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Memorandum: Offener Brief an den Vorstand und die Mitglieder des Deutschen Werkbunds-NRW im Vorfeld der Mitgliederversammlung am 07.11.2015. "Wem oder was nützt der Werkbund" Sehr geehrter Vorstand, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde, Auseinandersetzung beginnt mit konstruktiver Kritik und bei der Bewertung des Deutschen Werkbunds für die Zukunft fragte ich mich: Was bedeutet uns der Werkbund heute und wo liegen aus heutiger Sicht die Unterschiede, Themen und Bereiche, die aus meiner Sicht einer Intervention des Deutschen Werkbunds bedürfen. Bevor ich diese benenne, möchte ich kurz meine damalige Begegnung und die damit verbundenen Vorstellungen mit und über den Deutschen Werkbund beschreiben. Die erste Begegnung mit den Ideen und Ansprüchen des Werkbunds fanden schon zu Zeiten meiner Handwerkslehre in den 70er Jahren statt. Später, insbesondere während meines Innenarchitektur- Studiums, gewann der Deutsche Werkbund für mich mehr und mehr an Bedeutung als gestaltmoralische Instanz, vermittelt durch die bauhausgeprägten Professoren Georg Hertlein und Helmut Berger, die mir von den Zielen und dem nationalen und internationalen Renommee des Deutschen Werkbundes erzählten.

Wem oder was nützt der Werkbund

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Memorandum: Offener Brief an den Vorstand und die Mitglieder des Deutschen Werkbunds-NRW im Vorfeld der Mitgliederversammlung am 07.11.2015.

"Wem oder was nützt der Werkbund"

Sehr geehrter Vorstand, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,

Auseinandersetzung beginnt mit konstruktiver Kritik und bei der Bewertung des Deutschen Werkbunds für die Zukunft fragte ich mich: Was bedeutet uns der Werkbund heute und wo liegen aus heutiger Sicht die Unterschiede, Themen und Bereiche, die aus meiner Sicht einer Intervention des Deutschen Werkbunds bedürfen.

Bevor ich diese benenne, möchte ich kurz meine damalige Begegnung und die damit verbundenen Vorstellungen mit und über den Deutschen Werkbund beschreiben.

Die erste Begegnung mit den Ideen und Ansprüchen des Werkbunds fanden schon zu Zeiten meiner Handwerkslehre in den 70er Jahren statt. Später, insbesondere während meines Innenarchitektur-Studiums, gewann der Deutsche Werkbund für mich mehr und mehr an Bedeutung als gestaltmoralische Instanz, vermittelt durch die bauhausgeprägten Professoren Georg Hertlein und Helmut Berger, die mir von den Zielen und dem nationalen und internationalen Renommee des Deutschen Werkbundes erzählten.

Aus diesen Informationen entstand für mich das Bild des Deutschen Werkbunds, als eine über die Grenzen Deutschlands hinaus anerkannte Institution, die sich primär als Anwalt der „guten Form“ in Industrie und Handwerk darstellte, aber auch als eine Instanz, die in der Gesellschaft kulturpolitische Anerkennung, Respekt, Einfluss und Wirksamkeit besaß sowie in Fragen der Sinngebung, Bewertung und Urteilsfindung von Kunst und Gestaltung, vom Objekt bis zur Umwelt, im Diskurs mit den entsprechenden Berufsgruppen stand. Aber darüber hinaus natürlich auch im öffentlichem Diskurs, insbesondere mit den politischen Entscheidungsträgern aus Kultur- und Bildung, um Sicher zu stellen, dass die Ziele des Werkbundes in Handwerk, in den Schul- und Hochschulkonzepten Eingang finden und dort vermittelt werden. So meine Vorstellung!

Heute stelle ich aber fest: Dieser öffentliche Diskurs findet gar nicht statt und der Werkbund ist in der Bevölkerung so gut wie unbekannt, leider auch bei den vielen Architekturstudenten an der Universität, an der ich unterrichte. Der ehemalige Einfluss und das Strahlen des Deutschen Werkbunds in die Gesellschaft, scheinen verblasst.

Eine traurige Feststellung für ein Unternehmen, das mit seinen sozialen und kulturellen Idealen eigentlich alle gesellschaftlichen Schichten durchdringen wollte und sich aus einem breiten Spektrum unterschiedlicher Professionen rekrutierte.

Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob in der Öffentlichkeit die Verdienste und das Renommee des NRW- Werkbundes in der Vergangenheit ausreichend gewürdigt wurden, bei denen Mitglieder durchaus hervorragende Konzepte, Projekte, Veranstaltungen und Ausstellungen gestalteten. Ich möchte als exzellentes Beispiel die Qualität der „Akademie“ in Gnadenthal erwähnen. Die sich über viele Jahre auch durch bibliophile Kontinuität auszeichnet.

Aber ich frage: wusste die Öffentlichkeit überhaupt von diesen Veranstaltungen und ihren Ergebnissen, die nicht nur für Fachkreise als wertvolle Beiträge anzusehen wären? Gab es eine öffentliche gesellschaftliche Resonanz darüber oder einen Widerhall?

Kürzlich fragte mich ein Kollege scherzhaft, ob der Deutschen Werkbund zu einem Geheimbund mutiert sei, da man nur noch im kleinen Kreis unter Gleichgesinnten sei und die Öffentlichkeit ausgeschlossen würde.

Ich bin im 2. Jahr Mitglied im Werkbund-NRW und meine Beobachtung ist, dass meist Architekten und Hochschullehrer dominieren. Ich erfuhr, dass der Deutsche Werkbund kein berufsständischer oder berufsspezifischer Interessenverband sei. Dennoch frage ich mich: Wo sind die Kunsthandwerker, Maler und Bildhauer, Handels- und Industrieunternehmer?

Im Gegensatz zu den großen Ansprüchen und Zielen der Gründungsphase sowie der Erneuerung des Deutschen Werkbundes nach dem 2. Weltkrieg

(Rheydter Manifest), erleben wir heute Ernüchterung, obwohl die Ziele eigentlich klar in unserer Satzung formuliert sind.

Ich lese nämlich z.B., dass durch die Förderung der Erziehung, der Volks- und Berufsbildung und durch das Einwirken auf die Öffentlichkeit, eine Verbesserung von Qualität in der menschlichen Umwelt erreicht werden sollen.

In der Satzung des Darmstädter Gesamtverbandes werden zusätzlich die Begriffe von Kunst und Kultur expliziert erwähnt, und weiterhin sogar das „Zusammenwirken von Kunst, Technik und Wissenschaft“ hervorgehoben. In unserer NRW-Satzung fehlen diese Begriffe ganz. Ich frage mich warum?

Davon aber abgesehen, beide Aussagen beinhalten gleichermaßen einen eindeutig gesellschaftlichen Anspruch und das gilt für den produzierenden Gestalter oder Künstler ebenso, wie für den „normalen“ Menschen.

Der Mensch soll nämlich durch Erziehung, also Bildung, in die Lage versetzt werden, Kriterien zur Urteilsfindung und Bewertung von kulturellen Produkten in Architektur, Design und Kunst zu entwickeln, um diese qualitätsvoll zu produzieren und an den Produkten zu partizipieren.

Der Deutsche Werkbund hat seit seiner Gründung wie Don Quichotte gegen die Windmühlen der Beliebigkeit gekämpft und sich für Qualität und Bewertungskriterien

von Kulturprodukten eingesetzt. Ein Blick in die Angebote der realen Kulturprodukte zeigt aber ein Dilemma: Es zeigt sich, dass andere Mächte scheinbar stärker sind, daher brauchen wir den kritischen und kompetenten Produzenten, aber auch den Mitbürger als ästhetischen Mensch, der die Konzepte und Qualitäten der Kulturprodukte bewusst erkennt, bewerten und einzuschätzen weiß.

Interessant ist, das schon1947 im Rheydter Manifest des Deutschen Werkbundes der "Sinn und die Gestalt des Daseins im heutigen Deutschland …“ als betonte Zielwerte in den Vordergrund der Bestrebungen gestellt wurden. Also ein erweiterter Anspruch, der das gesellschaftliche Subjekt, neben dem ästhetischen Objekt, im menschlichen Dasein in den Fokus stellte.

An dieser Stelle möchte ich die Kernbereiche benennen, um die es mir aktuell geht. Ich möchte folgende Aspekte hervorheben:

-z.B. die Bedingungen der künstlerischen und handwerklichen Ausbildung an unseren schul- und hochschuleigenen Institutionen.

-oder die komplexen Herausforderungen in Bezug auf einen Diskurs im Umgang und dem Einsatz digitaler Werkzeuge im Handwerk und in der Gestaltungslehre.

-oder die Annäherung von Wissenschaft und Kunst.

-und insbesondere die Fragen der ästhetischen Urteilsfähigkeit von Menschen in unserem Land. Denn originär stellen sich diese teilhabenden Kompetenzen als der Schlüssel für alle beabsichtigten Ziele, Prinzipien, Ansprüche und Aufgaben dar, für die der Deutsche Werkbund steht.

Bleiben wir bei der Kompetenz von Urteilsfähigkeit und Geschmacksbildung:

Wie wir wissen, es gibt kein allgemeines oder objektives Geschmacksurteil, aber der Einzelne kann gebildet werden, ein eigenes zu entwickeln.

Oder wie Joachim Winkelmann sagte: „Mit Geschmack die Werke der Kunst ansehen oder mit Verständnis, das sind zwei verschiedene Dinge“.

Was jedoch die Kriterien zur Urteilsfindung oder Bewertung von kulturellen Produkten betrifft, so ist der partizipierende Mensch aus meiner Sicht in unserem Land schon lange alleine gelassen. Er ist zum rein konsumierenden Mensch mutiert. Unter der Regel „Schön ist, was gefällt“ folgt er dem reduzierten und niedrigen Preis.

Dabei kann zu viel gebildete Urteilsfähigkeit und Geschmacksbildung schädlich sein, denn der Profit und die Konjunktur könnten darunter leiden. Man braucht scheinbar den schlechten Geschmack, um im Kapitalismus eine sichere und breite Kundschaft zu halten.

Und das ist scheinbar so gewollt. Denn wenn die Ansprüche einer seriösen Gestaltungsausbildung, Werk- und Kunsterziehung gesellschaftlich greifen würden, dann müssten viele Produzenten des kulturell schlechten Geschmacks Angst um ihre Abnehmer haben. Und das wären viele!

-Millionen Bildleser beweisen z.B. täglich, dass diese Form des Journalismus ein Bedürfnis darstellt, das es zu befriedigen gilt;

-Begriffsverwirrung: Fußball zählt in AC schon zur Kultur;

oder…

-die Formate wie z.B. „Jungle-Camp“ oder „Deutschland sucht den Superstar..“ als Unterschichtenfernsehen legitimieren sich, weil die Quote stimmt.

Und alles dient nichts anderem als jener Strategie, die Träume, Hoffnungen und Verführbarkeiten der Menschen zum Hebel ökonomischer Interessen zu machen.

Apropos Fernsehen: Warum setzt sich der Werkbund bei den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht für ein Kultur-Format ein, dass die Ideen des Deutschen Werkbundes vermittelt oder der Rezeption kultureller Grundlagen dienen, als Quiz, als Spiel, als Unterhaltung?

Warum kein YouTube-Werkbundkanal? Das hätte Zukunftswert! Es gäbe Genügend mitzuteilen!

Nicht nur in der Eifel sagt man: „Kunst ist das was gefällt“. Ähnliche Verkürzungen des Urteils über Kunst, Architektur oder sonstiger kulturell-ästhetischer Phänomene sind sozusagen das Synonym einer hilflosen ungebildeten und von Konsum geblendeten Einschätzung und Wertschätzung von Gestaltung.

Wenn ich einen Blick ins Kaufhaus oder in eine Möbelmesse wage, dann reicht das Angebot vom Styling der Gebrauchs-wert-heuchelei bis zum ausgeprägten Qualitätskitsch! Qualität setzt sich leider nicht durch.

In Aachen oder in die Eifel in Sachen Architektur unterwegs, stelle ich fest, dass sich der hehre Anspruch des Deutschen Werkbundes nur marginal in der Realität niedergeschlagen hat. Auch hier dominiert der Edelkitsch oder das Design des Bauhauses, also gemeint ist hier die Baumarktkette.

Die ungenügende Geschmacksbildung von Bauherren und Bauherrinnen wird von Architekten oder Architektinnen immer wieder beklagt und häufig als Grund für einen gescheiterten hohen ästhetischen Anspruch genannt, der trotz großer Überzeugungarbeit, nicht umgesetzt werden konnte.

In der Aachener Tageszeitung wurde kürzlich der Neubau einer Grundschule veröffentlicht, der durch den übermäßigen Einsatz von Edelstahl, den Eindruck eines mittelständigen Schweinezuchtbetriebs vermittelte. Hier wurde einfach unterschlagen, dass es sich um ein Haus

handelt, in dem Kinder Spiel und Fantasie ausleben sollen, um auf ihr Leben vorbereitet zu werden.

Ist man blind geworden für haptische und semantische Zusammenhänge?

Wer sich dem Erlernen von Kompetenzen der Partizipation des Bürgers widmet, muss mit sehr viel Widerstand aus bestimmten Lagern rechnen. Diese Kompetenzen stören nämlich einen Markt, dem man nachsagt, dass er alles regelt, wie es im neoliberalen Jargon heißt.Im Zuge des neoliberalen Geistes in unserem Lande, sehe ich heute im privaten- und institutionell praktizierten Kultur-Verhalten, einen schleichenden Zerfall am Interesse kultureller Qualität und einen Anstieg der Abwertungstendenzen in Kunst und Kultur. So auch an den Schulen:

Wir haben eine Bildungspolitik, die den Wert und den Sinn künstlerischer und musischer Tätigkeit leider unterschlägt und unterschätzt: Wir stellen fest: dass an unseren Schulen das Streben nach einem Zweck gelehrt wird, aber nicht das nach einem Sinn…!

Wir stellen fest: dass PISA an den Schulen dafür sorgt, das die künstlerisch-musischen Fächer in der Leistungsbewertung keine Beachtung finden.

Angeblich hat sich die (OECD), also die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit

der Pisa-Studie zu einem Fürsprecher für Chancengleichheit im Bildungssystem gemacht.

Ähnliches könnte der Deutsche Werkbund erreichen, indem er sich für die Gleichberechtigung und Notwendigkeit, für den Mehrwert und die Wertschätzung künstlerisch-musischer Fächer in den Curricula der Schulen einsetzt. (Mit Hilfe der Erziehungs- und Neurowissenschaften, z.B. Prof. Gerald Hüther)

https://www.youtube.com/watch?v=EpIXYHAh3cQ

Wir stellen fest: dass das manuelle Werken als Bildungsfach an Deutschlands Schulen abgeschafft wurde, obwohl Reformpädagogen und Alternativschulen die ganzheitliche Bedeutung dieser Tätigkeiten immer wieder hervorheben. Insbesondere vor der Voreingenommenheit und der fehlenden Wertschätzung vor dem Handwerk, ein fataler Zustand.

Wir stellen fest: Vielen musisch- oder künstlerisch- begabten jungen Menschen wird bei der Berufswahl meist geraten, doch besser einen sogenannten „ordentlichen Beruf“ zu ergreifen.

Wussten Sie, dass solche Vernunft-Entscheidungen in der Konsequenz einen immensen Kulturverlust in unserer Gesellschaft verursachen?

Wir stellen fest, dass die künstlerische- und kulturelle Bildung an den Schulen und Gymnasien nicht nur ungenügend, sondern unangemessen ist.

Eine Kunsterzieherin in Hessen erklärte mir, dass sie die einzige Kunsterzieherin an ihrer Schule sei und 700 Kinder zu „versorgen“ hätte; weiterhin, dass bei angehenden Lehrern das Fach Kunsterziehung häufig als zweites Fach genommen würde, weil man hier den wenigsten Aufwand einkalkuliert.

Wir stellen fest, ein Bildungswesen das ist im Kern von neoliberalen Anforderungen geprägt ist, lässt wenig Raum für künstlerisch musische Entwicklung.Berliner Gymnasien z.B. haben den Kunstunterricht aus dem Leistungskanon des Curriculums ganz in außerschulische Kunstschulzentren verlegt, die nicht während der regulären Schulzeit besucht werden können, sondern freiwillig in der Freizeit der Schüler. Wie war das noch mit dem Bildungsauftrag?

Wir stellen fest, dass innerhalb der schulpolitischen Hierarchie die Kunsterzieher und Musiklehrer einen niederen Rang einnehmen. Wir stellen fest, dass der Kunstunterricht nicht nur oberflächliches Erstellen von Bildern, Skulpturen oder sonstigen künstlerischen Produkten bedeutet, sondern insbesondere eine generalistische Förderung von Fähigkeiten und Fertigkeiten darstellt, die in vielen Handwerken, Tätigkeitsprofilen der Industrie- und Unternehmen bis in die Managerebenen von Bedeutung sein könnten: Als da wären: Motorisch-operative Fertigkeiten, konzeptuelles Denken, Wahrnehmung, Intuition, Abstraktion oder ganz allgemein: Kreativität und Lebenssinngebung.

Wenn Industrie und Ökonomie in der Lage sind, die künstlerischen und musischen Fähigkeitsstrukturen zu abstrahieren und zu absorbieren, dann werden sie mit kreativen Mitarbeitern und innovativen Produkten belohnt werden.

Wo sollen denn die Querdenker und kreativen Köpfe herkommen, die in der Wirtschaft, der Industrie und an den Universitäten gesucht werden? Unternehmen und Universitäten stellen nämlich immer öfter fest, dass die Fähigkeiten und der Wissensstand der meisten Persönlichkeitsprofile nicht ausreichen, trotz Abitur.

Schauen wir in die universitäre Gestaltungslehre in der Architekturausbildung:

Wussten Sie:

Dass sich das Studieren heute einer immer mehr ein-dimensionierten, marktorientierten Wissensausrichtung anpasst und sich als Warencharakter an den Universitäten offenbart?

Wussten Sie:

Dass im Humboldt’schen Sinne die universitäre Bildung – ganz im Gegensatz zu dem, was heute an den Universitäten proklamiert wird – keine berufsbezogene und keine von wirtschaftlichen Interessen geleitete, sondern eine unabhängige Ausbildung und Forschung sein sollte ?

Im Humboldt’schen Sinne sollten nämlich Wissenschaft und Kultur den Menschen durch Lebensqualität als Welt-

und Kulturbürger auszeichnen, bereichern und ausstatten.

Wussten Sie:

Dass die Gestaltungslehre ehemals als Elementarfach galt, in dem wesentliche Grundlagen vermittelt wurden?

Wussten Sie:

Dass in neoliberalen Wettbewerbsregeln nur Messbares Berechtigung hat und künstlerische und gestalterische Qualitäten aus den Bewertungskategorien fallen, weil diese nicht quantifizierbar sind?

Wussten Sie:

Dass die Anforderungen der Architektenkammer NRW bei der Neugestaltung des BAC und MA-Architekturstudiums mit eingeflossen sind?

Frage: Und wieso spielte der Einfluss des Deutschen Werkbundes keine Rolle bei solch wichtigen Weichenstellungen?

Gibt es eigentlich einen Austausch zwischen dem Deutschem Werkbund und den Architektenkammern? Mir sind keine Maßnahmen bekannt, die z.B. Gestaltung oder Gestaltungsmethoden thematisieren, die bei den geforderten Weiterbildungsprogrammen der Architektenkammern berücksichtigt werden. Auch hier wäre die Intervention des Deutschen Werkbundes angesagt.

Wussten Sie:

Dass die bundesweit hochschulpolitischen Entscheidungen (BAC/MA) dafür verantwortlich sind, dass die künstlerische Gestaltungslehre an vielen Architekturfakultäten in ein neues zeitliches und personelles Korsett gezwängt wurde, die eine seriöse künstlerische Lehre in Frage stellt. Konsequenz: Fragmentierte Kenntnisvermittlung.

Wussten Sie;

Dass z.B. die Lehrstühle für bildnerische und plastische Gestaltung an vielen Architekturfakultäten einfach fusioniert wurden und die Lehrinhalte von ehemals zwei Disziplinen, nur noch durch einen Professor/in durch geführt werden? Die Konsequenz: jeder dieser Lehrbereiche wird um die Hälfte in der Lehrzeit reduziert.

Die gesellschaftliche Wertegemeinschaft schenkt dem Bereich der Wissenschaft eindeutig und überwiegend mehr Bedeutung und Wertschätzung, als dem Bereich der Kunst und Kultur? Die Lösung der Herausforderungen für die Zukunft erwartet man nicht von den Künsten, sondern von den Wissenschaften. Das gipfelt z.B. in der Entscheidung, dass zukünftig nur noch promovierte Architekten zu Professoren berufen werden sollen.

Beim sogenannten „Hochschulfreiheitsgesetz“ kam es zur Umwandlung von akademischen zu unternehmerischen Werten. Forschung generiert

momentan zu einer größeren Bedeutungsorientierung als die Lehre. In diesem Wettbewerb prognostiziert man künstlerischen Forschungsinhalten geringere Chancen im Vergleich zur wissenschaftlichen Praxis. Aus meiner Sicht basiert diese Annahme auf dem Vorurteil der radikalen Trennung von Kunst und Wissenschaft.

Aber besitzt die Forschung in den Künsten, und dazu zähle ich z.B. auch die Architektur, nicht eine ebenso evolutionäre Schubkraft, wie die in den Wissenschaften?

Wieso verortet man den Forschungsbegriff nur singulär im Kontext der Wissenschaften, und nicht gleichberechtigt mit den Künsten?Wenn sich Kunst und Wissenschaft über Jahrhunderte in enger Kooperation entwickelten, was ist der Grund, weshalb man diese Disziplinen heute so getrennt voneinander betrachtet?Ich weiß, dem Gedanken an Fortschritt heftet man nicht automatisch eine künstlerische oder ästhetische Leistung an. Aber genau durch diese Fusion könnte ich mir überhaupt einen Fortschritt vorstellen. Und der DWB könnte diese Annäherung moderieren und begünstigen.

Daher die Frage:

Könnte es einen Fortschritt geben, der kein rein technisch-wissenschaftlicher Fortschritt ist?

Gemeint ist also ein Fortschritt, der sich als ein „ästhetischer Fortschritt“ darstellen würde, der in alle Bereiche der Gesellschaft strahlt und durch die Kollaboration von Wissenschaft und Kunst entstehen

würde. Die daraus entstandene Lebensqualität würde auf einer gesteigerten Wertschätzung und Partizipation basieren, die der Menschen den Dingen und dem Leben entgegen bringt, oder wie Friedrich Schiller sagen würde, durch die Lebenskunst.

Ich vermisse nicht nur die Diskussionen über solche Themen, ich vermisse auch die öffentliche Stellungnahme des WB zu bewegenden kulturellen Fragen. Denn im Zusammenleben der Menschen häufen sich die Konflikte. Die Wirtschaft hat sich unter den Stichworten Neoliberalismus und Globalisierung scheinbar jeder Kontrolle entzogen und bietet ein Spielfeld für den Egoismus einiger brutaler Marktteilnehmer.

Die Welt ist zu einem riesigen unkontrollierbaren Labor geworden, in dem, neben künstlichen Umwelten, auch Lebewesen, Lebenswelten und ökologische Systeme entworfen und realisiert werden können. Denken wir nur an die Bereiche des Bio-Designs, Intelligent-Designs oder an Künstler-Wissenschaftler wie Magnus Larsson oder Craig Venter, die durch transgenetische und biosynthetische Prozesse eine Neubewertung des Werkbegriffs provozieren, zu denen der Deutsche Werkbund auch eine Haltung entwickeln müsste, die er in die Öffentlichkeit transferiert.

Was ist die Haltung des WB`s z.B. zum großen Welt-Handelsabkommen TTIP? Die Demonstrations- und Kampfbereitschaft sind bei hunderttausenden

Kreativschaffenden bundesweit groß. Und was macht der Deutsche Werkbund?

Er kann nicht mehr nur das ästhetische Produkt der gestaltenden Arbeit in den Mittelpunkt seines Denkens und Handelns stellten, sondern auch die Bereiche der ethischen, politischen und moralischen Vertretbarkeit.

Damit sind z.B. afrikanische Kinder gemeint, die Smartphones zusammensetzen, oder andere Produkte, die von asiatischen Arbeitern für Hungerlöhne unter unmenschlichen Bedingungen hergestellt werden. Auch die bewusste Verkürzung der Lebensdauer von Produkten, aus rein kommerziellen Gründen, genau wie die oft fragwürdige Herkunft von Materialien zur Herstellung von Produkten, sollte im Fokus der Auseinandersetzung stehen. Auch der aktuelle Fall bei Volkswagen zeigt eine Haltung und einen Werkbegriff, der aus dem Geist neoliberalen Denkens entstanden ist. Die Gesellschaft braucht mündige Bürger mit Kriterien und Urteilskraft, um die Kulturprodukte einer Bewertung zu unterziehen. Dafür sollte sich der Deutsche Werkbund einsetzen, so auch in der Kunst:

Kunst und Kultur sind zu einer Form von Distinktion geworden, als soziales Zeichen der Abgrenzung. Und Geschmack ist zu einer scheinbar identitätspolitischen Notwendigkeit geworden, mit dem massiven Interesse an Status.

Die Teilhabe von einerseits ökonomischem- und andererseits kulturellem Kapital, hat das Potential zu

einem spaltenden Kulturkampf zwischen Oberschicht, Kleinbürgertum und Proleten. Eine Geschmacks-Hierarchie, die einerseits von oben herab durch Herablassung, und andererseits von unten nach oben durch Emporschauen und durch peinliche Imitationen sozial gekennzeichnet ist.

Auch die bildende Kunst agiert in diesem Widerspruch von einerseits qualitätsvoller Kunst und andererseits Beliebigkeit und Kitsch. Nicht umsonst wird die Akzeptanz und Wertschätzung von Kunst und Künstler gesellschaftlich oft fragwürdig betrachtet. An diesem Verhalten ist die Kunst nicht ganz unschuldig: Wir begegnen Künstlern, die an der Gesellschaft gar nicht interessiert sind und sich vom Leben und der Beurteilung abwenden und scheinbar genügend Befriedigung in der beliebigen Selbstbeschäftigung finden.

Ein weiterer Grund zur Abwendung, stellt ein wahnsinniger Kunstmarkt dar, den keiner wirklich ver-steht. Besonders fatal daran ist, dass dieser fälschlicherweise vorgibt, als ob er „gute und vorbildliche Kunst“ mit hohem „ideellen Wert“ anpreist. Ein großes Missverständnis, denn die meisten Erfolgsprodukte des Kunstmarktes sind nicht automatisch mit den eben genannten Qualitätskategorien in Verbindung zu bringen.

Die heutige Kunst in der Öffentlichkeit spricht fast nur noch durch die Sprache des Geldes zu uns. Während es

dem Kunstmarkt so gut geht wie noch nie, geht es der Kunst-Kultur in Deutschland und damit auch den meis-ten Künstlerinnen und Künstlern so schlecht, wie nie zuvor.

Für die Künstler, die sich den üblichen Marktstrategien verweigern oder jenen, die nicht integriert werden, zei-gen der Markt und die Gesellschaft keine Akzeptanz, da die Werke dem Wertekanon markthöriger Kunstwissen-schaft, Kunstkritik und Kunstpublizistik nicht entspre-chen. Hinzu kommt, dass seriöse Galerien hierzulande ebenso selten zu finden sind wie Perlen in einer Mu-schel.

Unter diesen Bedingungen leben und arbeiten die meis-ten Künstler in der Bundesrepublik und die Folge ist Ver-armung, besonders im Alter. Das monatliche Durch-schnittseinkommen der Bildenden Künstler/innen in Deutschland beträgt ca. 900 €.

Diese prekäre Situation ist nur eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass die verfassungsmäßig garantierte Freiheit der Kunst beschnitten wird. Staat und Gesell-schaft fordern, dass sich Kunst ›rechnen‹ müsse. Gefor-derte Quote und Rentabilität verlangen aber nichts ande-res, als sich dem Massengeschmack unterzuordnen und das Kunst so sein soll, wie es die Leute gerne hätten: Leicht konsumierbar und vertraut.

Der Kunstbegriff des Durchschnittsbürgers liegt, wenn überhaupt, meist weit in der Vergangenheit, aber nicht in der Gegenwart. Das Argument: „Das war doch schon

immer so!“ sollte eigentlich keine Bedeutung haben vor den Zielen des Deutschen Werkbundes und ebenso vor den kulturellen und politischen Entwicklungen und Erkenntnissen seit den 60er Jahren, die in Deutschland durch das Postulat eines Hilmar Hoffmann einen Höhepunkt erfuhren: nämlich „Kunst für alle“!

Die Kunst galt einmal als eines der hervorragenden Mit-tel zur Befreiung des Menschen. Sie spielte mit den schöpferischen Möglichkeiten des autonomen Subjekts, sie zeigte modellhaft, was Freiheit sein kann. Kunst war Ausdruck der Freiheit, selbst oder gerade dort, wo sie sich von dem Zwang befreite, etwas Bestimmtes ausdrü-cken zu müssen.

Gleichzeitig war Kunst immer abhängig von der Ökono-mie und von der Macht, da mache man sich nichts vor – wenigstens äußerlich. Aber es gehörte zu ihrem Wesen, dass derjenige, der sie sich leisten konnte, sich damit auch eine Verantwortung einhandelte, und dass die Kunst immer sehr viel mehr war als der Privatbesitz der ökonomischen und politischen Elite.

Eine andere Elite hat sich nicht nur die Kunst angeeig-net, sondern auch den Diskurs über sie. Kunstwissen-schaft, Kunstkritik, Kunstpublizistik sind so hörig und von ihren Gnaden abhängig, dass sie ihnen genau das als Kunst definieren, was sie als Kunst gebrauchen können.

Vor dieser Zustandsbeschreibung scheinen die hehren Ziele des Deutschen Werkbundes im Sumpf der Realität und des schlechten Geschmacks zu versinken. Diese

Zustände sollten den Deutschen Werkbund nicht unberührt lassen und ich frage Sie, wer, wenn nicht der Werkbund hat durch seine satzungsmäßigen Ziele und sein historisches Erbe und Renommee das Format, solche kulturell-schweren Problemsteine ins Rollen zubringen und ihnen eine Form zu geben? Der Deutsche Werkbund steht mit seinen Zielen auch in einer gesellschaftlichen Verantwortung, im idealen Fall eigentlich allen Menschen im Land gegenüber.

Warum nicht Ausstellungen des Deutschen Werkbundes, die als gezielter kultureller „Sprachunterricht“ oder als „Integrationsfunktion“ orientiert sind, adressiert für Menschen (nicht nur Migranten) außerhalb der Mitte, die das bisherige fragmentierte Publikum erweitern würden?

Zu groß sind die Veränderungen und Herausforderungen, die sich in kurzer Zeit ergeben haben, auf die auch der Werkbund reagieren müsste. So auch im Kontext der „Digitalen Revolution“, die dringend einer Untersuchung und Verifizierung unter den Prämissen der Werkbund-Ziele unterzogen werden sollten.

Wir befinden uns nämlich im Zustand tiefgreifender Veränderungen durch die digitale Technologie. Eine Revolution, die in alle Bereiche des Lebens Einzug hält und deren Eigendynamik kein Ende am Horizont aufzeigt.

Im Bereich der Gestaltung sind die digitalen Werkzeuge und Produktionsmaschinen als Roboter, 3 D-Drucker,

Laser- oder CNC-Fräse immer präziser geworden. Aber entsprechen die Produkte dieser Werkzeuge auch einem ästhetischen Erleben, das gesellschaftlich identifiziert wird; oder sind sie doch eher konsum-orientierten Interessen, inflationärer Beliebigkeit und Austauschbarkeit geschuldet, die gesellschaftlich kritiklos akzeptiert werden?

Was würden John Ruskin und William Morris heute dazu sagen? Denn dieser digitalen Entwicklung inhärent ist auch eine weitere Stufe im Niedergang des Handwerks, das in seinen Möglichkeiten, meist aus ökonomischen Gründen, schon jetzt von vielen als obsolet erachtet wird.

Was bedeuten die digitalen Werkzeuge für die universitäre Gestaltunglehre?

Richtig ist: Durch die digitalen Werkzeuge befinden wir uns heute im Zustand eines Paradigmenwechsels im Umgang mit Raum- und Darstellungskonzepten, aber auch mit Herstellungsverfahren. Die Vorstellungs- und Darstellungsmöglichkeiten erweitern sich gigantisch. In der Anwendungsdynamik generieren sich ungeahnte Weitblicke auf formbildendende Elemente im Raum. Denken wir z.B. an Cyberspace oder Telepräsenz.Der Computer ist nicht nur ein Werkzeug, er offenbart auch eigene Methoden: Man spricht vom digitalen Entwurf. Das impliziert einerseits eine Erleichterung, aber auch die Gefahr einer Flüchtigkeit der Wahrnehmung. Indem wir immer mehr und schneller sehen, begreifen wir tendenziell immer weniger. Durch die digitale Inszenierung „Bilder von Bildern“, wird eine Wahrnehmung begünstigt, die meist nur noch auf

Simulationen und Surrogate und nicht mehr auf das Original gerichtet sind. Dies betrifft insbesondere Form- und material-haptische und semantisch-räumliche Erfahrungen.Heute, zehn bis fünfzehn Jahre nach der Einführung des Computers in die Gestaltungslehre, sollten auch die Hardliner erkennen, dass CAAD nicht alleine die Wahrnehmungskompetenzen vermitteln kann, die in der gestalterischen Praxis gebraucht und notwendig sind. Daher sind die individuellen Kompetenzen im realen Umgang mit Raum, Form, Material und Farbe immer noch von großer Relevanz. Ich würde sogar sagen, dass die Stärkung genau dieser Kompetenzen besonders heute an Bedeutung gewonnen hat, da der Glaube und die Erwartungshaltung an die digitalen Werkzeuge so hoch sind, dass man die analoge Lehre als überlebt betrachtet.Aber die Qualifizierung der elementaren Kompetenzen setzen menschliche Fähigkeiten voraus, mit denen computergesteuerte Programme einfach überfordert sind. Z.B. Wahrnehmungskompetenzen von Haptik, Semantik oder materialspezifische Eigenschaften sind nicht durch Computer zu erlangen. Sie sind als erlebte echte Kenntnisse überhaupt erst die Voraussetzung für erfolgreiche Transferleistungen in digitale Werkzeuge für den Entwurf. Eine Wahrnehmung, die sich nur an der virtuellen Realität des Computers orientiert, demonstriert uns in der Konsequenz eine einseitige Sicht auf die Dinge, ähnlich wie im Höhlengleichnis von Plato.Ein weiteres Unbehagen liegt in der Vorstellung begründet, dass zukünftige Entwürfe jenseits einer menschlich nachvollziehbaren räumlichen

Wahrnehmung entwickelt werden könnten, jenseits von menschlichem Maß und Empathie, so dass die ästhetische Nachvollziehbarkeit zu einer Unerträglichkeit verkümmern könnte.Um solchen Fehlentwicklungen entgegen zu wirken, wäre es sinnvoll, dass der Komplex „Digitale Welt“, bzw. digitale Werkzeuge im Werkbund thematisiert und weitergedacht wird, um eine breite Auseinandersetzung in der Fachöffentlichkeit, insbesondere vor der Ausbildung von Designern und Architekten, in Gang zu setzen. Ich betone dies insbesondere vor den Tendenzen und eines schon teils manifestierten Fortschrittsglaubens, der die analoge Gestaltungslehre schon heute als überlebt erachtet.

Zum Ende meiner Betrachtung komme ich zum Perspektivischen.

Der Deutsche Werkbund ist kein berufsständischer oder berufsspezifischer Interessenverband, daher können die vielfältigen Zielanforderungen nicht durch rein fachliche Meetings und Fachtagungen alleine gelöst werden, sondern nur durch eine öffentliche kulturpolitische Haltung und Auseinandersetzung mit den politischen Organen, bei der alle kreativen Berufsgruppen und Mitglieder des Deutschen Werkbundes gleichberechtigt beteiligt sind. Daraufhin sollte der Werkbund seine Organisationsstrukturen ausrichten.

Der Inhalt meines Papiers mag für einige im Werkbund Unverständnis oder gar eine Überforderung darstellen, aber worüber ich hier spreche, ist eine Generationsherausforderung, die hier im Werkbund -NRW einen Anfang finden könnte, aber langfristig nur

durch ein kollektiv-kulturpolitisches Engagement und Einwirken aller föderalen Vereine des Deutschen Werkbundes zu schaffen wäre, um einen gesellschaftlichen Niederschlag zu bewirken und um ein „Braten im eigen Saft“ zu vermeiden und somit die Ideen und Ziele nicht in der Anonymität jedes föderalen Vereins verdorren zu lassen. Mein Eindruck ist, dass der Austausch, die Kenntnisse und der Kontakt über und mit anderen föderalen Werkbund-Vereinen sehr gering sind.

Trotz föderaler Strukturen sind die Ziele des Deutschen Werkbundes im Kern nicht unterschiedlich oder widersprüchlich. Daher sollte zukünftig eine bundesweite und im Idealfall auch internationale Kommunikation entstehen, die die Kräfte und Ideen der föderalen Werkbund-Vereine bündelt, so dass sie auch bundesweit kulturpolitisch wirksam werden.

Der Deutsche Werkbund ist aus seiner Vergangenheit heraus geradezu der Erfinder der Netz-Werk-Arbeit, und so dürfte es ihm nicht schwer fallen, die modernen Formen der Kommunikation anzueignen, um ein sozialkulturelles Werk zu schaffen.

Der „Werkbund Jung“ macht uns in Ansätzen vor, wie eine solche Kommunikation funktionieren könnte. Eine Mail-Adresse oder eine Website sind Standard, werden aber zukünftig nicht ausreichen. Der Werkbund muss sich den modernen Kommunikationsmöglichkeiten mehr annehmen, um seine Ziele umzusetzen.

Sicherlich, jeder Landesverband hat seine Qualitäten, seine Meinungen und seine Veranstaltungen. Aber keiner weiß wirklich was der andere macht. Daher muss auf Bundesebene ein reger Informationsaustausch

beginnen, in dem die Statements des Deutschen Werkbundes auch in der Öffentlichkeit Gehör finden.

Genau durch diese Fusionierung von Meinungen, Profilen und Qualitäten kann ich mir überhaupt einen Fortschritt im Deutschen Werkbund vorstellen, der zu einer Veränderung und Erneuerung führen könnte.

Wenn die Gründungsväter des Deutschen Werkbundes in ihrer Zeit die Zusammenführung von Kunst und Industrie forderten, so liegt aus meiner Sicht die Herausforderung und die Chance in der Kollaboration von Kunst und Wissenschaft, um einen angemessenen und notwendigen Fortschritt in der Zukunft zu garantieren.

Dazu brauchen wir einen Deutschen Werkbund, der den „Finger in die Wunde“ legt; metaphorisch gesprochen: als „Stiftung Warentest der guten Form“ (warum kein Deutsches Werkbund-Siegel für besondere oder für mindere Leistungen?) oder als „Gewerkschaft des Rechts auf kulturelle Partizipation“ sowie ein „Mindestlohnen“ für Urteilsfähigkeit und Wertschätzung kultureller Produkte durch die Menschen.

Daher sollte die Kulturteilhabe der Menschen zukünftig als Leitmotiv in den Fokus des DWB`s aufgenommen werden, um eine gesellschaftliche Kulturpartizipation und die damit verbundene Identifikation des Einzelnen zu fördern. Ich bin überzeugt, dass diese Förderung mittel- bis langfristig erfolgreich zurück strahlen wird. Josef Beuys sprach in diesem Kontext von der „sozialen Plastik“. Ich hoffe deutlich gemacht zu haben, dass der

gesellschaftliche Realzustand diesen plastischen Eingriff als „soziale Gestaltung“ dringend benötigt.

Ähnlich der ökologischen Wende der letzten Jahrzehnte, bei der sich Menschen plötzlich ihrer Umwelt, ihrer Verpflegung oder ihrer lebensumgebenden Materialien bewusst wurden; ähnlich dem, würde ich mir ein Umdenken in kultureller Hinsicht wünschen; und der Deutsche Werkbund sollte helfen, dass Kultur und Kunst als Wertschätzung (neu)entdeckt, und im gesellschaftlichen Leben zukünftig Wurzeln schlägt.

Michael Schulze

Oktober 2015