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MATZERATH ET AL. · ST. PETER IN KÖRRENZIG 1 S IMON M ATZERATH / H ANS -J OACHIM H ANSEN / M ANFRED V IETEN / S TEFAN B ÄUERLE / H ANS R IEMERS St. Peter in Körrenzig Ein neuer Blick auf die Geschichte eines im 10. Jahrhundert gegründeten Kirchenbaus Abb. 1: Alte Pfarrkirche St. Peter in Körrenzig. Blick von Westen. Grafisch überarbeitete und retuschierte Darstellung nach einem Foto von Herbert Golz (Houverath). Bearbeitung: Andreas und Simon Matzerath. KJB_2014_Umbruch_II_Matzerath 18.09.13 10:55 Seite 1

Simon Matzerath / Hans-Joachim Hansen / Manfred Vieten / Stefan Bäuerle / Hans Riemers, St. Peter in Körrenzig – Ein neuer Blick auf die Geschichte eines im 10. Jahrhundert gegründeten

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S IMON MATZERATH / HAN S - JOACH IM HANSEN / MANFRED V I E T EN /STE FAN BÄUER L E / HAN S R I EMER S

St. Peter in KörrenzigEin neuer Blick auf die Geschichte

eines im 10. Jahrhundert gegründeten Kirchenbaus

Abb. 1: Alte Pfarrkirche St. Peter in Körrenzig. Blick von Westen. Grafisch überarbeitete und retuschierteDarstellung nach einem Foto von Herbert Golz (Houverath). Bearbeitung: Andreas und Simon Matzerath.

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1962 wurde in Körrenzig eine neue Pfarrkircheeingeweiht, die im Vergleich zu der bestehen-

den Kirche über ein deutlich größeres Platzange-bot verfügt. Die 1983 unter Denkmalschutz gestellteAlte Kirche (Abb. 1 und 2) musste 1989 wegenBaufälligkeit geschlossen werden. Als sich dieRheinbraun AG (heute RWE Power AG) 1997 dazubereit erklärte, die Standsicherheit wiederherzu-stellen, war dies der Auftakt einer einzigartigen Ret-tungsaktion. Entgegen aller Prognosen konnte dieKirche in nur 15 Jahren vollständig saniert und re-noviert werden. Die Realisierung dieses Vorhabensprofitierte von der Gründung des Vereins „Rettet dieAlte Kirche Körrenzig e.V.“ im Jahr 1998 und vonder Zusammenarbeit mit dem Bistum Aachen, demLandschaftsverband Rheinland und der Pfarrge-meinde. In den Jahren 2011 und 2012 wurde ein multidis-ziplinäres Forschungsprojekt verwirklicht, das sichder alten Körrenziger Pfarrkirche und ihrerGeschichte angenommen hat. Heute gehört die Kir-che zu den besterforschten ländlichen Sakralbau-ten im Rheinland. Für die Untersuchungen war esein Glücksfall, dass durch die aufwändigen Siche-rungs- und Renovierungsmaßnahmen eine breite

Datengrundlage bestand. Darüber hinaus wurdenneue Archivrecherchen, Bauaufnahmen und natur-wissenschaftliche Analysen durchgeführt. Das Pro-jekt lebte von Kooperationen und Synergien,wodurch bei geringen finanziellen Mitteln einerheblicher Erkenntnisgewinn erzielt werden konn-te. Während bislang die Gründung der Kirche miteiner Legende bis in die Zeit Karls des Großen(† 814) zurückverlegt wurde, kann nun eine Ein-ordnung der ersten Steinbauphase in das 10. Jh.wahrscheinlich gemacht werden. Eine Siedlungs-kontinuität der Ortschaft Körrenzig besteht seit derKirchengründung. Römische (2.-4. Jahrhundert)und drei frühgeschichtliche Funde1 östlich des heu-tigen Dorfes gehören hingegen zu Vorgängersied-lungen. In einer Urkunde von Kaiser Konrad II. ausdem Jahr 1029 werden Kirche und Siedlung erst-mals erwähnt: Dem neu gegründeten Kloster Burt-scheid (Aachen) wurden verschiedene Güter über-tragen, die der Kaiser von einer Person namensBenelinus erhalten hatte. Es stellte sich heraus,dass sich die Textstelle mit der Nennung des Ortes„Cornizich“ innerhalb eines manipuliertenAbschnittes der Urkunde befindet, letztlich sogar

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Abb. 2: Innenansicht der Alten Pfarrkirche St. Peter in Körrenzig (Standort im Mitteljoch).Fotos und Entwurf: Vermessungsbüro Stollenwerk & Kuckuck, Bergheim.

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gotischer Neubau aus Backsteinen folgte sowie1769/70 der Anbau der Sakristei und eine Erweite-rung des Ostjoches im Nordschiff. Später habenHans-Erich Kubach und Albert Verbeek drei ver-schiedene romanische Bauphasen vermutet.2 ImRahmen des Projektes ist deutlich geworden, dassdie Baugeschichte weitaus komplexer ist, als diesbislang angenommen wurde. Die Kirche war regel-mäßig von Reparaturen und Veränderungen betrof-fen. Aktuell lassen sich neun wesentliche Baupha-sen unterscheiden (Abb. 4).Erst im Rahmen der Renovierungsarbeiten wurdenTeile der mindestens zwei Meter im Aufgehendenerhaltenen Südwand des ursprünglichen Saalbaus(Bauphase 1, 10. Jh.) entdeckt. In der Bruchstein-mauer der Westfront ist die zweite Bauphase mitdem Ausbau durch ein nördliches Seitenschiffüberliefert (Abb. 5). Nach einem Ausbau im Chor-bereich (Bauphase 3, 2. Hälfte 12. Jh.) wurde dieKirche im 13. oder 14. Jh. durch ein südliches Sei-tenschiff erweitert (Bauphase 4). Dessen Anbauerfolgte ohne Mauerwerksverzahnung mit dembestehenden Bau (senkrechte Fugen). Der Nach-weis dieses Südschiffes gelang durch einen Geora-dar-Scan, wie er erstmals im Rheinland in einem

auf eine nachträglich eingetragene dritte Hand-schrift zurückgeht (Abb. 3). Lediglich anhand desRückseitenvermerkes der Urkunde („CARTA DECORNIZH ET ALTENHOF“, mit späterer Ergänzung„ET WIL“) wird die Zugehörigkeit des Ortsnamenszum ursprünglichen Urkundentext wieder herge-stellt. Die älteste überlieferte Schreibweise von Kör-renzig ist somit „Cornizh“. Die Kirche gehörte im 10. und frühen 11. Jh. alssog. Eigenkirche zu einem Fronhof, dessen ersternamentlich überlieferter Besitzer der schonerwähnte Benelinus war. Vermutlich mit dem Toddes Benelinus ging die Kirche an den Kaiser undblieb danach ab 1029 bis zur Säkularisation aus-schließlich in der Hand externer Klöster, Stifte undAdelsfamilien. Das Kirchenpatronat wurde zuletztvom Aachener St. Adalbertstift in der Zeit von 1501bis 1802 ausgeübt. Seit dem 19. Jh. ist die Pfarrge-meinde Eigentümer der Kirche.In der Tradition der von Edmund Renard verfasstenBeschreibung der Kirche in den „Kunstdenkmälernder Rheinprovinz“ (1904) wurde die Bauge-schichte früher zu einfach rekonstruiert: DieBruchsteinmauer der Westfront galt als erste Bau-phase (11./12. Jh.), der dann im 15. Jh. ein spät-

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Abb. 3: Detailansicht der Urkunde von Kaiser Konrad II., Juni 1029 (Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland,Abtei Burtscheid, Urkunde Nr. 5). Manipulierte Textstelle. Links: Negativaufnahme. Rechts: Detail mit Schreib-weise „Comizich“ bzw. „Cornizich“. Rot markiert sind die identifizierbaren Buchstabenfragmente des ur-sprünglichen Textes.Aufnahmen zur Urkunde: Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland. Bearbeitung: Simon Matzerath.

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Kirchenbau getestet wurde. Das Georadar hat dasFundament der Längswand des Südschiffes erfasst,welches auch schon bei einer kleinen archäologi-schen Sondage 1989 angeschnitten wurde. Als dieKirche im 15. Jh. als dreischiffige Hallenkirche ausBacksteinen erneuert wurde (Bauphase 5), hatman das Südschiff des 13./14. Jh.s vollständigabgerissen, hingegen aber Bruchsteinmauerresteder romanischen Bauphasen (1-3) in den Neubauintegriert. In seiner Dissertation zu den spätgotischen Kir-chenbauten am Niederrhein hatte Ulrich Reinke diegeringe Raumhöhe des Kirchenbaus als spätesMerkmal der Zeit um oder kurz nach 1500 gedeu-tet.3 Inzwischen wissen wir, dass die heutige Raum-höhe weitestgehend nicht dem früheren Zustandentspricht: Dieser ist allein im Gewölbe des Mittel-joches erhalten, welches die anderen Gewölbeüberragt (Abb. 4). Von den hohen Gewölben imNordschiff sind noch Reste vom Dachraum aus zuerkennen. Zusätzlich lag der Fußboden mindestens15-30 cm tiefer als im modernen Bauzustand. Zwei niedrige Kreuzrippengewölbe in den Westjo-chen von Mittel- und Südschiff gehen wahrschein-lich auf das 16. Jh. zurück und stehen im Zusam-menhang mit dem nachträglichen Einbau eines (im17./18. Jh. niedergelegten) Turmes über dem West-joch des Mittelschiffs (Bauphase 6). Für den Hal-lenbau des 15. Jh.s sind sie demnach nicht maßge-

bend. Ebenso wurden auch die anderen Gewölbeaus Bauphase 5 (mit Ausnahme des Mitteljochs) inden folgenden Jahrhunderten bei Reparatur- undUmbau- bzw. Erweiterungsmaßnahmen durchniedrigere Gewölbe ersetzt. Unterhalb des Pultdaches der im 17. Jh. errichtetenund 1999 abgerissenen Sakristei blieb an der östli-chen Außenwand des Nordschiffes eine auf Bau-phase 5 oder 6 zurückgehende Außenwandbema-lung konserviert. Nach ihrer Identifizierung1999/2000 wurde sie mit den fortschreitendenRenovierungsmaßnahmen leider entfernt. Fotosvon dieser Bemalung zeigen eine Grundierung mitheller braun-rötlicher Kalkfarbe, auf der weißeFugenstriche eine ideale Mauerstruktur imitieren.Während der Nachkriegssanierung wurden Resteeiner vermutlich spätgotischen Innenbemalung zer-stört, die laut einer fachkundigen Beschreibungvon 1951 aus großformatigen figürlichen Darstel-lungen und einer Beschriftung mit gotischen Let-tern bestand (zur Position in der Kirche vgl. Abb.4). Zusammen mit dem aufwändig gestalteten Ves-perbild (sog. „Pietà“) aus der Zeit um 1500 befandsich die Körrenziger Kirche am Übergang vom Spät-mittelalter in die frühe Neuzeit in einer Blüte ihrerkünstlerischen Gestaltung.Aus dem Archiv der von Reuschenberg zu Rurich(1517-1612), das mit einem Teil des Familienar-chives der von Hompesch zu Rurich ins Mährische

Abb. 4) Alte Pfarrkirche St. Peter Körrenzig. Bauphasenmodell, schematisch eingezeichnet auf dem Grund-rissplan der Vermessung von 1995 (nach Matzerath 2012). Zu Bauphase 9 vgl. Abb. 8. Bauphasen 1-4: Bruch-steinmauerwerk (nachgewiesene Partien markiert). Ab Bauphase 5 Backsteinbau mit teilweiser Erhaltungund Integrierung der romanischen Bauphasen (1-3). Gestrichelte Partien: Möglicher, nicht belegter Ausbau inder jeweiligen Bauphase. Bauphasen 3-4: Blaue Punkte = vermutete Standorte der heute noch erhaltenenstaufischen Dreiviertelsäulen (2. Hälfte 12. Jh.). Bauphase 5: Rot markiert sind die Fundamentabschnitte, dieaus Bruchsteinen bestehen (Teile davon sicher, andere möglicherweise aus älteren Bauphasen übernommen).Blaue Felder: Erhaltene (1) oder nachweisbare (2) hohe Gewölbe der Bauphase. Nr. 3: Spätgotische Kreuzrip-pengewölbe (niedrige Gewölbehöhe) aus Bauphase 6. 4: Gemauerte Ziegelsteinbögen in den Wandfeldern. 5und 8: Dokumentiertes Bruchsteinfundament. 6 und 7: Sicher vorhandenes, nicht dokumentiertes Bruch-steinfundament. 9: Spätgotische Schlusssteine in den Gewölben, im heutigen Bauzustand in Wiederverwen-dung. 10: Position spätgotischer Wandmalerei (u. a. Hl. Christopherus), zwischen 1951 und 1953 zerstört.Entwurf: Simon Matzerath.

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Landesarchiv nach Brno (Brünn) gekommen ist,sind neue Hinweise für die Datierung des spätgoti-schen Backsteinbaus aufgetaucht. Eine 1479gegründete Stiftung der Herren zu Rurich für denKörrenziger Katharina-Altar wird im Zusammen-hang mit dem neuen Kirchenbau stehen, weshalbdieser kurz vorher, also etwa um 1475 errichtetworden ist.4

Im Laufe der vergangenen Jahrhunderte haben grö-ßere Eingriffe in den Backsteinbau des 15. Jh.sstattgefunden. Der Anbau der Sakristei und eineErweiterung im Ostjoch des Nordschiffes sind nochins 17. Jh. zu datieren (Bauphase 7, Abb. 4). Beidieser Bauphase fehlte es teils an Know-how undsicherlich auch an ausreichenden finanziellen Mit-teln: Die Fundamente sind nur geringmächtig undaus Mischmaterial erbaut, das Gewölbe wurde

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Abb. 5) Analyse zur Baustruktur der Westfront im Bereich von Mittel- und Nordschiff (vgl. Matzerath 2012). RoteUmrandung: Romanisches Bruchsteinmauerwerk (Bauphasen 1 und 2). Blaue Umrandung: Barocke Einbauten.Weiße Umrandung: Neuzeitliche Verblendung oder Unterfangung des Bruchsteinmauerwerks. Nr. 1: Zuge-mauerte romanische Fenster, oberhalb von Nr. 11 nur noch der obere Bogen erhalten. 2: Ecksteine am Über-gang zur ehemaligen Südwand. 3: Mögliche Dachschräge. 4: Maximale Ausdehnung des nördlichenSeitenschiffes (?). 5: Maximale Mauerhöhe Bauphase 2 (?). 6: Römischer Fundamentstein. 7: Großer, wohlrömischer Steinquader, Seitenansicht. 8: Sandstein mit Bearbeitungsspuren. 9: Stein mit zwei Einbuchtungen.10: Laibung des Eingangsportals, Blaustein, 1775 (Chronogramm). 11: Glasfenster von 1958. 12: Moderne Holz-tür. 13: „Klötzchenfries“; darüber spätere Ausgleichsschicht zum Dachansatz. Rechts im Bild: Strebepfeiler.Foto und Bearbeitung: Simon Matzerath.

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Abb. 6) Oben: 3D-Laserscan (2012), Ansicht vom Mittelschiff mit Blick auf den Chor. Links: Farbliche Darstel-lung der Messpunkte. Rechts: Zusammenpassung der Messpunkte mit der photogrammetrischen Aufnahme.Unten: Ansicht des abstrakten 3D-Modells von Hans Riemers auf Grundlage der Vermessung 1995. Blick vonNordwest. Dach und Kirchhof ausgeblendet.Oben: Entwurf Vermessungsbüro Stollenwerk & Kuckuck, Bergheim. Unten: Entwurf Hans Riemers.

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lediglich mit Pliesterwerk erneuert. Die in einerQuelle des Hückelhovener Pfarrarchivs belegten

notwendigen „Reparationen“ (Reparaturen) ausden Jahren 1769/70 können mit einer bis in dieFundamente reichenden Erneuerung des Südost-bereiches der Kirche in Verbindung gebracht wer-den (Bauphase 8). Ursache für diese Baumaßnah-me waren vermutlich schon Setzungserscheinun-gen im Untergrund (s. u.).Das Vermessungsbüro Stollenwerk & Kuckuck ausBergheim hat einen hochauflösenden 3D-Laser-scan von Kirche und Kirchhof zusammen mit einerphotogrammetrischen Aufnahme angefertigt. ImZustand vor den Sicherungs- und Renovierungs-maßnahmen wurde die Kirche 1995 noch „perHand“ an über 500 Punkten eingemessen,woraus sich ein abstraktes 3D-Modell entwer-fen ließ (Abb. 6). Dieses bietet weitere Ein-blicke in das Bauwerk. Ebenfalls in dieUntersuchungen eingeflossen ist das voll-

ständige Kircheninventar, das vor allemdurch Ernst Coester kunstgeschichtlicheingeordnet wurde. Noch nicht abge-schlossen ist die interdisziplinär ange-

legte, absolute Datierung desVesperbildes (Abb. 7). DieErgebnisse werden separat vor-gelegt. Hierbei kann ein Fix-

punkt für die Datierungähnlicher Skulpturen imRheinland hergestellt wer-den, gleichzeitig wird aberauch eine Methoden-Dis-kussion angestoßen.Anhand eines digitalen

Geländemodells und 31 Bohruntersuchungen inKirche und Kirchhof war eine Standortanalysebezüglich topographischer Merkmale aber auchmit Blick auf die geologischen Voraussetzungenmöglich (Abb. 8). Das Terrain der Kirche ist durcheine tektonisch bedingte Wasserscheide im Unter-grund und einen ehemaligen Quellwasserbereichsüdöstlich des Bauwerks geprägt. Wiederholt vor-

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Abb. 7) Vesperbild (Pietà) der Kath. PfarrgemeindeSt. Peter Körrenzig. Um 1500. Endzustand nachRestaurierung und Retusche. Ursprüngliche Farb-fassung wiederhergestellt. Foto Herbert Golz(Houverath).

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kommende, klimabedingteGrundwassertiefstände inden vergangenen Jahrhun-derten und zuletzt die enor-men Grundwasserabsen-kungen für den Braunkohl-etagebau haben dazugeführt, dass eine norma-lerweise vom Wasser kon-servierte organische Schichtzwei Meter unterhalb desChorabschlusses und desOstjoches im Südschiff inKontakt mit Sauerstoffgekommen ist. Darausresultierte eine zeitweisebzw. im Falle der modernenGrundwasserabsenkungenweiterhin fortschreitendeZersetzung der Schicht, wasschon am Ende des 20. Jh.szu bedrohlichen Senkungs-schäden bei Fundamentenund Mauern in diesemBereich geführt hat. Früher wurde angenom-men, der Chor der Kirchebestünde allein aus demdreiseitigen, östlichen Endedes Mittelschiffs (Abb. 8).Seine geringe Größe erklär-te man sich mit dem an die-ser Seite der Kirche ehe-mals oberflächennah anste-henden Grundwasserspie-gel. Tatsächlich handelt essich aber lediglich umeinen Chorabschluss inForm einer polygonalenApsis, der den eigentlichenChorbereich verlängerte: In

Abb. 8) Alte Pfarrkirche St. Peter Körrenzig. Grundrissplan nach den Messdatenvon 1995. Entwurf S. Matzerath (vgl. ders. 2012, ergänzt). Grüne römische Zah-len: Positionen der Tiefenbohrungen. Grüne arabische Ziffern: Sonstige Bohr-untersuchungen (bis max. 10 m Tiefe). Blaue Quadrate: Positionen derFundamentuntersuchungen (Schürfen). Flächen in Gelb: Archäologische Aus-grabungsschnitte 1989 und 2000/2001. Graue Flächen mit kleinen Buchstaben:Archäologisch dokumentierte Bruchsteinfundamente. Rote Pfeile: Lage dersichtbaren und verdeckten vertikalen Mauerwerksfugen in den Wänden. Blaumarkiert ist die Ausdehnung der im Text genannten Schicht mit hohen organi-schen Anteilen unterhalb der Fundamente im Südostbereich. Graue gestrichelteLinie: Andeutung des tektonischen Sprunges im Untergrund (Wasserscheide),vermuteter Verlauf. Großbuchstabe A: Dreiseitiger Chorabschluss. B: Chorge-viert (ehemaliger Standort des Hauptaltares). Entwurf: Simon Matzerath.

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der Baugeschichte der Kirche war das Ostjoch desMittelschiffs ein regelrechtes Chorgeviert. Erst mitdem Ausbau der Ostjoche der Seitenschiffe unddem Versetzen des Hauptaltares in den dreiseitigenChorabschluss ging der ursprüngliche Charakterdes Chorgevierts verloren. Der dreiseitige Chorab-schluss muss nicht zeitgleich mit dem spätgoti-schen Backsteinbau angelegt worden sein: DasBruchsteinfundament könnte auch einen älterenUrsprung (in den Bauphasen 3 oder 4) andeuten.Was nun das heutige Erscheinungsbild des Chor-abschlusses betrifft, scheint dieses vermutlich jün-ger als Bauphase 5 zu sein und steht möglicher-weise im Zusammenhang mit Veränderungen amBauwerk im 16. Jh.5

Inhalt des Projektes war auch eine Aufarbeitungder modernen Renovierungs- und Sanierungsge-schichte der Kirche. Es galt im Weiteren den theo-logischen Hintergrund der drei neuen, von HubertSpierling gestalteten Chorfenster zu erklären undihren Bezug zum historischen Bauwerk herzustel-len.Mit der Alten Körrenziger Pfarrkirche und demumgebenen Friedhofsareal konnte dem Ort Kör-renzig ein über 1000jähriges Geschichtsarchivbewahrt bleiben. Heute ist das Bauwerk mit seinenkirchlichen und kulturellen Veranstaltungen wie-der Teil des dörflichen Lebens mit Anziehungskraftweit in die Region. Das Projekt hat neue Einblickein die Geschichte der Kirche ermöglicht und konn-te gleichzeitig im Bereich der rheinischen Kunst-und Baugeschichte relevante Forschungsbeiträgeam Beispiel eines ländlichen Sakralbaus leisten.Nicht alle Fragen ließen sich mit der vorhandenenQuellenlage abschließend beantworten, weshalbfür die Zukunft weitere Untersuchungen zur Verifi-kation einzelner im Projekt entwickelter Annahmenund Rekonstruktionen zu wünschen sind.

LiteraturSimon Matzerath, Die alte Pfarrkirche St. Peter zu Körrenzig.

Geschichte eines ländlichen Sakralbaus im Rheinland. Miteinem Anhang von Ernst Coester. Veröffentlichungen desJülicher Geschichtsvereins 1923 e.V., Bd. 21 (Jülich 2012),240 Seiten.

Simon Matzerath (im Druck), Ergänzungen und Korrekturenzur Monographie „Die alte Pfarrkirche St. Peter zu Körren-zig“ (Jülich 2012). Jülicher Geschichtsblätter 76/77/78,2008/2009/2010 (erscheint voraussichtlich 2013).

Simon Matzerath, Was können Mikrostudien an ländlichenSakralbauten für die Forschung leisten? Ergebnisse einesPilotprojektes zu St. Peter in Körrenzig (Stadt Linnich).Denkmalpflege im Rheinland 2/2013, S. 55-60.

Simon Matzerath / Manuela Broisch / Michael Heinzelmann (imDruck), Georadarmessungen in Kirchenräumen. Potenzialefür Archäologie und Bauforschung. Archäologie im Rhein-land 2012 (Stuttgart 2013).

Simon Matzerath / Thomas Frank / Reinhard Karrenbrock /Johannes van der Plicht (in Vorbereitung), Die Datierungvon Kunstobjekten durch Dendrochronologie, Radiokoh-lenstoffmessung und Kunstgeschichte am Beispiel eines Ves-perbildes des 15./16. Jahrhunderts aus Körrenzig (StadtLinnich, NRW).

Stefan Bäuerle / Manfred Vieten, Vor dem Verfall gerettet: DieAlte Kirche Körrenzig, Jahrbuch des Kreises Düren 2008, S.113–115.

Anmerkungen1 Eine Lanzenspitze mit Schlitztülle (?) aus dem ausgehenden

5. und 6. Jh.; ein Knickwandtopf mit mehrzeiliger Roll-stempelverzierung und eine Lanzenspitze mit Ganztüllekönnten ebenfalls aus dieser Zeit, spätestens aber aus dem7. und frühen 8. Jh. stammen. Vgl. Ruth Maria Plum, Diemerowingerzeitliche Besiedlung in Stadt und Kreis Aachensowie im Kreis Düren. Rheinische Ausgrabungen 49, Mainz2003, S. 55.

2 Vgl. Hans Erich Kubach/Albert Verbeek, Romanische Bau-kunst an Rhein und Maas. Katalog der vorromanischen undromanischen Denkmäler. Band 1: A-K, Berlin 1976, hier S.631.

3 Vgl. Ulrich Reinke, Spätgotische Kirchen am Niederrhein.Im Gebiet von Rur, Maas und Issel. Zwischen 1340 und1540. Dissertation an der Philosophischen Fakultät derWestfälische Wilhelms-Universität zu Münster, 1975.

4 Vgl. die Kopien über die Gründung der Stiftung von 1479im Moravský zemský archiv v Brně (Mährisches Landesar-chiv Brünn), Familienarchiv Hompesch, Inv.-Nr.: 487, Sign.R 67. Für den Quellenhinweis danken wir Bernd Reu-schenberg, München.

5 Vgl. dazu die weiteren Überlegungen bei Matzerath imDruck.

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