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",-- . ~~ •••••• The 0 log i 5 ehe Wer k 5 tat t ~~~_~~_ Neuere Entwicklungen in der alttestamentlichen Forschung Teil 2: Wann beginnt die Geschichte Israels? VON MARKUS SASSE Nicht nur um ihrer selbst willen lohnt sich die Beschäftigung mit der Wissenschaft des Alten Testaments. Die Veränderungen der Forschungslage in den letzten Jahrzehnten sind beeindruckend und bieten Herausforderungen für viele Bereiche. In einer vierteiligen Reihe stellt Markus Sassedie aktuellen Entwicklungen dar. Wen interessiert diese Frage? Die Frage nach dem Beginn der Geschichte Israels ist aus unterschiedlichen Gründen für unterschiedli- che Gruppen interessant. Gruppe 1: Zunächst ist es eine Frage nach der Identität des jüdischen Volkes beziehungsweise der jüdischen Religionsgemeinschaft. Aus jüdischer Sicht ist es natürlich wichtig, möglichst viel über die eigenen kulturellen und religiösen Ursprünge zu erfahren: Was ist typisch für die Lebensformen der jüdischen Religion, und wo liegen die historischen Ursprünge dieser das Judentum bis heute prägen- den Normen und Glaubensinhalte (wie Monotheis- mus, Schöpfung, Sabbat, Speisegebote, Festkalen- der, Beschneidung, Auferstehung)? Grundlegend ist dabei die Einsicht, dass religiö- se Inhalte sich im Verlauf der Geschichte entwickelt und durchgesetzt haben. Es geht also um den Zu- sammenhang von Ereignisgeschichte und Religions- geschichte. 34 evangelische aspekte 2/2012 Hierbei gibt es natürlich wichtige Überschnei- dungen mit der christlichen Theologie in Gestalt der alttestamentlichen Wissenschaft (Gruppe 3). Auch christliche Normen und Glaubensinhalte haben ihre Wurzeln in alttestamentlichen Texten. Dies betrifft vor allem die mit dem Judentum gemeinsamen The- men ausserhalb des jüdischen Ritualgesetzes: Ent- wicklungen des Gottesbildes (Monotheismus, Schöpfung, biblische Anthropologie, Eschatologie und Apokalyptik). Auch die Deutung des Wirkens Jesu im Neuen Testament ist ohne das Alte Testament nicht verste- hen. Dabei sind vor allem die Themen der späteren Epochen von Bedeutung (Messias, Mittlergestalten, allgemeine Auferstehungshoffnung und so weiter). Gruppe 2: Der moderne Staat Israel befindet sich seit über 60 Jahren auf dem Gebiet des verhei- ßenen Landes. Archäologische Forschungen wurden Mittel zum Zweck der Politik während der ersten Jahrzehnte des Staates Israel. Anfänglich waren die archäologischen Projekte interdisziplinär ausgerichtet. Jüdische und arabi- sche Hinterlassenschaften wurden nahezu gleichbe- rechtigt untersucht, die Ortslagen nach rein archäo- logischen Kriterien ausgewählt - und nicht danach, wie bedeutungsvoll ein Ort in der biblischen Ge- schichte war. Ein aussagekräftiges Beispiel: Suchte Eliezer Sukenik (1889-1953) in den 1920er und 30er Jahren nach den Spuren jüdischer Präsenz in Palästina (zum Beispiel Synagogen), erforschte sein Sohn Yigal Yadin (1917-1984, vormals Widerstandskämpfer, dann 1949-1952 Generalstabschef) die Fixpunkte der Geschichte des biblischen Israel (Hazor, Megid-

Neuere Entwicklungen in der alttestamentlichen Forschung Teil 2: Wann beginnt die Geschichte Israels?

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Neuere Entwicklungen in deralttestamentlichen ForschungTeil 2: Wann beginnt die Geschichte Israels?

VON MARKUS SASSE

Nicht nur um ihrer selbst willen lohnt sich die Beschäftigung

mit der Wissenschaft des Alten Testaments.

Die Veränderungen der Forschungslage in den letzten

Jahrzehnten sind beeindruckend und bieten

Herausforderungen für viele Bereiche. In einer vierteiligen

Reihe stellt Markus Sassedie aktuellen Entwicklungen dar.

Wen interessiert diese Frage?

Die Frage nach dem Beginn der Geschichte Israelsist aus unterschiedlichen Gründen für unterschiedli-che Gruppen interessant.

Gruppe 1: Zunächst ist es eine Frage nach derIdentität des jüdischen Volkes beziehungsweise derjüdischen Religionsgemeinschaft. Aus jüdischerSicht ist es natürlich wichtig, möglichst viel über dieeigenen kulturellen und religiösen Ursprünge zuerfahren: Was ist typisch für die Lebensformen derjüdischen Religion, und wo liegen die historischenUrsprünge dieser das Judentum bis heute prägen-den Normen und Glaubensinhalte (wie Monotheis-mus, Schöpfung, Sabbat, Speisegebote, Festkalen-der, Beschneidung, Auferstehung)?

Grundlegend ist dabei die Einsicht, dass religiö-se Inhalte sich im Verlauf der Geschichte entwickeltund durchgesetzt haben. Es geht also um den Zu-sammenhang von Ereignisgeschichte und Religions-geschichte.

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Hierbei gibt es natürlich wichtige Überschnei-dungen mit der christlichen Theologie in Gestalt deralttestamentlichen Wissenschaft (Gruppe 3). Auchchristliche Normen und Glaubensinhalte haben ihreWurzeln in alttestamentlichen Texten. Dies betrifftvor allem die mit dem Judentum gemeinsamen The-men ausserhalb des jüdischen Ritualgesetzes: Ent-wicklungen des Gottesbildes (Monotheismus,Schöpfung, biblische Anthropologie, Eschatologieund Apokalyptik).

Auch die Deutung des Wirkens Jesu im NeuenTestament ist ohne das Alte Testament nicht verste-hen. Dabei sind vor allem die Themen der späterenEpochen von Bedeutung (Messias, Mittlergestalten,allgemeine Auferstehungshoffnung und so weiter).

Gruppe 2: Der moderne Staat Israel befindetsich seit über 60 Jahren auf dem Gebiet des verhei-ßenen Landes. Archäologische Forschungen wurdenMittel zum Zweck der Politik während der erstenJahrzehnte des Staates Israel.

Anfänglich waren die archäologischen Projekteinterdisziplinär ausgerichtet. Jüdische und arabi-sche Hinterlassenschaften wurden nahezu gleichbe-rechtigt untersucht, die Ortslagen nach rein archäo-logischen Kriterien ausgewählt - und nicht danach,wie bedeutungsvoll ein Ort in der biblischen Ge-schichte war.

Ein aussagekräftiges Beispiel: Suchte EliezerSukenik (1889-1953) in den 1920er und 30er Jahrennach den Spuren jüdischer Präsenz in Palästina (zumBeispiel Synagogen), erforschte sein Sohn YigalYadin (1917-1984, vormals Widerstandskämpfer,dann 1949-1952 Generalstabschef) die Fixpunkteder Geschichte des biblischen Israel (Hazor, Megid-

do, Geser, Masada, Bar-Kochba-Höhlen). Ergebnisseder medienwirksam aufbereiteten archäologischenund historischen Forschungen wirkten mythenbil-dend und damit identitätsstiftend während dieserfrühen Phase des noch jungen Staates Israel.

Und so wundert es auch nicht, dass Kritiker die-ser Gründungsmythen (und deren aktueller politi-scher Relevanz) sich heute auch mit den Ursprün-gen des biblischen Israels beschäftigen. Seit den1970/80er Jahren hat sich die Lage zwar deutlichgewandelt. Die Archäologie emanzipierte sich vonder Politik und arbeitet erheblich ergebnisoffener:Ortslagen werden nun wegen ihrer archäologischenRelevanz ausgewählt, gleichzeitig wird der archäo-logisch-politische Konsens der frühen Jahre massivinfrage gestellt.

Aktuell erleben wir aber eine religiös motivierteRepolitisierung der Archäologie in Israel - allerdingsnicht ausgehend vom Staat oder den etabliertenUniversitäten, sondern von privaten Organisationen(vor allem aus dem Bereich der Siedlerbewegungund nationalreligiösen Gruppen), während gleich-zeitig die finanziellen Mittel für die staatlichen unduniversitären Grabungsaktivitäten und Erhaltungs-maßnahmen immer knapper werden.

Die Erforschung der Geschichte Israels ist alsoweiterhin in Teilen interessengeleitet, wenn auchunter anderen Bedingungen als in den 1950-60erJahren. Der Konflikt ähnelt durchaus dem zwischenseriöser alttestamentlicher Wissenschaft und derfundamentalistischen Behauptung der durchgehen-den historischen Wahrheit in biblischen Texten.Seriöse Geschichtswissenschaft hat hier eine ideolo-giekritisehe Funktion.

Gruppe 3: Der Themenbereich "GeschichteIsraels" ist Teil der alttestamentlichen Wissenschaft- im Fächerkanon der christlichen Theologie. Histo-rische Kontexte werden erforscht, um biblischeTexte auslegen zu können, die als Teil eines komple-xen Kommunikationsgeschehens mit Texten undanderen Hinterlassenschaften ihrer damaligenUmwelt vielfältig verwoben sind. Wissenschafts-theoretisch stehen hier ergebnisoffen induktiveSammelleidenschaft und themazentrierte deduktiveAuswertung und Bündelung überaus produktiv aberletztlich unüberschaubar nebeneinander.

Durchaus berechtigt ist dabei die Kritik, dassman hier den Wald vor Bäumen nicht mehr erken-nen kann. Allerdings ist eine fundamentalistischeVereinfachungsforderung, die einfach den bibli-schen Text als historisch wahr voraussetzt, als un-wissenschaftlich zurückzuweisen.

Theologische Werkstatt

Für die alttestamentliche Wissenschaft bildetdie Geschichte Israels des historischen Rahmen fürdie Entstehung und Entwicklung biblisch-christli-cher Glaubensaussagen. Dies gilt auch für Themen,die für die Deutung des Wirkens Jesu und dieBegründung des weiteren Verlaufs der Geschichteder frühen Gemeinden relevant sind (Messias, Auf-erstehung, Geltung des jüdischen Ritualgesetzes) .Hier bestehen enge Verbindungen mit der erstenGruppe.

In diesem Zusammenhang wird auch über dieBedeutung des Alten Testaments für die Theologieund den christlichen Glauben diskutiert. Aufgabeder alttestamentlichen Wissenschaft ist es auch, denEigenwert des Alten Testaments zu betonen. DasAlte Testament ist eben nicht nur Stichwortgeberder Dogmatik oder Deutungsrahmen für das NeueTestament.

Verjü ngu ngsku ren

Die Texte des Alten Testaments haben in den letztenzwei Jahrzehnten eine erstaunliche Verjüngungskurdurchgemacht. Dabei geht es historisch vor allemum die Frage, welche Epochen der Geschichte Isra-els literarisch besonders produktiv waren.

Vorausgesetzt wird dabei die verbreitete An-sicht, dass normative Texte häufig Reaktionen aufKrisenerfahrungen darstellen. Anders ausgedrückt:Wenn man eine geschichtlicheDarstellung verfasst, um aus derGeschichte etwas zu lernen, dannmuss es dafür einen Anlass geben;es muss also etwas grundsätzlichschief gelaufen sein, damit esetwas zu lernen gibt. Oder: Wennman etwas verbietet oder gebietet,muss die damalige Realität ent-sprechend anders ausgesehen ha-ben.

Früher konnte man das tendenziell anderssehen: Die Vertreter der klassischen Pentateuch-theorien sahen die Ursprünge der Texte nicht erst inden Katastrophen, sondern schon in früheren Epo-chen. Die Frage konnte eher lauten: Wo hat mandarstellende Texte verfasst und Geschichtsschrei-bung begonnen, die über eine reine Archivierunghinausgeht?

Diese Art von Literarität setzt staatliche Struktu-ren voraus, und so vermutete man den Beginn derGeschichtsschreibung an den Höfen (als Zentren

Pfarrer Dr. theol. Markus

Sasse ist Lehrbeauftragter

für Altes und Neues Testa-

ment an der Universität

Landau.

evangelische aspekte 2/2012 35

Theologische Werkstatt

der Macht) des davidisch-salomonischen Großrei-ches (10. Jahrhundert v. Chr.). Verbunden war diesedurchaus plausible Sicht mit dem methodischenOptimismus, man könne mit historisch-kritischerGewissheit den Zustand des Textes bis in dieseUrsprungszeit zurückverfolgen.

Der Hauptgrund dieser Verjüngungskuren warallerdings nicht die Archäologie, sondern die Krisedieser literaturhistorischen Vorgehensweise. Heutesteht eher der Endzustand des Textes im Vorder-grund und nicht die rekonstruierten Schichten sei-ner Genese. Dementsprechend geht es mehr um dieIntentionen der Verfasser und weniger um die histo-rischen Ereignisse, über die diese Verfassergeschrieben haben.

Geschichte und Heilsgeschichte

Das Alte Testament erzählt die Geschichte VolkesIsrael mit seinem Gott. Die heilsgeschichtliche Dar-stellung, die nie einfach nur Aufzählung von Ereig-nissen ist, hat eine normative Kraft. Sie dient nebender Verbindung zu den Ursprüngen vor allem derGegenwartsdeutung und der Herausstellung einerbegründeten Hoffnung für die Zukunft.

Der biblische Kanon enthält eine deutlich er-kennbare Grenze zwischen Vorgeschichte und Ge-schichte. Diese Grenze verläuft zwischen dem Endedes Deuteronomiums und dem Anfang des Josuabu-ches.

Maßgeblich war wohl der Gedanke der Unver-fügbarkeit der göttlichen Offenbarung. Alle für dasVolk Gottes und seinem späteren Staat maßgebli-chen Normen werden ihm in dieser vorgeschichtli-chen Phase offenbart.

Die Vorgeschichte hat die Funktion eines abge-grenzten Normenpools. in dem die für das Bundes-volk relevanten Normen in Geschichten und/oderGesetzestexten verpackt sind. Durch ihre Verortungim vorgeschichtlichen Kontext werden sie unverfüg-bar für menschliche Machtansprüche.

Die Befreiung vom Gesetz des Pharaos ist eineBefreiung zum Gesetz Gottes. Daran werden in derGeschichte des Bundesvolkes alle Versuche mensch-licher Herrschaft gemessen.

Abgrenzungen gibt es aber auch außerhalb derPentateuchgrenze: So gilt das spezielle Kriegsrechtnur für die Zeit der Landnahme. Auch die Regie-rungszeiten Davids und Salomos weisen eher ineinen symbolisch-mythischen Bereich als in denKontext einer nüchternen Geschichtsschreibung

36 evangelische aspekte 212012

(Der erste König, der hier eine unverdächtige Regie-rungszeit aufweist, ist Jerobeam I mit 22 Jahren).Wann betreten wir in der biblischen Darstellungsicheren historischen Boden, bei dem die Darstel-lung in den Texten mit den archäologischen Befun-den übereinstimmt?

Leichter ist es, danach zu fragen, zu welchemAnlass ein Text verfasst wurde. Dass die Wanderun-gen der Erzväter zwischen Ägypten und dem Zwei-stromland (als Ort des späteren Exils) sowie derAuszug aus dem ägyptischen Exil Hoffnungsge-schichten der exilierten Gemeinde waren, liegt aufder Hand.

Als weitere literarisch produktive Epochen gel-ten neben dem Exil die josianische Reform, die ZeitHiskias, die Perserzeit. in der sich Juda neu konsti-tuiert - mittlerweile auch die hellenistische Zeit.Auch hier zeigen sich Verjüngungskuren. Kam frü-her die hellenistische Zeit lediglich für die Heraus-bildung der Apokalyptik in Betracht, so kann manheute durchaus danach fragen, ob die Motivationfür die kriegerischen Texte des Josuabuches josia-nisch oder makkabäisch ist.

Geschichte ist nicht identisch mit Vergangen-heit, und Geschichtswissenschaft ist nicht dieRekonstruktion vergangener Wirklichkeit. Dieseeigentlich längst bekannte Einsicht muss immernoch gegen eine ideologische Inanspruchnahmebiblischer Texte betont werden.

Jeder historisch arbeitende Wissenschaftlerträgt seine Interessen und Fragestellungen in denForschungsgegenstand hinein und konstruiert ihndamit neu. Diese Konstruktion ist dann anhand derQuellen zu überprüfen.

Für die Archäologie gilt dasselbe. Ein Archäolo-gischer Fund ist niemals aus den Trümmern freige-legte Wahrheit, sondern muss in jedem Fall interpre-tiert werden. Die Interpretation, die Funde und dieVoraussetzungen sind offen zu legen und könnensomit diskutiert werden. Der Fund wird zumarchäologischen Befund erst durch eine nachkon-trollierbare Dokumentation. Archäologie ist somitnicht nur eine kontrollierende Wissenschaft (inBezug auf den Bibeltext), sondern vor allem einekontrollierbare Wissenschaft.

Alte und Neue Archäologie

Die ersten Pioniere einer "Biblischen Archäologie"bereisten - um ein viel gebrauchtes Bild zu verwen-den - das Heilige Land mit der Bibel in der einen

Das Bild zeigt eine stufenförmige Stützkonstruktion in der Davidstadt. Es ist umstritten, ob sie in das 10. oder 9. Jahr-hundert vor Christus zu datieren ist. Ansonsten finden sich dort Reste aus dem 78. bis 76. Jahrhundert vor Christus unddann erst wieder aus dem 8. bis 6. Jahrhundert vor Christus.

Hand und mit dem Spaten in der anderen. In dieserPhase (die in fundamentalistischen Kreisen nochimmer andauert) versuchte man, die Wahrheit derbiblischen Überlieferungen mit den Mitteln dernoch jungen archäologischen Wissenschaft zubeweisen.

Daraus ergab sich für die Zukunft ein erhebli-ches hausgemachtes Problem: Wenn die Archäolo-gie zur positiven Kontrollinstanz wird, muss sie dieBeweislast auch wirklich tragen können, sonst wirdsie zusehends auch zur negativen Kontrollinstanz.Wer also mit der Archäologie die historische Wahr-heit der biblischen Botschaft beweisen will, musssich auch gefallen lassen, dass man den histori-schen Wahrheitsgehalt eines biblischen Textes mitarchäologischen Argumenten anzweifelt.

Dies ist bereits recht früh (im 20. Jahrhundert)geschehen und wurde befördert durch die Verfeine-rung der Grabungstechniken, die es nun erlaubte,ältere Ergebnisse mit der neuen Technik zu überprü-fen. Solchen Grabungen (etwa die Ausgrabungenvon Kathleen Kenyon in Jericho und Jerusalem)wurden häufig antizionistische oder religionskriti-sche Motive vorgeworfen. Bereits in dieser Phasebröckelten die Gewissheiten der "Offenbarungs-theologie" erheblich.

• Dass niemand ernsthaft auf die Idee kam, dieGeschichten von Adam und Eva, Kain undAbel für historische Darstellungen zu halten,muss nicht weiter begründet werden.

• Anders sah dies schon mit den Patriarchen-erzählungen aus, die bekanntlich nicht mitNamens- und Ortsangaben geizen. Schon frühfielen den Auslegern hier aber Anachronismenauf, die eher in das 7. Jahrhundert weisen alsin die mittlere Bronzezeit (domestizierte Kame-le, Chaldäer, Philister). Auch archäologischpassen die mittelbronzezeitliche Stadtkulturund das (im 19. Jahrhundert romantisch ver-klärte) Nomadenturn der Patriarchen nichtzusammen. Ehrlicherweise muss man sagen,dass archäologisch bei diesen Familienge-schichten an identifizierbaren Hinterlassen-schaften auch nicht viel zu erwarten ist.

• Die Exodusgeschichte und die darauf folgendeWüstenzeit könnten erheblich mehr histori-sches Potenzial bieten, aber auch hier fällt dasUrteil negativ aus. Außerhalb des Alten Testa-ments erwähnt keine zeitgenössische Quelleden Auszug eines erheblichen Teils der Bevöl-kerung Ägyptens. Es gibt weder Spuren einerPräsenz der Hebräer in Ägypten, noch archäo-

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Sechskammertor von Hazor, das von Yadin mit Sa/omo in Verbindung gebracht wird, von Finke/stein in die ZeitAhabs datiert wird.

logische Hinterlassenschaften aus dem Kontextder Wüstenwanderung. Auch die Zahl derbefreiten Israeliten bereitet Probleme. Konnteein solcher Exodus unbemerkt bleiben? DerVerlust einer solchen Menge Arbeiter hättedoch weit reichende Folgen haben müssen. Sowird meist angenommen, dass ein Auszug nureinen kleinen Teil des Stammes bündnisses desspäteren Israel betraf, der dieses Erlebnis dannals zentrale Befreiungserfahrung im kollektivenGedächtnis implantiert hat. Manche Forschervermuten auch mehrere kleine Gruppen, dieaus Ägypten eingewandert sind. Die Einwande-rung eines ganzen Volkes als einheitliche ethni-sche Größe ist historisch nicht wahrscheinlich.Die so genannte Landnahme ist ein regional zudifferenzierendes Phänomen, das hauptsäch-lich im Land Kanaan stattfand und nicht alsErgebnis von Einwanderungen. Dies habenarchäologische Untersuchungen deutlichgezeigt.

Im Blickpunkt der aktuellen Diskussion steht dasdavidisch-salomonische Königtum. Anders als derbiblische Text vermuten lässt, sind aus archäologi-scher Perspektive staatliche Strukturen nicht er-kennbar. Selbst über die Historizität Davids undSalomos ließe sich streiten.

Die Erwähnung des in Tell Dan gefundenenInschriftenfragments belegt nicht mehr als die Exis-tenz einer davidischen Dynastie in Juda währendder Zeit der getrennten Reiche. Das Fehlen öffentli-cher Gebäude in Jerusalem aus dieser Zeit lässt dieAnnahme eines davidisch-salomonischen Großrei-ches eigentlich nicht zu.

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Allerdings ist auch nachzufragen, was man indieser Zeit an staatlichen Strukturen zu erwartenhat. Die Diskussion um mögliche davidische Gebäu-dereste (angestoßen durch die Arbeiten der israeli-schen Archäologin Eliat Mazar) ist noch offen. Füreine generelle Neubewertung reichen die alsDavidspalast interpretierten Architekturfragmentenicht aus.

Betrachtet man diese Entwicklung rückblickendaus forschungsgeschichtlichem Interesse, erkenntman ebenfalls eine Verjüngungskur wie auf derTextebene. Allerdings ist eine weitere Verjüngungwohl ausgeschlossen.

Wann beginnt die Geschichte Isra-els?

In seinem berühmten Artikel "Deconstructing theWalls of Jericho" (in der Zeitschrift "Ha'aretz"1999) hat der israelische Archäologe Zeev Herzogden Forschungsstand der späten 1990er Jahre präzi-se zusammengefasst:"Die Israeliten waren nie in Ägypten, wandertennicht durch die Wüste, eroberten das Land nicht ineiner Militäraktion und teilten es nicht unter den 12Stämmen Israels auf. Wahrscheinlich ist aber dieTatsache, dass die vereinigte Monarchie Davids undSalomos, die in der Bibel als Regionalmacht geschil-dert wird, nur ein kleines Stammeskönigtum war,noch härter zu schlucken. Und sicher wird es fürviele ein unangenehmer Schlag sein, zu erfahren,dass der Gott Israels, Jahwe, eine weibliche Partne-rin hatte und dass die frühe israelitische Religion

den Monotheismus erst annahm, als das Königtumim Niedergang begriffen war - und nicht am BergSinai. Die meisten, die in den ineinander greifen-den Bereichen der Bibel, der Archäologie und derGeschichte des jüdischen Volkes arbeiten - und dieeinmal ausgezogen sind, um im Land Beweise zufinden, die die biblische Geschichte bestätigen - ,stimmen heute darin iiberein, dass die historischenEreignisse, die die Entwicklungsschritte des jüdi-schen Volkes kennzeichnen, völlig verschieden vondem sind, was die Bibel wiedergibt."

Diese - kontrovers diskutierte - Position ist abernicht einfach als minimalistisch zu kennzeichnen.Sie geht vielmehr realistisch und nüchtern vomarchäologischen Befund aus. Dabei bleibt natürlichoffen, was die weiteren Grabungsaktivitäten ansLicht bringen. Archäologische Ergebnisse erlaubennatürlich nur eine Momentbeschreibung, die sichdurch weitere Arbeit verändern lässt.

Umstritten bleibt das Verhältnis von Bibel undArchäologie. Hier ist die Kontroverse der israeli-schen Archäologen Israel Finkelstein und AmihaiMazar mehr als aufschlussreich: Mazar geht vombiblischen Text als ernst zu nehmender historischerQuelle aus, während Finkelstein diese Vorausset-zung zunächst kritisch hinterfragt.

Finkelstein untersuchte gewissermaßen mitdem archäologischen Seziermesser die mithilfe derBibel historisch konstruierte Darstellung derGeschichte Israels. Dabei versuchte er unabhängigvom biblischen Text ein Bild des alten Israels zuzeichnen, das auf den Ergebnissen der Archäologiebasiert.

Die Ergebnisse seiner Arbeit verweisen die Wis-senschaft wieder zurück zum biblischen Text undverstärken noch die Frage nach der Motivation derVerfasser: Den Geist welcher Zeit atmen die bibli-esehen Texte? Seine Arbeiten führen ihn dabei vorallem ins 7. Jahrhundert v. Chr.

Der Einspruch Mazars bleibt ein wichtiges Kor-rektiv, denn Geschichte Israels ohne Bibel wäre einaussichtsloses Unterfangen - das sieht auch Finkel-stein so. Die groben historischen Abläufe, vor allemdie historische Reihenfolge der auf die Entwicklun-gen in Israel einwirkenden Fremdvölker und Groß-mächte, werden in den biblischen Texten korrektwiedergegeben.

Daher ist kaum anzunehmen, dass es sich beiden biblischen Texten insgesamt um historische Fik-tionen handelt. Auch wenn in der Darstellung Ten-denzen und Deutungen erkennbar sind, die denGeist einer späteren Zeit repräsentieren, und sich

Theologische Werkstatt

einige Texte als legendarisch erweisen lassen, ist eswenig wahrscheinlich, dass die Darstellung ohneVerwertung damals verfügbarer Quellen ausgekom-men ist.

Versuchen wir eine vorsichtige und vorläufigeAntwort auf die Ausgangsfrage "Wann beginnt dieGeschichte Israels?" zu formulieren: Zur Zeit Davids(etwa l.000-961 v. Chr.) kommt es zunächst zueiner Stärkung der tribaIen Strukturen (12 StämmeIsraels, Kleinkönigtümer), eine allgemeine Reurba-nisierung beginnt erst im neunten Jahrhundert v.Chr. Aus der eisenzeitlichen Dorfkultur entsteht einSystem von Kleinkönigtümern, das sich deutlichvon den kanaanäischen Stadtstaaten der mittlerenund späten Bronzezeit unterscheidet.

Mit David betreten wir überhaupt erst festenhistorischen Boden. Allerdings ist der Boden garnicht so fest, wie ihn die biblischen Texte erschei-nen lassen. Öffentliche Gebäude lassen sich fürdiese Zeit nicht nachweisen, und auch Davids Jeru-salem ist mit seinen vier Hektar und etwa l.000 Ein-wohnern nicht unbedingt das, was man für dieHauptstadt eines davidischen Großreichs erwartenwürde.

Auch die Pracht der Herrschaft Salomos exis-tiert bislang nur in der Textwelt des Alten Testa-ments. Ein wichtiger religionsgeschichtlicher Ein-schnitt ist der Bau des Tempels von Jerusalem unterSalomo. Dadurch erhält die spätere jüdische Religi-on ein imposantes Zentrum. Vom ursprünglichen

Das aus Lehmziegeln gebaute Stadttor ist ein eindrucksvolles Bei-spielfür die mittelbronzezeitliche Stadtkultur, von der in den Väter-geschichten der Genesis nichts zu bemerken ist.

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Theologische Werkstatt

salomonischen Tempel ist allerdings nichts erhalten,sodass vielleicht auch seine Gründungsphase in dasReich der Literatur gehört.

Auf sicherem historischem Boden bewegen wiruns ab dem neunten Jahrhundert v. Chr. Die Sphä-ren der Textwelt und der materialen Kultur nähernsich immer stärker an und ermöglichen es uns, einplausibles Bild der damaligen Zeit zu rekonstruieren.

Zwischen Salomo (961-926 v. Chr.) und demsicheren historischen Boden ist allerdings viel pas-siert. Nach seinem Tod (926 v. Chr.) und den darauffolgenden Nachfolgestreitigkeiten teilt sich dasReich in eine große Nord- und eine kleine Südhälfte(Israel und Juda). Das vereinigte Reich (unter Davidund Salomo) bleibt also eine Episode. Salomos SohnRehabeam fehlt das politische Geschick, um dieGegensätze zwischen den nördlichen Stämmen undJerusalem ausgleichen zu können.

Das Nordreich Israel bietet zunächst die interes-santere Geschichte. Dies ist angesichts seiner geopo-litschen Lage kaum verwunderlich. Anders als dasabgelegene und strategisch unbedeutende Jerusa-lern, liegt das Territorium der Nordstämme im Ein-flussbereich der phönizischen Städte, des Aramäer-reiches und der Großmächte des Zweistromlandes.Mit diesen Nachbarn muss man sich arrangieren,Isolation wäre ein kapitaler Fehler.

Literatu r

Finkelstein, I./ Silberman, N.A.:"Keine Posaunen vor Jericho.Die archäologische Wahrheit über die Bibel",München2002.Finkelstein, I./ Silberman, N.A.:"David und Salomo. Archäo-logen entschlüsseln einen Mythos", München 2006.Herzog, Z.:"Die Mauern Jerichos zerlegen" (1999), in: Kuh-nen / Zwickel, "Archäologie im Heiligen Land",101-112.Keel,0.: "Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung desMonotheismus" [zßde] (OLBIV,2)Göttingen 2007-Kuhnen, H.-P./ Zwickel, W. (Hrg.): "Archäologie im HeiligenLand. 60 Jahre Gründung des modernen Staates Israel"(KAANT8), Kamen 2009.Zwickel,w.: "Das Heilige Land. Geschichte und Archäologie",München 2009.Zwickel,W.:"60 Jahre Israel aus dem Blickwinkel eines deut-schen Archäologen", in: Kuhnen / Zwickel, "Archäologie imHeiligen Land", 9-31.

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Mit Jerobeam betritt im Nordreich ein fähigerHerrscher die Bühne, dem es gelingt die Stämme zueinigen und sich gegen den Süden durchzusetzen.Er verschafft in seiner mehr als zwanzigjährigenRegierungszeit dem Nordreich erste staatlicheStrukturen sowie mit Dan und Bet-EI an der Nord-und Südgrenze seines Reiches zwei Heiligtümer, diefür die eigene Bevölkerung den Tempel in Jerusalemersetzen sollen. Eine Hauptstadt lässt er jedochnicht errichten. Wir erfahren lediglich von Residen-zen in Sichern, Penuel und Tirza.

Nach einer etwas wirren Übergangsphase nachdem Tod Jerobeams mit kurzen Regierungszeitenkommt im Norden eine neue Dynastie an die Macht.Ihr Begründer heißt Omri (885-874 v. Chr.) undwählt Samaria als Hauptstadt seines Reiches. UnterOmri und seinen Nachfolgern wird Israel zu einemwichtigen Machtfaktor in der Region, der auch vonder damaligen Großmacht, den Assyrern, ernstgenommen wird.

Jetzt kommt es zu einer Blütezeit, während derüberall im Nordreich Städte mit repräsentativenBauten entstehen. In diesem Kontext entwickelnsich feste staatliche Strukturen mit Verwaltungsap-parat, Beamtenturn und Handelsbeziehungen zuden Nachbarstaaten.

Die Herrscher der Omriden-Dynastie werdenauch außerhalb der Bibel erwähnt, zum Beispiel inassyrischen Quellen, auf der Mescha-Stele und derInschrift von Tell Dan. Aus der assyrischen Außen-perspektive erscheint Israel unter Omri als neuge-gründeter Staat. Die assyrischen Quellen reden vonIsrael als "Haus Omri" oder "Land Ornri" - selbstnoch nach dem Untergang Israels. Dass die Dynastieder Omriden in ihrer Zeit ein ernstzunehmenderMachtfaktor ist, erkennt man auch an der Ausdeh-nung des Reiches: Galiläa sowie die Jesreel- und dieBet-Schean-Ebene werden zeitweise von Israel kon-trolliert.

Ausgerechnet die in der Bibel so verhassteOmri-Dynastie ist der beste Kandidat für den Beginnder Geschichte Israels. Heilsgeschichtlich verortetdie Bibel hier die zentralen Gefährungen für dieLebensweise des Bundesvolkes wie Vielgötterei undDezentralisation der JHWH-Religion.

Die Religionspolitik der politisch erfolgreichenOmriden eignet sich daher auch als Gegenstand füreine deutende Geschichtsschreibung aus der Per-spektive des Exils, die die prophetische Kritik auf-nimmt und als Bewertungsmaßstab anwendet. •