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Nur für die Feiertage Kirsten Marter-Dumsch 1

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Nur für die FeiertageKirsten Marter-Dumsch

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Mit einem schleifenden Geräusch öffnete sich die automatische Schiebetür und entließ eine Gruppe Heimkehrer in die Ankunftshalle. Eine Familie mit zwei vollbepackten Kofferkulis blieb in der Tür stehen und suchte unter den Wartenden nach einem bekannten Gesicht. Kopfschüttelnd schoben sich zwei Anzugträger mit Rollkoffern an ihnen vorbei. Seit fast einer Stunde saß sie auf einer Bank und sah jedes Mal auf, sobald das Schscht der Tür erklang. Auch jetzt keine Spur von ihm. Hätte sein Flugzeug nicht wenigstens diesmal pünktlich landen können?

Seit Tagen fragte sie sich, ob es ihrer Wiedersehensfreude gelingen würde, den Streit der letzten Wochen zu überwinden. Auf der Fahrt zum Flughafen hatte sich eine freudige Unruhe eingestellt, das bleierne Gefühl im Brustkorb aber wollte nicht weichen. Die Verspätung hatte es auch nicht leichter gemacht. Am 24. Dezember wartend in einer weihnachtlich geschmückten Ankunftshalle zu sitzen, ließ jede Menge Raum für Zweifel und Ängste. Sie versuchte sich abzulenken, indem sie beobachtete, wie man um sie herum mit Abschied und Wiedersehen umging. Je öfter man hier steht, dachte sie, desto banaler kommt es einem vor. Alles wird irgendwann Routine. Wirke ich auch so gelangweilt wie die telefonierende Blondine, die ihr Gespräch nicht mal mehr unterbricht, als ihr Mann ankommt, ihm nur beiläufig die Wange zum Kuss hinhält und auf ihre Armbanduhr und Richtung Parkplatz zeigt? Ohne eine Wort miteinander gewechselt zu haben, entfernten sie sich Richtung Ausgang. Ganz anders dagegen die Begrüßung daneben. Ungestüm rannte ein kleiner Junge auf seinen Vater zu, der seine Koffer fallen ließ, um ihn durch die Luft zu wirbeln und nach drei Umdrehungen die Mutter in die Umarmung einschloss.

Ihr Blick blieb gerade an einem Mann in kurzen Hosen hängen, als sie meinte, ihn im Hintergrund zu erkennen. Er sah sie ebenfalls

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und hob lächelnd die Hand. Sie winkte zurück und versuchte, die im Hals pulsierende Aufregung hinunterzuschlucken. Die Kofferkulifamilie stand immer noch im Weg und machte keinerlei Anstalten, zur Seite zu gehen, um der sich hinter ihr stauenden Menge Platz zu machen. Unmittelbar vor ihr umarmte sich jetzt ein älteres Paar. Der Mann war ihr zuvor schon aufgefallen, weil er immer wieder zur Anzeigetafel gelaufen war und die dort angegebene Zeit mit seiner Armbanduhr abgeglichen hatte. Die Frau war sehr klein, sah müde und etwas überfordert aus. Fürsorglich übernahm er Koffer und Handtasche, bot ihr den Arm und führte sie Richtung Aufzug. Dabei beugte er sich zu ihr hinunter und sprach unentwegt auf sie ein. Sie sah, wie die Frau seinen Arm drückte und registrierte ein Ziehen in der Brust.

»Wem schaust du denn so sehnsüchtig hinterher?«Sie sah auf. Er stand vor ihr und sah fragend auf sie herab. Lächelnd schüttelte sie den Kopf, streckte ihm die Hand entgegen und erhob sich. Einen Moment zögerte sie, dann umarmte sie ihn und lehnte die Stirn an seine Wange. Endlich.

„Schön dich zu sehen«, sagte sie. Die Stimme wollte ihr dabei nicht gehorchen, es klang in ihren eigenen Ohren, als sei er nur ein alter Bekannter, den sie zufällig träfe. Er hörte es wohl auch, denn er schob sie ein Stück von sich und sah sie irritiert an.

»Entschuldige, Frosch im Hals«, sagte sie, räusperte sich und wünschte, das brennende Gefühl in den Augen würde nachlassen. Sie wollte nicht weinen. Nicht jetzt und nicht hier. Tränen waren so sinnlos. Er küsste sie, schmeckte, wie immer wenn er aus einem Flieger kam, nach Pfefferminz. Ohne Kaugummi wurde ihm bei Landungen übel, egal wie oft er flog. Nur noch vier Tage bis zum Pfefferminzkuss, drei, zwei, einer. Wie oft hat sie schon so die Tage runtergezählt? Nicht darüber nachdenken, jetzt war er hier. Er war

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um die halbe Welt geflogen, um für die Feiertage bei ihr sein zu können, sie zu ihrer Familie zu begleiten. Mehr war im Moment unmöglich. Wie viele Tage sie danach runterzählen müsste, würde sich zeigen. Jetzt schmeckte sie Pfefferminz, jetzt war er hier.

Das Telefon hörte auf zu läuten. Fast zwei Minuten hatte es die Stille des Nachmittags durchbrochen, ohne erhört zu werden. Für einen Moment hatte sie befürchtet er würde hochschrecken, eilig aufstehen und abheben. Doch er schlief weiter, tief und regelmäßig atmend, ohne sich zu rühren. Er würde noch lange so schlafen, hatte er einmal zu diesem ruhigen Atemrhythmus gefunden, erwachte er nicht so schnell wieder, das wusste sie.

Anfangs lag sein Arm noch um ihre Taille, sein Gesicht an ihrem Haar. Doch im Einschlafen hatte er den Kopf zu Seite gewandt und nach einer Weile war ihm der Körper gefolgt, hatte er sich regelrecht eingeigelt in die Isolation des Schlafes. Trotzdem konnte sie unter der gemeinsamen Decke ganz deutlich seine Wärme spüren. Sie schaute zum Fenster. Draußen wurde es langsam dunkel. Das Schlafzimmer lag mittlerweile im Dämmerlicht, in dem sich die weiße Holzskulptur hell hervorhob. In diesem Licht wirkte sie noch mehr wie ein Kopf auf einem stilisierten Körper. Damals in der Galerie waren ihre Reaktionen sehr unterschiedlich ausgefallen. Sie war direkt von der figürlichen Wirkung und den sichtbaren Jahresringen angetan gewesen. Erst als sie nah davor standen hatten sie erkannt, dass die Jahresringe aus winzigen, akkurat geschriebenen Wörtern bestanden, die sich zu Sätzen und Geschichten aneinanderreihten. Der Titel des Werkes war hochkant in den Sockel gemeißelt: Werden!

Er war nicht so begeistert gewesen und hatte gemeint, eine ovale, weiß gebeizte Holzscheibe sei diesen Preis nicht wert. Die könne

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man sich beim Forstamt besorgen und selbst aufständern. Schlussendlich hatte er nachgegeben und das große und schwere Teil mit dem Galeristen zum Auto geschleppt. Einmal im Schlafzimmer aufgestellt räumte er jedoch ein, dass es dort sehr gut aussähe.Sie erinnerte sich, wie erstaunt und begeistert sie war, als sie eine Gedichtzeile darin fand, die aus einem ihrer Lieblingsgedichte stammte.

„Wo lernen wir träumen, und wach sein für unsere Träume, damit etwas von ihnen unsere Wirklichkeit wird?“1

Das, hatte sie damals gesagt, sei der Beweis, sie gehöre in ihr Haus. Sie strich ihm eine Strähne aus der Stirn. Hatten sie immer noch gemeinsame Träume? Eine weitere Strophe fiel ihr ein:

"Wo lernen wir klug genug zu sein, die Fragen zu meiden, die unsere Liebe nicht einträchtig machen. Und wo lernen wir, ehrlich genug zu sein trotz unserer Liebe und unserer Liebe zuliebe, die Fragen nicht zu meiden."Ja, wo lernte man das? Ihr Gespräch im Auto hatte sich um

Alltäglichkeiten gedreht. Die allgegenwärtigen Dekorationsscheußlichkeiten, das anstehende Weihnachtsessen, die Wünsche der Nichten und Neffen, die Arbeit. Er hatte erzählt, wie bizarr die geschmückten Weihnachtsbäume in der Sonne auf ihn wirkten und dann ausführlich von Verhandlungen mit einem Investor berichtet, von den unterschiedlichen Vorstellungen und den

1 Erich Fried „Wo lernen wir“

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Schwierigkeiten diese zusammenzubringen. Namen, die sie in den letzten Monaten schon mehrfach gehört hatte fielen, neue kamen hinzu. Zwischendurch hatte er sie immer wieder prüfend angeblickt. Sie hatte sie ihn dann ganz bewusst aufmerksam angeschaut oder eine Nachfrage gestellt. So war die Fahrt vom Flughafen bis nach Hause in scheinbar aufgeräumter Stimmung vergangen.

Wie verlogen du sein kannst, du hast doch nur so getan, als wärst du bei der Sache, damit das Gespräch nicht abreißt. Egal worüber, Hauptsache, reden ohne zu streiten oder es sich gegenseitig schwer zu machen. Er wirkte, so hatte sie sich zumindest eingebildet, erleichtert und tat das Seine dazu.

Gerne wäre sie ihm wieder näher gerückt, doch sie wollte ihn nicht wecken. Die vergangenen Wochen und die lange Reise waren anstrengend gewesen. Um nun hier sein zu können, war er mehr als dreißig Stunden unterwegs gewesen. Schon im Auto waren ihm, ab und an die Augen zugefallen. Nein, schlafen wolle er nicht, hatte er auf ihren Vorschlag erwidert und war ihr, auf dem Weg zum Haus, mit der Hand über den Rücken gefahren. Die Vertrautheit der Berührung war ihr wie eine vorsichtige Anfrage  vorgekommen. Immer war es ihnen bisher gelungen ihre Differenzen zu überbrücken und spätestens wenn sie sich liebten alle Distanzen aufzuheben. Auf ihre Körper konnten sie sich verlassen, sie schlossen Frieden für sie, egal, was zuvor gewesen sein mochte.

Im Flur, noch im Mantel, hatte er sie umarmt und lange festgehalten. So wie früher, wenn sie von einem besonders anstrengenden Besuch bei ihren Eltern gekommen war. Den Kopf voller Zorn und Frustration, dass es ihr nicht gelang, sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Langsam hatte sich ihre Anspannung gelegt und vorsichtig, fast ängstlich hatten sie vertraute Pfade betreten. Doch diesmal war ein Distanzgefühl bestehen geblieben. Etwas in ihr hatte

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sich nicht einlassen können, hatte sie wie eine Beobachterin neben der Szene stehen lassen. Dabei hätte sie sich so gern im Moment verloren. Dass es ihr nicht gelungen war, hatte sie am Ende weinen lassen. Sein Erschrecken darüber hatte sie mit einer erneuten Lüge besänftigt.

»Ich bin nur so froh, dass du da bist.«Kurz darauf war er eingeschlafen. Auf der Seite liegend, den

Kopf auf die Hand gestützt, betrachtete ihn. Im Schlaf wirkte er jünger. Die Gesichtszüge bekamen etwas Weiches, der angespannte Zug um den Mund verschwand, die Lippen wirkten voller. Es war keine Lüge, sie war froh, ihn bei mir zu haben. Sacht fuhr sie ihm mit dem Finger über die Lippen. Er zuckt zusammen und warf den Kopf zur Seite. Lächelnd beugte sie sich vor und küsste ihn auf die Schulter.

»Müssen wir los?«, fragte er schläfrig.»Noch nicht, schlaf weiter.«»Gut«, murmelte er und barg das Gesicht an ihrer Brust.Im Nachbargarten wurde die Weihnachtsbeleuchtung

eingeschaltet. Die vom Dach herabhängende Eiszapfenlichterkette und der kitschige Rentierschlitten tauchten den Raum in ein sanftes Licht. Seine Lider zuckten, noch war er nicht wieder eingeschlafen. Sie lauschte auf seinen Atem, spürte den warmen Hauch, der mit jedem Ausatmen ihre Haut streichelte. Etwas in ihr löste sich, und endlich fühlte sie sich sicher. Sicher und völlig ruhig. Nein, sie würden heute nirgendwo mehr hingehen. Sie würden hierbleiben, beieinander liegen und allein Weihnachten feiern. Ohne Baum, ohne Gesänge, ohne all die Rituale, die scheinheilige Idylle, die beim geringsten Anlass ins Gegenteil umschlagen konnte. Nur er und sie.

»Schlaf«, flüsterte sie und fuhr ihm mit der Hand durchs Haar.»Wir müssen nirgendwo hin.«

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Wuppertal 2017Alle Rechte vorbehalten

© Kirsten Marter-Dumsch

Umschlagfoto: Kirsten Marter-Dumsch