12

Zu den Epigrammen von Kroisos aus Anavyssos und Phrasikleia aus Merenda

Embed Size (px)

Citation preview

A_Frontespizio 1_4 19-11-2008 12:45 Pagina 1

PUBBLICATO A CURA DEL

COMUNE DI ROMAASSESSORATO ALLE POLITICHE CULTURALI E ALLA COMUNICAZIONE

SOVRAINTENDENZA AI BENI CULTURALI

Sovraintendente Umberto Broccoli

BULLETTINO DELLA COMMISSIONE ARCHEOLOGICA COMUNALE DI ROMA

SUPPLEMENTI

18

Comitato scientificoEUGENIO LA ROCCA coordinatore - CATERINA BON VALSASSINA, ANGELO BOTTINI, STEFANO DE CARO,

MARIA ANTONIETTA FUGAZZOLA DELPINO, ADRIANO LA REGINA, ANTONIO PAOLUCCI, ANNA

MARIA REGGIANI, MARINA SAPELLI, ANNA MARIA SGUBINI MORETTI.

Comitato di redazioneCLAUDIO PARISI PRESICCE coordinatore - MADDALENA CIMA, MARIA GABRIELLA CIMINO, SUSANNA LE PERA,

PAOLA ROSSI, EMILIA TALAMO. FRANCESCA CECI, ISABELLA DAMIANI, segreteria e revisione.

A_Frontespizio 1_4 28-11-2008 11:39 Pagina 2

LE DUE PATRIE ACQUISITEStudi di archeologia dedicati a Walter Trillmich

a cura di

Eugenio La Rocca

Pilar León

Claudio Parisi Presicce

«L’ERMA» di BRETSCHNEIDER

A_Frontespizio 1_4 28-11-2008 11:39 Pagina 3

EUGENIO LA ROCCA, PILAR LEON

Le due patrie acquisiteStudi di archeologia dedicati a Walter Trillmich

© Copyright 2008 by «L’ERMA» di BRETSCHNEIDERVia Cassiodoro, 19 - Roma

http://www.lerma.it

Progetto grafico:«L’ERMA» di BRETSCHNEIDER

Curatore redazionale:Daniele F. Maras

Tutti i diritti riservati. È vietata la riproduzionedi testi e illustrazioni senza il permesso scritto dell’editore.

Tiratura fuori commercio, stampata per uso dellaSovraintendenza ai Beni Culturali del Comune di Roma

Le due patrie acquisite : studi di archeologia dedicata Walter Trillmich / a cura di EugenioLa Rocca, Claudio Parisi Presicce, Pilar Leon. – Roma : “L’ERMA” di BRETSCHNEIDER,2008. – 464 p. : ill. ; 29 cm. – (Bullettino della Commissione archeologica comunale di Roma.Supplementi ; 18)

Nell’occhietto: Pubblicato a cura del Comune di Roma, Assessorato alle politiche culturali,Sovraintendenza ai Beni culturali.ISBN 978-88-8265-508-2

CDD 21. 930.11. Archeologia – Studi2. Trillmich, WalterI. La Rocca, Eugenio II. Parisi Presicce, Claudio III. Leon, Pilar

EUGENIO LA ROCCA, PILAR LEÓN, CLAUDIO PARISI PRESICCE

Le due patrie acquisite : studi di archeologia dedicata Walter TrillmichLa Rocca, Claudio Parisi Presicce, Pilar Leon. – Roma : “L’ERMA” di BRETSCHNEIDER,La Rocca, Claudio Parisi Presicce, Pilar Leon. – Roma : “L’ERMA” di BRETSCHNEIDER,

I. La Rocca, Eugenio II. Parisi Presicce, Claudio III. Leon, PilarI. La Rocca, Eugenio II. Parisi Presicce, Claudio III. Leon, PilarI. La Rocca, Eugenio II. Parisi Presicce, Claudio III. Leon, Pilar

Nell’occhietto: Pubblicato a cura del Comune di Roma, Assessorato alle Politiche Culturalie alla Comunicazione, Sovraintendenza ai Beni Culturali

´

´

Trotz der fachlichen Weite unserer For-schungsinteressen haben sich unsere wissen-schaftlichen Wege seit unserem gemeinsamenerlebnis- und erinnerungsreichen Studienjahr1965-66 in Rom als Stipendiaten des DAADnicht mehr gekreuzt. Dir, lieber Walter, gelangein eindrucksvoller Aufstieg in Forschung undManagement im DAI, mir der lange Weg durchdie Universität in Lehre und Forschung. Dichzog es nach Westen, nach Lissabon, nach Mad-rid, ins geliebte Merida, mich nach Osten, nachSamos, nach Perge, und während Dich cum gra-no salis die Kaiserzeit mehr interessierte, wand-te ich mich nach den Etruskern den Griechenzu, aus deren schönster Epoche und Gattungich Dir heute einige Überlegungen widmenmöchte.

Methodisch allerdings beziehe ich mich inso-fern auf Deine Dissertation, als sie Text undBild als grundsätzlich gleichwertige, zumindestkomplementäre Quellen für die Interpretationheran zieht1. Diese eigentlich selbstverständli-che Arbeitsweise lässt in der archaischen Groß-plastik (und nicht nur dort) zu wünschen übrig.In der Folge der Ausdifferenzierung der Wis-senschaften des klassischen Altertums ist man-ches antike Monument sozusagen in zwei Teile

gespalten worden: Die Inschriften auf den Ba-sen schöner Statuen bieten gemäß der histo-risch gewachsenen Zuständigkeit verschiedenerDisziplinen meist für Archäologen nur einevordergründige inhaltliche Ergänzung, währendvon Klassischen Philologen oder Althistorikerndie zu einem berühmten Epigramm gehörendeStatue oft kaum wahrgenommen wird.

Geht man z.B. in Analogie zu den Münzenvon der allgemeinen, aber im Einzelfall zu prü-fenden Prämisse aus, dass Bild und Text imFall von Basisinschrift und Statue durch denBildhauer oder/und den Auftraggeber als kom-plementäre Bestandteile eines Ganzen konzi-piert worden sind, ist das natürlich ein absurdesVerhalten, zumal die gemeinsame Betrachtungdurch die zuständigen Disziplinen mit unter-schiedlichen Methoden und Perspektiven zu ei-nem vertieften Verständnis beitragen müsste.Aber auch, wenn die Inschrift später hinzuge-fügt worden wäre, würde die gemeinsame Betrachtung zu einem besseren Verständnis derzu diesem Zeitpunkt beabsichtigten Aussageverhelfen.

Eine zweite zu prüfende Prämisse ist, dassBild und Text – unabhängig davon, ob sie alsgegenseitig sich beeinflussende Medien kom-

1 W. TRILLMICH, Familienpropaganda der Kaiser Caligula undClaudius. Agrippina Maior und Antonia Augusta auf Münzen, in

Antike Münzen und geschnittene Steine, 8, Berlin 1978.

Zu den Epigrammen von Kroisos aus Anavyssosund Phrasikleia aus Merenda

22 MARTINI 269_276 19-11-2008 14:05 Pagina 269

plementär konzipiert worden sind – komple-mentär gesehen und gelesen worden sind. Dasgilt vermutlich nicht für jede Form der In-schrift und noch weniger für jedermann, ganzabgesehen vom individuellen Ausmaß der Le-sefähigkeit sowie der Zugänglichkeit des Monu-ments2. Schließlich ist auch das Vorwissen desBetrachters wesentlich, wobei sich ein etablier-ter Leitbildtypus – wie z.B. Kuros und Kore –vielleicht leichter d.h. selbstverständlicher demBetrachter erschließt als ein auf den Einzelfallbezogenes Epigramm, zugleich aber dadurchauch zu einer nur flüchtigen Wahrnehmung deskonkreten Gegenstands führen kann; geradedas Fremde, das Unbekannte kann intensivereBetrachtung und intensiveres Nachdenken för-dern.

Bei alldem darf natürlich nicht vergessenwerden, dass der antike Betrachter weder alsArchäologe noch als Epigraphiker Bildwerk undEpigramm sah, dafür aber mit der Zeichenspra-che seiner Zeit vertraut gewesen ist; sein Sehenund Verstehen dürfte ein völlig anderes als dasunsrige gewesen sein. Bei allem Bemühen umeine Interpretation auf der Grundlage unseresüber Jahrhunderte angesammelten Wissens umdie Antike sehen wir dennoch die antiken Phä-nomene aus der Perspektive unserer kulturel-len, auch individuellen Prägung. Unter diesemgrundsätzlichen Vorbehalt stehen natürlichauch die folgenden Überlegungen zur Aussagevon zwei der schönsten Bildwerke archaischerZeit und ihrer Epigramme3.

KROISOS AUS ANAVYSSOS

Die bekannte, sehr schön erhaltene Statue ei-nes Kuros im Athener Nationalmuseum trägtwegen der dazugehörigen Basis mit Inschriftden archäologischen Rufnamen Kroisos4. Auf-

grund der stilistischen Nähe zu den Skulpturendes Schatzhauses von Siphnos in Delphi undVasenbildern des Andokides dürfte die Statueum 530 v.Chr. geschaffen worden sein. Die Sta-tue ist im südlichen Attika in Anavyssos, in derNähe des antiken Anaphlystos, gefunden wor-den5 und dürfte aus einem Grabbezirk einesadeligen Landsitzes stammen, wie der Text aufder Basis und das Bildwerk selbst nahe legen.Gemäß ihrem guten Erhaltungszustand ist die-se Statue ein Angelpunkt der archaischen Pla-stik und erscheint in jedem Werk zu dieserEpoche (Abb. 1.).

ste`qi Ú kai; o[iktiron Ú Kroivso ⁄ para; se`ma qanovntoς Ú˙ovn pot∆ ejni; promavcoiς Ú o[lese ⁄ qo`roς Ú “Areς

Die übliche Übersetzung der Inschrift (Abb.2.)6 lautet „Bleibe stehen und trauere bei demGrabmal des toten Kroisos, den unter den Kämp-fern in vorderster Linie der ungestüme Ares einstdahingerafft hat“7.

Die meist in Umschrift und Übersetzung bei-gegebene, aber selten abgebildete Basisinschrift8,ist von Archäologen jedoch offenbar nie sorgfäl-tig gelesen worden oder nicht der Erörterungwürdig befunden worden. Denn auf ein eigenar-tiges Problem der Inschrift ist man in archäolo-gischem Kontext m.W. bisher nicht aufmerksamgeworden. Es besteht aus drei Buchstaben amAnfang der 3. Zeile: POT = potev, was mit irgend-wann einmal oder einst zu übersetzen ist. Ver-mutlich ist dieses potev meist als ein Füllwort auf-gefasst worden, denn was könnte seine Bedeu-tung gewesen sein?

Ist das Grabmal erst lange nach seinem Toderrichtet worden, z.B. als Kenotaph, nachdemKroisos irgendwann einmal gefallen war? Dannwäre es ein primär retrospektives Denkmal inErinnerung an einen heroischen Gefallenen,wobei angesichts der Namensgleichheit mitdem Lyderkönig eine Deutung als mythische

270 Wolfram Martini

2 z.B. können die Grabstatuen mit ihren Epigrammen fürKroisos und Phrasikleia praktisch unlesbar auf der Spitze einesGrabhügels gestanden haben, ebenso gut aber auch gut lesbar amRand der Grabhügel nahe der passierenden Straße. Mangels ent-sprechender Befunde kann diese Frage nicht beantwortet werden,auch wenn einige wenige Befunde für letztere Möglichkeit zusprechen scheinen: K. KISSAS, Die attischen Statuen- und Stelen-basen archaischer Zeit, Bonn 2000, S. 32 ff.

3 Der Beitrag geht ursprünglich auf einen Vortrag für das Kol-loquium IkonoTexte-Duale Mediensituationen (Kleine Mommsen-Tagung, 17.-19. Februar 2006) zurück, wird hier aber in verän-derter Form vorgelegt. Für die Diskussion danke ich bes. T. Höl-scher (Heidelberg), M. Meyer (Wien), I. und A. Petrovic(Durham). H.-U. Wiemer (Gießen) danke ich für epigraphischeHinweise und N. Eschbach (Gießen) für seine Hilfe bei der Be-schaffung der Bildvorlagen. N. Kaltsas (Athen) danke ich für diefreundliche Zusendung der Abbildungsvorlagen und die Publika-tionserlaubnis für Abb. 1 und Abb. 3.

4 W. FUCHS, J. FLOREN, Die griechische Plastik. Die geometri-sche und archaische Plastik, München 1987, S. 255 f.; W. MARTI-NI, Die archaische Plastik der Griechen, Darmstadt 1990, S. 71,83, 185, 187 ff., 204 f., und 263 f.; J. BOARDMAN, GriechischePlastik: die archaische Zeit: ein Handbuch, Mainz 1989, S. 89,Abb. 107.

5 D. MÜLLER, Topographischer Bildkommentar zu den Histori-en Herodots. Griechenland, Tübingen 1987, S. 602; Der Neue Pau-ly, I, 1996, S. 654, s.v. Anaphlystos (H. LOHMANN).

6 Umschrift nach P.A. HANSEN, Carmina Epigraphica Graeca,Berlin 1983-1989, 1, S. 19 f., N. 27; K. KISSAS, op. cit. (Anm. 2),S. 54 f., N. 20.

7 W. PEEK, Griechische Vers-Inschriften, 2, Berlin 1955, N.1224; G. PFOHL, Geschichte und Epigramm, Stuttgart 19662, S. 9,N. 4.

8 Abschrift nach einem Foto der Basis; ein Faksimile auch beiJ. BOARDMAN, op. cit. (Anm. 4), Abb. 107.

22 MARTINI 269_276 19-11-2008 14:05 Pagina 270

Zu den Epigrammen von Kroisos aus Anavyssos und Phrasikleia aus Merenda 271

Abb. 1. Kroisos aus Anavyssos (Athen, NM 3851).

22 MARTINI 269_276 19-11-2008 14:05 Pagina 271

Heroengestalt auszuschließen ist, während sichder Bezug auf diesen aufdrängt. Oder ist dieInschrift prospektiv in die Zukunft gerichtet,mit der Absicht, dass man sich angesichts desGrabmals von Kroisos der Heldentaten vergan-gener Zeiten erinnern soll?9

Eliot10 hat sich für die erste Möglichkeit ent-schieden. Gestützt auf die Vermutung vonL.H. Jeffery11 unter Hinweis auf Herodot (VI,125), dass Kroisos in Anavyssos ein Sohn desvon dem Lyderkönig reich beschenkten, aberbelächelten Adeligen Alkmeon gewesen sei,geht er davon aus, dass Kroisos zur Familie derAlkmeoniden gehörte, 546 in der Schlacht vonPallene gefallen sei und in Übereinstimmungmit seiner stilistischen Datierung erst nach derRückkehr der Alkmeoniden 528/527 an seinemHeimatort bestattet und mit einer Statue geehrtwerden konnte.

Wenn Kroisos aus Anavyssos im Jahr 546 ge-fallen wäre, müsste er mindestens das Epheben-alter von 18 Jahren erreicht gehabt haben, sodass er mindestens 4 Jahre vor Regierungsan-tritt des Lyderkönigs geboren sein müsste. Umdie These von Eliot akzeptieren zu können,müsste die Namensgebung aber irgendwann inder Blütezeit des Lyderkönigs, also erst ca. 10-14 Jahre nach der Geburt des attischen Kroisoserfolgt sein; das erscheint jedoch eher unwahr-scheinlich.

Ähnlich vieler Annahmen bedarf aber auchdie an sich die einfachere und plausible Annah-

me, dass Kroisos in Anavyssos seinen Namenbereits nach der Geburt zur Blütezeit des Ly-derkönigs um die Mitte des 6. Jhs. aufgrunddessen Berühmtheit ohne persönlichen Bezugerhalten hat und ca. 20 Jahre später als Ephebebei einem der zahlreichen innergriechischenScharmützel gefallen ist.

Angesichts dieser Schwierigkeiten hinsicht-lich der Biographie von Kroisos in Anavyssosstellt sich die Frage, ob sich anhand der Statueaus Anavyssos eine Deutung von potev gewinnenlässt.

Die Statue gibt den männlichen Leitbildtypusder archaischen Epoche wieder. Kein individu-elles Merkmal ist erkennbar, das auf eine be-stimmte Person wie z.B. Kroisos von Anavys-sos hinweisen würde. Bei dem Bildwerk findetsich wie zu erwarten nicht der geringste Hin-weis auf den Anlass seines Todes wie gelegent-lich bei gleichzeitigen Grabreliefs durch z.B.kennzeichnende Attribute12. Die Statue als sol-che bietet also keinen unmittelbaren Hinweisauf das Individuum Kroisos; dieses wird nurdurch die Inschrift fassbar. Man könnte daherüberlegen, ob auch das Epigramm topischenCharakter hat, in das nur der Name Kroisoseingefügt wäre, und für das potev dann als Bestandteil des formelhaften Epigramms ohneBedeutung für den besonderen Fall wäre. Dasscheint nach Häusle13 aber nicht möglich zusein, sondern diese Epigramme haben offenbarstets individuellen Charakter als spezifizierende

272 Wolfram Martini

9 Diese Differenzierung in retrospektiv und prospektiv hat reinhermeneutischen Charakter, um das Problem zu akzentuieren;vgl. W. MARTINI, Prospektive und retrospektive Erinnerung. DasPantheon in Rom, in W. MARTINI (ed.), Architektur und Erinne-rung, Göttingen 2000, S. 19-44.

10 C.W. J. ELIOT, Where did the Alcmeonids live?, in Historia,XVI, 1967, S. 279 ff.

11 L.H. JEFFERY, The inscribed Gravestones of Archaic Attica,in BSA, LVII, 1962, S. 143 f.

12 B. SCHMALTZ, Griechische Grabreliefs, Darmstadt 1983, S. 167 ff.

13 H. HÄUSLE, Einfache und frühe Formen des griechischenEpigramms, Innsbruck 1979, S. 60 f.

Abb. 2. Abschrift der Inschrift auf der Basis der Statue.

22 MARTINI 269_276 19-11-2008 14:05 Pagina 272

Beischrift zur Statue, so dass der Text wörtlichund spezifisch auf Kroisos bezogen interpre-tiert werden muss.

Daher ist die zweite Möglichkeit zu bevorzu-gen, dass durch potev über den aktuellen Zeit-punkt der Errichtung der Statue hinaus in pro-spektiver Absicht die Erinnerung an einenheroischen Gefallenen als auch für künftige Ge-nerationen vorbildhaftes Verhalten des Verstor-benen verewigt wird. Dass diese prospektiveErinnerungsfunktion von Epigrammen in krie-gerischem Kontext keine Ausnahme darstelltund u.a. eine Parallele in dem berühmten Epi-gramm bei den Thermopylen hat, hat A. Petro-vic14 überzeugend dargelegt. Es muss also keinzeitlicher Abstand zwischen dem Tod desKroisos und der Errichtung seines Grabmalsmit Statue postuliert werden.

Das Epigramm fordert zum Verweilen undKlagen auf. Die übliche Übersetzung ist aller-dings „trauern“. „Klagen“ ist jedoch zu bevor-zugen, wenn man Klagen als gestisch undsprachlich aktive Trauerbekundung versteht,die stärker nach außen in die Gemeinschaftwirkt, während sich dagegen Trauern mehrnach innen auf die trauernde Person bezieht.In der Bilderwelt der primär handlungsorien-tierten archaischen Epoche ist kein Bild desTrauerns als Ausdruck eines individuellen oderkollektiven Empfindens zu erwarten. Stattdes-sen zeigen die Bilder in topischer Weise aktiveKlage durch Raufen der Haare, Schlagen gegenKopf und Brust (Frauen) oder erhobene Arme(Männer), die lautes Gestikulieren anzeigen.Trauern im Sinne von Empfindung wird erstseit klassischer Zeit vor allem im Kontext se-pulkraler Denkmäler wie den Grabreliefs oderden weißgrundigen Lekythen15, aber auch imnarrativen Kontext des trauernden Achill16

oder im Typus der sog. Penelope dargestellt17.In diesem Epigramm archaischer Zeit ist daherm.E. die rituelle, des Toten gedenkende Toten-klage in Analogie zu dem jährlich sich wieder-holenden Gedenkzeremoniell gemeint. Daransoll der Adressat des Epigramms teilnehmen.

Der Aufforderung zum Verweilen vor derStatue entspricht ihre zeittypische, geradezu

von Bewegung erfüllte Ausrichtung auf denBetrachter hin, die sich in der Frontalität, demvorgesetzten linken Bein, den leicht nach vornangewinkelten Armen und dem gerade nachvorn gerichteten Blick äußert. Der Aufforde-rung zum Klagen widerspricht jedoch die Mi-mik des Dargestellten. Die leicht hochgezoge-nen Mundwinkel und die sich dadurch starkvorwölbenden Wangenknochen muss man zwarnicht unbedingt als heitere Mimik interpretie-ren, als Lächeln, sondern man kann darin auchein allgemeineres Mittel zur Belebung des Ge-sichts und zur Steigerung der Lebendigkeit derStatue sowie einen Ausdruck von Kommunika-tionsbereitschaft mit dem Betrachter sehen18.Aber unabhängig davon steht die aus diesemsog. archaischen Lächeln gewonnene typusspe-zifische strahlende Lebendigkeit scheinbar inschroffem Kontrast zum Inhalt der Inschrift.

Erst durch das Epigramm wird der Statue derAspekt des Klagens hinzugefügt und – sozialge-schichtlich interessant – der Betrachter aufge-fordert, sich über das dem Denkmal, demmutmaßlichen Grabmonument, innewohnendeGedenken hinaus in die Gemeinschaft derKlagenden einzureihen. Damit wird der An-spruch auf öffentliche Klage erhoben.

Das Epigramm stattet die Statue mit einerGeschichte aus, die an der Statue nicht ablesbarist und auf die die Statue auch keinen Bezugnimmt. Denn bei diesem Bildwerk gehörenText und Bild verschiedenen inhaltlichen Ge-nera an. Der Kuros kann genauso Weihge-schenk an eine Gottheit sein, während das Epi-gramm ausschließlich sepulkrale Funktion hat.Gerade deshalb gewinnen Epigramm und Sta-tue zusätzliche dialektische Aussagen: Einer-seits wird die Grausamkeit von Ares bzw. desKrieges durch die von Lebenskraft erfüllte Ge-stalt gesteigert und durch den Aufruf zur Klagenegativ konnotiert, andererseits wird der ju-gendlich-schönen Gestalt ein ‚memento mori’hinzufügt.

Ob der antike Betrachter diese Empfindunghaben konnte, soll nach der Betrachtung vonPhrasikleia und dem zugehörigen Epigrammgeprüft werden.

Zu den Epigrammen von Kroisos aus Anavyssos und Phrasikleia aus Merenda 273

14 Im Rahmen des Colloquiums hat mich A. PETROVIC (TrueLies of Public Epigrams, unveröffentlicht, S. 11 ff.) auf seine über-zeugenden Überlegungen zur Bedeutung von potev mit mehrerenBeispielen aus der Zeit der Perserkriege aufmerksam gemacht.

15 D.C. KURTZ, J. BOARDMAN, Thanatos. Tod und Jenseitsbei den Griechen, Mainz 1985, passim; E. BUSCHOR, GriechischeVasen, München 19692, S. 215 ff., Abb. 223.

16 S.B. MATHESON, Polygnotos and Vase Panting in ClassicalAthens, Madison 1995, S. 250 ff.

17 H. KENNER, Die Trauernde von Persepolis, in WSt, 79,

1966, S. 572-592; J. BOARDMAN, Griechische Plastik: die klassi-sche Zeit: ein Handbuch, Mainz 1987, S. 71 f., Abb. 24 ff. ZumTrauern in der Bildkunst allgemein: G. NEUMANN, Gesten undGebärden in der griechischen Kunst, Berlin 1965, S. 123 ff.; I. HU-BER, Die Ikonographie der Trauer in der Griechischen Kunst,Mannheim-Möhnsee 2001; N. SOIC, Trauer auf attischen Grabre-liefs: Frauendarstellungen zwischen Ideal und Wirklichkeit, Berlin2005.

18 Diskussion verschiedener Interpretationen bei W. MAR-TINI, op. cit. (Anm. 4), S. 83 ff.

22 MARTINI 269_276 19-11-2008 14:05 Pagina 273

274 Wolfram Martini

Abb. 3. Phrasikleia aus Merenda. Athen NM 4889 (nach N. KALTSAS, art. cit. [Anm. 19], Taf. 1, b).

22 MARTINI 269_276 19-11-2008 14:05 Pagina 274

PHRASIKLEIA AUS MERENDA

Sehr viel verhaltener ist die Aussage imEpigramm für Phrasikleia auf der Basis eineralterslosen Frauenfigur aus dem kleinen OrtMerenda im östlichen Attika (Abb. 3.)19. Ihrenausgezeichneten Erhaltungszustand verdanktsie der Tatsache, dass sie zusammen mit einemKuros frühzeitig, vielleicht im Zusammenhangmit dem Einfall der Perser nach Attika 480v.Chr., in der Erde bestattet worden ist20.

Der ebenfalls vergrabene Bleiverguss derPlinthe sichert die Zugehörigkeit der bereitsseit 1729 bekannten Basis mit Inschrift, derenVorderseite das Epigramm trägt (Abb. 4.)21:

se`ma Frasikleivaς. ⁄ kovre keklevsomai ⁄ aijeiv,ajnti; gavmo ⁄ para; qeo`n tou`to laco`s∆ o[noma.

„Grabmal von Phasikleia. Ewig werde ich Koregenannt werden, statt der Hochzeit beschieden mirdie Götter diesen Namen“, während sich an derlinken Nebenseite die Bildhauerinschrift einesAristion aus Paros befindet.

Anstelle der direkten Anrede des Betrachtersbei dem Epigramm für Kroisos hat das Epi-gramm für Phrasikleia22 durch die Ichform den

Charakter einer auf sich selbst bezogenen Aussa-ge. Ihr entspricht die typusspezifische Zurück-haltung der Statue mit ihren eng gestelltenFüßen, dem verhaltenen Griff mit der Rechtenin den bodenlangen Chiton und der ruhig erho-benen Linken mit der aufrechten Lotusknospe.

Der Text des Epigramms enthält keine Auf-forderung zur Klage und auch keine unmittelbarhörbare Klage, sondern eher eine sachliche bio-graphische Mitteilung, die erst vor dem Hinter-grund damaliger gesellschaftlicher Vorstellungenein bemitleidenswertes Schicksal erkennen lässtund so zur nach außen dezenten und nach innensehr intensiven Klage wird. Denn keklevsomaiaijeiv drückt durch das Futur und das „immer“völlige Aussichtslosigkeit aus, dass ihr Schicksalsich jemals ändern könne. Vom Tod wird zwarnicht direkt gesprochen, dennoch bilden der inder Aussichtslosigkeit der üblichen gesellschaft-lichen Bestimmung der Frau implizierte Tod imEpigramm und die strahlende Lebendigkeit derStatue die polaren Aspekte dieses Bildwerks wiebei der Statue des Kroisos.

Die eindrucksvoll überlebensgroße Statueveranschaulicht durch den leuchtend roten,reich verzierten Chiton23, den Goldschmuck an

Zu den Epigrammen von Kroisos aus Anavyssos und Phrasikleia aus Merenda 275

19 N. KALTSAS, Die Kore und der Kuros aus Myrrhinous, inAntPl, 18, Berlin 2002, S. 7 ff., Taf. 1 ff.; K. KARAKASI, Ar-chaische Koren, München 2001, S. 115 ff., und 235 ff.

20 N. KALTSAS, art. cit. (Anm. 19), S. 7, Anm. 2, hält es ange-sichts des guten Erhaltungszustands für wahrscheinlicher, dassdie Statue im Zusammenhang mit den Streitigkeiten zwischenden Peisistratiden und Alkmeoniden vergraben wurde. Dannwohl ehestens zum Zeitpunkt der Verbannung, die aber bereits

546 erfolgte, als der ‚mitbestattete’ Kuros noch nicht geschaffenwar.

21 Umschrift nach P.A. HANSEN, op. cit. (Anm. 6), S. 17 f., N.24; W. PEEK, op. cit. (Anm. 7), N. 68; K. KISSAS, op. cit. (Anm.2), S. 47 f., N. 14.

22 Abschrift nach Foto der Basis.23 Farbige Rekonstruktion bei N. KALTSAS, art. cit. (Anm.

19), tav. 1.

Abb. 4. Abschrift der Inschrift.

22 MARTINI 269_276 19-11-2008 14:05 Pagina 275

Armen, Hals, Ohren und auf dem Kopf, denleuchtenden roten Mund und die strahlendenAugen eindringlich die festlich frohe Stimmungdieses reich geschmückten Mädchens. Den An-lass der kostbaren Ausstattung bietet hier dasEpigramm durch die Erwähnung der Hochzeit;es steigert dadurch ähnlich wie bei der Grabsta-tue für Kroisos den Gegensatz zwischen Lebenund Tod; durch den Diskurs zwischen demBildwerk und dem Text werden die Sinne desBetrachters für das Schicksal des schönenMädchens24 geschärft, über dessen genaueresLebensalter das Bildwerk uns nichts mitteilt.

Stellt man die beschriebenen Aussagen derEpigramme und Statuen der Grabmäler vonPhrasikleia und Kroisos einander gegenüber, sofällt gerade aufgrund gewisser Gemeinsamkei-ten der Epigramme, die sich beide auf dasGrabmal und die schicksalhafte Rolle der Göt-ter beziehen, und trotz dieses gemeinsamen Be-zugs auf das Grabmal und die Götter ein weite-rer, gravierender Unterschied ihrer Aussagenauf. Warum ruft das Epigramm für Kroisos denPassanten zum Stehen-bleiben und Klagen auf,das für Phrasikleia aber nicht? Ist das Zufall?Ich glaube es nicht, auch wenn die geringe An-zahl archaischer Grabepigramme keine verall-gemeinernde Aussage erlaubt25. Daher sei einenur von diesen Einzelwerken ausgehende Deu-tung gewagt.

Der makellose athletische Körper des jungenMannes repräsentiert auch und gerade in dervon dem Epigramm für Kroisos begleitetenStatue die zentrale Bedeutung des trainiertenKörpers als wesentliche Voraussetzung für denkriegerischen Erfolg und damit für den Erhaltder Gemeinschaft in einer durch zahllose Krie-ge geprägten Zeit.

Dadurch dass Kroisos ejni; promavcoiς, in derersten Reihe der Kämpfenden, seine Arete imKrieg vorbildlich unter Beweis gestellt und da-bei den Tod gefunden hat, hat er seine Pflichtgegenüber der Gemeinschaft in höchstem Maßerfüllt, die ihm dafür ein dankbares Gedenkenund Klagen schuldet. Der Anlass seines Todesverpflichtet die Lebenden zum ehrenden akti-ven Gedenken im Rahmen des Klagerituals,auch unter dem Aspekt der Verfestigung desrühmlichen Vorbilds für die anderen jungen

Männer der Gemeinschaft. Insofern gibt es fürdiese Gemeinschaft, an die sich das Epigrammwendet, auch keinen Grund zur Trauer überden Tod des Kroisos. Und insofern löst sichauch der scheinbare Widerspruch zwischendem ‚archaischen Lächeln’ und dem vorzeitigenTod auf.

Phrasikleia dagegen haben die Götter dieHochzeit versagt, für die sie erzogen und aus-gebildet worden ist; sie hat ihr Lebensziel nichterreicht und daher auch nicht die Möglichkeitgehabt, der Gemeinschaft gegenüber ihrePflicht zu erfüllen. Folglich hat sie auch keinenbesonderen Anspruch auf die ehrende Klageseitens der Gemeinschaft, obwohl sie als Indivi-duum Phrasikleia im Hinblick auf ihr unerfüll-tes Leben26 ein viel traurigeres Schicksal alsKroisos gehabt hat. Dem entspricht die Ich-form des Epigramms, da sie die Auf-sich-selbst-Bezogenheit der Aussage unterstreicht,in der auch das Allein-Sein von Phrasikleiaanklingt, während der Imperativ des Epi-gramms für Kroisos nicht von ihm, sondernvon der Gemeinschaft ausgeht und an die Ge-meinschaft der Lebenden gerichtet ist. Aus derPerspektive der Gemeinschaft archaischer Zeitist daher m.E. das Schicksal von Phrasikleia aufindividueller Ebene – wie von Kroisos – durch-aus betrauernswert, jedoch nur das von Kroisosauch beklagenswert. Insofern ist es konsequent,dass das Epigramm für Phrasikleia keine Klageeinfordert.

Die Frage, warum dann Phrasikleia über-haupt eine so aufwendige Statue erhalten hat,wenn ihr Leben für die Gemeinschaft sozusa-gen wertlos geblieben ist27, stellt sich m.E. nur,wenn man die Statue ausschließlich als an dieGesellschaft adressiert auffasst, was aber durchdas Epigramm eben nicht zum Ausdruck ge-bracht wird. Warum soll nicht die Familie umden Tod der jung Verstorbenen getrauert ha-ben und die Erinnerung an das ewig schöneMädchen durch die Statue bewahrt haben wol-len? Kann es nicht unterschiedliche Adressatengegeben haben und können nicht unterschiedli-che Botschaften wahrgenommen worden sein?

WOLFRAM MARTINI

Justus-Liebig-Universität Gießen

276 Wolfram Martini

24 Diese altmodische Wortwahl scheint mir geeigneter, dieBedeutung der Bezeichnung Kore zu erfassen, die nach diesemEpigramm für den weiblichen Leitbildtypus archaischer Zeitverwendet wird.

25 Der Aufruf zur Klage findet sich noch auf weiteren Grabin-schriften archaischer Zeit für männliche Frühverstorbene, vondenen sich einige wiederum auf den Tod im Krieg beziehen: W.PEEK, op. cit. (Anm. 7), N. 1223 ff.; F. WILLEMSEN, Archaische

Grabmalbasen, in AM, 78, 1963, S. 118 ff., N. 4.26 Vgl. G. VESTRHEIM, Voice in Sepulchral Epigrams. Some

Remarks on the Use of First and Second Person in SepulchralEpigrams, and a Comparison with Lyric Poetry, unveröffentlicht,S. 13 f.; den Hinweis verdanke ich I. Petrovic.

27 Ich beziehe mich hier auf einen Einwand von T. Hölscherim Rahmen der o.g. Tagung.

22 MARTINI 269_276 19-11-2008 14:05 Pagina 276