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zeitgeschichte 4 – Juli/August 2016 – 43. Jahrgang Inhalt Holocaust und Digitalität: populär- und gegenkulturelle Aneignungen ARTIKEL Ingrid Böhler/Eva Pfanzelter Vorwort: Holocaust digital �������������������� 211 Eva Pfanzelter Selfies, Likes & Co: Multimediale Inszenierungen des Holocaust in deutsch- und englischsprachigen sozialen Netzwerken ������ 213 Regina Fritz Persönliche Holocaust-Erinnerungen auf Facebook. (Private) Gegenerzählungen in Ungarn im Kontext des Holocaust- Gedenkjahres 2014 �������������������������� 233 Eugen Pfister Das Unspielbare spielen – Imaginationen des Holocaust in Digitalen Spielen �������������� 250 ABSTRACTS ����������������������������������������������������������� 264 REZENSIONEN John Connelly, Juden – Vom Feind zum Bruder. Wie die Katholische Kirche zu einer neuen Einstellung zu den Juden gelangte (Gerald Steinacher) �������������������������� 266 AUTOR/INNEN �������������������������������������������������������� 269 5534_zeitgeschichte_4_2016.indd 209 25.08.2016 09:56:05 Arbeitskopie

Private Holocaust-Erinnerungen auf Facebook –Gegenerzählungen in Ungarn im Kontext des Holocaust-Gedenkjahres 2014

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zeitgeschichte 4 – Juli/August 2016 – 43. Jahrgang

Inhalt Holocaust und Digitalität: populär- und gegenkulturelle Aneignungen

ARTIKEL Ingrid Böhler/Eva PfanzelterVorwort: Holocaust digital �������������������� 211

Eva PfanzelterSelfies, Likes & Co: Multimediale Inszenierungen des Holocaust in deutsch- und englischsprachigen sozialen Netzwerken ������ 213

Regina FritzPersönliche Holocaust-Erinnerungen auf Facebook. (Private) Gegenerzählungen in Ungarn im Kontext des Holocaust-Gedenkjahres 2014 �������������������������� 233

Eugen PfisterDas Unspielbare spielen – Imaginationen des Holocaust in Digitalen Spielen �������������� 250

ABSTRACTS ����������������������������������������������������������� 264

REZENSIONEN John Connelly, Juden – Vom Feind zum Bruder. Wie die Katholische Kirche zu einer neuen Einstellung zu den Juden gelangte (Gerald Steinacher) �������������������������� 266

AUTOR/INNEN �������������������������������������������������������� 269

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Contents Holocaust and Digitality: Popular and Countercultural Appropriations

ARTICLES Eva PfanzelterSelfies, Likes & Co: Performances of the Holocaust in German and English Social Media Sites �������������������������������� 213

Regina FritzIndividual Holocaust-Memory on Facebook: Private Counter-Narratives in Hungary in the Context of the Holocaust-Remembrance Year 2014 ���������������������� 233

Eugen PfisterThe unplayable Game: Imaginations of the Holocaust in Digital Games ������������������� 250

ABSTRACTS ���������������������������������������������������������� 264

REVIEWS ������������������������������������������������������������� 266

AUTHORS ������������������������������������������������������������ 269

zeitgeschichte 4 – Volume 43 – July/August 2016Articles in this journal are abstracted and indexed in Historical Abstracts, America: History and Life, Current Contents-Arts & Humanities Citation Index

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Regina Fritz

Persönliche Holocaust-Erinnerungen auf Facebook. (Private) Gegenerzählungen in Ungarn im Kontext des Holocaust-Gedenkjahres 2014

„Als ich ein Kind war und in der Familie über Sternenhäuser gesprochen wurde, dachte ich an eine sehr ehrenvolle Sache, schließlich kann etwas, das Sterne hat, nur etwas Schönes sein.“1 So beginnt Panni Györi jenen Bericht, den sie am 13. Februar 2014 auf der ungarischsprachigen Facebook-Seite „A Holokauszt és a családom“ („Der Holocaust und meine Familie“)2 postete.

Darin gibt sie die Erinnerungen ihrer Mutter, Piroska Fischer, wieder, die nach der Ghettoisierung in Budapest in einem Haus in der Dembinszkystraße zwangsweise untergebracht worden war. Wie fast 2.000 weitere Gebäude wurde auch dieses Haus mit einem gelben Stern gekennzeichnet und dadurch zu einem „csillagos ház“, einem Sternenhaus. Mit 22 Jahren teilte sich Piroska dort ein Zimmer mit ihren Eltern und ihrer Großmutter. Ihrer Tochter erzählte sie später zahlreiche Episoden aus dem Alltag im isolierten Milieu des Hauses, berichtete über Bombardierungen, den Besuch von „Arbeitsdienstlern“, über Freundschaften und den täglichen Kampf ums Überleben und enthüllte ihr auf diese Weise schrittweise die eigentliche Bedeutung der „Sternenhäuser“. Als ein besonderes Ereignis schilderte sie die Bewirtung der Kinder des naheliegenden jüdischen Waisenhauses, in dem die Küche eines Tages ausfiel:

„Jeder Familie wurde ein Waisenkind zugeteilt. Die Familien haben sie mit großer Liebe aufgenommen, und sie bemühten sich, ihnen ein besonders gutes Mittagessen zu servie-ren. […] Im heißen Sommer trugen sowohl die Burschen als auch die Mädchen dicke Wollkleidung. Als die im Haus wohnenden Mädchen, junge Frauen, das sahen, schnei-derten sie aus den wenigen Kleidungsstücken, die sie mitnehmen hatten können, leichte Kleidung für sie für den Sommer.“3

Seit Februar 2014 sind in der Facebook-Gruppe „A Holokauszt és a családom“ zahlreiche Geschichten wie jene von Panni bzw. Piroska erschienen. Meist sind es Kinder, Enkelkinder oder Verwandte von Überlebenden oder Ermordeten, die sich auf der Seite, die im Juli 2016 über 7.100 Mitglieder zählte, zu Wort melden. Vereinzelt finden sich auch Geschichten von Roma, von poli-tisch Verfolgten oder von Personen, die die Verfolgungsmaßnahmen als Dritte miterlebt hatten, manchmal halfen oder auch nur still beobachteten. Ein kleiner Teil der Berichte stammt von Personen, die nach 1945 geboren wurden und mit dem Judentum wenig in Berührung gekom-men sind. So entwickelte sich die Gruppe seit ihrem Entstehen zu einem einzigartigen virtuellen Raum, der Einzelpersonen die Möglichkeit bietet, jene persönlichen Geschichten, die sie mit dem Holocaust verbinden, zu erzählen und miteinander in Dialog zu treten.

Dabei war die Gruppe „A Holokauszt és a családom“ nicht die einzige holocaustbezogene ungarische Facebook-Gruppe, die im Jahr 2014 auf private bzw. zivilgesellschaftliche Initiative ins Leben gerufen wurde. Im gleichen Jahr entstanden auch zwei weitere Projekte, die das soziale Netzwerk zur Informationsverbreitung und Vernetzung umfassend zu nutzen suchten: „Csillagos Házak“ („Sternenhäuser“)4 und „Eleven Emlékmű“ („Lebendiges Denkmal“)5.

Doch aus welchem Grund wurden diese privaten bzw. zivilgesellschaftlichen „virtuellen Erin-nerungsgemeinschaften“ in dem Jahr, in dem sich der Holocaust zum 70. Mal jährte ins Leben

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gerufen? Welcher Zusammenhang besteht zwischen ihrer Entstehung und dem staatlich aus-gerufenen Holocaust-Gedenkjahr, das spätestes mit der Errichtung eines Denkmals am Bud-apester Szabadságplatz, das an die Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen am 19. März 1944 erinnert, in öffentliche Kritik geriet? Welche Bedeutung kommt diesen Initiativen in einer Gesellschaft zu, in der über den Holocaust lange Zeit Schweigen herrschte und wo in vielen Fällen nicht einmal innerhalb der betroffenen Familien über die Verfolgung und Ermordung der eigenen Familienmitglieder gesprochen wurde? Welchen Beitrag leisten sie, um die individuellen Verfolgungsgeschichten in der gegenwärtigen ungarischen Erinnerungskultur, aber auch in der Identität der „next Holocaust Generation“6 zu verankern?

Am Beispiel der Facebook-Gruppe „A Holokauszt és a családom“ fragt die vorliegende Studie nach neuen Ausprägungen privater (Gegen-)Erinnerungen und untersucht den Einfluss sozialer Netzwerke wie Facebook auf diese. Dabei thematisiert der Beitrag vor allem die Pluralisierung der Erinnerungskultur durch veränderte Formen der Vernetzung und Kommunikation in einer Gesellschaft, die nicht zuletzt angesichts des Verschwindens jener Generation, die den Holocaust unmittelbar erlebt hat, vor einem erinnerungskulturellen Wandel in Bezug auf die Holocaust-Er-innerung steht.

Insgesamt geht die Studie davon aus, dass soziale Netzwerke ein Forum für Erinnerungen bieten, die sich mit den öffentlichen Geschichtsbildern nicht decken und damit die Verankerung von alternativen, pluralistischen Gegenerzählungen unterstützen. Indem private und familiäre Vergangenheiten auf öffentlichen Plattformen zugänglich gemacht werden, können soziale Netz-werke zudem zur Entstehung neuer („virtueller“), transgenerationaler und transnationaler Erin-nerungsgemeinschaften beitragen.7

I. Das Holocaust-Gedenkjahr 2014 in Ungarn

2014 jährten sich die Besatzung Ungarns durch deutsche Truppen und der Beginn der Depor-tation ungarischer Juden zum 70. Mal. Wie in den Jahren zuvor erinnerten politische und wis-senschaftliche AkteurInnen, jüdische Organisationen, zivilgesellschaftliche Gruppen und Pri-vatpersonen im Rahmen von Gedenkveranstaltungen, Denkmalsetzungen, wissenschaftlichen Tagungen und Publikationen an die Ermordung von über einer halben Million ungarischer Jüdinnen und Juden.8

Dabei machte die amtierende Fidesz-Regierung bereits Anfang des Jahres 2013 mit ihrem Beschluss 1005/20139, mit dem sie die „Magyar Holokauszt – 2014 Emlékbizottság“ („Unga-rische Holocaust – 2014 Gedenkkommission“) ins Leben rief, deutlich, dass sie dem Jahr 2014 aus erinnerungspolitischer Sicht eine besondere Bedeutung beimaß. Aufgabe der Kommission, die sich unter der Leitung von Staatssekretär János Lázár aus Vertretern mehrerer Ministerien, jüdischer Gemeinden und von Interessensorganisationen, dem Präsidenten der Ungarischen Aka-demie der Wissenschaften, mehreren Botschaftern und Repräsentanten der ungarischen Kirchen sowie aus dem Vorsitzenden der Staatlichen Roma-Selbstverwaltung zusammensetzte, war es, das „Ungarische Holocaust-Gedenkjahr 2014“ vorzubereiten und die erinnerungspolitischen und wissenschaftlichen Projekte zu koordinieren. Aus den Mitteln des „Civil Alap“ („Zivilen Fonds“ ) sollten mit über eineinhalb Milliarden Forint (etwa fünf Millionen Euro) eine Vielzahl von Gedenkfeiern, Renovierungen von Synagogen bzw. jüdischen Friedhöfen, Veranstaltungen, die Herausgabe wissenschaftlicher und anderer Publikationen, Ausstellungen, Konferenzen sowie

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Kunst- oder Wissenschaftsvorträge und Ähnliches gefördert werden.10 Zudem gab die Regierung die Errichtung eines neuen Holocaust-Museums am Josefstädter Bahnhof im Auftrag.

Mehrere Reden führender Politiker der Fidesz-Regierung deuteten darauf hin, dass sich die national-konservative Regierung von ihrer ambivalenten Geschichtspolitik distanzierte und jene selbstkritische Deutung der Vergangenheit annahm, die von Intellektuellen, zivilgesellschaftlichen Gruppen, oppositionellen PolitikerInnen und nicht zuletzt von internationalen Organisationen seit ihrer ersten Amtszeit 1998 bis 2002 eingefordert worden war. So hatte nicht nur der damalige Außenminister János Martonyi 2013 den Holocaust als das größte nationale Trauma bezeichnet und unterstrichen, dass Ungarn sowohl Opfer als auch Täter gewesen seien.11 Auch Staatspräsi-dent János Áder knüpfte am 28. April 2014 an dieses Narrativ an und betonte in seiner Rede bei den Gedenkfeierlichkeiten im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau:

„Das ist ein gemeinsamer Verlust, gemeinsamer Schmerz, gemeinsame Trauer für uns heute lebende Ungarn. Und es ist gemeinsame Trauer, gemeinsamer Verlust und gemein-samer Schmerz für die nach uns Kommenden. Wir haben ein gemeinsames Schicksal. Wir haben eine gemeinsame Schicksallosigkeit. Denn jene, die unsere jüdischen Lands-männer und -frauen gedemütigt und in den Tod geschickt haben, haben auch die un-garische Nation gedemütigt, sie haben für unsere gesamte Nation einen unersetzlichen Verlust beschert. Es ist egal, ob sie das, was sie taten, als Nazideutsche oder als die hitle-ristische Ideologie bedienende Ungarn taten. Es gibt keine Entschuldigung dafür, wenn sich ein Staat gegen seine eigenen Staatsbürger wendet.”12

Damit sprach sich Áder, der in seiner Rede Auschwitz als den größten Friedhof Ungarns bezeich-nete, gegen Externalisierungstendenzen aus und verwies auf die Mitwirkung des ungarischen Staates bei der Verfolgung und Ermordung der ungarischen Jüdinnen und Juden. Weiters zeich-nete Áder eine integrative Konzeption des Opferbegriffs und hob jene Differenzierung zwischen „eigenen“ und „anderen“ Opfern auf, die den national-konservativen Diskurs seit den 1990er-Jah-ren charakterisiert hatte.13

Doch schon bald zeigte sich, dass die regierungspolitische Auseinandersetzung mit dem Holocaust teilweise widersprüchlichen Diskurssträngen folgte. Differenzierte Betrachtungen der eigenen Involvierung in den Holocaust wechselten sich mit Versuchen ab, den Holocaust zu relativieren und die Verantwortung für die Ermordung der ungarischen Juden der deutschen Besatzung anzulasten. Dabei war jener Teil der national-konservativen Geschichtspolitik, der sich auf den Holocaust bezog, bereits seit den späten 1990er-Jahren von Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet. Einerseits schenkte die Regierung unter Ministerpräsidenten Viktor Orbán seit ihrer ersten Amtszeit dem Holocaust politische Aufmerksamkeit, wie an der Einführung eines Holocaust-Gedenktages (2000) oder an der Entscheidung, ein Holocaust-Gedenkzentrum in Budapest einzurichten (2002), deutlich wird. Dies geschah jedoch vor allem in außenpolitisch relevanten Momenten (insbesondere im Umfeld des EU-Beitritts Ungarns) und stand mit der Vorstellung in Zusammenhang, durch Gesten der Erinnerung an den Holocaust das internatio-nale Wohlwollen gewinnen zu können.14

Gleichzeitig waren die national-konservativen politischen Akteure seit den 1990er-Jahren vor allem darum bemüht, jenem nationalen Diskurs Geltung zu verschaffen, mit dessen Hilfe große Teile der Bevölkerung integriert und mobilisiert werden konnten. Kernpunkt dieser Geschichts-deutung war ein Opfermythos, der die ungarische Geschichte als eine Kette nationaler Schicksals-schläge interpretierte: Die ungarische Nation sei seit der verlorenen Schlacht von Mohács im Jahr

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236 Fritz, Persönliche Holocaust-Erinnerungen auf Facebook.

152615 Opfer wiederholter Unterdrückung durch unterschiedliche „Fremdmächte“ wie Osmanen, Habsburgern, Nationalsozialisten und Kommunisten.16 Ereignisse, im Zuge derer sich das Land nicht als Opfer, Held oder Märtyrer, sondern als (Mit-)Täter verhielt, Erinnerungen also, die mit dem skizzierten Identitätsprofil nicht kompatibel waren, ließen sich in dieses Geschichtsbild nicht integrieren.17 Vielmehr führte diese traditionelle Geschichtsinterpretation zur Leugnung von Verantwortung, zur Abwehr von Erinnerung bzw. Benennung von einigen wenigen fanati-schen Tätern.18

Bereits Ende des Jahres 2013 wurde deutlich, dass auch das Holocaust-Gedenkjahr von diesem doppelten Diskurs gekennzeichnet sein würde. Problematisch erwies sich dabei nicht zuletzt, dass der 70. Jahrestag des Holocaust zu einem Zeitpunkt stattfand, als die national-konservative Regie-rung massiv an der Konstruktion eines identitätsstiftendes Geschichtsbildes zu arbeiten begann. Seit Beginn ihrer Regierungsperiode 2010 ließ sie zahlreiche Straßen und Plätze umbenennen, mehrere geschichtswissenschaftliche Forschungsinstitute eröffnen, neue Schulbücher konzipie-ren und für (in vielen Fällen strittige) historische Persönlichkeiten Denkmäler und Gedenktafeln errichten. Im Juli 2011 beschloss die Nationalversammlung den Kossuth-Lajos-Platz vor dem ungarischen Parlament in seiner Gestalt von 1944 zu rekonstruieren. Denkmäler, die nach 1944 errichtet wurden, wie die 1975 aufgestellte Statue für Mihály Károlyi – einem Politiker, der nach dem Ersten Weltkrieg die unabhängige und selbstständige Ungarische Volksrepublik ausgerufen hatte und vor allem in konservativen und rechten Kreisen als Wegbereiter des Kommunismus galt – wurden entfernt und früher hier stehende Denkmäler wiedererrichtet. Die ehemaligen Sta-tuen zweier führenden Politiker der österreich-ungarischen Doppelmonarchie, István Tisza und Gyula Andrássy, wurden rekonstruiert und auch die Fassaden der umliegenden Gebäude erhielten ihr ursprüngliches Aussehen zurück. Indem die ungarische Regierung bei der Neugestaltung eines öffentlichen Platzes ausschließlich auf rekonstruktive Elemente zurückgriff, vermied sie nicht nur detailliert und in jedem Fall neu darüber zu verhandeln, wer am zentralen Ort der ungarischen Staatlichkeit präsent sein sollte. Sie machte auch deutlich, wo sie ihr Geschichtsbild verortete. Die Stoßrichtung ihrer symbolischen Politik hatte sie dabei bereits in der Präambel der 2011 verab-schiedeten Verfassung deutlich gemacht. Darin schrieb die Regierung fest, dass die „staatliche Selbstbestimmung“, die am 2. Mai 1990 mit den ersten freien Wahlen nach der Wende, wieder-hergestellt worden war, am 19. März 1944 mit der deutschen Besetzung des Landes verlorenge-gangen sei.19 Damit knüpfte sie an die Tradition eines autoritär-konservativen Regimes an, dessen latente Rehabilitierung auf konservativer Seite seit dem Systemwechsel vorangetrieben wurde.20 In diese Geschichtsinterpretation passten geschichtspolitische Akte, wie die Rekonstruktion des Kos-suth-Lajos-Platzes in seiner Gestalt von 1944 genauso hinein wie die Errichtung des „Denkmals für die Opfer der deutschen Besatzung“ am Szabadságplatz im Laufe des Holocaust-Gedenkjahres.

Über die Entscheidung, ein Denkmal im Gedenken an die Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen aufzustellen, informierte die ungarische Regierung die Öffentlichkeit in einer Verord-nung am 31. Dezember 2013.21 Die Einweihung sollte schon wenige Monate später erfolgen.

Bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Pläne für das Denkmal wurde massive Kritik an dessen Grundidee laut. Bemängelt wurde dabei die Konzeption des Monuments, das unter-schiedslos allen Opfern gewidmet sein sollte. Intellektuelle, jüdische sowie zivilgesellschaftliche Organisationen und oppositionelle Politiker beanstandeten insbesondere, dass Opfern der ras-sistischen Verfolgungspolitik gleichrangig neben ZivilistInnen, Soldaten oder gar FaschistInnen, die in Folge der Kriegshandlungen getötet worden waren, erinnert werden sollte. Auch die Wahl des Ortes, eines symbolisch bereits vom Sowjetischen Heldendenkmal besetzten öffentlichen Raumes, dem Szabadságplatz, war Gegenstand von Kritik. Befürchtet wurde, dass das Denkmal

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damit an jenes Narrativ anknüpfe, das die deutsche und die sowjetische Besatzung miteinan-der gleichsetzt.22 Schließlich wandten Kritiker auch ein, dass sich das Denkmal in ein Narrativ einfüge, das die deutsche Verantwortung bei der Deportation und Ermordung der ungarischen Jüdinnen und Juden bei gleichzeitiger Entlastung des ungarischen Staates hervorhebt und den ungarischen Widerstand gegen die nationalsozialistische Repressionsherrschaft akzentuiert.23

Der Historiker Ferenc Laczó resümierte, „this round anniversary only reinforced the bitter societal divisions it was meant to help overcome“.24 Tatsächlich gab die „Magyar Zsidó Hitközsé-gek Szövetsége“ (MAZSIHISZ), die „Ungarische Vereinigung Jüdischer Gemeinden“ schließlich im Februar 2014 bekannt, ihre Teilnahme am Gedenkjahr noch einmal zu überdenken. Auch andere Organisationen schlossen sich dieser Entscheidung an. Am 26. Mai lehnten 18 Bewerbe-rInnen in Reaktion auf die erinnerungspolitischen Entwicklungen jene finanzielle Förderung, die ihnen aus den Mitteln der „Civil Alap“ zuvor zugesprochen worden war, ab.25

II. Zivilgesellschaft und die Auseinandersetzung mit dem Holocaust

Die im Laufe des Gedenkjahres 2014 zu Tage tretende Geschichtsdeutung regte zahlreiche öffent-liche Kontroversen an, wobei die Debatten vor allem zu einer Politisierung, weniger aber zu einer Historisierung des Themas beitrugen. Zwar bezogen auch WissenschaftlerInnen Stellung und positionierten sich zu den geschichtspolitischen Initiativen wie dem Besatzungsdenkmal, dem geplanten neuen Holocaust-Museum „Sorsok Háza“ („Haus der Schicksale“) oder der umstrit-tenen Stellungnahme des neuen Direktors des Veritas-Instituts, Sándor Szakály, der die Depor-tationen staatenloser Jüdinnen und Juden nach Kamenez-Podolsk im Jahr 194126 als eine frem-denpolizeiliche Maßnahme bezeichnet hatte. Ihre kritischen Worte blieben in der Öffentlichkeit jedoch meist ungehört.27

Bemerkenswerte Impulse kamen dagegen vor allem aus Teilen der Zivilgesellschaft, die sich auf eine bislang nicht dagewesene Weise in geschichtspolitische Debatten einbrachten und die simplifizierenden offiziellen Geschichtsdeutungen in Frage stellten. Projekte mit einer wissen-schaftlicher Ausrichtung wie „Csillagos Házak“, politische Initiativen wie „Eleven Emlékmű“ oder die private Familienerinnerungen sammelnde Facebook-Gruppe „A Holokauszt és a családom“ wurden dabei von den modernen Möglichkeiten gesellschaftlicher Vernetzung und Informati-onsverbreitung durch soziale Netzwerke gefördert.

Ziel des von den „Open Society Archives“ getragenen Projektes „Csillagos Házak“, das abseits staatlicher Zuschüsse verwirklicht wurde, war die Erstellung einer interaktiven Karte jener Gebäude in Budapest, die seit Juni 1944 als „Sternhäuser“ der Isolierung der jüdischen Bevölke-rung der Hauptstadt gedient hatten, und die Rekonstruktion der Geschichte dieser Häuser mit Hilfe von Dokumenten und persönlichen Erinnerungen. Überlebende, die in den „Sternhäusern“ gelebt hatten und deren Familien wurden daher ermuntert, „Erinnerungen an die Begebenheiten von 1944, an die Menschen, an die Häuser, Fotos, Dokumente“28 mit der Projektgruppe zu teilen. Dabei fungierte vor allem Facebook als wichtiges Medium zur Bekanntmachung und Verbreitung des Erinnerungsprojekts.29 Auf Basis der Recherchen und der zur Verfügung gestellten Materi-alien wurde eine Webseite (http://www.csillagoshazak.hu)30 erstellt, auf der die Geschichte der einzelnen Häuser an Hand von Dokumenten, Erinnerungsberichten und Fotografien nachgelesen werden kann. Dabei gelang es der Projektgruppe, auch das Hauptstadtarchiv Budapest für ein Digitalisierungsprojekt zu gewinnen, in dessen Rahmen zahlreiche Dokumente zur Ghettoisie-rung online zugänglich gemacht wurden.31

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Erklärtes Bestreben des Projektes war es dabei, die heutigen BewohnerInnen von Budapest mit jenem dunklen Kapitel der Stadtgeschichte zu konfrontieren, dessen Erinnerung in der Öffentlichkeit heute fast verblasst ist, dessen Spuren sich in der Stadtarchitektur jedoch bis heute finden lassen. Im Rahmen des Projektes konnten 1.571 heute noch stehende Häuser ausgemacht werden, die seit Sommer 1944 als „Sternhäuser“ genutzt worden waren. Zusätzlich zur interak-tiven Webseite brachten MitarbeiterInnen des Projekts sowie freiwillige HelferInnen im April 2014 an diesen Gebäuden Aufkleber in Form eines Gelben Sterns an, die die HausbewohnerInnen dazu aufriefen am 21. Juni gemeinsam der erzwungenen Umsiedlung und Konzentrierung der Budapester Jüdinnen und Juden zu gedenken. Sollte seitens der HausbewohnerInnen Interesse bestehen, bot das Projektteam an, bei der Gestaltung eines Gedenkprogramms unterstützend mit-zuwirken. Auch eine Gedenktafel wurde entworfen, die auf Wunsch der BewohnerInnen im Haus angebracht werden konnte. Am 21. Juni 2014 gedachten schließlich an über 130 Orten Hausbe-wohnerInnen, Überlebende, deren Freundinnen und Freunde, Verwandte, WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen sowie andere Interessierte der Errichtung der „Gelben Häuser“ in Budapest.32

Beachtliche öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr auch das Projekt „Eleven Emlékmű“, das unmittelbar als Reaktion auf das Besatzungsdenkmal am Szabadságplatz von AktivistInnen, Zivil-personen und KünstlerInnen ins Leben gerufen wurde. Um die Aufstellung des umstrittenen Denkmals zu verhindern, riefen sie für den 23. März 2014 zu einem Flashmob an jenem Ort, an dem das Denkmal aufgestellt werden sollte, auf:

„Zum Flashmob sollten wir einen Stein, eine Kerze, ein kleines Kreuz oder einen per-sönlichen Gegenstand mitnehmen, der unsere Gefühle, unsere persönliche Betroffenheit reflektiere […]. Lass uns aus diesen vielfältigen persönlichen Zeichen einen schweren Haufen errichten, der das Bedürfnis der Mitglieder unserer Nation wiederspiegelt, uns gemeinsam und selbstkritisch mit unseren Verlusten zu konfrontieren“,

schlug die Gruppe auf ihrer Facebook-Seite vor.33 Ziel war es, den Szabadságplatz zum Ausgangs-punkt eines „neuen nationalen Dialogs“ zu machen.34 Daher wurden ausdrücklich auch Personen, die selbst nicht zur Gruppe der Verfolgten zählten, sondern vielmehr nach „bűnbánat és meg-bocsátás“, also nach „Buße und Vergebung“ suchten, dazu aufgerufen, symbolische Gegenstände am Szabadságplatz niederzulegen. Als am 8. April mit dem Bau des Denkmals begonnen wurde, organisierte die Gruppe nicht zuletzt über Facebook35 tägliche Aktionen, in deren Rahmen mode-rierte Diskussionen abgehalten wurden. Dazu bat sie etwa die TeilnehmerInnen, weiße Sessel zum Szabadságplatz zu tragen und miteinander ins Gespräch zu kommen:

„Sagen Sie Ihre Meinung, bringen Sie Ihre Geschichten, ihre Schmerzen, ihre Buße mit und teilen Sie sie; streiten Sie, machen Sie Empfehlungen; lesen Sie eine Geschichte vor, die Ihnen nahe geht, sagen Sie ein Gedicht auf oder spielen Sie Gitarre, singen Sie, spielen Sie Theater oder beehren Sie einfach die anderen mit ihrer stillen Aufmerksamkeit […].“36

Sowohl die Gruppe „Csillagos Házak“ als auch „Eleven Emlékmű“ hatten sich zum Ziel gesetzt den jüdisch-nichtjüdischen Dialog zu fördern und die von Laczó konstatierte „societal divisions” aufzuheben. Dabei nutzten sie sozialen Medien, allen voran Facebook zur Mobilisierung, Infor-mationsverbreitung und -sammlung. Die Gruppen zeigten in eindrücklicher Wiese das zuneh-mende, partizipative Engagement gesellschaftlicher Gruppierungen und von Einzelpersonen im öffentlichen Raum, das nicht zuletzt durch die Möglichkeiten der Digitalisierung begünstigt wurde. Zudem machten sie die Diskrepanz zwischen der angebotenen regierungspolitischen, offiziellen Deutung der Vergangenheit und den konkreten Erinnerungen und Erfahrungen der

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Verfolgten deutlich – ein Aspekt, der auch in der Facebook-Gruppe „A Holokauszt és a családom“ deutlich wird.

III. „A Holokauszt és a családom“ als Forum für private Gegenerzählungen

Nicht zum ersten Mal deckten sich 2014 private Erinnerungen an die Verfolgung und Ermordung der ungarischen Jüdinnen und Juden nicht mit den offiziellen Geschichtsbildern. Entsprechende Divergenzen lassen sich bereits seit 1945 beobachten – als im Rahmen der antifaschistischen Lesart der Geschichte die Opfer des Holocaust unter der Bezeichnung „Opfer des Faschismus/des Nationalsozialismus“ subsummiert wurden und damit die Unterscheidung zwischen „ras-sisch“ und politisch Verfolgten verwischt wurde. Doch während früher alternative Erinnerungen, die dem angebotenen Geschichtsdiskurs widersprachen, oft kein Gehör fanden, sich auf private Kreise reduzierten, verblassten oder an das von der Mehrheit geteilte Geschichtsbild angepasst wurden, eröffneten soziale Medien im Informationszeitalter neue Möglichkeiten, abweichende Erfahrungen mitzuteilen und dadurch Erinnerungsgemeinschaften zu schaffen sowie Identität zu stiften. Deutlich zeigt sich damit die Bedeutung sozialer Netzwerke nicht nur bei der Formierung oppositioneller Bewegungen,37 sondern auch bei der Konstruktion von neuen Erinnerungsge-meinschaften und bei der Verfestigung von (Gegen)Erinnerungen.38 Dass auch die Gruppe „A Holokauszt és a családom“ Anfang Februar 2014 mit der Intention ins Leben gerufen wurde, gegen das offiziell gebotene Geschichtsbild eine Gegenerzählung ins Feld zu führen, machte dessen Gründer, der Politiker und ehemaliger Abgeordneter der liberalen Partei Bund Freier Demokra-ten (SZDSZ), Mátyás Eörsi, bereits im März 2014 deutlich:

„Die Idee einer Facebook-Gemeinschaft kam bei mir auf, als die Rolle der früheren un-garischen Behörden hinterfragt wurde. Auch das am Szabadságplatz geplante Denkmal drückt Geschichtsfälschung aus: Der damalige ungarische Staat war unschuldig, für die Übeltaten sind nur die Deutschen verantwortlich. Die Erinnerung der jüdischen Genera-tionen widerspricht diesen politischen Lügen.“39

Der Versuch, der politischen Umdeutung der Geschichte entgegenzuwirken, spiegelt sich in zahlreichen Beiträgen wieder, die auf der Seite „A Holokauszt és a családom“ geteilt wurden. So ist das zentrale Element vieler Postings die Akzentuierung der ungarischen Beteiligung an den Ghettoisierungsmaßnahmen und an der Vorbereitung der Deportationen sowie der nicht erfolgten Hilfeleistung durch die ungarische Bevölkerung. An manchen Stellen wird dabei auch nachdrücklich auf die Bedeutung individueller Erinnerung für eine differenzierte Sicht auf die Geschichte Bezug genommen. So begründet beispielsweise Judit Halmos ihre Entscheidung, die Geschichte ihrer Familie mit der Gruppe zu teilen damit, dass sie nicht möchte, „dass die Ver-gangenheit in Vergessenheit gerät oder umgeschrieben wird.“40

Trotz dieses aktuellen politischen Bezugsrahmens versteht sich die Gruppe dennoch nicht als politisch. Vielmehr werden tagespolitische Statements von den beiden Administratoren, Mátyás Eörsi sowie der Literaturwissenschaftlerin und Universitätsprofessorin Zsuzsa Hetényi gelöscht oder nicht freigeschaltet.41 Während die Gruppe „Eleven Emlékmű“ klare politische Botschaf-ten transportiert und „Csillagos Házak“ die wissenschaftliche Rekonstruktion der Geschichte der „Gelben Häuser“ anstrebt, ruft „A Holokauszt és a családom“ ihre Mitglieder dazu auf,

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240 Fritz, Persönliche Holocaust-Erinnerungen auf Facebook.

ausschließlich Familiengeschichten auf der Seite zu veröffentlichen, und verfolgt laut Gruppen-beschreibung vor allem das Ziel, mit der „Kultur des Schweigens zu brechen“. Damit ist es ein ein-zigartiges ungarisches Erinnerungsprojekt mit Holocaustbezug auf Facebook, in dessen Rahmen die NutzerInnen selbst aufgefordert werden, die Inhalte der Seite – nach einer Überprüfung durch die AdministratorInnen – selbst zu generieren und somit ihre ganz persönlichen Erinnerungen an den Holocaust bzw. dessen Nachgeschichte auf der Facebook-Seite zu teilen.42

Das „therapeutische Ziel“, das Eörsi für die Facebook-Gruppe in einer Gesellschaft postuliert,43 in der jahrzehntelang über den Holocaust wenig bis gar nicht gesprochen wurde, untermauern zahlreiche Beiträge. So zeugen einige Postings nach wie vor von der Angst, als Jude oder Jüdin erkannt und verfolgt zu werden, wenn beispielsweise Personen die AdministratorInnen bitten, ihre Beiträge anonym auf die Seite zu stellen. Anders als in Österreich oder in Deutschland, wo zahlreiche Überlebende im Rahmen von Interviewprojekten befragt wurden, als ZeitzeugIn-nen in Schulen sprachen oder im Rahmen von Gedenkfeiern öffentlich zu Wort kamen und wo ihre „einstige Gegenerzählung im Laufe der letzten dreißig Jahre mit dem Generationswechsel schrittweise Hegemonie erlangt[e],“44 spielten persönliche Erinnerungen bei der Konstruktion kollektiver Identitäten in Ungarn bis heute kaum eine Rolle. So weisen viele Personen, die ihre Geschichte in der Gruppe „A Holokauszt és a családom“ teilen, darauf hin, dass sie das erste Mal die Möglichkeit haben (oder nutzten), ihre Geschichten oder die Biografien von Verwandten, Familienangehörigen oder FreundInnen in einem quasi-öffentlichen Raum zu erzählen und der nächsten Generation weiterzugeben. Éva Kovács, András Lénárt und Anna Lujza Szász konstatier-ten daher: „A lack of historical projects focusing on testimonies has meant that the trauma of the past has remained with survivors and the descendants of victims.“45 Diesen Umstand bestätigen zahlreiche Beiträge der Gruppe „Holokauszt és a családom“.

Doch nicht nur innerhalb der Zivilgesellschaft spielte die Erfahrung der Holocaust-Überle-benden bisher kaum eine Rolle. Wie wir aus diversen soziologischen Untersuchungen aus den 1980/90er-Jahren wissen, schwiegen zahlreiche Überlebende nach 1945 über ihr Schicksal wäh-rend der Verfolgung oft auch gegenüber ihren eigenen Familien, so dass jüdische Kinder häufig ohne Kenntnis über ihre Herkunft, religiöse und kulturelle Tradition und das Schicksal ihrer Verwandtschaft aufwuchsen.46

Viele Beiträge auf „A Holokauszt és a családom“ verweisen auf dieses familiäre Schweigen. Die Großmutter eines Nutzers, die als einzige aus ihrer Familie überlebt hatte, sperrte die Ver-gangenheit sogar buchstäblich ein:

„Der Großteil ihrer Verwandten lebte auf dem Land – sie wurden in der ersten Welle [im Sommer 1944, Anm. R. F.] deportiert. Sie hat nie wieder über sie gesprochen. Während wir uns unterhielten, hat sie sich mir oder meinem Bruder gegenüber hin und wieder verplappert, aber wenn sie realisiert hat, worüber sie spricht, hat sie sofort das Thema gewechselt. […] Mama hat die Vergangenheit abgeschlossen. Viel eher: Sie hat sie ein-gesperrt. Genauer gesagt, hat sie alle verbliebenen Erinnerungen in der großen Wäsche-schublade im Vorzimmerregal eingenagelt.“47

In einigen Familien wurde sogar über die jüdischen Wurzeln geschwiegen. So zeigen etliche Postings deutlich, dass ein Teil der Nachgeborenen nicht nur über das Schicksal der Familie, sondern auch über deren Herkunft nichts wusste. András J Surányi kam im Dialog mit einem Freund aus Kindertagen im Kommentarapparat eines Postings auf das familiäre und öffentliche Schweigen zu sprechen:

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„András J Surányi: […] Der Witz ist, dass ich damals nicht wusste, dass wir Juden sind […]. Aber über euch hat das die gesamte Wohnsiedlung gewusst [...]. Ich habe auch ge-schaut, so sind also die Juden, wie du […]?András Várkonyi: Wir waren Freunde in der Kindheit, kein einziges Mal haben wir über diese Sachen gesprochen!!! Es war Privatsache! Wir haben nicht einmal gewusst, dass unsere Freunde ähnliche Bindungen haben […]“48

Die nach dem Krieg geborene Anna Sós erfuhr über ihre jüdische Abstammung, nachdem sie von anderen Kindern als Jüdin beschimpft worden war. Zu Hause berichtete sie ihren Eltern über den Vorfall, die sie danach darüber aufklärten, aus welchem Grund ihre Familie während des Krieges gelitten hatte.49 Auch Lajos Kőszegi, dessen Eltern die großen jüdischen Feiertage begingen, verstand lange Zeit nicht, was hier gefeiert wurde:

„[…] erst später konnte ich erkennen, dass das Pessach und Jom Kippur waren. Meine Mutter hat am Freitag auch eine Kerze angezündet, aber die Kinder empfinden alles als natürlich, was die Eltern machen. Ich habe nicht nachgefragt und sie haben nicht erklärt, was das Judentum bedeutet. Für mich war das eine furchteinflößende Sache, und ich dachte, wenn man das über uns herausfindet, ist das unser Ende. Sie haben die Trauma, die sie erlebt hatten, willentlich oder unwillentlich an uns Kinder weitergegeben.“50

Das jahrzehntelange Schweigen in der Familie hatte nicht nur zur Folge, dass Kinder und Enkel-kinder von Holocaust-Überlebenden über ihre Familienvergangenheiten lange Zeit nichts wuss-ten. Die Facebook-Gruppe „A Holokauszt és a családom“ führt vor Augen, wie lückenhaft und segmentiert die Informationen vieler über die Verfolgung von Familienmitgliedern nach wie vor ist.

Wie mittels der Gruppe solche bruchstückhaften familiären Vergangenheiten wieder zusam-mengesetzt werden und Gemeinschaft gestiftet wird, illustriert ein Posting von Mitte März 2014 eindrücklich. Vera Surányi berichtete darin eine Geschichte, die sie selbst von ihrer Mutter gehört hatte:

„Meine Mutter hat erzählt, dass ein Arzt, mit dem sie aus Theresienstadt gemeinsam nach Kiskunhalas zurückkam, bald darauf erneut zu praktizieren begonnen habe. Eines Nachts polterte es an seiner Tür. Er solle sofort ins Nachbarhaus kommen, einem alten Mann sei schlecht geworden. Er sei zum Kranken hinübergelaufen, die erschrockenen Familienmitglieder hätten ihn besorgt gefragt: ‚Herr Doktor, wird er wieder gesund?‘ Der Arzt habe sie beruhigt: ‚Onkel Józsi wird wieder gesund, aber das Bett, auf dem er liegt, gehört mir‘ […].“51

Der Beitrag von Vera Surányi über den Arzt von Kiskunhalas, der bei seinem Patienten sein geraubtes Eigentum wiederentdeckte, zog mehrere Hundert Kommentare und „Gefällt mir“-An-gaben nach sich. Viele fühlten sich durch den Beitrag an ihre eigenen Erfahrungen bzw. an solche ihrer Familienangehörigen erinnert, nach der Heimkehr aus der Verfolgung ihre einstigen Besitz-tümer bei anderen Personen vorgefunden zu haben.52 Tatsächlich tauchen ähnliche Berichte auch in zahlreichen Memoiren, Interviews und anderen historischen Quellen der Nachkriegszeit auf.53 So erklärt es sich, dass einer der Leser seinen Vater in der Person des Arztes wiederzuerkennen glaubte.

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242 Fritz, Persönliche Holocaust-Erinnerungen auf Facebook.

„István Békés: Es ist verrückt. Das war mein Vater. Er hat diese Geschichte mehrere Male zu Hause auf diese Weise erzählt: ‚Herr Doktor, wird er überleben?‘, fragt der Angehörige. ‚Der Kranke ja, aber das Bett nicht, das gehört mir.‘ Eine große Zahl unserer Möbel ist auf diese Weise wiederaufgetaucht, unter anderem fast unsere gesamte Esszimmergarnitur, außer diesem Stuhl, in dem ich fotografiert wurde im März 1944, mit 7 Monaten. Der Arzt war Zola Beck, mein Vater.“

Auf Békés Posting reagierte wenige Sekunden später auch dessen Tochter, wodurch sich die Kor-respondenz kurzzeitig zu einer Art Tischgespräch zwischen Vater und Tochter entwickelte, in dem unklare Erinnerungsfetzen geklärt und neu mit Bedeutung gefüllt wurden:

„Anita Békés: Wenn ich mich richtig erinnere, ist auch ein Schrank aufgetaucht.István Békés: Ja, die gesamte Esszimmergarnitur. Den Schrank kanntest du auch […]Anita Békés: Der, dessen zwei Kristallknöpfe bei mir sind?István Békés: Nein, der war im Schlafzimmer, der kirschfarbene. Der im Esszimmer war braun, nussbraun.Magdolna Békési: Wie haben die Leute die Sachen zurückgegeben, gerne oder eher zö-gerlich? Ich hoffe, sie haben gesagt, dass sie sie nur zur Aufbewahrung mitgenommen hatten! [sic!]Anita Békés: Ich denke, da ihre Gesundheit in den Händen des Herrn Doktors lag, waren sie nicht so zögerlich. Papa?István Békés: Früher oder später bekommt der Arzt alle in seine Hände, es ist besser mit ihm eine gute Beziehung zu pflegen.“

Tatsächlich macht dieser Gesprächsausschnitt ein wesentliches Charakteristikum von „A Holo-kauszt és a családom“ deutlich: Familiäre und private Erinnerungsprozesse samt ihrer rekonst-ruktiven Verhandlung werden öffentlich zugänglich und für jedermann sichtbar und nachlesbar.

Obwohl sich der Bruder von Vera Surányi, András J Surányi, bald in das Gespräch einschal-tete und über den Irrtum aufkläre, wonach es sich „in der von meiner Schwester erinnerten Geschichte um Doktor Steiner handelt“, entsprach der Dialog dem Ziel, das sich Eörsi mit der Gründung der Facebook-Gruppe gesteckt hatte: Den Erinnerungsaustausch, das (Wieder-)Erkennen der eigenen Familiengeschichte in der Erzählung einer anderen Person und damit die Identifikation mit dem Erzählten und schließlich die Schaffung einer neuen virtuellen Erinne-rungs- und Kommunikationsgemeinschaft.54

Der Großteil der Postings, die innerhalb von „A Holokauszt és a családom“ veröffentlicht werden, stammt von zwei unterschiedlichen Personengruppen: Zu einem geringen Teil sind es Überlebende – meist Personen, die während des Holocaust selbst Kinder waren, die hier ihre Erinnerungen teilen. Die überwiegende Mehrheit der Berichte stammt jedoch von Kindern von Opfern und Überlebenden des Holocaust, gefolgt von ihren Enkeln und Urenkeln bzw. von ihren FreundInnen und Bekannten. Dies liegt nicht nur darin begründet, dass ältere Personen diese Form sozialer Kommunikation meist nicht nutzen, sondern es illustriert auch den Wandel, den unsere Gesellschaft durch das zunehmende Verschwinden jener Generation, die den Krieg per-sönlich erlebt hat, unterworfen ist.

Vereinzelt ergreifen auch Personen das Wort, deren Familienangehörige der Gruppe der Täte-rInnen oder „Bystander“ zuzuzählen sind. So beginnt Emese Toókos ihr Posting mit den Worten: „Meine beiden Großväter waren Gendarmerie-Offiziere.“55 Sie veranschaulicht in ihrem Beitrag,

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dass das Schweigen über familiäre Vergangenheiten nicht nur bei Überlebenden, sondern auch in den Familien von TäterInnen bzw. „Bystander“ verbreitet war. Während ihr Großvater mütter-licherseits bereits 1942 verstarb, flüchtete ihr anderer Großvater nach dem Krieg in den Westen:

„Als ich größer wurde, habe ich – während diverser Familiengespräche – mitbekommen, dass er ,vor den Russen fliehen musste‘. Später: ‚Er musste fliehen, da er zu Hause zu Tode verurteilt wurde‘. […] Als ich erwachsen wurde – in der Welt des Internets – habe ich mal den Namen meines Großvaters väterlicherseits in die Suchmaschine eingegeben. Ich habe das Folgende gefunden: Marosvárárhely: ,Im Bereich der Folter bei der Jagd nach jüdischem Vermögen ,glänzten‘ Ferenc Sallós, sowie die Gendarmeriehauptmänner Kónya und Pintér.‘ (Randolph L. Braham: A népírtás politikája – A Holocaust Magya-rországon, Seite 616.)“56

Obwohl vergleichbare Beiträge sehr rar sind, leistet die Facebook-Gruppe „A Holokauszt és a családom“ einen ersten Beitrag zum jüdisch-nichtjüdischen Zwiegespräch. Dieses äußert sich nicht nur im Kommentarapparat der Postings, in denen sich auch nichtjüdische Personen zur Wort melden, sondern auch in eigenen Beiträgen, die von Nichtjüdinnen und Nichtjuden verfasst wurden. So äußert sich beispielsweise Ildiko Sain: „Hin und wieder kommentiere ich dies und das – ich habe Angst, ich könnte ein Elefant in einem Porzellanladen sein. Dennoch, vielleicht ist es auch für mich Zeit zu sprechen, vielleicht interessiert es jemanden.“57

Zu einer Annäherung tragen die einzelnen Beiträge auch dadurch bei, dass die persönlichen Geschichten einen gegenseitigen Einblick in Erfahrungsräume und Umgangsformen mit Verfol-gung ermöglichen. Gerade die Kommentare können „Gemeinschaft und Verbundenheit herstel-len“, wobei im Rahmen dieses Austausches „die Grenzen des Urteils, der Angemessenheit und Zumutbarkeit kontinuierlich neu verhandelt“58 werden. Der strengen Administration der Gruppe ist es geschuldet, dass dabei diese Grenzen nicht überschritten werden und der vertrauensvolle Austausch möglich bleibt.

Den meisten BeiträgerInnen liegt besonders am Herzen, die Erinnerung an ermordete bzw. überlebende Familienangehörige oder Freunde weiterzugeben und für die Nachwelt aufzube-wahren. Vor allem bei der Rekonstruktion der Lebensgeschichten von ermordeten Personen geht es vielen darum, im Sinne der Individualisierung des Holocaust,59 den Menschen wieder ein Gesicht zu geben und dem Vergessen entgegenzuwirken. So skizzieren viele Personen die Lebens-geschichte ihrer ermordeten (Ur-)Großeltern, (Ur-)Großtanten und (Ur-)Großonkel. Groß ist die Zahl jener, die über Angehörige berichten (in vielen Fällen Geschwister), die während der Verfolgung noch Kinder waren und die in Auschwitz-Birkenaus sofort nach ihrer Ankunft ver-gast wurden. In diesem Kontext ist auch die Bedeutung der privaten Fotografien zu verorten, die zahlreiche Beiträge bebildern. Sie sind oft die letzten erhalten gebliebene Aufnahmen von ermordeten Familienmitgliedern und stellen für viele heute zentrale Erinnerungsstücke dar.60

Doch auch Postkarten, Briefe, Tagebücher aus der Zeit der Verfolgung und andere Doku-mente aus Familienbesitz werden innerhalb der Facebook-Gruppe geteilt und damit das Erinnerte historisch belegt. Die Gruppe entwickelte sich damit zunehmend zu einem virtuellen „Archiv“ personenbezogener Quellen, die die Geschichte des Holocaust, die lange Zeit lediglich anhand so genannter Täterdokumente erzählt wurde, mit der Perspektive der Verfolgten ergänzen.61

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244 Fritz, Persönliche Holocaust-Erinnerungen auf Facebook.

IV. Abschließende Bemerkungen

Die geschichtspolitischen Maßnahmen der Fidesz-Regierung wie auch die im Zuge des Gedenk-jahres 2014 deutlich werdenden Versuche, Geschichte umzuschreiben, stießen sowohl von Seiten oppositioneller PolitikerInnen als auch der Wissenschaft auf Kritik. Mit den beträchtlichen Mit-teln, die die Regierung im Zuge des Gedenkjahres für diverse wissenschaftliche und erinnerungs-politische Projekte zur Verfügung stellte, und mit bemerkenswerten politischen Statements setzte sie zwar wichtige Impulse für die Auseinandersetzung mit dem Holocaust, doch spätestens mit dem Denkmalstreit wurde deutlich, dass die Politisierung der Vergangenheit problematische Züge trug. Die kontroverse Geschichtsdeutung förderte dadurch das Entstehen zivilgesellschaftlicher Initiativen, die sich in geschichtspolitische Debatten in einer bisher nicht dagewesener Weise einbrachten.

Dabei zeigten sich deutlich die Pluralisierung von Geschichtsdeutungen und die Entstehung neuer (virtueller) Erinnerungsgemeinschaften durch neue Formen der Vernetzung und Kommu-nikation. Gegenerinnerungen, die den verfestigten Geschichtsbildern nicht entsprachen, fanden durch die Möglichkeiten, die die sozialen Netzwerke boten, zunehmend Gehör und Verbreitung, wie das Beispiel „A Holokauszt és a családom“ deutlich zeigt. Gleich anderen zivilgesellschaftli-chen Projekten wie „Csillagos Házak“ oder „Eleven Emlékmű“ wollte die Gruppe „Holokauszt és a családom“ ein Forum für Erinnerungen bieten, die sich mit dem staatlich institutionalisier-ten Geschichtsbild nicht decken. Bereits die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann betonte in diesem Zusammenhang, dass im Internet – das sie als „ein Reservoir für das kollektiv Verdrängte“ bezeichnet – „mit Vorliebe das zur Sprache und in Erinnerung gebracht wird, was dem offiziellen Gedächtnisrahmen von Gesellschaft und Staat widerspricht“.62 Dabei trägt die Gruppe nicht nur individuelle Holocaust-Erinnerungen zusammen und zeigt Formen sowie Inhalte alternativer, nicht institutionalisierter, pluralistischer Gegenerinnerungen, sondern gibt Zeugnis über den Umgang der „Next Holocaust Generation“ mit traumatischen Erzählungen.

Zusätzlich trägt die Gruppe „A Holokauszt és a családom“ private Erinnerungen, die bislang meist auf den Kreis der Familien beschränkt blieben und nach einer gewissen Zeit in Vergessen-heit gerieten, in einen öffentlichen Verhandlungs- und Kommunikationsraum, macht sie kollektiv erfahrbar und verfestigt sie. Damit gilt der vom deutschen Historiker und Medienwissenschaftler Christoph Classen in Bezug auf das Fernsehen postulierter Befund „[d]ie Grenze zwischen ,priva-ten‘ und öffentlichen Erinnerungen mag nicht vollständig aufgehoben sein, aber sie wird – nicht zuletzt auch durch die Präsenz von Zeitzeugen in den Medien – zunehmend verwischt“,63 auch für das hier angeführte Beispiel aus den sozialen Netzwerken. Schließlich trägt „A Holokauszt és a családom“ auch maßgeblich zur Gemeinschafts- und Identitätsbildung von Personen bei, die ihre jüdische Herkunft erst relativ spät in ihre Biographie integrieren konnten, wobei die Face-book-Gruppe jenes Gegenüber schafft, das lange Zeit nicht zur Verfügung stand.64

Inwieweit diese Gegenerzählungen auch jenseits der jeweiligen Erinnerungsgemeinschaften wirken, die diese Gegenerinnerungen formen bzw. unterstützen, bleibt abzuwarten. 2015 publi-zierte der ungarische Verlag „Park kiadó“ eine Sammlung der in der Gruppe „A Holokauszt és a családom“ publizierten Beiträge, und auch aus dem Projekt „Csillagos házak“ ging eine Veröffent-lichung hervor, in der die Erinnerungen von neunzig ehemaligen BewohnerInnen der „Gelben Häuser“ zusammengetragen wurden.65 Damit verließen die beiden Initiativen den virtuellen Raum digitaler Medien und konnten durch das herkömmliche Printmedium nicht nur ein neues Publikum erreichen, sondern bis zu einem gewissen Grad auch das Problem die Flüchtigkeit der

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Daten im Netz überwinden.66 Deutlich illustriert dieser Schritt den mit der Gruppe von Anfang an verbundenen Wunsch, die privaten Familiengeschichten für die Nachwelt zu erhalten.67

Bemerkenswert ist der erinnerungskulturelle Wandel, der sich in „A Holokauszt és a családom“ manifestiert. Diese Art der Erinnerung eröffnet eine zusätzliche Möglichkeit des Gedenkens an den Holocaust und des Erzählens über den Holocaust: „Durch die Transformationen der Erinne-rungen in den virtuellen Raum“ können, so vermutet die Germanistin Kirstin Frieden, „anstelle eines ,Verschwindens‘ von Geschichte die Narrative wieder der Kommunikation und – durch die alltagsrelevanten Eigenschaften der neuen Medien – der Alltagskommunikation zugeführt werden.“68

Hervorzuheben bleibt abschließend auch die Bedeutung des öffentlichen Diskurses bei der Formierung der Gruppe „A Holokauszt és a családom“. Einerseits schuf das offiziell propagierte kontroversere Geschichtsbild erst das Bedürfnis zur Bildung eines Netzwerkes, das Raum bietet für private, abweichende Erinnerungen. Andererseits machte es der Bedeutungszuwachs, den die Holocaust-Erinnerung in der öffentlichen Erinnerungskultur in den letzten zwanzig Jahre erfuhr, möglich, dass private Erinnerungen in einem solch öffentlichen Raum wie einer Face-book-Gruppe, personalisiert erzählbar wurden. Durch die zunehmende Thematisierung des Holocaust im Zuge der Diskussionen um Entschädigung, Restitution, die verstärkte Präsenz des Themas in den Medien und die Anerkennung der Verfolgten69 wurden erst jene Bedingungen geschaffen, die öffentliches Sprechen von Überlebenden und ihren Angehörigen bzw. Freun-dInnen möglich machte, das die Grundlage der Facebook-Gruppe bildet. So konstatierte auch Michael Pollak bereits Ende der 1980er-Jahre:

„Jede Aussage hängt keineswegs nur vom Willen oder der Fähigkeit der ehemaligen La-gerhäftlinge ab, ihre Erfahrungen weiterzugeben, sondern auch und vor allem von den sozialen Bedingungen, die sie mitteilbar machten, Bedingungen, die sich im Laufe der Zeit wandeln und in jedem Land andere sind. Von dieser Möglichkeit aber, mit den Erin-nerungen an die Öffentlichkeit zu gehen, hängt wiederum die Bewältigung der Identitäts-krisen ab, die dem Redebedürfnis wie der Redehemmung zugrundeliegen.“70

Anmerkungen

1 Beitrag von Panni Györi am 13. 2. 2014. Alle Übersetzungen aus dem Ungarischen stammen von der Autorin dieses Beitrags.

2 A Holokauszt és a családom (Öffentliche Gruppe), URL: https://www.facebook.com/groups/holokauszt.csa-ladom/?fref=ts (abgerufen am 25. 2. 2015). Ein Teil der Beiträge wurde publiziert in: Szalay Marianne/Fenyves Katalin (Hg.), A holokauszt és a családom, Budapest 2015. Siehe darin auch Regina Fritz, Nyilvános ellenemléke-zet – személyes emlékezés. A Facebook mint a civil társadalom emlékezetének fóruma a 2014-es Holokauszt-em-lékévben, in: Fenyves Katalin/Szalay Marianne (Hg.), A holokauszt és a családom, Budapest 2015, 43–68.

3 Beitrag von Panni Györi am 13. 2. 2014.4 Csillagos Házak (Gemeinschaft), URL: https://www.facebook.com/csillagoshazak/?fref=ts (abgerufen am 25. 2.

2016).5 Eleven Emlékmű (Gemeinschaft), URL: https://www.facebook.com/ElevenEmlekmu/?fref=ts (abgerufen am 25. 2.

2016).6 Siehe dazu den Beitrag von Eva Pfanzelter in diesem Heft.7 Siehe dazu u. a. Wulf Kansteiner, Alternative Welten und erfundene Gemeinschaften. Geschichtsbewusstsein im

Zeitalter interaktiver Medien, in: Erik Meyer (Hg.), Erinnerungskultur 2.0. Kommemorative Kommunikation in digitalen Medien, Frankfurt am Main–New York 2009, 29–54; Andrew Hoskins, Digital Network Memory, in: Ann

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246 Fritz, Persönliche Holocaust-Erinnerungen auf Facebook.

Rigney/Astrid Erll (Hg.), Mediation, Remediation, and the Dynamics of Cultural Memory, Berlin–New York 2009, 91–106.

8 Diese Zahlen beziehen sich auf die jüdischen Opfer in Ungarn inklusive der seit 1938 annektierten Gebiete.9 A Kormány 1005/2013. (I.10.) Korm. Határozata a Magyar Holokauszt – 2014 Emlékbizottság létrehozásáról, in:

Magyar Közlöny, 10. 1. 2013, URL: http://www.kozlonyok.hu/nkonline/MKPDF/hiteles/MK13005.pdf (abgerufen am 17. 2. 2016).

10 Miniszterelnökség, A Civil Alap  – 2014 pályázati program keretében Magyarország központi költségvetéséből vissza nem térítendő támogatásban részesülő pályázatok, Magyar Holokauszt Emlékév 2014, URL: http://holo-kausztemlekev2014.kormany.hu/download/2/85/b0000/Civil%20Alap%20-%20t%C3%A1mogatott%20p%C3%A-1ly%C3%A1zatok.pdf (abgerufen am 17. 2. 2016).

11 Martonyi: a holokauszt a legnagyobb nemzeti trauma, HVG, 2. 10. 2013, URL: http://hvg.hu/itthon/20131002�Martonyi�a�holokauszt�a�legnagyobb�nemzet (abgerufen am 3. 3. 2016).

12 Áder János köztársasági elnök beszéde az Élet Menete megemlékezésen Auschwitzban, Köztársasági Elnöki Hivatal, URL: http://www.keh.hu/beszedek/1866-Ader�Janos�koztarsasagi�elnok�beszede�az�Elet�Menete�megemleke-zesen�Auschwitzban&pnr=2 (abgerufen am 17. 2. 2016).

13 Vgl. Gerhard Seewann/Éva Kovács, Halbherzige Vergangenheitsbewältigung, konkurrenzfähige Erinnerungspoli-tik. Die Shoa in der ungarischen Erinnerungskultur, in: Bernd Faulenbach/Franz-Josef Jelich (Hg.), „Transforma-tionen“ der Erinnerungskulturen in Europa nach 1989, Essen 2006, 189–200 sowie Regina Fritz, Nach Krieg und Judenmord. Ungarns Geschichtspolitik seit 1944, Göttingen 2012, 279–308.

14 Regina Fritz/Imke Hansen, Zwischen nationalem Opfermythos und europäischen Standards. Der Holocaust im ungarischen Erinnerungsdiskurs, in: Jan Eckel/Claudia Moisel (Hg.), Der Umgang mit dem Holocaust in internati-onaler Perspektive, Göttingen 2008, 59–85 sowie Regina Fritz, Ungarische Holocaust-Ausstellungen im innen- und außenpolitischen Spannungsfeld – Das Holocaust Gedenkzentrum Budapest und der ungarische Pavillon im Staat-lichen Museum Auschwitz-Birkenau, in: Ekaterina Keding/Ekaterina Makhotina/Wlodzimierz Borodziej/Etienne Francois/Martin Schulze Wessel (Hg.), Krieg im Museum. Präsentationen des Zweiten Weltkriegs in Museen und Gedenkstätten des östlichen Europa (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 131), Göttingen 2015, 203–225. Siehe dazu auch Dan Diner, Der Holocaust in den politischen Kulturen Europas. Erinnerung und Eigentum, in: Klaus-Dietmar Henke (Hg.), Auschwitz. Sechs Essays zu Geschehen und Vergegenwärtigung, Dresden 2001, 65–74; Daniel Levy/Natan Sznaider, Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust, Frankfurt am Main 2001; Dirk Rupnow, Transformationen des Holocaust. Anmerkungen nach dem Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Transit. Europäische Revue 35 (2008), 68–88; Jens Kroh, Transnationale Erinnerung. Der Holocaust im Focus geschichtspo-litischer Initiativen, Frankfurt am Main 2008.

15 Die verlorene Schlacht gegen die Osmanen in der Nähe der Stadt Mohács im Jahre 1526 beendete die Unabhängig-keit des ungarischen Königreichs und leitete die Dreiteilung des Landes ein.

16 György Dalos, Ungarn. Mythen – Lehren – Lehrbücher, in: Monika Flacke (Hg.), Mythen der Nationen: Ein euro-päisches Panorama, München–Berlin 1998, 528–556.

17 Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, 82.

18 Ebd.19 Magyarország Alaptörvénye, in: Magyar Közlöny, 1. 4. 2013, 14584–14614, URL: http://www.kozlonyok.hu/nkon-

line/MKPDF/hiteles/MK13055.pdf (abgerufen am 17. 2. 2016). Das Grundgesetz wurde in deutscher Sprache ab-gedruckt in: Manfred Sapper/Volker Weichsel (Hg.), Quo vadis, Hungaria? Kritik der ungarischen Vernunft, Berlin 2011 (= Osteuropa 12/2011), 29–30.

20 Deutlich wurden die Rehabilitierungsversuche des Horthy-Regimes (1920–1944), das keine demokratische Staats-form besaß, zahlreiche antijüdische Gesetze eingeführt und seine Staatsbürger verfolgt hatte, an diversen Denkmal-setzungen und an politischen Akten, wie die Rückführung der sterblichen Überreste des Reichsverwesers Miklós Horthy und seiner Frau Magdolna aus Portugal bzw. ihre feierliche Wiederbestattung in der ungarischen Stadt Kenderes im Jahr 1993.

21 565/2013. (XII. 31.) Korm. Rendelet, A Magyarország német megszállásának emléket állító, Budapest V. kerület-ben felállításra kerülő emlékmű magvalósításához szükséges közigazgatási hatósági ügyek nemzetgazdasági szem-pontból kiemelt jelentőségű üggyé nyilvánításáról és az eljáró hatóságok kijelöléséről, in: Magyar Közlöny, 31. 12. 2013, 90100–90101, URL: http://www.kozlonyok.hu/nkonline/MKPDF/hiteles/MK13225.pdf (abgerufen am 17. 2. 2016).

22 Dieses Narrativ manifestiert sich insbesondere im Museum „Haus des Terrors“, welches sich sowohl dem kommu-nistischen als auch dem faschistischen Pfeilkreuzler-Terror widmet.

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23 Trotz nationaler und internationaler Proteste gegen das Konzept wurde der Entwurf des Bildhauers Péter Párkányi Raab unverändert verwirklicht und das Denkmal am 20. Juli 2014 über Nacht aufgestellt. Siehe u. a. Éjjel felállí-tották a német megszállás emlékművét, 168óra Online, 20. 7. 2014, URL: http://www.168ora.hu/itthon/ejjel-felal-litottak-a-nemet-megszallas-emlekmuvet-129238.html (abgerufen am 26. 2. 2016); Az éj leple alatt csempészték helyére a Szabadság téri emlékművet, index.hu, 20. 7. 2014, URL: http://index.hu/belfold/2014/07/20/az�ej�lep-le�alatt�csempesztek�helyere�a�szabadsag�teri�emlekmuvet/ (abgerufen am 26. 2. 2016); Felállították az emlék-művet, az ellenzék tiltakozik, Magyar Nemet Online, 20. 7. 2014, URL: http://mno.hu/belfold/felallitottak-az-em-lekmuvet-az-ellenzek-tiltakozik-1238190 (abgerufen am 26. 2. 2016).

24 Ferenc Laczó, Integrating Victims, Externalizing Guilt? Commemorating the Holocaust in Hungary in 2014, Fo-rum Cultures of History, URL: http://www.cultures-of-history.uni-jena.de/debating-20th-century-history/hun-gary/integrating-victims-externalizing-guilt-commemorating-the-holocaust-in-hungary-in-2014/#fn-text5 (abge-rufen am 10. 2. 2016).

25 Ein Teil dieser jüdischen und nichtjüdischen Organisationen sowie Privatpersonen, die aus Protest die Finanzie-rung ihrer Projekte aus den Mitteln des „Civil Alap“ abgelehnt hatten, gründete im April 2014 die Initiative „Me-mento70“. Ziel war es, Spenden für jene Projekte zu sammeln, die auf die offiziellen Fördergelder verzichtet hatten. Mit Hilfe der Website „www.memento70.hu“ und sozialer Netzwerke konnte die Initiative bis zum heutigen Zeit-punkt (Februar 2016) allerdings „nur“ 11,63 Millionen Forint, und damit sechs Prozent des anvisierten Budgets sammeln.

26 Im Sommer 1941 wurden mehr als 18.000 Juden und Jüdinnen ohne ungarische Staatsangehörigkeit nach Ostgali-zien abgeschoben. Die Mehrzahl von ihnen wurde Ende August 1941 in Kamenez-Podolsk zusammen mit ortsan-sässigen jüdischen Bewohnerinnen und Bewohnern von der deutschen SS, von Männern des Polizeibataillons 320, vom ukrainischen „Selbstschutz“ und von einer ungarischen Pioniereinheit massakriert.

27 Siehe vor allem die Stellungsnahmen in Élet és irodalom, Magyar Narancs, Népszabadság oder Népszava.28 Siehe auch die ausführliche Beschreibung der Facebook-Seite der Gruppe.29 Die Seite hatte im Februar 2016 8.088 „Gefällt mir“-Angaben.30 Die englische Version der Webseite siehe unter URL: http://www.yellowstarhouses.org/.31 Siehe Facebook-Eintrag vom 20. 5. 2014: „We have received and will publish invaluable documents from the Bu-

dapest Metropolitan archive: requests submitted to the authorities from 400 houses following the June 16, 1944 yellow-star houses decree.“ Die Dokumente sind auf der Webseite des Projektes unter URL: http://www.csillagos-hazak.hu/#overlay=torteneti�hatter/kerelmek zugänglich.

32 Die Liste der „teilnehmenden Häuser“ (URL: http://www.csillagoshazak.hu/#overlay=junius21/jelentkezok) sowie das ausführliche Programm der Veranstaltungen am 21. 6. 2014 (URL: http://www.csillagoshazak.hu/#overlay=-programok) wurden auf der Webseite des Projektes dokumentiert. Die ausführliche Berichterstattung siehe auch auf der Webseite der Stiftung Infopoly: URL: http://infopoly.info/h-2014/tag/csillagos-hazak/. Diese Seite wurde erstellt, um jene Ereignisse, Nachrichten, Veranstaltungen, Meinungen und Statements zu sammeln, die mit dem Holocaust-Gedenkjahr 2014 in Zusammenhang standen.

33 Ausführliche Beschreibung der Facebook-Gruppe, URL: https://www.facebook.com/ElevenEmlekmu/in-fo?tab=page�info (abgerufen am 17. 2. 2016).

34 Péter Béndek/Mária Heller/György Jovánovics/Balázs Kicsiny/Szabolcs Kisspál/András Lukács/Csaba Nemes/András Rényi, Az Eleven Emlékmű mozgalom alapítóinak nyilatkozata, Infopoly Alapítvány, URL: http://infopoly.info/h-2014/2014/04/16/az-eleven-emlkmu-mozgalom-alaptinak-nyilatkozata/ (abgerufen am 17. 2. 2016).

35 Die Seite hatte im Februar 2016 3.395 „Gefällt mir“-Angaben.36 Az Eleven Emlékmű mozgalom alapítóinak nyilatkozata.37 Vergleiche dazu beispielsweise die im Jahr 2010 ins Leben gerufene Facebook-Gruppe „Egymillióan a magyar

sajtószabadságért“ (177.286 Follower im Februar 2016) oder die Bedeutung der sozialen Medien im Arabischen Frühling.

38 Siehe dazu auch Eva Pfanzelter, At the crossroads with public history: mediating the Holocaust on the Internet, in: Holocaust Studies. A Journal of Culture and History 21 (2015) 4, 250–271.

39 Zsuzsanna Sándor, Közösségi Emlékezés, 168óra Online, 1. 3. 2014, URL: http://www.168ora.hu/itthon/eorsi-ma-tyas-holokauszt-emlekev-facebook-emlekezes-123957.html (abgerufen am 16. 2. 2016).

40 Beitrag von Judit Halmos am 5. 5. 2014.41 Für politische Statements und für Einladungen zu kulturellen und wissenschaftlichen Veranstaltungen wurde eini-

ge Monate später eine eigene Gruppe ins Leben gerufen: Holokauszt és a családom – üzenetek, keresések, ajánlások, kérdések, stb (Holocaust und meine Familie  – Nachrichten, Bitten, Empfehlungen, Fragen usw.), URL: https://www.facebook.com/groups/796227640396810 (abgerufen am 25. 2. 2016).

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248 Fritz, Persönliche Holocaust-Erinnerungen auf Facebook.

42 Mit einem ähnlichen Konzept arbeitet auch die Webseite „Lebendiges virtuelles Museum Online“, das vom Deut-schen Historischen Museum und dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland getragen wird. Der Zeitzeugenbereich der Webseite „bietet die Möglichkeit, persönliche Erinnerungen sowie Briefe und Tagebuchein-träge zu veröffentlichen, die in einem Zusammenhang mit der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts stehen. Wer eine persönliche Geschichte erzählen, und diese der Öffentlichkeit zugänglich machen möchte, kann den Beitrag gerne zusammen mit Bildmaterial an die LeMO-Redaktion senden.“ URL: https://www.dhm.de/lemo/ (abgerufen am 25. 2. 2016). Siehe auch das Projekt „September 11 Digital Archive“ (http://911digitalarchive.org/) sowie das Facebook-Projekt Leon Vivien (https://www.facebook.com/leon1914/?fref=ts mit rund 65.000 „Gefällt mir“-Angaben).

43 Interview mit Eörsi: „Die Facebook-Gruppe hat auch ein therapeutisches Ziel. Aus irgendeinem Grund schweigen die Nachkommen der Opfer, als hätten sie Schuldgefühle […].“ Erschienen in: Közösségi Emlékezés.

44 Martin Sabrow, Der Zeitzeuge als Wanderer zwischen den Welten, in: Martin Sabrow/Norbert Frei (Hg.), Die Ge-burt des Zeitzeugen nach 1945, Göttingen 2012, 13–32, 22.

45 Éva Kovács/András Lénárt/Anna Lujza Szász, Oral History Collections on the Holocaust in Hungary, in: S.I.M.O.N, 14. 10. 2014, URL: http://simon.vwi.ac.at/images/Documents/Articles/2014-2/2014-2�ART�Kovacs-Lenart-Szasz/ART�Kovacs-Lenart-Szasz.pdf (abgerufen am 17. 2. 2016).

46 U. a. Ferenc Erős/András Kovács/Katalin Lévai, „Hogyan jöttem rá, hogy zsidó vagyok?“ Interjúk, in: Medvetánc 2-3 (1985), 129–145. Dieser Frage widmeten sich auch die beiden Soziologinnen Éva Kovács und Júlia Vajda in ihrer im Jahr 2002 erschienen Untersuchung: Éva Kovács/Júlia Vajda, Mutatkozás. Zsidó identitás történetek, Bud-apest 2002.

47 Beitrag am 3. 2. 2014. Der Autor bat um Anonymisierung.48 Beitrag von Vera Surányi am 20. 3. 2014.49 Beitrag von Anna Sós am 5. 11. 2014.50 Beitrag von Lajos Kőszegi am 6. 3. 2014.51 Beitrag von Vera Surányi am 20. 3. 2014.52 Vgl. dazu ausführlich Fritz, Nach Krieg und Judenmord, 123–135.53 Siehe beispielsweise das Interview von Lajos Farkas, der seine Kuh bei einem anderen Dorfbewohner entdeckte und

diese zurückbekam, als er ihn darauf ansprach. Interview mit Herrn Lajos Farkas vom 8. 11. 2002, AMM, MSDP, OH/ZP1/403.

54 Ob die Postings die Vergangenheit in allen Einzelheiten richtig erinnern bzw. wiedergeben, ist in diesem Zusam-menhang zweitrangig. Schließlich stellt es nicht das Ziel der Gruppenmitglieder dar, ein historisches „Faktenar-chiv“ zu schaffen, sondern es geht vielmehr darum, die „Kultur des Schweigens“ zu überwinden, familiäre Vergan-genheiten zu vergegenwärtigen, ermordeten Familienmitgliedern ein Denkmal zu setzen und die Puzzles einer Familiengeschichte verstehen zu lernen und zu vervollständigen.

55 Die ungarische Gendarmerie war maßgeblich an Ghettoisierung und Ausplünderung beteiligt. Mit Hilfe der unga-rischen Polizeiverwaltung leitete sie unter der Führung von wenigen SS-Männern die nötigen Schritte zur Depor-tation der ungarischen Jüdinnen und Juden ein. Im Frühjahr 1945 wurde die Gendarmerie als halbmilitärische und rechte Organisation aufgelöst und eine Verordnung schrieb die „Verantwortung der Gendarmerie als Körperschaft“ fest. Siehe Judit Molnár, Die Königlich Ungarische Gendarmerie und der Holocaust, in: Brigitte Mihok (Hg.), Un-garn und der Holocaust. Kollaboration, Rettung und Trauma, Berlin 2005, 89–102.

56 Beitrag von Emese Toókos am 15. 4. 2014.57 Beitrag von Ildiko Sain am 25. 5. 2014.58 Eva Pfanzelter, Inszenierung  – Vernetzung  – Performanz: Holocaust-Repräsentationen im Netz, in: Iris Roeb-

ling-Grau/Dirk Rupnow (Hg.), ‚Holocaust‘-Fiktion. Kunst jenseits der Authentizität, München 2015, 63–83, 82.59 Siehe dazu u. a. Rosmarie Beier-De Haan (Hg.), Geschichtskultur in der Zweiten Moderne, Frankfurt am Main

2000; Simone Lässig, Vom historischen Fluchtpunkt zur transnationalen Metapher. Holocaust-Erinnerung in Mu-seen zwischen Geschichte und Moral, in: Olaf Hartung (Hg.), Museum und Geschichtskultur. Ästhetik – Politik – Wissenschaft, Bielefeld 2006, 183–209 sowie Katja Köhr, Die vielen Gesichter des Holocaust. Museale Repräsenta-tionen zwischen Individualisierung, Universalisierung und Nationalisierung, Göttingen 2012.

60 Das Gewicht solch visueller Erinnerungsstücke illustrierte ein Bericht vom 5. 5. 2014. Hier stellte eine Frau die Fotografie ihrer in Auschwitz-Birkenau ermordeten Großeltern online und bemerkte, dass es sich dabei um die einzige Aufnahme handle, die von ihnen existiere. Sie ergänzte, dass aber auch diese Fotografie kein Originalbild sei, sondern von einem Fotografen im Auftrag ihres Vaters nach dem Krieg zusammenmontiert wurde. Die Autorin bat um Anonymisierung ihres Beitrags.

61 Saul Friedländer, Eine integrierte Geschichte des Holocaust, in: ders., Nachdenken über den Holocaust, München 2007, 154–167, 160.

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249zeitgeschichte 4 / 43. Jahrgang / 2016

62 Assmann, Der lange Schatten, 244.63 Christoph Classen, Der Zeitzeuge als Artefakt der Medienkonsumgesellschaft. Zum Verhältnis von Medialisierung

und Erinnerungskultur, in: Sabrow/Frei (Hg.), Die Geburt des Zeitzeugen, 300–319, 307.64 Ulrich Baer, Einleitung, in: Ulrich Baer (Hg.), „Niemand zeugt für den Zeugen.“ Erinnerungskultur und histori-

sche Verantwortung nach der Shoah, Frankfurt am Main 2000, 7–31, 16. Angemerkt werden soll dennoch, dass durch die Möglichkeit, Beiträge und Kommentare bearbeiten und entfernen zu können (durch die Administrato-rInnen bzw. durch die AutorInnen selbst), über die kommunikative Verhandlung der Erinnerungen nachträglich in vielen Fällen ein anderes Bild zur Verfügung steht, als dies im Moment ihrer Entstehung vielleicht der Fall gewesen ist.

65 Éva Nádor (Hg.), Csillagos Házak. Emberek, Házak, Sorsok, Budapest 2015.66 Aleida Assmann, Zur Mediengeschichte des kulturellen Gedächtnisses, in: Astrid Erll/Ansgar Nünning (Hg.), Me-

dien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität – Historizität – Kulturspezifität, Berlin 2004, 45–60, 55.67 Siehe dazu auch György Kálmán C., A Holokauszt-csoport mint Facebook-esemény, in: Szalay/Fenyves (Hg.), A

holokauszt és a családom, 13–21, 19–21.68 Kirstin Frieden, Neuverhandlungen des Holocaust. Mediale Transformationen des Gedächtnisparadigmas, Biele-

feld 2014, 269.69 Siehe u. a. Andrea Dunai, Kárpótlás, devizabevétel, diplomácia, in: Randolph L. Braham (Hg.), Tanulmányok a Ho-

lokausztról, Bd. 4, Budapest 2006, 185–215; Ágnes Peresztegi, Jóvátétel és kárpótlás Magyarországon, 1945-2003, in: Judit Molnár (Hg.), A Holokauszt Magyarországon európai perspektívában, Budapest 2005, 676–683; Fritz, Nach Krieg und Judenmord.

70 Michael Pollak, Die Grenzen des Sagbaren. Lebensgeschichte von KZ-Überlebenden als Augenzeugenberichte und als Identitätsarbeit, Frankfurt am Main–New York 1988, 90.

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