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Die Entstehung der Hieroglyphen The Origin of Hieroglyphics Von Günter Dreyer Schlüsselwörter: Schrift; vordynastisch; Ägypten; Hieroglyphen; Abydos Keywords: Script; predynastic; Egypt; Hieroglyphics; Abydos Zusammenfassung: Das 1988 in Abydos / Umrn el-Qaab, dem ältesten Königsfriedhof Ägyptens, entdeckte Grab U-j, eines um 3200 v. Chr. anzusetzenden prädynastischen Herr- schers, bildet eine der größten Überraschungen der ägyptischen Archäologie der letzten Jahre. Seine Architektur und die trotz intensiver Beraubung noch enthaltenen Beigaben, ins- besondere seine frühen Schriftzeugnisse, werfen ein völlig neues Licht auf den schon 200 Jahre vor Beginn der 1. Dynastie erreichten Entwicklungsstand und die Vorstufen der alt- ägyptischen Hochkultur. Etwa 100 Tintenaufschriften ägyptischer Tongefäße und 160 Anhängetäfelchen mit einge- ritzten Zeichen und Zahlen belegen – 150 Jahre vor dem frühesten bisher bekannten – eine bereits weitentwickelte Hieroglyphenschrift. Meist sind es Herkunftsvermerke mit der Angabe von Wirtschaftsgütern, Orten und verschiedenen Institutionen, die eine schon sehr komplexe Verwaltungsstruktur erkennen lassen. Im Vergleich mit diesen Inschriften aus U-j lassen sich vereinzelte Gefäßaufschriften und Siegelabrollungen noch früherer Zeit nun ebenfalls als phonetische Schrift bestimmen, die damit erstmals um 3400 v. Chr. nachgewiesen ist. Abstract: In 1988 in the oldest Egyptian Royal Cemetery at Abydos / Umrn el-Qaab the tomb U-j, a predynastic ruler’s tomb from around 3200 BC, was discovered. It presented one of the largest surprises in Egyptian Archaeology in the last years. It’s architecture and, in spite of intensive pilferage, the still present grave goods, particularly the early written evidence, throw a completely new light on the level of development already reached 200 years before the beginning of the 1 st dynasty and precursor of Ancient Egyptian Civilization. Approxi- mately 100 ink inscriptions on Egyptian pottery vessels and 160 label tags, incised with characters and numbers, substantiate that an already widely developed hieroglyphic script existed 150 years before the until now earliest known. The contents are mostly notes of origin, with details about commodities, places and various institutions, which show a very complex administrative structure. By comparison with these inscriptions from tomb U-j, other isolated vessel inscriptions and seal roll impressions from even earlier periods can now also be identified as phonetic script, which is therefore verified for the first time to about 3400 BC. Die Kunde N. F. 61, 2010, S. 209 –216 209 17. Dreyer 209-216.qxp:GAERTNER-WUESTUNGEN.QXD 11.06.2012 12:24 Uhr Seite 209

Die Entstehung der Hieroglyphen, Die Kunde N.F. 61, 2010

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Die Entstehung der Hieroglyphen

The Origin of Hieroglyphics

Von Günter Dreyer

Schlüsselwörter: Schrift; vordynastisch; Ägypten; Hieroglyphen; Abydos

Keywords: Script; predynastic; Egypt; Hieroglyphics; Abydos

Zusammenfassung: Das 1988 in Abydos / Umrn el-Qaab, dem ältesten KönigsfriedhofÄgyptens, entdeckte Grab U-j, eines um 3200 v. Chr. anzusetzenden prädynastischen Herr-schers, bildet eine der größten Überraschungen der ägyptischen Archäologie der letztenJahre. Seine Architektur und die trotz intensiver Beraubung noch enthaltenen Beigaben, ins-besondere seine frühen Schriftzeugnisse, werfen ein völlig neues Licht auf den schon 200Jahre vor Beginn der 1. Dynastie erreichten Entwicklungsstand und die Vorstufen der alt-ägyptischen Hochkultur.Etwa 100 Tintenaufschriften ägyptischer Tongefäße und 160 Anhängetäfelchen mit einge-ritzten Zeichen und Zahlen belegen – 150 Jahre vor dem frühesten bisher bekannten – einebereits weitentwickelte Hieroglyphenschrift. Meist sind es Herkunftsvermerke mit der AngabevonWirtschaftsgütern, Orten und verschiedenen Institutionen, die eine schon sehr komplexeVerwaltungsstruktur erkennen lassen. Im Vergleich mit diesen Inschriften aus U-j lassensich vereinzelte Gefäßaufschriften und Siegelabrollungen noch früherer Zeit nun ebenfallsals phonetische Schrift bestimmen, die damit erstmals um 3400 v. Chr. nachgewiesen ist.

Abstract: In 1988 in the oldest Egyptian Royal Cemetery at Abydos / Umrn el-Qaab the tombU-j, a predynastic ruler’s tomb from around 3200 BC, was discovered. It presented one ofthe largest surprises in Egyptian Archaeology in the last years. It’s architecture and, in spiteof intensive pilferage, the still present grave goods, particularly the early written evidence,throw a completely new light on the level of development already reached 200 years beforethe beginning of the 1st dynasty and precursor of Ancient Egyptian Civilization. Approxi-mately 100 ink inscriptions on Egyptian pottery vessels and 160 label tags, incised withcharacters and numbers, substantiate that an already widely developed hieroglyphic scriptexisted 150 years before the until now earliest known. The contents are mostly notes oforigin, with details about commodities, places and various institutions, which show a verycomplex administrative structure. By comparison with these inscriptions from tomb U-j,other isolated vessel inscriptions and seal roll impressions from even earlier periods cannow also be identified as phonetic script, which is therefore verified for the first time toabout 3400 BC.

Die Kunde N. F. 61, 2010, S. 209–216

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Frühe Sch r i f t z eugn i s s e

Die wichtigste Quelle für die Entwicklung der Schrift in prädynastischer Zeit bilden die Fundeaus dem Grab U-j, insgesamt etwa 125 Tongefäße bzw. Fragmente mit Tintenaufschriften undca. 160 kleine Anhängetäfelchen aus Knochen oder Elfenbein mit eingeritzten Zeichen.

Die Tintenaufschriften finden sich ausschließlich auf sog. Wellenhenkelgefäßen, die Öloder Fett enthielten (Abb. 1a). Sie bestehen jeweils aus ein bis zwei großformatigen Zeichenund zwar zumeist einem Baum bzw. einer Pflanze und einem Tier (Skorpion, Fisch, Finger-schnecke, Abb. 1b-c). Den Schlüssel zu ihremVerständnis bietet die Überlegung, dass es sichdabei sinnvollerweise nur umAngaben zum Inhalt der Gefäße, ihrer Herkunft oder Bestim-mung (Adressat/Eigentümer) handeln kann. Da die Gefäße alle die gleiche Substanz ent-hielten, können sich unterschiedlicheAufschriften aber kaum auf den Inhalt beziehen, ebensounwahrscheinlich sind bei gleichem Fundort verschiedene Adressaten bzw. Eigentümer.Auch aufgrund von Parallelen aus späterer Zeit bietet dagegen eine Erklärung als Her-kunftsvermerke von Wirtschaftsgütern (Baum = Plantage), die von verschiedenen Königen(Tier = Königsname) gegründet und nach ihnen benannt wurden, keine Probleme. Das beiweitem am häufigsten vorkommende Gut, die „Plantage des Skorpion“ wurde sicherlichvom Grabherrn, König Skorpion I, selbst gegründet und lieferte die Hauptmenge der Bei-gaben, während von noch existierendenWirtschaftsanlagen seiner Vorgänger (Fingerschne-cke, Fisch, Elephant, Canide u. a.) nur geringere Mengen stammen.

Abb. 1a-dWellenhenkelgefäße mit Tintenaufschriften.

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In ähnlicher Weise ist eine andere Zeichengruppe zu verstehen, die einen Skorpion übereinem mehrfach unterteilten Rechteck zeigt (Abb. 1d), das sehr wahrscheinlich bewässertesAckerland darstellt. Es handelt sich dabei aber nicht um irgendein Landgut, sondern – wieaus später belegten Bezeichnungen hervorgeht – die Residenz des Königs, die primär eben-falls eine Wirtschaftsanlage war. Dieses Zeichen kommt sonst nur noch auf den Täfelchenzusammen mit einem Falken vor. Daraus lässt sich erschließen, dass der Nachfolger Skor-pion I. den Namen Falke trug, da Lieferungen aus der Königsresidenz nur vom Grabherrnselbst bzw. seinemNachfolger stammen können, der zur Zeit der Bestattung ja schon imAmtwar und für die Ausstattung des Grabes Sorge trug.

Die zumeist nur 1,5cm x 2,0cm großen Täfelchen wurden überwiegend in der südwest-lichen Kammer des Grabes gefunden, die als einzige keine Keramik enthielt sondern zurAuf-nahme von besonderen Beigaben in Zedernholzkisten und anderen Behältern, wie z. B. Beu-teln oder Steingefäßen diente. Sie weisen stets eine kleine Durchbohrung auf und warenoffenbar als Etiketten an den Behältern bzw. einzelnen Objekten befestigt.

Auf einer ganzen Reihe sind nur Zahlen vermerkt, die wahrscheinlich Stoffgrößen undGetreidemengen angeben (Abb. 2a).Auf anderen kommt wie bei den Gefäßaufschriften ver-schiedentlich die Zeichengruppe Baum/Pflanze + Tier (Elephant, Canide) vor, die sich alsHerkunftsangabe von Plantagen weiterer Vorgänger des Skorpion, der Könige Elephant undCanide, erklären lässt.

Dass unter den Inschriften tatsächlich Ortsangaben sind, beweisen zudem einige Exem-plare mit Zeichen, die andernorts sicher als Ortsnamen zu identifizieren sind, z. B. Täfelchenmit zwei Ringern wie sie als Bezeichnung einer der Städte auf der Städtepalette belegt sind.

Allerdings ließen sich all diese Vermerke auch noch als Piktogramme oder Symbole er-klären, die zwar verständlich und aussagekräftig aber nicht unbedingt phonetisch lesbar sind.In dieser Hinsicht aufschlussreich sind einige Täfelchen, die einen Storch und einen Stuhlzeigen (Abb. 2b) und nur mit den aus späterer Zeit bekannten Lautwerten für die jeweiligenHieroglyphen einen Sinn ergeben: Storch = ba, Stuhl = st zusammen Bast, eine auch imAl-ten Reich für die Stadt Basta im Delta belegte Schreibung. Hier ist zudem schon die für Hie-roglyphen typische Ausrichtung der Zeichen zum Anfang hin festzustellen und bei unter-schiedlicher Zeichenfolge von links nach rechts bzw. rechts nach links der Storch dem Stuhlvorangestellt.

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Abb. 2a-cTäfelchen mit Zahlen und Herkunftsvermerken.

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Eindeutig phonetische Schreibungen liegen auch auf einigen Täfelchen vor, auf deneneine Schlange über Bergspitzen und links daneben ein sichelförmiges Zeichen mit einer ge-zackten Linie darunter eingeritzt sind (Abb. 2c links). Die Schlange und die Bergspitzensind als Hieroglyphen bekannt, die Schlange hat den Lautwert dsch, die Berge heißen dschu.Die Schlange ist nur eine Lesehilfe, die den ersten Konsonanten des Wortes für Berge an-gibt. Sie müsste nicht dastehen und tatsächlich ist sie bei verschiedenen Exemplaren auchweggelassen. Der Bogen mit der Zackenlinie entspricht der späteren Hieroglyphe „gereh“für Nacht/Dunkelheit, er soll wahrscheinlich das Himmelsgewölbe mit einem Blitz dar-stellen. Dementsprechend ist auf dem Täfelchen „dschu–gereh = Berge der Dunkelheit“ zulesen. Dass dieseAnnahme richtig ist, ergibt sich aus der genau gegenteiligen Bedeutung desSchopfibis auf anderen Täfelchen (Abb. 2c rechts) „jahu = Sonnenglanz/Helligkeit“. Dortwerden die Berge des Sonnenglanzes genannt. Gemeint sind sicherlich Osten und Westen,wo die Sonne aufgeht, bzw. untergeht und es dunkel wird. Die Täfelchen lassen sich also alsHerkunftsangaben von Waren erklären, die von Verwaltungseinheiten auf dem Ost- undWestufer geliefert wurden.

Im Vergleich mit diesen Täfelchen lassen sichnoch wesentlich frühere Tintenvermerke auf Tonge-fäßen aus Gräbern der Stufe Naqada IId ebenfalls alsSchrift identifizieren. Darauf ist zwar lediglich dieHimmelshieroglyphe mit Blitz vermerkt (Abb. 3), eshandelt sich dabei aber zweifellos nur um eine Kurz-form der ausführlicherenAngabe fürWesten, die denzuständigen Verwaltungsbeamten sicher ohne wei-teres verständlich war.

Als bislang älteste Schriftzeugnisse sind einigeSiegelabrollungen anzusehen, die in die Stufe Na-qada IIc bzw. IId datieren (Abb. 4a-b). Neben einemBaum ist darauf ein Holz-Mattengebäude mit Göt-terzeichen, d. h. ein Heiligtum, dargestellt und da-neben drei oder vier Fische. Die Gruppe Baum +Heiligtum lässt sich entsprechend den Gefäßauf-schriften aus Grab U-j als Herkunftsangabe von ei-nem zu einem Tempel gehörenden Gut verstehen.Die Fische ergeben aber nur einen Sinn als phoneti-sche (auch unter Aha belegte) Schreibung für dasWort inu = Lieferung, die möglich ist, da Fisch (Sin-gular in) im Plural lautgleich inu heißt.

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Abb. 3Gefäß mit Herkunftsvermerk ‚Westen’

Naqada IId.

Abb. 4a-bSiegelabrollungen mit Herkunftsvermerken, Naqada IIc-d.

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Gemeinsam ist diesen Inschriften auf Siegelabrollungen, Tongefäßen und kleinen An-hängetäfelchen, dass es sich dabei nur um kurze Vermerke handelt, mit denen die Herkunftvon Lieferungen von verschiedenen Orten bzw. Wirtschaftsanlagen, kontrollierende Ver-waltungseinrichtungen undmanchmal auchMengen angegeben werden. Ganz offensichtlichdienten sie der Erfassung und Kontrolle vonWarenströmen und sehr wahrscheinlich wurdedie Schrift ursprünglich nur für Zwecke der Verwaltung undWirtschaftsorganisation entwi-ckelt und lange fast ausschließlich dafür benutzt.

Anlass für die Schriftentwicklung dürften zunehmende Organisationsprobleme gewesensein, als mit der Ausweitung zunächst begrenzter Herrschaftsgebiete die Produktion undVerteilung vonWirtschaftgütern immer größeren Umfang annahm und sich nicht mehr ohneweiteres überschauen ließ. Anfangs scheint es genügt zu haben festzuhalten, woher und inwelchen Mengen Produkte geliefert wurden. Dabei dürfte auch das Bedürfnis nach Quali-tätskontrolle bzw.Verantwortungszuweisung eine Rolle gespielt haben, GefäßverschlüssemitSiegelabrollungen gehören daher zu den wichtigsten Schriftträgern.

Zur einfachen Kennzeichnungmögen zunächst Symbole genügt haben, die assoziativ aufbestimmte Ortsnamen, topographische Gegebenheiten oder Institutionen schließen ließen.Bei den Zeichen konnte man zumindest teilweise auf die schon von der dekorierten Kera-mik seit der Naqada I–Zeit her vertrauten einfachen Bildzeichen zurückgreifen, wie z. B.Menschen- und Tierdarstellungen, Pflanzen, Götterembleme, Berge und bewässertes Landetc., die ohne weiteres verständlich waren. Mit zunehmenden Anforderungen für immermehr Namen, Orte, Wirtschaftseinrichtungen und Verwaltungseinheiten war aber ein allge-mein anwendbares System erforderlich, das es erlaubte eine große Menge von verschieden-artigen Bezeichnungen auszudrücken. Dafür wurde offenbar schon sehr bald auch das Re-bus-Prinzip wie in der oben angeführten Schreibung von inu ‘Abgaben’angewandt, nach demZeichen auch für ähnlich lautende Begriffe benutzt werden können. Mit diesem entschei-denden Schritt waren die Grundlagen für ein ständig verfeinertes Schriftsystem gegeben.

In Abgabenvermerken der letzten vordynastischen Könige werden in Tinteninschriftenauf zylindrischen Ölgefäßen neben demKönigsnamen und der Herkunft aus Ober- oder Un-terägypten (Abb. 5) schon unterschiedliche Güteklassen vonÖl vermerkt. Die Ölqualität wird manchmal durch Spezial-bezeichnungen, zumeist aber einen bzw. drei horizontaleStriche unter dem Horusnamen oder ein Löwenvorderteil(hat) bzw. Hinterteil (peh) angezeigt, d. h. Öl das amAnfangbzw. Ende der Pressung der (Lein-)ölsamen anfiel. Eine wei-tere Qualitätsstufe whm (Wiederholung) bezieht sich wohlauf einemindere Qualität, das erst bei nochmaliger Pressunggewonnen wurde.

Seit Narmer werden Lieferungen auf größeren Täfel-chen, den sog. Jahrestäfelchen, genauer spezifiziert unddurch dieAngabe von Jahresnamen, die Ereignisse des betr.Jahres nennen, datiert. Das Verfahren Jahre nach Ereignis-sen zu benennen, ist nicht auf Ägypten beschränkt, es istwird u. a. auch in Mesopotamien im 3. Jt. benutzt. Ver-gleichbar ist die Kennzeichnung der Jahre nach amtierendenKonsuln oderMagistraten in Rom und griechischen Städtenund letztlich auch die durchlaufenden Jahreszählungen ver-schiedener Ären, denen ein fiktives oder konkretes Ereignisals Fixpunkt zugrunde liegt, wie die Erschaffung der Welt,die Gründung von Rom, Christi Geburt oder die Flucht desPropheten Mohammed.

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Abb. 5Gefäßfragment mit Abgaben-vermerk von Unterägypten(Papyruspflanzen) des Horus

‚Ka’.

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Das erste Exemplar eines solchen Jahrestäfelchens des Narmer wurde 1996 beimDurch-sieben der Halden südlich der Nebengräber desAha gefunden. Es ist aus Elfenbein, die sorg-fältig eingeritzte Inschrift weist noch Reste von schwarzer Farbpaste auf (Abb. 6).

Unter der Durchbohrung steht rechts im oberen Abschnitt der Horusname des KönigsNarmer (Horusfalke auf Palastfassade, darin der Name: Wels nar + Meißel mer =Narmer).Das Jahresereignis wird links davon durch den aktiven Königsnamen angezeigt: derWels mitArmen schwingt eine Keule und packt einen stürzenden Feind am Papyruspflanzen-Schopf.

Die Hieroglyphe des besiegten Feindes wäre allein durch ihre Bildhaftigkeit schon ver-ständlich. Wie die Papyruspflanzen zeigen, handelt sich um die Unterwerfung von Bewoh-nern des Deltas. Dicht neben dem Kopf ist aber noch ein Beizeichen, ein kleines Gefäß mitdem Lautwert nu als phonetisches Komplement (Lesehilfe), das es ermöglicht, die Darstel-lung des Feindes auch als Schriftzeichen tehenu zu lesen. So werden später die Libyer be-zeichnet, die zu dieser Zeit vermutlich noch im westlichen Delta ansässig waren.

Links vomMeißel des Königsnamens steht eine Falkenstandarte, wohl stellvertretend füreinen Aufzug von Standarten(trägern), der aus dem weiter links noch teilweise erhaltenenPalast kommt, über dem ein schützender Geier schwebt. Diese Zeichen lassen sich zwar nichtphonetisch lesen, aber als Siegesfeierlichkeiten deuten. Das Namen gebende Geschehen desJahres, das ganz ähnlich auch auf der berühmten Prunkpalette des Narmer dargestellt ist, war

also: „Narmer unterwirft die tehenu-Leuteund Siegesfeier“.

In der unteren Zeile ist das Öl und dieMenge genannt: hat (Spitzenqualität) 300,dahinter war wahrscheinlich die Herkunftder Lieferung angegeben.

Im Laufe der 1. Dynastie erfordertedieVerwaltung offenbar noch zusätzlicheAngaben, in den Jahresnamen werden oftmehrere Ereignisse aufgeführt und zudemdie für die Produktion oder Lieferung derGüter zuständigen Beamten genannt.

Auf einem Täfelchen, das zu einerFleischlieferung gehörte, sind im Jahres-namen (rechte Spalte) als Ereignisse meh-

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Abb. 6Jahrestäfelchen des Narmer.

Abb. 7Jahrestäfelchen des Dewen.

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rere Ritualhandlungen aufgezählt (Abb. 7): „Ausfahrt der Reput auf dem See / Speeren desWildstiers im Hain von Buto (3 Bäume), Abwehr (Fesselung) des Feindes.“

Die Ausfahrt der in einer Sänfte dargestellten Göttin Reput in einem Schiff (Schiff aufSee) wird bereits mit dem sog. narrativen Infinitiv geschrieben, mit dem Handlungen undGeschehnisse ausgedrückt werden, und erstmals wird auch eine Präposition her ‚auf’ (kl.Kopf frontal) rechts neben dem Zeichen für See (kl. Rechteck mit Unterteilung) verwendet.In der linken Spalte steht der Amtsvermerk: Verwalter der Fleischabgaben (Fleisch aufSchlachtblock) über dem sog. Herrinnennamen des Königs.

Rituelle Vorgänge, wie Feste, auch die Gründung von Gebäuden oder die Herstellung vonGötterbildern hatten offenbar das gleiche Gewicht wie Siege und staatliche Unternehmungen.Sie hatten zudem den Vorzug vorhersehbar zu sein und konnten schon bei der Namenvergabezu Beginn eines Jahres verwendet werden. Wiederkehrende Ereignisse innerhalb der Regie-rungszeit eines Königs werden durchgezählt. Auf Tä-felchen des Qa’a, des letzten Herrschers der 1. Dynas-tie werden z. B. die mehrfach durchgeführten Expe-ditionen zur Beschaffung von Holz genannt (Abb. 8a-b).

Auf dem Täfelchen mit farbig ausgemalten Zeichen(Abb. 8a) heißt es:

rechte Spalte Jahresname:(1.) Inspektion der beiden Zimmerleute des Königs vonUnterägypten, (Lieferung) von Akazienholz

Mittelfeld:Horus Qa’a, Baumgarten der Residenz in Sech, Spit-zenqualität adschasch-Öl

linke Spalte Beamter:Leiter der Zimmerleute des Königs von OberägyptenHenuka

Ein späteres Jahr wird ganz ähnlich bezeich-net aber zusätzlich noch ein weiteres Ereignisin den Jahresnamen aufgenommen (Abb. 8b):„6. Inspektion der beiden Zimmerleute desKönigs von Unterägypten, Lieferung vonAkazienholz und Koniferenholz – Abgabenvon Ober- und Unterägypten.“ Dort werdenauch andere Ölsorten und Lieferinstanzen auf-geführt und neben dem schon früher verant-wortlichen Beamten Henuka noch ein weite-rer namens Nfr genannt.

Aus der Zeit nach der 1. Dynastie sindzwar keine Jahrestäfelchenmehr bekannt, Jah-resnamen werden aber auch später noch ver-wendet, z. B. auf Steingefäßen und in Papyri.Man führte sicherlich Listen, in denen die Jah-resbezeichnungen mit der Regierungszeit derKönige vermerkt waren. Eine solche Zusammenstellung findet sich auf dem wichtigstenMonument für die Chronologie der ersten Dynastien, dem sog. Annalenstein, von dem lei-der nur Fragmente erhalten sind (Palermo, Kairo, London).

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Abb. 8a-bJahrestäfelchen des Qa’a.

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In welchem Umfang Schrift in der Frühzeit außerhalb der Verwaltung benutzt wurde, istwegen der spärlichen Quellenlage weitgehend ungewiss. Außer kurzen erläuternden Bei-schriften auf Denkmälern, wie z. B. den Prunkpaletten, kommen in spätvordynastischer Zeitund der 1. Dynastie fast nur Eigennamen, Titel und Institutionen auf verschiedenen Gegen-ständen und Grabstelen vor. Auf jeden Fall ist anzunehmen, dass Schriftkenntnisse aufeinen sehr kleinen Kreis beschränkt waren.

Der früheste, allerdings unbeschriftete Papyrus stammt aus einem Grab der 1. Dynastiein Saqqara, der früheste Beleg für einen vollständigen Satz findet sich erst in der späten2. Dynastie auf dem Siegel eines Beamten des Königs Peribsen (Abb. 9):

„Siegler aller goldenen Dinge – Der Goldene (Gott), er hat die beiden Länder seinemSohn, dem König von Ober- und Unterägypten Peribsen, übergeben.“

Zuerst abgedruckt in:DREYER, Günter; POLZ, Daniel (Hrsg.) 2007: Begegnung mit der Vergangenheit. 100 Jahre in Ägypten.Deutsches Archäologisches Institut Kairo 1907–2007, Mainz 2007, Kapitel 27 S. 211–217.

L i t e r a tu r

DREYER, Günter 1998: Umm el-Qaab I, Das prädynastische Königsgrab U-j und seine frühen Schrift-zeugnisse, AV 86, Mainz 1998.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Günter DreyerPestalozzistraße 88B10625 [email protected]

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Abb. 9Siegelabrollung des Peribsen, 2. Dyn.

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