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36 Frame Februar/März/April 2015 Wiedie Juden Hollywood erfanden MGM-Studio-Boss Louis B. Mayer, als Eliezer Meir in Russland geboren, wollte nicht als Jude wahrgenommen wer- den. Schauspielerin Scarlett Johansson (r.) hingegen sagt: «Ich bin eine stolze New Yorker Jüdin.» Juden sind im US-Filmgeschäft sehr präsent. Woran liegt das? Die Suche nach der Antwort führt bis in die Gründerjahre der Traumfabrik zurück. Von Simon Spiegel FOTOS: PARI DUKOVIC/TRUNK ARCHIVE, CORBIS/DUKAS

Wie die Juden Hollywood erfanden

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36 Frame Februar/März/April 2015

WiedieJudenHollywooderfanden

MGM-Studio-BossLouis B. Mayer,als Eliezer Meir inRussland geboren,wollte nicht als Judewahrgenommen wer-den. SchauspielerinScarlett Johansson (r.)hingegen sagt: «Ich bineine stolze New YorkerJüdin.»

Juden sind imUS-Filmgeschäftsehr präsent.Woran liegt das?Die Suche nachder Antwortführt bis in dieGründerjahreder Traumfabrikzurück.Von Simon Spiegel

FOTOS:PARIDUKOVIC/TRUNKARCHIVE,CORBIS/DUKAS

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Jüdische Schauspieler

Warumfindet dieOscar-Verleihungan einem Sonntagabend statt, ei-nem für grosse Galas und Partyseher unüblichen Termin? Das liegtan den vielen Juden in Hollywood,die am Samstagabend, dem Endedes Sabbats, nicht abkömmlich sei-en. Eigentlich logisch, oder?

Die Begründung ist aber blankerUnsinn. Tatsächlich vergibt dieAcademy die begehrten Statuettenüberhaupt erst seit 1999 an einemSonntag, vorher fanddieVeranstal-tung jeweils amMontagabend statt.

Dass die moderne Legende vomSabbat-Ende dennoch denmeisteneinleuchtet, sagt einiges über denStatus aus, den Juden inHollywoodinnehaben. Denn dass Menschenmosaischen Glaubens in der US-Filmindustrie zahlreich vertretensind, ist nicht vonderHand zuwei-sen. Man nehme etwa jene Komö-die, die kürzlich beinahe eine inter-nationale Krise heraufbeschworenhat: «The Interview». In denHaupt-rollen die beiden jüdischen Schau-spieler James Franco und Seth Ro-gen, alsRegisseur gingnebenRogennoch Evan Goldberg zu Werk, undfür das Drehbuch zeichnet Glau-bensgenosse Dan Sterling verant-wortlich. «All Jewish pictures» wie«The Interview» sind zwar nicht die

gisseurs Micha Lewinsky («DieStandesbeamtin»), betont den ho-hen Wert, den Geschriebenes fürdasVolk des Buches seit je hat. «Le-senwar im Judentum immerwich-tig, und wo viel gelesen wird, istauch die Chance grösser, dass ge-schrieben wird.» Hanno Loewysieht das ähnlich. «Der Alphabeti-sierungsgrad war unter den Judenim Durchschnitt traditionell sehrhoch. Zudemwaren und sind jüdi-sche Familien in der Diaspora oftüber viele Länder verteilt, Mehr-sprachigkeit war dadurch immerweit verbreitet.» Bildung stellt imJudentum ein hohes Gut dar. Diesnicht nur wegen der langen Tradi-tion der Bibelauslegung, sondernauch, weil man Bildung überallhinmitnehmenkann. «Für einVolk, dasimLaufederGeschichte immerwie-derVerfolgungenausgesetztwar, istdas einwichtiger Faktor.»

OsteuropäischeHerkunftDie grossen Studios, die in den1910er und 1920er Jahren entstan-den – Universal, Paramount, Co-lumbia,MetroGoldwynMayer undWarner Brothers – und gemeinsamdasbegründeten,wasmanheute alsHollywood bezeichnet, waren dasWerk von Juden. Von den soge-

sammit seinen GlaubensgenossenDavid Geffen und Steven Spielberg– demkommerziell erfolgreichstenRegisseur überhaupt – das StudioDreamworks gegründet, wo unteranderem das Sandalenepos «Gla-diator» und die Ben-Stiller-Komö-die «Meet the Parents» entstanden.

Bedenkt man, dass Juden heutenur rund zwei Prozent der US-Ge-samtbevölkerung ausmachen –Tendenz sinkend –, drängt sich dieFrage auf, warum sie in Hollywoodderart prominent vertreten sind.Undwarum sind sie so erfolgreich?Ist die jüdische Kultur besondersfilmaffin?Gibt es eineTraditiondesjüdischen Geschichtenerzählens,welche Juden in der Filmindustrieeinen Startvorsprung verschafft?

Hanno Loewy, Direktor desJüdischenMuseums Hohenems inÖsterreich, glaubt nicht an eine be-sondere jüdische Gabe fürs Erzäh-len. «Ich kenne eigentlich kaumeine Kultur, für die Geschichtennicht wichtig wären. Die jüdischeTradition sticht hier nicht beson-ders heraus.»

Doch in jüdischen Haushaltenspielen Erzählungen und Büchermeistens eine grosse Rolle. CharlesLewinsky, erfolgreicher Drehbuch-undRomanautor undVater desRe-

James Franco

Seth Rogen

Gwyneth Paltrow

Regel, zumindest der Comedy-Be-reich ist seit den Zeiten von Grou-cho Marx fest in jüdischer Hand.Woody Allen, Billy Cristal, AdamSandler, Ben Stiller, Jon Stewart,Zach Braff, Jerry Seinfeld oder Bo-rat-Darsteller Sacha Baron Cohen:Die erfolgreichsten Komiker sindmit wenigen Ausnahmen allesamtjüdisch.

HöchstesGut: BildungAbseits des komischen Fachs sindjüdische Schauspieler ebenfalls prä-sent. Jake und Maggie Gyllenhaalsind ebenso jüdischwieMilaKunis,Michael Douglas, Harrison Fordund Robert Downey jr. Selbst Scar-lett Johansson, die mit ihren blon-denHaaren in jedemZweiter-Welt-kriegs-Film als Nazibraut durchge-hen würde, hat jüdische Wurzelnund ist stolz darauf.

Nicht anders sieht es auf der Pro-duktionsseite aus. Viele der gegen-wärtigen Erfolgsproduzenten sindjüdisch. Das gilt für Jerry Bruck-heimer, auf dessen Konto Kassen-schlagerwie «TopGun», «PearlHar-bor» und die «Pirates of the Carib-bean»-Reihe gehen, ebenso wie fürJoel Silver, Jerry Weintraub sowieBob und HarveyWeinstein. JeffreyKatzenberg wiederum hat gemein-

JonahHill

Lena Dunham

FOTOS:ANDREASSJODIN/TRUNKARCHIVE,KEYSTONE,IMAGO,REUTERS,GETTYIMAGES,CORBIS/DUKAS

Mila Kunis

Jüdische Studiobosse und Produzenten

nanntenBig Six, denMajor-Studios,die noch heute das weltweite Film-geschäft beherrschen, gehen mitder Ausnahme von Disney alle aufjüdische Produzenten zurück.Ausschlaggebenddafürwar aber

nicht die Schrifttradition. Vielmehrspieltendie sozialenVerhältnisse inden USA eine Rolle. Die Biografiender Gründergeneration gleichensich denn auch aufs Haar. CarlLaemmle, Adolph Zukor, LouisB.Mayer, Jack und Harry Warner,William Fox und wie sie alle hies-sen, stammtennicht aus gebildetenFamilien, in denen Kultur viel galt.Im Gegenteil. Die frühen Mogulnwaren ausnahmslosMigrantenoderKinder vonEinwanderern.Männeraus einfachen Verhältnissen, dieder prekären Situation in ihrer ost-europäischenHeimat,wo sie diskri-miniert und verfolgt wurden, ent-fliehenund imLandder unbegrenz-ten Möglichkeiten ihr Glück ma-chen wollten. Ab der Mitte des19. Jahrhunderts setzte eine jüdi-sche Massenmigration in die USAein, die auchnachder Jahrhundert-wendenicht abriss. Dies führte 1921zu einer drastischenBeschränkungder Einwanderung.Adolph Zukor etwa, Begründer

von Paramount, wurde 1873 im ös-

terreichisch-ungarischen Ricse ge-borenundmachte sich imAlter von16 Jahren in die USA auf. Wie vielejüdische Migranten suchte er seinGlück zuerst in der Bekleidungsin-dustrie und handelte erfolgreichmit Fellen. Schmattes, wie das Tex-tilgewerbe im Jiddischen heisst,war dem ehrgeizigen jungenMannabernicht genug. Er begann sich fürdas bewegte Bild zu interessieren.

SchmuddelverdachtNeben der Textilindustrie war derFilm eines der wenigen Gewerbe,die den Juden damals in den USAoffenstanden. Gemäss der Film-historikerin Mariann Sträuli liegtdas nicht zuletzt anderArt, wie dasneue Medium in den USA aufge-nommenwurde. «JenachLandhat-te der FilmzuBeginn einen sehr un-terschiedlichen Status. In den ka-tholischen Ländern sahman darinvon Anfang an eine ernstzuneh-mende Kunstform. In Frankreichetwa investierte das Bürgertum inden Film, in Italien war die Aristo-kratie ein wichtiger Geldgeber.» Inprotestantischen Gebieten, zumalim puritanischen Amerika, hattedie siebte Kunst dagegen einenschweren Stand. Film war suspekt,ein Schmuddelgewerbe. Kinos im

heutigen Sinngab es ohnehinnicht,stattdessen standen inSpielhäusernMünzautomaten, andenenmanste-hend einen kurzen Clip sah.Als in den 1910er Jahren in Eu-

ropabereits Spielfilmegedrehtwur-den, war das Medium Film in denUSA wenig mehr als eine kurzeSpielhallenattraktion, vor allem fürEinwanderer, die des Englischennicht mächtig waren. Als zwielich-tiges Gewerbe verschrien, war dasFilmgeschäft für wohlsituierteAmerikaner nicht attraktiv. SelbstThomas Edison, der sich gerne alsErfinder des Films bezeichnete, sahin ihmkeinen kulturellenWert. Fürihn war der Film primär eine tech-nische Errungenschaft, über derenPatente er eifersüchtigwachte. Seinkommerzielles Potenzial erkannteer nicht.Damit eröffnete sich gesell-schaftlich marginalisierten Grup-pen wie den jüdischen Einwande-rern eine Chance.Dass die Juden erfolgreich wa-

ren, lag nicht zuletzt an ihrer schie-renMasse. Von irgend etwasmuss-ten die Tausenden von Einwande-rern ja leben. Juden spielen zu die-ser Zeit denn auch in vielenBerufs-zweigen, die als anrüchig galten,eine wichtige Rolle, vom Film überden Boxsport bis zur Mafia. Hanno

Kinowar einesderwenigenGewerbe, diedenJuden indenUSAoffenstanden.

Jerry Bruckheimer, Produzent

Scott Rudin, Produzent

HarveyWeinstein, Produzent

Jeffrey Katzenberg, Studioboss DreamWorks

JerryWeintraub, Produzent

AmyPascal, Studioboss Sony

BradGrey, Studioboss Paramount

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Loewy hebt neben dem Film diePlattenindustrie hervor. «Die Ge-schichte der Film-undMusikindus-trie verläuft fast identisch. In bei-den Fällen sind es Juden, die eineErfindungEdisons –denPhonogra-phen und die Filmkamera – zu ei-nemMassenmediummachen.»

Ähnlich verlief die Entwicklungin Deutschland, wo der Film eben-falls kritisch beäugt wurde und Ju-den – im Gegensatz etwa zu Frank-reich und Italien – in Scharen an-zog. Es ist eine Ironie derGeschich-te, dass jüdische Filmemacher wieErnst Lubitsch, Josef von Sternbergoder FredZinnemann, die das deut-sche Kino der 1920er und 1930erJahre prägten, später nach Holly-wood migrierten und das Mediumstark beeinflussten. Lubitsch, derSuperstar desWeimarerKinos, ging1922. Viele andere – etwa Billy Wil-der und Robert Siodmak – flohenein Jahrzehnt später vor denNazis.Für Hollywood war dieser massiveTalent-Transfer ein Glücksfall. Derdeutsche Filmdagegenhat sich niewieder von diesemVerlust erholt

Während die deutschenMigran-ten vielfach in kreativen Bereichentätig waren, sahen die frühen Mo-guln im Film in erster Linie ein Ge-schäft. Das erklärt, wie Hollywood

sche Netzwerk in Hollywood zu-stande, das bis heute nachwirkt.

«Die Juden verstanden es sehrfrüh,UnterhaltungundGeschäft zuvereinen», sagt Hanno Loewy. Dasklinge zwarwie ein antisemitischesKlischee, könne aber auch positivausgelegt werden: «Es ist dochgrossartig, wennmandie Fähigkeithat, etwas Schönes zu erkennenunddies an andereweiterzugeben.»AlsMedium, das damals nochweit-gehend ohne Sprache auskam, warder Filmnicht zuletzt fürMigrantensehr attraktiv. Und waren letztlichnicht alle Amerikaner Emigranten?Die Juden produzierten Ware fürein Zielpublikum, dem sie selbstentstammten und das sie kannten.

Künstlerisch hatten die Holly-wood-Judenkeine besonderenAm-bitionen. Umso grösser war derHunger nach sozialer Anerken-nung. Als Aussenseiter wollten sieden Ruch des Migranten abschüt-teln, dazugehören und geliebt wer-den.Das führte zu einem regelrech-tenPatriotismus-Wettbewerb; jederwollte der nochbessereAmerikanersein. Louis B.Mayer – in Minsk alsEliezerMeir geboren – ging soweit,dass er behauptete, seinwahresGe-burtsdatumnicht zu kennen, da sei-neGeburtsurkunde verloren gegan-

zu demwurde,was es ist – eine pro-fitorientierteMassenindustrie. Dieswar keineswegs überall so, wie Ma-riann Sträuli ausführt. «In EuropawarenRegisseure undProduzentenTeil des Kunstbetriebs. Vor allemwaren Produktion und Vorführunggetrennte Geschäfte. Deshalb wur-den oft viel Geld und Zeit in einenFilm investiert, ohnedassmanvor-her kalkulierte, wie viel dieser ein-spielenmusste. Anders in denUSA,wodie Filmindustrie vondenKino-besitzern aufgebautwurde.Die Stu-diogründer waren nicht Künstler,die Filmemachenwollten, sondernjene, die Ware für ihre Leinwändebrauchten.»

Familiäres NetzwerkImGegensatz zuEuropawardieUS-amerikanische Filmindustrie prak-tisch von Beginn an vertikal inte-griert. Produktion, Verleih undKinoswarenunter einemDach ver-eint. Die Schmattes-Judenübertru-gen also die Prinzipien, die sie ausder Textilproduktion kannten, aufden Film. Er war nicht Kunst, son-dernKonfektionsware.

Weil die BankenderOstküste ih-nenKredite verweigerten, liehen sieGeld bei Verwandten, die dadurchTeilhaberwurden. So kamdas jüdi-

Der deutscheFilmhat sichniewieder vomWegzugseinerStarswieLubitscherholt.

Der Deutsche Carl Laemmle (1867–1939) gründete das Studio Universal.

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gen sei. Kurzerhand erkor er den4. Juli, den amerikanischen Natio-nalfeiertag, zu seinemGeburtstag.Er unterstrich damit die Verbun-denheit mit seiner neuen Heimat.JackWarnerwiederumwar beiAus-bruchdes ZweitenWeltkriegs so er-picht darauf, seine patriotischeGe-sinnung unter Beweis zu stellen,dass er sich nicht nur freiwillig zurArmee meldete, sondern sich vonseinerKostümabteilung eigens eineUniform schneidern liess, in der erüber das Studiogelände stolzierte.Die Coen-Brüder haben diese Epi-sode in ihrer surrealen Hollywood-Satire «Barton Fink» verewigt. DervonMichael Lerner verkörperte Stu-dioboss Jack Lipnick, der am Endein einer Phantasieuniform vor Bar-tonFink tritt, ist einAmalgammeh-rerer jüdischer Studiobosse.

Der Wunsch, akzeptiert zu wer-den, schlug sich auch indenFilmennieder. In seinemBuch «AnEmpireof Their Own»meint der JournalistNealGabler, dass dieHollywood-Ju-den im Film nicht zuletzt die Mög-lichkeit des gesellschaftlichenAuf-stiegs sahen. Entsprechend warensie darum bemüht, aus der einsti-gen Spielhallen-Attraktion eine an-erkannte Kunstform zu machen.EinWeg dorthin waren Verfilmun-gen von Theaterstücken mit be-kanntenSchauspielern.Die grossenNamen sollten Zuschauer ins Kinolocken, während die bekanntenStoffedasMediumauch für dieMit-telschicht attraktiv machten. Filmwandelte sich so vom kritisch be-äugten, potenziell schädlichenZeit-vertreib der Unterschicht zu einerseriösenUnterhaltungsform für dieganze Familie.

Traumland konstruiertGabler stellt die These auf, dass derWunsch, die eigeneHerkunft hintersich zu lassenund anerkannter Teilder amerikanischenGesellschaft zuwerden, dazu führte, dass die jüdi-schen Produzenten ihre neue Hei-mat in ihren Filmen idealisierten.Geradeweil sie nicht dazugehörten,schufen sie im Film ihr Traum-Amerika, ein Land, in dem Gleich-heit undFreiheit herrschen, in demsich harte Arbeit auszahlt. Da derFilm im 20.Jahrhundert zum Leit-mediumschlechthin geworden sei,habedieseVisionderUSAdie ganzeamerikanische Kultur durchdrun-gen. Der amerikanische Traum, soGablers Pointe, sei eine Erfindungjüdischer Einwanderer.

Mit welchenWidersprüchen dieHollywood-Juden zu kämpfen hat-ten, zeigt sich exemplarisch amFilm«The Jazz Singer» von 1927, derals erster Tonfilm gilt. Streng ge-nommen handelt es sich bei demRührstück um einen Stummfilm

mit einzelnen Gesangspassagen;die wenigenmit Synchron-Ton ge-zeigten Szenenbegeistertendas Pu-blikum aber derart, dass die Kon-kurrenz bald nachzog. Die Warner-Brüder dürften sich kaum bewusstgewesen sein,welcheRevolution siemit diesem Film einleiten sollten.ImNachhinein erscheint «The JazzSinger» aber als geradezu paradig-matisch für das Schicksal derHolly-wood-Juden, denn in ihm spiegeltsich ihre eigeneGeschichte.

Erzähltwird das Leben von JakieRabinowitz, einem Sohn jüdischerEinwanderer, der entgegen demWunsch seines Vaters nicht in des-sen Fussstapfen tritt. Anstatt alsoKantor in der jüdischen Gemeindezu werden, will er als Jazz-SängerKarriere machen. Es kommt zumZerwürfnis. Jakiewird zwar von sei-nem Vater verstossen, macht dannaber unter demNamen Jack RobinKarriere. Auftakt des Films ist derVorabend von Jom Kippur, demhöchsten jüdischen Feiertag, andem Kantor Rabinowitz mit In-brunst das Eröffnungsgebet KolNidre singt.

Am Ende von «The Jazz Singer»wird folgende Szene gespiegelt: DerVater liegt im Sterben, und Jakiemuss sich entscheiden, ob er dem

Ruf seiner Vorfahren folgt und anseines Vaters Statt das Gebet singtoder an der Premiere eines neuenStücks auftritt, das seinenRuhmbe-siegelnwird.

«The Jazz Singer» ist kein guterFilm. Die Art und Weise, wie derKonflikt aufgelöstwird, dürfte auchzeitgenössische Zuschauer kaumüberzeugt haben: Plötzlich kanndiePremiere doch verschobenwerden,Jakie kann sowohl in der Synagogesingen wie auch als Jack RobinTriumphe feiern. Die Botschaft da-bei ist klar: Bei aller Verbundenheitmit der Tradition liegt der Weg derjungenGeneration in der Assimila-tion, im Übernehmen der Massen-kultur.Wie sehr sich FilmundRea-lität hier überlagern, zeigt die Bio-grafie des Hauptdarstellers: AlJolson hiess ursprünglich AsaYoelson und war 1886 in Litauenals Sohn eines Kantors zurWelt ge-kommen.

VorbildWoodyAllenBleibt die Frage, warum Juden bisheute so zahlreich in Hollywoodvertreten sind. In der Oscar-Aca-demymachen siemehr als dieHälf-te der Mitglieder aus; jüdische Stu-diobosse sind Jeffrey KatzenbergbeiDreamworks, AlanBergmanbeiDisney, Brad Grey bei Paramountund Ron Meyer bei Universal. Dasliegt an der Tradition, die sich überGenerationen herausgebildet hat.

Auf diese berufen sichheute vie-le junge Schauspieler und Produ-zenten in Hollywoodmit Stolz. DieZeiten, in denen das Filmgeschäftals anrüchig galt und die Juden inden USA marginalisiert wurden,sind längst vorbei. Der in einer«nicht besonders gläubigen» jü-dischen Familie aufgewachseneSchauspieler undRegisseur JosephGordon-Levitt sagt, er sei zwarnichtreligiös, identifiziere sich aber ger-nemitVorbildernwieWoodyAllen,denMarx Brothers oder den Coen-Brüdern. «Sie stehenmir näher alseinRabbi.»UndScarlett Johanssonerklärte kürzlich: «Ich bin eine stol-zeNewYorker Jüdin.»AuchNataliePortman sowie Jake und MaggieGyllenhaal kommen in Interviewsgerne auf ihr Jüdischsein zu spre-chen. Sie zelebrieren ihr Erbe etwa,indem sie sich selbstbewusst als«member of the tribe»,Mitglied desStammes, bezeichnen.

Dieses stolze Zugehörigkeitsge-fühl ist nicht weiter erstaunlich.Vielmehr ist ein solches fürAssimi-lationsgeschichten generell ty-pisch. «Wenn eine Gruppe einmalden Aufstieg geschafft und in einerbestimmten Branche einen gesell-schaftlichen Status erreicht hat»,sagtHannoLoewy, «steigt sie seltenwieder aus.»

Heutenennensich Judenstolz «memberof the tribe»,Mitglied desStammes.

In «The Jazz Singer» vereint JakieRabinowitz (Al Jolson) jüdischeTradition undUS-Kultur.

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FOTOS:CORBIS/DUKAS,EVERETTCOLLECTION/KEYSTONE