

Zwar waren die Gedanken von Bellas Vater keine Worte, aber die Panik und die Sorge, die aus ihnen herausströmten, überlagerten alle anderen Gedanken in der Nähe. Wortlose Angst und Schuldgefühle strömten Flutartig aus ihm heraus, als er seine einzige Tochter auf die Bahre geschnallt sah.

Strömten aus ihm heraus und in mich hinein, hallten wieder und wurden stärker. Als Alice mich warnte, dass der Tod von Charlie Swans Tochter ihn auch töten würde, hatte sie nicht übertrieben.

Mein Kopf wurde schwer vor Schuldgefühlen, als ich seiner panischen Stimme lauschte.„Bella!“ rief er.„Es geht mir gut, Char – Dad.“ Seufzte sie. „Mir ist nichts passiert.“Ihre Versicherung beruhigte ihren Dad kaum. Er wandte sich sofort an den nächsten Sanitäter

um mehr Informationen zu bekommen.

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Erst als ich ihn reden hörte, er formulierte perfekt zusammenhängende Sätze, ohne panischen Unterton, bemerkte ich, dass seine Angst und seine Sorge nicht wortlos waren. Ich konnte die genauen Worte einfach nur… nicht hören.

Hmm. Charlie Swan war nicht so still wie seine Tochter, aber ich konnte sehen wo sie es herhatte. Interessant.

Ich hatte nie viel zeit in der Nähe des örtlichen Polizeichefs verbracht. Ich hatte ihn immer für einen langsamen Denker gehalten – jetzt bemerkte ich, dass ich derjenige war, der langsam war. Seine Gedanken waren teilweise verschlossen, nicht abwesend. Ich konnte nur ihre Grundhaltung, ihren Ton ausmachen…

Ich wollte genauer zuhören um zu sehen ob ich in diesem einfacheren Puzzel den Schlüssel zu den Gedanken des Mädchens finden konnte. Aber Bella war mittlerweile im hinteren Teil des Wagens und der Krankenwagen machte sich auf den Weg zum Krankenhaus.

Es war schwer mich von der möglichen Lösung zu dem Geheimnis, dass mich verfolgte loszureißen. Aber ich musste jetzt nachdenken – ich musste die heutigen Geschehnisse aus jedem Winkel betrachten. Ich musste zuhören um herauszufinden, ob ich uns alle in so große Gefahr gebracht hatte, dass wir auf der Stelle würden abreisen müssen. Ich musste mich konzentrieren.

In den Gedanken der Sanitäter war nichts Beunruhigendes zu hören. Soweit sie es beurteilen konnten, hatte das Mädchen keine ernsthaften Verletzungen. Und Bella hielt sich an die Geschichte, die ich ihr geliefert hatte, bis jetzt jedenfalls.

Als wir das Krankenhaus erreichten, war meine erste Priorität mit Carlisle zu sprechen. Ich eilte durch die automatischen Türen, aber ich konnte nicht darauf verzichten, Bella zu beobachten; ich behielt sie durch die Gedanken der Sanitäter im Auge.

Es war leicht den bekannten Geist meines Vaters zu finden. Er war in seinem kleinen Büro, allein – der zweite Glücksfall, an diesem mit Unglück verhangenen Tag.

„Carlisle.“Er hörte mich kommen und war sofort alarmiert als er den Ausdruck auf meinem Gesicht sah.

Er sprang auf seine Füße und sein Gesicht wurde knochenbleich. Er lehnte sich über den sauber aufgeräumten Walnussschreibtisch.

Edward – du hast doch nicht – „Nein, nein, das ist es nicht.“Er atmete tief durch. Natürlich nicht. Tut mir leid, dass ich sowas auch nur denken konnte.

Deine Augen, ich hätte es selbstverständlich wissen müssen… Er bemerkte meine immer noch goldenen Augen mit Erleichterung.

„Sie ist trotzdem verletzt, Carlisle, vermutlich nicht schwer, aber…“„Was ist passiert?“„Ein blöder Autounfall. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber ich konnte nicht

einfach dastehen und zusehen – sie sterben lassen…“Erzähl mir alles von Anfang an, ich versteh's nicht. Wie bist du in die Sache verwickelt?„Ein Van schlidderte über das Eis,“ flüsterte ich. Ich starrte die Wand hinter ihm an während

ich sprach. Statt einer Reihe von Diplomen hatte er nur ein einfaches Ölgemälde an der Wand – eins seiner Lieblinge, ein unentdeckter Hassam. „Sie war im Weg. Alice hat es kommen sehen, aber ich hatte keine Zeit um irgendetwas anderes zu tun als über den Platz zu rennen und sie aus dem Weg zu zerren. Niemand hat etwas gesehen… abgesehen von ihr. Es… es tut mir leid, Carlisle. Ich wollte uns nicht in Gefahr bringen.“

Er umrundete den Tisch und legte seine Hand auf meine Schulter.

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Du hast das richtige getan. Und es war sicher nicht leicht für dich. Ich bin stolz auf dich, Edward.

Dann konnte ich ihm in die Augen sehen. „Sie weiß dass mit mir etwas… nicht stimmt.“„Das macht nichts. Wenn wir gehen müssen, dann gehen wir. Was hat sie gesagt?“Ich schüttelte ein wenig frustriert meinen Kopf. „Noch nichts.“Noch?„Sie hält sich an meine Version der Geschehnisse – aber sie erwartet eine Erklärung.“Er runzelte abwägend die Stirn.„Sie hat sich den Kopf gestoßen – naja, ich bin daran schuld,“ fügte ich schnell hinzu. „Ich

warf sie ziemlich hart zu Boden. Sie scheint in Ordnung zu sein, aber… ich denke nicht, dass es schwer wird, ihre Glaubhaftigkeit anzuzweifeln.“

Ich fühlte mich wie ein Verräter, als ich das sagte.Carlisle bemerkte, dass mir das nicht gefiel. Vielleicht wird das nicht nötig sein. Lass uns

sehen, was passiert, sollen wir? Es hört sich an, als hätte ich eine Patientin nach der ich sehen muss.„Ja bitte,“ sagte ich. „Ich mach mir solche Sorgen, dass ich sie verletzt haben könnte.“Carlisles Gesicht erhellte sich. Er glättete seine vollen Haare – nur ein paar Stufen heller als

seine goldenen Augen – und lachte.Das war wohl ein interessanter Tag für dich, nicht war? In seinen Gedanken konnte ich die

Ironie erkenne und es schien ihn zu belustigen. Was für ein Rollentausch. Irgendwann während dieser Gedankenlosen Sekunde in der ich über den eisigen Parkplatz gesprintet bin, hatte ich mich vom Killer zum Beschützer entwickelt.

Ich lachte mit ihm, als ich mich daran erinnerte, dass ich mir so sicher war, dass Bella niemals mehr Schutz vor etwas brauchte, als vor mir. Aber mein Lachen war halbherzig, denn abgesehen von dem Van, entsprach das immer noch der Wahrheit.

Ich wartete allein in Carlisles Büro – eine der längsten Stunden in meinem ganzen Leben – und lauschte dem Krankenhaus voller Gedanken.

Tyler Crowley, der Fahrer des Wagens schien es schlimmer erwischt zu haben als Bella und die Aufmerksamkeit wandte sich ihm zu, während sie darauf wartete geröntgt zu werden. Carlisle hielt sich zurück und vertraute der Diagnose der Sanitäter, dass das Mädchen nicht schwer verletzt war. Das beunruhigte mich, aber ich wusste, dass er recht hatte. Ein Blick auf sein Gesicht und sie würde sofort an mich denken, an die Tatsache dass mit meiner Familie etwas nicht stimmte und das könnte sie zum Reden bringen.

Sie hatte sicher einen redseligen Gesprächspartner an ihrer Seite. Tyler war voller Schuldgefühle weil er sie fast getötet hätte und er schien das Thema nicht fallen lassen zu können. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck durch seine Augen sehen und es war eindeutig, dass sie sich wünschte er würde damit aufhören. Wie konnte er das nicht sehen?

Als Tyler sie fragte, wie sie so schnell reagieren konnte wurde ich hellhörig.Ich wartete atemlos, als sie zögerte.„Ähm…“ hörte er sie sagen. Dann überlegte sie so lange, dass Tyler dachte, seine Frage hätte

sie verwirrt. Schließlich sprach sie weiter. „Edward hat mich zur Seite geschoben.“Ich atmete auf. Und dann beschleunigte sich mein Atem. Ich hatte sie noch nie zuvor meinen

Namen aussprechen hören. Ich mochte den Klang – auch wenn ich ihn nur durch Tylers Gedanken hörte. Ich wollte es selbst hören…

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„Edward Cullen,“ sagte sie, als Tyler nicht verstand, wen sie meinte. Ich fand mich an der Tür wieder mit der Hand am Türknauf. Das Verlangen sie zu sehen wurde immer stärker. Ich musste mich daran erinnern, vorsichtig zu sein.

„Er stand neben mir.“„Cullen?“ Häh. Das ist komisch. „Ich hab ihn gar nicht gesehen.“ Ich hätte schwören können…

„Wow, es ging alles so schnelle. Ist er okay?“„Ich glaub schon. Er ist auch hier irgendwo, aber er musste nicht auf eine Bahre.“Ich sah den gedankenverlorenen Ausdruck auf ihrem Gesicht, wie sich ihre Augen verengten,

aber diese kleinen Veränderungen bemerkte Tyler nicht.Sie ist hübsch, dachte er beinahe überrascht. Sogar wenn sie total fertig ist. Zwar eigentlich

nicht mein Typ, aber dennoch… Ich sollte sie mal ausführen. Vielleicht heute…Mit einem Mal war ich auf dem Flur, auf halbem Weg zur Notaufnahme, ohne auch nur eine

Sekunde darüber nachzudenken, was ich tat. Glücklicherweise betrat die Schwester vor mir den Raum – Bella sollte geröntgt werden. Ich lehnte mich an die Wand in einen dunklen Winkel direkt um die Ecke und versuchte mich zu fassen während sie weggerollt wurde.

Es war unwichtig, dass Tyler sie hübsch fand. Jedem würde das auffallen. Es gab keinen Grund für diese Gefühle in mir… was waren das für Gefühle? Verwirrung? Oder war ich eher wütend? Das machte alles keinen Sinn.

Ich blieb wo ich war so lange ich konnte, aber die Ungeduld obsiegte und ich nahm einen anderen Weg in Richtung Röntgenraum. Sie wurde bereits zurück zur Notaufnahme gebracht, aber ich konnte einen Blick auf ihre Röntgenbilder werfen, als die Schwester mir den Rücken zudrehte.

Es beruhigte mich zu sehen, dass es ihrem Kopf gut ging. Ich hatte sie nicht verletzte, nicht wirklich.

Carlisle erwischte mich hier.Du siehst besser aus, kommentierte er.Ich sah weiter geradeaus. Wir waren nicht allein, die Halle war voller Patienten und Besucher.Ah, ja. Er heftete ihre Röntgenbilder an die Lichttafel(?), aber ich brauchte keinen zweiten

Blick darauf zu werfen. Ich seh schon. Sie ist vollkommen in Ordnung. Gut gemacht, Edward.Die Anerkennung meines Vaters weckte gemischte Gefühle in mir. Ich wäre erleichtert

gewesen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass er nicht loben würde, was ich jetzt vorhatte. Er wäre nicht begeistert, wenn er meine wahre Motivation kennen würde…

„Ich denke, ich werde jetzt mal mit ihr reden – bevor sie dich sieht,“ murmelte ich. „Verhalte mich normal, als wäre nichts gewesen. Ich werde es ausbügeln.“ Alles akzeptable Gründe.

Carlisle nickte abwesend während er immer noch auf die Röntgenbilder schaute. „Gute Idee. Hmm.“

Ich schaute nach, was sein Interesse geweckt hatte.Schau dir all diese verheilten Prellungen an! Wie oft hat ihre Mutter sie wohl fallen lassen?

Carlisle lachte über seinen Witz.„Ich fange an zu glauben, dass das Mädchen einfach nur Pech hat. Immer zur falschen Zeit

am falschen Ort.“Forks ist sicher der falsche Ort für sie, wenn du hier bist.Ich zuckte zusammen.Geh schon. Bügel es aus. Ich komme jeden Moment nach.Ich lief schnell weg und fühlte mich schuldig. Vielleicht war ich ein zu guter Lügner, wenn ich

sogar Carlisle austricksen konnte.

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Als ich in die Notaufnahme kam, murmelte Tyler immer noch Entschuldigungen vor sich hin. Das Mädchen versuchte seiner Reue zu entkommen indem sie so tat als würde sie schlafen. Ihre Augen waren geschlossen, aber ihr Atem war nicht gleichmäßig und hin und wieder zuckten ihre Finger ungeduldig.

Ich starrte sie lange an. Das war das letzte Mal dass ich sie sehen würde. Diese Tatsache verursachte starke Schmerzen in meiner Brust. War es weil ich es hasste ein Rätsel ungelöst zurückzulassen? Das erschien mir keine gute Erklärung zu sein.

Dann atmete ich tief durch und trat ins Sichtfeld.Als Tyler mich sah wollte er etwas sagen, aber ich legte einen Finger an meine Lippen.„Schläft sie?“ murmelte ich.Bellas Augen sprangen auf und fixierten mich. Sie weiteten sich augenblicklich und wurden

dann kleiner vor Ärger und Misstrauen. Ich erinnerte mich, dass ich eine Rolle zu spielen hatte, also lächelte ich sie an als wäre nichts Ungewöhnliches passiert – außer einer Beule an ihrem Kopf und ein bisschen zu viel Fantasie.

„Hey, Edward,“ sagte Tyler. „Es tut mir so leid…“Ich hob eine Hand um sein Entschuldigung abzuwehren. „Es ist ja kein Blut vergossen

worden,“ sagte ich leichthin. Ohne nachzudenken lächelte ich ein wenig zu breit über meinen kleinen Insider.

Es war erstaunlich einfach Tyler zu ignorieren, der keinen Meter von mir entfernt lag über und über mit frischem Blut bedeckt. Ich hatte nie verstanden, wie Carlisle das schaffte – das Blut seiner Patienten zu ignorieren, während er sie behandelte. Wäre die andauernde Versuchung nicht zu groß, zu gefährlich…? Aber jetzt… verstand ich es, wenn man sich nur stark genug auf etwas anderes konzentrierte, war die Versuchung gar nicht so groß.

Obwohl es frisch und offensichtlich war, Tylers Blut war nichts im Vergleich zu Bellas.Ich hielt Abstand von ihr und setzte mich ans Fußende von Tylers Bett.„Also, wie lautet das Urteil?“ fragte ich sie.Sie schob ihre Unterlippe ein wenig vor. „Mit mir ist alles in Ordnung. Aber sie lassen mich

nicht gehen. Wie kommt es dass du nicht auf eine Bahre geschnallt bist, wie der Rest von uns?“Ihre Ungeduld brachte mich wieder zum lächeln.Ich konnte Carlisle in der Halle hören.„Alles eine Frage der Beziehungen,“ sagte ich leichthin. „Aber keine Sorge, ich bin gekommen

um dich hier rauszuholen.“Ich beobachtete ihre Reaktion genau als mein Vater den Raum betrat. Ihre Augen wurden

größer und ihr Mund klappte auf vor Überraschung. Ich stöhnte innerlich auf. Ja sie hatte die Ähnlichkeit bemerkt.

„So, Miss Swan, wie fühlen sie sich?“ fragte Carlisle. Er hatte eine Art an sich mit der er jeden Patienten mühelos beruhigen konnte innerhalb weniger Augenblicke. Ich konnte nicht sagen, wie es bei Bella wirkte.

„Es geht mir gut,“ sagte sie leise.Carlisle befestigte die Röntgenbilder an der Lichttafel über dem Bett. „Deine

Röntgenaufnahmen sehen gut aus. Tut dein Kopf weh? Edward sagt, du bist ziemlich hart aufgeschlagen.“

Sie seufzte und sagte wieder, „Es geht mir gut,“ aber diesmal schwang etwas Ungeduld in ihrer Stimme mit. Dann warf sie mir einen kühlen Blick zu.

Carlisle trat näher an sie heran und tastete ihren Kopf ab, bis er die Beule unter ihren Haaren fand.

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Ich wurde hinterrücks von einer Welle seltsamer Gefühle überrannt.Ich hatte Carlisle schon tausendmal zugesehen wie er Menschen behandelte. Vor Jahren hab

ich ihm sogar nebenbei geholfen – natürlich nur in Situation wo kein Blut involviert war. Es war also nichts Neues für mich, zu sehen, dass er mit dem Mädchen umging, als wäre er genauso menschlich wie sie. Ich beneidete ihn oft wegen seiner Selbstkontrolle, aber dieses Gefühl war anders. Ich beneidete ihn um mehr als nur um seine Selbstkontrolle. Ich sehnte mich nach dem Unterschied zwischen Carlisle und mir – dass er sie sanft berühren konnte, ohne angst haben zu müssen, zu wissen, dass er ihr nichts tun würde…

Sie zuckte zusammen und ich rutschte unruhig auf meinem Platz herum. Ich musste mich einen Moment konzentrieren, um meine lässige Haltung beizubehalten.

„Empfindlich?“ fragte Carlisle.Ihr Kinn trat ein wenig hervor. „Nicht wirklich,“ sagte sie.Ein weiterer kleiner Teil ihres Charakters offenbarte sich mir: sie war mutig. Sie mochte es

nicht, Schwäche zu zeigen.Wohlmöglich die verletzlichste Person die ich je gesehen hatte und sie wollte nicht schwach

wirken. Ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken.Sie warf mir einen weiteren wütenden Blick zu.„Also,“ sagte Carlisle. „Dein Vater ist im Wartezimmer – du kannst mit ihm nach Hause

gehen. Aber komm wieder wenn dir schwindelig wird oder deine Sicht beeinträchtigt wird.“Ihr Vater war hier? Ich tastete die Gedanken im überfüllten Wartezimmer ab, aber ich konnte

seine feine mentale Stimme aus der Gruppe nicht herausfiltern bis sie wieder sprach, ihr Gesichtsausdruck war ängstlich.

„Kann ich nicht wieder zur Schule gehen?“„Vielleicht solltest du es langsam angehen, heute,“ schlug Carlisle vor.Ihre Augen wendeten sich zu mir. „Kann er wieder zur Schule gehen?“Verhalte dich normal, bügel alles aus… ignoriere wie es sich anfühlt, wenn sie dir in die Augen

blickt…„Irgendjemand muss doch die Gute Neuigkeit überbringen, dass wir überlebt haben,“ sagte

ich.„Eigentlich,“ korrigierte mich Carlisle, „befindet sich der Großteil der Schule im

Wartezimmer.“Diesmal konnte ich mir ihre Reaktion vorstellen – ihre Aversion gegen Aufmerksamkeit. Sie

enttäuschte mich nicht.„Oh nein,“ stöhnte sie und hob die Hände vors Gesicht.Es fühlte sich gut an richtig geraten zu haben. Ich begann sie zu verstehen…„Möchtest du lieber noch bleiben?“ fragte Carlisle.„Nein, nein!“ sagte sie schnell und schwang ihre Beine über die Bahre und glitt auf den

Boden. Sie verlor das Gleichgewicht und stolperte in Carlisles Arme. Er fing sie auf und half ihr das Gleichgewicht wiederzufinden.

Und wieder keimte der Neid in mir auf.„Es geht mir gut,“ sagte sie, bevor er etwas sagen konnte, ihr Wangen wieder gerötet.Natürlich würde das Carlisle nichts ausmachen. Er ging sicher, dass sie stehen konnte und ließ

sie los.„Nimm etwas Tylenol gegen die Schmerzen,“ empfahl er.„So schlimm tut es gar nicht weh.“

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Carlisle lächelte als sie ihre Papiere unterzeichnete. „Hört sich an, als hättest du großes Glück gehabt.“

Sie drehte ihr Gesicht leicht, um mich mit eisigen Augen anzustarren. „Ich hatte Glück, dass Edward zufällig neben mir stand.“

„Oh, ja natürlich,“ stimmte Carlisle sofort zu. Er hatte dasselbe in ihrem Tonfall gehört wie ich. Sie hatte ihren Verdacht nicht als Einbildung abgeschrieben. Noch nicht.

Sie gehört dir, dachte Carlisle. Regel das wie du meinst.„Vielen Dank auch,“ flüsterte ich schnell und leise. Kein Mensch konnte das hören. Carlisles

Mundwinkel hoben sich leicht, als er den Sarkasmus bemerkte und wandte sich an Tyler. „Du musst aber wohl noch etwas länger bei uns bleiben,“ sagte er als er die Schnittwunden untersuchte, die die zersplitterte Windschutzscheibe hinterlassen hatte.

Naja, ich hatte mir die Suppe eingebrockt, da war es nur fair, dass ich sie selbst auslöffelte.Bella kam direkt auf mich zu und hielt nicht an, bis sie unangenehm nah war. Ich erinnerte

mich wie ich gehofft hatte, bevor das ganze Chaos ausgebrochen war, dass sie auf mich zukommen würde… Das hier war wie eine Verspottung dieses Wunsches.

„Kann ich kurz mal mit dir reden?“ zischte sie.Ihr warmer Atem strich mir übers Gesicht und ich musste einen Schritt zurückweichen. Ihre

Anziehungskraft hatte kein bisschen nachgelassen. Jedesmal wenn sie mir zu nahe kam, brachte es das schlechteste in mir zum Vorschein, drängende Instinkte. Gift flutete meinen Mund und mein Körper verlangte danach zuzuschlagen – sie zu packen und meine Zähne in ihren Hals zu schlagen.

Mein Geist war stärker als mein Körper, jetzt noch.„Dein Vater wartet auf dich,“ erinnerte ich sie durch meine zusammengepressten Zähne.Sie blinzelte kurz zu Carlisle und Tyler. Tyler achtete nicht auf uns, aber Carlisle beobachtete

jeden meiner Atemzüge.Vorsichtig, Edward.„Ich würde gern mit dir unter vier Augen sprechen, wenn es dir nichts ausmacht,“ beharrte

sie leise.Ich wollte ihr sagen, dass es mir sehr wohl etwas ausmachte, aber ich wusste, dass ich das

letzten Endes hinter mich bringen musste. Das konnte ich genauso gut jetzt tun.Ich war so voller widersprüchlicher Gefühle, als ich aus dem Raum stolzierte und auf ihre

Schritte lauschte die mir hinterher stolperten und versuchten Schritt zu halten.Ich musste meine Show weiterspielen. Ich kannte die Rolle, die ich spielen musste – ich hatte

den Charakter vor mir: Ich war der Schurke. Ich würde lügen, spotten und grausam sein.Es ging gegen alle meine besseren Manieren – die menschlichen Manieren an die ich mich in

all den Jahren gehalten hatte. Ich hatte mir noch nie so sehr das Vertrauen von jemandem gewünscht wie in diesem Augenblick in dem ich alle Gründe dafür zerstören musste.

Es machte es noch schlimmer, weil dies der letzte Eindruck war, den sie von mir bekommen würde. Dies war meine Abschiedsszene.

Ich drehte mich zu ihr um.„Was willst du?“ fragte ich kühl.Sie schrak zurück vor meiner Feindseligkeit. Ihre Augen waren verwirrt, der Ausdruck, der

mich verfolgt hatte…„Du schuldest mir eine Erklärung,“ sagte sie kleinlaut; ihr elfenbeinfarbenes Gesicht wurde

blass.Es war sehr anstrengend meine Stimme rau zu halten. „Ich hab dir das Leben gerettet – ich

schulde dir gar nichts.“

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Sie zucke zurück – es brannte wie Säure zu sehen, wie meine Worte sie verletzten.„Du hast es versprochen,“ flüsterte sie.„Bella, du hast dir den Kopf gestoßen, du weißt nicht, was du da redest.“Sie schob ihr Kinn vor. „Mit meinem Kopf ist alles in Ordnung.“Jetzt war sie wütend, was es mir leichter machte. Ich erwiderte ihren Blick und ließ mein

Gesicht noch unfreundlicher wirken.„Was willst du von mir, Bella?“„Ich möchte die Wahrheit hören. Ich möchte wissen, warum ich für dich lüge.“Was sie wollte, war nur fair – es frustriete mich, ihr das abschlagen zu müssen.„Was glaubst du denn, was passiert ist?“ ich knurrte fast.Die Worte sprudelten in einem Sturzbach aus ihr heraus. „Alles was ich weiß ist, dass du nicht

in meiner Nähe warst – Tyler hat dich auch nicht gesehen, also sag mir nicht, ich hätte mir den Kopf zu hart angeschlagen. Der Van hätte uns beide zerquetscht – aber das hat er nicht, und dein Hände haben Abdrücke in seiner Seite hinterlassen – und du hast auch Abdrücke in dem anderen Auto hinterlassen, aber du bist kein bisschen verletzt – und der Van hätte meine Beine zerquetscht, aber du hast ihn hochgehalten…“ plötzlich biss sie ihre Zähen zusammen und ihr Augen glitzerten voller Tränen.

Ich starrte sie spöttisch an, aber was ich wirklich fühlte war Ehrfurcht; sie hatte alles gesehen.„Du glaubst, ich hätte einen Van angehoben?“ fragte ich sarkastisch.Sie antwortete mit einem kurzen nicken.Meine Stimme wurde noch spöttischer. „Niemand wird das glauben, das ist dir klar, oder?“Sie strengte sich an um ihre Wut zu kontrollieren. Als sie mir antwortete, sprach sie jedes

Wort mit Bedacht aus. „Ich werde es niemandem erzählen.“Sie meinte es so wie sie es sagte – das konnte ich in ihren Augen sehen. Sogar wütend und

verraten, würden sie mein Geheimnis bewahren.Warum?Der Schock ruinierte meine sorgfältig aufgesetzte Mine für eine halbe Sekunde, dann riss ich

mich wieder zusammen.„Warum ist es dann so wichtig?“ fragte ich, darauf bedacht meine Stimme scharf klingen zu

lassen.„Es ist mir wichtig,“ sagte sie drängend. „Ich mag es nicht zu lügen – also hätte ich gern einen

guten Grund warum ich lüge.“Sie bat mich, ihr zu vertrauen. Genau wie ich wollte, dass sie mir vertraute. Aber das war eine

Grenze, die ich nicht überschreiten konnte.Meine Stimme blieb gleichgültig. „Kannst du mir nicht einfach danken und die Sache auf sich

beruhen lassen?“„Danke,“ sagte sie, tobte innerlich vor Wut und wartete.„Du wirst es nicht auf sich beruhen lassen, oder?“„Nein.“„In dem Fall…“ Ich konnte ihr nicht mal die Wahrheit sagen, wenn ich es gewollt hätte… und

ich wollte nicht. Mir war es lieber, sie würde ihre eigene Geschichte erzählen bevor sie erfuhr was ich war, denn nichts konnte schlimmer sein, als die Wahrheit – ich war ein lebender Alptraum, direkt von den Seiten eines Horrorromans. „Ich hoffe, du kannst mit Enttäuschungen umgehen.“

Wir starrten uns an. Es war seltsam wie liebenswert ihre Wut war. Wie ein wütendes Kätzchen, sanft und harmlos, und so nichtsahnend von ihrer eigenen Verletzbarkeit.

Sie lief rot an und biss wieder ihre Zähne zusammen. „Warum stört es dich dann?“

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Diese Frage hatte ich nicht erwartet. Ich verlor die Rolle die ich spielte. Ich fühlte wie die Maske von meinem Gesicht wich und sagte ihr – dieses eine mal – die Wahrheit.

„Ich weiß es nicht.“Ich brannte mir ihr Gesicht ein letztes Mal ein – es war immer noch wütend, das Blut immer

noch in den Wangen – und dann drehte ich mich um und ließ sie stehen.

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4. Visionen

Ich ging zurück zur Schule. Es war das einzig richtige, die unauffälligste Art sich zu benehmen.Gegen Ende des Tages waren fast alle Schüler wieder in die Schule zurückgekehrt. Nur Tyler,

Bella und ein paar andere – die den Unfall dazu nutzen um zu schwänzen – blieben abwesend.Es sollte nicht so schwer für mich sein, das richtige zu tun. Aber den ganzen Nachmittag biss

ich meine Zähne zusammen um gegen das Verlangen anzukämpfen, dass in mir die Sehnsucht weckte auch zu schwänzen – um das Mädchen wieder zu finden.

Wie ein Stalker. Ein besessener Stalker. Ein besessener Vampir-Stalker.Schule war heute – irgendwie, unmöglich – noch langweiliger als letzte Woche. Koma-mäßig.

Es war als wäre sämtliche Farbe aus den Backsteinen gewichen, und aus den Bäumen, dem Himmel, den Gesichtern um mich herum… Ich starrte auf die Risse in der Wand.

Es gab noch etwas richtiges, das ich tun musste… das ich nicht tat. Natürlich war es ebenso falsch. Es kam ganz auf den Blickwinkel an von dem aus man es betrachtete.

Von der Perspektive eines Cullen – nicht nur eines Vampirs, sondern eines Cullen, jemandem der zu einer Familie gehörte, so ein seltener Status in unserer Welt – das richtige wäre ungefähr das:

„Ich bin überrascht, dich hier im Unterricht zu sehen, Edward. Ich hab gehört du warst in diesen schlimmen Autounfall heute Morgen verwickelt.“

„Ja, das war ich Mr. Banner, aber ich hatte Glück.“ Ein freundliches Lächeln. „Ich bin nicht verletzt worden… ich wünschte ich könnte das selbe von Tyler und Bella behaupten.“

„Wie geht es ihnen?“„Ich glaube Tyler geht es soweit gut… nur ein paar oberflächliche Kratzer von der

Windschutzscheibe. Aber bei Bella bin ich mir nicht sicher.“ Ein besorgter Seufzer. „Sie hat vielleicht eine Gehirnerschütterung. Ich hörte sie war etwas verwirrt – sah sogar Dinge. Ich weiß, dass die Ärzte besorgt waren…“

So hätte es laufen sollen. Das schuldete ich meiner Familie.„Ich bin überrascht, dich hier im Unterricht zu sehen, Edward. Ich hab gehört du warst in

diesen schlimmen Autounfall heute Morgen verwickelt.“„Ich bin nicht verletzt worden.“ Kein Lächeln.Mr. Banner verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen.„Weißt du wie es Tyler Crowley und Bella Swan geht? Ich hab gehört, es gab einige

Verletzungen…“Ich zuckte mit den Schultern. „Davon weiß ich nichts.“Mr. Banner räusperte sich. „Ähm ja, richtig…“ sagte er und mein kalter Blick ließ seine

Stimme angespannt klingen.Er ging eilig wieder nach vorne und begann mit dem Unterricht.Es war falsch. Es seih denn man betrachtete es aus einem undeutlicheren Blickwinkel.Es kam mir nur so… so unritterlich vor hinter dem Rücken des Mädchens schlecht von ihr zu

reden, besonders da sie sich als vertrauenswürdiger erwies als ich mir hätte träumen lassen. Sie hatte nichts gesagt das mich verraten hätte, obwohl sie guten Grund dazu gehabt hätte. Konnte ich sie verraten, wenn sie nichts anderes getan hatte, als mein Geheimnis zu bewahren?

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Ich hatte eine ähnliche Unterhaltung mit Mrs. Goff – nur auf Spanisch statt englisch – und Emmett warf mir einen langen Blick zu.

Ich hoffe du hast eine gute Erklärung für das was heute passiert ist. Rose ist auf dem Kriegspfad.

Ich verdrehte meine Augen ohne ihn anzuschauen.Ich hatte mir schon eine perfekte Erklärung zurechtgelegt. Man stelle sich nur mal vor, ich

hätte nichts unternommen um den Van davon abzuhalten, das Mädchen zu zerquetschen… spulte ich meine Ausrede in Gedanken ab. Aber wenn sie getroffen worden wäre, wenn sie zerfleischt worden wäre und geblutet hätte, die rote Flüssigkeit verschwendet auf der Teerdecke, der Geruch des frischen Blutes der durch die Luft strömte…

Ich erzitterte, aber nicht nur vor grauen. Ein Teil von mir zitterte vor Verlangen. Nein, ich wäre nicht in der Lage gewesen sie bluten zu sehen ohne uns auf abscheulichere und schockierendere Weise zu entlarven.

Es war eine perfekte Ausrede… aber ich würde sie nicht gebrauchen. Es wäre zu beschämend.Und ehrlichgesagt, hatte ich erst lange nach der Aktion über diese Möglichkeit nachgedacht.Pass auf wegen Jasper, fuhr Emmett fort ohne meine Träumerei zu bemerken. Er ist nicht so

sauer… aber er ist fester entschlossen.Ich verstand sofort was er meinte und für einen Moment verschwamm der Raum vor meinen

Augen. Meine Wut war so all-umfassend dass ein roter Dunst meine Sicht vernebelte. Ich dachte ich würde daran ersticken.

PSSST, EDWARD! REISS DICH ZUSAMMEN! Brüllte Emmett mir in seinem Kopf entgegen. Er legte seine Hand auf meine Schulter und hielt mich fest, bevor ich aufspringen konnte. Er nutzte selten auch nur annähernd seine ganze Kraft – das war nicht nötig, denn er war stärker als jeder Vampir den einer von uns jemals kennengelernt hatte – aber jetzt nutzte er sie. Er packte meinen Arm, aber drückte mich nicht runter. Wenn er gedrückt hätte, wäre der Stuhl unter mir zusammengebrochen.

RUHIG! Befahl er.Ich versuchte mich zu beruhigen aber es war schwer. Die Wut brannte in meinem Kopf.Jasper wird nichts unternehmen, bevor wir uns nicht alle miteinander unterhalten haben. Ich

dachte nur du solltest wissen, in welche Richtung er tendiert.Ich konzentrierte mich darauf, mich zu entspannen und fühlte wie Emmetts Hand sich löste.Versuch nicht noch mehr Aufsehen zu erregen. Du hast schon genug Schwierigkeiten.Ich atmete tief durch und Emmett ließ mich los.Ich hörte mich routiniert im Klassenraum um, aber unsere Auseinandersetzung war so kurz

und leise , dass nur ein paar Leute die hinter Emmett saßen, etwas mitbekommen hatten. Niemand wusste etwas damit anzufangen, also ließen sie es auf sich beruhen. Die Cullens waren Freaks – jeder wusste das bereits.

Verdammt, Junge, du bist ein Wrack, fügte Emmett noch hinzu mit Verständnis in der Stimme.

„Beiß mich,“ murmelte ich und hörte ihn leise kichern.Emmett verurteilte niemanden und ich sollte dankbarer sein für seine einfache Natur. Aber

ich konnte sehen, dass Jaspers Pläne für ihn einen Sinn ergaben, dass es ihm vorkam wie die bestmöglichste Lösung.

Die Wut brodelte in mir, kaum unter Kontrolle. Ja, Emmett war stärker als ich, aber er musste mich noch im Wrestling schlagen. Er beschwerte sich, ich würde mogeln, aber die Gedanken von

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jemandem zu hören war genauso ein Teil von mir, wie seine immense Kraft ein Teil von ihm war. Wir waren uns ebenbürtig in einem Kampf.

Ein Kampf? Lief es darauf hinaus? Würde ich gegen meine Familie kämpfen wegen einem Menschen den ich kaum kannte?

Für einen Moment dachte ich darüber nach, dachte an das Gefühl des zerbrechlichen Körpers des Mädchens in meinen Armen im Vergleich zu Jasper, Rose und Emmett – übernatürlich stark und schnell, von Natur aus Killer Maschinen…

Ja, ich würde für sie kämpfen. Gegen meine Familie. Ich schauderte.Aber es war nicht fair sie schutzlos zurück zu lassen, wenn ich sie in Gefahr gebracht hatte.Aber ich konnte auch nicht alleine gewinnen, nicht gegen alle drei und ich fragte mich, wer

auf meiner Seite stehen würde.Carlisle, ganz sicher. Er würde gegen niemanden kämpfen, aber er wäre absolut gegen Roses

und Jaspers Vorschlag. Das war vielleicht alles was ich brauchte. Wir würden sehen…Esme, eher nicht. Sie wäre auch nicht gegen mich und sie würden es hassen nicht mit Carlisle

übereinzustimmen aber sie wäre für jeden Plan der ihre Familie zusammenhalten würde. Ihre oberste Priorität wäre nicht Recht, sondern ich. Wenn Carlisle die Seele unserer Familie war, dann war Esme das Herz. Er gab uns einen Anführer der es verdiente, dass man ihm folgte; sie sorgte dafür dass wir aus Liebe folgten. Wir liebten uns alle – sogar unter der Wut die ich im Moment für Rose und Jasper verspürte, sogar während ich plante sie zu bekämpfen um das Mädchen zu schützen, wusste ich, dass ich sie liebte.

Alice… ich hatte keine Ahnung. Es würde vermutlich davon abhängen, was sie kommen sah. Sie würde auf der Seite des Siegers stehen, könnte ich mir vorstellen.

Also würde ich ohne Hilfe auskommen müssen. Allein war ich kein Gegner für sie, aber ich würde nicht zulassen, dass das Mädchen wegen mir verletzt würde. Das könnte Ausweichmöglichkeiten bedeuten…

Meine Wut wurde von dem schwarzen Humor gedämpft. Ich konnte mir vorstellen, wie das Mädchen reagieren würde, wenn ich sie entführte. Natürlich riet ich selten richtig, wenn es um ihre Reaktionen ging – aber wie konnte sie anders reagieren als mit Schrecken?

Ich war mir nicht sicher, wie ich das anstellen sollte – sie entführen. Ich wäre nicht in der Lage lange in ihrer Nähe zu sein. Vielleicht würde ich sie einfach zurück zu ihrer Mutter bringen. Aber auch das wäre sehr gefährlich. Für sie.

Und auch für mich, bemerkte ich plötzlich. Wenn ich sie aus Versehen tötete… ich war mir nicht sicher, wie viel Schmerz mir das bereiten würde, aber ich wusste, dass es vielfältig und intensiv sein würde.

Die Zeit verging schnell, während ich über all die Komplikationen nachdachte, die vor mir lagen: die Auseinandersetzung die zu Hause auf mich wartete, der Konflikt mit meiner Familie, die Schritte die ich anschließend gezwungen wäre einzuleiten…

Naja, immerhin konnte ich mich nicht darüber beschweren, dass das Leben außerhalb der Schule monoton wäre. Das Mädchen hatte so viel verändert.

Emmett und ich gingen schweigend zum Auto als die Schulglocke läutete. Er machte sich Sorgen um mich und um Rosalie. Er wusste auf welcher Seite er stehen musste, wenn es zum Streit kam, und es störte ihn.

Die anderen warteten im Wagen auf uns, ebenso still. Wir waren ein ruhiges Grüppchen. Nur ich konnte das Geschrei hören.

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Idiot! Wahnsinniger! Schwachkopf! Esel! Selbstsüchtiger, unverantwortlicher Dummkopf! Rosalie feuerte eine Beleidigung nach der anderen auf mich ab. Es machte es schwerer die anderen zu hören, aber ich blendet sie aus so gut es ging.

Emmett hatte recht, was Jasper anging. Er war sich sicher, welchen Weg er gehen würde.Alice war aufgewühlt, besorgt um Jasper jagte sie durch Bilder in der Zukunft. Egal aus

welcher Richtung Jasper auf das Mädchen zuging, sah Alice immer mich, wie ich ihn abwehrte. Interessant… weder Rosalie noch Emmett waren bei ihm in dieser Vision. Also plante Jasper alleine vorzugehen. Das glich die Sache aus.

Jasper war der beste, der erfahrenste Kämpfer unter uns. Mein einziger Vorteil bestand darin, dass ich seine Bewegungen hören konnte, bevor er sie machte.

Ich hatte nie ernsthaft mit Emmett oder Jasper gekämpft – nur herumgealbert. Es gefiel mir nicht, dass ich Jasper wirklich verletzen müsste…

Nein, nicht das. Nur abwehren. Das war alles.Ich konzentrierte mich auf Alice, wie sie sich Jaspers verschiedene Angriffswege merkte.Als ich das tat, veränderten sich ihre Visionen, entfernten sich immer weiter von dem Swan-

Haus. Ich würde ihn vorher ausschalten…Hör auf damit, Edward! Das kann nicht passieren. Ich werde es nicht zulassen.Ich antwortete ihr nicht, ich sah nur weiter zu.Sie begann weiter voraus zu suchen, in den verschwommenen, unsicheren, weit entfernten

Möglichkeiten. Alles war schattenhaft und vage.Auf dem ganzen Heimweg löste sich die unangenehme Stille nicht auf. Ich parkte in der

großen Garage des Hauses; Carlisles Mercedes war da, neben Emmetts großen Jeep, Roses M3 und meinem Vanquish. Ich war erleichtert, dass Carlisle schon zu Hause war – diese Stille würde mit einer Explosion enden und ich wollt ihn dabei haben, wenn das passierte.

Wir gingen direkt ins Essezimmer.Der Raum wurde selbstverständlich nie für seinen eigentlichen Zweck genutzt. Aber er war

möbliert mit einem langen ovalen Mahagoni-Tisch, der von Stühlen umgeben war – wir waren gewissenhaft darauf bedacht alle Requisiten an ihrem Platz zu haben. Carlisle nutzte ihn gern als Konferenzraum. In eine Gruppe voller starker und verschiedener Charaktere war es manchmal von Nöten die Dinge in einer ruhigen, gesitteten Atmosphäre zu besprechen.

Ich hatte so das Gefühl, dass es heute nicht gesittet zugehen würde.Carlisle saß an seinem üblichen Platz, am östlichen Kopfende des Tisches. Esme saß neben

ihm – sie hielten sich an den Händen.Esmes Augen ruhten auf mir, die goldenen Tiefen voller Sorge.Bleib. Es war ihr einziger Gedanke.Ich wünschte ich könnte die Frau anlächeln die in so vielerlei Hinsicht wirklich meine Mutter

war, aber ich hatte jetzt keine beruhigenden Blicke für sie.Ich setzte mich zu Carlisles anderer Seite. Esme streckte sich an ihm vorbei um mir ihre freie

Hand auf die Schulter zu legen. Sie hatte keine Ahnung, was hier gleich passieren würde; sie machte sich bloß Sorgen um mich.

Carlisle hatte ein besseres Gefühl dafür, was gleich kommen würde. Er presste seine Lippen zusammen und runzelte die Stirn. Der Ausdruck war zu alt für sein junges Gesicht.

Als die anderen sich setzten, konnte ich die Trennlinie die gezogen wurde genau sehen.Rosalie setzte sich gegenüber von Carlisle, ans andere Ende des langen Tisches. Sie funkelte

mich an und machte keine Anstalten wieder wegzusehen.Emmett setze sich neben sie, sein Gesicht und seine Gedanken verdreht.

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Jasper zögerte und stellte sich dann an die Wand hinter Rosalie. Seine Entscheidung war gefallen, egal wie diese Diskussion ausging. Ich presste meine Zähne zusammen.

Alice betrat als letzte den Raum, ihre Augen auf etwas in weiter Ferne gerichtet – die Zukunft, immer noch zu verworren um einen Nutzen daraus ziehen zu können. Ohne darüber nachzudenken, setzte sie sich neben Esme. Sie rieb sich die Stirn, als hätte sie Kopfschmerzen. Jasper wurde unruhig, unsicher ob er sich zu ihr setzten sollte, aber er behielt seinen Platz bei.

Ich atmete tief durch. Ich hatte das ganze Angefangen – ich sollte zuerst reden.„Es tut mir leid,“ sagte ich und schaute erst zu Rose, dann Jasper und dann Emmett. „Ich

wollte niemanden von euch in Schwierigkeiten bringen. Es war gedankenlos und ich übernehme die volle Verantwortung für meine übereilte Aktion.“

Rosalie funkelte mich unheilvoll an. „Was meinst du mit `volle Verantwortung übernehmen`? Wirst du es wieder geradebiegen?“

„Nicht so wie du denkst,“ sagte ich und versuchte meine Stimme ruhig und gleichmäßig zu halten. „Ich bin bereit zu gehen, wenn es die Lage verbessert.“ Wenn ich glaube, dass das Mädchen sicher ist, wenn ich glaube, dass keiner von euch sie anfassen wird, fügte ich in meinem Kopf hinzu.

„Nein,“ murmelte Esme. „Nein, Edward.“Ich tätschelte ihre Hand. „Es ist doch nur für ein paar Jahre.“„Esme hat recht,“ sagt Emmett. „Du kannst jetzt nirgendwo hingehen. Das wäre das

Gegenteil von Hilfreich. Wir müssen wissen, was die Leute denken. Jetzt mehr denn je.“„Alice wird alles Wichtige auffangen,“ wiedersprach ich.Carlisle schüttelte seinen Kopf, „Ich denke Emmett hat recht. Das Mädchen wird eher reden,

wenn du verschwindest. Entweder wir gehen alle, oder keiner.“„Sie wird nichts sagen,“ beharrte ich schnell. Rose war kurz davor zu explodieren und ich

wollte diesen Fakt vorher loswerden.„Du kennst ihre Gedanken nicht,“ erinnerte mich Carlisle.„Aber das weiß ich. Alice, bestätige mich.“Alice starrte mich resignierend an. „Ich kann nicht sehen, was passiert, wenn wir das einfach

ignorieren.“ Sie blickte kurz zu Rose und Jasper.Nein, diese Zukunft konnte sie nicht sehen – nicht wenn Rosalie und Jasper so entschieden

dagegen waren die Sache zu ignorieren.Rosalie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Wir können dem Menschen nicht die

Chance lassen irgendetwas zu sagen. Carlisle das muss dir klar sein. Selbst wenn wir beschließen würden alle zu verschwinden, ist es nicht sicher Geschichten zurückzulassen. Wir leben so anders als der Rest von unserer Art – du weißt, dass es genug gibt, die jeden Grund willkommen heißen um mit dem Finger auf uns zu zeigen. Wir müssen noch vorsichtiger sein, als alle anderen!“

„Wir haben schon oft Gerüchte zurückgelassen,“ erinnerte ich sie.„Nur Gerüchte und Annahmen, Edward. Keine Augenzeugen und Beweise!“„Beweise!“ höhnte ich.Aber Jasper nickte, seine Augen waren unerbittlich.„Rose…“ begann Carlisle.„Lass mich ausreden Carlisle. Es muss keine große Sache werden. Das Mädchen hat sich

heute den Kopf angeschlagen. Vielleicht stellt sich heraus, dass die Verletzung schwerer war, als sie auf den ersten Blick schien.“ Rosalie zuckte mit den Schultern. „Jeder Sterbliche geht mit dem Risiko ins Bett nie wieder aufzuwachen. Die anderen erwarten von uns, dass wir hinter uns aufräumen. Technisch gesehen wäre es Edwards Job das zu tun, aber das übersteigt offensichtlich seine Kräfte. Du weißt, dass ich mich unter Kontrolle habe. Ich würde keine Beweise zurücklassen.“

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„Ja, Rosalie, wir alle wissen was für ein professioneller Meuchelmörder du bist,“ knurrte ich.Sie zischte mich wütend an.„Edward, bitte,“ sagte Carlisle. Dann wandte er sich zu Rosalie. „Rosalie, ich habe in

Rochester nicht hingesehen weil ich der Meinung war, dass du deine Gerechtigkeit verdient hattest. Die Männer die du getötet hast, haben dir großes Unrecht angetan. Aber das hier ist nicht dieselbe Situation. Das Swan-Mädchen ist unschuldig.“

„Es ist nichts persönliches, Carlisle,“ sagte Rose durch ihre Zähne. „Es ist zu unserem Schutz.“Es folgte ein kurzer Moment der Stille, als Carlisle seine Antwort überdachte. Als er nickte,

leuchteten Rosalies Augen auf. Sie hätte es besser wissen müssen. Selbst wenn ich nicht in der Lage gewesen wäre, seine Gedanken zu lesen, hätte ich seine nächsten Worte vorhersagen können. Carlisle machte keine Kompromisse.

„Ich weiß, dass du es nur gut meinst, Rosalie, aber… ich möchte, dass meine Familie es verdient beschützt zu werden. Der gelegentliche… Unfall oder Fehltritt ist ein bedauerlicher Teil dessen was wir sind.“ Es war so typisch für ihn, sich mit einzubeziehen, obwohl er nie selbst so einen Fehltritt hatte. „Ein unschuldiges Kind kaltblütig zu ermorden ist etwas ganz anderes. Ich denke, die Gefahr, die sie bedeutet, egal ob sie ihre Vermutungen ausspricht oder nicht, ist kein übergeordnetes Risiko. Wenn wir ausnahmen machen um uns selbst zu schützen, riskieren wir etwas viel wichtigeres. Wir verlieren das Wesen das uns ausmacht.“

Ich riss mich zusammen so gut ich konnte. Es würde der Situation nicht guttun, wenn ich jetzt grinste. Oder applaudierte, was ich so gern getan hätte.

Rosalie knurrte. „Es wäre nur verantwortlich.“„Es wäre hartherzig,“ korrigierte Carlisle sanft. „Jedes Leben ist wertvoll.“Rosalie seufzte schwer und schob ihre Unterlippe vor. Emmett tätschelte ihre Schulter. „Es

wird alles gut werden Rose,“ ermutigter er sie mit sanfter Stimme.„Die Frage ist,“ sprach Carlisle weiter, „ob wir weiterziehen sollen?“„Nein,“ stöhnte Rosalie. „Wir haben uns gerade eingelebt. Ich möchte nicht schon wieder in

meinem zweiten High School Jahr anfangen!“„Du könntest dein jetziges Alter natürlich beibehalten,“ sagte Carlisle.„Um dann noch früher wieder wegzuziehen?“ konterte sie.Carlisle zuckte mit den Schultern.„Ich mag es hier! Hier scheint so selten die Sonne, wir sind fast normal.“„Naja, wir müssen uns ja nicht gleich entscheiden. Wir können abwarten und sehen ob es

nötig ist. Edward scheint sich sicher zu sein, dass das Swan-Mädchen nichts sagen wird.“Rosalie schnaubte.Aber um Rose machte ich mir keine Sorgen mehr. Ich konnte sehen, dass sie sich Carlisles

Entscheidung beugte, egal wie sauer sie auf mich war. Ihr Gespräch ging mit unwichtigen Details weiter.

Jasper verharrte bewegungslos.Ich verstand warum. Bevor er und Alice sich getroffen hatten, hatte er in einem Kriegsgebiet

gelebt, es war ein unbarmherziger Krieg. Er kannte die Konsequenzen wenn man die Regeln brach – er hatte die grausamen Nachwirkungen mit eigenen Augen gesehen.

Es hatte eine Menge ausgesagt, dass er Rosalie nicht mit seinen besonderen Fähigkeiten beruhigt hatte, und es auch jetzt noch nicht tat. Er hielt sich aus der Diskussion raus – stand darüber.

„Jasper,“ sagte ich.Er erwiderter meinen Blick mit ausdruckslosem Gesicht.„Sie wird nicht für meinen Fehler bezahlen. Das werde ich nicht zulassen.“

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„Dann profitiert sie daraus? Sie hätte heute sterben sollen, Edward. Ich würde das nur berichtigen.“

Ich wiederholte mich und betonte jedes Wort. „Ich werde es nicht zulassen.“Er hob überrascht die Augenbrauen. Damit hatte er nicht gerechnet – er hätte nicht geglaubt

dass ich ihn stoppen würde.Er schüttelte einmal seinen Kopf. „Und ich werde nicht zulassen, dass Alice in Gefahr gerät,

nicht mal den Hauch einer Gefahr. Du empfindest nicht das gleiche für jemanden was ich für sie empfinde, Edward, und du hast nicht durchgemacht, was ich durchmachen musste, egal ob du meine Erinnerungen gesehen hast, oder nicht. Du verstehst es nicht.“

„Ich werde darüber nicht mit dir diskutieren, Jasper. Aber ich sage es dir jetzt noch einmal, Ich werde nicht zulassen, dass du Isabella Swan verletzt.“

Wir starrten uns an – nicht funkelnd, sondern um den Gegner abzuschätzen. Ich spürte wie er die Stimmung um mich herum abtastete, um meine Entschlossenheit zu prüfen.

„Jazz,“ unterbrach Alice uns.Er erwiderte meinen Blick noch einen Moment länger und wandte sich dann Alice zu. „Du

brauchst mir nicht zu erzählen, dass du dich selber schützen kannst, Alice. Das weiß ich. Dennoch muss ich…“

„Das wollte ich gar nicht sagen,“ unterbrach Alice. „Ich wollte dich um einen Gefallen bitten.“Ich sah was sie vorhatte und mein Unterkiefer klappte auf mit einem lauten Japsen. Ich

starrte sie an, geschockt, mir war nur vage bewusst, dass alle außer Alice und Jasper mich vorsichtig anschauten.

„Ich weiß, dass du mich liebst. Danke. Aber es wäre mir wirklich lieber, wenn du versuchen könntest, Bella nicht zu töten. Erstens, Edward ist sich sicher und ich möchte nicht dass ihr beide euch bekämpft. Zweitens, sie ist meine Freundin. Oder besser, sie wird es sein.“

Es war glasklar in ihrem Kopf: Alice, lächelnd, mit ihrem eisigen Arm auf den warmen, zerbrechlichen Schultern des Mädchens. Und Bella lächelte auch. Ihr Arm um Alices Hüfte.

Die Vision war felsenfest; nur der Zeitpunkt war noch unklar. „Aber… Alice…“ keuchte Jasper. Ich war nicht in der Lage meinen Kopf zu drehen um seinen

Gesichtsausdruck zu erkenne. Ich konnte mich nicht von dem Bild in Alices Kopf losreißen um seinen zu sehen.

„Ich werde sie eines Tages lieben, Jazz. Ich wäre sehr verärgert, wenn du sie nicht in Ruhe lässt.“

Ich war immer noch gefangen in Alices Gedanken. Ich sah wie die Zukunft schimmerte, als Jaspers Entschluss wankte bei ihrer unerwarteten Bitte.

„Ah,“ seufzte sie – seine Unentschlossenheit hatte eine neue Zukunft hervorgebracht. „Seht ihr? Bella wird nichts sagen. Wir haben nichts zu befürchten.“

Wie sie den Namen des Mädchens sagte… als wären sie längst enge Vertraute…„Alice,“ würgte ich hervor. „Was… soll das…?“„Ich hab dir gesagt, dass eine Veränderung ansteht. Ich weiß es nicht, Edward.“ Aber sie

schloss ihren Mund, und ich konnte sehen, dass da noch mehr dahintersteckte. Sie versuchte nicht daran zu denken; sie konzentrierte sich jetzt auf Jasper, obwohl er zu perplex war um irgendwelche Entscheidungen zu treffen.

Das machte sie manchmal wenn sie versuchte, etwas vor mir zu verbergen.„Was, Alice? Was versteckst du?“Ich hörte Emmett grummeln. Es frustriete ihn jedesmal wenn Alice und ich diese Art von

Unterhaltung führten.

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Sie schüttelte ihren Kopf und versuchte mich nicht rein zulassen.„Geht es um das Mädchen?“ verlangte ich zu wissen. „Geht es um Bella?“Sie biss ihre Zähne zusammen vor Konzentration, aber als ich Bellas Namen aussprach,

rutschte sie ab. Der Ausrutscher dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber das war lange genug.„NEIN!“ schrie ich. Ich hörte wie mein Stuhl auf den Boden aufschlug und erst da bemerkte

ich, dass ich aufgesprungen war.„Edward!“ Carlisle war auch aufgestanden und legte seinen Arm auf meine Schulter. Ich

nahm ihn kaum war.„Es festigt sich,“ flüsterte Alice. „Jede Minute wirst du entschlossener. Es gibt nur noch zwei

Wege für sie. Der eine oder der andere, Edward.“Ich konnte sehen, was sie sah… aber ich konnte es nicht akzeptieren.„Nein,“ sagte ich wieder; mein Widerspruch war kraftlos. Meine Beine fühlten sich dumpf an

und ich musste mich auf dem Tisch abstützen.„Könnte uns bitte irgendwer in das Geheiminis einweihen?“ beschwerte sich Emmett.„Ich muss gehen,“ flüsterte ich zu Alice und ignorierte ihn.„Edward, das Thema haben wir hinter uns,“ sagte Emmett laut. „Das ist der beste Weg um

das Mädchen zum Reden zu bringen. Abgesehen davon, wenn du weg bist, werden wir nicht mit Sicherheit wissen, ob sie redet oder nicht. Du musst bleiben und damit klar kommen.“

„Ich sehe dich nirgendwo hingehen, Edward,“ erklärte mir Alice. „Ich weiß nicht, ob du noch weggehen kannst.“ Denk darüber nach, fügte sie stumm hinzu. Denk darüber nach zu gehen.

Ich verstand was sie meinte. Ja der Gedanke, das Mädchen nie wieder zu sehen war… Schmerzhaft. Aber es war nötig. Ich konnte keine der Zukunftsmöglichkeiten bewilligen zu der ich sie offensichtlich verdammt hatte.

Ich bin mir nicht sicher wegen Jasper, Edward, dachte Alice weiter. Wenn du weggehst, wenn er glaubt sie ist eine Gefahr für uns…

„Das höre ich nicht,“ wiedersprach ich ihr und nahm das Publikum um uns herum immer noch nicht wirklich war. Jasper schwankte. Er würde nichts tun, dass Alice verletzten konnte.

Nicht in diesem Moment. Würdest du ihr Leben riskieren und sie schutzlos zurücklassen?„Warum tust du mir das an?“ ächzte ich. Mein Kopf fiel in meine Hände.Ich war nicht Bellas Beschützer. Das konnte ich nicht sein. War Alices geteilte Zukunft für

Bella nicht der beste Beweis dafür?Ich liebe sie auch. Oder ich werde. Es ist nicht dasselbe, aber ich möchte sie hier haben, damit

es passiert.„Liebe sie auch?“ flüsterte ich ungläubig.Sie seufzte. Du bist so blind, Edward. Kannst du nicht sehen, wo du hinsteuerst? Kannst du

nicht sehen, wo du bereits bist? Es ist unausweichlicher, als die Tatsache, dass die Sonne im Osten aufgeht. Sieh, was ich sehe…

Ich schüttelte entsetzt meinen Kopf. „Nein.“ Ich versuchte die Vision auszublenden, die sie mir offenbarte. „Ich muss diesem Kurs nicht folgen. Ich werde gehen. Ich werde die Zukunft ändern.“

„Du kannst es versuchen,“ sagte sie, ihre Stimme klang skeptisch.„Ach, kommt schon!“ bellte Emmett.„Pass doch mal auf,“ zischte Rose ihn an. „Alice sieht, dass er sich in einen Menschen

verknallt! Das ist so klassisch, Edward!“ sie gluckste.Ich hörte sie kaum.„Was?“ sagte Emmett erschrocken. Dann hallte sein donnerndes Gelächter durch den Raum.

„Das ist es was hier vor sich geht?“ er lachte wieder. „Ein krasser Bruch, Edward.“

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Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter, und schüttelte sie ab. Ich konnte ihm jetzt keine Aufmerksamkeit schenken.

„Verknallt sich in einen Menschen?“ widerholte Esme verblüfft. „In das Mädchen, das er heute gerettet hat? Er verliebt sich in sie?“

„Was siehst du, Alice? Ganz genau,“ verlangte Jasper zu wissen.Sie drehte sich zu ihm um; Ich starrte immer noch benommen auf ihr Profil.„Es hängt alles davon ab, ob er stark genug ist, oder nicht. Entweder wird er sie selbst töten“

– sie drehte sie wieder um und erwiderte meinen Blick, strahlend – „was mich wirklich irritieren würde, Edward, wenn man bedenkt, was das für dich bedeuten würde…“ dann wandte sie sich wieder an Jasper, „oder sie wird eines Tages eine von uns sein.“

Irgendjemand japste; ich schaute nicht auf um zu sehen, wer es war.„Das wird nicht passieren!“ Schrie ich wieder. „Beides nicht!“Alice schien mich nicht zu hören. „Es kommt alles darauf an,“ wiederholte sie. „Er wird

vielleicht gerade eben stark genug sein, sie nicht zu töten – aber es wird knapp. Es wird eine unglaubliche Selbstkontrolle verlangen,“ sinnierte sie. „Sogar noch mehr als Carlisle aufbringen kann. Er wird so eben stark genug sein… Das einzige wofür er nicht stark genug ist, ist sich von ihr fernzuhalten. Das ist ein vergeblicher Kampf.“

Ich fand keine Worte. Den anderen schien es ähnlich zu gehen. Der Raum war stumm.Ich starrte zu Alice und alle anderen starrten mich an. Ich konnte meinen eigenen entsetzten

Gesichtsausdruck aus fünf verschiedenen Blickwinkeln sehen.Nach einer langen Pause seufzte Carlisle.„Naja das… macht die Dinge komplizierter.“„Würd ich auch sagen,“ stimmte Emmett zu. Seine Stimme klang immer noch belustigt. Man

konnte darauf vertrauen, dass Emmett sogar den Witz in der Zerstörung meines Lebens finden würde.

„Ich denke, die Pläne sind immer noch die selben,“ sagte Carlisle gedankenverloren. „Wir bleiben und beobachten. Selbstverständlich wird niemand das Mädchen… verletzten.“

Ich versteifte mich.„Nein,“ sagte Jasper leise. „Dem kann ich zustimmen. Wenn Alice nur diese zwei

Möglichkeiten sieht…“„Nein!“ Meine Stimme war kein Brüllen, oder Knurren, oder Verzweiflungsschrei, aber

irgendeine Mischung aus allen dreien. „Nein!“Ich musste raus, weg von dem Lärm ihrer Gedanken – Rosalies selbstgefälliger Ekel, Emmetts

Humor, Carlisles nie endende Geduld…Noch schlimmer: Alice Überzeugung. Jaspers Überzeugung von dieser Überzeugung.Am schlimmsten von allen: Esmes… Freude.Ich stolperte aus dem Raum. Esme berührte meinen Arm, als ich an ihr vorbei lief, aber ich

beachtete die Geste nicht.Ich rannte noch bevor ich zur Tür hinaus war. Ich überquerte den Fluss mit einem Satz und

rannte in den Wald. Der Regen war zurück und ergoss sich so stark, dass ich innerhalb weniger Momente durchnässt war. Ich mochte den dicken Regenvorhang – er zog eine Mauer zwischen mir und dem Rest der Welt hoch. Sie umschloss mich, ließ mich allein sein.

Ich rannte nach Osten, über und durch die Berge ohne von meinem Kurs abzukommen, bis ich die Lichter von Seattle vor mir sah. Ich hielt an bevor ich die Grenze zu menschlicher Zivilisation überschritt.

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Eingeschlossen vom Regen, ganz allein, war ich endlich bereit, mich damit auseinander zu setzen, was ich angerichtet hatte – wie ich die Zukunft geteilt hatte.

Zuerst die Vision von Alice und dem Mädchen, wie sie sich umarmten – das Vertrauen und die Freundschaft waren so offensichtlich, sie sprangen einen regelrecht an. Bellas große Schokoladen-Augen waren nicht perplex in dieser Vision, aber immer noch voller Geheimnisse – in diesem Moment schienen es glückliche Geheimnisse zu sein. Sie schreckte nicht zurück vor Alices kaltem Arm.

Was hatte das zu bedeuten? Wie viel wusste sie? In diesem Still-Leben der Zukunft, was dachte sie da über mich?

Dann das andere Bild, fast das gleiche, nun von Horror gezeichnet. Alice und Bella, ihre arme immer noch in vertrauter Freundschaft umeinander gelegt. Aber jetzt gab es keinen Unterschied zwischen diesen Armen – beide waren weiß, eben und marmorn, hart wie Stahl. Bellas große Augen waren nicht mehr Schokoladenbraun. Die Iris waren schockierend anschaulich blutrot. Die Geheimnisse darin waren unergründlich – Akzeptanz oder Trostlosigkeit? Es war unmöglich zu sagen. Ihr Gesicht war kalt und unsterblich.

Ich zuckte zusammen. Ich konnte die Frage nicht unterdrücken, ähnlich, aber anders: Was hatte es zu bedeuten – wie war es dazu gekommen? Und was dachte sie jetzt von mir?

Die letzte konnte ich beantworten. Wenn ich sie in dieses leere halbe Leben zwang, aufgrund meiner Schwäche und meines Egoismus, würde sie mich sicher hassen.

Aber da war noch ein entsetzliches Bild – schlimmer als jedes andere Bild, dass ich je in meinem Kopf hatte.

Meine eigenen Augen, dunkelrot von menschlichem Blut, die Augen des Monsters. Bellas zerstörter Körper in meinen Armen, aschfahl, ausgesaugt, leblos. Es war so konkret, so klar.

Ich hielt es nicht aus, das zu sehen. Konnte es nicht ertragen. Ich versuchte es aus meinen Gedanken zu vertreiben, versuchte etwas anderes zu sehen, irgendetwas anderes. Versuchte den Ausdruck auf ihrem lebendigen Gesicht zu sehen der meine Sicht im letzten Kapitel meines Lebens blockiert hatte. Alles vergebens.

Alices trostlose Vision füllte meinen Kopf aus und ich krümmte mich innerlich aufgrund der Höllenqualen die sie auslösten. Währenddessen schäumte das Monster in mir über vor Freude, jubilierte über die Wahrscheinlichkeit seines Erfolges. Es machte mich krank.

Das konnte nicht gestattet werden. Es musste einen Weg geben, die Zukunft zu überlisten. Ich würde mich nicht von Alices Visionen leiten lassen. Ich konnte einen anderen Weg wählen. Es gab immer eine Wahl.

Es musste eine Wahl geben.

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5. Einladungen

High School. Nicht länger nur das Fegefeuer, sondern die pure Hölle. Qual und Feuer… ja, ich hatte beides.

Ab jetzt machte ich alles richtig. Jedes „i“ bekam seinen Punkt, jedes „t“ seinen Strich. Niemand konnte mir vorwerfen ich würde mich vor der Verantwortung drücken.

Esme zuliebe und um die anderen zu beschützen, blieb ich in Forks. Ich ging zu meinem alten Tagesablauf über. Ich jagte nicht mehr als die anderen. Jeden Tag ging ich zur High School und benahm mich menschlich. Jeden Tag lauschte ich auf Neuigkeiten über die Cullens – es gab nie etwas Neues. Das Mädchen hatte nicht ein Wort über ihre Beobachtungen verloren. Sie wiederholte dieselbe Geschichte, immer und immer wieder – ich stand neben ihr und hab sie zur Seite gerissen – bis ihre Zuhörer gelangweilt aufgaben noch mehr Fragen zu stellen. Es bestand keine Gefahr. Mein übereiltes Handeln hatte niemandem geschadet.

Niemandem außer mir.Ich war fest entschlossen, die Zukunft zu ändern. Nicht gerade die einfachste Aufgabe, die

man sich selbst stellen konnte, aber es gab keine andere Wahl mit der ich hätte leben können.Alice sagte, ich wäre nicht stark genug um mich von dem Mädchen fern zu halten. Ich würde

ihr das Gegenteil beweisen.Ich dachte, der erste Tag würde der schwerste sein. Am Ende des Tages, war ich mir dessen

sicher. Aber ich lag falsch.Ich hatte Skrupel weil ich wusste, dass ich das Mädchen verletzten würde. Ich beruhigte mich

indem ich mir einredete, dass ihr Schmerz nicht schlimmer war als ein Nadelstich – nur ein kleiner Stich – im Vergleich zu meinem. Bella war ein Mensch und sie wusste, dass ich etwas anderes war, etwas falsches, etwas beängstigendes. Sie würde vermutlicher eher erleichtert sein als verletzt, wenn ich sie nicht mehr beachtete und so tat als würde sie nicht existieren.

„Hallo, Edward,“ grüßte sie mich an diesem ersten Tag in Biologie. Ihre Stimme war lieblich, freundlich, eine hundertachtzig Grad Wendung im Vergleich zum letzten Mal als ich mit ihr gesprochen hatte.

Warum? Was hatte die Veränderung zu bedeuten? Hatte sie es vergessen? Sich entschieden, dass sie sich alles nur eingebildet hatte? Hatte sie mir möglicherweise verziehen, dass ich mein Versprechen nicht gehalten hatte?

Die Fragen brannten in mir, wie der Durst der mich durchfuhr, jedesmal wenn ich einatmete.Nur einmal in ihre Augen blicken. Nur um zu sehen, ob ich darin die Antworten lesen

konnte…Nein, ich konnte mir nicht mal das erlauben. Nicht, wenn ich die Zukunft verändern wollte.Ich nickte kurz in ihre Richtung ohne meinen Blick von der Tafel abzuwenden.Sie sprach mich nicht mehr an.An diesem Nachmittag, sobald die Schule vorbei war und ich meine Rolle gespielt hatte,

rannte wieder nach Seattle, genau wie am Tag zuvor. Ich kam mir so vor, als könnte ich mit dem schmerzenden Durst besser umgehen, wenn ich über den Boden dahinflog und alles um mich herum in eine grüne Masse verwandelte.

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Dieser Lauf wurde eine tägliche Angewohnheit.Liebte ich sie? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Noch nicht. Alices flüchtige Einblicke in

diese Zukunft verfolgten mich und ich konnte sehen wie leicht es wäre, sich in Bella zu verlieben. Es war genau wie fallen: mühelos. Es nicht zuzulassen, war das Gegenteil von fallen – es war als würde ich mich einen Steilhang hinauf schleppen, eine Hand nach der anderen, und genauso anstrengend als wäre ich nicht stärker als jeder Sterbliche.

Mehr als einen Monat verging und es wurde immer schwieriger. Das ergab keinen Sinn – ich wartete darauf, darüber hinweg zu kommen, dass es leichter wurde. Das musste Alice gemeint haben, als sie vorhergesehen hatte, dass ich nicht in der Lage sein würde, mich von dem Mädchen fern zu halten. Sie hatte das Ausmaß der Schmerzen gesehen. Aber ich konnte Schmerzen ertragen.

Ich würde Bellas Zukunft nicht zerstören. Wenn es mein Schicksal war, sie zu lieben, war dann nicht das Beste was ich tun konnte, sie zu meiden?

Sie zu meiden, war das die Grenze von dem was ich ertragen konnte? Ich konnte so tun, als würde ich sie ignorieren, und nie in ihre Richtung schauen. Ich konnte so tun, als würde sie mich nicht interessieren. Das war das äußerste, so zu tun, aber nicht die Wahrheit.

Ich sog immer noch jeden ihrer Atemzüge auf, jedes Wort, das sie sagte.Ich teilte meine Qual in vier Kategorien ein.Die ersten beiden waren bekannt. Ihr Duft und ihre Stille. Oder besser – ich trug die

Verantwortung auf meinen eigenen Schultern wo sie hingehörte – mein Durst und meine Neugierde.Der Durst war die größte Qual. Ich gewöhnte mir an in Biologie nicht mehr zu atmen.

Natürlich gab es Ausnahmen – wenn ich eine Frage beantworten musste oder sowas in der Art, und ich etwas Luft brauchte um zu sprechen. Jedesmal schmeckte ich die Luft um das Mädchen, es war wie am ersten Tag – Feuer und Verlangen und verzweifelte Gewalt die danach verlangte auszubrechen. In diesen Momenten war es hart auch nur darüber nachzudenken zu wiederstehen. Und genau wie an diesem ersten Tag, knurrte das Monster in mir ganz dicht an der Oberfläche…

Die Neugierde war die Konstanteste Qual. Die Frage schwirrte immer in meinem Kopf: Was denkt sie gerade? Wenn ich sie leise seufzen hörte. Wenn sie abwesend mit einer Strähne ihres vollen Haares spielte. Wenn sie ihre Bücher lauter auf den Tisch fallen ließ, als sonst. Wenn sie zu spät in den Unterricht hetzte. Wenn sie mit dem Fuß ungeduldig auf den Boden klopfte. Jede ihrer Bewegungen, die ich mit meiner Gabe beobachtete, war ein quälendes Geheimnis. Wenn sie mit den anderen menschlichen Schülern sprach analysierte ich jedes Wort und jeden Tonfall. Sagte sie, was sie dachte, oder was sie glaubte, sagen zu müssen? Oft hörte es sich für mich so an, als würde sie ihren Zuhören das sagen, was sie hören wollten, was mich an meine Familie und ihr alltägliches Leben voller Illusionen erinnerte – wir waren besser darin, als sie. Es seih denn ich lag falsch, ich interpretierte nur. Warum sollte sie eine Rolle spielen müssen? Sie war eine von ihnen – ein menschlicher Teenager.

Mike Newton war die größte Überraschung meiner Qualen. Wer hätte gedacht, dass so ein gewöhnlicher, langweiliger Sterblicher so ärgerlich sein konnte? Um ehrlich zu sein, hätte ich diesem nervenden Jungen dankbar sein sollen; er brachte sie mehr zum Reden als die anderen. Ich lernte so viel über sie durch diese Unterhaltungen – ich vervollständigte immer noch meine Liste – aber andererseits, Mikes Hilfe bei diesem Projekt verärgerte mich nur noch mehr. Ich wollte nicht, dass Mike derjenige war der ihre Geheimnisse lüftete. Das wollte ich selbst tun.

Es half, dass er ihre kleinen Offenbarungen, ihre kleinen Ausrutscher nicht bemerkte. Er wusste nichts über sie. Er erschaffte sich eine Bella die nicht existierte – ein Mädchen genauso gewöhnlich wie er selbst. Er hatte die Selbstlosigkeit, den Mut, der sie von allen anderen Menschen unterschied nicht bemerkt, er konnte den unnormalen Ablauf ihrer ausgesprochenen Gedanken nicht

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hören. Er bemerkte nicht, dass sie sich eher anhörte wie ein Elternteil dass von seinem Kind erzählt, als andersherum, wenn sie über ihre Mutter sprach – liebend, nachsichtig, leicht amüsiert und sehr beschützerisch. Er hörte nicht die Geduld in ihrer Stimme, wenn sie Interesse an seinen weitläufigen Geschichten vorgab, und dachte nicht an die Güte hinter dieser Geduld.

Durch die Unterhaltung mit Mike, konnte ich die wichtigste ihrer Qualitäten zu meiner Liste hinzufügen, die aufschlussreichste von allen, so simpel wie sie selten war. Bella war gut. Alle anderen Dinge fügten sich zu einem ganzen zusammen – gütig und bescheiden und selbstlos und liebevoll und mutig – sie war durch und durch gut.

Diese hilfreichen Entdeckungen ließen mich gegenüber dem Junge nicht auftauen, warum auch immer. Diese besessene Art mit der er Bella ansah – als wäre sie eine Eroberung die er machen musste – provozierte mich fast so sehr wie die geschmacklosen Fantasien die er über sie hatte. Er wurde sich ihrer immer sicherer, während die Zeit verging, denn sie schien ihn seinen erdachten Rivalen vorzuziehen – Tyler Crowley, Eric Yorkie und sogar, nur sporadisch, meine Wenigkeit. Er saß jeden Tag routiniert auf ihrer Seite unseres Tisches und quatschte mit ihr, ermutigt durch ihr lächeln. Nur ein höfliches Lächeln, redete ich mir ein. Es war jedes Mal dasselbe, ich amüsierte mich bei der Vorstellung ihn quer durch den Raum an die hintere Wand zu schleudern… es würde ihn vermutlich nicht allzu schwer verletzen…

Mike dachte nicht an mich als Rivale. Nach dem Unfall dachte er, Bella und ich wären durch die Erfahrung zusammengeschweißt, aber offensichtlich war das Gegenteil der Fall. Damals hatte es ihn noch gestört, dass ich Bella dazu auserkoren hatte, ihr meine Aufmerksamkeit zu schenken. Aber jetzt ignorierte ich sie genauso konsequent wie alle anderen und damit war er zufrieden.

Was dachte sie jetzt? Begrüßte sie seine Aufmerksamkeit?Und zum Schluss, die letzte meiner Qualen, die schmerzvollste: Bellas Gleichgültigkeit. Wenn

ich sie ignorierte, ignorierte sie mich. Sie versucht nicht noch einmal mit mir zu sprechen. Und soweit ich es beurteilen konnte, dachte sie auch nicht an mich.

Das hätte mich verrückt gemacht – oder sogar meine Entschlossenheit gebrochen, die Zukunft ändern zu wollen – wenn sie mir nicht manchmal die gleichen verstohlenen Blicke zugeworfen hätte, wie früher. Ich sah es nicht selbst, da ich mir nicht erlauben konnte sie anzusehen, aber Alice warnte uns jedesmal wenn sie kurz davor war zu uns herüberzusehen; die anderen waren immer noch misstrauisch weil das Mädchen zu viel wusste.

Es milderte die Schmerzen ein wenig, zu wissen, dass sie mich hin und wieder aus der Ferne beobachtete. Natürlich war es möglich, dass sie nur darüber nachdachte, was für ein Freak ich war.

„Bella wird in etwa einer Minute zu Edward blicken. Seht normal aus,“ sagte Alice an einem Dienstag im März und die anderen waren darauf bedacht auf ihren Plätzen herumzurutschen und sich wie Menschen zu benehmen; konsequentes Stillsitzen war typisch für unsere Art.

Ich achtete darauf, wie oft sie in meine Richtung sah. Es beruhigte mich, obwohl es das nicht sollte, dass ihre Häufigkeit nicht nachließ, als die Zeit verstrich. Ich wusste nicht, was es zu bedeuten hatte, aber es fühlte sich gut an.

Alice seufzte. Ich wünschte…„Halt dich da raus, Alice,“ presste ich hervor. „Es wird nicht passieren.“Sie schmollte. Alice sehnte sich danach, sich mit dem Mädchen anzufreunden, so wie sie es in

ihrer Vision gesehen hatte. Auf eine seltsame Art und Weise vermisste sie das Mädchen, dass sie gar nicht kannte.

Ich gebe zu, du bist besser, als ich gedacht hätte. Du hast die Zukunft wieder verschwommen und sinnlos werden lassen. Bist du jetzt zufrieden?

„Für mich ergibt sie eine Menge Sinn.“

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Sie schnaubte verächtlich.Ich versuchte sie auszublenden, ich war zu ungeduldig für eine Unterhaltung. Meine

Stimmung war nicht gerade die beste – angespannter als ich irgendeinem von ihnen zeigte. Nur Jasper wusste wie sehr ich mich wandte, er fühlte den Stress den ich ausstrahlte aufgrund seiner besonderen Fähigkeit die Gefühle anderer zu ertasten und zu beeinflussen. Er verstand den Grund für diese Gefühle nicht, und – da ich ständig schlecht gelaunt war in den letzten Tagen – ignorierte er es.

Heute würde ein harter Tag werden. Schlimmer als der Tag zuvor.Mike Newton, der verhasste Typ mit dem ich es mir nicht erlauben konnte zu konkurrieren,

hatte vor, Bella heute nach einem Date zu fragen.Ein Ball mit Damenwahl stand aus und er hatte gehofft, dass Bella ihn fragen würde. Dass sie

es bisher noch nicht getan hatte, verunsicherte ihn. Jetzt war er hin und her gerissen – ich freute mich über seine Probleme, was ich nicht sollte – denn Jessica Stanley hatte ihn gefragt, ob er mir ihr zu diesem Ball gehen würde. Er wollte nicht „ja“ sagen, da er immer noch hoffte, dass Bella ihn fragen würde (und ihn darin bestätigte, dass er seine Rivalen besiegt hatte), aber er wollte auch nicht „nein“ sagen und somit ganz auf den Ball verzichten, falls Bella ihn nicht fragte. Jessica, verletzt durch sein Zögern und wohlwissentlich was der Grund dafür war, warf in Gedanken mit Messern nach Bella. Und wieder hatte ich das Verlangen mich zwischen Bella und Jessicas feindselige Gedanken zu werfen. Ich Verstand diesen Instinkt jetzt besser, aber das machte es nur noch frustrierender, dass ich ihm nicht nachgeben konnte.

Daran zu denken, dass es soweit gekommen war! Jetzt war ich ein Teil dieser belanglosen High School Dramen, die ich sonst so sehr verachtet hatte.

Mike nahm all seinen Mut zusammen, als er in Biologie zu Bella hinüberging. Ich lauschte seinen Schritten und erwartete seine Ankunft. Der Junge war schwach. Er hatte darauf gewartet, dass sie ihn um dieses Date bitten würde, aus Angst, seine Verliebtheit bekannt zu geben bevor sie ihm nicht ein Zeichen gegeben hätte, das sie auf Gegenseitigkeit beruht. Er wollte keine Zurückweisung einstecken, ihm wäre es lieber, wenn sie den ersten Schritt machte.

Feigling.Er setzte sich wieder auf unseren Tisch und fühlte sich direkt besser aufgrund der vertrauten

Situation. Ich malte mir aus, welches Geräusch sein Körper wohl machte, wenn er die gegenüberliegende Wand mit solcher Wucht traf, dass fast alle seine Knochen auf einmal brechen würden.

„Also,“ sagte er mit gesenktem Blick zu dem Mädchen. „Jessica hat mich gefragt, ob ich mit ihr zum Frühlingsball gehe.“

„Das ist ja toll,“ antwortete Bella sofort enthusiastisch. Es war schwer nicht zu lächeln, als Mike sich ihres Tonfalls bewusst wurde. Er hatte mit Betroffenheit gerechnet. „Ihr werdet sicher eine Menge Spaß haben.“

Er rang nach der richtigen Antwort. „Naja…“ zögerte er und wäre fast zu feige gewesen es auszusprechen. Dann sammelte er sich. „Ich hab ihr gesagt, dass ich darüber nachdenke.“

„Warum solltest du so etwas tun?“ verlangte sie zu wissen. Ihr Tonfall hatte etwas missbilligendes, aber auch einen kleinen Funken Erleichterung.

Was hatte das schon wieder zu bedeuten? Ein unerwartet heftiger Anflug von Wut ließ mich meine Hände zu Fäusten ballen.

Mike hörte die Erleichterung nicht. Sein Gesicht war rot angelaufen – ich war plötzlich angespannt, das wirkte wie eine Einladung – und er sah wieder zu Boden als er weitersprach.

„Ich hab mich gefragt, ob… naja, ob du nicht vielleicht vorhattest, mich zu fragen.“

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Bella zögerte.In diesem kurzen Moment ihres Zögerns, sah ich die Zukunft viel klarer als Alice sie jemals

gesehen hatte.Es war egal, ob sie Mikes unausgesprochene Frage mit Ja beantwortete oder nicht, denn

irgendwann würde sie zu irgendjemandem ja sagen. Sie war liebenswert und faszinierend und menschliche Männer würden das auch sehen. Egal ob sie sich für jemanden aus dieser glanzlosen Masse entschied oder wartete bis sie aus Forks weg war, der Tag würde kommen, an dem sie ja sagen würde.

Ich sah ihr Leben vor mir, wie ich es schon einmal gesehen hatte – College, Karriere… Liebe, Hochzeit. Ich sah sie am Arm ihres Vaters, ganz in weiß, ihr Gesicht gerötet vor Glück, als sie sich zu Wagners Hochzeitsmarsch vorwärtsbewegte.

Dieser Schmerz war schlimmer als alles was ich jemals empfunden hatte. Ein Mensch wäre an diesen Schmerzen gestorben – ein Mensch hätte das nicht überlebt.

Und nicht nur Schmerz, sondern unverblümte Wut.Die Wut sehnte sich nach einem Ventil. Obwohl dieser bedeutungslose, unwürdige Junge

vielleicht nicht derjenige war zu dem Balle ja sagen würde, wollte ich seinen Schädel mit meiner Hand zerquetschen, stellvertretend für wer auch immer es sein würde.

Ich verstand dieses Gefühl nicht – es war ein Durcheinander aus Schmerz und Wut und Verlangen und Verzweiflung. So etwas hatte ich noch nie gefühlt; ich konnte es nicht benennen.

„Mike, ich denke, du solltest ihre Einladung annehmen,“ sagte Bella sanft.Mikes Hoffnungen verschwanden. Unter anderen Umständen hätte ich das genossen, aber

ich stand immer noch unter Schock wegen des Schmerzes – und der Gewissensbisse wegen dem was dieser Schmerz und die Wut in mir ausgelöst hatten.

Alice hatte recht. Ich war nicht stark genug.In diesem Moment würde Alice sehen wie sich die Zukunft wieder änderte, wieder klarer

wurde. Würde sie das beruhigen?„Hast du schon jemand anderen gefragt?“ fragte Mike mürrisch. Er warf mir einen finsteren

Blick zu, wieder argwöhnisch, das erste Mal seit Wochen. Ich bemerkte, dass ich mein Interesse verraten hatte; mein Kopf hatte sich Bella zugewandt.

Der wütende Neid in seinen Gedanken – Neid auf denjenigen den das Mädchen ausgesucht hatte – gab meinem unbekannten Gefühl plötzlich einen Namen.

Ich war eifersüchtig.„Nein,“ sagte das Mädchen leicht amüsiert. „Ich werde nicht zu dem Ball gehen.“Durch all den Ärger hindurch, spürte ich trotzdem Erleichterung in ihren Worten. Plötzlich

wurde ich mir meiner Rivalen bewusst.„Warum nicht?“ fragte Mike beinahe unhöflich. Es gefiel mir nicht, wenn er in diesem Ton

mit ihr sprach. Ich unterdrückte ein knurren.„Ich fahre nach Seattle diesen Samstag,“ antwortet sie.Die Neugier war nicht so unverhohlen wie sonst – jetzt da ich beabsichtigte alle Antworten

herauszufinden. Ich würde das Wieso und Warum dieser neuen Erkenntnis bald herausfinden.Mikes Tonfall wurde jetzt unangenehm bettelnd. „Kannst du nicht an einem anderen

Wochenende nach Seattle fahren?“„Nein, tut mir leid.“ Bella war nun etwas brüsker. „Du solltest Jess nicht länger warten lassen

– das ist unhöflich.“Ihre Sorge um Jessicas Gefühle fächerte meine Eifersucht nur noch mehr an. Dieser Seattle-

Trip war eindeutig eine Ausrede um ihm abzusagen – hatte sie nur aus Loyalität ihrer Freundin

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gegenüber abgelehnt? Sie war selbstlos genug um so etwas zu tun. Wünschte sie sich, sie könnte ja sagen? Oder waren beide Vermutung falsch? Hatte sie an jemand anderem Interesse?

„Ja, du hast recht,“ murmelte Mike, so niedergeschlagen, dass ich fast Mitleid mit ihm gehabt hätte. Fast.

Er wandte sich von ihr ab und schnitt mir den Blick auf ihr Gesicht durch seine Gedanken ab.Das würde ich nicht dulden.Ich drehte mich um, um ihren Gesichtsausdruck selbst zu lesen, das erste Mal seit über

einem Monat. Es war eine große Erleichterung, als würde ein Ertrinkender nach Luft schnappen.Sie hatte ihre Augen geschlossen und die Hände an die Schläfen gepresst. Ihr Schultern

schützend hochgezogen. Sie schüttelte langsam ihren Kopf, als versuche sie irgendeinen Gedanken loszuwerden.

Frustrierend. Faszinierend.Die Stimme von Mr. Banner holte sie aus ihrer Starre und sie öffnete langsam ihre Augen. Sie

sah sofort zu mir herüber, vielleicht hatte sie meinen Blick gespürt. Sie schaute mir in die Augen mit diesem verwirrten Ausdruck, der mich so lange verfolgt hatte.

In dieser Sekunde spürte ich weder die Gewissensbisse, noch die Schuldgefühle, noch die Wut. Ich wusste dass diese Gefühle wiederkommen würden, bald, aber in diesem Moment fühlte ich mich seltsam beflügelt. Als hätte ich gewonnen statt verloren.

Sie schaute nicht weg, obwohl ich sie mit unangebrachter Intensität anstarrte und vergeblich versuchte ihre Gedanken in ihren flüssigen braunen Augen zu lesen. Sie waren voller Fragen statt Antworten.

Ich sah dir Reflektion meiner Augen in ihren und sie waren schwarz vor Durst. Mein letzter Jagdausflug war fast zwei Wochen her; das war nicht der sicherste Tag um meinen Willen zum bröckeln zu bringen. Aber die Schwärze schien ihr keine Angst zu machen. Sie schaute immer noch nicht weg, so sanft, ein umwerfendes Rot verfärbte ihre Haut.

Was dachte sie bloß?Ich war kurz davor die Frage laut auszusprechen als Mr. Banner meinen Namen rief. Ich sah

die Antwort in seinem Kopf als ich ihm einen kurzen Blick zuwarf.Ich atmete kurz ein. „Der Krebs-Zyklus.“Durst brannte in meiner Kehle – spannte meine Muskeln und füllte meinen Mund mit Gift –

ich schloss meine Augen und versuchte mich trotz des Verlangens nach ihrem Blut das in mir aufflammte zu konzentrieren.

Das Monster war noch stärker als zuvor. Das Monster frohlockte. Es begrüßte die zweigeteilte Zukunft, die ihm eine fünfzig-fünfzig Chance gab, sein boshaftes Verlangen zu stillen. Die dritte mögliche Zukunft die ich allein durch Willenskraft hatte aufbauen wollen fiel in sich zusammen – zerstört von gewöhnlicher Eifersucht – und das Monster war so viel Näher an seinem Ziel.

Die Gewissensbisse und die Schuldgefühle brannten gemeinsam mit meinem Durst, und wenn ich in der Lage gewesen wäre Tränen zu produzieren, hätten sie meine Augen gefüllt.

Was hatte ich getan?Mit dem Wissen, dass der Kampf sowieso schon verloren war, sah ich keine Notwendigkeit

mehr darin, dem zu widerstehen, was ich wirklich wollte; ich starrte wieder zu dem Mädchen.Sie hatte sich wieder hinter ihren Haaren versteckt, aber ich konnte zwischen den Strähnen

erkennen, dass ihre Wangen dunkelrot angelaufen waren.Dem Monster gefiel es.

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Sie erwiderte meinen Blick nicht, aber sie wickelte eine Strähne ihres vollen Haares nervös um ihren Finger. Ihre delikaten Finger, ihr zartes Handgelenk – sie waren so zerbrechlich, sahen so aus, als würde ein Hauch meines Atems reichen um sie zu knacken.

Nein, nein, nein. Ich konnte das nicht tun. Sie war zu zerbrechlich, zu gut, zu wertvoll um dieses Schicksal zu verdienen. Ich konnte nicht erlauben, dass mein Leben auf ihres prallte, es zerstörte.

Aber ich konnte mich auch nicht von ihr fernhalten. Alice hatte recht.Das Monster in mir zischte vor Frustration als ich ins Wanken geriet, erst der eine Weg, dann

der anderen.Die kurze Stunde mit ihr verging viel zu schnell, während ich zwischen Pest und Cholera

wankte. Die Glocke läutete und sie suchte ihre Sachen zusammen ohne mich noch einmal anzusehen. Es enttäuschte mich, aber ich konnte auch nichts anderes erwarten. Es war unverzeihlich wie ich sie nach dem Unfall behandelt hatte.

„Bella?“ sagte ich, nicht in der Lage mich zurückzuhalten. Meine Willenskraft lag in Trümmern.

Sie zögerte bevor sie mich ansah; ihr Ausdruck war abweisend, misstrauisch.Ich erinnerte mich selbst daran, dass sie allen Grund hatte, mir nicht zu trauen. Das es besser

für sie war.Sie wartete darauf, dass ich weitersprach, aber ich starrte sie nur an und versuchte ihr

Gesicht zu lesen. Ich nahm kurze, hastige Atemzüge um meinen Durst zu bekämpfen.„Was?“ sagte sie endlich. „Sprichst du jetzt wieder mit mir?“ In ihre Stimme lag Abneigung

die, genau wie ihre Wut irgendwie liebenswert war. Ich wollte lächeln.Ich war mir nicht sicher, was ich auf diese Frage antworten sollte. Sprach ich wieder mit ihr,

so wie sie dachte?Nein. Nicht wenn ich es verhindern konnte. Ich würde es zumindest versuchen.„Nein, nicht wirklich,“ sagte ich zu ihr.Sie schloss ihre Augen, was mich frustrierte. Es schnitt mir den besten Weg zu ihren Gefühlen

ab. Sie atmete tief ein ohne die Augen wieder zu öffnen. Ihre Lippen fest zusammengepresst.Mit immer noch geschlossenen Augen, antwortete sie. Das war keine normale menschliche

Art eine Unterhaltung zu führen. Warum tat sie es dann?„Was willst du dann, Edward?“Der Klang meines Namens aus ihrem Mund machte seltsame Dinge mit meinem Körper.

Wenn ich einen Herzschlag gehabt hätte, wäre er jetzt schneller geworden.Aber was sollte ich ihr antworten?Die Wahrheit, entschied ich. Ich würde so vertrauenswürdig sein, wie ich konnte, von jetzt

an. Ich wollte ihr Misstrauen nicht verdienen auch wenn ihr Vertrauen zu gewinnen unmöglich war.„Es tut mir leid,“ erkläre ich ihr. Das entsprach mehr der Wahrheit als sie je erfahren würde.

Unglücklicherweise konnte ich mich nur für die belanglosen Dinge entschuldigen. „Ich bin sehr unhöflich zu dir. Aber so ist es besser, wirklich.“

Es wäre besser für sie, wenn ich weiterhin unhöflich zu ihr wäre. Könnte ich das?Sie öffnete ihre Augen, immer noch wachsam.„Ich verstehe nicht, was du meinst.“Ich versuchte sie so deutlich es ging zu warnen. „Es wäre besser, wenn wir nicht befreundet

wären.“ Soviel würde sie sicher verstehen. Sie war schließlich ein cleveres Mädchen. „Vertrau mir.“

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Ich Augen verengten sich und ich erinnerte mich, dass ich das schon mal zu ihr gesagt hatte – kurz bevor ich ein Versprechen gebrochen hatte. Ich zuckte zusammen, als sie ihre Zähne aufeinanderschlug – sie erinnerte sich natürlich auch daran.

„Schade, dass du das nicht schon früher herausgefunden hast,“ sagte sie wütend. „Dann hättest du dir die Reue sparen können.“

Ich starrte sie schockiert an. Was wusste sie von meiner Reue?„Reue? Was denn bereuen?“ fragte ich sie.„Dass du nicht zugelassen hast, dass der blöde Van mich zerquetscht!“ brachte sie bissig

hervor.Ich erstarrte, geschockt.Wie konnte sie sowas denken? Ihr Leben zu retten war das einzig richtige was ich getan

hatte, seid ich ihr das erste Mal begegnet bin. Das einzige wofür ich mich nicht schämte. Der einzige Grund weshalb ich froh war überhaupt zu existieren. Ich kämpfe um ihr Leben seit dem ersten Moment in dem ich ihren Duft aufgeschnappt hatte. Wie konnte sie so etwas von mir denken? Wie konnte sie meine einzige gute Tat in diesem Durcheinander in Frage stellen?

„Du denkst ich würde es bereuen, dein Leben gerettet zu haben?“„Ich weiß, dass du das tust,“ gab sie zurück.Ihre Einschätzung meiner Absichten ließ mich aufkochen. „Du weißt gar nichts.“Wie verwirrend und unverständlich ihr Gehirn arbeitete! Sie schien nicht wie andere

Menschen zu denken. Das musste die Erklärung für ihre mentale Stille sein. Sie war ganz anders.Sie warf ihren Kopf zurück und schlug wieder ihre Zähne aufeinander. Ihre Wangen waren

wieder rot, diesmal vor Wut. Sie stapelte laut ihre Bücher aufeinander und marschierte zur Tür ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.

Obwohl ich verärgert war, war es unmöglich ihre Wut nicht amüsant zu finden.Sie ging steif, ohne auf ihre Füße zu achten und stolperte über die Fußleiste. Sie strauchelte

und ihre Bücher fielen auf den Boden. Statt sich nach ihnen zu bücken, stand sie steif da und schaute nicht mal runter, als ob sie überlegte, die Bücher einfach liegen zu lassen.

Ich schaffte es, nicht zu lachen.Niemand konnte mich sehen; Ich huschte an ihre Seite und hatte ihre Bücher aufgesammelte

bevor sie nach unten blickte.Sie wollte sich gerade bücken und erstarrte dann. Ich gab ihr ihre Bücher zurück und achtete

darauf sie dabei nicht zu berühren.„Danke,“ sagte sie mit kühler reservierter Stimme.Ihr Tonfall verärgerte mich wieder.„Gern geschehen,“ erwiderte ich genauso kühl.Sie richtete sich wieder auf und stapfte zum Unterricht.Ich schaute ihr so lange hinterher bis sie außer Sichtweite war.Spanisch nahm ich nur verschwommen war. Mrs. Goff kümmerte sich nicht um meine

Geistesabwesenheit – sie wusste dass mein Spanisch besser war als ihres und sie räumte mir sämtliche Freiheiten ein – ich konnte in Ruhe nachdenken.

Also konnte ich das Mädchen nicht ignorieren. Das war offensichtlich. Aber bedeutete das wirklich, dass ich mich entscheiden musste sie zu verwandeln oder zu töten? Das konnte nicht die einzig mögliche Zukunft sein. Es musste noch eine Wahl geben, irgendeine feine Balance. Ich versuchte eine Lösung zu finden…

Ich beachtete Emmett nicht besonders bis die Stunde fast vorbei war. Er war besorgt – Emmett war nie besonders feinfühlig was die Gefühle anderer anging, aber er konnte die

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offensichtliche Veränderung in mir sehen. Er fragte sich, was passiert war, dass den unerbittlich finsteren Ausdruck aus meinem Gesicht vertrieben hatte. Er grübelte über meinen neuen Gesichtsausdruck und kam zu dem Ergebnis, dass ich Hoffnungsvoll aussah.

Hoffnungsvoll? Sah es so für die Außenwelt aus?Ich erwog die Idee von Hoffnung zu sprechen, während wir zum Volvo gingen und fragte mich

auf was ich denn genau hoffen konnte.Aber ich musste nicht lange überlegen. Ich war so sensibel für alle Gedanken die sich um das

Mädchen drehten, dass der Klang von Bellas Namen in den Köpfen meiner…. den Köpfen meiner Rivalen, das musste ich wohl zugeben, meine Aufmerksamkeit erregte. Eric und Tyler hatten gehört – mit Genugtuung – dass Mike abgewiesen worden war und bereiteten ihre Schritte vor.

Eric stand schon in Position, er lehnte an ihrem Truck wo sie ihm nicht aus dem Weg gehen konnte. Tylers Kurs musste länger im Klassenzimmer bleiben aufgrund einer Ankündigung weshalb er sich beeilte sie noch einzuholen bevor sie ihm entkam.

Das musste ich mir ansehen.„Warte hier auf die anderen, okay?“ murmelte ich zu Emmett.Er beobachtete mich misstrauisch, zuckte aber dann mit den Schultern und nickte.Der Junge hat seinen Verstand verloren, dachte er amüsiert von meiner seltsamen Bitte.Ich sah Bella wie sie die Turnhalle verließ und positionierte mich so, dass sie mich nicht sehen

konnte, als sie an mir vorbeilief. Als sie sich Erics Hinterhalt näherte, hielt ich mich bereit um im richtigen Moment an ihnen vorbei zu laufen.

Ich sah wie sie sich versteifte, als sie den Jungen an ihrem Truck stehen sah. Sie erstatte für einen Moment, dann fing sie sich wieder und ging weiter.

„Hi, Eric,“ hörte ich sie freundlich sagen.Ich war plötzlich und unerwartet wütend. Was wenn dieser schlaksige Typ mit seiner

unreinen Haut auf irgendeine Art attraktiv für sie war?Eric schluckte laut. „Hi, Bella.“Sie schien seine Nervosität nicht zu bemerken.„Was gibt’s?“ fragte sie während sie ihren Truck aufschloss ohne auf sein ängstliches Gesicht

zu achten.„Ähm, ich hab mich nur gefragt… ob du vielleicht mit mir zum Frühlingsball gehen

möchtest?“ Seine Stimme überschlug sich.Dann sah sie auf. War sie bestürzt, oder erfreut? Eric konnte ihr nicht in die Augen sehen,

also konnte ich ihren Ausdruck nicht in seinen Gedanken sehen.„Ich dachte, es wäre Damenwahl,“ sagte sie nervös.„Naja, schon,“ gestand er.Dieser Bedauernswerte Junge verärgert mich nicht so sehr wie Mike Newton, aber ich

empfand auch kein Mitleid mit ihm als Bella ihm mit sanfter Stimme antwortete.„Danke dass du fragst, aber ich bin an dem Tag in Seattle.“Davon hatte er schon gehört; dennoch war es eine Enttäuschung.„Oh,“ murmelte er und traute sich sein Augen gerade so weit zu heben, dass er ihre

Nasenspitze sehen konnte. „Dann vielleicht ein Andermal.“„Klar,“ sagte sie. Dann biss sie sich auf die Lippe als würde sie bedauern ihm ein Schlupfloch

geboten zu haben. Das gefiel mir.Eric stolperte vorwärts ging in die Entgegengesetzte Richtung von seinem Auto. Sein einziger

Gedanke war Flucht.In dem Moment ging ich an ihr vorbei und hörte ihren erleichterten Seufzer. Ich lachte.

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Sie drehte sich nach dem Geräusch um, aber ich blickte stur geradeaus und versuchte meine Mundwinkel davon abzuhalten amüsiert zu zucken.

Tyler war hinter mir, er rannte fast weil er sie unbedingt noch erwischen wollte bevor sie davonfuhr. Er war Mutiger und Selbstsicherer als die anderen beiden; er hatte nur so lange gewartet um sie zu fragen, weil er Mikes Vorrecht respektierte.

Ich wollte aus zwei Gründen, dass er sie erreichte. Wenn – wie ich mir überlegt hatte – diese ganze Aufmerksamkeit unangenehm für Bella war, wollte ich ihre Reaktion beobachten. Aber wenn dem nicht so war – wenn Tylers Einladung die war auf die sie gewartet hatte - dann wollte ich das auch wissen.

Ich schätze Tyler als Rivalen ab, obwohl ich wusste, dass es falsch war. Er wirkte auf mich ermüdend, durchschnittlich und unbedeutend, aber was wusste ich schon von Bellas Vorlieben? Vielleicht mochte sie durchschnittliche Typen…

Bei dem Gedanken zuckte ich zusammen. Ich könnte nie ein durchschnittlicher Typ sein. Wie dumm von mir, mich als ein Rivale um ihre Zuneigung zu sehen. Wie könnte sie etwas für jemanden empfinden, der in jeder Hinsicht ein Monster war?

Sie war zu gut für ein Monster.Ich sollte sie entkommen lassen, aber unentschuldbare Neugierde hielt mich davon ab, das

richtige zu tun. Mal wieder. Aber was, wenn Tyler seine Chance verpasste nur um sie später zu kontaktieren, wenn ich nicht die Möglichkeit hatte, zuzusehen, wie es ausging. Ich setzte meinen Volvo zurück und versperrte ihr den Weg.

Emmett und die anderen waren schon auf dem Weg, aber er hatte ihnen mein seltsames Benehmen beschrieben und sie gingen langsam, beobachteten mich und versuchten herauszufinden, was ich vorhatte.

Ich beobachtete das Mädchen durch meinen Rückspiegel. Sie schaute finster auf meinen Wagen ohne meinen Blick zu erwidern. Sie sah aus als würde sie jetzt lieber einen Panzer fahren statt diesen rostigen Chevy.

Tyler rannte zu seinem Wagen und fuhr direkt hinter sie in die Schlange, dankbar für mein seltsames Verhalten. Er winkte ihr zu um ihre Aufmerksamkeit zu ergattern, aber sie bemerkte ihn nicht. Er wartete kurz und dann verließ er seinen Wagen und hastete zu ihrer Beifahrertür. Er klopfte an die Scheibe.

Sie erschrak und starrte ihn verwirrt an. Eine Sekunde später kurbelte sie das Fenster herunter, sie schien Probleme damit zu haben.

„Tut mir leid, Tyler,“ sagte sie, ihre Stimme verärgert. „Ich stecke hinter Cullen fest.“Sie nannte meinen Nachnamen in einem rauen Tonfall – sie war immer noch sauer auf mich.„Ja, ich weiß,“ sagte Tyler, den ihre Stimmung nicht abschreckte. „Ich wollte dich nur etwas

fragen, während wir hier feststecken.“Sein Grinsen war schelmisch.Es befriedigte mich zu sehen wie sie erbleichte als ihr klar wurde, was er vorhatte.„Wirst du mich fragen ob ich mit dir zum Frühlingsball gehe?“ fragte er und verschwendete

keinen Gedanken daran zurückgewiesen zu werden.„Ich bin nicht in der Stadt, Tyler,“ erklärte sie ihm, immer noch verärgert.„Ja, das hat Mike auch gesagt.“„Aber warum - ?“ wollte sie fragen.Er zuckte mit den Schultern. „Ich hatte gehofft du wolltest ihn nur nicht verletzen.“Ihre Augen funkelten und wurden dann kalt. „Sorry, Tyler,“ sagte sie, wirkte aber kein

bisschen so als würde es ihr leid tun. „Ich werde wirklich nicht hier sein.“

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Er akzeptierte ihre Entschuldigung, seine Selbstsicherheit war ungetrübt. „Kein Problem. Wir haben ja immer noch den Abschlussball.“

Er stolzierte zurück zu seinem Wagen.Es war gut, dass ich darauf gewartet hatte.Der Entsetzte Ausdruck in ihrem Gesicht war unbezahlbar. Er sagte mir, was ich nicht so

verzweifelt wissen wollen sollte – dass sie keinerlei Gefühle für irgendeinen dieser menschlichen Typen hatte, die sie ausführen wollten.

Außerdem war ihr Gesichtsausdruck das lustigste was ich je gesehen hatte.Meine Familie erreichte den Wagen, sie waren verwirrt darüber dass ich ausnahmsweise mal

vor Lachen bebte, statt alles in meinem Blickfeld mit mörderischen Blicken zu bestrafen.Was ist so lustig? Wollte Emmett wissen.Ich schüttelte nur meinen Kopf während ich von erneutem Lachen geschüttelt wurde als Bella

ihren lauten Motor wütend aufheulen ließ. Sie sah aus, als würde sie sich wieder einen Panzer wünschen.

„Fahr los!“ zischte Rosalie ungeduldig. „Und hör auf dich wie ein Idiot zu verhalten, wenn du das kannst.“

Ihre Worte störten mich nicht – ich hatte zu viel Spaß. Aber ich fuhr los.Niemand sprach mit mir auf dem Heimweg. Ich musste immer wieder kichern wenn ich an

Bellas Gesicht dachte.Ich bog in unsere Einfahrt ein – erhöhte die Geschwindigkeit, jetzt wo keine Zeugen mehr da

waren – Alice ruinierte meine Stimmung.„Also, kann ich jetzt mit Bella reden?“ fragte sie plötzlich, ohne vorher über ihre Worte

nachzudenken, was mich vorgewarnt hätte.„Nein,“ schnappte ich.„Das ist nicht fair! Worauf soll ich denn warten?“„Ich hab mich noch nicht entschieden, Alice.“„Was auch immer, Edward.“Bellas zwei Schicksale waren wieder klar und deutlich in ihrem Kopf.„Warum willst du sie überhaupt kennenlernen?“ murmelte ich mürrisch. „Wenn ich sie doch

sowieso umbringen werde?“Alice zögerte eine Sekunde. „Ein Punkt für dich,“ gab sie zu.Ich nahm die letzte enge Kurve mit neunzig Meilen und kam mit quietschenden Reifen

wenige Zentimeter vor der hinteren Garagenwand zum stehen.„Viel Spaß bei deinem Lauf,“ sagte Rosalie selbstgefällig, als ich aus dem Auto stürmte.Aber heute wollte ich nicht rennen, stattdessen ging ich auf die Jagd.Die anderen hatten vereinbart morgen jagen zu gehen, aber ich konnte es mir jetzt nicht

mehr leisten durstig zu sein. Ich übertrieb es ein wenig, trank mehr als nötig, übersättigte mich wieder – eine kleine Elchherde und ein Schwarzbär. Ich hatte Glück zu dieser Jahreszeit über ihn zu stolpern. Ich war so voll, dass es unangenehm war. Warum war das nicht genug? Warum musste ihr Duft so viel stärker sein, als alles andere?

Ich war jagen gegangen um mich auf den nächsten Tag vorzubereiten, aber als ich nicht mehr weiterjagen konnte, war der Sonnenaufgang immer noch stundenlang entfernt und ich wusste, dass der nächste Tag nicht schnell genug kommen würde.

Als ich realisierte, dass ich mich auf die Suche nach dem Mädchen machen würde, stellte sich wieder dieses beflügelte Gefühl ein.

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Ich haderte mit mir auf dem ganzen Weg zurück nach Forks, aber die weniger noble Seite in mir gewann und ich fuhr fort mit meinem unvertretbaren Plan. Das Monster war unruhig aber gesättigt. Ich wusste, dass ich einen sicheren Abstand zu ihr wahren würde. Ich wollte nur wissen, wo sie war. Ich wollte nur ihr Gesicht sehen.

Es war schon nach Mitternacht und Bellas Haus war dunkel und still. Ihr Truck stand am Straßenrand, der Polizeiwagen ihres Vaters in der Einfahrt. Es gab keine bewussten Gedanken in der Nachbarschaft. Ich beobachtet das Haus vom Wald aus, der an den östlichen Teil des Grundstücks angrenzte. Die Vordertür war vermutlich abgeschlossen – nicht dass das ein Problem gewesen wäre, aber ich wollte keine zertrümmerte Tür als Beweis hinterlassen. Ich beschloss zuerst die Fenster in der oberen Etage zu versuchen. Die wenigsten Menschen bauten dort Schlösser ein.

Ich umrundete die offene Fläche und erklomm die Hauswand in einer halben Sekunde. Ich baumelte mit einer Hand an der Regenrinne über dem Fenster und schaute hindurch. Mein Atem stockte.

Es war ihr Zimmer. Ich konnte sie in dem schmalen Bett sehen, ihre Decke lag auf dem Boden und ihr Bettlaken war unter ihren Beinen verdreht.

Während ich sie beobachtete drehte sie sich unruhig hin und her und warf einen Arm über ihren Kopf. Sie schlief unruhig, zumindest in dieser Nacht. Ob sie die Gefahr in ihrer Nähe spürte?

Ich schreckte zurück als ich sah wie sie sich wieder hin und her warf. Wie konnte ich besser sein, als irgend so ein Spanner? Ich war nicht besser. Ich war viel viel schlimmer.

Ich lockerte meine Finger um mich fallen zu lassen. Aber vorher erlaubte ich mir einen langen Blick auf ihr Gesicht.

Es war nicht friedlich. Die kleine Falte war wieder zwischen ihren Augenbrauen und ihre Mundwinkel hingen herunter. Ihre Lippen bebten und dann öffneten sie sich.

„Okay, Mom,“ murmelte sie.Balle redete im Schlaf.Die Neugierde gewann die Oberhand über den Ekel vor mir selbst. Die Verlockung dieser

ungeschützten, unbewusst ausgesprochenen Gedanken war unglaublich verführerisch.Ich prüfte das Fenster, es war nicht verschlossen, aber es klemmte da es vermutlich lange

nicht genutzt worden war. Ich schob es langsam zur Seite, es quietsche bei jedem Millimeter. Nächstes Mal sollte ich etwas Öl mitbringen…

Nächstes Mal? Ich schüttelte angewidert meinen Kopf.Ich schlüpfte leise durch das halb geöffnete Fenster.Ihr Zimmer war klein – unorganisiert aber nicht unordentlich. Ein Stapel Bücher lag neben

ihrem Bett, mit den Buchrücken zu ihr hin, und CDs verteilt um ihren billigen CD-Player – die CD obenauf war nur eine klare durchsichtige Hülle. Papierstapel lagen neben einem Computer, der aussah, als gehöre er in ein Museum für überholte Technologie. Schuhe lagen auf dem Boden verstreut.

Ich wollte unbedingt die Titel ihrer Bücher und CDs lesen, aber ich hatte mir geschworen auf Distanz zu bleiben; stattdessen setzte ich mich in den alten Schaukelstuhl am anderen Ende des Raumes.

Hatte ich wirklich mal gedacht sie sähe durchschnittlich aus? Ich dachte an diesen ersten Tag und meine Abneigung gegen die Jungs, die sich sofort in die verknallt hatten. Aber wenn ich mich jetzt an ihr Gesicht in ihren Gedanken erinnerte, konnte ich nicht verstehen, warum ich sie nicht sofort für wunderschön gehalten hatten. Es war so offensichtlich.

Und jetzt – ihre dunklen Haar zerzaust und wirr um ihr blasses Gesicht, in diesem abgetragenen T-Shirt voller Löcher und in schäbigen Jogginghosen, ihre Züge unbewusst entspannt,

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ihre vollen Lippen leicht geöffnet – sie raubte mir den Atem. Oder hätte mir den Atem geraubt, dachte ich ironisch, wenn ich geatmet hätte.

Sie sprach nicht mehr. Vielleicht war ihr Traum zu Ende.Ich starrte in ihr Gesicht und versuchte die Zukunft erträglicher zu machen.Sie zu verletzen war nicht erträglich. Bedeutete das, dass meine einzige Wahl darin bestand

zu versuchen wieder weg zu gehen?Die anderen konnten mich jetzt nicht davon abhalten. Meine Abwesenheit würde niemanden

in Gefahr bringen. Es würde keine Vermutungen geben, nichts was die Gedanken von irgendwem wieder auf den Unfall lenken könnte.

Ich schwanke wie heute Nachmittag, aber ich fand keinen Ausweg.Ich konnte nicht mit den menschlichen Jungs konkurrieren, auch wenn diese speziellen Jungs

nicht ihr Interesse weckten. Ich war ein Monster. Wie könnte sie etwas anderes in mir sehen? Wenn sie die Wahrheit über mich erfahren würde, würde es sie ängstlich zurückschrecken lassen. Wie das typische Opfer in einem Horrorfilm, würde sie schreiend wegrennen vor angst.

Ich erinnerte mich an ihren ersten Tag in Biologie… und ich wusste, dass das genau die richtige Reaktion wäre.

Es war albern von mir zu glauben, dass sie, wenn ich sie zu diesem blöden Tanz eingeladen hätte, ihre eilig gemachten Pläne über den Haufen geworfen hätte und mit mir zum Ball gehen würde.

Ich war nicht derjenige zu dem sie ja sagen würde. Es war jemand anderes, jemand menschliches und warmes. Und ich könnte ihn nicht mal – wenn das Ja eines Tages gesagt wäre – jagen und töten, weil sie ihn verdient hatte, wer immer er war. Sie verdiente Glück und Liebe mit wen auch immer sie auswählte.

Ich schuldete es ihr, dass ich jetzt das richtige tat; ich konnte mir nicht länger einreden, dass ich nur Gefahr lief das Mädchen zu lieben.

Es wäre egal, wenn ich jetzt ging denn Bella würde mich nie so sehen wie ich mir wünschte, dass sie mich sah. Sie würde mich niemals so sehen als wäre ich es wert geliebt zu werden.

Niemals.Konnte ein totes, kaltes Herz brechen? Es fühlte sich so als würde meins brechen.„Edward,“ sagte Bella.Ich erstarrte, mein Blick auf ihre ungeöffneten Augen geheftet.Ist sie aufgewacht und hatte mich hier entdeckt? Sie sah aus als schliefe sie, aber ihre Stimme

war so klar…Sie seufzte einen leisen Seufzer und dann wurde sie wieder unruhig, rollte sich auf die Seite –

immer noch tief schlafend und träumend.„Edward,“ murmelte sie sanft.Sie träumte von mir.Konnte ein totes, kaltes Herz wieder schlagen? Es fühlte sich so an als wäre meins kurz davor.„Bleib,“ seufzte sie. „Geh nicht. Bitte… geh nicht.“Sie träumte von mir und es war kein Albtraum. Sie wollte, dass ich bei ihr blieb, dort in ihren

Träumen.Ich versuchte die Gefühle die mich durchfluteten in Worte zu fassen, aber es gab keine Worte

die stark genug waren um das zu beschreiben. Für einen langen Moment, versank ich darin.Als ich wieder an die Oberfläche kam, war ich nicht mehr derselbe Mann der ich vorher

gewesen war.

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Mein Leben war eine unendliche, unveränderliche Nacht. Es musste, notwendigerweise, immer Nacht für mich sein. Also wie war es möglich, dass jetzt mitten in meiner schwärzesten Nacht die Sonne aufging?

In dem Moment als ich ein Vampir wurde, als ich meine Seele und meine Sterblichkeit unter den sengenden Schmerzen der Verwandlung gegen Unsterblichkeit eingetauscht hatte, war ich wahrhaftig gefroren. Mein Körper war mehr Stein als Fleisch, beständig und unveränderlich. Ich selbst bin auch gefroren – meine Persönlichkeit, meine Vorlieben und Abneigungen, meine Stimmungen und meine Bedürfnisse; alles war so geblieben.

Mit den anderen war es ganz genauso. Wir waren alle gefroren. Lebende Steine.Wenn sich doch einmal etwas für einen von uns veränderte, war das etwas Seltenes und

andauerndes. Ich hatte gesehen wie es mit Carlisle passiert und ein Jahrzehnt später mit Rosalie. Liebe hatte sie für die Ewigkeit verändert. Mehr als achtzig Jahre waren vergangen seit Carlisle Esme gefunden hatte und dennoch blickte er sie jedesmal mit den Augen eines frisch verliebten an. So würde es immer für sie sein.

So würde es auch immer für mich sein. Ich würde dieses zerbrechliche menschliche Mädchen immer lieben, für den Rest meiner unendlichen Existenz.

Ich blickte auf ihr bewusstloses Gesicht und fühlte wie mich diese Liebe bis in den kleinsten Winkel meines steinernen Körpers ausfüllte.

Sie schlief jetzt friedlicher, ein kleines Lächeln auf den Lippen.Während ich sie beobachtete, schmiedete ich einen Plan.Ich liebte sie, also würde ich versuchen stark genug zu sein um sie zu verlassen. Ich wusste,

dass ich jetzt nicht stark genug dafür war. Daran würde ich arbeiten. Aber vielleicht war ich stark genug die Zukunft auf einem anderen Weg zu überlisten.

Alice hatte nur zwei Zukunftsvisionen für Bella gesehen, und jetzt verstand ich sie beide.Sie zu lieben würde mich nicht davon abhalten sie zu töten, wenn ich es zuließ, dass ich

Fehler machte.Dennoch konnte ich das Monster in mir jetzt nicht spüren, konnte es nirgendwo in mir

finden. Vielleicht hatte die Liebe es für immer zum Schweigen gebracht. Wenn ich sie jetzt tötete, wäre es nicht absichtlich, es wäre ein schrecklicher Unfall.

Ich würde unglaublich vorsichtig sein müssen. Ich würde niemals meine Zurückhaltung fallen lassen können. Ich würde jeden meiner Atemzüge kontrollieren müssen. Ich würde immer einen Sicherheitsabstand einhalten müssen.

Ich würde keine Fehler machen.Endlich verstand ich die zweite Zukunftsvision. Sie hatte mich verwirrt – was könnte

passieren, weshalb Bella in diesem Unsterblichen halben Leben gefangen sein sollte? Jetzt – am Boden zerstört vor Verlangen nach dem Mädchen – konnte ich verstehen, wie ich in unverzeihlichem Egoismus meinen Vater um diesen Gefallen bitten konnte. Ihn darum bitten, ihr Leben zu beenden, ihr ihre Seele zu rauben nur damit ich sie für immer behalten könnte.

Sie verdiente etwas Besseres.Aber ich sah noch eine andere Zukunft, ein dünnes Seil auf dem ich vielleicht laufen konnte,

wenn ich die Balance halten könnte.Könnte ich das schaffen? Mit ihr zusammen sein und sie ein Mensch bleiben lassen?Mit voller Absicht nahm ich einen tiefen Atemzug, und dann noch einen, ließ mich von ihrem

Duft durchströmen wie ein Lauffeuer. Der Raum war angereichert mit ihrem Duft; ihr Parfum lag auf jedem Gegenstand. Mein Kopf begann zu schwimmen, aber ich kämpfte dagegen an. Ich würde mich

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daran gewöhnen müssen, wenn ich irgendeine Art von Beziehung mit ihr führen wollte. Ich nahm einen weiteren brennenden Atemzug.

Ich beobachtete sie weiter während sie schlief bis die Sonne hinter den östlichen Wolken aufging, plante und atmete.

Ich kam nach Hause, kurz nachdem die anderen zur Schule aufgebrochen waren. Ich wich Esmes fragenden Augen aus und zog mich schnell um. Sie sah den fiebrigen Ausdruck auf meinem Gesicht und fühlte sowohl Sorge als auch Erleichterung. Meine lange Melancholie hatte ihr weh getan und sie war froh, dass sie vorbei zu sein schien.

Ich rannte zur Schule und kam nur wenige Sekunden nach meinen Geschwistern dort an. Sie drehten sich nicht zu mir um, obwohl Alice wissen musste, dass ich zwischen den dichten Bäumen die den Parkplatz umrahmten stand. Ich wartete bis niemand hinsah und stolzierte lässig zwischen den Bäumen hervor auf den überfüllten Parkplatz.

Ich hörte wie Bellas Truck laut um die Ecke polterte und ich hielt hinter einen Suburban, wo mich keiner sehen konnte.

Sie fuhr auf den Parkplatz und warf einen langen finsteren Blick auf meinen Volvo bevor sie in die am weitesten entfernte Parklücke fuhr, die Stirn in Falten gelegt.

Es war seltsam, sich daran zu erinnern, dass sie immer noch sauer auf mich war und zwar aus gutem Grund.

Ich wollte über mich selbst lachen – oder mich treten. Meine ganzen Planungen und Überlegungen waren vollkommen irrelevant, wenn sie sich nichts aus mir machte, oder? Ihr Traum konnte von etwas vollkommen belanglosem gehandelt haben. Ich war so ein arroganter Blödmann.

Naja, es war sowieso besser für sie, sich nichts aus mir zu machen. Das würde mich nicht davon abhalten, ihr hinterherzulaufen, aber ich würde sie jedesmal vorwarnen, wenn ich ihr nachlief. Das schuldete ich ihr.

Ich trat leise hervor und überlegte, wie ich am besten auf sie zugehen konnte.Sie machte es mir leicht. Ihr Autoschlüssel fiel ihr aus der Hand als sie ausstieg, in eine tiefe

Pfütze.Sie bückte sich danach, aber ich war schneller, hob ihn auf bevor sie ihre Finger in das eisige

Wasser tauchen musste.Ich lehnte mich an ihren Truck als sie sich aufrichtete.„Wie machst du das?“ verlangte sie zu wissen.Ja, sie war immer noch sauer.Ich hielt ihr ihren Schlüssle hin. „Was mache ich denn?“Sie streckte ihre Hand aus und ich ließ den Schlüssel in ihre Handfläche fallen. Ich atmete tief

durch, sog ihren Duft ein.„Einfach so aus dem Nichts auftauchen,“ erläuterte sie.„Bella, ich kann nichts dafür, dass du so unaufmerksam bist.“ Die Worte waren ironisch, fast

schon witzig. Gab es irgendetwas, das ihr nicht auffiel?Hörte sie, dass meine Stimme sich liebkosend um ihren Namen legte?Sie blickte mich finster an, mein Humor schien sie kalt zu lassen. Ihr Herzschlag beschleunigte

sich – vor Wut? Aus Angst? Dann senkte sie ihren Blick.

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„Was sollte der Stau gestern?“ fragte sie ohne mich anzusehen. „Ich dachte du wolltest so tun, als gäbe es mich nicht statt mich zu Tode reizen?“

Immer noch sehr wütend. Es würde mich einige Anstrengung kosten, die Dinge gerade zu rücken. Ich erinnerte mich an meinen Vorsatz ihr gegenüber ehrlich zu sein…

„Das war Tyler zu liebe, nicht meinetwegen. Ich wollte ihm seine Chance lassen.“ Und dann lachte ich. Ich konnte mir nicht helfen bei dem Gedanken an ihren Gesichtsausdruck gestern.

„Du…“ sie keuchte und brach ab, anscheinend zu wütend um weiter zu reden. Da war er wieder – derselbe Gesichtsausdruck. Ich unterdrückte ein weiteres Lachen. Sie war schon sauer genug.

„Und ich tue nicht so als gäbe es dich nicht,“ schloss ich. Es war wichtig die Unterhaltung lässig wirken zu lassen. Sie würde es nicht verstehen, wenn ich ihr zeigte, was ich wirklich empfand. Ich würde ihr Angst machen. Ich musste meine Gefühle für mich behalten, es langsam angehen lassen…

„Also willst du mich zu Tode reizen? Da Tylers Van das nicht geschafft hat?“Ein kurz aufblitzender Ärger durchfuhr mich. Glaubte sie das wirklich?Es irritierte mich so angegriffen zu werden – sie wusste nichts von der Veränderung die letzte

Nacht geschehen war. Aber dennoch war ich sauer darüber.„Bella, das ist vollkommen absurd,“ schnappte ich.Ihr Gesicht wurde rot und sie wandte sich ab. Sie stapfte davon.Gewissensbisse. Meine Wut war unberechtigt.„Warte,“ bat ich sie.Sie blieb nicht stehen, also lief ich ihr nach.„Es tut mir leid, das war unhöflich. Ich sage nicht, dass es nicht wahr wäre“ – es war absurd

sich vorzustellen, ich wollte ihr auf irgendeine Art und Weise Schaden zufügen – „aber es war unhöflich, es auszusprechen.“

„Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe?“Glaub mir, wollte ich sagen. Das hab ich versucht.Oh, und außerdem bin ich elendig in dich verliebt.Lass es langsam angehen.„Ich wollte dich etwas fragen, aber du hast mich abgelenkt.“ Mir war soeben eine

Vorgehensweise eingefallen und ich lachte.„Hast du vielleicht eine gespaltene Persönlichkeit?“ fragte sie.So musste es tatsächlich für sie aussehen. Meine Stimmung war unberechenbar, so viele

neue Gefühle durchfuhren mich.„Du machst es schon wieder,“ stellte ich fest.Sie seufzte. „Na gut. Was willst du mich fragen?“„Ich hab mich gefragt, ob du nächsten Samstag…“ ich sah wie sich der Schock auf ihrem

Gesicht ausbreitete und unterdrückte wieder ein Lachen. „Du weißt schon, der Tag, an dem der Frühlingsball stattfindet…“

Sie unterbrach mich und schaute mir endlich wieder in die Augen. „Soll das irgendwie witzig sein?“

Ja. „Lässt du mich bitte ausreden?“Sie wartete und biss sich auf die Unterlippe.Dieser Anblick lenkte mich kurz ab. Seltsame, unbekannte Reaktionen rührten sich in meinem

lang vergessenen menschlichen Kern. Ich versuchte sie abzuschütteln, damit ich meine Rolle weiterspielen konnte.

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„Ich hab gehört, dass du an dem Tag nach Seattle fährst, und ich hab mich gefragt, ob du mitfahren möchtest?“ bot ich ihr an. Mir war aufgefallen, dass es vielleicht besser war ihre Pläne zu teilen, statt sie darüber auszufragen.

Sie starrte mich mit leerem Gesicht an. „Was?“„Möchtest du mitfahren nach Seattle?“ Allein in einem Auto mit ihr – meine Kehle brannte

bei dem Gedanken. Gewöhn dich daran.„Mit wem?“ fragte sie, ihre Augen geweitet und wieder verwirrt.„Mit mir, offensichtlich,“ sagte ich langsam.„Warum?“War es wirklich so schockierend, dass ich ihre Gesellschaft wollte? Sie muss meinem

Benehme der letzten Wochen die schlimmstmögliche Bedeutung beigemessen haben.„Naja,“ sagte ich so lässig wie möglich, „ich hatte ohnehin geplant in den nächsten Wochen

nach Seattle zu fahren, und um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, ob dein Truck die Strecke schafft.“ Es war leichter sie zu ärgern als ernst zu sein.

„Mein Truck läuft wunderbar, danke der Nachfrage,“ sagte sie mit derselben überraschten Stimme. Sie begann weiter zu gehen. Ich hielt mit ihr Schritt.

Sie hatte noch nicht wirklich nein gesagt, also nutzte ich diesen Vorteil.Würde sie nein sagen? Was würde ich tun, wenn sie nein sagte?„Aber schafft dein Truck es auch mit nur einer Tankfüllung?“„Ich wüsste nicht, was dich das angeht,“ grollte sie.Das war immer noch kein nein. Und ihr Herz raste wieder, ihr Atem ging schneller.„Der Verbrauch begrenzter Ressourcen geht jeden etwas an.“„Ehrlich Edward, ich versteh dich nicht. Ich dachte du willst nicht mit mir befreundet seit.“Aufregung durchfuhr mich, als sie meinen Namen aussprach.Wie soll man es langsam angehen und zur gleichen Zeit ehrlich sein? Naja, es war wichtiger,

ehrlich zu sein. Besonders in diesem Punkt.„Ich sagte, es wäre besser, wenn wir nicht befreundet wären, nicht dass ich es nicht will.“„Oh, danke, das erklärt natürlich alles,“ sagte sie sarkastisch.Sie hielt unter dem Vordach der Cafeteria und erwiderte meinen Blick. Ihr Herzschlag geriet

ins Stottern. Hatte sie angst?Ich wählte meine Worte mit Bedacht. Nein, ich konnte sie nicht in Ruhe lassen, aber vielleicht

war sie schlau genug, mich in Ruhe zu lassen, bevor es zu spät war.„Es wäre… klüger für dich, nicht mit mir befreundet zu sein.“ In die Tiefen ihrer aus

geschmolzener Schokolade bestehenden Augen zu blicken machten langsam unmöglich. „Aber ich bin es leid, mich von dir fernzuhalten Bella.“ Die Worte brannten mit viel zu viel Inbrunst.

Sie hielt den Atem an und die Sekunde die sie brauchte um weiter zu atmen beunruhigte mich. Wie sehr hatte ich sie erschreckt? Naja, ich würde es herausfinden.

„Möchtest du mit mir nach Seattle fahren?“ fragte ich sie geradeheraus.Sie nickte, ihr Herz pochte laut.Ja. Sie hatte ja gesagt, zu mir.Und dann wurde mir schlagartig etwas bewusst. Was würde sie das kosten?„Du solltest dich wirklich von mir fernhalten,“ warnte ich sie. Hatte sie mich gehört? Würde

sie der Zukunft entkommen, in die ich sie hineindrängte? Konnte ich irgendetwas tun, um sie vor mir zu beschützen?

Geh es langsam an, brüllte ich mich an. „Wir sehen uns dann im Unterricht.“Ich musste mich zusammenreißen um nicht zu rennen, als ich floh.

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6. Blutgruppe

Den ganzen Tag folgte ich ihr durch die Augen von anderen Schülern und nahm meine eigenen Umgebung kaum war.

Nicht durch die Augen von Mike Newton, denn ich konnte seine anstößigen Fantasien nicht mehr ertragen und auch nicht durch die von Jessica Stanley, denn ihre Abneigung gegenüber Bella machte mich wütend auf eine Art die nicht gesund war für das engstirnige Mädchen. Angela Webber war eine gute Wahl, wenn ihre Augen zur Verfügung standen; sie war freundlich – ihr Kopf war ein angenehmer Ort. Und manchmal waren es die Lehrer, die einem den besten Blick boten.

Ich überrascht zu sehen, wie sie durch den Tag stolperte – trippelte über Risse im Gehweg, verstreute ihre Bücher, und, am häufigsten von allem, viel sie über ihre eignen Füße – die Leute durch deren Augen ich sie belauschte dachten sie wäre tollpatschig.

Ich dachte darüber nach. Es stimmte, dass ich öfter mal Probleme damit hatte, aufrecht zu stehen. Ich erinnerte mich, wie sie an diesem ersten Tag in den Tisch vor mir gerannt ist, wie sie auf dem Eis hin und her rutschte vor dem Unfall, wie sie über die Fußleiste im Türrahmen gestolpert ist gestern… Wie seltsam, sie hatten recht. Sie war tollpatschig.

Ich wusste nicht, warum ich das so witzig fand, aber ich musste laut loslachen während ich von Geschichte zu Englisch ging und einige Leute warfen mir verwirrte Blicke zu. Warum war mir das bloß noch nie aufgefallen? Vielleicht weil da irgendetwas Anmutiges in ihrer Stille war, so wie sie ihren Kopf hielt, der Bogen ihres Nackens…

Jetzt hatte sie nichts Anmutiges mehr an sich. Mr. Varner beobachtete, wie sie mit der Spitze ihres Schuhs am Teppich hängen blieb und sich wortwörtlich in ihren Stuhl fallen ließ.

Ich musste wieder lachen.Die Zeit verging unglaublich langsam, während ich auf meine Möglichkeit wartete, sie wieder

mit meinen eigenen Augen sehen zu können. Endlich ertönte die Glocke. Ich marschierte so schnell es ging ohne aufzufallen, zur Cafeteria um meinen Platz zu sichern. Ich war einer er ersten. Ich entschied mich für einen Tisch der meistens leer war und war mir sicher, dass er das auch bleiben würde, wenn ich dort saß.

Als meine Familie den Raum betrat und mich an einem anderen Tisch sitzen sah, waren sie nicht überrascht. Alice musste sie vorgewarnt haben.

Rosalie stolzierte an mir vorbei ohne mich eines Blickes zu würdigen.Idiot.Rosalie und ich hatten nie eine einfache Beziehung gehabt – ich hatte sie gekränkt, als sie

mich das allererste mal hatte sprechen hören, von da an ging es abwärts – aber es schien als wäre sie in den letzten Tagen noch schlechter gelaunt. Ich seufzte. Rosalie machte es sich selbst schwer.

Jasper schenkte mir ein halbes Lächeln als er an mir vorbeilief.Viel Glück, dachte er zweifelnd.Emmett verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.Er hat seinen Verstand verloren, der arme Junge.Alice strahlte, ihre Zähne zu weit entblößt.Kann ich jetzt mit Bella reden??

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„Halt dich da raus,“ flüsterte ich unter vorgehaltener Hand.Ihr Lächeln senkte sich und dann strahlte sie wieder.Na gut. Dann seih eben Stur. Es ist nur eine Frage der Zeit.Ich seufzte wieder.Vergiss den Versuch in Biologie heute nicht, erinnerte sie mich.Ich nickte. Nein, das hatte ich nicht vergessen.Während ich darauf wartete, dass Bella die Cafeteria erreichte folgte ich ihr durch die Augen

eines High School Anfängers, der hinter Jessica lief. Jessica quasselte ununterbrochen von dem Ball, aber Bella antwortete nicht. Nicht das Jessica ihr die Möglichkeit dazu gegeben hätte.

In dem Moment als Bella durch die Tür der Cafeteria trat, warf sie einen Blick zu dem Tisch an dem meine Geschwister saßen. Sie schaute einen Moment, dann legte sie ihre Stirn in Falten und ihre Augen senken sich zum Boden. Sie hatte mich noch nicht gesehen.

Sie sah so… traurig aus. Ich verspürte das starke verlangen, aufzustehen und an ihre Seite zu gehen, um sie irgendwie zu trösten, nur ich wusste nicht, was sie als tröstend empfunden hätte. Ich wusste nicht, warum sie plötzlich so traurig war. Jessica plapperte weiter über den Ball. War Bella traurig, dass sie nicht dabei sein würde? Das kam mir unwahrscheinlich vor…

Aber das könnte man ändern, wenn sie wollte.Sie kaufte sich etwas zu trinken und sonst nichts. War das richtig? Brauchte sie nicht mehr

Nahrung als das? Ich hatte mir nie viele Gedanken über die menschliche Ernährung gemacht.Menschen waren so verdammt gebrechlich! Es gab millionen verschiedener Dinge um die

man sich sorgen musste…„Edward Cullen starrt dich schon wieder an,“ hörte ich Jessica sagen. „Ich frag mich, warum

er heute alleine sitzt?“Ich war Jessica dankbar – obwohl ihre Abneigung jetzt noch größer wurde – denn Bellas Kopf

schoss nach oben und sie sah sich um, bis sich unsere Blicke trafen.Da war keine Spur mehr von Trauer in ihren Augen. Ich machte mir Hoffnungen, dass sie

vielleicht traurig gewesen war, weil sie dachte ich hätte die Schule heute früher verlassen und diese Hoffnung ließ mich lächeln.

Ich bedeutete ihr mit meinem Finger sich zu mir zu setzten. Sie wirkte so geschockt darüber, dass ich sie wieder aufziehen wollte.

Also zwinkerte ich und ihr Mund klappte auf.„Meint er dich?“ fragte Jessica entgeistert.„Vielleicht braucht er Hilfe mit seinen Bio-Hausaufgaben,“ sagte sie mit leiser, verunsicherter

Stimme. „Ähm, ich geh besser mal gucken, was er will.“Das war wieder ein Ja.Sie stolperte zweimal auf dem Weg zu meinem Tisch obwohl auf ihrem Weg nichts lag außer

perfekt glattem Linoleum. Mal ehrlich, wie konnte ich das übersehen? Ich vermute mal ich hatte ihren stummen Gedanken mehr Aufmerksamkeit geschenkt… Was hatte ich sonst noch übersehen?

Seih ehrlich und geh es langsam an, ermahnte ich mich selbst.Sie hielt hinter dem Stuhl der mir gegenüberstand und zögerte. Ich atmete tief ein, diesmal

durch meine Nase statt durch den Mund.Spüre das brennen, dachte ich trocken.„Warum setzt du dich heute nicht mal zu mir?“ fragte ich sie.Sie zog den Stuhl zurück und setzte sich, wobei sie mich die ganze Zeit nicht aus den Augen

ließ. Sie wirkte nervös, aber ihre Physische Zusage war wieder ein Ja.Ich wartete darauf, dass sie etwas sagte.

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Es dauerte einen Moment, aber dann sagte sie, „Das ist komisch.“„Naja…“ ich zögerte. „Ich dachte mir, wenn ich schon in die Hölle komme, dann richtig.“Warum hatte ich das gesagt? Ich vermute es war wenigstens ehrlich. Und vielleicht hatte sie

die unterschwellige Warnung in meinen Worten gehört. Vielleicht merkte sie, dass sie besser aufstehen und so schnell wie möglich verschwinden sollte…

Sie stand nicht auf. Sie starrte mich an, abwartend, als hätte ich meinen Satz noch nicht beendet.

„Du weißt, dass ich keine Ahnung habe wovon du redest,“ sagte sie als ich nicht weitersprach.

Das war eine Erleichterung. Ich lächelte.„Ich weiß.“Es war schwer die Gedanken zu ignorieren, die hinter meinem Rücken schrien – und ich sollte

ohnehin das Thema wechseln.„Ich glaube deine Freunde sind sauer auf mich, weil ich dich entführt habe.“Das schien sie nicht zu kümmern. „Sie werden es überleben.“„Aber vielleicht gebe ich dich nicht zurück.“ Ich wusste nicht mal ob ich versuchte ehrlich zu

sein, oder ob ich sie nur wieder aufziehen wollte. In ihrer Nähe war es schwer meine eigenen Gedanken zu verstehen.

Bella schluckte laut.Ich lachte über ihren Gesichtsausdruck. „Du siehst besorgt aus.“ Es sollte wirklich nicht lustig

sein… Sie sollte besorgt sein.„Nein.“ Sie war eine schlechte Lügnerin; es half nicht, dass ihre Stimme wegbrach.

„Überrascht, ehrlichgesagt… Wie kommt das?“„Ich hab dir doch gesagt,“ erinnerte ich sie. „Ich bin es leid mich von dir fernzuhalten. Also

hab ich es aufgegeben.“ Ich bemühte mich mein lächeln beizubehalten. Es war gar nicht so einfach – ehrlich und lässig zu gleich zu sein.

„Aufgegeben?“ wiederholte sie verwirrt.„Ja – aufgegeben gut zu sein.“ Und scheinbar auch aufgeben lässig zu sein. „Ich mache jetzt

nur noch was ich will und lasse die Würfel fallen wie sie wollen.“ Das war ehrlich genug. Ihr meinen Egoismus zeigen. Es ihr auch eine Warnung sein lassen.

„Ich versteh schon wieder nichts.“Ich war egoistisch genug um mich darüber zu freuen. „Ich sage immer zu viel, wenn ich mit

dir rede – das ist eins der Probleme.“Ein eher kleines Problem, verglichen mit den anderen.„Keine Sorge,“ versicherte sie mir. „Ich verstehe sowieso nichts.“Gut. Das bedeutete sie blieb. „Das hoffe ich doch.“„Also im Klartext, sind wir jetzt Freunde?“Ich überschlug das kurz für eine Sekunde. „Freunde…“ wiederholte ich. Ich mochte den Klang

nicht. Es war nicht genug.„Oder nicht,“ murmelte sie und sah beschämt aus.Dachte sie, dass ich sie dafür nicht genug mögen würde?Ich lächelte. „Naja, wir können es versuchen, denke ich. Aber ich warne dich, ich bin kein

guter Freund für dich.“Hin und her gerissen wartete ich auf ihre Reaktion – einerseits wünschte ich mir, sie würde

endlich verstehen, anderseits dachte ich, ich würde sterben, wenn sie es tat. Wie Melodramatisch. Ich benahm mich so menschlich.

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Ihr Herz schlug schneller. „Das sagst du ständig.“„Ja, weil du nicht auf mich hörst,“ sagte ich wieder zu leidenschaftlich. „Ich warte immer

noch darauf, dass du mir endlich glaubst. Wenn du schlau bist, gehst du mir aus dem Weg.“Aber würde ich es zulassen, wenn sie es versuchen würde?Ihre Augen verengten sich. „Ich denke deinen Eindruck meiner Intelligenz hast du damit klar

gemacht.“Ich war mir nicht ganz sicher, was sie damit meinte, aber ich lächelte entschuldigend, weil ich

sie wohl versehentlich gekränkt hatte.„Also,“ sagte sie langsam. „So lange ich… nicht schlau bin, können wir versuchen Freunde zu

sein?“„So könnte man es sagen.“Sie senkte ihren Blick und starrte intensiv auf die Limonadenflasche in ihrer Hand.Die altbekannte Neugierte folterte mich.„Was denkst du gerade?“ fragte ich – es war befreiend diese Worte endlich laut aussprechen

zu können.Sie erwiderte meinen Blick, ihr Puls wurde schneller während ihre Wangen rot anliefen. Ich

atmete ein, um die Luft zu schmecken.„Ich versuche herauszufinden, was du bist.“Ich behielt mein Lächeln bei und festigte meine Gesichtszüge während Panik in mir aufstieg.Natürlich versuchte sie das. Sie war nicht dumm. Ich konnte nicht hoffen, dass sie etwas so

offensichtliches übersah.„Und, funktioniert es?“ fragte ich so ruhig wie ich konnte.„Nicht wirklich,“ gab sie zu.Ich kicherte vor Erleichterung. „Hast du irgendwelche Theorien?“Sie konnten nicht schlimmer sein, als die Wahrheit, egal was sie sich überlegt hatte.Ihre Wangen wurden noch röter und sie sagte nichts. Ich konnte die Wärme ihrer geröteten

Wangen in der Luft spüren.Ich versuchte meinen überzeugenden Tonfall bei ihr anzuwenden. Bei normalen Menschen

funktionierte es wunderbar.„Willst du sie mir nicht erzählen?“ Ich lächelte ermutigend.Sie schüttelte ihren Kopf. „Zu peinlich.“Hmpf. Es nicht zu wissen, war schlimmer als alles andere. Warum sollten ihr ihre

Überlegungen peinlich sein? Ich hielt es nicht aus, es nicht zu wissen.„Das ist wirklich frustrierend, weißt du das?“Meine Beschwerde löste irgendetwas in ihr aus. Ihre Augen funkelten und die Worte

sprudelten nur so aus ihr heraus.„Nein, ich kann mir nicht vorstellen, warum das frustrierend sein sollte – nur weil jemand dir

nicht sagen möchte, was er denkt, obwohl er selber nur kryptische Andeutungen macht nur um dich die ganze Nacht wach zu halten um darüber nachzudenken, was sie bedeuten könnten… also, warum sollte das frustrierend sein?“

Ich warf ihr einen finsteren Blick zu, weil ich wusste, dass sie recht hatte. Ich war nicht fair.Sie fuhr fort. „Oder noch besser, sagen wir mal diese Person macht einen Haufen seltsamer

Dinge – am einen Tag rettet sie dein Leben unter unmöglichen Umständen und am nächsten behandelt sie dich wie einen Parasiten und erklärt weder das eine noch das andere. Das wäre auch alles gar nicht frustrierend.“

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Das war die längste Rede die ich je aus ihrem Mund gehört hatte und sie gab mir einen weiteren Punkt für meine Liste.

„Du hast ein ziemliches Temperament, oder?“„Ich mag keine Doppelmoral.“Sie ging total auf in ihrem Ärger.Ich starrte Bella an und überlegte, ob ich überhaupt irgendetwas richtig machen konnte in

ihren Augen, als Mike Newtons stille Rufe mich ablenkten.Er war so wütend, dass ich lachen musste.„Was?“ schnaubte sie.„Dein Freund denkt ich bin gemein zu dir – er überlegt ob er herkommen und unseren Streit

beenden sollte.“ Das würde ich gern sehen. Ich lachte wieder.„Ich weiß nicht von wem du redest,“ sagte sie eisig. „Aber ich denke du hast unrecht.“Ich genoss die Art wie sie ihm eine Abfuhr erteilte durch diese Aussage.„Hab ich nicht. Ich sagte dir doch, dass die meisten Menschen leicht zu durchschauen sind.“„Abgesehen von mir.“„Ja. Abgesehen von dir.“ Musste sie für alles eine Ausnahme sein? Wäre es nicht fairer –

wenn man bedenkt womit ich jetzt alles klar kommen musste – wenn ich wenigsten etwas in ihrem Kopf hören könnte? War das zu viel verlangt? „Ich frag mich, warum das so ist?“

Ich starrte in ihre Augen und versuchte es wieder…Sie senkte den Blick. Die Augen stur auf den Tisch gerichtet, öffnete sie ihre Limonade und

nahm einen kurzen Schluck.„Hast du keinen Hunger?“ fragte ich.„Nein.“ Sie sah auf den leeren Tisch zwischen uns. „Und du?“„Nein, ich hab keinen Hunger,“ sagte ich. Den hatte ich definitiv nicht.Sie schürzte ihre Lippe und starrte weiter auf den Tisch. Ich wartete.„Würdest du mir einen Gefallen tun?“ fragte sie und blickte plötzlich wieder auf.Was könnte sie von mir wollen? Würde sie nach der Wahrheit fragen, die ich ihr nicht

erzählen konnte – die Wahrheit von der ich niemals wollte, dass sie sie erfährt?„Das kommt darauf an, was du möchtest?“„Nicht viel,“ versprach sie.Ich wartete, wieder neugierig.„Ich hab mich nur gefragt,“ sagte sie langsam während sie auf die Limonadenflasche starrte

und mit dem kleinen Finger über die Öffnung strick. „Ob du mich vielleicht vorwarnen könntest wenn du dich das nächste mal entschließt, mich zu meinem wohl zu ignorieren? Nur damit ich vorbereitet bin.“

Sie wollte eine Vorwarnung? Also musste meine Ignoranz etwas schlechtes sein… ich lächelte.

„Das hört sich fair an,“ stimmte ich zu.„Danke,“ sagte sie. Ihr Gesicht war so erleichtert, dass ich über meine eigene Erleichterung

lachen wollte.„Kann ich dann auch einen Gefallen haben?“ fragte ich Hoffnungsvoll.„Einen,“ erlaubte sie.„Nenn mir eine Theorie.“Sie wurde rot. „Das nicht.“„Du hast keine Einschränkungen gemacht, nur versprochen zu antworten,“ argumentierte

ich.

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„Du hast selbst schon Versprechen gebrochen,“ gab sie zurück.Da hatte sie recht.„Nur eine Theorie – ich werde auch nicht lachen.“„Doch, du wirst.“ Sie schien sich dessen absolut sicher zu sein, obwohl ich mir nicht vorstellen

konnte, was daran lustig sein könnte.Ich versuchte erneut überzeugend zu sein. Ich schaute ihr tief in die Augen – das war einfach

bei Augen mit einer solchen Tiefe – und flüsterte, „Bitte?“Sie blinzelte und ihr Gesicht wurde Ausdruckslos.Naja, das war nicht genau die Reaktion die ich mir erhofft hatte.„Äh, was?“ fragte sie. Sie sah benommen aus. Was stimmte nicht mit ihr?Aber ich gab noch nicht auf.„Bitte sag mir nur eine kleine Theorie,“ bettelte ich mit meiner sanften, nicht-

furchteinflößenden Stimme, während ich ihren Blick auffing.Zu meiner Überraschung und Zufriedenheit, schien es endlich zu wirken.„Ähm, naja, hat dich eine Radioaktive Spinne gebissen?“Comics? Kein Wunder, dass sie dachte, ich würde lachen.„Das ist nicht besonders kreativ,“ schalt ich sie und versuchte meine erneute Erleichterung zu

verbergen.„Tut mir leid, weiter bin ich noch nicht,“ gab sie sich geschlagen.Das erleichterte mich noch mehr. Jetzt konnte ich sie wieder aufziehen.„Du bist nicht mal nahe dran.“„Keine Spinnen?“„Nein.“„Keine Radioaktivität?“„Keine.“„Verdammt,“ seufzte sie.„Kryptonit macht mir auch nichts aus,“ sagte ich schnell – bevor sie nach Bissen fragen

konnte – und dann musste ich lachen, weil sie dachte ich wäre ein Superheld.„Du hast versprochen nicht zu lachen.“Ich presste meine Lippen aufeinander.„Ich werd‘s noch herausfinden,“ versprach sie.Und wenn sie das tat würde sie wegrennen.„Ich wünschte du würdest es nicht versuchen,“ sagte ich ohne zu sticheln.„Weil…?“Ich schuldete ihr Ehrlichkeit. Ich versuchte zu lächeln um meine Worte weniger

furchteinflößend klingen zu lassen. „Was wenn ich kein Superheld bin? Was wenn ich der Böse bin?“Ihre Augen wurden ein kleines bisschen größer und ihre Lippen öffneten sich leicht. „Oh,“

sagte sie. Und nach einer weiteren Sekunde, „Ich verstehe.“Sie hatte mich endlich gehört.„Wirklich?“ fragte ich und unterdrückte meine Verzweiflung.„Du bist gefährlich?“ vermutete sie. Ihr Atem überschlug sich und ihr Herz raste.Ich konnte ihr nicht antworten. War dies mein letzter Moment mit ihr? Würde sie jetzt

wegrennen? Würde es mir möglich sein ihr zu sagen, dass ich sie liebte, bevor sie weg war? Oder würde ihr das noch mehr Angst machen?

„Aber nicht böse,“ flüsterte sie und schüttelte ihren Kopf, in ihren Augen lag keine Spur von Angst. „Nein, ich glaube nicht, dass du böse bist.“

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„Da liegst du falsch,“ stöhnte ich.Natürlich war ich böse. Frohlockte ich jetzt nicht, da ich wusste, dass sie besser von mir

dachte, als ich es verdiente? Wenn ich gut wäre würde ich mich von ihr fernhalten.Ich streckte meine Hand über den Tisch um, als Ausrede, nach dem Deckel ihrer

Limonadenflasche zu greifen. Sie zuckte nicht zurück, obwohl meine kalte Hand plötzlich so nah war. Sie hatte wirklich keine Angst vor mir. Noch nicht.

Ich drehte den Deckel wie einen Kreisel und beobachtete ihn, statt sie. Meine Gedanken waren das reinste Durcheinander.

Lauf, Bella, lauf. (Lauf Forrest, lauf! *lol*) Ich brachte es nicht über mich die Worte laut auszusprechen.

Sie sprang auf. „Wir kommen zu spät,“ sagte sie genau in dem Moment wo ich dachte, sie hätte irgendwie meine Stumme Warnung gehört.

„Ich gehe heute nicht zum Unterricht.“„Warum nicht?“Weil ich dich nicht töten will. „Es ist manchmal gesünder zu schwänzen.“Um genau zu sein, war es gesünder für die Menschen, wenn die Vampire schwänzten an

Tagen an denen Menschliches Blut vergossen werden sollte. Mr. Banner wollte heute Blutgruppen bestimmen. Alice hatte schon ihre erste Stunde geschwänzt.

„Naja, ich gehe jedenfalls hin,“ sagte sie. Das überraschte mich nicht. Sie war verantwortungsbewusst – sie tat immer das Richtige.

Sie war das Gegenteil von mir.„Wir sehen uns dann später,“ sagte ich, ein Versuch wieder lässig zu klingen während ich auf

den kreisenden Deckel starrte. Und, ganz nebenbei, ich bete dich an… auf eine angsteinflößende, gefährliche Art und Weise.

Sie zögerte, und ich hoffte für einen kurzen Moment, dass sie trotz allem bei mir bleiben würde. Aber die Glocke läutete und sie rannte davon.

Ich wartete, bis sie verschwunden war und dann steckte ich den Deckel in meine Tasche – ein Andenken an diese wichtige Unterhaltung – und lief durch den Regen zu meinem Auto.

Ich legte meine Lieblings Beruhigungs CD ein – dieselbe die ich mir an diesem ersten Tag angehört hatte – aber ich hörte Debussys Noten nicht sehr lange. Andere Noten klangen in meinem Kopf, das Fragment einer Melodie, die mich befriedigte und faszinierte. Ich drehte die Anlage leiser und lauschte der Musik in meinem Kopf, spielte mit dem Fragment, bis es sich zu einer volleren Harmonie entwickelte. Instinktiv bewegte ich meine Finger in der Luft über imaginäre Pianotasten.

Die neue Komposition kam gut voran, als eine Welle Seelischer Pein meine Aufmerksamkeit erweckte.

Ich schaute in die Richtung aus der diese Pein kam.Wird sie jetzt umkippen? Was soll ich jetzt tun? Mike war in Panik.Ungefähr 100 Yards entfernt, ließ Mike Newton Bellas schlaffen Körper auf den Bürgersteig

sinken. Sie plumpste teilnahmslos auf den nassen Beton, ihre Augen geschlossen, ihre Haut kreidebleich wie eine Leiche.

Ich riss fast die Tür aus dem Auto.„Bella?“ rief ich.Da war keine Veränderung in ihrem leblosen Gesicht, als ich ihren Namen rief.Mein Körper wurde kälter als Eis.

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Ich war mir Mikes verärgerter Überraschung bewusst, als ich wütend seine Gedanken aussiebte. Er dachte nur an seine Wut auf mich, also wusste ich nicht, was mit Bella los war. Wenn er ihr irgendetwas angetan hätte würde ich ihn auslöschen.

„Was hat sie – ist sie verletzt?“ verlangte ich zu wissen während ich versuchte mich auf seine Gedanken zu konzentrieren. Es machte mich wahnsinnig, dass ich in menschlicher Geschwindigkeit laufen musste. Ich hätte mein Auftauchen nicht ankündigen sollen.

Dann konnte ich ihr Herz schlagen hören und ihren flachen Atem. Als ich zu ihr hinsah, presste sie ihre Augen noch fester zu. Das beruhigte meine Panik ein bisschen.

Ich sah eine Erinnerung in Mikes Gedanken auf flimmern, ein Schwall von Bildern aus dem Biologieraum. Bellas Kopf auf unserem Tisch, ihre blasse Haut leicht grünlich. Rote Tropfen auf den weißen Karten…

Blutgruppen-Bestimmung.Ich blieb auf der Stelle stehen und hielt den Atem an. Ihr Duft war eine Sache, aber ihr

fließendes Blut eine ganz andere.„Ich glaube sie ist Ohnmächtig,“ sagte Mike, ängstlich und aufgebracht in einem. „Ich weiß

nicht, was passiert ist, sie hat sich noch nicht mal in den Finger gestochen.“Eine Welle der Erleichterung durchfuhr mich und ich atmete wieder, schmeckte die Luft. Ah,

ich konnte den kleinen Fluss von Mike Newtons Nadelstichgroßen Wunde riechen. Einst hätte mich das wohl gereizt.

Ich kniete mich neben sie, Mike schwebte neben mir, wütend über meine Einmischung.„Bella. Kannst du mich hören?“„Nein,“ jammerte sie. „Geh weg.“Die Erleichterung war so groß, dass ich lachen musste. Es ging ihr gut.„Ich wollte sie gerade zur Krankenschwester bringen,“ sagte Mike. „Aber sie konnte nicht

mehr weitergehen.“„Ich mach das. Du kannst zurück in den Unterricht gehen,“ sagte ich abweisend.Mike schlug seine Zähne aufeinander. „Nein, ich soll das machen.“Ich hatte nicht vor hier herum zu stehen und mit diesem Kerl zu diskutieren.Erregt und panisch, halb dankbar und halb betrübt von dem Dilemma, das es unumgänglich

machte sie zu berühren, hob ich Bella sanft vom Bürgersteig auf und hielt sie in meinen Armen. Ich berührte nur ihre Kleidung und versuchte so viel Abstand wie Möglich zwischen unseren Körper zu behalten. In derselben Bewegung schritt ich vorwärts um so schnell wir möglich in Sicherheit zu bringen – mit anderen Worten, weiter weg von mir.

Erstaunt riss sie die Augen auf.„Lass mich runter,“ befahl sie mich schwacher Stimme – schon wieder verlegen, erriet ich an

ihrem Ausdruck. Sie mochte es nicht, Schwäche zu zeigen.Ich hörte Mikes lauten Protest hinter uns kaum.„Du siehst furchtbar aus,“ sagte ich ihr und grinste, denn sie war vollkommen in Ordnung

abgesehen von einem schwachen Kopf und einem flauen Magen.„Leg mich wieder auf den Bürgersteig,“ sagte sie. Ihre Lippen waren weiß.„Du wirst also Ohnmächtig wenn du Blut siehst?“ Konnte es noch ironischer werden?Sie schloss ihre Augen und presste die Lippen zusammen.„Und nicht mal dein eigenes Blut,“ fügte ich hinzu und mein grinsen wurde breiter.Wir waren jetzt am Sekretariat. Die Tür war einen Spalt geöffnet und ich trat sie aus meinem

Weg.

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Ms. Cope sprang überrascht auf. „Oh je,“ japste sie als sie das aschfahle Mädchen in meinen Armen sah.

„Sie ist in Biologie umgekippt,“ erklärte ich, bevor sie sich sonst was überlegen konnte.Ms. Cope beeilte sich, die Tür zum Zimmer der Krankenschwester zu öffnen. Bella hatte ihre

Augen wieder geöffnet und beobachtete sie. Ich hörte das innerliche Erstaunen der Krankenschwester als ich das Mädchen auf das schmale Bett legte. Sobald ich sie abgelegt hatte, wich ich soweit von ihr zurück wie es der schmale Raum zu ließ. Mein Körper war zu aufgeregt, zu begierig, meine Muskeln angespannt und das Gift floss. Sie war so warm und wohlriechend.

„Ihr ist nur etwas schwindlig,“ versicherte ich Mrs. Hammond. „Sie bestimmen Blutgruppen in Biologie.“

Sie nickte verstehend. „Es gibt immer einen.“Ich unterdrückte ein Lachen. War klar, dass Bella diese eine sein würde.„Leg dich einfach ein bisschen hin, Liebes,“ sagte Mrs. Hammond. „Es geht vorbei.“„Ich weiß,“ sagte Bella.„Passiert das öfter?“ fragte die Krankenschwester.„Manchmal,“ gab Bella zu.Ich versuchte mein Lachen als Husten zu tarnen.Das erinnerte die Krankenschwester daran, dass ich auch noch da war. „Du kannst jetzt

zurück zum Unterricht gehen,“ sagte sie.Ich sah ihr direkt in die Augen und log mit perfekter Überzeugung. „Ich soll bei ihr bleiben.“Hmm. Ich frage mich… ach naja. Mrs. Hammond nickte.Es funktionierte wunderbar bei ihr. Warum musste Bella so schwierig sein?„Ich hole dir ein bisschen Eis für deinen Kopf, Liebes,“ sagte die Krankenschwester, leicht

irritiert davon mir in die Augen gesehen zu haben – so wie Menschen reagieren sollten – und verließ den Raum.

„Du hattest recht,“ stöhnte Bella und schloss wieder ihre Augen.Was meinte sie damit? Ich kam zum schlimmsten Ergebnis: sie hatte meine Warnungen

akzeptiert.„Ich hab meistens recht,“ sagte ich und versuchte meine Stimme amüsiert klingen zu lassen;

sie klang er sauer. „Aber womit denn genau?“„Schwänzen ist gesund,“ seufzte sie.Ah, wieder Erleichterung.Dann war sie still. Sie atmete langsam ein und aus. Ihre Lippen wurden langsam wieder rosa.

Auf ihren Mund zu starren löste seltsame Gefühle in mir aus. Ich wollte mich zu ihr hinbewegen, aber das war keine gute Idee.

„Du hast mir vorhin einen ganz schönen Schrecken eingejagt,“ sagte ich – um die Unterhaltung wieder in Gang zu setzen, damit ich wieder ihre Stimme hören konnte. „Ich dachte, Newton würde deinen toten Körper wegzerren um ihn im Wald zu vergraben.“

„Ha ha,“ sagte sie.„Ehrlich – ich hab schon Leichen mit besserer Farbe gesehen.“ Das stimmte sogar. „Ich

dachte schon, ich müsste deinen Mord rächen.“ Und das hätte ich auch getan.„Der arme Mike,“ seufzte sie. „Ich wette er ist sauer.“Wurt stieg in mir auf, aber ich dämmte sie sofort ein. Ihre Sorge war sicher nur Mitleid. Sie

war gütig. Das war alles.„Er hasst mich,“ sagte ich ihr, diese Idee brachte mich um jubeln.„Das kannst du nicht wissen.“

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„Ich hab sein Gesicht gesehen – Ich kann es wissen.“ Es war vermutlich die Wahrheit, dass sein Gesicht zu lesen mir genug Informationen gegeben hätte um diese Feststellung zu machen. Und die ganze Übung mit Bella verbesserte meine Fähigkeit menschliche Gesichter zu lesen.

„Wie konntest du mich sehen? Ich dachte du schwänzt.“ Ihr Gesicht sah besser aus – der grüne Ton war aus ihrer transparenten Haut verschwunden.

„Ich saß in meinem Auto und hab Musik gehört.“Ihr Gesicht zuckte, als hätte meine gewöhnliche Antwort sie irgendwie überrascht.Sie öffnete wieder ihre Augen als Mrs. Hammond mit dem Eisbeutel zurückkam.„Hier, Liebes,“ sagte die Krankenschwester, während sie Bella das Eis auf die Stirn legte. „Du

siehst besser aus.“„Ich glaube mir geht es gut,“ sagte Bella und nahm den Eisbeutel von ihrem Kopf während sie

sich aufsetzte. Natürlich. Sie mochte es nicht, wenn man sich um sie kümmerte.Mrs. Hammonds faltige Hand flatterte auf Bella zu, als wollte sie sie wieder runter drücken,

aber in diesem Moment öffnete Ms. Cope die Tür und beugte sich hinein. Ihr Auftauchen wurde begleitet von dem Geruch von frischem Blut, nur ein Hauch.

Unsichtbar für mich im Raum hinter ihr, stand Mike Newton, immer noch sehr sauer, und wünschte sich, der schwere Junge den er jetzt hinter sich herzog wäre das Mädchen das mit mir hier drin war.

„Wir haben hier noch einen,“ sagte Ms. Cope.Bella sprang schnell von dem Bett, dankbar aus dem Scheinwerferlicht zu sein.„Hier,“ sagte sie und reichte Mrs. Hammond den Eisbeutel. „Den brauche ich nicht mehr.“Mike grunzte als er Lee Stevens halb durch die Tür schob. Es sickerte immer noch Blut aus der

Hand die Lee vor sein Gesicht hielt und rann zu seinem Handgelenk.„Oh nein.“ Das war mein Stichwort zu gehen – und Bellas auch wie es schien. „Geh raus,

Bella.“Sie starrte mit verwirrten Augen zu mir hoch.„Vertrau mir – geh.“Sie wirbelte herum, erreichte die Tür bevor sie zufiel und eilte hindurch zum Sekretariat. Ich

war nur wenige Zentimeter hinter ihr. Ihre wehenden Haare streiften meine Hand…Sie drehte sich zu mir um, immer noch mit geweiteten Augen.„Du hast auf mich gehört.“ Das war das erste Mal.Sie rümpfte ihre kleine Nase. „Ich hab das Blut gerochen.“ Ich starrte sie vollkommen perplex an. „Menschen können kein Blut riechen.“„Naja, ich schon – das ist es wovon mir schlecht wird. Es riecht rostig… und salzig.“Mein Gesicht war gefroren, ich starrte sie immer noch an.Was sie wirklich ein Mensch? Sie sah menschlich aus. Sie fühlte sich so weich an, wie ein

Mensch. Sie roch menschlich – naja, eigentlich besser. Sie benahm sich menschlich… irgendwie. Aber sie dachte nicht wie ein Mensch, oder reagierte wie einer.

Was gab es sonst noch für Möglichkeiten?„Was?“ verlangte sie.„Es ist nichts.“Mike Newton unterbrach uns indem er den Raum mit grollenden, brutalen Gedanken betrat.„Du siehst besser aus,“ sagte er ungehalten zu ihr.Meine Hand zuckte, wollte ihm Manieren beibringen. Ich sollte besser aufpassen, sonst

würde ich damit enden diesen unausstehlichen Jungen zu töten.

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„Behalt bloß deine Hand in der Tasche,“ sagte sie. Für eine Sekunde dachte ich sie redete mit mir.

„Es blutet nicht mehr,“ antwortete er beleidigt. „Kommst du mit zurück zum Unterricht?“„Machst du Witze? Da kann ich ja direkt hier bleiben.“Das war sehr gut. Ich dachte ich würde die ganze Stunde mit ihr verpassen und jetzt bekam

ich sogar zusätzliche Zeit. Ich fühlte mich habgierig wie ein Geizhals der über jede Minute freute.„Ja, stimmt wohl…“ murmelte Mike. „Also kommst du dieses Wochenende mit? Zum

Strand?“Ah, sie hatten Pläne. Der Ärger ließ mich erstarren. Es war ein Gruppenausflug. Ich hatte

etwas davon in den Köpfen der anderen Schüler gesehen. Es waren nicht nur die beiden. Ich war immer noch wütend. Ich lehnte mich an den Tresen und versuchte die Kontrolle zu behalten.

„Klar, ich hab doch gesagt, dass ich dabei bin,“ versprach sie ihm.Also hatte sie zu ihm auch Ja gesagt. Die Eifersucht brannte, schmerzhafter als Durst.Nein, es war nur ein Gruppenausflug, versuchte ich mich zu überzeugen. Sie verbrachte den

Tag mit Freunden. Nichts weiter.„Wir treffen uns am Laden meines Vaters, gegen zehn.“ Und Cullen ist NICHT eingeladen.„Ich werde da sein,“ sagte sie.„Wir sehen uns dann in Sport.“„Ja bis dann,“ antwortete sie.Er trottete zurück zu seinem Unterricht, seine Gedanken voller Zorn. Was sieht sie bloß in

diesem Freak? Klar, er ist reich, denke ich. Die Mädchen denken er wäre heiß, aber das kann ich nicht nachvollziehen. Viel zu… zu perfekt. Ich wette sein Vater experimentiert mit Schönheitsoperationen an ihnen allen. Deshalb sind sie alle so weiß und schön. Das ist nicht normal. Und er sieht irgendwie… unheimlich aus. Manchmal wenn er mich ansieht, könnte ich schwören dass er darüber nachdenkt mich zu töten… Freak…

Mike war nicht vollkommen unaufmerksam.„Sport,“ wiederholte Bella leise. Ein Ächzen.Ich sah zu ihr bemerkte, dass wieder traurig war wegen irgendetwas. Ich war mir nicht sicher

weswegen, aber es war offensichtlich, dass sie nicht zu ihrer nächsten Stunde mit Mike gehen wollte und ich war absolut für diesen Plan.

Ich ging zu ihr und lehnte mich zu ihr hinunter, fühlte wie die Wärme ihrer Haut zu meinen Lippen ausstrahlte. Ich durfte nicht atmen.

„Ich kümmere mich darum,“ murmelte ich. „Setzt dich da drüben hin und sieh blass aus.“Sie tat was ich sagte, setzte sich auf einen der Klappstühle und lehnte ihren Kopf an die

Wand, während hinter mir Ms. Cope aus dem Hinterzimmer kam und zu ihrem Schreibtisch ging. Mit geschlossenen Augen sah Bella so aus, als wäre sie wieder ohnmächtig. Ihre Farbe war noch nicht vollständig zurückgekehrt.

Ich drehte mich zu der Sekretärin um. Hoffentlich passte Bella gut auf, dachte ich hämisch. So hatte ein Mensch zu reagieren.

„Ms. Cope?“ fragte ich mit meiner überzeugenden Stimme.Ihre Augenlieder flatterten und ihr Puls beschleunigte. Zu jung, reiß dich zusammen! „Ja?“Das war interessant. Wenn Shelly Copes Puls schneller ging, lag es daran, dass sie mich

attraktiv fand, nicht weil sie angst hatte. Ich war an sowas gewöhnt wenn ich von menschlichen Frauen umgeben war… dennoch hatte ich diese Erklärung nie für Bellas rasendes Herz in Betracht gezogen.

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Diese Vorstellung gefiel mir sehr viel besser. Zu sehr, ehrlichgesagt. Ich lächelte und Mrs. Copes Atem wurde lauter.

„Bella hat Sport in der nächsten Stunde, aber ich glaube nicht dass sie sich schon so viel besser fühlt. Eigentlich dachte ich, es wäre besser, wenn ich sie jetzt nach Hause bringe. Glauben sie sie könnten sie entschuldigen?“ Ich schaute in ihre Augen und genoss das Chaos, das das in ihren Gedanken verursachte. War es möglich, dass Bella…?

Mrs. Cope musste laut schlucken bevor sie mir antworten konnte. „Brauchst du auch eine Entschuldigung, Edward?“

„Nein, ich habe Ms. Goff, sie wird es nicht stören.“Ich beachtete sie nicht weiter. Ich überdachte diese neue Möglichkeit.Hmm. Ich hätte gern geglaubt, dass Bella mich genauso attraktiv fand, wie es andere

Menschen taten, aber wann hatte Bella jemals die gleichen Reaktionen wie andere Menschen? Ich sollte meine Hoffnung nicht aufkeimen lassen.

„Okay, alles klar. Geht’s die besser, Bella?“Bella nickte schwach – ein bisschen zu theatralisch.„Kannst du laufen, oder wäre es dir lieber, wenn ich dich wieder trage?“ fragte ich amüsiert

von ihren schlechten Schauspielkünsten. Ich wusste, dass sie lieber laufen wollte – sie wollte nicht schwach sein.

„Ich werde laufen,“ sagte sie.Wieder recht gehabt. Ich wurde immer besser darin.Sie stand auf und zögerte kurz, als ob sie ihr Gleichgewicht testen wollte. Ich hielt ihr die Tür

auf und wir traten hinaus in den Regen.Ich beobachtete sie, wie sie ihr Gesicht in den Regen hielt mit geschlossenen Augen und

einem leichten Lächeln auf den Lippen. Was dachte sie? Irgendetwas an dieser Haltung wirkte seltsam und ich erkannte schnell warum es mir so unbekannt vorkam. Normale menschliche Mädchen würden ihr Gesicht nicht in diesen Sprühregen halten; normale menschliche Mädchen trugen Make-up, sogar hier an diesem nassen Ort.

Bella trug nie Make-up und brauchte es auch nicht. Die Kosmetikindustrie verdiente Milliarden Dollar im Jahr an Mädchen die versuchten so eine Haut zu bekommen wie sie.

„Danke,“ sagte sie und lächelte mich an. „Es ist gut wenn einem übel wird, wenn man dafür Sport schwänzen kann.“

Ich blickte über den Schulhof während ich überlegte wie ich meine Zeit mit ihr verlängern konnte. „Jederzeit,“ sagte ich.

„Also, kommst du auch? Diesen Samstag meine ich?“ Sie klang hoffnungsvoll.Ah, ihre Hoffnung war beruhigend. Sie wollte dass ich bei ihr bin und nicht Mike Newton. Und

ich wollte Ja sagen. Aber da waren viele Dinge die beachtet werden mussten. Zum einen würde diesen Samstag die Sonne scheinen…

„Wo geht ihr denn genau hin?“ Ich versuchte beiläufig zu klingen, als ob es mich nicht so sehr interessieren würde. Mike hatte etwas von Strand gesagt. Nicht viele Möglichkeiten der Sonne dort auszuweichen.

„Runter nach La Push, nach First Beach.“Verdammt. Naja, dann war es unmöglich.Außerdem, Emmett wäre verärgert, wenn ich unsere Pläne absagen würde.Ich blickte zu ihr hinunter und lächelte ironisch. „Ich glaube nicht, dass ich eingeladen

wurde.“Sie seufzte, sie hatte bereits aufgegeben. „Ich hab dich gerade eingeladen.“

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„Lass uns den armen Mike nicht noch weiter reizen diese Woche. Wir wollen doch nicht dass er zerreißt.“ Ich dachte daran den armen Mike selbst zu zerreißen und genoss das Bild in meinem Kopf.

„Mike-schmike,“ (was soviel heißt wie „Schwuler Lackaffe“ ganz frei übersetzt, aber das hört sich nicht so schön an ;) ) sagte sie, wieder abweisend. Ich lächelte breit.

Und dann ging sie von mir weg.Ohne nachzudenken, packte ich sie an ihrer Jacke. Mit einem Ruck kam sie zum stehen.„Was glaubst du wo du hingehst?“ Ich war fast sauer darüber, dass sie mich verlassen wollte.

Ich hatte noch nicht genug Zeit mit ihr verbracht. Sie konnte nicht gehen, noch nicht.„Ich geh nach Hause,“ sagte sie, verblüfft darüber weshalb mich dass stören sollte.„Hast du nicht gehört, dass ich versprochen habe, dich sicher nach Hause zu bringen? Denkst

du ich würde dich in deinem Zustand Auto fahren lassen?“ Ich wusste, dass sie das nicht mögen würde – meine Folgerung ihrer Schwäche. Aber ich musste ohnehin für den Seattle-Ausflug üben. Sehen ob ich mit ihrer Nähe klar kam auf engem Raum. Das hier war eine sehr viel kürzere Fahr.

„Was für ein Zustand?“ verlangte sie. „Und was ist mit meinem Truck?“„Alice bringt ihn dir nach der Schule.“ Ich zog sie zurück zu meinem Auto, sehr vorsichtig, da

ich mittlerweile wusste, dass sie schon beim vorwärtsgehen Probleme hatte.„Lass mich los!“ sagte sie, drehte sich seitwärts und stolperte fast. Ich strecke eine Hand aus

um sie aufzufangen, aber sie fing sich wieder bevor es nötig war. Ich sollte nicht nach Ausreden suchen um sie zu berühren. Ich dachte wieder an Mrs. Copes Reaktion auf mich, aber ich verschob es auf später. Da war vieles was berücksichtigt werden musste an dieser Front.

Neben dem Auto ließ ich sie los, und sie stolperte gegen die Tür. Ich würde noch vorsichtiger mit ihr umgehen müssen in Anbetracht ihrer Gleichgewichtsprobleme…

„Du bist so aufdringlich!“„Es ist offen.“Ich stieg auf meiner Seite ein und startete den Wagen. Sie versteifte sich, immer noch

draußen obwohl der Regen stärker wurde und ich wusste, dass sie die Kälte und die Nässe nicht mochte. Wasser tränke ihre dichten Haare und ließ sie fast schwarz erscheinen.

„Ich bin absolut in der Lage, mich selbst nach Hause zu fahren.“Natürlich war sie das – aber ich war nicht in der Lage sie gehen zu lassen.Ich ließ das Beifahrerfenster herunter und lehnte mich zu ihr. „Steig ein Bella.“Sie verengte ihre Augen und ich vermutete, dass sie überlegte ob sie versuchen sollte zu

ihrem Wagen zu rennen.„Ich hol dich sowieso wieder zurück,“ versprach ich und genoss ihren verärgerten

Gesichtsausdruck, als sie verstand, dass ich es ernst meinte.Sie reckte ihr Kinn in die Luft, öffnete die Beifahrertür und stieg ein. Der Regen tropfte von

ihren Haaren auf das Leder und ihre Stiefel quietschten.„Das ist vollkommen unnötig,“ sagte sie kühl. Sie sah ein bisschen verlegen aus unter ihrem

Ärger.Ich machte die Heizung an, damit sie es nicht unbequem hatte und drehte die Musik leiser.

Ich führ Richtung Ausfahrt und beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Sie schob schmollend die Unterlippe vor. Während ich es beobachtete überlegte ich was das für Gefühle in mir auslöste… dachte dabei wieder an die Reaktion der Sekretärin…

Plötzlich sah sie zu der Anlage und lächelte, ihre Augen geweitet. „Claire de Lune?“ fragte sie.Ein Klassik-Fan? „Du kennst Debussy?“

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„Nicht gut,“ sagte sie. „Meine Mutter hört gern klassische Musik zu Hause – ich kenne nur meine Lieblingsstücke.“

„Das ist auch eins meiner Lieblingsstücke.“ Ich starrte nachdenklich in den Regen. Ich hatte tatsächlich etwas mit ihr gemeinsam. Dabei hatte ich gerade angefangen zu denken, wir wären das genaue Gegenteil in jeder Hinsicht.

Sie wirkte jetzt entspannter und starrte, wie ich, in den Regen ohne etwas zu sehen. Ich nutze ihre Ablenkung um mit meiner Atmung zu experimentieren.

Ich atmete vorsichtig durch die Nase ein.Gewaltig.Ich klammerte mich an das Lenkrad. Der Regen hatte ihren Duft noch verbessert. Ich hätte

nicht gedacht, dass das möglich wäre. Dummerweise stellte ich mir jetzt vor, wie sie wohl schmecken würde

Ich versuchte gegen das Feuer in meiner Kehle an zu schlucken und an etwas anderes zu denken.

„Wie ist deine Mutter so?“ fragte ich um mich abzulenken.Bella lächelte. „Sie sieht genauso aus wie ich, nur hübscher.“Das bezweifelte ich.„Ich hab zu viel von Charlie in mir,“ sprach sie weiter. „Sie ist aufgeschlossener als ich und

mutiger.“Das bezweifelte ich auch.„Sie ist unverantwortlich und ein bisschen exzentrisch und sie ist eine sehr unvorhersehbare

Köchin. Sie ist meine beste Freundin.“ Ihre Stimme wurde melancholisch; sie runzelte die Stirn.Wieder klang sie mehr wie ein Elternteil als ein Kind.Ich hielt vor ihrem Haus und fragte mich viel zu spät ob ich überhaupt wissen durfte wo sie

wohnt. Nein, das wäre nichts Ungewöhnliches in so einer kleinen Stadt, mit ihrem Vater als Person der Öffentlichkeit…

„Wie alt bist du, Bella?“ Sie musste älter sein, als sie aussah. Vielleicht kam sie erst spät in die Schule, oder ist sitzengeblieben… das schien eher unwahrscheinlich.

„Ich bin siebzehn,“ antwortete sie.„Du wirkst nicht wie siebzehn.“Sie lachte.„Was?“„Meine Mutter sagt immer, ich bin mit fünfunddreißig geboren worden und dass ich immer

älter werde.“ Sie lachte wieder und dann seufzte sie. „Naja, irgendeine muss ja die erwachsene sein.“Das machte einiges klarer. Ich verstand jetzt… wie die unverantwortliche Mutter Bellas Reife

erklärte. Sie musste früh erwachsen werden um die Verantwortung zu übernehmen. Deshalb mochte sie es nicht, wenn man sich um sie kümmerte – sie dachte, das wäre ihr Job.

„Du wirkst aber auch nicht wie ein normaler High School Schüler,“ sagte sie und riss mich aus meiner Träumerei.

Ich verzog das Gesicht. Jedesmal wenn ich etwas an ihre bemerkte, bemerkte sie zu viel an mir. Ich wechselte das Thema.

„Also, warum hat deine Mutter Phil geheiratet?“Sie zögerte eine Minute bevor sie antwortete. „Meine Mutter… sie ist sehr jung für ihr Alter.

Ich glaube bei Phil fühlt sie sich noch jünger. Sie ist verrückt nach ihm.“ Sie schüttelte nachsichtig den Kopf.

„Akzeptierst du ihn?“ wunderte ich mich.

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„Spielt das eine Rolle?“ fragte sie. „Ich möchte, dass sie glücklich ist… und er ist es, den sie will.“

Die Selbstlosigkeit dieses Kommentars hätte mich verwundert, wenn es nicht so perfekt zu dem gepasst hätte, was ich bisher über ihren Charakter herausgefunden hatte.

„Das ist sehr großzügig… ich frag mich…“„Was?“„Wäre sie dir gegenüber auch so großzügig, was meinst du? Egal auf wen deine Wahl fallen

würde?“Es war eine dumme Frage und ich schaffte es nicht meine Stimme lässig klingen zu lassen, als

ich sie stellte. Wie dämlich von mir überhaupt darüber nachzudenke, jemand könnte mich für seine Tochter akzeptieren. Wie dämlich von mir überhaupt nur zu denken, Bella könnte mich wählen.

„Ich – ich denke schon,“ stammelte sie als Reaktion auf meinen Blick. Angst… oder Anziehung?

„Aber sie ist immer noch meine Mutter. Das ist ein bisschen was anderes,“ schloss sie.Ich lächelte ironisch. „Also niemand allzu unheimliches.“Sie grinste mich an. „Was meinst du mit unheimlich? Haufenweise Piercings im Gesicht und

Tattoos am ganzen Körper?“„Das wäre auch eine Definition, denke ich.“ Eine sehr harmlose Definition in meinen Augen.„Was wäre deine Definition?“Sie stellte immer die falschen Fragen. Oder vielleicht genau die richtigen Fragen. Die Fragen

die ich auf keinen Fall beantworten wollte.„Glaubst du, ich könnte unheimlich sein?“ fragte ich sie und versuchte ein bisschen zu

lächeln.Sie dachte kurz darüber nach bevor sie mir mit ernster Stimme antwortete. „Hmm… Ich

denke du könntest unheimlich sein, wenn du wolltest.“Ich war jetzt auch ernst. „Hast du jetzt angst vor mir?“Sie antwortet sofort, ohne darüber nachzudenken. „Nein.“Ich lächelte wieder. Ich glaube nicht, dass sie die ganze Wahrheit sagte, aber sie log auch

nicht wirklich. Sie hatte immerhin nicht genug Angst um wegrennen zu wollen. Ich fragte mich, wie sie sich wohl fühlte wenn ich ihr sagte, dass sie diese Unterhaltung mit einem Vampir führte. Ich zuckte instinktiv zusammen, als ich mir ihre Reaktion vorstellte.

„Also, erzählst du mir jetzt etwas über deine Familie? Das ist bestimmt eine viel interessantere Geschichte als meine.“

Eine unheimlichere auf jeden Fall.„Was möchtest du denn wissen?“ fragte ich vorsichtig.„Die Cullens haben die adoptiert?“„Ja.“Sie zögerte und fragte dann kleinlaut. „Was ist mit deinen Eltern passiert?“Das war nicht so schwer; Ich würde nicht mal lügen müssen. „Sie sind vor langer Zeit

gestorben.“„Das tut mir leid,“ murmelte sie, offensichtlich besorgt, sie könnte mich verletzt haben.Sie machte sich Sorgen um mich.„Ich erinnere mich nicht mehr so genau an sie,“ versicherte ich ihr. „Carlisle und Esme sind

schon lange meine Eltern.“„Und du liebst sie,“ stellte sie fest.Ich lächelte. „Ja. Ich könnte mir keine besseren Menschen vorstellen.“

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„Du hast Glück.“„Ja, das weiß ich.“ Unter diesen Umständen, was Eltern angeht, konnte man mein Glück nicht

abstreiten.„Und deine Brüder und Schwestern?“Wenn ich zuließ dass sie nach mehr Details fragte würde ich lügen müssen. Ich schielte auf

die Uhr, entmutigt stellte ich fest, dass meine Zeit mit ihr um war.„Mein Bruder und meine Schwester und Jasper und Rosalie, werden ganz schön sauer auf

mich sein, wenn ich sie im Regen stehen lasse.“„Oh, tut mir leid. Ich halte dich auf.“Sie rührte sich nicht. Sie wollte auch nicht, dass unsere Zeit schon um war. Das gefiel mir

sehr, sehr gut.„Und wahrscheinlich möchtest du deinen Truck wieder haben bevor Chief Swan nach Hause

kommt, damit du ihm nichts von dem Unfall in Biologie erzählen musst.“ Bei der Erinnerung an ihre Verlegenheit in meinen Armen musste ich grinsen.

„Ich bin mir sicher, dass er es längst gehört hat. Es gibt keine Geheimnisse in Forks.“ Sie sagte den Namen der Stadt mit ausgeprägtem Missfallen.

Bei ihren Worten musste ich lachen. Keine Geheimnisse, allerdings. „Viel Spaß am Strand.“ Ich blickte in den strömenden Regen, wohlwissend, dass er nicht anhalten würde und wünschte mir stärker als sonst, dass er es doch tun würde. „Gutes Wetter zum Sonnenbaden.“ Naja, am Samstag würde es das sein. Sie wird das genießen.

„Sehen wir uns morgen nicht?“Die Sorge in ihrer Stimme gefiel mir.„Nein. Emmett und ich starten das Wochenende etwas früher.“ Ich verfluchte mich dafür,

dass ich diese Pläne gemacht hatte. Ich könnte sie absagen… aber es gab jetzt nichts Wichtigeres als zu jagen und meine Familie würde von meinem Benehmen schon beunruhigt genug sein ohne dass ich enthüllte wie besessen ich bereits war.

„Was habt ihr vor?“ fragte sie. Sie klang nicht glücklich über meine Antwort.Gut.„Wir gehen campen in der Goat Rocks Wildnis, südlich von Rainier.“ Emmett war begierig auf

die Bären Saison.„Oh, naja, viel Spaß,“ sagte sie halbherzig. Das gefiel mir auch.Als ich sie so ansah, quälte mich die Vorstellung auch nur zeitweise auf Wiedersehen sagen

zu müssen. Sie war so weich und zerbrechlich. Es wirkte leichtsinnig sie aus den Augen zu lassen, wo ihr so viel zustoßen konnte. Und trotzdem, das schlimmste was ihr passieren konnte, war mit mir zusammen zu sein.

„Könntest du mir dieses Wochenende einen Gefallen tun?“ fragte ich ernst.Sie nickte, ihre Augen groß und verwirrt von meinem drängen.Geh es langsam an.„Seih nicht sauer, aber du scheinst jemand zu sein, der Gefahren magnetisch anzieht. Also…

versuch nicht ins Meer zu fallen oder dich überfahren zu lassen oder so etwas, in Ordnung?“Ich lächelte sie reumütig an und hoffte sie würde die Trauer in meinem Blick nicht sehen. Wie

sehr ich mir wünschte, dass es nicht so viel besser für sie war nicht in meiner Nähe zu sein, egal was ihr dort passieren konnte.

Lauf, Bella, lauf. Ich liebe dich zu sehr für dein eigenes Wohl oder meins.

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Sie war verärgert über meine Neckerei. Sie warf mir einen finsteren Blick zu. „Ich werd sehen, was sich machen lässt,“ schnappte sie, bevor sie aus dem Wagen in den Regen sprang und die Tür hinter sich zuschlug so fest sie konnte.

Genau wie ein wütendes Kätzchen das denkt es seih ein Tiger.Ich schloss meine Finger um den Schlüssel, den ich ihr gerade aus der Tasche gezogen hatte

und lächelte als ich davonfuhr.

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7. Melodie

Ich musste warten als ich zur Schule zurückkam. Die letzte Stunde war noch nicht zu Ende. Das war gut, denn ich musste über einiges nachdenken und brauchte etwas Zeit für mich.

Ihr Duft lag noch immer im Auto. Ich hielt die Fenster geschlossen um ihn auf mich einstürmen zu lassen, versuchte mich an das Gefühl zu gewöhnen meine Kehle absichtlich abzufackeln.

Anziehung.Es war kompliziert darüber nachzudenken. So viele Seiten, so viele Bedeutungen und Ebenen.

Nicht das gleiche wie Liebe, aber unausweichlich damit verbunden.Ich hatte keine Ahnung, ob sich Bella von mir angezogen fühlte. (Würde ihre mentale Stille

mich immer weiter frustrieren bis ich irgendwann verrückt werden würde? Oder gab es da eine Grenze, die ich eventuell erreichen konnte?)

Ich versuchte ihre physischen Reaktionen mit denen von anderen zu vergleichen, wie die der Sekretärin oder Jessica Stanley, aber die Vergleiche waren ergebnislos. Dieselben Anzeichen – Veränderung der Herzfrequenz und Atemrhythmus – konnten genauso gut Angst oder Schock oder Wut bedeuten genau wie Interesse. Es schien undenkbar, dass Bella die gleichen Gedanken hegte wie Jessica Stanley. Außerdem wusste Bella ganz genau, dass mit mir etwas nicht stimmte, auch wenn sie nicht wusste, was es war. Sie hatte meine eisige Haut berührt und ihre Hand zurückgerissen wegen der Kälte.

Und dennoch… als ich mich an diese Fantasien Erinnerte die mich so zurückschrecken ließen, aber mit Bella an Jessicas Stelle…

Ich atmete schneller, das Feuer kletterte meine Kehle rauf und runter.Was wenn es Bella gewesen wäre, die sich vorgestellt hatte, wie ich meine Arme um ihren

zerbrechlichen Körper legte? Fühlte wie ich sie enger an meine Brust zog und meine Hand unter ihr Kinn legte? Den schweren Vorhang ihrer Haare aus ihrem geröteten Gesicht kämmte? Mit meinen Fingerspitzen die Konturen ihrer vollen Lippen nachfuhr? Mein Gesicht näher zu ihrem lehnte, wo ich die Hitze ihres Atems auf meinem Mund spüren konnte? Immer nähre kommend…

Aber dann zuckte ich zurück aus diesem Tagtraum, wohlwissend, was ich schon wusste als Jessica sich diese Dinge vorgestellt hatte, was passieren würde, wenn ich ihr so nah kam.

Anziehung war ein unmögliches Dilemma, denn ich wurde bereits auf die schlimmste Art und Weise von Bella angezogen.

Wollte ich dass sich Bella von mir angezogen fühlte, eine Frau zu einem Mann?Das war die falsche Frage. Die richtige Frage war, sollte ich wollen, dass Bella sich von mir auf

diese Art und Weise angezogen fühlte, und die Antwort war nein. Denn ich war kein menschlicher Mann und das war ihr gegenüber nicht fair.

Mit jeder Faser meiner Existenz sehnte ich mich danach ein normaler Mann zu sein, damit ich sie in meinen Armen halten konnte ohne ihr Leben zu gefährden. Damit ich meine eigenen Fantasien spinnen konnte, Fantasien die nicht mit ihrem Blut an meinen Händen endeten, ihrem Blut glühend in meinen Augen.

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Mein Streben nach ihr war unvertretbar. Was für eine Art von Beziehung konnte ich ihr bieten, wenn ich es nicht riskieren konnte, sie zu berühren?

Ich senkte meinen Kopf in meine Hände.Es war alles noch viel verwirrender, weil ich mich in meinem ganzen Leben noch nie so

menschlich gefühlt hatte – nicht mal als ich noch menschlich war, soweit ich mich erinnern konnte. Als ich ein Mensch war drehten sich all meine Gedanken um die Soldatenehre. Der Große Krieg wütete die meiste Zeit meiner Jugend und ich war nur neun Monate von meinem achtzehnten Geburtstag entfernt als die Grippe ausbrach… Ich hatte nur vage Erinnerungen an diese menschlichen Jahre, dunkle Erinnerungen die mit jedem Jahrzehnt weiter verblassten. An meine Mutter erinnerte ich mich noch am deutlichsten, ich fühlte einen uralten Schmerz wenn ich an ihr Gesicht dachte. Ich erinnerte mich schwach daran wie sehr sie die Zukunft hasste von der ich kaum erwarten konnte, dass sie endlich eintrat. Ich betete jede Nacht dafür während sie beim Tischgebet darum bat, dass der „schreckliche Krieg“ bald enden möge… Ich hatte keine Erinnerung an eine andere Art von Verlangen. Abgesehen von der Liebe meiner Mutter, gab es keine andere Liebe die mich zum bleiben bewegt hätte…

Das war alles absolut neu für mich. Ich konnte keine Parallelen ziehen, keine Vergleiche erstellen.

Die Liebe die ich für Bella empfand war rein, aber jetzt waren die Gewässer trübe. Ich wollte so sehr in der Lage sein sie zu berühren. Fühlte sie genauso wie ich?

Das wäre egal, versuchte ich mich zu überzeugen.Ich starrte auf meine weißen Hände, hasste ihre Härte, ihre Kälte, ihre übermenschliche

Kraft…Ich zuckte vor Schreck zusammen als sich die Beifahrertür öffnete.Ha. Ich hab dich überrascht. Es gibt immer ein erstes Mal, dachte Emmett als er auf den

Beifahrersitz glitt. „Ich wetter Mrs. Goff denkt du nimmst Drogen, du warst so fahrig in letzter Zeit. Wo warst du heute?“

„Ich hab… eine gute Tat vollbracht.“Häh?Ich kicherte. „Mich um die Kranken gekümmert, sowas in der Art.“Das verwirrte ihn noch mehr, aber dann atmete er ein und bemerkte den Duft im Auto.„Oh. Schon wieder dieses Mädchen?“Ich verzog das Gesicht.Das wird langsam komisch.„Erzähl mir davon,“ murmelte ich.Er atmete wieder ein. „Hmm, sie hat schon einen besonderen Duft, nicht war?“Das Knurren brach zwischen meinen Lippen hervor bevor er die Worte zu ende gesprochen

hatte, eine automatische Reaktion.„Ganz ruhig, Junge, ich sag’s doch nur.“Dann kamen die anderen. Rosalie bemerkte den Duft sofort und warf mir einen finsteren

Blick zu, sie war immer noch nicht über ihren Ärger hinweg. Ich fragte mich, was ihr Problem war, aber alles was ich von ihr hören konnte waren Beschimpfungen.

Ich mochte auch Jaspers Reaktion nicht. Wie Emmett bemerkte er Bellas Anwesenheit. Nicht dass der Duft für einen von ihnen auch nur ein tausendstel des Vorzugs hatte wie für mich. Aber es ärgerte mich trotzdem, dass ihr Blut süß für sie war. Jasper hatte sich nicht gut unter Kontrolle…

Alice kam zu meiner Seite des Wagens und streckte ihre Hand nach Bellas Autoschlüssel aus.

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„Ich hab nur gesehen, dass ich es tun würde,“ sagte sie – verschleiert, wie es ihre Angewohnheit war. „Du musst mir das Warum erklären.“

„Das bedeutet nicht…“„Ich weiß, ich weiß. Ich werde warten. Es wird nicht mehr lange dauern.“Ich seufzte und gab ihr den Schlüssel.Ich folgte ihr zu Bellas Haus. Der Regen fiel herab wie millionen kleiner Hämmer, so laut dass

Bellas menschliche Ohren, das Donnern ihres Trucks vielleicht nicht hören konnten. Ich beobachtete ihre Fenster aber sie kam nicht um hinauszusehen. Vielleicht war sie nicht zu Hause. Da waren keine Gedanken zu hören.

Es machte mich traurig, dass ich nicht mal genug hören konnte um nach ihr zu sehen – um sicher zu gehen, dass sie glücklich war, oder wenigstens sicher.

Alice kletterte auf den Rücksitz und wir rasten nach Hause. Die Straßen waren leer, also dauerte es nur ein paar Minuten. Wir strömten ins Haus und jeder ging seinem Zeitvertreib nach.

Emmett und Jasper waren in der Mitte eines raffinierten Schachspiels, mit acht Schachbrettern – ausgebreitet vor der riesigen Glasfront – und ihren eigenen komplizierten Regeln. Sie würden mich nicht spielen lassen; nur Alice spielte noch Spiele mit mir.

Alice ging zu ihrem Computer der bei ihnen um die Ecke stand und ich hörte wie die Monitore zu flimmern begannen. Alice arbeitete an einem Modedesign Programm für Rosalies Kleiderschrank, aber Rosalie begleitet sie heute nicht um hinter ihr zu stehen und Schnitt und Farbe zu diktieren während Alices Hand über den Touchscreen huschte (Carlisle und ich mussten das System ein wenig ausbessern, da die meisten Touchscreens auf Temperaturen reagierten). Stattdessen fläzte sie sich heute auf das Sofa und zappte durch zwanzig Kanäle pro Sekunde ohne Pause. Ich konnte hören wie sie darüber nachdachte, ob sie in die Garage gehen und ihren BMW erneut tunen sollte.

Esme war oben und grübelte über ein paar neuen Blaupausen.Alice lehnte sich um die Ecke und fing an Emmetts nächste Züge für Jasper mit dem Mund zu

formen – Emmett saß auf dem Boden mit dem Rücken zu ihr – der seinen Gesichtsausdruck nicht veränderte als er Emmetts besten Läufer vom Brett kickte.

Und ich, das erste mal seit so langer Zeit, dass ich mich schämte, setzte mich an das erlesene prachtvolle Piano, dass direkt am Eingang stand.

Behutsam arbeitete ich mit meinen Fingern die Tonleiter ab um die Tonlage zu testen. Es war immer noch perfekt gestimmt.

Oben hielt Esme inne mit dem was sie tat und legte ihren Kopf zur Seite.Ich begann die erste Reihe der Melodie zu spielen, die sich mir selbst heute im Auto

eingeflüstert hatte, erfreut darüber dass sie sich sogar noch besser anhörte als ich mir vorgestellt hatte.

Edward spielt wieder, dachte Esme überglücklich, ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie stand von ihrem Schreibtisch auf und glitt leise zum Treppenabsatz.

Ich fügte eine Harmonie hinzu und ließ die zentrale Melodie hindurch weben.Esme seufzte zufrieden, setzte sich auf die oberste Stufe und lehnte ihren Kopf an das

Geländer. Ein neues Stück. Es ist so lange her. Was für eine liebliche Melodie.Ich ließ die Melodie eine neue Richtung einschlagen, folgte ihr mit der Basslinie.Edward komponiert wieder? Dachte Rosalie und ihre Zähne schlugen in grimmiger

Verbitterung aufeinander.

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In diesem Moment hatte ich einen kurzen Einblick in ihre grundlegende Empörung. Ich sah warum sie so schlecht auf mich zu sprechen war. Warum Isabella Swan zu töten ihr kein schlechtes Gewissen verursacht hätte.

Bei Rosalie drehte sich alles um Eitelkeit.Die Musik brach abrupt ab und ich lachte bevor ich mich zusammenreißen konnte, ein

scharfes Bellen vor Belustigung brach ab, als ich meine Hand schnell vor meinen Mund hielt.Rosalie drehte sich zu mir, um mir einen finsteren Blick zuzuwerfen, ihre Augen waren

gespickt mit verärgerter Wut.Emmett und Jasper drehten sich auch um und ich hörte Esmes Verwirrung. Esme sauste

blitzschnell nach unten und schaute von Rosalie zu mir.„Hör nicht auf Edward,“ ermutigte mich Esme nach einem angespannten Moment.Ich fing wieder an zu spielen, wandte Rosalie meinen Rücken zu und versuchte sehr

angestrengt das Grinsen auf meinem Gesicht zu kontrollieren. Sie sprang auf und marschierte aus dem Raum, eher wütend als verlegen. Aber sicherlich auch sehr verlegen.

Wenn du irgendetwas sagst, werde ich dich jagen wie einen Hund.Ich unterdrückte ein weiteres Lachen.„Was ist los, Rose?“ rief ihr Emmett nach. Rosalie drehte sich nicht um. Sie marschierte

weiter in die Garage und kletterte unter ihren Wagen, als könnte sie sich dort begraben.„Was ist denn jetzt los?“ fragte Emmett mich.„Ich hab nicht die leiseste Ahnung,“ log ich.Emmett grummelte frustriert.„Spiel weiter,“ drängte Esme. Meine Hände hatten wieder innegehalten.Ich tat was sie sagte und sie stellte sich hinter mich um mir ihre Hände auf die Schultern zu

legen.Das Stück war überwältigend aber unvollständig. Ich spielte mit einer Brücke, aber es schien

irgendwie nicht richtig zu sein.„Es ist bezaubernd. Hat es einen Namen?“ fragte Esme.„Noch nicht.“„Gibt es einen Geschichte dazu?“ fragte sie mit einem Lächeln in der Stimme. Es bereitete ihr

so viel Vergnügen und ich fühlte mich schuldig, dass ich ihr meine Musik so lange vorenthalten hatte. Es war egoistisch.

„Es ist… ein Schlaflied, denke ich.“ Und dann bekam ich die Brücke richtig hin. Sie leitete leicht zu der nächsten Bewegung über und entwickelte ein Eigenleben.

„Ein Schlaflied,“ wiederholte sie für sich.Es gab eine Geschichte zu dieser Melodie und sobald ich das bemerkte, vielen die Noten

ohne Anstrengung auf ihren Platz. Die Geschichte war ein schlafendes Mädchen in einem schmalen Bett, dunkles Haar, dick und wild und verschlungen wie Seegras auf dem Kissen…

Alice überließ Jasper sich selbst und setzte sich zu mir auf die Bank. Mit ihrer trällernden, Glockenspiel ähnlichen Stimme skizzierte sie einen wortlosen Sopran zwei Oktaven über der Melodie.

„Das gefällt mir,“ murmelte ich. „Aber wie wäre es damit?“Ich fügte ihre Melodie der Harmonie hinzu – meine Hände flogen nun über die Tasten um alle

einzelnen Stücke zusammen zu setzen – modifizierte sie ein wenig und führte sie in eine andere Richtung…

Sie erfasste die Stimmung und sang mit.„Ja. Perfekt,“ sagte ich.Esme drückte meine Schulter.

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Aber jetzt konnte ich das Ende sehen, mit Alices Stimme die sich über der Melodie erhob und sie an einen anderen Ort führte. Ich konnte sehen wie das Stück enden musste, denn das schlafende Mädchen war perfekt genau so wie es war und jeder Veränderung wäre falsch, eine Betrübnis. Das Stück wich ab, der Erkenntnis entgegen, langsamer und leiser jetzt. Alices Stimme wurde auch leiser und feierlich, eine Melodie die unter die Hallenden Bögen einer von Kerzen erleuchteten Kathedrale gehörte.

Ich spielte diese letzte Note und beugte meinen Kopf über die Tasten.Esme strich mir durchs Haar. Es wird alles gut werden, Edward. Es wird alles ein gutes Ende

nehmen. Du verdienst Glück, mein Sohn. Das Schicksal schuldet es dir.„Danke,“ flüsterte ich und wünschte ich könnte es glauben.Die Liebe kommt nicht immer auf dem einfachsten Weg.Ich lachte kurz auf ohne Humor.Du bist vielleicht am besten von allen auf diesem Planeten dafür ausgestattet um mit einer

solchen Zwickmühle umzugehen. Du bist der beste und klügste von uns allen.Ich seufzte. Jede Mutter dachte dasselbe von ihrem Sohn.Esme war immer noch voller Freude darüber dass mein Herz nach all der Zeit berührt wurde,

egal wie groß die Tragödie war die damit verbunden war. Sie hatte gedacht, ich würde für immer allein bleiben…

Sie wird dich auch lieben müssen, dachte sie plötzlich und überraschte mich mit der Richtung die ihre Gedanken eingeschlagen hatten. Wenn sie ein kluges Mädchen ist. Sie lächelte. Aber ich kann mir niemanden vorstellen, der so langsam ist um nicht zu sehen, was für ein Fang du bist.

„Hör auf damit, Mom, du bringst mich in Verlegenheit,“ zog ich sie auf. Ihre Worte, obwohl sie unmöglich waren, munterten mich auf.

Alice lachte und begann die erste Stimme von „Heart and Soul“. Ich grinste und beendete die einfache Tonfolge mit ihr. Dann begünstigte ich sie mit einer Darbietung von „Chopsticks“.

Sie kicherte und seufzte dann. „Also ich wünschte du würdest mir sagen, warum du vorhin über Rose gelacht hast,“ sagte Alice. „Aber ich kann sehen, dass du es nicht tun wirst.“

„Nein.“Sie schnippte mit ihren Fingern gegen mein Ohr.„Sei nett, Alice,“ ermahnte Esme sie. „Edward benimmt sich nur wie ein Gentleman.“„Aber ich möchte es wissen.“Ich lachte über den jammernden Ton den sie angeschlagen hatte. Dann sagte ich, „Hier,

Esme,“ und begann ihr Lieblingsstück zu spielen, eine namenlose Ehrung an die Liebe die ich zwischen ihr und Carlisle beobachtet hatte, für so viele Jahre.

„Danke, Liebling.“ Sie drückte wieder meine Schulter.Ich musste mich nicht konzentrieren um das bekannte Stück zu spielen. Stattdessen dachte

ich an Rosalie, die sich immer noch bildlich in der Garage wand vor Demütigung, und ich grinste in mich hinein.

Da ich gerade erst die Potenz von Eifersucht für mich selbst entdeckt hatte, hatte ich ein klein wenig Mitleid mit mir. Es war ein mieses Gefühl. Natürlich war ihre Eifersucht tausendmal belangloser als meine. Das berühmte Fuchs in der Krippe Szenario (ein komisches Sprichwort das bei uns soviel bedeutet wie „Neidhammel“ oder „Spielverderber“ heißt, da ich den Zusammenhang aber dann nicht verstehe, hab ich’s so übernommen wie‘s da steht).

Ich frag mich, inwiefern Rosalies Leben und Persönlichkeit anders gewesen wären, wenn sie nicht immer die schönste von allen gewesen wäre. Wäre sie glücklicher gewesen, wenn Schönheit nicht schon immer ihre größte Stärke gewesen wäre? Weniger egozentrisch? Mitfühlender? Naja, ich

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denke es war sinnlos darüber nachzudenken, denn die Dinge waren nun mal so und sie war immer die Schönste.

Sogar als Mensch hat sie immer im Mittelpunkt ihrer eigenen Herrlichkeit gestanden. Nicht dass es sie gestört hätte. Ganz im Gegenteil – sie liebte Anbetung mehr als alles andere. Das hat sie mit dem Verlust ihrer Sterblichkeit auch nicht geändert.

Es war daher kein Wunder, dass sie verletzt war, als ich sie schon von Anfang an nicht so vergöttert hatte, wie es alle Männer immer getan hatten. Nicht dass sie mich auf irgendeine Art gewollt hätte – ganz im Gegenteil. Aber es hatte sie verärgert, dass ich sie gewollt hatte, schlimmer noch. Sie war es gewöhnt gewollt zu werden.

Mit Jasper und Carlisle war das anders – sie waren beide schon in jemanden verliebt. Ich war komplett unberührt und dennoch kein bisschen von ihr angetan.

Ich dachte der alte Groll wäre begraben. Das sie das lange hinter sich gelassen hatte.Und das hatte sie auch… bis zu dem Tag an dem ich jemanden gefunden hatte, dessen

Schönheit mich so berührt hatte, wie ihre es nicht getan hatten.Rosalie hatte sich darauf verlassen, dass, wenn ich ihre Schönheit nicht anbetungswürdig

gefunden hatte, es auf der ganzen Welt keine Schönheit gab, die mich berühren würde. Sie war wütend seit dem Moment als ich Bella das Leben gerettet hatte, denn durch ihre untrügliche weibliche Intuition hatte sie da schon gewusst, was mir selbst noch nicht bewusst gewesen ist.

Rosalie war zu Tode gekränkt, dass ich ein unbedeutendes menschliches Mädchen anziehender fand als sie.

Ich unterdrückte wieder ein Lachen.Auf eine Art störte es mich aber auch, wie sie Bella sah. Rosalie dachte, das Mädchen wäre

gewöhnlich. Wie konnte sie sowas nur glauben? Für mich wirkte es absolut unverständlich. Ein Produkt ihrer Eifersucht, kein Zweifel.

„Oh!“ sagte Alice abrupt. „Jasper, weißt du was?“Ich sah, was sie gesehen hatte und meine Hände erstarrten auf den Tasten.„Was, Alice?“ fragte Jasper„Peter und Charlotte kommen uns nächste Woche besuchen! Sie werden in der Gegend sein,

ist das nicht nett?“„Was hast du Edward?“ fragte Esme, die die Anspannung in meinen Schultern spürte.„Peter und Charlotte kommen nach Forks?“ zischte ich zu Alice.Sie verdrehte ihre Augen. „Reg dich ab, Edward. Es ist nicht ihr erster Besuch.“Ich biss meine Zähne zusammen. Es war ihr erster Besuch, seit Bella hier war und ihr süßer

Duft sprach nicht nur mich an.Alice runzelte die Stirn. „Sie jagen nie hier. Das weißt du.“Aber Jaspers selbsternannter Bruder und der kleine Vampir den er liebte waren nicht wie wir;

sie jagten auf die übliche Art. Man konnte ihnen nicht trauen, wenn Bella in der Nähe war.„Wann?“ verlangte ich.Sie schürzte unglücklich ihre Lippen, aber sagte mir was ich wissen musste. Montagmorgen.

Niemand wird Bella etwas tun.„Nein,“ stimmte ich ihr zu und wandte mich dann von ihr ab. „Bist du soweit Emmett?“„Ich dachte wir brechen erst morgens auf?“„Wir kommen Sonntagnacht zurück. Es liegt an dir, wann wir losgehen.“„Na gut. Aber lass mich wenigstens noch Rose auf Wiedersehen sagen.“„Klar.“ Bei der Stimmung in der Rose war, würde es ein kurzer Abschied werden.Du bist echt verloren, Edward, dachte er, während er Richtung Vordertür ging.

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„Ich denke, das bin ich.“„Spiel das neue Stück noch einmal für mich,“ fragte Esme.„Wenn du magst,“ stimmte ich zu, obwohl ich etwas zögerte, der Melodie bis zu ihrem

unausweichlichen Ende zu folgen – das Ende, das mir unbekannte Schmerzen verursachte. Ich dachte kurz nach und nahm dann den Flaschendeckel aus meiner Tasche und legte ihn auf den leeren Notenständer. Das half ein bisschen – meine kleine Erinnerung an ihr Ja.

Ich nickte zu mir selbst und begann zu spielen.Esme und Alice wechselten einen kurzen Blick, aber keine von beiden fragte nach.

„Hat dir noch niemand gesagt, dass man nicht mit seinem Essen spielt?“ rief ich Emmett zu.„Oh, hey Edward!“ rief er zurück, grinste und winkte mir zu. Der Bär zog einen Vorteil aus

seiner Ablenkung und schwang seine schwere Pranke über Emmett Brust. Die scharfen Krallen fuhren durch sein Shirt und quietschten über seine Haut.

Der Bär heulte auf bei dem hohen scharfen Ton.Ah, verdammt, Rose hatte mir dieses Shirt geschenkt!Emmett brüllte den wütenden Bären an.Ich seufzte und setzte mich auf einen geeigneten Felsbrocken. Das könnte noch eine Weile

dauern.Aber Emmett war fast fertig. Er ließ es zu, dass der Bär versuchte ihm mit einem weiteren

Hieb seiner Pranke den Kopf abzuschlagen und lachte als der Bär abprallte und zurücktaumelte. Der Bär brüllte und Emmett brüllte lachend zurück. Dann sprang er auf das Tier zu, das einen Kopf größer als er war und auf seinen Hinterpfoten stand und ihre Körper vielen eng umschlungen zu Boden und rissen eine Fichte mit sich. Das Brüllen des Bären erstarb mit einem Gurgeln.

Ein paar Minuten später joggte Emmett auf mich zu. Sein Shirt war zerstört, zerrissen und voller Blut, mit Fell bedeckt. Seine dunklen lockigen Haare waren in keinem besseren Zustand. Er hatte ein breites Grinsen im Gesicht.

„Der war stark. Ich konnte es fast spüren, als er nach mir schlug.“„Du bist so ein Kind, Emmett.“Er beäugte mein gepflegtes, strahlend weißes Button-Down Hemd. „Hast du es nicht

geschafft, den Puma zu erledigen?“„Natürlich hab ich das geschafft. Aber ich esse nicht wie ein unzivilisierter Barbar.“Emmett lachte. „Ich wünschte sie wären stärker. Das würde mehr Spaß machen.“„Niemand hat gesagt, du sollst dein Essen bekämpfen.“„Ja, aber mit wem soll ich denn sonst kämpfen? Du und Alice, ihr schummelt, Rose will ihre

Haare nicht durcheinander bringen und Esme wird sauer, wenn Jasper und ich wirklich zur Sache kommen.“

„Das Leben ist schon hart, nicht war?“Emmett grinste mich an, verlagerte ein wenig sein Gewicht so dass er genug Platz hatte um

auszuholen.„Komm schon Edward. Schalt es für eine Minute aus und kämpf fair.“„Man kann das nicht ausschalten,“ erinnerte ich ihn.„Ich frag mich was dieses Menschenmädchen macht um dich aus ihrem Kopf zu halten?“

überlegte Emmett. „Vielleicht kann sie mir ein paar Tipps geben.“

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Mein Humor war mit einem Mal verschwunden. „Halt dich von ihr fern,“ knurrte ich durch meine Zähne.

„Empfindlich, hmm?“Ich seufzte. Emmett setzte sich neben mich auf den Felsen.„Tut mir leid. Ich weiß, dass du eine harte Zeit durchmachst. Ich geb mir wirklich mühe keine

allzu große Nervensäge zu sein, aber da es Teil meiner Natur ist…“Er wartete darauf, dass ich über seinen Witz lachte und verzog dann das Gesicht.Du bist immer so ernst. Was bedrückt dich?„Ich denke über sie nach. Naja, ich sorge mich eher, ehrlichgesagt.“„Was gibt es denn worüber du dir Sorgen machen müsstest? Du bist doch hier.“ Er lachte laut

auf.Ich ignorierte auch diesen Witz, aber beantwortete seine Frage. „Hast du jemals darüber

nachgedacht, wie verletzlich sie alle sind? Wie viele Gefährliche Dinge einem Sterblichen passieren können?“

„Nicht wirklich. Aber ich glaube ich verstehe was du meinst. Ich war kein wirklicher Gegner für einen Bären damals, nicht war?“

„Bären,“ nuschelte ich und fügte dem Stapel eine weiter Angst hinzu. „Das würde ihr zu ihrem Glück gerade noch fehlen, was? Verirrter Bär in der Stadt: natürlich würde er direkt Bella über den Weg laufen.“

Emmett kicherte. „Du klingst ziemlich verrückt, weißt du das?“„Stell dir nur mal für einen Moment vor, Rosalie wäre menschlich, Emmett. Und sie würde

einem Bär über den Weg laufen… oder von einem Auto überfahren werden… oder von einem Blitz getroffen… oder die Treppe herunterfallen… oder krank werden – eine schwere Krankheit bekommen!“ Die Worte flossen nur so aus mir heraus. Es war eine Erleichterung sie raus zu lassen – sie hatte schon das ganze Wochenende in meinem Körper geeitert. „Feuer und Erdbeben und Tornados! Ugh! Wann hast du dir das letzte Mal die Nachrichten angesehen? Hast du gesehen, was den Menschen alles so passieren kann? Einbruch und Mord…“ meine Zähne schlugen aufeinander und ich war plötzlich so aufgebracht von der Idee was ein anderer Mensch ihr antun könnte, dass ich nicht atmen konnte.

„Hey, hey! Krieg dich wieder ein, Junge. Sie wohnt in Forks, du erinnerst dich? Sie wird also nass geregnet.“ Er zuckte mit den Schultern.

„Ich glaube sie hat ernsthaftes Pech, Emmett, das glaube ich wirklich. Schau dir die Beweise an. Von all den Orten auf der Welt wo sie hätte landen könnten, endet sie in einer Stadt, wo Vampire einen kleinen Teil der Bevölkerung ausmachen.“

„Ja, aber wir sind Vegetarier. Also ist es nicht eher Glück als Pech?“„So wie sie riecht? Definitiv Pech. Und noch größeres Pech, dass sie für mich noch so viel

besser riecht.“ Ich schielte auf meine Hände und hasste sie wieder.„Abgesehen davon, dass du nach Carlisle die beste Selbstbeherrschung von uns allen hast.

Wieder Glück.“„Der Van?“„Das war bloß ein Unfall.“„Du hättest sehen sollen wie er immer und immer wieder versucht hat sie zu erwischen, Em.

Ich schwöre dir, es war als wäre sie ein Magnet oder sowas.“„Aber du warst da. Das war Glück.“„War es? Ist das nicht das größte Pech dass ein Mensch haben kann – ein Vampir der in ihn

verliebt ist?“

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Emmett überschlug diesen Gedanken leise für einen Moment. Er stellte sich das Mädchen vor und fand die Vorstellung uninteressant. Ehrlich ich versteh dich nicht.

„Naja, ich kann Rosalies Vorzüge auch nicht wirklich sehen,“ sagte ich unhöflich. „Ehrlich, sie scheint anstrengender zu sein, als irgendein schönes Gesicht es wert ist.“

Emmett kicherte. „Ich denke nicht, dass du mir erzählen wirst, was…“„Ich weiß nicht, was sie für ein Problem hat, Emmett,“ log ich mit einem plötzlichen breiten

Grinsen.Ich sah rechtzeitig was er vorhatte um auszuweichen. Er versuchte mich von dem Felsen zu

stoßen und der Stein verursachte eine lautes Krachen als er sich zwischen uns spaltete.„Betrüger,“ murmelte er.Ich wartete darauf, dass er es noch einmal versuchen würde, aber seine Gedanken nahmen

eine andere Richtung. Er stellte sich wieder Bellas Gesicht vor, aber weißer mit blutroten Augen…„Nein,“ sagte ich und meine Stimme überschlug sich.„Es löst deine Probleme bzgl. Ihrer Sterblichkeit oder nicht? Und dann würdest du sie auch

nicht töten wollen. Wäre das nicht der beste Weg?“„Für mich? Oder für sie?“„Für dich,“ antwortet er leichthin. Sein Ton implizierte ein selbstverständlich.Ich lachte humorlos. „Falsche Antwort.“„Mir hat es nicht allzu viel ausgemacht,“ erinnerte er mich.„Rosalie schon.“Er seufzte. Wir wussten beide, dass Rosalie alles tun würde, alles aufgeben würde um wieder

ein Mensch zu sein. Sogar Emmett.„Ja, Rose schon,“ gab er leise zu.„Ich kann nicht… ich sollte nicht… ich werde Bellas Leben nicht zerstören. Würdest du nicht

genauso empfinden, wenn es Rosalie wäre?“Emmett dachte einen Moment darüber nach. Du… liebst sie wirklich?„Ich kann es nicht beschreiben, Emmett. Auf einmal bedeutet dieses Mädchen die Welt für

mich. Ich kann den Sinn der Welt nicht sehen, wenn sie nicht mehr da wäre.“Aber du wirst sie nicht verwandeln? Sie wird nicht für immer da sein, Edward.„Das weiß ich,“ grummelte ich.Und, wie du schon gesagt hast, sie ist irgendwie zerbrechlich.„Glaub mir – das weiß ich auch.“Emmett war nicht besonders taktvoll und heikle Gespräche waren nicht seine Stärke. Er

zögerte nun, weil er nicht zu direkt sein wollte.Kannst du sie überhaupt berühren? Ich meine, wenn du sie liebst… würdest du sie nicht, naja,

anfassen wollen…?Emmett und Rosalie teilten eine sehr körperliche Liebe. Er konnte nicht nachvollziehen wie

jemand lieben konnte ohne diesen Teil einer Beziehung.Ich seufzte. „An sowas kann ich nicht mal denken, Emmett“Wow. Was hast du denn dann für Möglichkeiten?„Ich weiß es nicht,“ flüsterte ich. „Ich versuche einen Weg zu finden, sie zu… verlassen. Aber

ich weiß einfach nicht wie ich mich von ihr fernhalten sollte…“ Mit tiefer Befriedigung stellte ich plötzlich fest, dass es richtig von mir war zu bleiben –

zumindest jetzt, wo Peter und Charlotte auf dem Weg nach Forks waren. Sie war sicherer wenn ich da war, zeitweise, als wenn ich weg wäre. Für den Moment konnte ich so etwas wie ihr Beschützer sein.

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Der Gedanke wühlte mich auf; ich brannte darauf so schnell wie möglich wieder zurück in Forks zu sein um diese Rolle so lange wie möglich zu erfüllen.

Emmett bemerkte die Veränderung in meinem Gesicht. Was denkst du gerade?„Genau jetzt,“ gab ich etwas beschämt zu, „kann ich es kaum erwarten nach Forks zu rennen

und nach ihr zu sehen. Ich weiß nicht, ob ich es bis Sonntagnacht aushalte.“„Oh nein! Du gehst nicht früher nach Hause. Lass Rose etwas Zeit um sich abzuregen. Bitte!

Mir zu liebe.“„Ich werde versuchen zu bleiben,“ sagte ich zweifelnd.Emmett deutete auf das Handy in meiner Tasche. „Alice würde anrufen, wenn es einen

Grund für deine Panik gäbe. Sie ist genauso verrückt nach diesem Mädchen wie du.“Ich zog ein Gesicht. „Gut. Aber ich bleibe nicht länger als bis Sonntag.“„Es gibt keinen Grund zurück zu eilen – es wird sowieso sonnig werden. Alice sagte, wir

hätten Schulfrei bis Mittwoch.“Ich schüttelte starr meinen Kopf.„Peter und Charlotte wissen wie man sich benimmt.“„Das ist mir wirklich egal, Emmett. Bei Bellas Glück geht sie genau zur falschen Zeit in den

Wald und…“ ich schrak zurück. „Peter ist nicht gerade bekannt für seine Selbstbeherrschung. Ich werde Sonntag zurückgehen.“

Emmett seufzte. Wie ein Verrückter.

Bella schlief tief und fest, als ich am frühen Montagmorgen durch ihr Fenster kletterte. Diesmal hatte ich an etwas Öl gedacht und das Fenster ließ sich geräuschlos aus dem Weg schieben.

Daran, dass ihre Haare glatt auf dem Kissen lagen konnte ich erkenne, dass sie eine ruhigere Nacht hatte, als das letzte Mal als ich hier war. Sie hatte die Hände unter ihrer Wange gefaltet wie ein kleines Kind und ihr Mund war leicht geöffnet. Ich konnte hören wie ihr Atem langsam durch ihre Lippen ein und ausströmte.

Es war eine unglaubliche Erleichterung hier zu sein, sie wieder sehen zu können. Ich bemerkte, dass ich nicht wirklich ruhig war bis das der Fall war. Nichts stimmte, wenn ich nicht bei ihr war.

Nicht dass alles richtig war, wenn ich bei ihr war… dennoch. Ich seufzte und ließ das Feuer durch meine Kehle strömen. Ich war zu lange weg gewesen. Die ganze Zeit ohne den Schmerz und das Verlangen verstärkten es jetzt noch. Es war schlimm genug, dass ich mich nicht traute mich neben ihr Bett zu knien so dass ich die Buchtitel lesen konnte. Ich wollte die Geschichten in ihrem Kopf kennen, aber ich hatte vor noch mehr angst, als nur vor meinem Durst, Angst, dass ich wenn ihr so nahe kam, immer noch näher sein wollte…

Ihre Lippen sahen sehr weich und warm aus. Ich konnte mir vorstellen sie mit meinen Fingerspitzen zu berühren. Ganz sanft…

Das war genau die Art von Fehler die ich nicht zulassen konnte.Meine Augen glitten wieder und wieder über ihr Gesicht und untersuchten es nach

Veränderungen. Sterblich veränderten sich ständig – der Gedanken ich könnte etwas verpassen macht mich traurig…

Ich hatte den Eindruck sie sähe… müde aus. Als hätte sie nicht genug Schlaf bekommen dieses Wochenende. War sie ausgegangen?

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Ich lachte leise und ironisch darüber, dass mich der Gedanke störte. Was wäre wenn? Ich besaß sie nicht. Sie war nicht mein.

Nein, sie war nicht mein – und ich war wieder traurig.Sie drehte eine ihrer Hände um und ich sah, dass sie schwache, ansatzweise verheilte Kratzer

in ihrer Handfläche hatte. Hat sie sich verletzt? Obwohl es offensichtlich keine schwere Verletzung war, störte es mich. Ich erinnerte mich daran wo sie dieses Wochenende gewesen war und schloss, dass gestolpert sein musste. Das schien eine glaubwürdige Erklärung zu sein.

Es war beruhigend zu wissen, dass ich über diese kleinen Geheimnisse nicht ewig nachgrübeln musste. Wir waren jetzt Freunde - oder zumindest versuchten wir befreundet zu sein. Ich konnte sie nach ihrem Wochenende fragen – nach dem Strand und welche Nachtaktivität sie so erschöpft aussehen ließ. Ich konnte fragen, was mit ihren Händen passiert war. Und ich konnte ein bisschen lachen, wenn sie meine Theorie bestätigte.

Ich lächelte sanft als ich mir vorstelle, dass sie vielleicht wirklich ins Meer gefallen war. Ich fragte mich ob sie eine schöne zeit gehabt hat dort draußen. Ich fragte mich, ob sie vielleicht an mich gedacht hatte. Ob sie mich vielleicht auch nur einen Hauch so sehr vermisst hatte, wie ich sie vermisst hatte.

Ich versuchte sie mir in der Sonne am Strand vorzustellen. Das Bild war allerdings unvollständig, denn ich war noch nie am First Beach gewesen. Ich kannte ihn nur von Bildern…

Ich fühle mich ein wenig unbehaglich als ich an den Grund dafür dachte, dass ich noch nie noch nie an diesem schönen Strand war, der, wenn man rannte, nur wenige Minuten von unserem Haus entfernt war. Bella hatte den Tag in La Push verbracht – ein Ort an den es mir vertraglich verboten war zu gehen. Ein Ort an dem ein paar alte Männer sich immer noch an die Geschichten über die Cullens erinnerten, sich erinnerten und daran glaubten. An Ort an dem unser Geheimnis bekannt war…

Ich schüttelte meinen Kopf. Ich hatte nichts zu befürchten. Die Quileutes waren auch vertraglich gebunden. Sogar wenn Bella einer dieser alten Sagen begegnet wäre, konnten sie nichts aufdecken. Und warum sollte das Thema überhaupt zur Sprache kommen? Warum sollte Bella ihre Verwunderungen dort aussprechen? Nein – die Quileutes waren vermutlich eine der wenigen Dinge um die ich mir keinen Sorgen zu machen brauchte.

Ich war sauer auf die Sonne, als sie aufzugehen begann. Sie erinnerte mich daran, dass ich meine Neugierde in den nächsten Tagen nicht stillen konnte. Warum entschied sie sich gerade jetzt zu scheinen?

Mit einem Seufzer duckte ich mich aus ihrem Fenster bevor es hell genug war, dass mich irgendjemand sehen konnte. Ich hatte vor in dem dichten Wald bei ihrem Haus darauf zu warten, dass sie zur Schule aufbrach, aber als ich zwischen den Bäumen ankam war ich überrauscht die Spur ihres Duftes auf dem schmalen Pfand zu erahnen.

Ich folgte der Spur schnell, neugierig und wurde immer besorgter als sie mich tiefer in die Dunkelheit führte. Was hatte Bella hier draußen gemacht?

Der Pfad verschwand plötzlich mitten im Nirgendwo. Sie war nur wenige Schritte von dem Pfad herunter in den Farn gegangen, wo sie den Stumpf eines umgestürzten Baumes berührt hatte. Vielleicht dort gesessen hatte…

Also, Bella, ich bin der Spur deines Geruchs in den Wald gefolgt, nachdem ich dein Zimmer verlassen hatte, wo ich dir beim schlafen zugesehen hatte… Ja, damit würde ich das Eis brechen.

Ich würde nie erfahren was sie hier draußen gedacht und getan hatte, und ich schlug frustriert meine Zähne aufeinander. Schlimmer noch, das war genau das Szenario dass ich mir für

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Emmett ausgedacht hatte – Bella wanderte allein durch den Wald wo ihr Duft jeden ansprach der in der Lage war ihn zu verfolgen…

Ich knurrte. Sie hatte nicht einfach nur Pech, sie forderte es auch noch heraus.Naja, jetzt hatte sie jedenfalls einen Beschützer. Ich würde über sie wachen und sie vor allem

schützen so lange ich es verantworten konnte.Ich erwischte mich dabei, wie ich mir wünschte, Peter und Charlotte würden etwas länger

bleiben.

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8. Geist

Ich sah nicht viel von Jaspers Besuch während der zwei sonnigen Tage, die sie in Forks verbrachten. Ich kam nur nach Hause damit Esme sich keine Sorgen machte. Ansonsten war mein Leben eher das eines Gespenstes statt eines Vampirs. Ich schwebte unsichtbar durch die Schatten, wo ich dem Objekt meiner Liebe und Begierde folgen konnte – wo ich sie durch die Gedanken der glücklichen Menschen die mit ihr durch das Sonnenlicht spazieren konnten sehen und hören konnte, manchmal berührten sie aus Versehen ihre Hand. Sie reagierte nie auf solche Berührungen; diese Hände waren genauso warm wie ihre.

Die gezwungene Abwesenheit in der Schule war nie eine größere Herausforderung als jetzt. Aber die Sonne schien sie glücklich zu machen, also konnte ich sie nicht allzu sehr verabscheuen. Alles was ihr gefiel erhielt meine Zustimmung.

Montagmorgen hörte ich eine Unterhaltung die fast mein Vertrauen zerstörte und meine Abwesenheit von Bella zur Folter machte. Als sie endete, versüßte sie mir jedoch den Tag.

Ich hatte ein wenig Respekt vor Mike Newton; er hatte nicht einfach aufgegeben und sich zurückgezogen um seine Wunden zu lecken. Er war mutiger als ich gedacht hätte. Er versuchte es erneut.

Bella war ziemlich früh in der Schule und, sie genoss die Sonne so lang sie schien, setzte sich auf eine der Picknickbänke während sie auf das erste Läuten wartete. Ihr Haar schimmerte in der Sonne auf unerwartete Art und Weise, offenbarten einen Rotton, den ich vorher nicht bemerkt hatte.

Mike fand sie dort – sie kritzelte wieder – und war froh über sein Glück.Es war schrecklich einfach nur zusehen zu können, machtlos, gebunden an die Schatten des

Waldes durch das strahlende Sonnenlicht.Sie grüßte ihn freudig genug um ihn in Extase und mich in das Gegenteil zu versetzen.Na also, sie mag mich. Sie würde nicht so lächeln wenn es nicht so wäre. Ich wette sie wäre

gern mit mir zu dem Ball gegangen. Ich frag mich, was so wichtig ist in Seattle…Er bemerkte die Veränderung ihrer Haare. „Das hab ich vorher ja noch gar nicht bemerkt –

dein Haar ist ja rötlich.“Ich entwurzelte versehentlich die Fichte an der meine Hand lehnte, als er eine ihrer Locken

um seinen Finger wickelte.„Nur in der Sonne,“ sagte sie. Zu meiner tiefen Zufriedenheit rückte sie ein Stück von ihm

weg, als er die Strähne hinters Ohr schob.Mike brauchte eine Minute um seinen Mut zusammen zu nehmen und verschwendete seine

Zeit mit Small-Talk.Sie erinnerte ihn an den Aufsatz den wir alle am Mittwoch abgeben mussten. Aus dem

zufriedenen Ausdrucks auf ihrem Gesicht zu urteilen, war ihrer bereits fertig. Er hatte es vollkommen vergessen und das dezimierte seine Freizeit.

Verdammt – scheiß Aufsatz.Endlich kam er zum Punkt – ich presste meine Zähne so stark aufeinander, sie hätten Granit

pulverisieren können – doch selbst dann schaffte er es nicht seine Frage geradeheraus zu stellen.„Ich hatte vor dich zu fragen, ob du vielleicht ausgehen möchtest.“„Oh,“ sagte sie.Dann waren beide kurz still.

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Oh? Was soll das heißen? Wird sie Ja sagen? Warte – ich glaub ich hab gar nicht richtig gefragt.

Er schluckte schwer.„Naja, wir könnten etwas essen gehen, oder so… und ich könnte später an meinem Aufsatz

arbeiten.“Dumm – das war auch keine richtige Frage.„Mike…“Der Zorn und die Wut meiner Eifersucht waren genauso stark wie letzte Woche. Ich zerbrach

einen weiteren Baum bei dem Versuch mich hier zu halten. Ich wollte so sehr über den Schulhof rennen, zu schnell für das menschliche Auge, und sie packen – sie von diesem Jungen stehlen, den ich in diesem Moment so sehr hasste, dass ich ihn am liebsten getötet hätte, und es hätte mir Spaß gemacht.

Würde sie Ja zu ihm sagen?„Ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee wäre.“Ich atmete wieder. Mein aufgebrachter Körper beruhigte sich.Seattle war also doch eine Ausrede. Ich hätte nicht fragen sollen. Was dachte ich mir bloß? Ich

wette es ist dieser Freak, Cullen…„Warum?“ fragte er enttäuscht.„Ich glaube…“ zögerte sie. „Und wenn du irgendjemandem erzählst, was ich dir jetzt sage,

werde ich dich totschlagen…“Ich musste laut auflachen als diese Todesdrohung ihre Lippen verließ. Ein Eichelher kreischte,

stolperte und flüchtete bei dem Geräusch.„Aber ich denke, das würde Jessica verletzten.“„Jessica?“ Was? Aber… Oh. Okay. Ich glaube… Also… Häh.Seine Gedanken ergaben keinen Sinn mehr.„Ehrlich, Mike, bist du blind?“Ich betete ihre Sentimentalität an. Sie sollte nicht von jedem erwarten, dass er so

Aufmerksam war wie sie, aber ehrlich dieser Umstand war unübersehbar. Bei dem Aufwand den es Mike gekostet hatte, Bella nach einem Date zu fragen, glaubte er nicht, dass es für Jessica ähnlich schwer war? Es musste Egoismus sein, der ihn anderen gegenüber so blind machte. Und Bella war so selbstlos, sie sah alles.

Jessica. Häh. Wow. Hmm. „Oh,“ brachte er schließlich heraus.Bella nutze seine Verwirrung um sich zu verdrücken.„Der Unterricht fängt gleich an und ich kann nicht schon wieder zu spät kommen.“Von da an war Mike kein zur Verfügung stehender Aussichtspunkt mehr. Als er über die

Vorstellung von Jessica nachdachte, fand er, dass es ihm gefiel, dass sie ihn attraktiv fand. Sie war zweite Wahl, nicht so gut, wie wenn Bella so empfunden hätte.

Sie ist irgendwie süß, denke ich. Ein schöner Körper. Ein Spatz in der Hand…Er malte sich zwei neue Fantasien aus, die genauso vulgär waren, wie die über Bella, aber

nun waren sie eher lästig als ärgerlich. Er verdiente keine von beiden; sie waren austauschbar für ihn. Danach hielt ich mich aus seinem Kopf raus.

Als sie außer Sichtweite war, hockte ich mich auf einen Baumstumpf und tanzte von Kopf zu Kopf um sie zu beobachten und war jedesmal froh, wenn Angela Webber zur Verfügung stand. Ich wünschte es gäbe einen Weg dem Webber-Mädchen dafür zu danken, dass sie einfach nur ein netter Mensch war. Es beruhigte mich zu wissen, dass Bella wenigstens eine Freundin hatte, die es wert war, als solche bezeichnet zu werden.

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Ich betrachtete Bellas Gesicht aus jedem Blickwinkel der gerade zur Verfügung stand und ich konnte sehen, dass sie wieder traurig war. Das überraschte mich – ich dachte die Sonne würde ausreichen um sie zum lächeln zu bringen. In der Pause sah ich wie sie immer wieder einen verstohlenen Blick zu dem leeren Cullen-Tisch warf und das erregte mich. Es gab mir Hoffnung. Vielleicht vermisste sie mich auch.

Sie hatte Pläne mit den anderen Mädchen auszugehen – ich plante automatisch meine Überwachung – aber diese Pläne wurden verschoben, als Mike Jessica zu dem Date einlud, dass er für Bella geplant hatte.

Also ging ich direkt zu ihr nach Hause, huschte kurz durch den Wald um sicher zu gehen, dass niemand gefährliches zu nah vorbeigekommen war. Ich wusste, dass Jasper seinen einstigen Bruder gebeten hatte, die Stadt zu meiden – er zitierte dabei meinen Wahnsinn, sowohl als Erklärung als auch als Warnung – aber das war gar nicht nötig gewesen. Peter und Charlotte hatte nicht vor es sich mit meiner Familie zu verscherzen, aber Vorhaben konnten sich ändern…

Na gut, ich übertrieb es. Das wusste ich.Als ob sie wusste, dass ich sie beobachtete, als ob sie Mitleid mit mir hätte, weil ich jedesmal

verzweifelte wenn ich sie nicht sehen konnte, kam Bella nach einer langen Stunde im Haus hinaus in den Garten. Sie hatte ein Buch in der Hand und eine Decke unter dem Arm.

Leise kletterte ich in den nächsten Baum um den Garten zu überblicken.Sie breitete die Decke auf dem feuchten Gras aus, legte sich bäuchlings darauf und fing an

durch das abgenutzte Buch zu blättern, als ob sie ihre Stelle suchen würde. Ich las über ihrer Schulter mit.

Ah – mehr Klassik. Sie war ein Austen Fan.Sie las schnell und kreuzte ihre Beine in der Luft. Ich beobachtete wie das Sonnenlicht und

der Wind in ihren Haaren spielte, als ihr Körper sich plötzlich versteifte und ihre Hand auf der Seite gefror. Alles was ich sehen konnte war, dass sie Kapitel drei erreicht hatte und dann eine ganze Reihe Seiten auf einmal umblätterte.

Ich erhaschte einen kurzen Blick auf die Titelseite, Mansfield Park. Sie begann eine neue Geschichte – das Buch war ein Sammelband verschiedener Romane. Ich wunderte mich, warum sie die Geschichten so abrupt wechselte.

Nur wenige Augenblicke später schlug sie das Buch wütend zu. Mit einem verärgerten Gesichtsausdruck schob sie das Buch zur Seite und drehte sich auf ihren Rücken. Sie atmete tief ein, als müsse sie sich beruhigen, krempelte ihr Ärmel hoch und schloss die Augen. Ich erinnerte mich an den Roman, aber ich konnte mich an nichts Anstößiges darin erinnern, dass sie verärgert haben könnte. Ein weiteres Geheimnis. Ich seufzte.

Sie lag sehr ruhig da, und bewegte sich nur einmal kurz um eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht zu streichen. Ihr Haar fächerte sich um ihren Kopf aus, ein Fluss aus Haselnüssen. Und dann war sie wieder bewegungslos.

Ihr Atem wurde gleichmäßiger. Nach einigen langen Minuten begannen ihre Lippen zu beben. Murmelten im Schlaf.

Ich konnte nicht widerstehen. Ich hörte mich soweit wie möglich in der Nachbarschaft nach Gedanken um.

Zwei Esslöffel Mehl… eine Tasse Milch…Komm schon! Nimm ihn in die Mangel! Komm schon!Rot oder Blau… oder vielleicht sollte ich etwas weniger auffälliges tragen…Es war niemand in der Nähe. Ich sprang auf den Boden und landete leise auf meinen Zehen.

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Das war absolut falsch, viel zu riskant. Wie herablassend ich einst Emmett gerichtet hatte für seine Gedankenlose Art und Jasper für seine Disziplinlosigkeit - und jetzt missachtete ich bewusst alle Regeln mit solch einer Verachtung, die ihre Fehltritte wie nichts erscheinen ließen. Ich sollte der Verantwortungsbewusste sein.

Ich seufzte, aber kroch dennoch ohne Rücksicht ins Sonnenlicht.Ich vermied es mich selbst anzusehen in den Strahlen der Sonne. Es war schlimm genug, dass

meine Haut im Schatten steinern und unmenschlich war; Ich wollte Bella und mich nicht nebeneinander im Sonnenlicht sehen. Der Unterschied zwischen uns war sowieso schon unüberbrückbar, schmerzvoll genug auch ohne dieses zusätzliche Bild in meinem Kopf.

Aber ich konnte die regenbogenfarbenen Punkte auf ihrer Haut nicht ignorieren, als ich näher kam. Ich war so ein Freak! Ich stellte mir ihre Panik vor, wenn sie jetzt die Augen öffnete…

Ich wollte schon zurückweichen, aber sie murmelte wieder und hielt mich dort.„Mmm… Mmm.“Nichts Verständliches. Naja, ich würde noch ein bisschen warten.Vorsichtig stahl ich ihr Buch, streckte meinen Arm aus und hielt meinen Atem an, als ich ihr

so nahe war, nur zur Sicherheit. Ich begann wieder zu atmen als ich ein paar Meter entfernt war und teste wie das Sonnenlicht und die frische Luft ihren Duft beeinflusst hatten. Die Hitze schien den Duft zu versüßen. Meine Kehle flammte auf vor Verlangen, das Feuer war wieder frisch und wütend, weil ich zu lange von ihr getrennt gewesen war.

Ich verbrachte einen Moment damit, mich zu konzentrieren und dann – ich zwang mich durch meine Nase zu atmen – ließ ich das Buch in meinen Händen auffallen. Sie hatte mit dem ersten Buch angefangen… Ich überflog die Seiten bis zum dritten Kapitel von Sinn und Sinnlichkeit auf der Suche nach irgendetwas Provozierendem auf Austen‘s allzu höflichen Seiten.

Meine Augen stoppten automatisch bei meinem Namen – der Charakter Edward Ferrars wurde zum ersten Mal eingefügt – Bella sprach wieder.

„Mmm. Edward,“ seufzte sie.Dieses Mal hatte ich keine Angst, dass sie aufgewacht sein könnte. Ihre Stimme war nur ein

leises Murmeln. Kein angsterfüllter Schrei, den sie von sich gegeben hätte, wenn sie mich jetzt gesehen hätte.

Freude rang mit dem Ekel vor mir selbst. Sie träumte immer noch von mir.„Edmund. Ah. Zu… ähnlich…“Edmund?Ha! Sie träumte gar nicht von mir, stellte ich verbitterte fest. Der Ekel kam stärker zurück. Sie

träumte von fiktionalen Charakteren. So viel zu meiner Einbildung.Ich legte ihr Buch zurück und stahl mich zurück in die Schatten – wo ich hingehörte.Der Nachmittag verstrich und ich beobachtete wie die Sonne langsam am Himmel versank

und die Schatten langsam auf sie zu krochen. Ich fühlte mich wieder hilflos. Ich wollte die Schatten vertreiben, aber die Dunkelheit war unausweichlich; die Schatten verschlangen sie. Als das Licht verschwunden war, sah ihre Haut zu blass aus – geisterhaft. Ihr Haar wieder dunkel, fast schwarz neben ihrem Gesicht.

Es war beängstigend zu beobachten – als würde ich zusehen, wie Alices Vision in Erfüllung ging. Bellas stetiger Herzschlag war die einzige Beruhigung, das Geräusch, das diesen Moment davon abhielt zu einem Albtraum zu werden.

Ich war erleichtert als ihr Vater nach Hause kam.Ich konnte nicht viel von ihm hören, als er die Straße herunter Richtung Haus fuhr. Eine vage

Verstimmung… in der Vergangenheit, irgendetwas von seinem Arbeitstag. Erwartung vermischt mit

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Hunger – ich vermutete, dass er sich auf das Abendessen freute. Aber diese Gedanken waren so leise und zurückhaltend, dass ich mir nicht sicher sein konnte; ich bekam nur das Wesentliche von ihnen mit.

Ich fragte mich, wie ihre Mutter wohl klang – welche genetischen Verbindungen sie so einzigartig machte.

Bella wachte langsam auf und setzte sich ruckartig auf als der Wagen ihres Vaters die steinige Auffahrt entlangfuhr. Sie schaute sich um und wirkte verwirrt von der unerwarteten Dunkelheit. Für einen kurzen Moment fiel ihr Blick auf die Schatten in denen ich mich versteckte, aber dann wandte sie sich wieder ab.

„Charlie?“ fragte sie leise während sie immer noch in die Bäume spähte die um den Garten herumstanden.

Er schlug die Autotür zu und sie sah in die Richtung aus der das Geräusch kam. Sie sprang schnell auf die Füße, raffte ihr Zeug zusammen und warf noch einen letzten Blick auf den Wald.

Ich kletterte auf einen Baum, der nähe bei dem Küchenfenster stand und belauschte ihren Abend. Es war interessant Charlies Worte mit seinen verschlüsselten Gedanken zu vergleichen. Seine Liebe und seine Sorge um seine einzige Tochter waren schier überwältigend, und doch waren seine Worte immer knapp und beiläufig. Die meiste Zeit saßen sie in geselliger Stille beisammen.

Ich hörte wie sie ihre Pläne für den morgigen Tag in Port Angeles mit ihm besprach und ich passte meine eigenen Pläne an, während ich zuhörte. Jasper hatte Peter und Charlotte nicht gebeten sich von Port Angeles fern zu halten. Obwohl ich wusste, dass sie ausreichend gesättigt waren und nicht vorhatten in der näheren Umgebung zu jagen, würde ich sie nicht aus den Augen lassen, nur zur Sicherheit. Abgesehen davon, gab es immer noch andere meiner Art da draußen. Und dann waren da noch die vielen menschlichen Gefahren da draußen, über die ich vorher nie nachgedacht hatte.

Ich hörte wie sie sich darum sorgte ihren Vater mit den Vorbereitungen des Abendessens allein zu lassen und lächelte über diese Bestätigung meiner Theorie – ja sie kümmerte sich um andere.

Und dann ging ich mit dem Wissen, dass ich wiederkommen würde wenn sie schlief.Ich würde ihre Privatsphäre nicht in dem Sinne missachten wie ein Spanner es tat. Ich war

hier als ihr Beschützer und nicht um sie anzugaffen, wie Mike Newton es zweifellos getan hätte wenn er behende genug gewesen wäre, sich so wie ich durch die Baumkronen zu bewegen. Ich würde sie nicht so respektlos behandeln.

Mein Haus war leer als ich zurückkam, was mir sehr recht war. Ich vermisste die verwunderten oder geringschätzigen Gedanken nicht, die meinen Verstand in Frage stellten. Emmett hatte eine Nachricht auf dem Treppenpfosten hinterlassen.

Football auf dem Rainier Feld – komm schon! Bitte?Ich fand einen Stift und kritzelte das Wort sorry unter seine Bitte. Die Teams waren auch

ohne mich ausgeglichen.Ich machte den kürzesten Jagdausflug meines Lebens, gab mich mit kleineren, harmloseren

Kreaturen zufrieden, die nicht so gut schmeckten wie die Raubtiere und schlüpfte in frische Kleidung bevor ich nach Forks zurückrannte.

Bella schlief diese Nacht wieder unruhig. Sie zerwühlte ihr Bettlaken, ihr Gesicht mal besorgt und mal traurig. Ich fragte mich was für ein Albtraum sie verfolgte… und bemerkte dann dass ich das vielleicht besser gar nicht wissen wollte.

Wenn sie sprach, murmelte sie hauptsächlich abfällig Dinge über Forks in einem mürrischen Tonfall. Nur einmal, als sie die Worte „Komm zurück“ seufzte und ihre Handfläche nach außen drehte – eine wortlose Bitte – hatte ich die Hoffnung, dass sie vielleicht von mir träumte.

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Der nächste Schultag, der letzt Tag an dem die Sonne mich gefangen hielt, war genau wie der Tag zuvor. Bella wirkte noch trauriger als gestern und ich fragte mich, ob sie ihre Pläne doch noch absagen würde – sie schien nicht in der Stimmung dafür zu sein.

Aber, da sie Bella war, würde sie vermutlich das Vergnügen ihrer Freunde über ihr eigenes stellen.

Sie trug heute eine dunkelblaue Bluse und die Farbe betonte ihre Haut perfekt, ließ sie cremig aussehen.

Als die Schule zu Ende war, vereinbarten sie, dass Jessica die anderen Mädchen abholen würde – Angela kam auch mit, wofür ich dankbar war.

Ich ging nach Hause um meinen Wagen zu holen. Als ich dort Peter und Charlotte vorfand entschied ich, den Mädchen eine Stunde Vorsprung zu lassen. Ich hätte es sowieso nicht ausgehalten mich an ihr Tempo zu halten um ihnen zu folgen – ein scheußlicher Gedanke.

Ich kam zur Küche hinein und nickte Emmett und Esme kurz zu während ich an den anderen vorbei direkt zum Piano ging.

Ugh, er ist zurück. Rosalie natürlich.Ah, Edward. Ich hasse es ihn so leiden zu sehen. Esmes Freude wurde von Sorge überlagert.

Sie sollte besorgt sein. Diese Love Story die sie sich für mich wünschte raste immer spürbarer auf eine Tragödie zu.

Viel Spaß in Port Angeles heute Abend, dacht Alice aufmunternd. Sag mir bescheid, wenn ich endlich mit Bella reden darf.

Du bist erbärmlich. Ich kann es nicht fassen, dass du das Spiel letzte Nacht verpasst hast um jemanden beim Schlafen zu beobachten, grummelte Emmett.

Jasper beachtete mich nicht in seinen Gedanken, auch nicht als das Stück dass ich zu spielen begann etwas stürmischer klang als ich beabsichtigt hatte. Es war ein altes Stück mit einem bekannten Thema: Ungeduld. Jasper verabschiedete sich von seinen Freunden die mich neugierig beobachteten.

Was für eine seltsame Kreatur, dachte die weißblonde Charlotte, die ungefähr so groß war wie Alice. Und er war so normal und höflich als wir ihn das letzte Mal getroffen haben.

Peters Gedanken stimmten mit ihren überein, wie es meistens der Fall war.Es muss an den Tieren liegen. Ohne menschliches Blut werden sie vielleicht alle irgendwann

verrückt, schloss er. Sein Haar war genauso hell wie ihres und auch fast so lang. Sie waren sich sehr ähnlich – abgesehen von der Größe, denn er war ungefähr so groß wie Jasper – sowohl optisch als auch in ihren Gedanken. Sie waren ein perfektes Paar.

Alle außer Esme hörten bald auf über mich nachzudenken und ich spielte gemäßigtere Töne um ihre Aufmerksamkeit nicht wieder auf mich zu lenken. Es war schwer das Mädchen nicht mehr zu sehen. Ich horchte erst wieder auf, als die Verabschiedung langsam endgültig klang.

„Wenn du Maria wieder siehst,“ sagte Jasper ein bisschen ironisch, „bestell ihr schöne Grüße von mir.“

Maria war der Vampir der sie beide, Jasper und Peter erschaffen hatte – Jasper in der letzten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, Peter erst vor kurzem, in den Neunzehnhundertvierzigern. Sie hatte einmal nach Jasper gesehen, als wir in Calgary waren. Es war ein aufregender Besuch – wir mussten sofort umziehen. Jasper hatte sie höflich gebeten, sich von nun an von uns fern zu halten.

„Ich glaube nicht, dass das so bald passieren wird,“ sagte Peter lachend – Maria war unglaublich gefährlich und es war nicht mehr viel Zuneigung zwischen ihr und Peter übrig geblieben. Peter war maßgeblich an Jaspers Treuebruch beteiligt. Jasper war immer Marias Liebling gewesen;

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sie betrachtete es als unwichtige Kleinigkeit, dass sie einst vorhatte ihn zu töten. „Aber wenn es passieren sollte, werde ich es ihr auf jeden Fall ausrichten.“

Sie reichten sich die Hände. Ich ließ das Stück zu einem unbefriedigenden Ende auslaufen und stand hastig auf.

„Charlotte, Peter,“ sagte ich und nickte.„Es war nett dich wiederzusehen, Edward,“ sagte Charlotte zweifelnd. Peter nickte nur

zustimmend.Verrückter, warf mir Emmett nach.Idiot, dachte Rosalie zur gleichen Zeit.Armer Junge. Esme.Und Alice, in einem neckenden Tonfall. Sie gehen direkt nach Osten, nach Seattle. Nicht mal

in die Nähe von Port Angeles. Sie zeigte mir den Beweis in ihrer Vision.Ich tat so als hätte ich sie nicht gehört. Meine Entschuldigungen waren sowieso schon

schwach genug.Sobald ich in meinem Auto war, fühlte ich mich entspannter; das stabile Schnurren des

Motors das Rosalie für mich verstärkt hatte – letztes Jahr als sie noch bessere Laune hatte – war beruhigend. Es war eine Erleichterung in Bewegung zu sein, zu wissen, dass ich mit jeder Meile die unter mir hinweg flog näher zu Bella kam.

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9. Port Angeles

Als ich in Port Angeles ankam war es noch zu hell für mich um in die Stadt zu fahren; die Sonne stand immer noch zu hoch am Himmel, und, obwohl meine Scheiben schwarz getönt waren, wollte ich kein unnötiges Risiko eingehen. Mehr unnötige Risiken, sollte ich sagen.

Ich war zuversichtlich, dass ich Jessicas Gedanken auch aus der Ferne finden würde – Jessicas Gedanken waren lauter als Angelas, aber wenn ich die eine gefunden hatte, konnte ich auch die andere finden. Wenn die Schatten länger wurden, konnte ich näher kommen. Aber jetzt lenkte ich den Wagen erst mal von der Straße auf eine überwucherte Einfahrt kurz vor der Stadt die selten genutzt wurde.

Ich wusste die ungefähre Richtung in der ich suchen müsste – es gab wirklich nur einen Ort in Port Angeles wo man Klamotten kaufen konnte. Es dauerte nicht lange bis ich Jessica gefunden hatte, die sich vor einem dreigeteilten Spiegel hin und her drehte, und ich konnte Bella im Hintergrund sitzen sehen, um das lange schwarze Kleid, das sie trug zu begutachten.

Bella sieht immer noch sauer aus. Ha ha. Angela hatte recht – Tyler hatte sich etwas eingebildet. Trotzdem kann ich nicht verstehen, warum sie sich so anstellt. Immerhin weiß sie, dass sie ein Date in Reserve hat für den Abschlussball. Was wenn Mike sich auf dem Frühlingsball nicht amüsiert und mich nicht noch einmal fragt, ob ich mit ihm ausgehen möchte? Was wenn er Bella zum Abschlussball einlädt? Hätte sie Mike gefragt ob er mit ihr zum Frühlingsball geht, wenn ich nichts gesagt hätte? Findet er sie hübscher als mich? Findet sie sich hübscher als mich?

„Ich glaube ich finde das Blaue besser. Es betont deine Augen.“Jessica lächelte Bella mit falscher Wärme an, während sie sie misstrauisch anschielte.Glaubt sie das wirklich? Oder will sie, dass ich am Samstag wie eine Kuh aussehe?Ich hatte schon keine Lust mehr, Jessica zuzuhören. Ich suchte in der Nähe nach Angela – ah,

aber Angela zog sich grad um und ich verschwand schnell wieder aus ihrem Kopf um ihr etwas Privatsphäre zu geben.

Naja, es gab nicht viele Gefahren denen Bella in einem Bekleidungsgeschäft ausgesetzt war. Ich würde sie erst mal in Ruhe shoppen lassen und sie dann einholen wenn sie fertig waren. Es würde nicht mehr lange dauern bis es dunkel war – die Wolken kamen langsam aus Richtung Westen zurück. Ich sah sie nur schemenhaft zwischen den dicken Bäumen, aber ich konnte sehen, wie sie den Sonnenuntergang beschleunigten. Ich freute mich über sie, erflehte sie mehr als ich mich jemals zuvor nach ihren Schatten gesehnt hatte. Morgen konnte ich wieder neben Bella in der Schule sitzen, ihre ganze Aufmerksamkeit während der Pause für mich beanspruchen. Ich konnte ihr all die Fragen stellen, die ich mir aufgehoben hatte…

Also, sie war sauer über Tylers Annahme. Ich hatte es in seinem Kopf gesehen – dass er es wörtlich gemeint hatte, als er vom Abschlussball sprach, dass er ein Anrecht erhob. Ich erinnerte mich an ihren Gesichtsausdruck an diesem einen Nachmittag – dieser geschockte Zweifel – und ich lachte. Ich fragte mich, was sie ihm wohl dazu sagen würde. Ich würde ihre Reaktion nicht verpassen wollen.

Die Zeit verging langsam während ich darauf wartete, dass die Schatten länger wurden. Ich schaute hin und wieder nach Jessica; ihre mentale Stimme war am einfachsten zu finden, aber ich

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hielt es dort nicht lange aus. Ich sah das Restaurant indem sie planten zu Abend zu essen. Dann würde es dunkel sein… vielleicht würde ich zufällig dasselbe Restaurant wählen. Ich berührte das Telefon in meiner Tasche und überlegte ob ich Alice zum Essen einladen sollte… Das würde ihr gefallen, aber sie würde auch mit Bella reden wollen. Ich war mir nicht sicher, ob ich bereit war um Bella noch weiter in meine Welt zu involvieren. War ein Vampir nicht schon Problem genug?

Ich schaute wieder bei Jessica rein. Sie dachte über ihren Schmuck nach und fragte Angela nach ihrer Meinung.

„Vielleicht sollte ich die Kette zurückbringen. Ich hab eine Zuhause die passen könnte, außerdem hab ich schon mehr Geld ausgegeben als ich durfte…“ Meine Mutter wird ausrasten. Was hab ich mir nur dabei gedacht?

„Es macht mir nichts aus zu dem Laden zurück zu gehen. Aber meinst du nicht, Bella wird sich wundern wo wir bleiben?“

Was war das? Bella war nicht bei ihnen? Ich schaute zuerst durch Jessicas Augen, dann durch Angelas. Sie waren auf dem Gehweg vor einer Reihe von Läden und machten gerade kehrt. Bella war nirgendwo zu sehen.

Oh, wen interessiert denn schon Bella? Dachte Jessica ungeduldig bevor sie Angelas Frage beantwortete. „Es geht ihr sicher gut. Wir werden schon noch früh genug bei dem Restaurant sein, auch wenn wir zurück gehen. Abgesehen davon hatte ich den Eindruck, dass sie allein sein wollte.“ Ich erhaschte einen kurzen Blick auf einen Buchladen zu dem Jessica dachte, dass Bella gegangen seih.

„Dann lass uns beeilen,“ sagte Angela. Ich hoffe, Bella denkt nicht wir hätten sie sitzen lassen. Sie war heute im Auto so nett zu mir… sie ist wirklich ein liebenswerter Mensch. Aber sie wirkte den ganzen Tag irgendwie deprimiert. Ich frag mich, ob das mit Edward Cullen zusammenhängt? Ich wette, deshalb hat sie nach seiner Familie gefragt…

Ich hätte besser aufpassen sollen. Was hatte ich sonst noch verpasst? Bella lief hier ganz alleine herum und sie hatte vorher nach mir gefragt? Angela schenkte nun Jessica ihre Aufmerksamkeit – Jessica quasselte über diesen Idioten Mike – und ich konnte keine Informationen mehr von ihr bekommen.

Ich kontrollierte die Schatten. Die Sonne würde sehr bald hinter den Wolken verschwunden sein. Wenn ich auf der westlichen Seite der Straße blieb, wo die Gebäude sie vor dem schwindenden Licht abschirmten…

Ich wurde langsam ängstlich während ich durch den dichten Verkehr Richtung Stadtmitte fuhr. Damit hatte ich nicht gerechnet – Bella lief alleine los – und ich hatte keine Ahnung, wie ich sie finden könnte. Ich hätte damit rechnen müssen.

Ich kannte Port Angeles gut; ich fuhr direkt zu dem Buchladen aus Jessicas Kopf, in der Hoffnung, dass meine Suche kurz sein würde, bezweifelte jedoch, dass es so einfach sein würde. Wann machte Bella es je einfach?

Und natürlich war der kleine Laden leer, abgesehen von der seltsam gekleideten Frau hinter der Kasse. Das sah nicht nach einem Ort aus, an dem Bella interessiert gewesen wäre – zu New Age für eine bodenständige Person. Ich fragte mich, ob sie überhaupt hineingegangen war?

Da war ein schattiges Plätzchen in dem ich parken konnte… Von dem Platz führte ein dunkler Pfad direkt bis zum Überhang des Ladens. Das sollt ich wirklich nicht tun. Zu dieser Tageszeit herumzulaufen war nicht sicher. Was wenn ein vorbeifahrendes Auto die Sonne in genau dem falschen Moment in Richtung Schatten reflektieren würde?

Aber ich wusste nicht, wie ich sonst nach Bella suchen sollte!

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Ich parkte, stieg aus und hielt mich im tiefsten Schatten auf. Schnell hastete ich in den Laden und erhaschte den Hauch von Bellas Duft in der Luft. Sie war hier gewesen, auf dem Gehweg, aber kein Zeichen ihrer Anwesenheit im Laden.

„Guten Tag! Kann ich ihnen helfen…“ begann die Verkäuferin, aber da war ich längst wieder zur Tür hinaus.

Ich folgte Bellas Duft soweit der Schatten es erlaubte und hielt am Rande des Sonnenlichts an.

Wie hilflos ich mich fühlte – eingepfercht von der schmalen Linie zwischen Dunkelheit und Licht, die sich über den Gehweg vor mir zog. So eingeschränkt.

Ich konnte nur raten, dass sie der Straße in Richtung Süden gefolgt war. Dort gab es nicht viel zu sehen. Hatte sie sich verlaufen? Naja, das schien nicht besonders abwegig.

Ich stieg wieder ins Auto und fuhr langsam durch die Straßen, auf der Suche nach Ihr. Hin und wieder stieg ich an Schattigen Stellen aus, aber ich witterte ihren Duft nur noch ein Mal und die Richtung in die er wehte, verwirrte mich. Wo wollte sie hin?

Ich fuhr ein paarmal zwischen dem Buchladen und dem Restaurant hin und her, in der Hoffnung ihr auf dem Weg zu begegnen. Jessica und Angela waren bereits da und überlegten ob sie schon mal bestellen oder noch auf Bella warten sollten. Jessica drängte dazu, sofort zu bestellen.

Ich begann durch die Gedanken von Fremden zu huschen um durch ihre Augen zu sehen. Bestimmt musste sie irgendwer gesehen haben.

Je länger sie verschwunden blieb umso nervöser und besorgter wurde ich. Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer sein würde, sie wieder zu finden, wenn ich sie einmal, wie jetzt, verlieren würde. Das gefiel mir nicht.

Die Wolken verdichteten sich am Horizont und in ein paar Minuten konnte ich ihr zu Fuß folgen. Dann würde ich nicht mehr so lange brauchen. Einzig die Sonne machte mich so hilflos. Nur noch ein paar Minuten und der Vorteil läge wieder auf meiner Seite, dann wäre die menschliche Welt wieder machtlos.

Andere Gedanken und wieder andere. So viele belanglose Gedanken.… ich glaube das Baby hat schon wieder eine Ohrenentzündung…War es sechs vier null oder sechs null vier…?Schon wieder zu spät. Ich sollte ihm mal sagen…Da kommt sie! Aha!Endlich, da war ihr Gesicht. Letztendlich hatte jemand sie bemerkt!Die Erleichterung hielt nur für den Bruchteil einer Sekunde und dann las ich die Gedanken

des Mannes der aus dem Schatten ihr Gesicht begutachtete genauer.Sein Geist war mir fremd und doch nicht ganz unbekannt. Einst hatte ich genau solche

Gedanken gejagt.„NEIN!“ brüllte ich, und ein gewaltiges Knurren brach aus meiner Kehle. Mein Fuß trat das

Gaspedal durch, aber wo sollte ich hinfahren?Ich kannte die ungefähre Richtung aus der die Gedanken kamen, aber das Wissen war nicht

detailiert genug. Irgendetwas, da musste irgendetwas sein – ein Straßenschild, eine Ladenfront, irgendetwas in seinem Blickfeld, dass seinen Aufenthaltsort verraten würde. Aber Bella stand im Schatten und sein Blick war auf ihr verängstigtes Gesicht geheftet – er genoss ihre Angst.

Ihr Gesicht verschwamm in seinen Gedanken mit anderen Gesichtern. Bella war nicht sein erstes Opfer.

Das Geräusch meines Knurrens brachte den Autorahmen zum vibrieren, aber das lenkte mich nicht ab.

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In den Wänden hinter ihr waren keine Fenster. Irgendwo im Industriegebiet, weit weg von der bevölkerten Einkaufsstraße. Mein Wagen fuhr quietschend um die Kurve, überholte ein anderes Fahrzeug auf dem Weg in die, wie ich hoffte, richtige Richtung. Als der andere Fahrer hupte, war das Geräusch schon weit hinter mir.

Sie nur wie sie zittert! Der Mann lachte erwartungsvoll. Die Angst war seine Motivation – er genoss es.

„Bleib weg von mir.“ Ihre Stimme war ruhig und fest, kein Schrei.„Seih doch nicht so, Herzchen.“Er sah wie sie sich zu einem rauen Lachen umdrehte, das aus einer anderen Richtung kam.

Das Geräusch verärgerte ihn – Halts Maul, Jeff! Dachte er – aber er mochte es wie sie zusammenzuckte. Es erregte ihn. Er begann sich ihre Bitten vorzustellen, wie sie betteln würde…

Ich hatte nicht mitbekommen, dass da noch andere bei ihm waren, bis ich das Lachen gehört hatte. Ich verließ seine Gedanken auf der Verzweifelten Suche nach etwas was ich gebrauchen könnte. Er machte einen Schritt auf sie zu und bog seine Finger durch.

Die Gedanken um ihn herum waren nicht so eine Kloake wie seine. Sie waren alle leicht betrunken und keiner von ihnen war sich darüber im Klaren wie weit der Kerl, den sie Lonnie nannten, vorhatte zu gehen. Sie folgten ihm blind. Er hatte ihnen ein bisschen Spaß versprochen…

Einer von ihnen sah nervös die Straße hinunter – er wollte nicht dabei erwischt werden wie er ein Mädchen belästigte – und gab mir was ich brauchte. Ich erkannte die Kreuzung zu der er hinübersah.

Ich überfuhr eine rote Ampel und schlidderte durch eine Lücke zwischen zwei Autos die gerade groß genug für meinen Wagen war. Hinter mir erhob sich ein wahres Hupkonzert.

Mein Handy vibrierte in meiner Tasche. Ich ignorierte es.Lonnie bewegte sich langsam auf das Mädchen zu um die Spannung zu steigern – der

Moment des Schreckens der ihn erregte. Er wartete auf ihren Schrei um ihn auszukosten.Aber Bella hielt den Mund geschlossen und spannte ihren Körper. Er war überrascht – er

hatte erwartet, dass sie versuchen würde, wegzurennen. Überrascht und ein wenig enttäuscht. Er mochte es, seiner Beute nach zu rennen, das Adrenalin der Jagd.

Diese hier ist mutig. Ich denke, dass ist vielleicht sogar besser… sie ist kämpferisch.Ich war nur noch einen Block entfernt. Das Monster konnte jetzt das Dröhnen meines Motors

hören, aber er beachtet ihn nicht, er war zu sehr auf sein Opfer versteift.Mal sehen, wie er die Jagd fand, wenn er die Beute war. Mal sehen, was er von meiner Art zu

jagen hielt.In einem anderen Teil meiner Gedanken ging ich bereits die verschiedenen Foltermethoden

durch, die ich in meinen Tagen der Selbstjustiz bezeugt hatte, um die schmerzvollste herauszusuchen. Er würde dafür leiden. Er würde sich vor Schmerz winden. Die anderen würden einfach nur sterben, aber das Monster das Lonnie hieß würde um seinen Tod betteln lange bevor ich ihm dieses Geschenk machen würde.

Ich war in der Straße, die ihre kreuzte.Ich flog scharf um die Kurve, meine Scheinwerfer huschten über die Szenerie und ließen alle

erstarren. Ich hätte den Anführer überfahren können, der zur Seite sprang, aber das war ein zu schneller Tod für ihn.

Der Wagen drehte sich und rutschte über die Fahrbahn, bis er wieder in die Richtung zeigte aus der ich gekommen war. Die Beifahrertür war Bella am nächsten und ich ließ sie aufschwingen. Sie rannte bereits zum Wagen.

„Steig ein,“ knurrte ich.

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Was zum Teufel?Ich wusste, dass das keine gute Idee ist! Sie ist nicht allein.Soll ich rennen?Ich glaub ich muss mich übergeben…Bella sprang durch die offene Tür ohne zu zögern und schlug sie hinter sich zu.Und dann sah sie mich an, mit dem vertrauensvollsten Blick den ich je an einem Menschen

gesehen hatte und all meine brutalen Pläne fielen in sich zusammen.Es dauerte weniger als eine Sekunde bis ich begriff, dass ich sie nicht im Wagen lassen konnte

während ich mich um die vier Männer auf der Straße kümmerte. Was würde ich ihr sagen, nicht hinsehen? Hah! Wann tat sie jemals das was ich ihr sagte? Wann tat sie jemals etwas Sicheres?

Würde ich die Kerle wegzerren, weg aus ihrer Sichtweite, und sie hier alleine lassen? Es war eher unwahrscheinlich, dass ein weiterer gefährlicher Mensch heute Nacht durch die Straßen von Port Angeles schlich, aber der erste war genauso unwahrscheinlich gewesen! Wie ein Magnet zog sie alles Gefährlich an. Ich konnte sie nicht aus den Augen lassen.

Für sie wirkte es wie ein und dieselbe Bewegung als ich beschleunigte und sie so schnell von ihren Verfolgern wegbrachte, dass diese meinem Wagen nur mit einem verständnislosen Blick hinterher starrten. Sie hatte mein Zögern nicht bemerkte. Für sie sah es so aus, als wäre Flucht von Anfang an der Plan gewesen.

Ich konnte ihn nicht einmal anfahren. Das würde ihr Angst machen.Ich wollte seinen Tod so verzweifelt, dass das Verlangen danach in meinen Ohren klingelte,

meine Sicht vernebelte und wie ein bitterer Nachgeschmack auf meiner Zunge lag. Meine Muskeln waren von dem Druck angespannt, der Begierde, der Notwendigkeit. Ich musste ihn töten. Ich würde ihn langsam schälen, Stück für Stück, Haut von Muskel, Muskel von Knochen…

Allerdings saß da das Mädchen – das einzige Mädchen auf dieser Welt – dass sich mit beiden Händen in den Sitz krallte und mich anstarrte, ihre Augen immer noch geweitet und voller Vertrauen. Vergeltung würde warten müssen.

„Schnall dich an,“ befahl ich. Meine Stimme war rau vor lauter Hass und Blutdurst. Nicht der gewöhnliche Blutdurst. Ich würde mich nicht damit beflecken irgendeinen Teil dieses Mannes in mir aufzunehmen.

Sie schloss den Sicherheitsgurt und schreckte zusammen bei dem leisen Klicken. Dieses kleine Geräusch lies sie zusammenzucken, aber es störte sie nicht, dass ich durch die Straße jagte und alle Verkehrsregeln missachtete. Ich fühlte dass sie mich ansah. Sie wirkte seltsam entspannt. Das ergab keinen Sinn für mich – nicht nachdem was sie gerade erlebt hatte.

„Bist du okay?“ fragte sie, ihre Stimme war rau vor Aufregung und Angst.Sie wollte wissen, ob ich okay war?Ich dachte für den Bruchteil einer Sekunde über ihre Frage nach. Nicht lange genug für sie um

das Zögern zu bemerken. War ich okay?„Nein,“ bemerkte ich und mein Ton schäumte vor Wut.Ich brachte sie zu derselben unbenutzten Einfahrt an der ich den Nachmittag verbracht hatte,

beschäftigt mit der erbärmlichsten Überwachung überhaupt. Unter den Bäumen war sie jetzt schwarz.

Ich war so wütend, dass mein Körper erstarrte und ich bewegungslos dasaß. Meine eisigen Hände sehnten sich danach ihren Angreifer zu erschlagen, ihn in Stücke zu reißen und so zu verstümmeln, dass man seinen Körper nie mehr identifizieren könnte…

Aber das würde beinhalten, dass ich sie hier allein lassen musste, ungeschützt in der dunklen Nacht.

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„Bella?“ fragte ich mit zusammengepressten Zähnen.„Ja?“ erwiderte sie heiser. Sie räusperte sich.„Geht es dir gut?“ das war das allerwichtigste, oberste Priorität. Vergeltung war zweitrangig.

Ich wusste das, aber mein Körper war so voller Wut, dass ich kaum denken konnte.„Ja.“ Ihre Stimme war immer noch belegt – vor Angst, kein Zweifel.Also konnte ich sie nicht allein lassen. Selbst wenn sie aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen mal nicht in dauernder Gefahr

schwebte – ein blöder Scherz, den das Universum mit mir trieb - selbst wenn ich sicher sein konnte, dass sie in meiner Abwesenheit absolut sicher war, konnte ich sie in der Dunkelheit nicht allein lassen.

Sie musste schreckliche angst haben.Dennoch war ich im Moment nicht in der Lage sie zu trösten – selbst wenn ich gewusst hätte

wie man so etwas macht, was ich nicht wusste. Sicher würde sie die Gewaltbereitschaft spüren, die ich ausstrahlte, so viel war offensichtlich. Ich würde sie nur noch mehr ängstigen, wenn ich die Lust jemanden abzuschlachten, die in mir brodelte, nicht bändigen konnte.

Ich musste an etwas anderes denken.„Lenk mich bitte ab,“ bat ich sie.„Wie bitte?“Ich hatte kaum genug Selbstkontrolle um ihr zu erklären, was ich brauchte.„Plapper über irgendetwas unbedeutendes bis ich mich beruhigt habe,“ erklärte ich mit

zusammengekniffenen Zähnen. Einzig die Tatsache, dass sie mich brauchte, hielt mich im Wagen. Ich konnte die Gedanken des Mannes hören, seine Enttäuschung, seine Wut… Ich wusste wo ich ihn finden konnte… Ich schloss meine Augen und wünschte mir, dass ich nichts sehen konnte…

„Ähm…“ Sie zögerte – ich vermute sie versuchte aus meiner Bitte schlau zu werden. „Ich werde wohl Tyler Crowley morgen nach der Schule überfahren?“ Sie sagte es, als wäre es eine Frage.

Ja – das war es was ich brauchte. Natürlich fing Bella mit etwas an, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Genau wie vorher klang der Hang zur Gewalt in ihrer Stimme eher belustigt – ein alberner Widerspruch. Wenn ich nicht innerlich gebrannt hätte vor lauter Verlangen jemanden zu töten, hätte ich gelacht.

„Warum?“ bellte ich um sie zum weitersprechen zu bewegen.„Er erzählt überall herum, dass ich mit ihm zum Abschlussball gehen würde,“ sagte sie, ihre

Stimme hatte wieder diesen wütenden Tiger-Kätzchen-Tonfall. „Entweder er ist total verrückt, oder er versucht immer noch es wieder gut zu machen, dass er mich fast getötet hätte, letzten… naja, du weißt schon wann,“ fügte sie trocken hinzu, „und irgendwie glaubt er, der Abschlussball wäre die beste Möglichkeit, das zu tun. Also hab ich mir gedacht, wenn ich sein Leben auch in Gefahr bringe, sind wir quitt, und er kann aufhören sich schuldig zu fühlen. Ich kann ganz gut auf Feinde verzichten und vielleicht hört Lauren auf Gift zu versprühen, wenn er mich in Ruhe lässt. Vielleicht muss ich aber auch seinen Sentra schrotten,“ fuhr sie gedankenverloren fort. „Wenn er kein Auto hat, kann er auch niemanden zum Abschlussball fahren…“

Es war ermutigend zu sehen, dass sie manche Dinge auch mal falsch verstand. Tylers Aufmerksamkeit hatte nichts mit dem Unfall zu tun. Sie schien nicht zu verstehen wie sie auf die menschlichen Jungs an der High School wirkte. Merkte sie auch nicht, wie sie auf mich wirkte?

Ah, es funktionierte. Ihre verblüffenden Gedankengänge zogen doch immer wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich begann wieder die Kontrolle über mich zu gewinnen, etwas anderes als Rache und Folter zu sehen…

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„Davon hab ich gehört,“ erzählte ich ihr. Sie hatte aufgehört zu reden und ich musste sie dazu bringen, dass sie weitersprach.

„Du hast davon gehört?“ fragte sie ungläubig. Und dann klang sie wütender als zuvor. „Wenn er vom Hals abwärts gelähmt ist kann er auch nicht zum Ball gehen.“

Ich wünschte es gäbe einen Weg sie zu bitten mit ihren Mordgelüsten und angedrohten Körperverletzungen fortzufahren ohne verrückt zu klingen. Sie hätte sich keine bessere Methode einfallen lassen können um mich zu beruhigen. Und ihre Worte – für sie reiner Sarkasmus, Übertreibung – waren eine Erinnerung die ich in diesem Moment herzlich gebrauchen konnte.

Ich seufzte und öffnete meine Augen.„Besser?“ fragte sie ängstlich.„Nicht wirklich.“Nein, ich war ruhiger aber mir ging es nicht besser. Denn ich hatte gerade festgestellt, dass

ich das Monster namens Lonnie nicht töten könnte, aber ich wollte es immer noch mehr als fast alles andere auf der Welt. Fast.

Das einzige was ich im Moment mehr wollte, als einen absolut berechtigten Mord zu begehen, war dieses Mädchen. Und, obwohl ich sie nicht haben konnte, machte der Traum sie zu haben es mir unmöglich heute Nacht auf Mordtour zu gehen – ganz egal wie gerechtfertigt diese Sache sein würde.

Bella verdiente etwas Besseres als einen Mörder.Ich hatte sieben Jahrzehnte damit verbracht etwas anderes als das zu sein – alles andere als

ein Mörder. Diese Jahrelange Anstrengung konnte mich dennoch nicht zu dem machen, den dieses Mädchen, das neben mir saß, verdiente. Und dennoch hatte ich das Gefühl, wenn ich zu diesem Leben zurückkehrte – das Leben eines Mörders – wenn auch nur für eine Nacht, würde ich sie für immer verlieren. Selbst wenn ich nicht ihr Blut trank – selbst wenn ich nicht das flammende Rot als Beweis in meinen Augen hätte – würde sie den Unterschied nicht bemerkten?

Ich versuchte gut genug für sie zu sein. Das war ein unmögliches Ziel. Aber ich würde es weiter versuchen.

„Was ist los?“ flüsterte sie.Ihr Atem füllte meine Nase und erinnerte mich daran, warum ich sie nicht verdiente. Nach all

dem was passiert war, sogar mit all der Liebe die ich für sie empfand… mir lief immer noch das Wasser im Munde zusammen.

Ich würde ihr soviel Ehrlichkeit geben wie ich konnte. Das schuldete ich ihr.„Manchmal habe ich etwas Probleme mich zu beherrschen, Bella.“ Ich starrte in die schwarze

Nacht und wünschte mir, dass sie den Schrecken in meiner Stimme hörte und gleichzeitig auch nicht. Der Wunsch sie würde es nicht hören, war stärker. Lauf, Bella, lauf. Bleib, Bella, bleib. „Aber es wäre nicht hilfreich, wenn ich zurückfahren und sie jagen würde…“ allein schon der Gedanke daran, ließ mich fast aus dem Wagen springen. Ich atmete tief durch und ließ ihren Duft meine Kehle hinunter brennen. „Jedenfalls, versuche ich mich davon zu überzeugen.“

„Oh.“Sie sagte nichts weiter. Wie viel hatte sie aus meinen Worten herausgehört? Ich schielte

heimlich zu ihr herüber, aber in ihrem Gesicht war nichts zu lesen. Ausdruckslos vor Schock, vielleicht. Naja, sie schrie wenigstens nicht. Noch nicht.

Für einen Moment war es still. Ich rang mit mir selbst bei dem Versuch etwas zu sein was ich sein sollte. Was ich nicht sein konnte.

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„Jessica und Angela werden sich Sorgen machen,“ sagte sie leise. Ihre Stimme klang sehr ruhig und ich war mir nicht sicher, wie das sein konnte. Stand sie unter Schock? Vielleicht hatte sie die Geschehnisse des heutigen Abends noch nicht ganz realisiert? „Wir wollten uns treffen.“

Wollte sie weg von mir? Oder machte sie sich nur Gedanken, um die Sorge ihrer Freunde?Ich antwortete ihr nicht, sondern startete den Wagen und fuhr zurück. Mit jedem Schritt den

ich der Stadt näher kam, wurde es schwerer mich an meine Vorsätze zu halten. Ich war schon viel zu nah an ihm dran…

Wenn es unmöglich war – wenn ich dieses Mädchen niemals haben oder verdienen könnte – wo war dann der Sinn darin, diesen Kerl unbeschadet davon kommen zu lassen? Bestimmt würde ich mir soviel erlauben können…

Nein. Ich würde nicht aufgeben. Noch nicht. Ich wollte sie zu sehr um zu kapitulieren.Wir waren bereits an dem Restaurant an dem sie ihre Freunde treffen wollte, bevor ich

überhaupt den Sinn meiner Gedanken verstand. Jessica und Angela hatten schon zu Ende gegessen und waren nun beide ehrlich besorgt um Bella. Sie machten sich gerade auf den Weg um nach ihr zu suchen und gingen die dunkle Straße hinunter.

Es war keine gute Nacht für sie um alleine herumzulaufen – „Woher wusstest du, wo…?“ Bellas nicht beendete Frage unterbrach mich und ich bemerkte

dass ich schon wieder einen Fauxpas begangen hatte. Ich war zu abgelenkt gewesen um sie zu fragen wo sie sich mit ihren Freunden treffen wollte.

Aber anstatt, die Frage zu beenden und auf einer Antwort zu beharren, schüttelte Bella nur ihren Kopf und lächelte leicht.

Was hatte das nun wieder zu bedeuten?Naja, ich hatte keine Zeit über ihre seltsame Akzeptanz meines noch seltsameren Wissens zu

rätseln. Ich öffnete meine Tür.„Was machst du?“ fragte sie verwirrt.Dich nicht aus den Augen lassen. Mir nicht erlauben heute Nacht allein zu sein. In dieser

Reihenfolge. „Ich lade dich zum Essen ein.“Naja, das würde interessant werden. Es wirkte als wäre es eine andere Nacht gewesen, in der

ich mir überlegt hatte, Alice mitzubringen und so zu tun als hätte ich zufällig das selbe Restaurant ausgewählt wie Bella und ihre Freundinnen. Und jetzt stand ich hier und hatte praktisch eine Verabredung mit dem Mädchen. Obwohl es nicht wirklich zählte da ich ihr nicht die Gelegenheit gab, abzulehnen.

Sie hatte ihre Tür schon halb geöffnet, bevor ich um das Auto herum war – normalerweise war es nicht allzu frustrierend sich in einer unauffälligen Geschwindigkeit zu bewegen – statt darauf zu warten, dass ich das für sie tat. Tat sie das weil sie es nicht gewohnt war wie eine Dame behandelt zu werden oder weil sie mich nicht für einen Gentleman hielt?

Ich wartete auf sie während ich beobachtete wie ihre Freundinnen fast um die dunkle Ecke verschwanden.

„Würdest du bitte Jessica und Angela davon abhalten nach dir zu suchen, bevor ich sie auch noch retten muss?“ bat ich sie schnell. „Ich glaube nicht, dass ich mich beherrschen kann, wenn ich deinen anderen Freunden noch einmal begegne.“ Nein, dafür wäre ich nicht stark genug.

Sie zuckte zusammen und fasste sich dann schnell wieder. Sie machte einen Schritt in ihre Richtung und rief, „Jess! Angela!“ mit kräftiger Stimme. Sie drehten sich um und sie wedelte mit ihrem Arm über ihrem Kopf herum um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Bella! Es geht ihr gut! Dachte Angela erleichtert.

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Ziemlich spät. Grummelte Jessica vor sich hin, aber auch sie war dankbar, dass Bell nichts zugestoßen war. Das machte sie etwas sympathischer.

Sie eilten zurück und blieben dann abrupt stehen, geschockt, als sie mich neben ihr sahen.Oh – oh! Dachte Jess, überrascht. Auf keinen Fall!Edward Cullen? Ist sie alleine losgegangen um ihn zu suchen? Aber warum sollte sie sich

danach erkundigen, dass sie nicht in der Stadt waren, wenn sie wusste, dass er hier war… Ich erhaschte einen kurzen Blick auf Bellas gekränktes Gesicht als sie Angela gefragt hatte, ob meine Familie öfter mal der Schule fernblieb. Nein, sie konnte es nicht gewusst haben, entschied Angela.

Jessicas Gedanken hatte die Überraschung überwunden und begannen mit den Spekulationen. Bella verheimlicht mir etwas.

„Wo warst du?“ fragte sie. Sie schaute Bella an aber beobachtete mich aus den Augenwinkeln.

„Ich hatte mich verlaufen. Und dann habe ich Edward getroffen,“ sagte Bella und wedelte mit einer Hand in meine Richtung. Ihre Stimme klang seltsam normal. Als wäre das wirklich alles was passiert war.

Sie musste einfach unter Schock stehen. Das war die einzige Erklärung für ihre Ruhe.„Wäre es in Ordnung, wenn ich mich euch anschließen würde?“ fragte ich – um höflich zu

sein; ich wusste, dass sie bereits gegessen hatten.Heilige Scheiße, ist der heiß! Dachte Jessica, ihre Gedanken waren plötzlich

unzusammenhängend.Angela war nicht viel mehr gefasst. Ich wünschte wir hätten noch nicht gegessen. Wow.

Einfach nur. Wow.Warum konnte Bella nicht so auf mich reagieren?„Äh… klar,“ stimmte Jessica zu.Angelas Blick wurde etwas düster. „Ähm, eigentlich haben wir schon gegessen, während wir

auf dich gewartet haben, Bella,“ gab sie zu. „Tut mir leid.“Was? Halt die Klappe! Beschwerte sich Jessica innerlich.Bella zuckte lässig mit den Schultern. So ungezwungen. Definitiv unter Schock. „Das ist ok –

ich hab sowieso keinen Hunger.“„Ich denke, du solltest etwas essen,“ wiedersprach ich. Sie brauchte Zucker für ihren Kreislauf

– obwohl ihr Blut süß genug roch, so wie es war, dachte ich ironisch. Das Entsetzen würde sie jeden Moment packen und ein leerer Magen würde da nicht helfen. Sie wurde leicht ohnmächtig wie ich aus Erfahrung wusste.

Diese Mädchen waren nicht in Gefahr wenn sie sich sofort auf den Heimweg machen würden. Die Gefahr verfolgte nicht jeden ihrer Schritte.

Und ich wäre lieber allein mit Bella – so lange sie auch mit mir allein sein wollte.„Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich Bella heute nach Hause fahre?“ sagte ich zu

Jessica bevor Bella etwas entgegnen konnte. „Dann müsstet ihr nicht warten, während sie isst.“„Äh, nein, das ist kein Problem, denke ich…“ Jessica schaute Bella intensiv an und hielt nach

einem Anzeichen dafür Ausschau, dass es das war was sie wollte.Ich würde so gern bleiben… aber sie will ihn vermutlich für sich allein haben. Wer würde das

nicht wollen? Dachte Jess. Zur gleichen Zeit, sah sie wie Bella ihr zuzwinkerte.Bella zwinkerte?„Okay,“ sagte Angela schnell, sie hatte es eilig zu verschwinden, wenn es das war, was Bella

wollte. Und es schien, dass sie es wirklich wollte. „Wir sehen uns dann morgen, Bella… Edward.“ Sie

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bemühte sich meinen Namen so lässig wie möglich auszusprechen. Dann griff sie nach Jessicas Hand und zog sie von uns weg.

Ich würde einen Weg finden müssen um Angela dafür zu danken.Jessicas Auto stand nicht weit entfernt in dem Lichtkegel einer Straßenlaterne. Bella

beobachtete sie genau, bis sie im Wagen waren, eine kleine Sorgenfalte auf der Stirn. Sie musste sich also sehr wohl im Klaren darüber sein, in was für einer Gefahr sie sich befunden hatte. Jessica winkte noch einmal als sie davon fuhr und Bella winkte zurück. Erst als der Wagen verschwunden war, atmete sie tief durch und wandte sich zu mir um.

„Ehrlich, ich bin nicht hungrig,“ sagte sie.Warum hatte sie gewartet bis sie weg waren um zu reden? Wollte sie wirklich mit mir allein

sein – sogar jetzt, nachdem sie meine mörderische Wut bezeugt hatte?Ob das nun der Fall war oder nicht, sie würde etwas essen.„Tu mir den Gefallen,“ sagte ich.Ich öffnete ihr die Restauranttür und wartete.Sie seufzte und trat ein.Ich ging neben ihr zu dem Podium an dem die Hostess stand. Bella wirkte immer noch

vollkommen selbstbeherrscht. Ich wollte ihre Hand berühren, ihre Stirn, um ihre Temperatur zu überprüfen. Aber sie würde vor meiner kalten Hand zurückschrecken wie zuvor.

Oh, Mann, die recht laute mentale Stimme der Hostess drang in mein Bewusstsein. Oh Mann, oh Mann.

Heute Nacht verdrehte ich einige Köpfe. Oder bemerkte ich es heute nur so intensiv, weil ich so sehr wollte, dass Bella mich so sah? Wir wirkten immer besonders anziehend auf unsere Beute. Ich hatte nie besonders darüber nachgedacht. Normalerweise – es seih denn man versuchte wiederholt, wie Shelly Cope und Jessica Stanley, den Schrecken zu übersehen – gewann die Angst recht schnell die Oberhand über die anfänglichen Anziehung…

„Ein Tisch für zwei?“ bat ich, als die Hostess nichts sagte.„Oh, äh, ja. Willkommen im La Bella Italia.“ Mmm! Was für eine Stimme! „Folgen sie mir

bitte.“ Ihre Gedanken waren abwesend – abschätzend.Vielleicht ist sie seine Kusine. Sie kann nicht sein Schwester sein, sie sehen sich kein bisschen

ähnlich. Aber auf jeden Fall verwandt. Er kann nicht mit ihr zusammen sein.Der menschliche Blick war getrübt; sie sahen nicht klar. Wie konnte diese kleingeistige Frau

meine Erscheinung – eine Falle für die Beute – so attraktive finden aber trotzdem nicht in der Lage sein, die sanfte Perfektion des Mädchens neben mir zu sehen?

Naja, man muss ihr ja nicht auch noch helfen, nur für den Fall, dachte die Hostess während sie uns an einen Vier-Personen Tisch in der Mitte des überfüllten Teils des Restaurants führte. Kann ich ihm meine Nummer geben, wenn sie daneben sitzt…? Grübelte sie.

Ich zog einen Schein aus meiner hinteren Hosentasche. Menschen waren besonders kooperativ, wenn Geld mit im Spiel war.

Bella war bereits im Begriff sich zu setzen. Ich schüttelte meinen Kopf in ihre Richtung und sie zögerte während sie ihren Kopf verwirrt zur Seite neigte. Ja, sie würde heute Nacht noch verwirrter sein. Eine Menschenmenge war nicht der ideale Ort für so eine Unterhaltung.

„Vielleicht hätten Sie einen etwas ruhigeren Tisch für uns?“ fragte ich die Dame und reichte ihr den Schein. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung und verengten sich wieder als sie den Schein entgegen nahm.

„Natürlich.“Sie schielte auf den Schein, während sie uns hinter eine Trennwand führte.

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Fünfzig Dollar für einen besseren Tisch? Reich ist er auch noch. Das macht Sinn – ich wette seine Jacke ist mehr wert als mein letzter Gehaltscheck. Verdammt. Warum will er mit ihr allein sein?

Sie bot uns einen Tisch in einer ruhigen Ecke des Restaurants an, wo uns niemand sehen konnte – wo niemand Bellas Reaktion sehen konnte auf was immer ich ihr erzählen würde. Ich hatte keine Ahnung, was sie heute von mir wissen wollen würde. Oder was ich ihr preisgeben würde.

Wie viel hatte sie bereits erahnt? Welche Erklärungen der heutigen Ereignisse hatte sie sich selbst zusammengereimt?

„Wie wäre dieser Tisch?“ fragte die Hostess.„Perfekt,“ beteuerte ich ihr und, etwas genervt von ihrem herablassenden Verhalten Bella

gegenüber, lächelte ich sie breit an und zeigte meine Zähne. Damit sie mich richtig sah.Whoa. „Ähm… ihre Kellnerin wird sofort bei ihnen sein.“ Er kann nicht echt sein. Ich muss

träumen. Vielleicht verschwindet sie… vielleicht sollte ich meine Nummer mit Ketchup auf seinen Teller schreiben… Sie wandte sich ab und wankte leicht davon.

Seltsam. Sie hatte immer noch keine Angst. Ich erinnerte mich plötzlich daran wie Emmett mich vor so vielen Wochen in der Cafeteria aufgezogen hatte. Ich wette ich hätte ihr mehr Angst einjagen können als du.

Verlor ich meinen Schrecken?„Du solltest wirklich aufhören so etwas mit den Menschen zu machen,“ unterbrach Bella

missbilligend meine Gedanken. „Das ist wirklich nicht fair.“Ich sah ihren kritischen Gesichtsausdruck. Was meinte sie? Ich hatte die Dame nicht

verängstigt, obwohl ich es vorgehabt hatte. „Was mache ich denn?“„Leute so zu blenden – sie hyperventiliert vermutlich gerade in der Küche.“Hmm. Bella lag fast richtig. Die Hostess war im Moment wenig zusammenhängend, während

sie ihre inkorrekte Beschreibung von mir ihren Kollegen zum Besten gab.„Ach, komm schon,“ zog Bella mich auf, als ich nicht direkt antwortete. „Du musst doch

wissen, wie du auf die Mensch wirkst.“„Ich blende die Leute?“ Das war eine interessante Umschreibung. Korrekt genug für heute

Abend. Ich frag mich, warum es so anders war…„Du hast es nicht bemerkt?“ fragte sie kritisch. „Glaubst du jeder bekommt so einfach was er

will?“„Blende ich dich?“ meine Neugier brach aus mir heraus bevor ich die Worte zurückhalten

konnte.Aber bevor ich wirklich bereuen konnte die Worte ausgesprochen zu haben, antwortete sie,

„Manchmal.“ Und ihre Wangen bekamen einen leichten Rotton.Ich blendete sie.Mein stummes Herz schwoll vor einer so intensiven Hoffnung an die ich noch nie zuvor

empfunden hatte.„Hallo,“ sagte jemand. Die Kellnerin. Ihre Gedanken waren lauter und expliziter als die der

Hostess, aber ich blendete sie aus. Stattdessen starrte ich auf Bellas Gesicht, beobachtete wie das Blut unter ihrer Haut floss, bemerkte nicht, wie es in meiner Kehle brannte, aber bemerkte sehr wohl wie es ihr blasses Gesicht erhellte, wie es ihre cremige Haut betonte…

Die Kellnerin wartete auf etwas von mir. Ah, sie hatte gefragt, was wir trinken wollten. Ich schaute immer noch auf Bella und die Kellnerin wandte sich ihr fluchend zu.

„Ich nehme eine Cola?“ sagte Bella, als ob sie um Erlaubnis fragte.„Zwei Cola,“ bestellte ich. Durst – normaler, menschlicher Durst – war ein Zeichen von

Schock. Ich würde sichergehen, dass sie den Zucker aus der Cola in ihren Kreislauf aufnahm.

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Sie sah ziemlich gesund aus. Mehr als gesund. Sie sah blendend aus.„Was?“ verlangte sie – sie fragte sich wohl, warum ich sie anstarrte. Ich hatte kaum

mitbekommen, dass die Kellnerin gegangen war.„Wie fühlst du dich?“ fragte ich.Die Frage überraschte sie. „Mir geht es gut.“„Du fühlst dich nicht schwindelig, schlecht, kalt?“Das verwirrte sie noch mehr. „Sollte ich?“„Naja, ehrlichgesagt warte ich darauf, dass du einen Schock bekommst.“ Ich lächelte leicht

und erwartete ihren Wiederspruch. Sie wollte nicht, dass man sich um sie kümmerte.Sie brauchte eine Minute um mir zu antworten. Ihr Blick war irritiert. So schaute sie

manchmal wenn ich sie anlächelte. War sie… geblendet?Das würde ich nur zu gerne glauben.„Ich glaube nicht, dass das passiert. Ich war schon immer gut darin unangenehme Dinge

auszublenden,“ antwortete sie ein wenige atemlos.Hatte sie viel Erfahrung mit unangenehmen Dingen? War ihr Leben immer so gefährlich?„Ich fühle mich besser, wenn du etwas Zucker und Essen zu dir genommen hast.“Die Kellnerin brachte die Colas und einen Korb mit Brot. Sie stellte alles ab und versuchte

Augenkontakt mit mir herzustellen während sie nach meiner Bestellung fragte. Ich gab ihr zu verstehen, dass sie sich auf Bella konzentrieren sollte und blendete sie dann wieder aus. Ihre Gedanken waren vulgär.

„Ähm…“ Bella warf einen kurzen Blick auf die Speisekarte. „Ich nehme die Pilzravioli.“Die Kellnerin wandte sich sofort wieder zu mir um. „Und für dich?“„Ich nehme nichts, danke.“Bella machte ein beleidigtes Gesicht. Hmm. Sie musste bemerkt haben dass ich nie aß. Sie

bemerkte alles. Und ich vergaß in ihrer Gegenwart immer vorsichtig zu sein.Ich wartete, bis wir wieder allein waren.„Trink,“ ermahnte ich sie.Ich war überrascht, als sie sofort reagierte ohne Wiederworte zu geben. Sie trank das Glas in

einem Zug leer, also schob ich ihr stirnrunzelnd die zweite Cola herüber. Durst oder Schock?Sie trank noch ein paar Schlucke und schüttelte sich kurz.„Ist dir kalt?“„Nur die Cola,“ sagte sie, aber sie zitterte wieder und ihre Lippen bebten leicht als würden

ihre Zähne gleich anfangen zu klappern.Die schöne Bluse die sie trug war zu dünn um sie zu schützen. Sie lag an ihr wie eine zweite

Haut und war genauso zart wie die erste. Sie war so schwach, so sterblich. „Hast du keine Jacke dabei?“

„Doch.“ Sie sah sich etwas verwundert um. „Oh – Ich hab sie in Jessicas Wagen liegen lassen.“

Ich zog meine Jacke aus und hoffte, dass die Geste nicht durch meine Körpertemperatur geschmälert wurde. Es wäre schön gewesen ihr einen warmen Mantel anbieten zu können. Sie schaute mich wieder mit leicht erröteten Wangen an. Was dachte sie jetzt?

Ich reichte ihr die Jacke über den Tisch und sie zog sie sofort an, dann zitterte sie wieder.Ja, es wäre schön warm zu sein.„Danke,“ sagte sie. Sie atmete tief ein und schob dann die Ärmel der Jacke soweit hoch, dass

sie ihre Hände frei bekam. Dann atmete sie wieder tief durch.

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Wurden ihr die Geschehnisse des heutigen Abends endlich bewusst? Ihr Gesichtsfarbe war immer noch normal; ihre Haut war cremig und rosig neben dem dunklen Blau ihrer Bluse.

„Die Farbe Blau hebt deinen Hautton sehr schön hervor,“ bemerkte ich. Ich war nur ehrlich.Sie errötete und verstärkte dadurch den Effekt.Sie sah gesund aus, aber das war kein Grund so zu tun, als wäre nichts gewesen. Ich schob ihr

den Korb mit Brot zu.„Ehrlich,“ wiedesprach sie, als sie erriet was ich vorhatte. „Ich bekomme keinen Schock.“„Das solltest du aber – ein normaler Mensch würde einen Schock bekommen. Du siehst nicht

einmal verängstigt aus.“ Ich beobachtete sie, abschätzend und fragte mich, warum sie nicht normal sein konnte und dann, ob ich das wirklich wollte.

„Ich fühle mich sicher bei dir,“ sagte sie und ihre Augen waren wieder voller Vertrauen. Vertrauen das ich nicht verdiente.

Ihre Instinkte waren vollkommen falsch – entgegengesetzt. Das musste das Problem sein. Sie sah die Gefahr nicht so wie ein menschliches Wesen sie sehen sollte. Sie hatte die gegenteilige Reaktion. Anstatt zu rennen, verweilte sie, angezogen von dem was sie ängstigen sollte…

Wie sollte ich sie vor mir selbst schützen wenn keiner von uns beiden das wollte?„Das ist komplizierter als ich gedacht hätte,“ murmelte ich.Ich konnte sehen wie sie meine Worte in ihrem Kopf drehte und wendete und ich fragte

mich, was sie daraus machte. Sie nahm eine Brotstangen und begann zu essen, ohne es wirklich zu bemerken. Sie kaute einen Moment und legte ihren Kopf dann gedankenverloren zur Seite.

„Normalerweise bist du besser gelaunt, wenn deine Augen so hell sind,“ sagte sie ihn einem lässigen Tonfall.

Ihre Beobachtung, so selbstverständlich ausgesprochen, lies mich taumeln. „Was?“„Du bist immer sehr schlecht gelaunt, wenn deine Augen schwarz sind – dann rechne ich

damit. Ich hab eine Theorie dazu,“ fügte sie leichthin hinzu.Also hatte sie sich ihre eigenen Theorien zusammengebastelt. Natürlich hatte sie das. Ich

bekam ein wenig Angst als ich versuchte mir vorzustellen wie nahe sie der Wahrheit gekommen sein könnte.

„Mehr Theorien?“„Mm-hm.“ Sie kaute einen weiteren Bissen, absolut unbekümmert. Als ob sie nicht gerade

die Eigenschaften eines Monster mit dem Monster selbst besprechen würde.„Ich hoffe, du warst diesmal etwas kreativer…“ log ich, als sie nicht weitersprach. Was ich

wirklich hoffte war, dass sie falsch lag – Meilenweit von der Wahrheit entfernt. „Oder klaust du immer noch aus Comics?“

„Naja, nein, ich hab es nicht aus einem Comic,“ sagte sie etwas verschämt. „Aber ich bin auch nicht ganz allein darauf gekommen.“

„Und?“ fragte ich durch meine Zähne.Sie würde bestimmt nicht so locker reden, wenn sie kurz davor war zu schreien.Als sie sich zögernd auf die Lippe biss, kam die Kellnerin mit ihrem Essen um die Ecke. Ich

beachtete sie kaum als sie den Teller vor Bella abstellte und fragte, ob ich noch etwas bräuchte.Ich verneinte, bestellte aber noch etwas Cola. Die Kellnerin hatte die leeren Gläser nicht

bemerkt. Sie nahm sie an sich und verschwand.„Du wolltest etwas sagen?“ brachte ich ungeduldig hervor sobald wir wieder allein waren.„Ich erzähl es dir im Auto,“ sagte sie leise. Ah, das würde böse werden. Sie wollte ihre

Vermutung nicht vor anderen aussprechen. „Wenn…“ fuhr sie plötzlich fort.„Es gibt Bedingungen?“ ich war so gespannt, dass ich die Worte fast knurrte.

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„Ich hab natürlich ein paar Fragen.“„Natürlich,“ stimmte ich mit fester Stimme zu.Ihr Fragen würden vielleicht ausreichen um mir zu zeigen in welche Richtung ihre Theorie

ging. Aber wie sollte ich sie beantworten? Mit vertretbaren Lügen? Oder würde ich sie mit der Wahrheit davon kommen lassen? Oder würde ich gar nichts sagen, da ich mich nicht entscheiden konnte?

Wir saßen uns stumm gegenüber während die Kellnerin zwei weitere Colas brachte.„Na dann leg mal los,“ sagte ich, als sie wieder verschwunden war und biss die Zähne

zusammen.„Warum bist du in Port Angeles?“Das war eine zu einfache Frage – für sie. Die Frage verriet nichts, wohingegen meine Antwort

viel zu viel verraten würde. Sie sollte zuerst etwas aufdecken.„Nächste,“ sagte ich.„Aber das ist doch die einfachste!“„Nächste,“ sagte ich wieder.Meine Ablehnung frustrierte sie. Sie wandte den Blick von mir ab und schaute auf ihr Essen.

Während sie scharf nachdachte, nahm sie einen Bissen und kaute sorgfältig. Sie spülte den Bissen mit etwas Cola hinunter und sah wieder zu mir auf. Ihre Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen während sie überlegte.

„Na gut, dann,“ sagte sie, „sagen wir mal, rein hypothetisch natürlich, jemand… weiß was andere Menschen denken, kann ihre Gedanken lesen, sowas in der Art – mit ein paar Ausnahmen.“

Es könnte schlimmer sein.Das erklärte das kleine Lächeln im Auto. Sie war schnell – bisher hatte das noch niemand von

mir erraten. Abgesehen vor Carlisle, aber damals war es ziemlich offensichtlich gewesen, als ich zu Beginn alle seine Gedanken beantwortet hatte, als hätte er sie laut ausgesprochen. Er verstand es bevor ich es verstand…

Die Frage war nicht so schlimm. Da klar war, dass sie wusste, dass mit mir etwas nicht stimmte, war diese Frage nicht so ernst. Gedankenlesen war immerhin keine typische Eigenschaft für Vampire. Ich ging auf ihre Hypothese ein.

„Nur eine Ausnahme,“ korrigierte ich. „Hypothetisch.“Sie unterdrückte ein Lächeln – meine vage Ehrlichkeit gefiel ihr. „Na gut, mit einer Ausnahme

also. Wie funktioniert das? Wo sind die Grenzen? Wie könnte… dieser Jemand… jemand anderen zu genau der richtigen Zeit finden? Wie könnte er wissen, dass sie in Gefahr war?“

„Hypothetisch?“„Klar.“ Ihre Lippen zuckten und ihre flüssigen braunen Augen schauten mich begierig an.„Naja,“ ich zögerte. „Wenn… dieser Jemand…“„Sagen wir, er heißt Joe,“ schlug sie vor.Ich musste über ihren Enthusiasmus lächeln. Glaubte sie wirklich die Wahrheit wäre etwas

Gutes? Wenn meine Geheimnisse angenehm wären, warum sollte ich sie dann vor ihr bewahren?„Also dann Joe,“ stimmte ich zu. „Wenn Joe gut aufpasste müsste das Timing gar nicht mal so

gut sein.“ Ich schüttelte meinen Kopf und unterdrückte einen Schauer bei dem Gedanken, dass ich heute beinahe zu spät gekommen wäre. „Nur du kannst in einer so kleinen Stadt in Schwierigkeiten geraten. Du hättest ihre Verbrechensrate für die nächsten Jahrzehnte in die Höhe getrieben.“

Ihre Mundwinkel senkten sich und sie zog einen Schmollmund. „Wir haben von einem rein hypothetischen fall gesprochen.“

Ich lachte über ihren Ärger.

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Ihre Lippen, ihre Haut… sie sahen so weich aus. Ich wollte sie berühren. Ich wollte mit meinen Fingerspitzen ihre Mundwinkel berühren und sie wieder nach oben ziehen. Unmöglich. Meine Haut würde abstoßend auf sie wirken.

„Ja, stimmt,“ sagte ich um zu der Unterhaltung zurückzukommen bevor ich mich noch mehr deprimierte. „Sollen wir dich Jane nennen?“

Sie beugte sich über den Tisch zu mir herüber, jedwede Belustigung und Verunsicherung waren aus ihrem Blick gewichen.

„Woher wusstest du es?“ fragte sie mit ruhiger und fester Stimme.Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Und wenn ja, wie viel?Ich wollte es ihr sagen. Ich wollte das Vertrauen verdienen, dass ich immer noch in ihrem

Gesicht sah.„Du kannst mir vertrauen, weißt du,“ flüsterte sie und streckte eine Hand aus, als wolle sie

meine Hände berühren, die gefaltet auf dem leeren Tisch vor mir lagen.Ich zog sie zurück – ich hasste die Vorstellung ihrer Reaktion auf meine kalte, steinerne Haut

– und sie ließ ihre Hand fallen.Ich wusste, dass ich darauf vertrauen konnte, dass sie meine Geheimnisse bewahrte; sie war

absolut vertrauenswürdig, durch und durch gut. Aber ich konnte nicht darauf vertrauen, dass sie nicht entsetzt sein würde. Sie sollte entsetzt sein. Die Wahrheit war Entsetzlich.

„Ich weiß nicht, ob ich noch die Wahl habe,“ murmelte ich. Ich erinnerte mich daran, dass ich sie mal damit aufgezogen hatte, dass sie `sehr unaufmerksam` war. Ich hatte sie damit beleidigt, wenn ich ihren Gesichtsausdruck richtig gedeutet hatte. Naja, ich konnte diese Fehleinschätzung korrigieren. „Ich lag falsch – du bist viel aufmerksamer als ich dir zugetraut hatte.“ Und obwohl sie es vielleicht nicht bemerkt hatte, ich traute ihr eine Menge zu. Ihr entging nichts.

„Ich dacht, du hättest immer recht,“ sagte sie und zog mich lächelnd auf.„Normalerweise schon.“ Normalerweise wusste ich was ich tat. Normalerweise war ich mir

der Dinge sicher. Und jetzt war alles Chaos und Tumult.Dennoch würde ich es nicht eintauschen wollen. Ich wollte nicht das Leben, das Sinn machte.

Nicht wenn Chaos bedeutete, bei Bella zu sein.„Ich lag falsch was dich angeht und noch bei einer anderen Sache,“ fuhr ich fort und

wechselte gleich das Thema. „Du bist kein Magnet für Unfälle – das ist nicht ganz die Richtige Bezeichnung. Du bist ein Magnet für Gefahren. Wenn es im Umkreis von zehn Meilen irgendeine Gefahr gibt, wird sie dich finden.“ Warum sie? Was hatte sie getan um das alles zu verdienen?

Bellas Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. „Und du zählst dich selbst auch zu diesen Gefahren?“

Auf diese Frage ehrlich zu antworten war wichtiger als alles andere. „Eindeutig.“Ihre Augen verengten sich leicht – nicht argwöhnisch diesmal, sondern seltsam betroffen. Sie

streckte ihre Hand wieder über den Tisch, langsam und ganz bewusst. Ich zog meine Hand ein Stück zurück, aber sie ignorierte es, sie war entschlossen mich zu berühren. Ich hielt den Atem an – nicht wegen ihres Duftes, sondern wegen der plötzlichen überwältigenden Anspannung. Angst. Meine Haut würde sie abschrecken. Sie würde davonlaufen.

Sie strich sanft mit ihren Fingerspitzen über meinen Handrücken. Die Hitze ihrer sanften, freiwilligen Berührung war mit nichts zu vergleichen dass ich je zuvor gefühlt hatte. Es war fast reine Freude. Hätte es sein können, wenn ich nicht solche Angst gehabt hätte. Ich beobachtete ihr Gesicht, als sie meine kalte steinerne Haut berührte und war immer noch nicht in der Lage zu atmen. Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem kleinen Lächeln.

„Danke,“ sagte sie und erwiderte meinen Blick. „Das war schon das zweite Mal.“

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Ihre weichen Finger verweilten auf meiner Hand als ob es ihnen dort gefiel.Ich antwortete ihr so locker ich konnte. „Wir sollten es nicht auf ein drittes Mal ankommen

lassen, einverstanden?“Sie verzog ein bisschen das Gesicht, nickte aber.Ich zog meine Hand unter ihrer weg. So wunderbar wie sich ihre Berührung angefühlt hatte,

wollte ich nicht darauf warten, dass die Magie ihrer Toleranz verschwand und sich in Abscheu verwandelte. Ich versteckte meine Hände unter dem Tisch.

Ich las in ihren Augen; obwohl ihre Gedanken stumm waren, konnte ich Vertrauen und Bewunderung in ihnen erkennen. In diesem Moment bemerkte ich, dass ich ihre Fragen beantworten wollte. Nicht weil ich es ihr schuldete. Nicht weil ich wollte, dass sie mir vertraute.

Ich wollte, dass sie mich kannte.„Ich bin dir nach Port Angeles gefolgt,“ sagte ich ihr, die Worte sprudelten so schnell aus mir

heraus, dass ich sie nicht überdenken konnte. Ich kannte die Gefahren der Wahrheit, das Risiko das ich einging. Jeden Moment konnte ihre unnatürliche Gelassenheit in Hysterie umschwenken. Aber das brachte mich nur dazu, noch schneller zu sprechen. „Ich habe noch nie zuvor versucht jemanden zu beschützen und es ist schwieriger als ich gedacht hätte. Aber das liegt vermutlich nur daran, dass du es bist. Normale Menschen scheinen den Tag ohne größere Katastrophen zu überstehen.“

Ich beobachtete sie abwartend.Sie lächelte. Ihre Mundwinkel hoben sich und ihre Schokoladen-Augen wurden warm.Ich hatte gerade zugegeben, dass ich sie verfolgte und sie lächelte.„Hast du je darüber nachgedacht, dass meine Tage beim ersten Mal schon gezählt waren, als

der Van auf mich zukam und du ins Schicksal eingegriffen hast?“ fragte sie.„Das war nicht das erste Mal,“ sagte ich und starrte auf den dunklen Tisch, meine Schultern

beschämt gesenkt. „Deine Tage waren gezählt, als ich dich das erste Mal gesehen habe.“Es war die Wahrheit und es erzürnte mich. Ich hing über ihrem Leben wie die Klinge einer

Guillotine. Es war als wäre sie von einem grausamen, ungerechten Schicksal zum Tode verurteilt und – nachdem ich mich als unbrauchbares Werkzeug erwiesen hatte –versuchte dieses Schicksal immer wieder sie zu töten. Ich versuchte mir dieses Schicksal bildlich vorzustellen – eine grausige, eifersüchtige Hexe, eine rachsüchtige Harpyie.

Ich wollte etwas oder jemanden haben, der dafür verantwortlich war – damit ich etwas Konkretes hatte, gegen das ich kämpfen konnte. Irgendetwas zum vernichten, damit Bella sicher war.

Bella war sehr ruhig; ihr Atem ging schneller.Ich sah zu ihr auf, wohlwissentlich dass ich endlich die Angst sehen würde auf die ich so lange

gewartet hatte. Hatte ich nicht gerade zugegeben wie nah ich daran gewesen war sie zu töten? Näher als der Van der versucht hatte sie zu zerquetschen. Und doch war ihr Gesicht immer noch entspannt, ihre Augen nur verwundert zusammengezogen.

„Erinnerst du dich?“ Sie musste sich daran erinnern.„Ja,“ sagte sie mit klarer fester Stimme. Ihre tiefen Augen waren voller Erkenntnis.Sie wusste es. Sie wusste, dass ich sie hatte töten wollen.Wo blieben die Schreie?„Und dennoch sitzt du hier,“ sagte ich und brachte die Tatsache auf den Punkt.„Ja, ich sitze hier… wegen dir.“ Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde neugierig, als sie

grob das Thema wechselte. „Weil du irgendwie wusstest, wie du mich heute finden konntest…?“Hoffnungslos versuchte ich ein weiteres Mal durch die Barriere zu brechen die ihre Gedanken

abschirmte, ich wollte sie so verzweifelt verstehen. Es ergab alles keinen Sinn für mich. Wie konnte sie sich darüber noch Gedanken machen, nachdem die Wahrheit so deutlich auf dem Tisch lag?

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Sie wartete nur neugierig. Ihre Haut war blass, was normal für sie war, aber es beunruhigte mich dennoch. Ihr Essen stand immer noch fast unberührt vor ihr. Wenn ich ihr weiterhin zu viel erzählen würde, bräuchte sie eine Grundlage wenn der Schock letztlich eintrat.

Ich nannte meine Bedingungen. „Du isst, ich rede.“Sie überschlug den Gedanken eine halbe Sekunde lang und schob sich dann hastig einen

Bissen in den Mund. Die Eile strafte ihre Ruhe lügen. Sie war begieriger nach meiner Antwort als ihre Augen zugaben.

„Es ist schwerer als es sein sollte – dir zu folgen,“ erkläre ich ihr. „Normalerweise kann ich jemanden sehr schnell finden, wenn ich einmal seine Gedanken gehört habe.“

Ich beobachtete ihr Gesicht ganz genau, während ich das sagte. Richtig zu raten war eine Sache, aber es bestätigt zu bekommen eine ganz andere.

Sie regte sich nicht, ihre Augen waren geweitet. Ich spürte wie ich meine Zähne zusammen biss während ich auf ihre Panik wartete.

Aber sie blinzelte nur einmal, schluckte laut und schob sich direkt einen weiteren Bissen in den Mund. Sie wollte dass ich weitersprach.

„Ich konzentrierte mich auf Jessica,“ fuhr ich fort und beobachtete wie sie jedes Wort aufsog. „Nicht besonders aufmerksam – wie schon gesagt, nur du kannst in Port Angeles in Gefahr geraten“ ich konnte nicht wiederstehen das hinzuzufügen. War ihr bewusst, dass andere Menschen nicht ständig Todesnahe Erfahrungen machten oder dachte sie, sie seih normal? Sie war alles andere als normal, unnormaler als alles was ich bisher kannte. „Und zu erst bemerkte ich gar nicht dass du alleine losgezogen bist. Als ich bemerkte, dass du nicht mehr bei ihr warst fuhr ich zu dem Buchladen den ich in ihrem Kopf gesehen hatte. Ich wusste, dass du nicht hineingegangen bist, sondern dich nach Süden gewandt hattest… und ich wusste, dass du bald umdrehen musstest. Als hab ich einfach auf dich gewartet und die Gedanken der Passanten durchstöbert – um zu sehen ob dich irgendjemand bemerkt hatte, damit ich wusste, wo ich dich finden konnte. Ich hatte keinen Grund besorgt zu sein… aber ich war seltsam beunruhigt…“ ich atmete schneller als ich mich an das Gefühl der Panik erinnerte. Ihr Duft brannte in meinem Hals und ich war dankbar. Es war ein Schmerz der bedeutete, dass sie am Leben war. So lange ich brannte, war sie sicher.

„Ich begann im Kreis herumzufahren und zu… lauschen.“ Ich hoffte die Worte ergaben einen Sinn für sie. Das musste verwirrend sein. „Die Sonne ging langsam unter und ich war kurz davor dir zu Fuß zu folgen. Und dann…“

Als mich die Erinnerung überkam – absolut klar und deutlich, als wäre ich zu diesem Zeitpunkt zurückversetzt woren – fühlte ich die selbe mörderisch Wut in mir aufschäumen.

Ich wollte seinen Tod. Ich brauchte seinen Tod. Ich biss meine Zähne zusammen und konzentrierte mich darauf, an dem Tisch sitzen zu bleiben. Bella brauchte mich immer noch. Nur darauf kam es an.

„Was dann?“ flüsterte sie mit geweiteten Augen.„Ich hörte was sie dachten,“ quetschte ich durch meine Zähen hervor, nicht in der Lage ein

knurren zu unterdrücken. „Ich sah dein Gesicht in seinen Gedanken.“Ich konnte dem Verlangen zu töten kaum wiederstehen. Ich wusste genau wo ich ihn finden

würde. Seine dunklen Gedanken klebten am Nachthimmel und zogen mich zu ihm…Ich bedeckte mein Gesicht, in dem Bewusstsein, dass mein Ausdruck der eines Monsters war,

eines Jägers, eines Killers. Ich fixierte ihr Gesicht vor meinen geschlossenen Augen um die Kontrolle zu behalten, konzentrierte mich nur auf ihr Gesicht. Ihr zartes Knochengerüst, die dünne Hülle ihrer blassen Haut – wie Seide, gespannt über Glas, unglaublich weich und leicht zu zerbrechen. Sie war zu

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verletzlich für diese Welt. Sie brauchte einen Beschützer. Und, aufgrund einer verworrenen schlechten Leitung des Schicksals, war ich das Beste was zur Verfügung stand.

Ich versuchte meine heftige Reaktion zu erklären, damit sie mich verstand.„Es war sehr… schwer – du kannst dir nicht vorstellen wie schwer – dich einfach nur

fortzubringen und sie… am Leben zu lassen,“ flüsterte ich. „Ich hätte dich mit Jessica und Angela nach Hause fahren lassen können, aber ich hatte Angst, dass ich nach ihnen suchen würde, wenn du weg wärst.“

Das zweite Mal heute Nacht gestand ich einen Mord geplant zu haben. Immerhin war dieser hier vertretbar.

Sie war ruhig während ich versuchte mich zu fassen. Ich hörte ihren Herzschlag. Der Rhythmus war unregelmäßig, aber er verlangsamte sich mit der Zeit und wurde wieder stabil. Auch ihr Atem war gleichmäßig.

Ich war zu dicht an der Grenze. Ich musste sie nach Hause bringen bevor…Würde ich ihn dann töten? Würde ich wieder zum Mörder werden nachdem sie mir

vertraute? Gab es irgendeinen Weg mich aufzuhalten?Sie hatte versprochen mir ihre neueste Theorie zu verraten wenn wir alleine waren. Wollte

ich sie hören? Ich sehnte mich danach, aber würde die Befriedigung meiner Neugierde besser sein, als es nicht zu wissen?

Irgendwie musste sie genug Vertrauen für eine Nacht haben.Ich sah sie wieder an, ihr Gesicht war blasser als vorher aber gefasst.„Bist du fertig? Können wir nach Hause fahren?“ fragte ich.„Ich bin fertig,“ sagte sie und wählte ihre Worte bewusst, als ob ein einfaches `Ja` nicht

ausdrücken könnte, was sie sagen wollte.Frustrierend.Die Kellnerin kam zurück. Sie hatte Bellas letzten Satz gehört, während sie hinter der

Abtrennung hin und her überlegt hatte, was sie mir noch anbieten könnte. Ich wollte meine Augen verdrehen bei den Angeboten die sie im Kopf hatte.

„Na, wie sieht’s aus?“ fragte sie mich.„Wir hätten gern die Rechnung, danke,“ sagte ich ihr, mit dem Blick auf Bella.Die Atmung der Kellnerin beschleunigte und sie war für einen Augenblick – um es mit Bellas

Worten zu sagen – geblendet von meiner Stimme.In einem Moment plötzlicher Erkenntnis, während ich meine Stimme im Kopf der Kellnerin

hörte, bemerkte ich warum ich heute so viel Bewunderung erntete – unbeschadet von der normalen Angst.

Es war wegen Bella. Bei dem Versuch, keine Gefahr für sie zu sein, weniger gruselig zu sein, menschlich zu sein, hatte ich wirklich die Grenzen überschritten. Die anderen Menschen sahen nur noch Schönheit, da ich meinen Schrecken so sehr unter Kontrolle hielt.

Ich schaute zur Kellnerin auf und wartete bis sie sich wieder gefasst hatte. Es war irgendwie amüsant, jetzt da ich den Grund dafür kannte.

„Natürlich,“ stotterte sie. „Bitte sehr.“Sie gab mir die Mappe mit der Rechnung und dachte an die Karte, die sie darin versteckt

hatte. Eine Karte mit ihrem Namen und ihrer Telefonnummer.Ja, es war irgendwie lustig.Ich hatte das Geld schon bereit. Ich gab die Mappe sofort zurück damit sie nicht auf einen

Anruf warten musste, der niemals kommen würde.

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„Stimmt so,“ sagte ich und hoffte, dass die Menge des Trinkgeldes ihre Enttäuschung ein wenig lindern würde.

Ich stand auf und Bella folgte mir. Ich wollte ihr meine Hand anbieten, dachte aber, dass das mein Glück für heute zu sehr strapazieren würde. Ich bedankte mich bei der Kellnerin, lies Bella dabei aber kein einziges Mal aus den Augen. Bella schien sich ebenfalls über irgendetwas zu amüsieren.

Wir verließen das Restaurant; ich lief so nah neben ihr her wie ich es mir zutraute. Nah genug, dass die Wärme die ihr Körper ausstrahlte wie eine physische Berührung an meiner linken Seite war. Als ich ihr die Tür öffnete seufzte sie leise und ich fragte mich, was sie so sehr bedauerte dass es sie traurig machte. Ich schaute ihr in die Augen und wollte gerade fragen, als sie ihren Blick senkte, vor Verlegenheit. Das machte mich noch neugieriger aber auch abgeneigter zu fragen. Die Stille zwischen uns hielt auch noch an als ich ihr die Autotür aufhielt und mich dann auf den Fahrersitz setzte.

Ich schaltete die Heizung an – das warme Wetter war plötzlich vorbei; das kalte Auto musste unangenehm für sie sein. Sie kuschelte sich in meine Jacke mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

Ich wartete und schob die Unterhaltung hinaus bis das Licht der Promenade hinter uns verblasste. Dadurch fühlte ich mich mehr allein mit ihr.

War das richtig? Jetzt da ich mich nur noch auf sie konzentrierte wirkte das Auto plötzlich sehr klein. Ihr Duft wurde von der Heizung herumgewirbelt, baute sich auf und wurde stärke. Er wuchs immer mehr an und wurde zu einem eigenen weiteren Wesen im Auto. Eine Präsenz die Anerkennung forderte.

Die hatte sie; ich brannte. Aber das Brennen war erträglich. Es wirkte seltsam richtig für mich. Ich hatte so viel gegeben heute Nacht - mehr als ich erwartet hatte. Und hier war sie, immer noch freiwillig an meiner Seite. Ich war dafür etwas schuldig. Ein Opfer. Ein brennendes Angebot.

Wenn ich es nur dabei belassen könnte; nur brennen, nichts weiter. Aber das Gift füllte meinen Mund, und meine Muskeln spannten sich in Erwartung, als würde ich jagen…

Ich musste solche Gedanken aus meinem Kopf verbannen. Und ich wusste was mich ablenken würde.

„Jetzt,“ sagte ich zur ihr und die Angst vor ihrer Antwort überschattete das Brennen. „Bist du dran.“

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10. Theorie

„Kann ich dir noch eine Frage stellen?“ bat sie, statt auf meine Aufforderung zu antworten.Ich war hellhörig und rechnete mit dem schlimmsten. Und dennoch, wie verführerisch es

war, diesen Moment noch länger hinauszuzögern. Bella freiwillig für noch ein paar Sekunden länger bei mir zu haben. Ich seufzte bei dem Dilemma und sagte, „Eine.“

„Naja…,“ sie zögerte für einen Moment als ob sie erst darüber nachdenken musste, welche Frage sie stellen wollte. „Du hast gesagt, du wusstest, dass ich nicht in den Buchladen gegangen bin und dass ich nach Süden gegangen bin. Ich hab mich nur gefragt, woher du das gewusst hast.“

Ich warf einen kurzen Blick durch die Windschutzscheibe. Wieder eine Frage, die nichts von ihr preisgab, aber viel zu viel von mir.

„Ich dachte wir hätten die Ausflüchte hinter uns,“ sagte sie in kritischem, enttäuschtem Ton.Wie ironisch. Sie war absolut ausweichend ohne es überhaupt zu versuchen.Naja, sie wollte dass ich direkt war. Und bedauerlicherweise führte diese Beziehung in keine

gute Richtung.„Na gut, also,“ sagte ich. „Ich bin deinem Geruch gefolgt.“Ich wollte ihr Gesicht sehen, aber ich hatte Angst davor, was ich wohl sehen würde.

Stattdessen lauschte ich wie ihr Atem schneller und dann wieder normal wurde. Nach einer Weile sprach sie wieder und ihre Stimme war fester als ich erwartet hatte.

„Und dann hast du eine meiner ersten Fragen noch nicht beantwortet…“ sagte sie.Ich schaute sie stirnrunzelnd an. Sie versuchte auch Zeit zu schinden.„Welche?“„Wie funktioniert das – mit dem Gedankenlesen?“ wiederholte sie ihre Frage aus dem

Restaurant. „Kannst du von jedem die Gedanken lesen, überall? Wie machst du das? Kann der Rest deiner Familie…?“ sie brach ab und errötete wieder.

„Das ist mehr als eine,“ sagte ich.Sie sah mich nur an und wartete auf ihre Antworten.Warum sollte ich sie ihr nicht geben? Sie hatte schon so viel erraten und es war ein

einfacheres Thema als das was drohend näher rückte.„Nur ich kann Gedanken lesen. Aber ich kann auch nicht jeden überall hören. Ich muss

ungefähr in der Umgebung sein. Je bekannter die `Stimme` ist, umso weiter entfernt kann ich sie hören. Aber nicht mehr als ein paar Meilen weit.“ Ich versuchte es so zu beschreiben, dass sie es verstand. Versuchte etwas zu finden, womit ich es vergleichen konnte. „Es ist ein bisschen so, als würde man in einer riesigen Halle stehen voller Leute und alle reden gleichzeitig. Es ist nur ein Summen – ein Meer von Stimmen im Hintergrund. Bis ich mich auf eine Stimme konzentriere, dann werden diese Gedanken klar. Meistens blende ich alles aus – es kann sehr ablenkend sein. Außerdem ist es dann einfacher normal zu wirken,“ – ich schnitt eine Grimasse – „wenn ich nicht aus Versehen die Gedanken von jemandem beantworte statt seine Worte.“

„Warum glaubst du kannst du mich nicht hören?“ wunderte sie sich.Ich gab ihr eine weitere Wahrheit und einen weiteren Vergleich.

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„Ich weiß es nicht,“ gab ich zu. „Ich vermute, dass dein Gehirn nicht genauso arbeitet wie das der anderen. Als würden deine Gedanken auf UKW gesendet, aber ich kann nur KW empfangen.“

Ich bemerkte, dass sie diesen Vergleich nicht mögen würde. Die Erwartung ihrer Reaktion brachte mich zum lächeln. Sie enttäuschte mich nicht.

„Mein Gehirn funktioniert nicht richtig?“ fragte sie und hob verärgert ihre Stimme. „Ich bin also ein Freak?“

Ah, die Ironie wieder.„Ich höre Stimmen in meinem Kopf und du glaubst, du wärst der Freak?“ Ich lachte. Sie

verstand all die kleinen Dinge, aber die großen verstand sie immer falsch. Immer die falschen Instinkte…

Bella nagte an ihrer Unterlippe und die Falte zwischen ihren Augen war sehr tief.„Keine Sorge,“ versicherte ich ihr. „Es ist nur eine Theorie…“ und es gab eine viel wichtigere

Theorie zu besprechen. Ich konnte es nicht erwarten, das endlich hinter mich zu bringen. Jede Sekunde die verstrich fühlte sich immer mehr wie gestohlene Zeit an.

„Was uns wieder zu dir zurück bringt,“ sagte ich zwiegespalten, einerseits ängstlich, andererseits wiederstrebend.

Sie seufzte und kaute immer noch auf ihrer Lippe herum – ich machte mir sorgen, dass sie sich verletzen könnte. Sie schaute mir mit aufgewühltem Gesichtsausdruck in die Augen.

„Haben wir die Ausflüchte nicht alle hinter uns gelassen?“ fragte ich leise.Sie senkte den Blick und schien einen inneren Kampf zu führen. Plötzlich versteifte sie sich

und riss erschrocken die Augen auf. Das erste Mal stand ihr die Angst ins Gesicht geschrieben.„Heilige Scheiße!“ japste sie.Ich bekam Panik. Was hatte sie gesehen? Wie hatte ich sie verängstigt?Dann rief sie, „Fahr langsamer!“„Was ist los?“ Ich verstand nicht woher ihre Angst kam.„Du fährst fast 100 Meilen pro Stunde!“ brüllte sie mich an. Sie warf einen kurzen Blick aus

dem Fenster und schrak vor den vorbeirasenden Bäumen zurück.Das bisschen Geschwindigkeit ließ sie vor Angst aufschreien?Ich verdrehte meine Augen. „Entspann dich Bella.“„Willst du uns umbringen?“ warf sie mir mit hoher angespannter Stimme vor.„Es wird schon nichts passieren,“ versprach ich ihr.Sie atmete tief ein und sprach dann etwas ruhiger weiter. „Warum hast du es so eilig?“„Ich fahre immer so.“Amüsiert von ihrem geschockten Gesichtsausdruck erwiderte ich ihren Blick.„Schau auf die Straße!“ rief sie.„Ich hatte noch nie einen Unfall, Bella. Ich hab noch nicht einmal einen Strafzettel

bekommen.“ Ich grinste sie an und tippte mir an die Stirn. Es machte die Situation noch komischer – es war so absurd mich mit ihr über so etwas Geheimes und seltsames lustig zu machen. „Eingebauter Radardetektor.“

„Sehr witzig,“ sagte sie sarkastisch, ihre Stimme klang eher ängstlich als sauer. „Charlie ist Polizist, du erinnerst dich? Ich bin dazu erzogen worden, mich an Verkehrsregeln zu halten. Abgesehen davon, wenn du uns vor einen Baum fährst, kannst du wahrscheinlich einfach aussteigen und weggehen.“

„Wahrscheinlich,“ wiederholte ich und lachte humorlos. Ja, wir würden wohl einen sehr unterschiedlichen Preis zahlen müssen bei einem Autounfall. Ich konnte verstehen, dass sie Angst hatte, trotz meiner Qualitäten als Autofahrer… „Aber du nicht.“

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Mit einem Seufzer senkte ich die Geschwindigkeit. „Zufrieden?“Sie warf einen Blick auf den Tacho. „Fast.“„Genug Kommentare zu meinem Fahrstil,“ sagte ich ungeduldig. Wie oft war sie meiner Frage

jetzt ausgewichen? Dreimal? Vier? Waren ihre Spekulationen so Schrecklich? Ich musste es wissen – sofort. „Ich warte immer noch auf deine neueste Theorie.“

Sie biss sich wieder auf die Lippe und sah bedrückt aus, fast schon als hätte sie Schmerzen.Ich versuchte meine Ungeduld zu beherrschen und meine Stimme weicher klingen zu lassen.

Ich wollte sie nicht beunruhigen.„Ich werde nicht lachen,“ versprach ich, in der Hoffnung, dass sie nur vor Scham nicht

sprechen wollte.„Ich habe eher Angst dass du sauer auf mich sein könntest,“ flüsterte sie.Ich hatte Mühe meine Stimme zu kontrollieren. „Ist es so schlimm?“„Ziemlich, ja.“Sie schaute nach unten und wich meinem Blick aus. Die Sekunden verstrichen.„Schieß los,“ ermutigte ich sie.Sie antwortete kleinlaut, „Ich wo nicht wie ich anfangen soll.“„Wieso fängst du nicht am Anfang an?“ Ich erinnerte mich an ihre Worte vor dem Essen. „Du

sagtest du wärst nicht allein drauf gekommen.“„Nein,“ stimmte sie zu und war dann wieder still.Ich versuchte mir zu überlegen, was sie inspiriert haben könnte. „Wie bist du darauf

gekommen – ein Buch? Ein Film?“Ich hätte ihre Sammlung durchsehen sollen, als sie nicht zu Hause war. Ich hatte keine

Ahnung, ob Bram Stoker oder Anne Rice bei ihren abgegriffenen Büchern lagen…„Nein,“ sagte sie wieder. „Es war am Samstag, am Strand.“Damit hatte ich nicht gerechnet. Der lokale Klatsch und Tratsch über uns war nie besonders

bizarr gewesen – oder präzise. Gab es ein neues Gerücht, dass ich verpasst hatte? Bella spähte von ihren Händen auf und sah meinen Überraschten Gesichtsausdruck.

„Ich hab einen alten Freund der Familie getroffen – Jacob Black,“ fuhr sie fort. „Sein Vater und Charlie sind schon befreundet seit ich ein Baby war.“

Jacob Black – der Name war mir nicht bekannt und dennoch erinnerte er mich an etwas… vor langer Zeit… ich schaute gerade aus durch die Windschutzscheibe und durchforstete meine Erinnerungen um die Verbindung zu finden.

„Sein Vater ist einer der Ältesten von den Quileute,“ sagte sie.Jacob Black. Ephraim Black. Ein Nachfahre, kein Zweifel.Es war so schlimm wie es nur kommen konnte.Sie kannte die Wahrheit.In Gedanken ging ich die Konsequenzen durch während der Wagen durch die schwarzen

Kurven der Straße flog, mein Körper war starr vor Angst – bewegungslos abgesehen von den kleinen automatischen Aktionen die nötig waren um den Wagen zu steuern.

Sie kannte die Wahrheit.Aber… wenn sie die Wahrheit am Samstag erfahren hatte… dann kannte sie sie schon den

ganzen Abend… und dennoch…„Wir sind spazieren gegangen,“ erzählte sie weiter. „Und er hat mir von ein paar alten

Legenden erzählt – er wollte mir ein bisschen Angst machen, denke ich. Er erzählte mir eine…“

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Sie hielt kurz inne, aber es gab keinen Grund mehr für Skrupel; ich wusste, was sie sagen würde. Das einzige Geheimnis das es noch zu lüften galt war das, warum sie jetzt und hier bei mir war.

„Erzähl weiter,“ sagte ich.„Über Vampire,“ hauchte sie, ihre Stimme war kaum mehr ein Flüstern.Irgendwie war es noch schlimmer, sie das Wort aussprechen zu hören, als zu wissen, dass sie

die Wahrheit kannte. Ich schrak bei dem Ausdruck zurück, hatte mich aber schnell wieder in der Gewalt.

„Und da hast du sofort an mich gedacht?“ fragte ich.„Nein. Er… hat deine Familie erwähnt.“Es war pure Ironie, dass ausrechnet der Nachfahre von Ephraim den Vertrag verletzte den er

geschworen hatte einzuhalten. Ein Enkel, oder vielleicht Ur-Enkel. Wie viele Jahre war es her? Siebzig?

Ich hätte wissen müssen, dass die Gefahr weniger von dem alten Mann ausging der an die Legenden glaubte. Natürlich, die jüngere Generation – diejenigen die zwar gewarnt wurden, die aber den alten Aberglauben lächerlich fanden – natürlich lag dort die Gefahr der Entlarvung.

Ich vermutete, dass es mir nun erlaubt war, den kleinen Stamm abzuschlachten wenn ich dazu geneigt wäre. Ephraim und sein Rudel von Beschützern waren lange tot…

„Er dacht es wäre bloß ein dummer Aberglaube,“ sagte Bella plötzlich mit einer neuen Angst in der Stimme. „Er hätte nicht gedacht, dass ich irgendetwas davon ernst nehmen würde.“

Aus meinem Augenwinkel sah ich, wie sie unruhig ihre Hände verschränkte.„Es war mein Fehler,“ sagte sie nach einer kurzen Pause und dann senkte sie ihren Kopf als

ob sie sich schämen würde. „Ich habe ihn dazu gebracht es mir zu erzählen.“„Warum?“ Es war nicht mehr so anstrengend meine Stimme gleichmäßig zu halten. Das

schlimmste war bereits geschehen. So lange wir über die Details der Aufdeckung sprachen, mussten wir uns keine Gedanken über ihre Konsequenzen machen.

„Lauren hatte etwas über dich gesagt – sie hatte versucht mich zu provozieren.“ Sie verzog ein bisschen das Gesicht bei der Erinnerung daran. Ich war ein bisschen abgelenkt von der Frage, wie Bella von irgendjemandem provoziert werden konnte, der über mich sprach… „Und ein älterer Junge des Stammes hatte gesagt, dass deine Familie nicht zum Reservat kommen würde, aber es hörte sich so an, als ob er etwas anderes meinte. Also hab ich Jacob beiseite genommen und es aus ihm heraus gekitzelt.“

Sie senkte ihren Kopf noch weiter als sie das zugab und ihr Ausdruck wirkte irgendwie… schuldig.

Ich wand meinen Blick von ihr ab und lachte laut auf. Sie fühlte sich schuldig? Was könnte sie getan haben um irgendeine Art von Tadel zu verdienen?

„Wie hast du es aus ihm heraus gekitzelt?“ fragte ich.„Ich hab versucht zu flirten – es hat besser geklappt als ich gedacht hätte,“ erklärte sie und

ihre Stimme klang ungläubig bei der Erinnerung an ihren Erfolg.Ich konnte es mir nur vorstellen – wenn man bedachte was für eine Wirkung sie auf alles

Männliche in ihrer Umgebung hatte, vollkommen unbewusst von ihrer Seite – wir überwältigend musste sie dann erst sein, wenn sie versuchte attraktiv zu sein. Ich hatte plötzlich Mitleid mit dem armen Jungen auf den sie ihre ganze Naturgewalt losgelassen hatte.

„Das hätte ich zu gern gesehen,“ sagte ich und lachte wieder vor Schadenfreude. Ich wünschte ich hätte die Reaktion des Jungen gesehen, hätte das ganze Ausmaß der Verwüstung mit eigenen Augen bezeugt. „Und du wirfst mir vor, ich würde die Leute blenden – armer Jacob Black.“

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Ich war nicht so sauer über die Art meiner Entlarvung wie ich gedacht hätte, dass ich sein würde. Er wusste es einfach nicht besser. Und wie konnte ich von irgendjemandem erwarten, dass er diesem Mädchen irgendeinen Wunsch verwehrte? Nein, ich hatte nur Mitleid aufgrund des Schadens den sie diesem unschuldigen Geist zugefügt haben mochte.

Ich spürte wie ihr Erröten die Luft zwischen uns aufheizte. Ich sah zu ihr herüber und sie schaute aus dem Fenster. Sie sprach nicht weiter.

„Was hast du dann gemacht?“ fragte ich. Zeit um zu der Horrorgeschichte zurückzukehren.„Ich hab ein bisschen im Internet nachgeforscht.“Immer wieder praktisch. „Und hat dich das überzeugt?“„Nein,“ sagte sie. „Nichts passte. Das meiste war eher albern. Und dann…“Sie brach ab und ich hörte wie sie ihre Zähne zusammenbiss.„Was?“ verlangte ich. Was hatte sie gefunden? Was an diesem Albtraum hatte einen Sinn für

sie ergeben?Nach einer kurzen Pause flüsterte, „Ich hab beschlossen, dass es egal ist.“Für den Bruchteil einer Sekunde waren meinen Gedanken erstarrt und plötzlich passte alles

zusammen. Weshalb sie ihre Freunde weggeschickt hatte, statt mit ihnen zu flüchten. Warum sie wieder zu mir ins Auto gestiegen war, statt wegzurennen und nach der Polizei zu rufen…

Ihre Reaktionen waren immer falsch – immer absolut falsch. Sie zog die Gefahr an. Sie lud sie ein.

„Es ist egal?“ presste ich durch meine Zähne und Wut stieg in mir auf. Wie sollte ich jemanden beschützen der so… so… so entschlossen war ungeschützt zu sein?

„Ja,“ sagte sie leise mit einer Stimme die unglaublich weich klang. „Es ist mir egal, was du bist.“

Sie war unglaublich.„Es ist macht dir nichts aus, dass ich ein Monster bin? Dass ich kein Mensch bin?“„Nein.“Ich fing an mich zu fragen, ob sie wirklich gesund war.Ich könnte die beste Pflege für sie arrangieren… Carlisle hatte die nötigen Verbindungen um

ihr die besten Ärzte zu besorgen, die talentiertesten Therapeuten. Vielleicht konnte man irgendetwas tun um was immer mit ihr nicht stimmte zu heilen, was immer es war, dass es ihr ermöglichte neben einem Vampir zu sitzen mit einem absolut ruhigen und gleichmäßigen Puls. Ich würde ihre Behandlung selbstverständlich überwachen und sie so oft besuchen wie es mir erlaubt war…

„Du bist sauer,“ seufzte sie. „Ich hätte besser nichts gesagt.“Als ob es einem von uns geholfen hätte, wenn sie diese störende Tatsache verschwiegen

hätte.„Nein. Ich möchte gerne wissen, was du denkst – auch wenn, was du denkst vollkommen

verrückt ist.“„Also liege ich wieder falsch?“ fragte sie in einem etwas streitlustigen Tonfall.„Das habe ich damit nicht gemeint!“ Ich biss wieder die Zähne zusammen. „`Es ist egal`!“

wiederholte ich bissig.Sie japste. „Ich hab also recht?“„Ist das wichtig?“ konterte ich.Sie atmete tief durch. Ich wartete wütend auf ihre Antwort.„Nicht wirklich,“ sagte sie mit kontrollierter Stimme. „Aber ich bin neugierig.“Nicht wirklich. Es war nicht wirklich wichtig. Es war ihr egal. Sie wusste dass ich kein Mensch

war, ein Monster, es war ihr nicht wirklich wichtig.

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Abgesehen von meinen Zweifeln an ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit, fühlte ich einen leichten Anflug von Hoffnung. Ich versuchte sie zu unterdrücken.

„Was möchtest du wissen?“ fragte ich sie. Es gab keine Geheimnisse mehr nur noch unwichtige Details.

„Wie alt bist du?“ fragte sie.Meine Antwort kam automatisch und war tief verwurzelt. „Siebzehn.“„Und wie lange bist du schon Siebzehn?“Ich versuchte nicht zu lächeln bei ihrem herablassenden Tonfall. „Eine Weile,“ gab ich zu.„Okay,“ sagte sie plötzlich enthusiastisch. Sie lächelte mich an. Als ich ihren Blick erwiderte,

wieder an ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit zweifelnd, lächelte sie noch breiter. Ich verzog das Gesicht.

„Lach jetzt nicht,“ warnte sie. „Aber wie kommt es, dass du bei Tageslicht rausgehen kannst?“

Ich lachte trotz ihrer Bitte. Es sah so aus als hätten ihre Nachforschungen nichts Unnormales ergeben. „Mythos,“ erklärte ich ihr.

„Ihr verbrennt nicht in der Sonne?“„Mythos.“„Ihr schlaft nicht in Särgen?“„Mythos.“Schlaf war schon so lange kein Teil meines Lebens mehr – zumindest nicht bis zu den letzten

paar Nächten in denen ich Bella beim Träumen beobachtet hatte…„Ich kann nicht schlafen,“ murmelte ich und beantwortete ihre Frage damit ausführlicher.Sie war für einen Moment still.„Gar nicht?“ fragte sie.„Nie,“ flüsterte ich.Ich schaute in ihre Augen, geweitet unter den geschwungenen Wimpern und sehnte mich

danach schlafen zu können. Nicht um zu vergessen, nicht um der Langeweile zu entfliehen, sondern weil ich träumen wollte. Wenn ich bewusstlos wäre, wenn ich träumen könnte, dann könnte ich für ein paar Stunden in einer Welt leben wo sie und ich zusammen sein konnten. Sie träumte von mir. Ich wollte von ihr träumen.

Sie schaute mich mit verwundertem Gesichtsausdruck an. Ich musste wegschauen.Ich konnte nicht von ihr träumen. Sie sollte nicht von mir träumen.„Du hast mir die wichtigste aller Fragen noch nicht gestellt,“ sagte ich, meine stumme Brust

war noch kälter und härter als zuvor. Sie musste endlich verstehen. An irgendeinem Punkt musste sie merken, was sie hier gerade tat. Sie musste verstehen, dass das alles wichtig war – wichtiger als alle anderen Überlegungen. Überlegungen wie die Tatsache, dass ich sie liebte.

„Und welche ist das?“ fragte sie überrascht und ahnungslos.Dadurch wurde meine Stimme nur noch härter. „Machst du dir keine Sorgen um meine

Ernährung?“„Oh. Das.“ Sie sprach leise und ich wusste es nicht einzuschätzen.„Ja, das. Willst du nicht wissen, ob ich Blut trinke?“Sie zuckte zurück bei meiner Frage. Endlich. Sie verstand.„Naja, Jacob hatte etwas darüber gesagt,“ sagte sie. „Was hat Jacob gesagt?“„Er sagte, dass ihr keine… Menschen jagt. Er sagte deine Familie galt nicht als gefährlich weil

ihr nur Tiere jagt.“

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„Er sagte, wir wären nicht gefährlich?“ wiederholte ich zynisch.„Nicht genau,“ korrigierte sie. „Er sagte, dass ihr nicht als gefährlich galtet. Aber die Quileutes

wollen euch trotzdem lieber nicht auf ihrem Land haben, zur Sicherheit.“Ich starrte auf die Straße, meine Gedanken waren hoffnungslos verknotet, meine Kehle

schmerzte vor bekanntem brennendem Durst.„Also, hat er recht?“ fragte sie, so locker als würde sie nach dem Wetterbericht fragen. „Dass

ihr keine Menschen jagt?“„Die Quileutes haben ein langes Gedächtnis.“Sie nickte und dachte scharf nach.„Aber gib dich damit nicht zufrieden,“ sagte ich schnell. „Sie haben recht, wenn sie sich von

uns fernhalten. Wir sind immer noch gefährlich.“„Das verstehe ich nicht.“Nein, natürlich nicht. Wie sollte ich es ihr erklären?„Wir versuchen es,“ erklärte ich ihr. „Normalerweise sind wir sehr gut darin. Manchmal

machen wir Fehler. Ich zum Beispiel in dem ich mir erlaube mit dir allein zu sein.“Ihr Duft war immer noch präsent im Auto. Ich gewöhnte mich daran, ich konnte ihn fast

ignorieren, aber ich konnte nicht leugnen, dass mein Körper sich immer noch aus den falschen Gründen nach ihr sehnte. Mein Mund war gefüllt mit Gift.

„Das ist ein Fehler?“ fragte sie mit Schmerz und Trauer in der Stimme. Dieser Klang entwaffnete mich. Sie wollte mit mir zusammen sein – trotz allem wollte sie mit mir zusammen sein.

Hoffnung keimte erneut auf und ich erstickte sie.„Ein sehr gefährlicher,“ sagte ich ihr ehrlich und wünschte mir, dass diese Ehrlichkeit

bewirkte, dass es ihr etwas ausmachte.Sie antwortete zunächst nicht. Ich hörte wie sich ihre Atmung änderte – sie beschleunigte

sich auf seltsame Weise die sich nicht nach Angst anhörte.„Erzähl mir mehr,“ sagte sie plötzlich mit vor Schmerz bebender Stimme.Ich beobachtete sie aufmerksam.Sie hatte Schmerzen. Wie hatte ich das zulassen können?„Was möchtest du denn noch wissen?“ fragte ich sie und überlegte wie ich es vermeiden

konnte, sie noch mehr zu verletzen.„Erzähl mir warum ihr Tiere statt Menschen jagt,“ sagte sie, immer noch gequält.War das nicht offensichtlich? Oder vielleicht war ihr das auch egal.„Ich möchte kein Monster sein,“ murmelte ich.„Aber Tiere reichen nicht?“Ich dachte über einen weiteren Vergleich nach, einen den sie verstehen würde. „Ich kann es

natürlich nicht mit Sicherheit sagen, aber ich würde es mit einer Ernährung auf Tofu und Soja-Basis vergleichen; wir nennen uns selbst Vegetarier, ein kleiner Insider Witz. Es stillt den Hunger nicht vollkommen – oder besser den Durst. Aber es macht uns stark genug um zu wiederstehen. Meistens.“ Ich wurde leiser; ich schämte mich dafür sie in Gefahr gebracht zu haben. Eine Gefahr die ich immer noch zuließ… „Zu manchen Zeiten ist es schwerer als zu anderen.“

„Ist es jetzt sehr schwer für dich?“Ich seufzte. Natürlich würde sie die Frage stellen, die ich nicht beantworten wollte. „Ja,“ gab

ich zu.Diesmal lag ich richtig was meine Erwartungen an ihre Reaktion betraf: ihr Atem blieb

gleichmäßig, ihr Herz schlug normal weiter. Ich erwartete es, aber ich verstand es nicht. Wieso hatte sie keine Angst?

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„Aber jetzt bist du nicht hungrig,“ stellte sie fest und war sich ihrer vollkommen sicher.„Wieso glaubst du das?“„Deine Augen,“ sagte sie ohne weiteres. „Ich hab dir gesagt, ich hätte eine Theorie. Ich habe

festgestellt, dass Menschen – Männer speziell – schlechter gelaunt sind, wenn sie Hunger haben.“Ich lachte innerlich über ihren Ausdruck: schlecht gelaunt. Das war weit untertrieben. Aber

sie lag vollkommen richtig, wie immer. „Du bist sehr aufmerksam, nicht war?“ ich lachte wieder.Sie lächelten ein bisschen und die Falte zwischen ihren Augen tauchte wieder auf als ob sie

sich konzentrierte.„Warst du dieses Wochenende mit Emmett jagen?“ fragte sie nachdem ich mich beruhigt

hatte. Die lässige Art mit der sie darüber sprach war sowohl faszinierend als auch frustrierend. Konnte es wirklich sein, dass sie so viel so einfach verkraftete? Ich war näher an einem Schock als sie

„Ja,“ antwortete ich ihr, und dann, als ich es eigentlich schon dabei belassen wollte, hatte ich wieder das gleiche Bedürfnis wie im Restaurant: Ich wollte dass sie mich kannte. „Ich wollte nicht gehen,“ fuhr ich langsam fort, „aber es war nötig. Es ist einfacher in deiner Nähe zu sein, wenn ich nicht durstig bin.“

„Warum wolltest du nicht gehen?“Ich atmete tief ein und erwiderte dann ihren Blick. Diese Art der Ehrlichkeit war auf eine

andere Art und Weise schwierig.„Ich fühle mich nicht wohl…“ ich denke, dieser Ausdruck trifft es am besten, obwohl er nicht

stark genug war, „wenn ich nicht in deiner Nähe bin. Es war kein Scherz als ich letzten Donnerstag zu dir sagte, dass du nicht ins Meer fallen oder dich von einem Truck überfahren lassen sollst. Ich war das ganze Wochenende abgelenkt weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Und nachdem was heute Abend passiert ist, bin ich überrascht, dass du das Wochenende unbeschadet überstanden hast.“ Dann erinnerte ich mich an die Kratzer auf ihren Handflächen. „Naja, nicht ganz unbeschadet,“ ermahnte ich.

„Was?“„Deine Hände,“ erinnerte ich sie.Sie seufzte und verzog das Gesicht. „Ich bin hingefallen.“Ich hatte richtig geraten. „Das hab ich mir gedacht,“ sagte ich, nicht in der Lage mein Lächeln

zu verbergen. „So wie ich dich kenne, hätte es schlimmer kommen können – und diese Möglichkeit hat mich das ganze Wochenende gequält. Es waren sehr lange drei Tage. Ich bin Emmett ganz schön auf die Nerven gegangen.“ Ehrlichgesagt, war das immer noch der Fall. Ich verwirrte Emmett sicher immer noch und den Rest meiner Familie ebenso. Abgesehen von Alice…

„Drei Tage?“ fragte sie mit plötzlich scharfer Stimme. „Seid ihr nicht erst heute zurück gekommen?“

Ich verstand ihren Tonfall nicht. „Nein, wir sind am Sonntag zurückgekommen.“„Warum war dann keiner von euch in der Schule?“ verlangte sie zu wissen. Ihre Aggression

verwirrte mich. Sie schien nicht zu verstehen, dass diese Frage wieder etwas mit Mythologie zu tun hatte.

„Naja, du hattest gefragt, ob die Sonne mich verletzt und das tut sie nicht,“ sagte ich. „Aber ich kann trotzdem nicht raus gehen wenn die Sonne scheint, zumindest nirgendwohin wo man mich sehen kann.“

Das lenkte sie von ihrer mysteriösen Verstimmung ab. „Warum?“ fragte sie und lehnte ihren Kopf zur Seite.

Ich bezweifelte, dass ich einen ausreichenden Vergleich finden würde um das zu erklären. Also sagte ich ihr nur, „Ich werd’s dir irgendwann zeigen.“ Und dann fragte ich mich ob das ein

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Versprechen war, dass ich vielleicht würde brechen müssen. Würde ich sie nach dieser Nacht wiedersehen? Liebte ich sie schon genug um sie verlassen zu können?

„Du hättest anrufen können,” sagte sie.Was für eine seltsame Aufforderung. „Aber ich wusste doch dass du sicher bist.“„Aber ich wusste nicht, wo du warst. Ich…“ sie brach ab und starrte auf ihre Hände.„Was?“„Ich mochte es nicht,“ sagte sie schüchtern und die Haut über ihren Wangenknochen wurde

wieder warm. „dich nicht zu sehen. Es macht mir auch angst.“Bist du jetzt zufrieden? Wollte ich von mir selbst wissen. Naja, hier war die Belohnung für all

meine Hoffnungen.Ich war verwirrt, begeistert, entsetzt – am meisten entsetzt – davon dass alle meine

wildesten Träume gar nicht so abwegig waren. Deshalb machte es ihr nichts aus, dass ich ein Monster war. Es war der gleiche Grund weshalb mir die Regeln egal waren. Warum richtig und falsch keinen Einfluss mehr auf mich hatten. Warum all meine Prioritäten um eins nach unten gerutscht sind um an oberster Stelle Platz für dieses Mädchen zu schaffen.

Bella mochte mich auch.Ich wusste, dass es nichts im Vergleich zu meiner Liebe für sie war. Aber es war genug für sie

um ihr Leben zu riskieren um hier neben mir zu sitzen. Und es gern zu tun.Genug um ihr Schmerzen zu bereiten, wenn ich das richtige tat und sie verließ.Gab es irgendetwas das ich jetzt noch tun konnte, dass sie nicht verletzen würde? Überhaupt

irgendetwas?Ich hätte weg bleiben sollen. Ich hätte nie wieder nach Forks zurückkommen sollen. Ich

würde ihr nur Schmerzen bereiten.Würde mich das davon abhalten jetzt zu bleiben? Es noch schlimmer zu machen?So wie ich mich jetzt fühlte, ihre Wärme auf meiner Haut spürte…Nein. Nichts würde mich davon abhalten.„Ah,“ brummte ich zu mir selbst. „Das ist falsch.“„Was hab ich gesagt?“ fragte sie schnell um die Schuld auf sich zu nehmen.„Siehst du es nicht, Bella? Es ist eine Sache, wenn ich mich unglücklich mache, aber eine ganz

andere, wenn du so tief drinsteckst. Ich möchte nicht hören, dass du so fühlst.“ Es war die Wahrheit, es war eine Lüge. Der egoistische Teil von mir machte Luftsprünge bei dem Wissen, dass sie mich genauso wollte wie ich sie wollte. „Es ist falsch. Es ist nicht sicher. Ich bin gefährlich, Bella – bitte versteh das.“

„Nein.“ Sie schob schmollend ihre Lippen vor.„Ich meine es ernst.“ Ich kämpfte so stark mit mir – zum einen wollte ich verzweifelt, dass sie

es akzeptierte und zum anderen genauso verzweifelt dass sie sich von meinen Warnungen nicht in die Flucht schlagen ließ – dass die Worte wie ein Knurren zwischen meinen Zähnen hervorkamen.

„Ich mein es auch ernst,“ gab sie zurück. „Ich hab dir gesagt, es ist mir egal was du bist. Es ist zu spät.“

Zu spät? Alices Vision schwirrte in meinem Kopf, Bellas blutrote Augen starrten mich unverwandt an. Ausdruckslos – aber es war ausgeschlossen, dass sie mich für diese Zukunft nicht hassen würde. Mich dafür hasste, dass ich ihr alles genommen hatte. Ihr ihr Leben und ihre Seele gestohlen hatte.

Es konnte nicht zu spät sein.„Sag das niemals,“ zischte ich.

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Sie starrte aus ihrem Fenster und biss sich wieder auf die Lippe. Ihre Hände waren in ihrem Schoss zu Fäusten geballt. Ihr Atem stockte und brach ab.

„Was denkst du?“ Ich musste es wissen.Sie schüttelte den Kopf ohne mich anzusehen. Ich sah etwas Glitzerndes auf ihrer Wange, wie

ein Kristall.Qual. „Weinst du?“ Ich hatte sie zum Weinen gebracht. So sehr hatte ich sie verletzt.Sie wischte die Träne mit ihrem Handrücken ab.„Nein,“ log sie mit brüchiger Stimme.Ein lange begrabener Instinkt bewirkte, dass ich meine Hand nach ihr ausstreckte – in dieser

einen Sekunde fühlte ich mich menschlicher als jemals zuvor. Und dann erinnerte ich mich daran, dass ich es… nicht war. Und ich ließ meine Hand sinken.

„Es tut mir leid,“ sagte ich und biss meine Zähne zusammen. Wie konnte ich ihr jemals sagen wie leid es mir tat? All die dummen Fehler die ich begangen hatte. Mein unendlicher Egoismus. Dass sie die unglückliche war, die meine erste tragische Liebe entfachte. Auch die Dinge, die ich nicht kontrollieren konnte – dass ich das Monster war, dass von Schicksal dazu auserkoren war, ihr Leben zu beenden. Das alles tat mir so leid.

Ich atmete tief durch – ignorierte meine elende Reaktion auf den Duft im Auto – und versuchte mich zusammen zu reißen.

Ich wollte das Thema wechseln, an etwas anderes denken. Glücklicherweise war meine Neugierde bzgl. des Mädchens unerschöpflich. Ich hatte immer eine Frage.

„Sag mir mal eins,“ sagte ich„Ja?“ fragte sie mit tränenerstickter Stimme.„Was hast du gedacht, bevor ich um die Ecke kam? Ich hab deinen Gesichtsausdruck nicht

verstanden – du sahst nicht besonders ängstlich aus, eher als würdest du dich stark konzentrieren.“ Ich erinnerte mich an ihr Gesicht – zwang mich dazu nicht daran zu denken, durch wessen Augen ich es gesehen hatte – den Ausdruck wilder Entschlossenheit darin.

„Ich habe versucht mich daran zu erinnern, wie man einen Angreifer unschädlich macht,“ sagte sie mit gefassterer Stimme. „du weißt schon, Selbstverteidigung. Ich wollte ihm seine Nase in sein Gehirn rammen.“ Ihre Fassung hielt nicht an bis zum Ende ihrer Erklärung. Ihr Tonfall änderte sich bis er hasserfüllt war. Es war keine Übertreibung und ihre Kätzchenhafte Wut hatte dieses Mal nichts Amüsantes. Ich konnte ihre zerbrechliche Figur sehen – Seide über Glas – überschattet von den großen kräftigen menschlichen Monstern die sie verletzt hätten. Die Wut kochte in meinem Hinterkopf auf.

„Du wolltest mit ihnen kämpfen?“ ich wollte stöhnen. Ihre Instinkte waren lebensgefährlich – für sie selbst. „Hast du nicht daran gedacht wegzurennen?“

„Ich falle oft hin, wenn ich renne,“ sagte sie kleinlaut.„Was ist mit schreien?“„Dazu wollte ich gerade kommen.“Ich schüttelte ungläubig meinen Kopf. Wie hatte sie es geschafft am Leben zu bleiben bevor

sie nach Forks kam?„Du hattest recht,“ sagte ich zu ihr mit einem bitteren Unterton. „Ich fordere wirklich das

Schicksal heraus wenn ich versuche dich zu beschützen.“Sie seufzte und warf einen Blick aus dem Fenster. Dann sah sie mich wieder an.„Sehe ich dich morgen?“ fragte sie plötzlich.So lange ich auf dem Weg in die Hölle war – ich würde die Reise genießen.

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„Ja – ich muss auch noch einen Aufsatz abgeben.“ Ich lächelte sie an und es fühlte sich gut an das zu tun. „Ich halte dir in der Pause einen Platz frei.“

Ihr Herz flatterte; mein totes Herz fühlte sich plötzlich wärmer an.Ich hielt vor dem Haus ihres Vaters an. Sie machte keine Anstalten mich zu verlassen.„Versprichst du mir, dass du morgen da sein wirst?“ beharrte sie.„Ich verspreche es.“Wieso machte es mich so glücklich das falsche zu tun? Es musste etwas Falsches daran sein.Sie nickte zufrieden und fing an meine Jacke auszuziehen.„Du kannst sie behalten,“ bot ich ihr schnell an. Ich wollte ihr gerne etwas von mir dalassen.

Ein Andenken, so wie der Flaschendeckel, der jetzt in meiner Tasche steckte… „Du hast keine Jacke für morgen.“

Sie gab mir die Jacke zurück und lächelte mich reumütig an. „Ich möchte es Charlie nicht erklären müssen,“ erklärte sie mir.

Das konnte ich mir vorstellen. Ich lächelte sie an. „Oh, stimmt.“Sie legte ihre Hand an den Türgriff und hielt inne. Sie wollte genauso wenig gehen, wie ich sie

gehen lassen wollte.Sie ungeschützt zu lassen, auch nur für wenige Augenblicke…Peter und Charlotte waren schon lange auf dem Weg, weit hinter Seattle, kein Zweifel. Aber

es gab immer noch andere. Diese Welt war kein sicherer Ort für einen Menschen und für sie wirkte sie noch gefährlicher als für irgendjemanden sonst.

„Bella?“ fragte ich, überrascht von dem befriedigenden Gefühl dass ich verspürte wenn ich nur ihren Namen aussprach.

„Ja?“„Versprichst du mir etwas?“„Ja,“ stimmte sie bereitwillig zu und dann verengte sie ihre Augen als ob sie über einen

Grund nachdachte meine Bitte abzuschlagen.„Geh nicht alleine in den Wald.“ Warnte ich sie und fragte mich, ob diese Bitte etwas wäre,

das sie lieber abschlagen würde.Sie blinzelte verwirrt. „Warum?“Ich warf einen Blick auf die nicht gerade vertrauenswürdige Dunkelheit. Die Schwärze der

Nacht war kein Problem für meine Augen, aber genauso wenig war sie ein Problem für jeden anderen Jäger. Nur Menschen machte sie blind.

„Ich bin nicht immer die größte Gefahr da draußen,“ erklärte ich ihr. „Belassen wir es einfach dabei.“

Sie schüttelte sich, fing sich aber schnell wieder und lächelte sogar als sie sagte, „Was immer du sagst.“

Ihr Atem berührte mein Gesicht, so süß und wohlriechend.Ich könnte die ganze Nacht so sitzen bleiben, aber sie brauchte ihren Schlaf. Das Verlangen

sie zu warnen und das sie zu schützen waren absolut gleichwertig als sie ihren Kampf in mir führten.Ich seufzte über das Unmögliche. „Wir sehen uns dann morgen,“ sagte ich in dem

Bewusstsein, dass ich sie viel früher wiedersehen würde. Aber sie würde mich nicht vor morgen sehen.

„Morgen also,“ stimmte sie zu als sie die Tür öffnete.Wieder eine Qual sie gehen zu sehen.Ich lehnte mich zu ihr und wollte sie aufhalten. „Bella?“

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Sie drehte sich um und erstarrte vor Überraschung als sie sah wie nahe unsere Gesichter sich waren.

Auch ich war überwältigt von dieser Nähe. Die Hitze strömte in Wellen aus ihrem Körper und streichelte mein Gesicht. Ich konnte fast ihre seidige Haut spüren…

Ihr Herzschlag stotterte und ihr Mund klappte auf.„Schlaf gut,“ flüsterte ich und lehnte mich zurück bevor das Verlangen meines Körpers –

weder der bekannte Durst noch der neue und seltsame Hunger den ich plötzlich fühlte – mich dazu verleitete irgendetwas zu tun, dass sie verletzen könnte.

Sie saß noch einen Moment lang da, bewegungslos und mit geweiteten Augen. Geblendet vermutete ich.

Genau wie ich.Sie fasste sich wieder – obwohl ihr Gesicht immer noch etwas verwirrt aussah – und fiel fast

aus dem Auto während sie über ihre Füße stolperte und musste sich am Auto festhalten.Ich kicherte – hoffentlich zu leise für sie um es zu hören.Ich beobachtete wie sie den Weg entlang stolperte bis sie den Lichtkegel erreichte der die

Eingangstür umgab. Sicher für diesen Moment. Und ich würde bald zurück sein um mich davon zu überzeugen.

Ich konnte spüren wie ihre Augen mir folgten, als ich die dunkle Straße hinunterfuhr. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich. Normalerweise konnte ich mich selbst durch die folgenden Augen beobachten. Aber das hier war seltsam aufregend – dieses unfassbare Gefühle von Augen in meinem Rücken. Ich wusste dass es nur daran lag, dass es ihre Augen waren.

Eine Millionen Gedanken rasten durch meinen Kopf während ich ziellos durch die Nacht fuhr.Ich kurvte lange durch die Straßen und dachte an Bella und die unglaubliche Erleichterung die

ich verspürte, jetzt da die Wahrheit heraus war. Ich musste mir nicht länger Sorgen machen, dass sie herausfinden könnte, was ich war. Sie wusste es. Es war ihr egal. Obwohl es für sie offensichtlich etwas Schlechtes war, war es für mich unglaublich befreiend.

Aber noch viel mehr dachte ich über Bellas erwiderte Liebe nach. Sie konnte mich nicht genauso lieben, wie ich sie liebte – eine solche übermächtige, alles verzehrende, erdrückende Liebe würde vermutlich ihren zerbrechlichen Körper zerstören. Aber ihre Gefühle waren stark genug. Genug um die instinktive Angst zu besiegen. Genug um mit mir zusammen sein zu wollen. Und mit ihr zusammen zu sein, war die größte Freude, die ich je verspürt hatte.

Für eine Weile – während ich allein war und ausnahmsweise niemand anderen verletzte – erlaubte ich mir diese Freude zu empfinden ohne an die damit verbundene Tragödie zu denken. Ich war einfach nur glücklich, dass sie mich mochte. Ich jubelte über den Triumph, ihre Liebe gewonnen zu haben. Ich stellte mir vor wie wir Tag für Tag nebeneinander sitzen würden, wie ich ihre Stimme hören und sie zum lächeln bringen würde.

Ich wiederholte das Lächeln in meinen Gedanken, sah wie sich ihre vollen Lippen an den Mundwinkeln nach oben bogen, das angedeutete Grübchen, auf ihrem spitzen Kinn, wie ihre Augen warm wurden und schmolzen… Ihre Finger hatten sich heute so warm und sanft auf meiner Haut angefühlt. Ich stellte mir vor, wie sich die zarte Haut über ihren Wangenknochen anfühlen musste – seidig, warm… so zerbrechlich. Seid über Glas… beängstigend zerbrechlich.

Ich sah nicht wo meine Gedanken hinführten bis es zu spät war. Während ich auf dieser verheerenden Verwundbarkeit verweilte, störten andere Bilder ihres Gesichtes meine Fantasien.

Verloren in den Schatten, bleich vor Angst – und dennoch waren ihre Lippen zusammengepresst, ihre Augen fest entschlossen, voller Konzentration, ihr schmaler Körper gestrafft um die massigen Figuren zurückzuschlagen die um sie herum standen, Albträume in der Dunkelheit…

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„Ah,“ stöhnte ich als der siedende Hass den ich vor lauter Freude über ihre Liebe vollkommen vergessen hatte, erneut in einem Inferno aus Wut über mich einstürzte.

Ich war allein. Bella war sicher zu Hause; für einen Moment war ich wahnsinnig erleichtert darüber dass Charlie Swan – der Kopf der örtlichen Gesetzeshüter, ausgebildet und bewaffnet – ihr Vater war. Das hatte etwas zu bedeuten, verschaffte ihr einen Unterschlupf.

Sie war in Sicherheit. Es würde nicht lange dauern, diese Beleidung zu rächen…Nein. Sie verdiente etwas Besseres. Ich konnte es nicht zulassen, dass sie etwas für einen

Mörder empfand.Aber… was war mit den anderen?Bella war in Sicherheit, ja. Angela und Jessica waren bestimmt auch sicher in ihren Betten.Dennoch lief ein Monster frei herum in den Straßen von Port Angeles. Ein menschliches

Monster – machte ihn das zu einem menschlichen Problem? Den Mord zu begehen nachdem es mich verlangte war falsch. Das wusste ich. Aber ihm die Möglichkeit zu lassen, wieder jemanden anzugreifen war auch nicht richtig.

Die blonde Hostess vom Restaurant. Die Kellnerin die ich nie wirklich angesehen hatte. Beide hatten mich auf lächerliche Weise genervt, aber deshalb verdienten sie noch lange keine Gefahr.

Jede von ihnen war vielleicht für irgendjemanden seine Bella.Diese Erkenntnis ließ mich eine Entscheidung treffen.Ich wendete den Wagen Richtung Norden und beschleunigte, nun da ich ein Ziel hatte. Wann

immer ich ein Problem hatte, dass zu groß für mich war – etwas handfestes wie dieses hier – wusste ich wo ich Hilfe finden konnte.

Alice saß auf der Veranda und wartete auf mich. Ich hielt direkt vor dem Haus, statt zur Garage durch zu fahren.

„Carlisle ist in seinem Arbeitszimmer,“ sagte Alice bevor ich fragen konnte.„Danke,“ sagte ich und wuschelte durch ihr Haar, als ich an ihr vorbeiging.Danke dass du mich zurückgerufen hast, dachte sie sarkastisch.„Oh,“ ich hielt vor der Tür inne und holte mein Handy aus der Tasche. „Tut mir leid. Ich hab

nicht mal nachgesehen, wer es war. Ich war… beschäftigt.“„Ja, ich weiß. Es tut mir auch leid. Als ich sah was passieren würde, warst du schon

unterwegs.“„Es war knapp,“ murmelte ich.Tut mir leid, wiederholte sie beschämt.Es war leicht gnädig zu sein, in dem Wissen, das es Bella gut ging. „Mach dir keine Sorgen. Ich

weiß, dass du nicht auf alles achten kannst. Niemand erwartet von dir, dass du allwissend bist, Alice.“„Danke.“„Ich hätte dich heute Abend fast zum Essen eingeladen – hast du das gesehen bevor ich

meine Meinung geändert habe?“Sie grinste. „Nein, das habe ich auch verpasst. Ich wünschte ich hätte es gewusst. Ich wäre

gekommen.“„Worauf hast du dich denn konzentriert, dass du so viel verpasst hast?“Jasper denkt über unseren Jahrestag nach. Sie lachte. Er versucht sich nicht für ein Geschenk

zu entscheiden, aber ich glaube ich kann es mir ungefähr vorstellen…„Du bist echt skrupellos.“„Jap.“Sie schürzte ihre Lippen und schaute zu mir auf mit einem leicht vorwurfsvollen Ausdruck.

Später habe ich besser aufgepasst. Wirst du ihnen sagen, dass sie es weiß?

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Ich seufzte. „Ja. Später.“Ich werde nichts sagen. Tu mir einen Gefallen, und sag es Rosalie wenn ich nicht in der Nähe

bin, okay?Ich zuckte mit den Schultern. „Klar.“Bella hat es ziemlich gut aufgenommen.„Zu gut.“Alice grinste mich an. Unterschätz Bella nicht.Ich versuchte das Bild auszublenden, dass ich nicht sehen wollte – Bella und Alice, beste

Freunde.Ich seufzte schwer vor Ungeduld. Ich wollte den nächsten Teil des Abends schnell hinter mich

bringen; Ich wollte, dass es vorbei war. Aber ich machte mir ein wenig Sorgen Forks zu verlassen…„Alice…“ fing ich an. Sie sah was ich vor hatte zu fragen.Heute Nacht wird ihr nichts passieren. Ich werde jetzt besser aufpassen. Sie braucht eine

vierundzwanzig stündige Überwachung, nicht war?„Mindestens.“„Aber abgesehen davon wirst du bald wieder bei ihr sein.“Ich atmete tief durch. Ihre Worte taten gut.„Na los – bring es hinter dich, damit du da sein kannst wo du sein willst,“ sagte sie.Ich nickte und eilte hinauf zu Carlisles Zimmer.Er wartete bereits auf mich mit dem Blick auf die Tür geheftet, statt auf das dicke Buch das

vor ihm lag.„Ich hab gehört, dass Alice dir gesagt hat, wo du mich finden kannst,“ sagte er und lächelte.Es war eine Erleichterung bei ihm zu sein, sein Einfühlungsvermögen und seine Intelligenz in

seinen Augen zu sehen. Carlisle würde wissen, was zu tun ist.„Ich brauche Hilfe.“„Was immer du willst, Edward,“ versprach er.„Hat Alice dir erzählt, was Bella heute Abend passiert ist?“Was fast passiert ist, korrigierte er mich.„Ja, fast. Ich hab ein Problem Carlisle. Weißt du, ich möchte ihn… wirklich sehr gern… töten.“

Die Worte kamen schnell und leidenschaftlich aus mir heraus. „So sehr. Aber ich weiß, das wäre falsch, denn es wäre Rache und keine Gerechtigkeit. Es wäre nur aus Zorn und nicht objektiv. Aber dennoch kann es nicht richtig sein, einen Triebtäter und Serienmörder frei in Port Angeles herumlaufen zu lassen! Ich kenne die Menschen dort nicht, aber ich kann auch nicht zulassen, dass jemand anderes Bellas Platz einnimmt. Diese andere Frau – jemand empfindet vielleicht genauso für sie, wie ich für Bella. Er würde genauso leiden wie ich gelitten hätte, wenn Bella verletzt worden wäre. Es ist nicht richtig…“

Sein breites unerwartetes Lächeln unterbrach den Fluss meiner Worte.Sie tut dir sehr gut, nicht war? So viel Mitgefühl, so viel Selbstkontrolle. Ich bin beeindruckt.„Ich bin nicht wegen Komplimenten hier, Carlisle.“„Natürlich nicht. Aber ich kann nichts für meine Gedanken, nicht war?“ Er lächelte wieder.

„Ich kümmere mich darum. Du kannst beruhigt sein. Niemand wird an Bellas Stelle verletzt werden.“Ich sah den Plan in seinem Kopf. Es war nicht wirklich das was ich wollte, es stellte mein

Verlangen nach Brutalität nicht zufrieden, aber ich wusste, dass es das Richtige war.„Ich zeige dir wo du sie finden kannst,“ sagte ich.„Dann lass uns gehen.“

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Er hob seine schwarze Tasche im Vorbeigehen auf. Ich hätte einen Aggressiveren Weg bevorzugt – wie einen gespaltenen Schädel – aber ich würde es Carlisle auf seine Weise regeln lassen.

Wir nahmen meinen Wagen. Alice stand immer noch auf den Treppenstufen an der Veranda. Sie grinste und winkte als wir davonfuhren. Ich sah, was sie für uns vorhergesehen hatte, wir würden keine Schwierigkeiten haben.

Die Fahrt auf der dunklen leeren Straße war sehr kurz. Ich schaltete die Scheinwerfer nicht an um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich musste lächeln bei dem Gedanken wie Bella auf diese Handlung reagiert hätte. Ich war bereits langsamer gefahren als sonst – um meine Zeit mit ihr zu verlängern – als sie sich beschwert hatte.

Carlisle dachte auch an Bella.Ich hätte nicht gedacht, dass sie gut für ihn ist. So unerwartet. Vielleicht war es irgendwie

Vorherbestimmt. Vielleicht dient es einem höheren Zweck. Außer…Er stellte sich Bella mit schneeweißer Haut und blutroten Augen vor und verwarf die

Vorstellung dann wieder.Ja. Außer. Genau. Denn wie konnte irgendetwas gut daran sein etwas so Reines und Schönes

zu zerstören?Ich starrte finster in die Nacht, all die Freude der vergangen Stunde zerstört von seinen

Gedanken.Edward verdient es glücklich zu sein. Das Schicksal schuldet es ihm. Die Schärfe in Carlisles

Gedanken überraschte mich. Es muss einen Weg geben.Ich wünschte ich könnte es glauben – beides. Aber da war kein höherer Zweck in dem was

Bella passierte. Nur eine bösartige Harpyie, ein hässliches, bitteres Verhängnis das es nicht ertragen konnte, Bella das Leben zu lassen, das sie verdiente.

Ich blieb nicht in Port Angeles. Ich brachte Carlisle zu der Spelunke wo die Kreatur namens Lonnie sein Enttäuschung mit seinen Kumpels mit Alkohol hinunterspülte – zwei von ihnen waren bereits gegangen. Carlisle konnte sehen wie schwer es für mich war, ihnen so nah zu sein – seine Gedanken zu sehen, seine Erinnerungen an Bella die vermischt waren mit anderen Mädchen die weniger Glück gehabt hatten und denen niemand mehr helfen konnte.

Mein Atem beschleunigte. Ich umklammerte das Lenkrad.Geh, Edward, sagte er sanft. Ich sorge dafür dass keine von ihnen mehr in Gefahr sein wird.

Geh zurück zu Bella.Das war genau das richtige was er sagen konnte. Ihr Name war die einzige Ablenkung die

etwas bei mir bewirkte.Ich ließ ihn allein im Wagen und rannte geradewegs durch den schlafenden Wald zurück nach

Forks. Es ging schneller als der Hinweg in dem rasenden Auto. Nur wenige Minuten später kletterte ich die Hauswand hinauf und schob ihr Fenster beiseite.

Ich seufzte leise vor Erleichterung. Alles war so wie es sein sollte. Bella lag sicher in ihrem Bett und träumte, ihre nassen Haare wie Seegras auf ihrem Kissen ausgebreitet.

Aber anders als in den anderen Nächten, lag sie zusammengerollt wie ein Ball da und hatte die Decke eng um ihre Schultern geschlungen. Vor Kälte, vermutete ich. Bevor ich mich auf meinen üblichen Platz setzen konnte, schüttelte sie sich im Schlaf und ihre Lippen bebten.

Ich dachte kurz nach und schlüpfte dann durch die Tür in den Flur hinaus um einen anderen Teil ihres Hauses zum ersten Mal zu erkunden.

Charlies Schnarchen war laut und gleichmäßig. Ich schnappte einen Bruchteil seines Traumes auf. Irgendetwas mit strömendem Wasser und geduldiger Erwartung… vielleicht angeln?

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Da, am oberen Ende der Treppe war ein viel versprechend aussehender Schrank. Ich öffnete ihn hoffnungsvoll und fand wonach ich gesucht hatte. Ich nahm die am dicksten aussehende Decke von dem Stoffberg und brachte sie in ihr Zimmer. Ich würde sie zurückbringen bevor Bella aufwachte und niemand würde etwas merken.

Während ich meinen Atem anhielt breitete ich die Decke vorsichtig über ihr aus; sie reagierte nicht auf das zusätzliche Gewicht. Ich setzte mich wieder in den Schaukelstuhl.

Während ich gebannt darauf wartete, dass es ihr wärmer wurde, dachte ich an Carlisle und fragte mich, wo er wohl gerade war. Ich wusste, dass sein Plan aufgehen würde – Alice hatte es gesehen.

An meinen Vater zu denken brachte mich zum seufzen – Carlisle hatte zu viel Vertrauen in mich. Ich wünschte ich wäre die Person die er in mir sah. Die Person die Glück verdiente, die hoffen konnte, dieses schlafenden Mädchen wert zu sein. Wie viel anders die Dinge wären, wenn ich dieser Edward sein könnte.

Als ich darüber nachdachte, erfüllte ein seltsames Bild meine Gedanken.Für einen Augenblick verwandelte sich das hexenhafte, verhängnisvolle Gesicht, dass sich

nach Bellas Zerstörung sehnte, in das eines törichten und sorglosen Engels. Ein Schutzengel – irgendetwas das Carlisles Version von mir teilte. Mit einem achtlosen Lächeln auf den Lippen, seine himmelblauen Augen voller Übermut, gestaltete der Engel Bella auf eine Art und Weise in der ich sie nicht übersehen konnte. Ein lächerlich starker Duft, der meine Aufmerksamkeit forderte, ein stummer Geist der meine Neugierde entfachte, ein stille Schönheit die meine Augen auf sich zog, eine selbstlose Seele die meine Ehrfurcht verdiente. Ohne den natürlichen Selbsterhaltungstrieb – damit Bella es aushielt in meiner Nähe zu sein – und, letztlich, noch eine Priese erschreckend großes Pech.

Mit einem unerschrockenen Lachen, trieb der verantwortungslose Engel Bella in meine Arme und vertraute munter darauf, dass ich Bella trotz meiner fehlerhaften Moral am Leben ließ.

In dieser Vision war ich nicht Bellas Richterspruch; sie war meine Belohnung.Ich schüttelte meinen Kopf über diesen verantwortungslosen Engel. Er war nicht besser als

die Harpyie. Ich konnte eine höhere Macht die so gefährlich und dumm handelte nicht gut heißen. Dann lieber das hässliche Schicksal das ich bekämpfen konnte.

Und ich hatte keinen Engel. Sie waren für die Guten reserviert – für Menschen wie Bella. Also wo war ihr Engel die ganze Zeit? Wer wachte über sie?

Ich lachte leise, aufgeschreckt von der Erkenntnis, dass in diesem Moment ich diese Rolle einnahm.

Ein Vampir-Engel.Nach ungefähr einer halben Stunde rollte Bella sich entspannt auseinander. Sie atmete tiefer

und begann zu murmeln. Ich lächelte zufrieden. Es war nur eine kleine Sache, aber immerhin schlief sie in dieser Nacht besser, weil ich hier war.

„Edward,“ seufzte sie und lächelte auch.Für diesen Moment schob ich alles Unheil beiseite und war einfach nur glücklich.

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11. Befragungen

CNN brachte die Story direkt als aller erstes.Ich war froh, dass es in den Nachrichten kam bevor ich zur Schule aufbrechen musste, ich

konnte es nicht abwarten zu hören, wie die Menschen den Bericht formulieren würden, wie viel Aufmerksamkeit sie ihm schenkten. Glücklicherweise war der Tag voller Neuigkeiten. Es gab ein Erdbeben in Südamerika und eine politische Entführung im mittleren Osten. Die Nachricht bestand nur aus wenige Sekunden, ein paar Sätzen und einem körnigen Bild.

„Alonzo Calderas Wallace, wurde wegen mehrfacher Vergewaltigung und Mord in Texas und Oklahoma gesucht. Er wurde in den frühen Morgenstunden bewusstlos in der Nähe eines Polizeireviers gefunden. Im Moment ist noch nicht klar, ob man ihn nach Houston oder Oklahoma City überführen wird, damit er dort vor Gericht gestellt wird.“

Das Bild war unscharf, ein Fahndungsfoto, und zu der Zeit als das Foto aufgenommen wurde hatte er einen dichten Vollbart. Selbst wenn Bella den Bericht sah, würde sie ihn vermutlich nicht erkennen. Das hoffte ich jedenfalls; es würde sie nur unnötig aufregen.

„Die Untersuchungen hier in der Stadt werden nur sehr knapp ausfallen. Es ist zu weit entfernt um von lokalem Interesse zu sein,“ erkläre mir Alice. „Es war gut, dass Carlisle ihn aus dem Staat geschafft hat.“

Ich nickte. Bella schaute nicht viel Fern und ich hatte ihren Vater noch nie etwas anderes als Sportsendungen anschauen sehen.

Ich hatte getan, was ich konnte. Dieses Monster jagte nicht länger und ich war kein Mörder. Jedenfalls nicht kürzlich. Es war richtig gewesen Carlisle zu vertrauen, dennoch wünschte ich mir, das Monster wäre nicht so einfach davon gekommen. Ich erwischte mich bei der Hoffnung, dass er nach Texas ausgeliefert werden würde, wo die Todesstrafe immer noch in Kraft war…

Nein. Das war egal. Ich würde damit abschließen und mich auf wichtigere Dinge konzentrieren.

Ich hatte Bellas Zimmer vor nicht ganz einer Stunde verlassen und ich konnte es schon wieder kaum erwarten sie endlich wieder zu sehen.

„Alice, würde es dir etwas ausmachen...“Sie unterbrach mich. „Rosalie wird uns fahren. Sie wird verärgert sein, aber du kannst dir

sicher vorstellen, dass sie die Ausrede gern nutzen wird um ihren Wagen vorzuführen.“ Alice lachte glockenhell.

Ich grinste sie an. „Wir sehen uns dann in der Schule.“Alice seufzte und mein Grinsen wurde zu einer Grimasse.Ich weiß, ich weiß, dachte sie. Noch nicht. Ich warte bis du bereit dafür bist, dass Bella mich

kennenlernt. Aber du solltest wissen, dass das nicht nur egoistisch von mir ist. Bella wird mich auch mögen.

Ich antwortete ihr nicht und eilte zur Tür hinaus. Das war ein ganz anderer Blickwinkel. Würde Bella Alice kennenlernen wollen? Einen Vampir zur Freundin haben wollen?

So wie ich Bella kannte… würde ihr diese Vorstellung vermutlich gar nichts ausmachen.Ich runzelte die Stirn. Was Bella wollte und was das Beste für sie war, waren zwei sehr

unterschiedliche Dinge.

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Als ich meinen Wagen in Bellas Einfahrt parkte, begann ich mich unwohl zu fühlen. Ein menschliches Sprichwort besagt, dass die Dinge am nächsten Morgen ganz anders aussehen – dass die Dinge sich ändern, wenn man eine Nacht darüber geschlafen hat. Würde ich für Bella anders aussehen in dem blassen Licht eines nebeligen Morgens? Unheimlicher oder weniger unheimlich als in der Schwärze der Nacht? War die Wahrheit zu ihr durchgedrungen während sie geschlafen hatte? Würde sie letztlich doch Angst haben?

Ihre Träume waren friedlich gewesen letzte Nacht. Als sie immer und immer wieder meinen Namen genannt hatte, hatte sie gelächelt. Mehr als einmal hatte sie mich im Schlaf gebeten zu bleiben. Würde das heute nichts mehr bedeuten?

Ich wartete nervös und lauschte auf die Geräusche, die sie im Haus verursachte – die schnellen Schritte auf der Treppe, das Reißen einer Schutzfolie, die Inhalte des Kühlschranks die aneinander schlugen beim Schließen der Tür. Es hörte sich an, als hätte sie es eilig. Konnte sie es nicht erwarten zur Schule zu kommen? Der Gedanke brachte mich wieder hoffnungsvoll zum lächeln.

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es hatte den Anschein – wenn man bedachte dass ihr altersschwacher Truck in seiner Geschwindigkeit stark beeinträchtigt war – dass sie wirklich spät dran war.

Bella stürmte aus dem Haus und ihre Schultasche rutschte ihr von der Schulter, ihr Haar war nur lose zusammengebunden und der Zopf rutschte in ihrem Nacken bereits wieder heraus. Der dicke grüne Pullover verhinderte nicht, dass sie ihre schmalen Schultern in der Kälte des Nebels anzog.

Der lange Pulli war zu groß für sie, unförmig. Er verbarg ihre schlanke Figur und verwandelte all ihre zarten Kurven in eine unförmige Masse. Ich begrüßte diese Tatsache genauso wie ich mir gewünscht hätte, sie hätte etwas in der Art an, wie die blaue Bluse, die sie letzte Nacht getragen hatte… der Stoff hatte sich so sanft an ihre Haut angeschmiegt und war tief genug ausgeschnitten gewesen um ihre Schlüsselbeine, die sich von der kleinen Mulde unter ihrer Kehle abhoben, auf hypnotisierende Weise zu entblößen. Das Blau war wie Wasser um ihre zarte Figur geflossen…

Es war besser – unverzichtbar – dass sich meine Gedanken sehr weit von diesem Anblick entfernten, daher war ich dankbar dafür, dass sie diesen unförmigen Pullover trug. Ich konnte es mir nicht leisten Fehler zu machen und es wäre ein fataler Fehler diesem seltsamen Verlangen nachzugeben, das ihre Lippen… ihre Haut… ihr Körper… in mir entfachte. Ein Verlangen, dass seit Jahren aus mir gewichen war. Aber ich konnte mir nicht erlauben daran zu denken, sie zu berühren, das war unmöglich.

Ich würde sie zerbrechen.Bella drehte der Haustür in einer solchen Eile den Rücken zu, dass sie beinahe an meinem

Wagen vorbeigestürmt wäre ohne ihn überhaupt wahrzunehmen.Ich stieg aus und gab mir keine Mühe darauf zu achten mich mit menschlicher

Geschwindigkeit zu bewegen, als ich den Wagen umrundete und die Beifahrertür für sie öffnete. Ich würde nicht mehr versuchen sie zu täuschen – zumindest wenn wir allein waren würde ich Ichselbst sein.

Sie sah verwirrt zu mir auf, als ich aus dem Nichts aufzutauchen schien. Und dann verwandelte sich die Überraschung in ihrem Blick in etwas anderes und ich hatte keine Angst mehr – oder Hoffnung – dass ihre Gefühle für mich sich über Nacht geändert haben könnten. Wärme, Verwunderung, Faszination, all das schwamm in der geschmolzenen Schokolade ihrer Augen.

„Möchtest du heute mit mir fahren?“ fragte ich. Anders als bei dem Essen gestern Abend würde ich ihr die Wahl lassen. Von jetzt an würde sie immer eine Wahl haben.

„Ja, danke,“ murmelte sie und stieg ohne zu zögern ein.

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Würde der Nervenkitzel jemals aufhören den ich empfand weil ich derjenige war, zu dem sie Ja sagte? Ich bezweifelte es.

Ich konnte es kaum erwarten wieder neben ihr zu sitzen, also raste ich um das Auto herum. Sie wirkte kein bisschen überrascht von meinem plötzlichen Auftauchen auf dem Fahrersitz neben ihr.

Das Glück dass ich empfand, jetzt da sie so neben mir saß, war vollkommen. So sehr ich die Liebe und Kameradschaft meiner Familie genoss, trotz der vielfältigen Unterhaltung und Ablenkung die die Welt zu bieten hatte, war ich noch nie so glücklich gewesen. Auch wenn ich wusste, dass es falsch war, dass es sehr wahrscheinlich kein gutes Ende nehmen würde, konnte ich das Lächeln nicht lange zurückhalten.

Meine Jacke hing über der Kopfstütze ihres Sitzes. Ich sah wie sie sie beäugte.„Ich hab dir die Jacke mitgebracht,“ erklärte ich ihr. Das war meine Entschuldigung gewesen,

für den Fall dass ich eine gebraucht hätte, um heute Morgen vor ihrer Tür zu stehen. Es war kalt. Sie hatte keine Jacke. Das war sicher eine akzeptable Kavaliersgeste. „ich wollte nicht, dass du dich erkältest oder so etwas.“

„So empfindlich bin ich nicht,“ sagte sie und starrte mehr auf meine Brust als auf mein Gesicht, als ob sie zögerte mir in die Augen zu sehen. Aber sie zog die Jacke an, bevor ich es ihr befehlen oder aufschwatzen musste.

„Bist du nicht?“ murmelte ich zu mir selbst.Sie starrte auf die Straße während ich beschleunigte und Richtung Schule fuhr. Ich hielt die

Stille nur wenige Sekunden aus. Ich musste wissen, was sie heute Morgen dachte. Es hatte sich so viel zwischen uns geändert seit die Sonne das letzte Mal aufgegangen war.

„Was denn, keine zwanzig Fragen heute?“ fragte ich und versuchte es wieder langsam anzugehen.

Sie lächelte und wirkte erleichtert darüber, dass ich das Thema angesprochen hatte. „Stören dich meine Fragen?“

„Nicht so sehr wie deine Reaktionen,“ gab ich ehrlich zu und erwiderte ihr Lächeln.Sie verzog ihren Mund. „Sind meine Reaktionen schlecht?“„Nein, das ist ja das Problem. Du nimmst alles so locker auf – es ist unnatürlich.“ Nicht ein

Schrei bis jetzt. Wie konnte das sein? „Ich frag mich was du wirklich denkst.“ Diese Frage stellte ich mir natürlich bei allem was sie tat oder nicht tat.

„Ich sage dir immer, was ich wirklich denke.“„Du behältst Dinge für dich.“Sie biss sich wieder auf die Lippe. Sie schien es nicht zu bemerken, wenn sie das tat – es war

wohl eine unbewusste Reaktion auf Anspannung. „Nicht viele.“Diese wenigen Worte reichten aus um meine Neugierde zu steigern. Was enthielt sie mir

bewusst vor?„Genug um mich wahnsinnig zu machen,“ sagte ich.Sie zögerte und flüsterte dann, „Du willst es gar nicht hören.“Ich musste einen Augenblick nachdenken, ging unsere Unterhaltung der letzten Nacht Wort

für Wort durch, bevor ich den Zusammenhang verstand. Vielleicht musste ich mich so sehr konzentrieren, weil ich mir nichts vorstellen konnte, dass ich sie nicht sagen hören wollte. Und dann – weil der Tonfall in ihrer Stimme der gleiche war wie letzt Nacht; plötzlich voller Schmerz – erinnerte ich mich. Ich hatte sie einmal gebeten ihre Gedanken nicht auszusprechen. Sag das niemals, hatte ich sie angeknurrt. Ich hatte sie zum Weinen gebracht…

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War es das was sie vor mir verheimlichte? Die Tiefe ihrer Gefühle für mich? Dass es ihr nichts ausmachte, dass ich ein Monster war und dass es zu spät für sie war um ihre Meinung zu ändern?

Ich konnte nicht sprechen, denn die Freude und der Schmerz waren zu groß um sie in Worte zu fassen, der Kampf zwischen ihnen zu hart um eine angebrachte Antwort zuzulassen. Abgesehen von dem gleichmäßigen Rhythmus ihres Herzens und ihres Atems war es still im Auto.

„Wo ist der Rest deiner Familie?“ fragte sie plötzlich.Ich atmete tief durch – registrierte den Duft im Wagen das erste mal mit heftigem Schmerz;

ich bemerkte zufrieden, dass ich mich daran gewöhnte – und zwang mich dazu wieder lässig zu sein.„Sie haben Rosalies Auto genommen.“ Ich parkte auf dem freien Platz neben dem in Frage

kommenden Auto. Ich unterdrückte ein Lächeln als ich sah, wie sich ihre Augen weiteten. „Prahlerisch, nicht war?“

„Ähm, wow. Wenn sie so einen Wagen hat, warum fährt sie dann immer mit dir?“Rosalie hätte Bellas Reaktion genossen… wenn sie Bella gegenüber objektiv gewesen wäre,

was definitiv nicht der Fall war.„Wie ich schon sagte, es ist prahlerisch. Wir versuchen nicht aufzufallen.“„Das gelingt euch nicht,“ sagte sie mir und lachte erleichtert.Ihr munteres vollkommen sorgloses Lachen erwärmte meine hohle Brust genauso wie es

meinen Kopf vor Zweifel schwirren ließ.„Also, warum ist Rosalie heute mit ihrem Wagen gefahren, wenn er so auffällig ist?“ fragte

sie.„Hast du es noch nicht bemerkt? Ich breche jetzt alle Regeln“Meine Antwort sollte ein kleines bisschen beängstigend klingen – selbstverständlich lächelte

Bella darüber.Sie wartete nicht, bis ich ihr die Tür öffnete, genau wie letzte Nacht. Ich musste mich hier in

der Schule normal verhalten – also konnte ich mich nicht schnell genug bewegen um das zu verhindern – aber sie würde sich daran gewöhnen müssen, mit mehr Zuvorkommenheit behandelt zu werden, und sie würde sich schnell daran gewöhnen müssen.

Ich ging so dicht neben ihr her, wie ich es mir erlaubte und achtete darauf, ob diese Nähe sie störte. Zweimal zuckte ihre Hand in meine Richtung doch dann zog sie sich schnell zurück. Es sah so aus, als wollte sie mich berühren… mein Atmen wurde schneller.

„Warum habt ihr überhaupt solche Autos? Wenn ihr nicht auffallen wollt?“ fragte sie während wir gingen.

„Eine Schwäche,“ gab ich zu. „Wir fahren alle gerne schnell.“„Das passt,“ murmelte sie.Sie sah nicht mehr auf und daher entging ihr mein antwortendes Grinsen.Oh nein! Das glaub ich nicht! Wie zum Teufel hat Bella das angestellt? Ich kapiers nicht!

Warum?Jessicas mentaler Schock unterbrach meine Gedanken. Sie wartete unter dem Vordach der

Cafeteria um sich vor dem Regen zu schützen, mit Bellas Winterjacke über dem Arm. Ihre Augen waren ungläubig aufgerissen.

Bella bemerkte sie einen Augenblick später. Ein helles Rot schoss in ihre Wangen, als sie den Ausdruck auf Jessicas Gesicht sah. Die Gedanken in Jessicas Kopf waren ziemlich deutlich in ihrem Gesicht zu lesen.

„Hey, Jessica. Danke, dass du daran gedacht hast,“ grüßte Bella sie. Sie streckte die Hand nach ihrer Jacke aus und Jessica reichte sie ihr wortlos.

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Ich sollte höflich zu Bellas Freunden sein, egal ob sie gute Freunde waren oder nicht. „Guten Morgen, Jessica.“

Wow…Jessicas Augen wurden noch größer. Es war seltsam und amüsant… und, ehrlichgesagt, ein

bisschen peinlich… zu bemerken wie sehr die Nähe zu Bella mich verweichlicht hatte. Es sah so aus, als hätte niemand mehr Angst vor mir. Wenn Emmett das herausfände würde er mich das nächste Jahrhundert lang auslachen.

„Äh… hi,“ nuschelte Jessica und ihre Augen wanderten Bedeutungsschwanger zu Bella. „Ich denke, wir sehen uns dann in Mathe.“

Du wirst mir alles erzählen. Ich werde kein Nein akzeptieren. Details. Ich brauche Details! Edward scheiß CULLEN!! Das Leben ist so unfair.

Bellas Mundwinkel zuckten. „Ja, wir sehen uns dann.“Jessicas Gedanken spielten verrückt während sie zu ihrem ersten Kurs rannte und uns hin

und wieder verstohlene Blicke zuwarf.Die ganze Geschichte. Ich akzeptiere nichts anderes. Hatten sie geplant sich gestern zu

treffen? Treffen sie sich öfter? Wie lange schon? Wie konnte sie das geheim halten? Warum sollte sie das wollen? Es kann nichts lockeres sein – sie muss total verknallt in ihn sein. Gibt es eine andere Möglichkeit? Ich werde es heraus finden. Ich halt es nicht aus, es nicht zu wissen. Ich frage mich, ob sie zusammen sind? Oh, verdammt… Jessicas Gedanken drifteten plötzlich ab und wortlose Fantasien jagten durch ihren Kopf. Bei diesen Spekulationen zuckte ich zusammen und nicht nur weil sie in ihren Gedanken Bella durch sich selbst ersetze.

So konnte es niemals sein. Und dennoch… ich wollte es…Ich wollte es mir selbst nicht eingestehen. Auf wie viele falsche Arten wollte ich Bella? Auf

welche würde ich sie letztlich töten?Ich schüttelte meinen Kopf und versuchte mich abzulenken.„Was wirst du ihr erzählen?“ fragte ich Bella.„Hey!“ flüsterte sie vorwurfsvoll. „Ich dachte du könntest meine Gedanken nicht lesen!“„Kann ich auch nicht.“ Ich schaute sie verwundert an und versuchte den Sinn hinter ihren

Worten zu verstehen. Ah – wir mussten zur selben Zeit dasselbe gedacht haben. Hmm… das gefiel mir. „Na jedenfalls,“ sagte ich ihr, „kann ich ihre lesen – sie wird dir in der Klasse auflauern.“

Bella stöhnte und ließ dann die Jacke von ihren Schultern gleiten. Ich bemerkte erst nicht, dass sie sie zurückgab – ich hätte nicht danach gefragt; mir wäre es lieber gewesen, sie würde sie behalten… ein Andenken – deshalb war ich zu langsam um ihr meine Hilfe anzubieten. Sie reichte mir meine Jacke und steckte ihre Arme durch ihre eigene ohne mich anzusehen, also bemerkte sie nicht, dass meine Hände ausgestreckt waren um ihre zu helfen. Ich runzelte die Stirn darüber und kontrollierte meinen Ausdruck schnell wieder bevor sie es bemerkte.

„Also, was wirst du ihr erzählen?“ fragte ich.„Wie wäre es mit ein bisschen Hilfe? Was will sie denn wissen?“Ich lächelte und schüttelte meinen Kopf. Ich wollte hören, was sie dachte ohne einen

Hinweis. „Das ist nicht fair.“Ihre Augen verengten sich. „Nein, dass du dein Wissen nicht teilst – das ist unfair.“Richtig – sie mochte keine Doppelmoral.Wir erreichten ihre Klassentür – wo ich sie verlassen musste; ich fragte mich ob Ms. Cope

entgegenkommender war, was eine Änderung bzgl. meines Englischkurses anging… ich konzentrierte mich wieder. Ich konnte fair sein.

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„Sie möchte wissen ob wir heimlich zusammen sind,“ sagte ich langsam. „Und sie möchte wissen, was du für mich empfindest.“

Sie riss die Augen auf – nicht verwundert sondern eher naiv. Ihre Augen waren offen für mich, lesbar. Sie spielte unschuldig.

„Hmm,“ murmelte sie. „Was soll ich ihr bloß sagen?“„Hmmm.“ Sie versuchte immer mich dazu zu bringen, mehr preiszugeben, als sie es tat. Ich

überlegte, wie ich ihr antworten könnte.Eine lose Haarsträhne, leicht klamm vom Nebel, fiel ihr über die Schulter und kräuselte sich

dort wo der alberne Pullover ihr Schlüsselbein versteckte. Sie fesselte meinen Blick… lenkte ihn auf die anderen versteckten Kurven…

Ich streckte vorsichtig meine Hand nach der Strähne aus, darauf bedacht, ihre Haut nicht zu berühren – der Morgen war kühl genug auch ohne meine Berührung – und wickelte sie zurück in den losen Haarknoten, damit sie mich nicht wieder ablenken konnte. Ich erinnerte mich daran, wie Mike Newton ihr Haar berührt hatte, und ich biss meine Zähne zusammen bei dem Gedanken. Sie war vor ihm zurückgezuckt. Ihre Reaktion jetzt war keineswegs die gleiche; stattdessen weiteten sich ihre Augen ein wenig, Blut schoss ihr ins Gesicht und ihr Herzschlag wurde unregelmäßig.

Ich versuchte mein Lächeln zu verbergen als ich ihre Frage beantwortete.„Ich denke, die erste Frage könntest du mit Ja beantworten… wenn es dir nichts ausmacht…“

ihre Wahl, immer ihre Wahl, „… es wäre einfacher als jede anderen Erklärung.“„Es macht mir nichts aus,“ flüsterte sie. Ihr Herz hatte seinen normalen Rhythmus noch nicht

wiedergefunden.„Und ihre andere Frage…“ Jetzt konnte ich mein Lächeln nicht mehr verbergen. „Also die

Antwort auf diese Frage würde ich selbst gern hören.“Darüber soll Bella erst mal nachdenken. Ich unterdrückte ein Lachen als ich den schockierten

Ausdruck in ihrem Gesicht sah.Ich drehte mich schnell um, bevor sie noch weitere Fragen stellen konnte. Es war schwer für

mich ihr nicht alles zu geben was sie wollte. Und ich wollte ihre Gedanken hören, nicht meine.„Wir sehen uns beim Mittagessen,“ rief ich ihr über die Schulter zu, eine Ausrede um zu

sehen, ob sie mir immer noch hinterher starrte mit geweiteten Augen. Ihr Mund stand weit offen. Ich drehte mich wieder um und lachte.

Als ich davon schlenderte war ich mir der geschockten und spekulierenden Gedanken um mich herum kaum bewusst – die Blicke wechselten zwischen Bellas Gesicht und meiner sich entfernenden Figur. Ich schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Es war schon schwer genug meine Füße in einer akzeptablen Geschwindigkeit zu bewegen, als ich den feuchten Rasen zu meinem nächsten Kurs überquerte. Ich wollte rennen – richtig rennen, so schnell, dass ich verschwinden würde, so schnell, dass es sich anfühlte als würde ich fliegen. Ein Teil von mir flog bereits.

Ich zog die Jacke an auf meinem Weg zum Unterricht und ließ mich von ihrem Duft einhüllen. Ich würde jetzt brennen – mich von dem Geruch desensibilisieren lassen – dann würde es später leichter zu ignorieren sein, wenn ich beim Mittagessen wieder mit ihr zusammen war…

Es war gut, dass die Lehrer keine Lust mehr hatten mich aufzurufen. Heute würden sie mich wohl unvorbereitet und ohne Antwort erwischen. Meine Gedanken waren heute Morgen ganz woanders; nur mein Körper saß im Klassenraum.

Natürlich beobachtete ich Bella. Das wurde langsam alltäglich – so automatisch wie Atmen. Ich hörte ihre Unterhaltung mit dem enttäuschten Mike Newton. Sie lenkte das Gespräch schnell auf

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Jessica und ich grinste so breit, dass Rob Sawyer, der rechts von mir saß, zusammenzuckte, tiefer in seinen Stuhl sank und sich von mir weglehnte.

Ugh. Unheimlich.Also hatte ich es doch nicht ganz verloren.Außerdem beobachtete ich Jessica, wie sie ihre Fragen an Bella formulierte. Ich konnte die

vierte Stunde genauso wenig erwarten wie das neugierige menschliche Mädchen, das den neuesten Tratsch hören wollte.

Und ich belauschte auch Angela Weber.Ich hatte die Dankbarkeit die ich ihr gegenüber empfand nicht vergessen – erstens weil sie

nur Gutes über Bella dachte und zweitens für ihre Hilfe letzte Nacht. Also wartete ich den ganzen Morgen darauf, dass mir irgendetwas auffiel, das sie haben wollte. Ich dachte, es würde einfach werden; wie bei jedem normalen Menschen musste es irgendeinen Quatsch geben, den sie unbedingt haben wollte. Mehrere vermutlich. Ich würde irgendetwas anonym schicken und uns für quitt erklären.

Aber Angela erwies sich als genauso wenige entgegenkommend wie Bella mit ihren Gedanken. Sie war seltsam zufrieden für einen Teenager. Glücklich. Vielleicht war das der Grund für ihre unübliche Freundlichkeit – sie war eine der wenigen Menschen die hatten was sie wollten und wollten was sie hatten. Wenn sie mal nicht den Lehrern zuhörte und sich auf ihre Notizen konzentrierte, dann dachte sie an ihre kleinen Zwillingsbrüder, mit denen sie dieses Wochenende an den Strand fahren würde – malte sich aus wie viel Spaß sie haben würde mit einer fast elterlichen Zufriedenheit. Sie passte öfter mal auf sie auf, war aber nicht genervt davon… es war irgendwie süß.

Aber es half mir nicht wirklich weiter.Es musste doch etwas geben, das sie sich wünschte. Ich würde nur weiter Ausschau halten

müssen. Aber später. Jetzt war es Zeit für Bellas Mathestunde mit Jessica.Ich achtete nicht darauf wo ich lang ging als ich mich auf den Weg zu meinem Englischkurs

machte. Jessica saß bereits auf ihrem Platz und klapperte mit beiden Füßen unruhig auf dem Boden herum während sie darauf wartete, dass Bella endlich kam.

Sobald ich mich auf meinen Platz setzte wurde ich absolut ruhig. Ich musste mich daran erinnern mich hin und wieder zu bewegen. Um die Maskerade aufrecht zu erhalten. Es war schwer, da meine Gedanken so sehr auf die von Jessica konzentriert waren. Ich hoffte, dass sie sich wirklich Mühe geben würde, Bellas Gesicht für mich zu lesen.

Jessicas Fußklappern wurde schneller als Bella den Raum betrat.Sie sieht… bedrückt aus. Warum? Vielleicht hat sie doch nichts mit Edward Cullen. Das wäre

sicher eine Enttäuschung. Allerdings… wenn er immer noch zu haben ist… wenn er plötzlich Interesse an Verabredungen hat, würde ich ihm gern aushelfen…

Bellas Gesicht sah nicht bedrückt aus, eher wiederwillig. Sie war besorgt – sie wusste, dass ich alles hören würde, was sie jetzt sagte. Ich lächelte in mich hinein.

„Erzähl mir alles!“ verlangte Jessica als Bella noch damit beschäftigt war, ihre Jacke auszuziehen und über ihre Stuhllehne zu hängen. Sie bewegte sich bedächtig, unwillig.

Ugh, sie ist so langsam. Lass uns endlich zu den interessanten Themen kommen!„Was möchtest du wissen?“ fragte Bella, als sie sich setzte.„Was ist letzte Nacht passiert?“„Er hat mich zum Essen eingeladen und dann nach Hause gefahren.“Und dann? Komm schon, da muss doch noch mehr passiert sein! Sie lügt sowieso, das weiß

ich. Ich werde sie darauf ansprechen.„Wie bist du so schnell nach Hause gekommen?“

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Ich sah wie Bella ihre Augen verdrehte.„Er fährt wie ein Verrückter. Es war schrecklich.“Sie lächelte leicht und ich lachte laut auf womit ich Mr. Masons Ausführungen unterbrach.

Ich versuchte aus dem Lachen ein Husten werden zu lassen, aber ich konnte niemanden mehr täuschen. Mr. Mason warf mir einen irritierten Blick zu, aber ich kümmerte mich nicht um die Gedanken die dahinter steckten. Ich lauschte immer noch auf Jessica.

Hmm. Hört sich so an als ob sie die Wahrheit sagt. Warum lässt sie sich jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen? An ihrer Stelle würde ich alles so laut ich könnte heraus posaunen.

„Ward ihr verabredet – hast du ihm gesagt, dass ihr euch dort treffen sollt?“Jessica sah die Überraschung in Bellas Gesicht und war enttäuscht darüber dass sie echt war.„Nein – ich war eher überrascht ihn dort zu sehen,“ erzählte Bella ihr.Was geht ihr vor?? „Aber er hat dich heute zur Schule abgeholt?“ Da muss doch noch mehr

dahinter stecken.„Ja – das war auch eine Überraschung. Er hat mitbekommen, dass ich gestern keine Jacke

hatte.“Das ist ja nicht gerade spannend, dachte Jessica wieder enttäuscht.Ihre Fragestellung ermüdete mich – ich wollte etwas hören, dass ich noch nicht wusste. Ich

hoffte, dass sie nicht zu unzufrieden war und das Verhör beendete bevor sie die Fragen gestellt hatte, die mich wirklich interessierten.

„Also, seid ihr wieder verabredet?“ fragte Jessica.„Er hat mir angeboten mich am Samstag nach Seattle zu fahren, weil er denkt, dass mein

Truck die Strecke nicht schafft – zählt das?“Hmm. Er scheint sich große Mühe zu geben um… naja, auf sie aufzupassen, irgendwie. Also

muss da etwas von seiner Seite aus sein, wenn schon nicht von ihrer. Wie kann das sein? Bella ist verrückt.

„Ja,“ beantwortete Jessica Bellas Frage.„Also dann,“ schloss Bella. „Ja.“„Wow… Edward Cullen.“ Egal ob sie auf ihn steht oder nicht, dass ist schon was.„Ich weiß,“ seufzte Bella.Der Ton in ihrer Stimme ermutigte Jessica. Na endlich – hört sich so an, als hätte sie es

begriffen! Sie muss doch merken…„Warte!“ sagte Jessica und erinnerte sich plötzlich an die wichtigste aller Fragen. „Hat er dich

geküsst?“ Bitte sag ja. Und dann beschreib jede Sekunde!„Nein,“ murmelte Bella und dann sah sie auf ihre Hände und ihr Gesicht verfinsterte sich. „So

ist es irgendwie nicht.“Verdammt. Ich wünschte… Ha. Sieht so aus, als ob sie es sich auch wünschte.Ich runzelte die Stirn. Bella sah wegen irgendetwas besorgt aus, aber es konnte nicht

Enttäuschung sein, wie Jessica vermutete. Das konnte sie nicht wollen. Nicht bei dem was sie wusste. Sie konnte meinen Zähnen nicht so nahe kommen wollen. Demnach zu urteilen was sie wusste, hatte ich Reißzähne.

Ich schauderte.„Glaubst du am Samstag…?“ stachelte Jessica.Bella sah noch frustrierter aus, als sie sagte, „Das bezweifle ich.“Ja, sie wünscht es sich. Es ärgert sie.Lag es daran, dass ich all das durch Jessicas Perspektive beobachtete, dass es so aussah, als

hätte Jessica recht?

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Für eine halbe Sekunde war ich von der Idee, der Unmöglichkeit, abgelenkt, wie es sein könnte sie zu küssen. Meine Lippen auf ihren Lippen, kalter Stein auf warmer, weicher Seide…

Und dann stirbt sie.Ich zuckte zusammen, schüttelte meinen Kopf und versuchte wieder aufzupassen.„Worüber habt ihr euch unterhalten?“ Hast du überhaupt mit ihm geredet oder hast du dir

von ihm auch alles aus der Nase ziehen lassen?Ich lächelte wehmütig. Jessica lag nicht ganz falsch.„Ich weiß nicht, Jess, alles mögliche. Wir haben uns ein bisschen über den Englisch-Aufsatz

unterhalten.“Ein ganz kleines bisschen. Mein Lächeln wurde breiter.Oh, KOMM SCHON. „Bitte, Bella! Gib mir ein paar Einzelheiten.“Bella überlegte einen Moment.„Naja… ok, ich hab was. Du hättest sehen sollen wie die Kellnerin mit ihm geflirtet hat – das

war der Hammer. Aber er hat sie nicht mal beachtet.“Was für eine seltsame Einzelheit. Ich war überrascht, dass Bella das überhaupt bemerkt

hatte. Es war so unbedeutend.Interessant… „Das ist ein gutes Zeichen. War sie hübsch?“Hmm. Jessica schien das wichtiger zu finden, als ich. Muss wohl irgendein Frauending sein.„Sehr,“ sagte Bella. „Und vielleicht neunzehn oder zwanzig.“Jessica war einen Moment von einer Erinnerung an ihr Date mit Mike am Montag abgelenkt –

Mike war ein wenig zu freundlich zu einer Kellnerin gewesen, die Jessica nicht mal hübsch fand. Sie schob die Erinnerung beiseite und kam ohne sich etwas von ihrem Ärgern anmerken zu lassen zu ihrer Frage nach Einzelheiten zurück.

„Noch besser. Er muss dich wirklich mögen.“„Das glaube ich auch,“ sagte Bella langsam. Ich konnte mich kaum noch auf meinem Stuhl

halten, blieb aber immer noch absolut ruhig. „Aber das ist schwer zu sagen. Er ist immer so kryptisch.“

Ich war wohl doch nicht so leicht zu durchschauen und außer Kontrolle wie ich gedacht hatte. Dennoch… aufmerksam wie sie war… Wie konnte sie nicht bemerken, dass ich sie liebte? Ich ging in Gedanken unsere Unterhaltung durch und war überrascht, dass ich die Worte nicht laut ausgesprochen hatte. Es hatte sich angefühlt als wäre dieses Wissen in jedem Wort zwischen uns mitgeschwungen.

Wow. Wie kannst du einem männlichen Model gegenübersitzen und dich unterhalten? „Ich verstehe nicht wie du den Mut aufbringst mit ihm allein zu sein,“ sagte Jessica.

Bella war für einen kurzen Moment geschockt. „Warum?“Seltsame Reaktion. Was denkt sie denn was ich meine? „Er ist so…“ Wie ist das richtige Wort?

„Einschüchternd. Ich wüsste nicht was ich zu ihm sagen sollte.“ Ich konnte heute Morgen ja nicht mal richtig englisch (in unserem Fall wohl eher deutsch) mit ihm reden. Ich muss mich wie ein kompletter Vollidiot angehört haben.

Bella lächelte. „Ich hab auch ein wenig Probleme mich in seiner Gegenwart normal zu verhalten.“

Sie schien zu versuchen Jessica ein besseres Gefühl zu geben. Sie war so unnatürlich selbstbeherrscht gewesen als wir zusammen waren.

„Oh naja,“ seufzte Jessica. „Er sieht ja auch einfach fantastisch aus.“Bellas Gesichtsausdruck wurde plötzlich kühl. Ihre Augen blitzen auf, wie sie es taten, wenn

Bella sich über Ungerechtigkeiten ärgerte. Jessica bemerkte die Veränderung nicht.

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„Da ist noch viel mehr an ihm als das,“ schnappte Bella.Oooh. Jetzt kommen wir der Sache langsam näher. „Ehrlich? Was denn?“Bella nagte einen Moment an ihrer Lippe. „Ich kann es nicht wirklich erklären,“ sagte sie

schließlich. „Aber er ist noch viel unglaublicher hinter der Oberfläche.“ Sie sah an Jessica vorbei, ein bisschen desorientiert, als ob sie etwas in sehr weiter Ferne anstarrte.

Das was ich jetzt fühlte war ein bisschen so wie das Gefühl das ich hatte, wenn Carlisle oder Esme mich mehr lobten als ich es verdiente. Ähnlich aber intensiver, verzehrender.

Verkauf mich nicht für dumm – es gibt nichts Besseres als sein Gesicht! Außer sein Körper vielleicht. Schmelz. „Das geht?“ kicherte Jessica.

Bella wandte sich nicht um. Ihr Blick war immer noch in die Ferne gerichtet.Ein normaler Mensch würde sich hämisch freuen. Vielleicht sollte ich die Fragen einfacher

formulieren. Ha ha. Als wenn ich mit einem Kindergartenkind reden würde. „Also magst du ihn?“Ich war wieder starr.Bella sah Jessica nicht an. „Ja.“„Ich meine, magst du ihn so richtig?“„Ja.“Sieh sich einer an, wie rot sie wird!Ich sah es mir an.„Wie sehr magst du ihn?“ verlangte Jessica zu wissen.Der Klassenraum hätte um mich herum in Flammen aufgehen können und ich hätte es nicht

bemerkt.Bellas Gesicht war jetzt knallrot – ich konnte die Hitze fast spüren.„Zu sehr,“ flüsterte sie. „Mehr als er mich mag. Aber ich wüsste nicht, wie ich das ändern

könnte.“Treffer! Was hat Mr. Varner gerade gefragt? „Ähm – welche Nummer Mr. Varner?“Es war gut, dass Jessica Bella nicht mehr ausfragen konnte. Ich brauchte ein Minute Pause.Was zur Hölle dachte dieses Mädchen denn jetzt? Mehr als er mich mag? Wie kam sie denn

darauf? Aber ich wüsste nicht wie ich das ändern könnte? Was sollte das denn heißen? Ich konnte keine logische Erklärung für diese Worte finden. Sie waren absolut unsinnig.

Anscheinend konnte ich nichts für Selbstverständlich annehmen. Offensichtliche Dinge, Dinge die einen Sinn ergaben, wurden auf seltsame Weise verdreht und ins Gegenteil umgewandelt in ihrem bizarren Gehirn. Mehr als er mich mag? Vielleicht sollte ich die Karten sofort offen auf den Tisch legen.

Ich warf einen Blick auf die Uhr und biss die Zähne zusammen. Wie konnten sich schlichte Minuten für einen Unsterblich so lang anfühlen?

Mein Kiefer war während der gesamten Mathestunde von Mr. Varner zusammengepresst. Ich hörte mehr von seinem Unterricht als von dem in dem ich saß. Bella und Jessica sprachen nicht wieder, aber Jessica warf Bella hin und wieder einen verstohlenen Blick zu und ihr Gesicht war wieder puterrot ohne ersichtlichen Grund.

Die Mittagspause konnte gar nicht schnell genug kommen.Ich war mir nicht sicher, ob Jessica ein paar der Antworten die ich hören wollte aus Bella

herausbekäme, wenn die Stunde zu Ende war, aber Bella war schneller.Sobald die Klingel ertönte, drehte Bella sich zu Jessica.„In Englisch hat Mike mich gefragt ob du irgendetwas wegen Montag gesagt hättest,“ sagte

Bella mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Ich verstand es genauso wie es gemeint war – Angriff ist die beste Verteidigung.

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Mike hat nach mir gefragt? Die Freude ließ Jessicas Gedanken plötzlich weicher werden, ohne ihren typischen Biss. „Ist nicht war! Was hast du gesagt?“

„Ich sagte ihm, dass du erzählt hast, dass ihr sehr viel Spaß hattet – und er sah zufrieden aus.“„Sag mir genau was er gesagt hat und dann haargenau was du geantwortet hast!“Das war alles was ich heute von Jessica bekommen würde. Bella lächelte als würde sie

dasselbe denken. Als wenn sie die Runde gewonnen hätte.Naja, das Mittagessen war eine andere Geschichte. Ich würde die Antworten erfolgreicher

aus ihr rausbekommen als Jessica, dafür würde ich sorgen.Ich hielt es kaum aus, obligatorisch in Jessicas Gedanken reinzuschauen während der vierten

Stunde. Ich hatte kein verlangen nach ihren obsessiven Gedanken über Mike Newton. Ich hatte mehr als genug von ihm in den letzten zwei Wochen. Er hatte Glück, dass er überhaupt noch am Leben war.

Ich bewegte mich teilnahmslos mit Alice durch den Sportunterricht, so wie wir uns immer bewegten wenn es zu körperlichen Aktivitäten mit Menschen kam. Natürlich war sie meine Partnerin. Es war der erste Tag Badminton. Ich seufzte vor Langeweile als ich den Schläger in Zeitlupe bewegte um den Federball zurück zur anderen Seite zu schlagen. Lauren Mallory war in dem andern Team; Sie verfehlte. Alice wirbelte ihren Schläger herum wie einen Taktstock und starrte an die Decke.

Wir alle hassten Sport, besonders Emmett. Ein Spiel zu schmeißen war eine Beleidigung für seine persönliche Philosophie. Sport schien noch schlimmer zu sein, als sonst – ich war genauso verärgert wie Emmett immer war.

Bevor mein Kopf vor Ungeduld platzen konnte beendete Coach Clapp das Spiel und entließ uns ein paar Minuten früher. Ich war lächerlicherweise dankbar dafür, dass er das Frühstück ausgelassen hatte – seine neue Diät – und der konsequente Hunger veranlasste ihn dazu, so schnell wie möglich das Schulgelände zu verlassen um irgendwo ein fettiges Mittagessen zu sich zu nehmen. Er versprach sich selbst, morgen wieder von vorn anzufangen.

Dadurch hatte ich genug Zeit zum Mathe-Gebäude zu kommen bevor Bellas Unterricht zu Ende war.

Viel Spaß, dachte Alice, als sie davon schlenderte um sich mit Jasper zu treffen. Ich muss nur noch ein paar Tage lange geduldig abwarten. Ich vermute mal du wirst Bella nicht von mir grüßen, oder?

Ich schüttelte verärgert meinen Kopf. Waren alle Medien so selbstgefällig?Ach ja, nur zu deiner Information, dieses Wochenende wird sehr sonnig werden. Vielleicht

möchtest du deine Pläne ändern.Ich seufzte während ich weiter in die andere Richtung ging. Selbstgefällig, aber auch nützlich.Ich lehnte mich an die Wand neben der Tür und wartete. Ich war nahe genug um Jessicas

Worte genauso deutlich durch die Wand hören zu können wie ihre Gedanken.„Du wirst heute nicht bei uns sitzen, oder?“ Sie sieht so… strahlend aus. Ich wette sie hat mir

tonnenweise Informationen vorenthalten.„Ich denke nicht,“ antwortete Bella seltsam unsicher.Hatte ich nicht versprochen das Mittagessen mit ihr zu verbringen? Was dachte sie bloß?Sie kamen zusammen aus der Klasse heraus und beide Mädchen rissen die Augen auf, als sie

mich sahen. Aber ich konnte nur Jessica hören.Nett. Wow. Oh ja, da geht noch viel mehr als sie mir erzählt hat. Vielleicht sollte ich sie heute

Abend mal anrufen… Oder vielleicht sollte ich sie nicht ermutigen. Hm. Ich hoffe, er hat bald genug von ihr. Mike ist süß aber… wow.

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„Wir sehen uns dann später, Bella.“Bella kam auf mich zu und hielt einen Schritt von mir entfernt an, immer noch unsicher. Die

Haut über ihren Wangenknochen war leicht gerötet.Ich kannte sie mittlerweile gut genug um zu wissen, dass hinter ihrem Zögern keine Angst

steckte. Anscheinend lag es an dieser Kluft die sie sich zwischen unseren Gefühlen einbildete. Mehr als er mich mag. Absurd!

„Hallo,“ sagte ich, ein bisschen sehr knapp.Ihr Gesicht erhellte sich. „Hi.“Es sah nicht so aus, als wollte sie noch mehr sagen, also führte ich sie zur Cafeteria und sie

ging schweigend neben mir her.Die Jacke hatte gewirkt – ihr Duft war nicht so überwältigend wie sonst. Es war nur eine

leichte Verstärkung der Schmerzen die ich bereits spürte. Ich konnte es leichter ignorieren als ich einst für möglich gehalten hatte.

Bella war unruhig als wir in der Schlange warteten, spielte abwesend mit dem Reißverschluss ihrer Jacke und trat von einem Fuß auf den anderen. Sie warf mir viele verstohlene Blicke zu, und wenn ich zurück sah, senkte sie ihren Blick, als ob sie sich schämte. Lag es daran, dass uns so viele Leute anstarrten? Vielleicht konnte sie das Getuschel um uns herum hören – das Getratsche war heute verbal und mental das gleiche.

Oder vielleicht sah sie an meinem Gesichtsausdruck, dass sie in Schwierigkeiten war.Sie sagte nichts, bis ich anfing das Mittagessen für sie aufs Tablett zu laden. Ich wusste nicht,

was sie mochte – noch nicht – also nahm ich von allem etwas.„Was machst du da?“ zischte sie leise. „Soll das alles für mich sein?“Ich schüttelte meinen Kopf und trug das Tablett zur Kasse. „Die Hälfte ist natürlich für mich.“Sie hob skeptisch eine Augenbraue, sagte aber nichts weiter während ich bezahlte und sie zu

dem Tisch geleitete an dem wir letzte Woche vor dem tragischen Experiment bzgl. Blutgruppenbestimmung gesessen hatten. Es wirkte so, als währen viel mehr als nur ein paar Tage vergangen. Alles war anders.

Sie setzte sich wieder mir gegenüber. Ich schob das Tablett zu ihr herüber.„Nimm dir was du magst,“ bot ich ihr an.Sie nahm einen Apfel und drehte ihn in ihren Händen mit einem Abschätzenden Ausdruck in

ihren Augen.„Ich bin neugierig.“Was für eine Überraschung.„Was würdest du tun, wenn dich jemand zwingen würde, etwas zu essen?“ fuhr sie mit leiser

Stimme fort, so dass kein menschliches Ohr sie hören konnte. Unsterbliche Ohren waren etwas anderes, wenn diese Ohren aufpassen würden. Ich hätte es ihnen wohl doch besser früher sagen sollen…

„Du bist immer neugierig,“ beschwerte ich mich. Aber naja. Es war ja nicht so, als hätte ich noch nie vorher was essen müssen. Es war ein Teil des Versteckspiels. Ein unangenehmer Teil.

Ich griff nach dem nächstbesten Etwas und hielt ihrem Blick stand während ich einen kleinen Bissen von was auch immer nahm. Ohne nachzusehen konnte ich es nicht sagen. Es war genauso schleimig und grob und widerwärtig wie alles menschliche Essen. Ich kaute schnell und versuchte nicht das Gesicht zu verziehen während ich schluckte. Der Klumpen Essen rutschte langsam und unangenehm meinen Hals hinunter. Ich seufzte bei der Vorstellung wie ich ihn später wieder herauswürgen müsste. Widerlich.

Bella war geschockt. Beeindruckt.

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Ich wollte meine Augen verdrehen. Natürlich hatten wir diese Täuschung perfektioniert.“Wenn dich jemand zwingen würde, Erde zu essen, könntest du es doch auch, oder?”Sie kräuselte ihre Nase und lächelte. „Hab ich mal… wegen einer Wette. So schlimm war es

gar nicht.“Ich lachte. „Das überrascht mich nicht.“Sie sehen gut zusammen aus, nicht war? Gute Körpersprache. Ich werde Bella meine

Beobachtungen später erzählen. Er lehnt sich zu ihr hin, genau wie er es tun würde, wenn er interessiert wäre. Er sieht interessiert aus. Er sieht… perfekt aus. Jessica seufzte. Lecker.

Jessicas und mein Blick trafen sich, sie schaute nervös weg und kicherte mit dem Mädchen das neben ihr saß.

Hmmm. Vielleicht sollte ich mich doch besser an Mike halten. Realität, nicht Fantasie…„Jessica analysiert alles was ich tue,“ informierte ich Bella. „Sie wird es später alles vor dir

ausbreiten.“Ich schob das Tablett wieder zu ihr herüber – Pizza, stellte ich fest – und überlegte wie ich am

besten anfangen sollte. Meine vorherige Frustration kehrte zurück als ich die Worte in meinem Kopf wiederholte: Mehr als er mich mag. Aber ich wüsste nicht, wie ich das ändern könnte.

Sie nahm einen Bissen von demselben Stück Pizza. Es amüsierte mich, wie vertrauensvoll sie war. Natürlich wusste sie nicht, dass ich giftig war – nicht das Essen teilen sie verletzen würde. Dennoch erwartete ich irgendwie, dass sie mich anders behandelte. Wie etwas anderes. Das tat sie nie – jedenfalls nicht auf eine negative Art und Weise…

Ich würde langsam anfangen.„Die Kellnerin war also hübsch?“Sie hob wieder die Augenbraue. „Das hast du wirklich nicht bemerkt?“Als ob irgendeine Frau hoffen konnte mich von Bella abzulenken. Schon wieder absurd.„Nein, ich hab nicht drauf geachtet. Mir ging viel im Kopf herum.“ Nicht zuletzt die weiche

Berührung ihrer dünnen Bluse…Gut, dass sie heute diesen hässlichen Pullover trug.„Die Ärmste,“ sagte Bella lächelnd.Es gefiel ihr dass ich die Kellnerin nicht im Geringsten interessant gefunden hatte. Das konnte

ich verstehen. Wie oft hatte ich mir vorgestellt Mike im Biologieraum auszuschalten?Sie konnte nicht wirklich glauben, dass ihre menschlichen Gefühle, die Erfüllung ihrer

siebzehn sterblichen Jahre, stärker sein konnten, als die Unsterbliche Leidenschaft die sich in mir in einem Jahrhundert aufgebaut hatte.

„Etwas dass du zu Jessica gesagt hast…“ ich schaffte es nicht locker zu klingen. „Naja, es stört mich.“

Sie nahm sofort eine Verteidigungshaltung an. „Es überrascht mich nicht, dass du etwas gehört hast, dass dir nicht gefällt. Du weißt was man über den Lauscher an der Wand sagt?“

Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand, das sagt man.„Ich hab dir gesagt, dass ich zuhören würde,“ erinnerte ich sie.„Und ich hab dir gesagt, dass du nicht alles wissen willst, was ich denke.“Ah, sie dachte wieder an die Situation in der ich sie zum Weinen gebracht hatte. Ich hatte

einen Kloß im Hals vor Reue. „Das stimmt. Dennoch hast du nicht ganz recht. Ich möchte wissen was du denkst – alles. Ich wünschte nur… dass du manchen Dinge nicht denken würdest.“

Mehr Halbwahrheiten. Ich wusste, ich sollte nicht wollen, dass sie mich mochte. Aber ich wollte es. Natürlich wollte ich es.

„Das ist aber nun mal eine Tatsache,“ grummelte sie und warf mir einen finsteren Blick zu.

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„Aber darum geht es jetzt nicht.“„Worum geht es dann?“Sie lehnte sich zu mir herüber mit ihrer Hand um ihren Hals gelegt. Das erregte meine

Aufmerksamkeit – lenkte mich ab. Wie weich sich diese Haut anfühlen musste…Konzentrier dich, ermahnte ich mich.„Glaubst du wirklich, dass du mehr für mich empfindest als ich für dich?“ fragte ich. Die Frage

hörte sich lächerlich an, als ob die Worte zusammenhanglos wären.Sie riss die Augen auf und hielt den Atem an. Dann sah sie schnell weg und atmete mit einem

Keuchen weiter.„Du tust es schon wieder,“ murmelte sie.„Was?“„Mich blenden,“ gab sie zu und erwiderte vorsichtig meinen Blick.„Oh.“ Hmm. Ich war mir nicht sicher, was ich dagegen tun könnte. Noch war ich mir sicher,

dass ich sie nicht blenden wollte. Ich war immer noch aufgeregt, weil ich es konnte. Aber das half der Unterhaltung nicht weiter.

„Es ist nicht deine Schuld.“ Seufzte sie. „Du kannst nichts dafür.“„Wirst du mir meine Frage beantworten?“ verlangte ich.Sie starrte auf den Tisch. „Ja.“Das war alles was sie sagte.„Ja, du wirst die Frage beantworten, oder ja, du glaubst es wirklich?“ fragte ich ungeduldig.„Ja, ich glaube es wirklich,“ sagte sie ohne aufzuschauen. Da war ein leicht trauriger Unterton

in ihrer Stimme. Sie errötete wieder und ihre Zähne begannen wieder ihre Lippe zu bearbeiten.Plötzlich bemerkte ich, dass es sehr schwer für sie sein musste, das zuzugeben, da sie es

wirklich glaubte. Und ich war nicht besser als dieser Feigling Mike, das ich von ihr verlangte ihre Gefühle preiszugeben bevor ich meine offenlegte. Es war nicht zu ihr durchgedrungen also musste ich mich entschuldigen.

„Da liegst du falsch,“ versprach ich. Sie musste die Sanftmut in meiner Stimme hören.Bella sah zu mir auf, ihre Augen waren unklar und gaben nichts preis. „Das kannst du nicht

wissen,“ flüsterte sie.Sie dachte, dass ich ihre Gefühle unterschätze, da ich ihre Gedanken nicht hören konnte.

Aber die Wahrheit war, dass sie meine unterschätze.„Warum denkst du das?“ wunderte ich mich.Sie starrte mich an mit der Falte zwischen ihren Augenbrauen und kaute auf ihrer Lippe. Zum

millionsten Mal wünschte ich mir verzweifelt, sie einfach nur hören zu können.Ich wollte sie gerade anbetteln mir zu sagen mit welchen Gedanken sie gerad zu kämpfen

hatte, aber sie hielt einen Finger hoch um mich davon abzuhalten.„Lass mich nachdenken,“ bat sie.So lange sie nur ihre Gedanken sortierte konnte ich geduldig sein.Oder zumindest so tun als ob.Sie presste ihre Hände zusammen, verschlang ihre zarten Finger ineinander und löste sie

wieder. Sie sah auf ihre Hände, als gehörten sie zu jemand anderem, während sie sprach.„Naja, abgesehen von den offensichtlichen Dingen,“ murmelte sie. „Manchmal… ich kann es

nicht mit Sicherheit sagen – ich weiß nicht, wie man Gedanken liest – aber manchmal ist es so als würdest du dich verabschieden obwohl du etwas ganz anderes sagst.“ Sie schaute nicht auf.

Das hatte sie also bemerkt. Hatte sie auch bemerkt dass es nur Schwäche und Egoismus waren die mich hier hielten? Dachte sie deswegen schlecht von mir?

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„Gut erkannt,“ hauchte ich und dann sah ich mit Entsetzen ihren schmerzerfüllten Gesichtsausdruck. Ich beeilte mich ihre Annahme zu wiederlegen. „Aber genau deshalb liegst du falsch. Allerdings…“ Fing ich an und hielt dann inne, während ich mich an die ersten Worte ihrer Erklärung erinnerte. Sie störten mich, obwohl ich mir nicht sicher war, dass ich sie richtig verstanden hatte. „Was meinst du mit den ‚offensichtlichen Dingen‘?“

„Naja, sie mich doch mal an,“ sagte sie.Ich sah sie an. Alles was ich die ganze Zeit tat, war sie anzusehen. Was meinte sie?„Ich bin vollkommen durchschnittlich,“ erklärte sie. „Naja, abgesehen von den schlechten

Dingen wie die ganzen Nahtoderfahrungen und die Ungeschicklichkeit. Und dann sieh dich an.“ Sie fächerte durch die Luft in meine Richtung, als ob sie über etwas redete, dass so offensichtlich war, dass man es nicht aussprechen müsste.

Sie dachte sie wäre durchschnittlich? Sie dachte dass ich irgendwie besser wäre als sie? In wessen Vorstellung? Dumme, kleingeistige, blinde menschliche wie die von Jessica oder Ms. Cope? Wie konnte sie nicht merken, dass sie die schönste… die herrlichste… Diese Worte waren nicht annähernd gut genug.

Sie hatte keine Ahnung.„Du siehst dich selbst nicht gerade klar, weißt du,“ erkläre ich ihr. „Ich gebe zu, dass du recht

hast, was die schlechten Eigenschaften angeht…“ ich lachte humorlos. Ich fand das böse Schicksal das sie verfolgte nicht amüsant. Die Ungeschicklichkeit jedoch war irgendwie witzig. Liebenswert. Würde sie mir glauben, wenn ich ihr sagte, dass sie sowohl äußerlich als auch innerlich schön war? Vielleicht fand sie Untermauerungen überzeugender. „Aber du hast nicht gehört was jedes männliche Wesen hier an deinem ersten Tag gedacht hat.“

Ah, die Hoffnung, die Aufregung, die Begierde dieser Gedanken. Wie schnell sie zu unmöglichen Fantasien geworden waren. Unmöglich weil sie keinen von ihnen wollte.

Ich war derjenige zu dem sie Ja gesagt hatte.Mein Lächeln muss selbstgefällig gewesen sein.Ihr Gesicht war Ausdruckslos vor Überraschung. „Das glaube ich nicht,“ murmelte sie.„Vertrau mir nur dieses eine Mal – du bist das Gegenteil von durchschnittlich.“Ihre Existenz war Grund genug die Schöpfung der Welt zu rechtfertigen.Sie war Komplimente nicht gewöhnt, das konnte ich sehen. Wieder etwas an das sie sich

würde gewöhnen müssen. Sie errötete und wechselte das Thema. „Aber ich verabschiede mich nicht.“

„Verstehst du denn nicht? Das beweist doch dass ich recht habe. Ich empfinde viel mehr für dich, denn wenn ich das tun kann…“ Würde ich je selbstlos genug sein um das Richtige zu tun? Ich schüttelte verzweifelt meinen Kopf. Ich würde die Kraft aufbringen müssen. Sie verdiente ein Leben. Nicht das was Alice für sie kommen sah. „Wenn es das richtige ist, zu gehen…“ Und es musste das Richtige sein, oder nicht? Es gab keinen unbekümmerten Engel. Bella gehörte nicht zu mir. „Dann würde ich mir selbst Schmerzen zufügen um dir keine zu bereiten, damit du sicher bist.“

Als ich die Worte aussprach wünschte ich mir dass sie wahr wären.Sie warf mir einen wütenden Blick zu. Irgendwie hatten meine Worte sie verärgert. „Und du

glaubst nicht, dass ich das selbe tun würde?“ fragte sie zornig.So wütend – so zart und so zerbrechlich. Wie könnte sie jemanden verletzen? „Du würdest

diese Wahl nie treffen müssen,“ erklärte ich ihr, erneut deprimiert von dem großen Unterschied zwischen uns.

Sie starrte mich wieder an und Überzeugung ersetzte den Ärger in ihren Augen und betonte die Falte zwischen ihnen.

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Da musste wirklich etwas absolut falsch sein im Universum wenn jemand so Gutes und so Zerbrechliches keinen Schutzengel verdiente, der sie vor Unheil bewahrte.

Naja, dachte ich mit schwarzem Humor, immerhin hat sie einen Schutz-Vampir.Ich lächelte. Wie sehr ich meine Ausrede zu bleiben liebte. „Natürlich ist dich zu schützen ein

Full-Time-Job, der meine ständige Anwesenheit erfordert.“Sie lächelte auch. „Heute hat noch keiner versucht mich umzubringen,“ sagte sie leichthin

und dann sah ihr Gesicht für eine halbe Sekunde wieder nachdenklich aus bevor ihre Augen wieder unklar wurden.

„Noch,“ fügte ich trocken hinzu.„Noch,“ stimmte sie zu meiner Überraschung zu. Ich hätte gedacht, dass sie es ablehnen

würde, Schutz zu benötigen.Wie konnte er nur? Dieser Egoistische Esel! Wie konnte er uns das antun? Rosalies stechender

mentaler Aufschrei brach durch meine Konzentration.„Beruhig dich, Rose,“ hörte ich Emmett am anderen Ende der Cafeteria flüstern. Sein Arm lag

auf ihren Schultern und presste sie fest an seiner Seite – hielt sie zurück.Tut mir leid Edward, dachte Alice schuldbewusst. Sie konnte sich denken, dass Bella zu viel

wusste wegen eurer Unterhaltung… und, naja, es wäre schlimmer gewesen, wenn ich ihr nicht sofort die Wahrheit gesagt hätte. Das kannst du mir glauben.

Ich zuckte zusammen bei der Vision die folgte, was passiert wäre, wenn ich Rosalie zu Hause erzählt hätte, dass Bella wusste, dass ich ein Vampir war, wo Rosalie die Fassade nicht aufrecht erhalten musste. Ich würde meinen Aston Martin außerhalb der Staatsgrenze verstecken müssen, wenn Rosalie sich nicht beruhigt hatte, bis die Schule vorbei war. Die Vorstellung von meinem Lieblingsauto, zerquetscht und brennend, war niederschmetternd – trotzdem wusste ich, dass ich die Strafe verdiente.

Jasper war nicht viel glücklicher.Ich würde mich später um die anderen kümmern. Ich hatte nur begrenzte Zeit um mit Bella

allein zu sein und die wollte ich nicht verschwenden. Und Alice zu hören hatte mich daran erinnert, dass ich noch etwas zu klären hatte.

„Ich hab noch eine Frage an dich,“ sagte ich und blendete Rosalies mentalen Hysterie Anfall aus.

„Schieß los,“ sagte Bella lächelnd.„Musst du dieses Wochenende wirklich nach Seattle oder war das nur eine Ausrede um

deinen ganzen Verehrern zu entkommen?“Sie schnitt mir eine Grimasse. „Du weißt, dass ich dir die Sache mit Tyler noch nicht verziehen

habe. Es ist deine Schuld, dass er denkt ich würde mit ihm zum Abschlussball gehen.“„Oh, er hätte auch ohne mich eine Möglichkeit gefunden dich zu fragen – ich wollte einfach

nur dein Gesicht sehen.“Ich lachte bei der Erinnerung an ihren entgeisterten Ausdruck. Keine von den dunklen

Wahrheiten die ich ihr über mich preisgegeben habe, hat sie je so entsetzt gucken lassen. Die Wahrheit machte ihr keine Angst. Sie wollte mit mir zusammen sein. Verblüffend.

„Wenn ich dich gefragt hätte, hättest du mich auch zurückgewiesen?“„Vermutlich nicht,“ sagte sie. „Aber ich hätte dir später abgesagt – hätte eine Krankheit oder

einen gebrochenen Knöchel vorgetäuscht.“Wie seltsam. „Warum solltest du so etwas tun?“

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Sie schüttelte ihren Kopf als wenn sie enttäuscht wäre, dass ich es nicht sofort verstand. „Du hast mich noch nie in Sport gesehen, vermute ich, aber ich hätte gedacht, dass du es trotzdem verstehen würdest.“

Ah. „Beziehst du dich auf die Tatsache, dass du nicht über eine glatte, ebene Fläche laufen kannst ohne etwas zu finden worüber du stolpern kannst?“

„Offensichtlich.“„Das wäre kein Problem. Es kommt nur auf die Führung an.“Für den Bruchteil einer Sekunde war ich überwältigt von der Vorstellung sie beim Tanzen in

meinen Armen zu halten – wo sie mit Sicherheit etwas Schöneres und Ansprechenderes tragen würde, als diesen hässlichen Pullover.

Mit absoluter Klarheit erinnerte ich mich daran wie sich ihr Körper unter mir angefühlt hatte, als ich sie vor dem heran rutschenden Van gerettet hatte. Noch stärker als an die Panik, oder die Verzweiflung oder den Ärger, erinnerte ich mich an dieses Gefühl. Sie war so warm und weich gewesen und hatte sich so leicht an meinen steinernen Körper angepasst…

Ich riss mich von dieser Erinnerung los.„Aber du hast mir noch nicht gesagt…“ sagte ich schnell um sie davon abzuhalten mit mir

über ihre Ungeschicklichkeit zu diskutieren, was sie scheinbar vor hatte. „Musst du unbedingt nach Seattle oder können wir auch was anderes machen?“

Unaufrichtig – ihr die Wahl überlassen ohne ihr die Möglichkeit einzuräumen den Tag ohne mich zu verbringen. Das war nicht wirklich fair von mir. Aber ich hatte ihr letzte Nacht etwas versprochen… und mir gefiel die Idee diesen Versprechen zu halten – fast so sehr wie diese Idee mich ängstigte.

Die Sonne würde am Samstag scheinen. Ich könnte ihr mein wahres Ich zeigen, wenn ich stark genug wäre ihr Entsetzen und ihren Ekel zu ertragen. Ich kannte den perfekten Ort um ein solches Risiko einzugehen.

„Ich bin offen für Vorschläge,“ sagte Bella. „Aber ich muss dich um einen Gefallen bitten.“Ein eingeschränktes Ja. Was könnte sie von mir wollen?„Was?“„Kann ich fahren?“War das ihre Vorstellung von Humor? „Warum?“„Naja, hauptsächlich weil, als ich Charlie erzählt habe, dass ich nach Seattle fahre, hat er mich

explizit gefragt ob ich alleine fahre und zu dem Zeitpunkt war das noch so. Wenn er noch mal fragt, würde ich vermutlich nicht lügen, aber ich denke nicht, dass er noch mal fragen wird und wenn ich den Truck zu Hause lasse würde es das Thema unnötigerweise zur Sprache bringen. Und außerdem macht mir dein Fahrstil angst.“

Ich verdrehte meine Augen. „Bei all den Dingen die dir an mir Angst einjagen könnten, machst du dir Sorgen um meinen Fahrstil.“ Ihr Gehirn funktionierte auf jeden Fall verkehrtherum. Ich schüttelte empört meinen Kopf.

Edward, rief Alice drängend.Plötzlich starrte ich auf einen hellen Kreis aus Sonnenlicht, der in einer von Alices Visionen

erschienen war.Es war ein Ort den ich sehr gut kannte, der Ort an den ich Bella mit hin nehmen wollte – eine

kleine Lichtung wo niemand außer mir je hinging. Ein ruhiger, schöner Ort an dem ich mich darauf verlassen konnte, allein zu sein – weit genug weg von jedem Pfad oder menschlichen Lebens, dass sogar mein Geist Ruhe und Frieden hatte.

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Alice erinnerte sich auch an diesen Ort, denn sie hatte mich dort vor nicht allzu langer zeit in einer anderen Vision gesehen – eine dieser flackernden unsteten Visionen die Alice mir an dem Morgen gezeigt hatte, als ich Bella vor dem Van gerettet hatte.

In dieser flackernden Vision war ich nicht allein gewesen. Und jetzt war sie klar – Bella war mit mir dort. Also war ich mutig genug. Sie starrte mich an, Regenbogen tanzten auf ihrem Gesicht, ihre Augen waren unergründlich.

Es ist derselbe Ort, dachte Alice voller Entsetzen, das nicht zu der Vision passte. Anspannung vielleicht aber Entsetzen? Was meinte sie mit derselbe Ort?

Und dann sah ich es.Edward! Alice protestierte schrill. Ich liebe sie, Edward!Ich blendete sie verärgert aus.Sie liebte Bella nicht so wie ich sie liebte. Ihre Vision war unmöglich. Falsch. Sie war

irgendwie geblendet, sah unmögliche Dinge.Nicht mal eine halbe Sekunde war vergangen. Bella sah mich neugierig an und wartete

darauf, dass ich ihrer Bitte nachgab. Hatte sie den kurzen Anflug von Widerwillen gesehen oder ging es zu schnell für sie?

Ich konzentrierte mich auf sie und unsere Unterhaltung und verbannte Alice und ihre fehlerhaften, lügenden Visionen aus meinen Gedanken. Sie verdienten meine Aufmerksamkeit nicht.

Trotzdem war ich nicht in der Lage den spielerischen Ton unserer Unterhaltung aufrechtzuerhalten.

„Willst du deinem Vater nicht erzählen, dass du den Tag mit mir verbringst?“ fragte ich mit einem düsteren Unterton in der Stimme.

Ich kämpfte gegen die Vision und versuchte sie noch weiter weg zu schieben um sie davon abzuhalten durch meinen Kopf zu flackern.

„Mit Charlie ist weniger meistens mehr,“ sagte Bella voller Überzeugung. „Wo gehen wir denn überhaupt hin?“

Alice hatte unrecht. Vollkommen unrecht. Es war einfach nicht möglich dass das passieren würde. Außerdem war es eine alte Vision, gebrechlich. Die Dinge hatten sich geändert.

„Das Wetter wird schön sein,“ erkläre ich ihr langsam und bekämpfte die Angst und die Unsicherheit. Alice hatte unrecht. Ich würde so tun als ob ich nichts gehört und gesehen hätte. „Also werde ich mich aus der Öffentlichkeit fern halten… und du kannst bei mir bleiben wenn du möchtest.“

Bella verstand sofort was ich meinte; ihre Augen strahlten erwartungsvoll. „Und dann zeigst du mir was du meintest wegen der Sonne?“

Vielleicht, wie schon so viele Male zuvor, würde ihre Reaktion das genaue Gegenteil sein von dem was ich vermutete. Ich lächelte bei dieser Vorstellung und bemühte mich zu den schöneren Gedanken zurück zu kommen. „Ja. Aber…“ Sie hatte noch nicht Ja gesagt. „Wenn du nicht… mit mir allein sein möchtest, wäre es mir dennoch lieber, wenn du nicht allein nach Seattle gehen würdest. Ich fühle mich nicht wohl bei der Vorstellung, was dir in einer Stadt dieser Größe alles passieren könnte.“

Sie presste ihre Lippen aufeinander; sie war beleidigt.„Phoenix ist dreimal so groß wie Seattle – allein schon von der Bevölkerung her. Die

eigentliche Größe…“„Aber scheinbar waren deine Tage noch nicht gezählt in Phoenix,“ sagte ich und unterbrach

ihre Rechtfertigungen. „Also wäre es mir lieber, wenn du bei mir wärst.“Sie könnte für immer bleiben und es wäre nicht lange genug.

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So sollte ich nicht denken. Wir hatten kein Für Immer. Die vergehenden Sekunden zählten mehr als je zuvor; jede Sekunde veränderte sie während ich unberührt blieb.

„Wenn das so ist, habe ich nichts dagegen mit dir allein zu sein,“ sagte sie.Nein – weil ihre Instinkte verkehrtherum waren.„Ich weiß,“ seufzte ich. „dennoch könntest du es Charlie erzählen.“„Warum um alles in der Welt sollte ich das tun?“ fragte sie und klang entsetzt.Ich warf ihr einen finsteren Blick zu, die Visionen die ich nicht gerade erfolgreich zu

unterdrücken versuchte schwirrten durch meinen Kopf.„Um mir einen Grund zu geben, dich zurück zu bringen,“ zischte ich. So viel musste sie mir

zugestehen – einen Zeugen der mich dazu zwang, vorsichtig zu sein.Warum hatte Alice mir dieses Wissen aufgezwungen?Bella schluckte laut und starrte mich lange an. Was sah sie?„Ich denke ich lasse es darauf ankommen,“ sagte sie.Ugh! War es ein besonderer Kick für sie ihr Leben zu riskieren? Ein Adrenalinstoß den sie

herbeisehnte?Ich schielte zu Alice die meinen Blick warnend erwiderte. Neben ihr starrte Rosalie finster vor

sich hin, aber das hätte mich nicht weniger kümmern können. Sollte sie doch den Wagen zerstören. Es war bloß ein Spielzeug.

„Lass uns über etwas anderes reden,“ schlug Bella vor.Ich sah sie wieder an und wunderte mich wie sie so Blind sein konnte gegenüber den Dingen

auf die es wirklich ankam. Warum konnte sie nicht das Monster sehen, das ich war?„Worüber möchtest du denn reden?“Sie blickte erst nach links und dann nach rechts als ob sie sich davon überzeugen wollte, dass

uns niemand zuhörte. Sie wollte anscheinend ein weiteres Mythenbehaftetes Thema ansprechen. Ihre Augen erstarrten kurz und ihr Körper versteifte sich, dann wandte sie ihren Blick wieder mir zu.

„Warum seid ihr letztes Wochenende zu den Goat Rocks gefahren… um zu jagen? Charlie sagte es wäre kein guter Platz zum campen, wegen den Bären.“

So blind. Ich erwiderte ihren Blick und hob eine Augenbraue.„Bären?“ japste sie.Ich lächelte ironisch während ich beobachtete wie sie diese Information sacken ließ. Würde

sie das dazu veranlassen mich endlich ernst zu neben? Würde irgendetwas sie dazu veranlassen?Sie riss sich wieder zusammen. „Du weißt, dass keine Bärensaison ist,“ sagte sie streng und

verengte ihre Augen.„Wenn du richtig lesen würdest, wüsstest du, dass das nur die Jagd mit Waffen betrifft.“Sie verlor für einen kurzen Moment die Kontrolle über ihr Gesicht. Ihr Mund klappte auf.„Bären?“ sagte sie wieder, eine zaghafte Frage diesmal, kein erschrockenes Japsen.„Grizzlybären mag Emmett am liebsten.“Wieder beobachtete ich wie sie diese Information schluckte.„Hmm,“ murmelte sie. Sie nahm einen weitern Bissen Pizza und senkte den Blick. Sie kaute

bedächtig und nahm einen Schluck Limonade.„Also,“ sagte sie und schaute wieder auf. „Was magst du am liebsten?“Ich vermute ich hätte mit sowas in der Art rechnen müssen, aber das hatte ich nicht. Bella

war letztendlich doch immer überraschend.„Puma,“ antwortete ich schroff.„Ah,“ sagte sie in neutralem Tonfall. Ihr Herzschlag war normal und gleichmäßig, als ob wir

uns über ein Lieblingsrestaurant unterhalten würden.

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Na gut. Wenn sie so tun wollte, als wäre das nichts Ungewöhnliches…„Natürlich müssen wir darauf achten, dass wir die Umwelt nicht schädigen indem wir

unüberlegt jagen.“ Erklärte ich ihr, meine Stimme abgeklärt und nüchtern. „Wir konzentrieren uns auf Gebiete mit einer Überpopulation von Raubtieren – so weiträumig wie möglich. Hier gibt es immer genug Rehe und Hirsche, aber wo bleibt da der Spaß?“

Sie hörte mir mit höflichem, interessiertem Gesichtsausdruck zu, als wenn ich ein Lehrer wär, der einen Vortrag hielt. Ich musste lächeln.

„Oh natürlich,“ murmelte sie lässig und nahm wieder ein bisschen Pizza.„Anfang Frühling ist Emmetts Lieblings Bärensaison,“ sagte ich und fuhr mit meinem Vortrag

fort. „Sie wachen dann gerade erst aus ihrem Winterschlaf auf und sind dann sehr leicht reizbar.“Siebzig Jahre später und er war immer noch nicht darüber hinweg gekommen diesen ersten

Kampf verloren zu haben.„Es gibt doch nichts schöneres als einen wütenden Grizzlybären,“ stimmte Bella zu und nickte

feierlich.Ich konnte ein Lachen nicht unterdrücken als ich den Kopf schüttelte über ihre unlogische

Ruhe. Es musste zur Sprache gebracht werden. „Sag mir bitte, was du wirklich denkst.“ „Ich versuche es mir vorzustellen – aber ich kann es nicht,” sagte sie und die Falte zwischen

ihren Augen tauchte wieder auf. „Wie jagt man denn einen Bären ohne Waffen?“„Oh, wir haben Waffen,“ erklärte ich ihr und schenkte ihr ein sehr breites Lächeln. Ich

rechnete damit, dass sie zurückschrecken würde, aber sie war sehr ruhig und beobachtete mich. „Nur nicht solche, wie sie sie in den Jagdgesetzen beschreiben. Wenn du jemals im Fernsehen gesehen hast, wie ein Bär angreift, solltest du dir Emmett beim jagen vorstellen können.“

Sie warf einen Blick zu dem Tisch hinüber an dem die anderen saßen und schauderte.Endlich. Und dann lachte ich über mich selbst, denn ein Teil von mir wünschte sich sie würde

so blind bleiben.Ihre dunklen Augen waren nun groß und tief als sie mich ansah. „Bist du auch wie ein Bär?“

fragte sie fast flüsternd.„Mehr wie ein Puma, das sagen jedenfalls die anderen,“ erklärte ich ihr und versuchte

wieder abgeklärt zu klingen. „Vielleicht sind unsere Vorlieben bezeichnend.“Ihre Mundwinkel hoben sich ein wenig. „Vielleicht,“ wiederholte sie. Und dann legte sie den

Kopf zur Seite und die Neugierde stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Werde ich das irgendwann mal sehen können?“

Ich brauchte keine Bilder von Alice um mir ausmalen zu können wie schrecklich das wäre – meine Vorstellungskraft war gut genug.

„Auf keinen Fall,“ schnaubte ich.Sie zuckte vor mir zurück, ihre Augen verwirrt und verängstigt.Ich lehnte mich ebenfalls zurück, wollte etwas Raum zwischen uns bringen. Das würde sie

niemals sehen, oder? Sie würde nichts tun, was mir helfen könnte sie am Leben zu lassen.„Zu beängstigend für mich?“ fragte sie mit gleichmäßiger Stimme. Ihr Herz schlug immer

noch doppelt so schnell.„Wenn es das wäre, würde ich dich sofort mitnehmen,“ gab ich durch meine

zusammengepressten Zähen zurück. „Du könntest eine gesunde Portion Angst gut vertragen. Nichts könnte heilsamer für dich sein.“

„Warum dann?“ verlangte sie ungehindert.Ich starrte sie düster an und wartete darauf, dass sie angst bekommen würde. Ich hatte

Angst. Ich konnte es mir nur zu gut vorstellen wie es wäre Bella bei der Jagd bei mir zu haben…

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Ihre Augen blieben neugierig, ungeduldig, nichts weiter. Sie gab nicht auf und wartete auf ihre Antwort.

Aber unsere Stunde war um.„Später,“ schnappte ich und erhob mich. „Wir kommen sonst zu spät.“Sie sah sich verwirrt um, als wenn sie vergessen hätte, dass wir beim Mittagessen saßen. Als

ob sie sogar vergessen hätte, dass wir in der Schule waren – überrascht, dass wir nicht irgendwo allein waren. Ich verstand dieses Gefühl nur zu gut. Es war schwer den Rest der Welt wahrzunehmen, wenn ich mit ihr zusammen war.

Sie stand schnell auf und warf ihre Tasche über die Schulter.„Dann also später,“ sagte sie und ich konnte die Entschlossenheit in ihrem Gesicht sehen. Sie

würde mich darauf festnageln.

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12. Komplikationen

Bella und ich gingen schweigend zu Biologie. Ich versuchte mich auf den Moment zu konzentrieren, auf das Mädchen neben mir, auf alles was real und solide war, auf alles, was Alices hinterlistige, unbedeutende Visionen aus meinen Kopf vertreiben konnte.

Wir gingen an Angela Weber vorbei die auf dem Gehweg mit einem Jungen aus ihrem Mathekurs sprach. Ich überflog flüchtig ihre Gedanken und erwartete eine weitere Enttäuschung nur um von ihrem sehnsüchtigen Ton überrascht zu werden.

Ah, also gab es doch etwas, das Angela wollte. Unglücklicherweise war es nichts dass einfach so in Geschenkpapier eingepackt werden konnte.

Ich fühlte mich auf einmal seltsam wohl, als ich Angelas hoffnungsloses Verlangen hörte. Ein Anflug von Seelenverwandtschaft, von dem Angela nie etwas erfahren würde, durchfuhr mich und ich war für diese Sekunde eins mit dem freundlichen Menschenmädchen.

Es war seltsam tröstend zu wissen, dass ich nicht der einzige war, der eine tragische Liebesgeschichte durchlebte. Herzschmerz war überall.

In der nächsten Sekunde war ich plötzlich verärgert. Denn Angelas Geschichte musste nicht tragisch sein. Sie war ein Mensch und er war ein Mensch und der Unterschied, der in ihrem Kopf so unüberbrückbar schien, war lächerlich im Vergleich zu meiner Situation. Es gab keinen Grund für ihr gebrochenes Herz. Was für eine verschwendete Trauer, wenn es keinen einleuchtenden Grund dafür gab, dass sie nicht mit dem zusammen war, den sie wollte. Warum sollte sie nicht haben können was sie wollte? Warum sollte diese eine Geschichte kein Happy End haben?

Ich wollte ihr ein Geschenk machen… Also würde ich ihr geben, was sie wollte. Da ich wusste, wie ich auf Menschen wirkte, sollte das nicht allzu schwer werden. Ich streifte das Bewusstsein des Jungen neben ihr, dem Objekt ihrer Begierde, und er schien nicht uninteressiert zu sein, er stand nur vor dem gleichen Hindernis wie sie. Hoffnungslos ergeben, so wie sie war.

Alles was ich tun musste, war eine Andeutung machen…Der Plan schmiedete sich leicht, das Drehbuch schrieb sich von selbst ohne dass ich groß

etwas dazu beitragen musste. Ich würde Emmetts Hilfe benötigen – ihn dazu zu bringen war die einzige Schwierigkeit. Die Menschliche Natur war so einfach zu manipulieren im Gegensatz zu der eines Vampirs.

Ich war zufrieden mit meiner Lösung, mit meinem Geschenk für Angela. Es war eine nette Ablenkung von meinen eigenen Problemen. Würden meine doch auch so leicht zu regeln sein.

Meine Laune hatte sich leicht verbessert als Bella und ich uns auf unsere Plätze setzten. Vielleicht sollte ich etwas positiver denken. Vielleicht gab es irgendwo da draußen auch eine Lösung für uns die sich meinem Blick entzog so wie Angelas offensichtliche Lösung für sie nicht zu sehen war. Wahrscheinlich nicht... Aber warum Zeit mit Hoffnungslosigkeit verschwenden? Ich hatte keine Zeit zum Verschwenden wenn es um Bella ging. Jede Sekunde zählte.

Mr. Banner betrat den Raum und schob einen alten Fernseher und einen Videorekorder vor sich her. Er behandelte ein Thema, dass ihn nicht besonders interessierte – genetische Fehlfunktionen – indem er die nächsten drei Unterrichtsstunden eine Film zeigte. Lorenzos Öl war kein besonders heiterer Film, aber das störte die Freude im Klassenzimmer nicht im Geringsten. Keine Notizen, kein Klausurrelevantes Thema. Drei freie Tage. Die Menschen jubelten.

So oder so war es mir egal. Ich hatte sowieso nicht vorgehabt meine Aufmerksamkeit auf irgendetwas anderes als Bella zu richten.

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Heute schob ich meinen Stuhl nicht von ihr weg um mir Platz zum atmen zu lassen. Stattdessen setzte ich mich so nah neben sie wie jeder normale Mensch es tun würde. Näher als wir im Auto nebeneinander gesessen hatten, nah genug, dass die linke Seite meines Körpers in die Hitze ihrer Haut getaucht wurde.

Es war eine seltsame Erfahrung, sowohl angenehm als auch nervenaufreibend, aber es war mir lieber als ihr gegenüber zu sitzen. Es war mehr als ich gewöhnt war aber ich merkte schnell, dass es noch nicht genug war. Ich war nicht zufrieden. Ihr so nah zu sein, bewirkte lediglich dass ich ihr noch näher sein wollte. Die Anziehungskraft wurde stärker je näher ich kam.

Ich hatte sie beschuldigt ein Magnet für Gefahren zu sein. In diesem Moment fühlte es sich so an wäre das die buchstäbliche Wahrheit. Ich war eine Gefahr und mit jedem Millimeter den ich mir erlaubte ihr näher zu kommen wurde ihre Anziehungskraft stärker.

Und dann lösche Mr. Banner das Licht.Es war seltsam was für einen großen Unterschied das machte, wenn man bedachte, dass

meinen Augen die Dunkelheit nichts ausmachte. Ich konnte genau so gut sehen wie vorher. Jedes Detail des Raumes war klar zu sehen.

Also warum diese plötzliche Elektrizität in der Luft, in der Dunkelheit die für mich nicht dunkel war? Lag es daran, dass ich wusste dass ich der einzige war der klar sehen konnte? Dass wir beide, Bella und ich, unsichtbar für die anderen waren? Als wären wir allein in diesem Raum, nur wir beide, versteckt in diesem dunklen Raum, so nah beieinander…

Meine Hand bewegte sich ohne mein Zutun auf sie zu. Nur um ihre Hand zu berühren, sie in der Dunkelheit zu halten. Wäre das ein so schrecklicher Fehler? Wenn meine Haut sie störte, musste sie ihre Hand nur zurückziehen…

Ich riss meine Hand zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und ballte die Hände zu Fäusten zusammen. Keine Fehler. Ich hatte mir versprochen keine Fehler zu machen, egal wie klein sie auch sein mögen. Wenn ich ihre Hand halten würde – würde ich nur noch mehr wollen – eine weitere unbedeutende Berührung, ein weiteres Stück näher zu ihr rücken. Ich konnte es fühlen. Eine neue Art von Verlangen wuchs in mir und versuchte meine Selbstkontrolle auszuschalten.

Keine Fehler.Bella kreuzte ebenfalls ihre Arme vor der Brust und ballte ihre Hände zu Fäusten wie meine.Was denkst du? Ich sehnte mich danach ihr diese Frage zu stellen, aber der Raum war zu

ruhig um mit einer geflüsterten Unterhaltung davon zu kommen.Der Film begann und erhellte die Dunkelheit ein kleinwenig. Bella schielte zu mir herüber und

bemerkte meine steife Körperhaltung – genau wie die Ihre – und lächelte. Sie öffnete leicht ihre Lippen und ihre Augen strahlten warm und einladend.

Oder vielleicht sah ich auch nur, was ich sehen wollte.Ich lächelte zurück; sie schnappte kurz nach Luft und sah dann schnell weg.Das machte es noch schlimmer. Ich kannte ihre Gedanken nicht aber ich war mir plötzlich

sicher, dass ich heute Morgen recht gehabt hatte und sie wollte dass ich sie berühre. Sie spürte dieses gefährliche Verlangen genauso sehr wie ich.

Die elektrische Spannung summte zwischen unseren Körpern.Sie bewegte sich die ganze Stunde keinen Millimeter und behielt ihre steife, kontrollierte

Position bei wie ich mein. Gelegentlich blinzelte sie zu mir herüber und jedesmal durchfuhr mich schlagartig der summende Strom.

Die Stunde verging – langsam aber immer noch nicht langsam genug. Das war so neu, ich hätte tagelang so mit ihr dasitzen können, nur um dieses Gefühl zu erforschen.

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Ich hatte tausende kleiner Auseinandersetzungen mit mir selbst während die Minuten vergingen, Vernunft kämpfte gegen Verlangen, während ich versuchte eine Berührung zu rechtfertigen.

Schließlich schaltete Mr. Banner das Licht wieder ein.In dem grellen Licht wurde die Atmosphäre in dem Raum wieder normal. Bella seufzte,

streckte sich und bog ihre Finger durch. Es musste unangenehm für sie gewesen sein, diese Position so lange beizubehalten. Für mich war es leichter – Reglosigkeit war ganz natürlich.

Ich schmunzelte über ihren Erleichterten Gesichtsausdruck. „Das war interessant.“„Mmm,“ murmelte sie und verstand genau was ich meinte, sagte aber nichts weiter. Was

würde ich dafür geben, zu wissen, was sie jetzt dachte.Ich seufzte. Wie oft ich es mir auch wünschte, es half nichts.„Sollen wir?“ fragte ich.Sie verzog das Gesicht und erhob sich ungeschickt, ihre Hände ausgestreckt als hätte sie

Angst jeden Moment zu fallen.Ich könnte ihr meine Hand anbieten. Oder ich könnte meine Hand unter ihren Ellenbogen

legen – ganz leicht nur – um sie zu stützen. Das wäre sicher nicht allzu schlimm…Keine Fehler.Sie war sehr still während wir zur Sporthalle gingen. Die Falte zwischen ihren Augen war ein

Beweis, ein Zeichen dafür, dass sie tief in Gedanken war. Auch ich war nachdenklich.Eine leichte Berührung ihrer Haut würde sie nicht verletzen, argumentierte meine Egoistische

Seite.Ich konnte den Druck meiner Berührung kontrollieren. Es war nicht besonders schwer wenn

ich mich zusammen riss. Mein Taktgefühl war besser entwickelt als das eines Menschen; ich konnte mit einem dutzend Kristallgläser jonglieren ohne eins zu zerbrechen; Ich konnte eine Seifenblase berühren ohne dass sie zerplatze. So lange ich mich unter Kontrolle hatte…

Bella war wie eine Seifenblase – zerbrechlich und kurzlebig. Befristet.Wie lang könnte ich meine Anwesenheit in ihrem Leben rechtfertigen? Wie viel Zeit hatte

ich? Hätte ich eine weitere Chance wie diese, wie diesen Moment, wie diese Sekunde? Sie würde nicht für immer in meiner Reichweite sein…

Bella drehte sich vor der Eingangstür zur Sporthallte zu mir um und ihrer Augen weiteten sich als sie den Ausdruck in meinem Gesicht sah. Sie sprach nicht. Ich sah mich selbst in dem Spiegel ihrer Augen, sah den Kampf in meinen eigenen wüten. Ich sah wie sich mein Gesicht änderte als meine bessere Hälfte den Kampf verlor.

Meine Hand hob sich ohne mein Zutun. So sanft als wäre sie aus hauchdünnem Glas, als wäre sie eine Seifenblase, strichen meine Finger über die warme Haut die ihre Wangenknochen bedeckte. Sie wurde noch wärmer unter meiner Berührung und ich konnte das Pulsieren ihres Blutes unter ihrer transparenten Haut spüren.

Genug, befahl ich mir, obwohl meine Hand danach verlangte ihr Gesicht zu streicheln. Genug.Es war schwer meine Hand zurück zu ziehen, mich davon abzuhalten ihr noch nähre zu

kommen als ich bereits war. Tausende von Möglichkeiten rasten auf einmal durch meinen Kopf – tausend unterschiedliche Möglichkeiten sie zu berühren. Meine Fingerspitzen über die Konturen ihrer Lippen führen. Meine Handfläche unter ihr Kinn legen. Die Spange aus ihrem Haar ziehen und spüren wie es sich über meiner Hand ausbreitete. Meine Arme um ihre Taille legen, sie an meinen Körper heranziehen.

Genug.

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Ich zwang mich, mich von ihr abzuwenden und mich von ihr zu entfernen. Mein Körper bewegte sich steif – widerwillig.

Ich ließ meinen Geist verweilen um zu beobachten wie sie sich hastig umdrehte, nahezu vor der Versuchung davonrannte. Ich fing Mike Newtons Gedanken auf – sie waren am lautesten – während er beobachtete, wie Bella unaufmerksam an ihm vorbeieilte, ihre Augen ausdruckslos und ihre Wangen gerötet. Er blickte finster drein und plötzlich raste mein Name in Verbindung mit unzähligen Flüchen durch seinen Kopf; ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

Meine Hand kribbelte. Ich streckte sie und ballte sie dann zu einer Faust zusammen, aber ich spürte immer noch ein schmerzlos Stechen.

Nein, ich hatte sie nicht verletzt – aber sie zu berühren war dennoch ein Fehler gewesen. Es fühlte sich an als würde ich brennen – als hätte sich das Brennen meines Durstes auf

meinen gesamten Körper ausgebreitet.Wenn ich ihr das nächste Mal nahe war, würde ich mich davon abhalten können, sie wieder

zu berühren? Und wenn ich sie einmal berührte, würde ich danach aufhören können?Keine Fehler mehr. Das war‘s. Genieße den Moment, Edward, sagte ich mir grimmig, und

behalte deine Hände bei dir. Das oder ich würde mich dazu zwingen müssen zu gehen… irgendwie. Denn ich konnte es mir nicht erlauben in ihrer Nähe zu sein, wenn ich weiterhin Fehler machen würde.

Ich atmete tief durch und versuchte meine Gedanken zu bändigen.Emmett holte mich vor dem Englisch-Gebäude ein.„Hey, Edward.“ Er sieht besser aus. Seltsam, aber besser. Glücklich.„Hey, Em.“ Sah ich glücklich aus? Ich denke, abgesehen von dem Chaos in meinem Kopf,

fühlte ich mich glücklich.Du solltest in Zukunft besser deine Klappe halten, Junge. Rosalie will dir die Zunge

herausreißen.Ich seufzte. „Tut mir leid, dass du es ausbaden musstest. Bist du sauer auf mich?“„Ach was. Rose wird darüber hinweg kommen. Es musste doch so kommen.“ Bei dem was

Alice kommen sieht…Im Moment wollte ich nicht an Alices Visionen denken. Ich starrte geradeaus und presste

meine Zähne aufeinander.Als ich mich nach einer Ablenkung umsah, sah ich wie Ben Cheney den Spanischraum vor uns

betrat. Ah – hier war meine Gelegenheit Angela Weber ihr Geschenk zu geben.Ich hielt an und packte Emmett am Arm. „Warte eine Sekunde.“Was ist los?„Ich weiß, dass ich es nicht verdiene, aber würdest du mir trotzdem einen Gefallen tun?“„Was denn für einen?“ fragte er neugierig.Leise – und in einer Geschwindigkeit die es einem Menschen unmöglich machte die Worte zu

verstehen, selbst wenn ich sie lauter ausgesprochen hätte – erklärte ich ihm was ich vorhatte.Er starrte mich ausdruckslos an, seine Gedanken waren genauso leer wie sein Gesicht.„Also?“ drängte ich. „Wirst du mir helfen?“Er brauchte eine Minute um zu antworten. „Aber, warum?“„Komm schon, Emmett. Warum nicht?“Wer bist du und was hast du mit meinem Bruder gemacht?„Bist du nicht derjenige der sich dauernd beschwert, dass in der Schule immer dasselbe

passiert? Das hier ist doch mal was anderes, oder nicht? Nenn es ein Experiment – ein Experiment der menschlichen Natur.“

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Er schaute mich eine weitere Minute an bevor er nachgab. „Naja, es ist etwas anderes, das geb ich zu… na gut, okay.“ Emmett schnaubte und zuckte dann mit den Schultern. „Ich werde dir helfen.“

Ich grinste ihn an und war noch begeisterter von meinem Plan, jetzt da er dabei war. Rosalie war eine Nervensäge aber ich schuldete ihr etwas dafür, dass sie Emmett ausgewählt hatte; niemand hatte einen besseren Bruder, als ich.

Emmett brauchte nicht zu üben. Ich flüsterte ihm zu was er sagen sollte, während wir den Klassenraum betraten.

Ben saß bereits auf seinem Platz hinter mir und suchte seine Hausaufgaben zusammen um sie einzureichen. Emmett und ich setzen uns und taten dasselbe. Im Klassenraum war es noch nicht still; das murmeln der gedämpften Unterhaltungen würde anhalten bis Mrs. Goff um Aufmerksamkeit bat. Sie hatte keine Eile während sie die Tests der letzten Klasse begutachtete.

„Also,“ sagte Emmett etwas lauter als nötig – wenn er nur mit mir sprechen würde. „Hast du Angela Weber schon gefragt ob sie mit dir ausgeht?“

Das Geräusch von raschelndem Papier hinter mir hörte abrupt auf als Ben erstarrte und seine Aufmerksamkeit auf unsere Unterhaltung lenkte.

Angela? Sie reden über Angela?Gut. Ich hatte sein Interesse geweckt.„Nein,“ sagte ich und schüttelte langsam meinen Kopf um enttäuscht zu wirken.„Warum nicht?“ improvisierte Emmett. „Bist du zu feige?“Ich schnitt ihm eine Grimasse. „Nein, ich hab gehört, dass sie an jemand anderem interessiert

ist.“Edward Cullen wollte Angela um ein Date bitten? Aber… Nein, das gefällt mir nicht. Ich will

nicht, dass er in ihrer Nähe ist. Er ist… nicht richtig für sie. Nicht… sicher.Ich hätte nicht mit seiner Ritterlichkeit gerechnet, seinem Beschützerinstinkt. Ich hatte auf

Eifersucht spekuliert. Aber so sollte es auch gehen.„Davon lasst du dich abhalten?“ fragte Emmett verächtlich und improvisierte wieder. „Keine

Lust auf einen kleinen Konkurrenzkampf?“Ich warf ihm einen finsteren Blick zu, aber versuchte das Beste aus dem zu machen, was er

mir gab. „Weißt du, ich glaube sie mag diesen Ben wirklich. Ich werde nicht versuchen sie vom Gegenteil zu überzeugen. Es gibt auch noch andere Mädchen.“

Die Reaktion in dem Stuhl hinter mir war elektrisch.„Wer?“ fragte Emmett und hielt sich wieder an das Drehbuch.„Mein Laborpartner sagte es wäre irgendein Typ namens Cheney. Ich bin mir nicht sicher ob

ich ihn kenne.“Ich unterdrückte mein Lächeln. Nur die hochmütigen Cullens konnte es sich erlauben

vorzugeben nicht jeden Schüler an dieser kleinen Schule zu kennen.Bens Kopf war wirr vor Schock. Mich? Lieber als Edward Cullen? Aber warum sollte sie mich

mögen?„Edward,“ murmelte Emmett etwas leiser und deutete mit den Augen auf den Jungen. „Er

sitzt direkt hinter dir,“ formte er so deutlich mit den Lippen, dass der Mensch die Worte leicht ablesen konnte.

„Oh,“ murmelte ich zurück.Ich drehte mich um und warf einen kurzen Blick auf den Jungen hinter mir. Für eine Sekunde

waren die schwarzen Augen hinter der Brille verängstigt, aber dann versteifte er sich und hob seine

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schmalen Schultern, angegriffen von meiner eindeutig herablassenden Bewertung. Er reckte sein Kinn und ein Anflug von Wut verdunkelte seine goldbraune Haut.

„Hah,“ sagte ich arrogant als ich mich wieder zu Emmett umdrehte.Er denkt, er wäre etwas Besseres als ich. Aber Angela nicht. Ich werd‘s ihm schon zeigen…Perfekt.„Hattest du nicht gesagt, dass sie mit Yorkie zum Ball geht?“ fragte Emmett und schnaubte

als er den Namen des Jungen aussprach den viele wegen seiner Ungeschicklichkeit verachteten.„Das war anscheinend sowas wie eine Gruppenentscheidung.“ Ich wollte dass Ben darüber

Bescheid wusste. „Angela ist schüchtern. Wenn B – naja, wenn ein Junge nicht den Mut aufbringt sie zu fragen ob sie mit ihm ausgehen möchte, würde sie es auch nie tun.“

„Du magst wohl schüchterne Mädchen,“ sagte Emmett wieder improvisierend. Stille Mädchen. Mädchen wie… hmm, ich weiß nicht. Vielleicht Bella Swan?

Ich grinste ihn an. „Genau.“ Dann kam ich wieder zu unserem Auftritt zurück. „Vielleicht wird Angela irgendwann müde zu warten. Vielleicht frag ich sie ob sie mit mir zum Abschlussball geht.“

Nein, das wirst du nicht, dachte Ben und setzte sich in seinem Stuhl auf. Was macht es schon, dass sie so viel größer ist als ich? Wenn es ihr nichts ausmacht, dann stört es mich auch nicht. Sie ist das netteste, intelligenteste und schönste Mädchen an der ganzen Schule… und sie mag mich.

Ich mochte diesen Ben. Er schien klug zu sein und es ehrlich zu meinen. Vielleicht verdiente er sogar ein Mädchen wie Angela.

Ich zeigte Emmett ein Daumen-Hoch-Zeichen unter dem Tisch als Mrs. Goff die Klasse begrüßte.

Okay, ich geb es zu – es hat irgendwie Spaß gemacht, dachte Emmett.Ich lächelte zufrieden darüber, dass ich es geschafft hatte einer Liebesgeschichte zum Happy

End zu verhelfen. Ich war zuversichtlich, dass Ben sein Vorhaben in die Tat umsetzte und Angela ihr Geschenk von mir bekam. Meine Schulden waren beglichen.

Wie dumm die Menschen doch waren, sich von sechs Inch Unterschied ihr Glück zerstören zu lassen.

Mein Erfolg versetzte mich in gute Stimmung. Ich lächelte wieder als ich mich in meinem Stuhl zurücklehnte und mich darauf vorbereitet unterhalten zu werden. Immerhin, wie Bella beim Mittagessen gesagt hatte, hatte ich sie noch nie beim Sport gesehen.

Mikes Gedanken waren am leichtesten zu finden in dem Stimmengewirr in der Sporthalle. Sein Geist war mir nur zu vertraut geworden in den letzten Wochen. Mit einem Seufzen ließ ich mich dazu herab durch ihn zu hören. Immerhin konnte ich mir sicher sein, dass er seine Aufmerksamkeit auf Bella richten würde.

Ich kam gerade rechtzeitig um zu hören, wie er ihr anbot ihr Badminton-Partner zu sein; als er den Vorschlag machte, ging er in Gedanken noch andere Partnerschaftliche Aktivitäten mit ihr durch. Mein Lächeln erstarb, meine Zähne schlugen aufeinander und ich musste mich daran erinnert, dass Mike Newton zu ermorden keine Option war.

„Danke, Mike – du weißt, dass du das nicht tun musst.“„Keine Sorge, ich werde Abstand halten.“Sie grinsten sich an und unzählige kleine Unfälle – alle irgendwie in Verbindung mit Bella –

rasten durch Mikes Kopf.Mike spielte zuerst alleine, während Bella sich auf dem hinteren Teil des Spielfeldes

herumdrückte und ihren Schläger so behutsam hielt, als wäre er eine Art Waffe. Dann kam Coach Clapp vorbei und wies Mike an, Bella mitspielen zu lassen.

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Oh oh, dachte Mike als Bella seufzend näher kam und ihren Schläger in einem seltsamen Winkel hielt.

Jennifer Ford schlug den Federball direkt zu Bella mit einem selbstgefälligen Ton in ihren Gedanken. Mike sah wie Bella nach ihm schlug und ihren Schläger meterweit an ihrem Ziel vorbeischwang. Er griff ein und versuchte den Ball zu retten.

Ich beobachtete die Flugbahn von Bellas Schläger alarmiert. Er traf das gespannte Netz und sprang zu ihr zurück, traf ihre Stirn und schleuderte herum um Mikes Arm mit einem schallenden Klatschen zu treffen.

Au. Au. Autsch. Das gibt einen fette blauen Fleck.Bella knetete ihre Stirn. Es war schwer auf meinem Platz sitzen zu bleiben wo ich hingehörte,

wenn ich sah, dass sie verletzt war. Aber was könnte ich tun wenn ich da wäre? Außerdem schien es keine schwere Verletzung zu sein… Ich zögerte weiter zu zusehen. Wenn sie vorhatte weiterhin zu versuchen zu spielen, würde ich eine Ausrede erfinden müssen um sie aus dem Unterricht zu holen.

Der Coach lachte. „Tut mir leid, Newton.“ Diese Mädchen ist der schlimmste Fluch den ich je gesehen habe. Man sollte sie den anderen nicht aufdrängen…

Er drehte sich vorsätzlich um und ging weiter um eine anderes Spiel zu beobachte, so dass Bella wieder in ihre vorherige Beobachterposition zurückfallen konnte.

Au, dachte Mike wieder und massierte seinen Arm. Er drehte sich zu Bella um. „Bist du okay?“

„Ja, und du?“ fragte sie scheu und wurde rot.„Ich glaub ich werd’s überleben.“ Ich möchte ja nicht wie eine Heulsuse klingen. Aber,

verdammt, das tut weh!Mike schwang seinen Arm im Kreis und stöhnte.„Ich werde einfach hier hinten stehen bleiben,“ sagte Bella, eher mit Scham und Verdruss im

Gesicht als Schmerzen. Vielleicht hatte Mike das meiste abbekommen. Ich hoffte ehrlichgesagt, dass es so war. Immerhin spielte sie nicht weiter. Sie hielt ihren Schläger vorsichtig hinter ihrem Rücken und ihre Augen waren geweitete vor Reue… Ich musste mein Lachen als Husten tarnen.

Was ist so lustig? Wollte Emmett wissen.„Erzähl ich dir später,“ murmelte ich.Bella griff nicht mehr in das Spiel mit ein. Der Coach ignorierte sie und ließ Mike alleine

spielen.Ich raste durch den Test am Ende der Stunde und Mrs. Goff ließ mich früher gehen. Ich

achtete genau auf Mike während ich über das Schulgelände lief. Er hatte sich entschieden, Bella auf mich anzusprechen.

Jessica schwört, dass sie zusammen sind. Warum? Warum musste er ausgerechnet sie auswählen?

Er schien das wahre Phänomen nicht zu bemerkten – das sie mich ausgewählt hatte.„Also.“„Also, was?“ wunderte sie sich.„Du und Cullen, huh?“ Du und der Freak. Wenn dir ein reicher Typ so viel bedeutet…Ich knirschte mit den Zähnen bei dieser herabsetzenden Annahme.„Das geht dich nichts an, Mike.“Verteidigung. Also ist es wahr. Mist. „Das gefällt mir nicht.“„Das muss es auch nicht,“ schnappte sie.

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Warum sieht sie nicht was für eine Zirkusattraktion er ist? Wie sie alle. So wie er sie anstarrt. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich das sehe. „Er sieht dich an, als ob… als ob du etwas zu Essen wärst.“

Ich zuckte zusammen und wartete auf ihre Antwort.Ihr Gesicht wurde knallrot und sie presste ihre Lippen zusammen als würde sie den Atem

anhalten. Dann, plötzlich, prustete sie los.Jetzt lacht sie mich aus. Großartig.Mikes Gedanken wurden trotzig und er verschwand in der Umkleidekabine.Ich lehnte mich an die Mauer der Turnhalle und versuchte mich zu fassen.Wie konnte sie über Mikes Beobachtung lachen – er hatte so genau ins Schwarze getroffen,

dass ich mir Sorgen zu machen begann, ob Forks zu viel wusste… Weshalb sollte sie über die Vermutung lachen, dass ich sie töten könnte, wenn sie wusste, dass es die absolute Wahrheit war? Was war daran lustig?

Was stimmte nicht mit ihr?Hatte sie einen mörderischen Sinn für Humor? Das würde nicht zu meiner Vorstellung ihres

Charakters passen, aber wie konnte ich mir sicher sein? Oder vielleicht war mein Tagtraum über den albernen Engel in so fern wahr, dass sie gar keine Angst empfinden konnte. Mutig – das war ein Wort dafür. Andere Leute würden sagen dumm, aber ich wusste wie schlau sie war. Egal was der Grund dafür war, keine Angst zu empfinden und auch dieser verdrehte Sinn für Humor waren nicht gut für sie. War es diese seltsame Eigenheit die sie in ständige Gefahr brachte? Vielleicht würde sie mich für immer hier brauchen…

Bei dem Gedanken hob sich meine Stimmung.Wenn ich mich zusammenreißen konnte, mich sicher machen konnte, dann wäre es vielleicht

richtig bei ihr zu bleiben.Als sie durch die Tür der Turnhalle trat, hatte sie ihre Schultern angezogen und biss sich

wieder auf die Unterlippe – an Anzeichen für Besorgnis. Aber sobald ihr Blick meinen traf, entspannte sie ihre Schultern und ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht. Es war ein seltsam friedlicher Ausdruck. Sie kam ohne zu zögern auf mich zu und hielt erst an, als sie so nah war, dass die Hitze ihres Körpers wie eine Welle auf mich zu schwappte.

„Hi,“ flüsterte sie.Das Glück, dass ich in dem Moment empfand war wieder mit nichts zu vergleichen.„Hallo,“ sagte ich und dann – weil meine Laune plötzlich wieder so gut war, konnte ich es

nicht lassen sie aufzuziehen – fügte ich hinzu. „Wie war Sport?“Ihr Lächeln schwand. „Gut.“Sie war eine schlechte Lügnerin.„Wirklich?“ fragte ich – ich machte mir immer noch sorgen um ihren Kopf; hatte sie

Schmerzen? – aber Mike Newtons Gedanken waren so laut, dass sie meine Konzentration störten.Ich hasse ihn. Ich wünschte er würde sterben. Ich hoffe er fährt mit seinem glänzenden Auto

direkt über eine Klippe. Warum konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen? Er sollte sich an seinesgleichen halten – an die Freaks.

„Was?“ verlangte Bella?Ich richtete meine Augen wieder auf ihr Gesicht. Sie sah Mike hinterher und dann wieder zu

mir.„Newton geht mir langsam auf die Nerven,“ gab ich zu.

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Ihr Mund klappte auf und ihr Lächeln verschwand. Sie musste vergessen haben, dass ich die Macht hatte, sie ihre letzte verhängnisvolle Stunde über zu beobachten, oder gehofft, dass ich davon keinen Gebrauch gemacht hatte. „Hast du schon wieder zugehört?“

„Wie geht es deinem Kopf?“„Du bist unglaublich!“ presste sie durch ihre Zähne, dreht sich um und stapfte wütend

Richtung Parkplatz. Ihre Haut wurde dunkelrot – es war ihr peinlich.Ich holte zu ihr auf und hoffte, dass ihr Ärger bald verschwand. Normalerweise verzieh sie mir

recht schnell.„Du hast doch erwähnt, dass ich dich noch nie bei Sport gesehen habe,“ erklärte ich. „Das hat

mich neugierig gemacht.“Sie antwortete nicht; ihre Augenbrauen eng zusammengezogen.Sie hielt plötzlich an, als sie sah, dass der Weg zu meinem Wagen von einer Traube

männlicher Schüler versperrt war.Ich frag mich, wie schnell das Ding fährt…Sie dir die SMG shift paddel (irgend so ein Autofachkram… keine Ahnung was das ist) an.

Sowas hab ich noch nie außerhalb eines Magazins gesehen…Nette Seitengitter …Ich wünschte ich hätte sechzigtausend Dollar herumliegen…Genau deshalb war es besser, wenn Rosalie ihren Wagen nur außerhalb der Stadt nutzte.Ich wand mich durch das Gedränge wollüstiger Jungs zu meinem Auto; Bella zögerte eine

Sekunde und tat es mir dann gleich.„Protzig,“ murmelte ich, als sie einstieg.„Was ist das für ein Wagen?“ wunderte sie sich.„Ein M3.“Sie runzelte die Stirn. „Diese Sprache spreche ich nicht.“„Es ist ein BMW.“ Ich verdrehte meine Augen und konzentrierte mich dann darauf,

auszuparken ohne irgendjemanden zu überfahren. Ich musste in paar Jungs tief in die Augen sehen, die scheinbar nicht aus dem Weg gehen wollten. Meinem Blick eine halbe Sekunde lang zu begegnen reichte aus um sie vom Gegenteil zu überzeugen.

„Bist du immer noch sauer?“ fragte ich sie.„Definitiv,“ antwortete sie knapp.Ich seufzte. Vielleicht hätte ich es nicht ansprechen sollen. Aber naja. Ich konnte versuchen

ihr entgegenzukommen, denke ich. „Würdest du mir verzeihen, wenn ich mich entschuldige?“Sie dachte einen Moment darüber nach. „Vielleicht… wenn du es ernst meinst,“ entschied

sie. „Und wenn du mir versprichst, es nicht noch einmal zu tun.“Ich wollte sie nicht anlügen und deshalb konnte ich dem auf keinen Fall zustimmen. Vielleicht

konnte ich ihr etwas anderes anbieten.„Wie wäre es, wenn ich es ernst meine und dir erlaube am Samstag zu fahren?“ Ich zuckte

innerlich zusammen bei dem Gedanken.Die Falte zwischen ihren Augen kam zum Vorschein, als sie darüber nachdachte. „In

Ordnung,“ sagte sie einen Augenblick später.Nun zu meiner Entschuldigung… Ich hatte noch nie zuvor versucht Bella absichtlich zu

blenden, aber jetzt schien ein guter Zeitpunkt dafür zu sein. Ich schaute ihr tief in die Augen als ich vom Schulgelände herunter fuhr, und fragte mich ob ich es wohl richtig machte. Ich nutzte meinen Überzeugendsten Tonfall.

„Dann tut es mir sehr leid, dass ich dich verärgert habe.“

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Ihr Herz schlug lauter als zuvor, und der Rhythmus war abgehackt. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sahen etwas verblüfft aus.

Ich lächelte halb. Es sah so aus als hätte ich es richtig gemacht. Natürlich hatte ich auch einige Schwierigkeiten meinen Blick von ihren Augen zu lösen. Genauso geblendet. Gut, dass ich diese Straße in und auswendig kannte.

„Und ich werde Samstag früh pünktlich vor deiner Tür stehen,“ fügte ich hinzu um die Verabredung zu besiedeln.

Sie blinzelte kurz und schüttelte ihren Kopf, scheinbar um wieder klar denken zu können. „Ähm,“ sagte sie, „es hilft nicht wirklich bei der Sache mit Charlie, wenn plötzlich ein Volvo ohne Erklärung in der Einfahrt steht.“

Ah, wie wenig sie mich immer noch kannte. „Ich hatte nicht vorgehabt mein Auto mitzubringen.“

„Wie - …“ wollte sie fragen.Ich unterbrach sie. Die Antwort würde schwer zu erklären sein ohne es zu demonstrieren und

dafür war wir jetzt kaum die richtige Zeit. „Mach dir deswegen keine Sorgen. Ich werde da sein, ohne Auto.“

Sie lehnte ihren Kopf zur Seite und sah einen Moment so aus, als würde sie weiter nachfragen wollen, änderte aber dann doch ihre Meinung.

„Ist es schon später?“ fragte sie und erinnerte mich an unsere noch nicht beendete Unterhaltung in der Cafeteria; sie ließ die eine schwierige Frage fallen um dann direkt zu einer anderen noch unangenehmeren zu kommen.

„Ich vermute es ist später,“ stimmte ich widerwillig zu.Ich parkte vor ihrem Haus und war angespannt als ich überlegte wie ich es ihr erklären

könnte… ohne meine monströse Natur zu sehr zu offenbaren, ohne sie wieder zu ängstigen. Oder war das falsch? Meine Dunkelheit zu minimieren?

Sie wartete mit demselben höflich interessierten Gesichtsausdruck den sie beim Mittagessen aufgesetzt hatte. Wenn ich nicht so ängstlich gewesen wäre, hätte ich wohl darüber gelacht.

„Und du willst wirklich immer noch wissen, warum du mich nicht jagen sehen darfst?“ fragte ich.

„Naja, ich hab mich eigentlich mehr über deine Reaktion gewundert,“ sagte sie.„Hab ich dir Angst gemacht?“ fragte ich und war mir sicher, dass sie es verneinen würde.„Nein.“Ich versuchte nicht zu lächeln, aber es gelang mir nicht. „Tut mir leid, dass ich dich erschreckt

habe.“ Und dann verschwand mein Lächeln gleichzeitig mit jedem Anflug von Humor. „Es lag nur an dem Gedanken daran, wie es wäre wenn du dabei wärst… wenn wir jagen.“

„Das wäre schlecht?“Das Bild in meinem Kopf war zu viel – Bella, so verletzlich in der leeren Dunkelheit: ich selbst,

außer Kontrolle… ich versuchte es aus meinem Kopf zu verbannen. „Sehr.“„Weil…?“Ich atmete tief durch und konzentrierte mich für einen Moment auf den brennenden Durst.

Fühlte ihn, managte ihn, bewies meine Gewalt über ihn. Ich würde mich nicht mehr kontrollieren müssen – ich wollte so sehr, dass es wahr wäre. Ich würde sicher für sie sein. Ich starrte auf die willkommenen Wolken ohne sie zu sehen, wünschte mir ich könnte glauben, dass meine Entschlossenheit irgendeinen Unterschied machen würde, wenn ich beim Jagen auf ihren Geruch stieß.

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„Wenn wir jagen… geben wir uns ganz unseren Sinnen hin,“ erklärte ich ihr und überdacht jedes Wort bevor ich es aussprach. „Wir lassen uns weniger von unseren Köpfen leiten. Besonders von unserem Geruchssinn. Wenn du irgendwo in der Nähe wärst, wenn ich so die Kontrolle über mich verliere…“

Ich schüttelte gequält meinen Kopf bei der Vorstellung was dann mit Sicherheit passieren würde – nicht könnte, sondern würde.

Ich lauschte auf ihren Herzschlag und drehte mich dann ruhelos zu ihr um, um in ihren Augen lesen zu können.

Bellas Gesicht war gefasst, ihre Augen blickten ernst. Ihr Mund war leicht geschürzt vor Besorgnis vermutete ich. Aber besorgt um was? Ihre eigene Sicherheit? Oder meine Qual? Ich starrte sie weiter an und versuchte ihren vieldeutigen Ausdruck zu interpretieren.

Sie erwiderte meinen Blick. Nach einer Weile wurden ihre Augen größer und ihre Pupillen weiteten sich obwohl sich das Licht nicht geändert hatte.

Mein Atem wurde schneller und plötzlich schien die Stille im Auto zu summen, genau wie in dem dunklen Biologieraum diesen Nachmittag. Der pulsierende Strom zwischen uns erhob sich wieder und das Verlangen sie zu berühren war, kurzzeitig, stärker als das Begehren meines Durstes.

Die pochende Elektrizität fühlte sich an, als hätte ich wieder einen Puls. Mein Körper sang mit. Als wäre ich wieder ein Mensch. Mehr als alles andere auf der Welt wollte ich die Hitze ihrer Lippen auf meinen spüren. Für eine Sekunde kämpfte ich verzweifelt um die Kraft, die Kontrolle, meinen Mund auf ihre Haut legen zu können…

Sie atmete hastig ein und erst da merkte ich, dass, als ich begonnen hatte schneller zu atmen, sie ganz aufgehört hatte.

Ich schloss meine Augen bei dem Versuch die Verbindung zwischen uns zu unterbrechen.Keine Fehler mehr.Bellas Existenz war an tausend anfällige, ausgewogene chemische Prozesse gebunden die alle

so einfach zum erliegen gebracht werden konnte. Das rhythmische Ausdehnen ihrer Lungenflügel, der Strom von Sauerstoff bedeutete Leben oder Tod für sie. Der flatternde Rhythmus ihres zerbrechlichen Herzens konnte von so vielen dummen Unfällen oder Krankheiten unterbrochen werden oder… von mir.

Ich glaube nicht, dass irgendeiner aus meiner Familie zögern würde, wenn er oder sie eine Chance geboten bekäme zurückzukehren – wenn er oder sie die Untersterblichkeit gegen Sterblichkeit würde eintauschen können. Jeder von uns würde dafür durchs Feuer gehen. Für so viele Tage oder Jahrhunderte brennen wie nötig.

Die meisten unserer Art preisten die Unsterblichkeit über alles andere. Es gab sogar Menschen die danach strebten, die an dunklen Orten nach denen suchten, die ihnen das dunkelste aller Geschenke machen konnten…

Wir nicht. Nicht meine Familie. Wir würden alles dafür geben, Menschen zu sein.Aber keiner von uns hatte sich je so verzweifelt danach gesehnt wie ich in diesem Moment.Ich starte auf die mikroskopisch kleinen Gruben und Risse in der Windschutzscheibe, als wäre

eine Lösung in dem Glas versteckt. Die Elektrizität war noch nicht verschwunden und ich musste mich konzentrieren um meine Hände am Lenkrad zu halten.

Meine rechte Hand begann wieder zu stechen, aber ohne Schmerzen, von da wo ich sie vorher berührt hatte.

„Bella, ich denke du solltest jetzt reingehen.“Sie gehorchte sofort ohne Kommentar, stieg aus dem Wagen aus und schlug die Tür hinter

sich zu. Fühlte sie das Katastrophenpotential genauso deutlich wie ich?

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Schmerzte es sie genauso mich zu verlassen wie es mich schmerzte sie gehen zu lassen? Der einzige Trost war, dass ich sie bald wiedersehen würde. Eher als sie mich wiedersehen würde. Ich lächelte bei dem Gedanken, ließ dann das Fenster herunter und lehnte mich herüber um noch einmal mit ihr zu sprechen – es war sicherer, jetzt wo die Hitze ihres Körpers außerhalb des Wagens war.

Sie drehte sich um, neugierig was ich wollte.Immer noch neugierig, obwohl sie mir heute so viele Fragen gestellt hatte. Meine eigene

Neugierde war vollkommen unbefriedigt; ihre Fragen zu beantworten hatte nur meine Geheimnisse aufgedeckt – ich hatte wenig von ihr bekommen außer meinen eigenen Vermutungen. Das war nicht fair.

„Oh, Bella?“„Ja?“„Morgen bin ich an der Reihe.“Sie runzelte die Stirn. „An der Reihe womit?“„Fragen zu stellen.“ Morgen, wenn wir an einem sichereren Ort waren, umringt von Zeugen,

würde ich meine Antworten bekommen. Ich grinste bei dem Gedanken und dann wendete ich den Wagen, da sie keine Anstalten machte, zu gehen. Sogar wenn sie nicht im Auto war, hallte der elektrische Schwung in der Luft wieder. Ich wollte ebenfalls aussteigen um sie zur Tür zu begleiten, als Ausrede um an ihrer Seite zu sein…

Keine Fehler mehr. Ich trat aufs Gas und seufzte als sie hinter mir verschwand. Es schien als würde ich ständig zu Bella hinrennen und dann wieder vor ihr wegrennen, aber nie bleiben. Ich würde einen Weg finden müssen, mich zu behaupten wenn wir jemals im Begriff sein würden irgendeinen Frieden zu finden.