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Der Beitrag der französischen Kolonien im 1. Weltkrieg Um die beiden Weltkriege voneinander zu unterscheiden, hat der an der Londoner School of Economics lehrende deutsche Militärhistoriker Sönke Neitzel erklärt, dass nur der zweite »wirklich global«, der erste dagegen der letzte einer Reihe eher kon- ventioneller Kriege europäischer Grossmächte des 18. und 19. Jahrhunderts gewesen sei. 1 Keine Frage, zwischen den beiden Kriegen besteht ein gradueller, es besteht aber kein prinzipieller Unterschied: Auch der Krieg von 1914–18 nahm sehr bald globale Di- mensionen an. Das wurde bis vor kurzen kaum wahrgenommen, im letzten grossen Gedenkjahr 1964 ohnehin nicht, aber auch noch nicht zu Beginn der Nullerjahre. 2 Der Einbezug von Menschen aus den Kolonien in den grossen Europäischen Krieg von 14/18 ist inzwischen ein fast populäres ema geworden. Die Aufmerksamkeit diesem ema gegenüber erklärt sich zu einem grossen Teil aus der Problemlage, in der sich die heutigen Gesellschaften und insbesondere Frankreich befinden; sie 1 Sönke Neitzel, Der historische Ort des Ersten Weltkrieges in der Gewaltgeschichte des 20. Jahr- hunderts. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 64. Jg. 14. April 2014. S. 17–23. Zit. S. 17. Unter Berufung auf Bernd Wegner, Vortrag vom 20. Februar 2014, Frankfurt a. M.- Gegenläufig dazu hat im gleichen, hochstehenden Heft Martin Bayer, Berlin, in einem weiteren Beitrag über die internationale Erinnerung wenigstens auf die 600 000 kolonialen Arbeiter und Soldaten hingewiesen und gesagt, dass dieser Aspekt kaum wahrgenommen werde (S. 49). 2 Volker Berghahn (Columbia, New York), Der Erste Weltkrieg. München 2003. Das 4. Kap. »Der erste Weltkrieg ›von unten‹« beschränkte sich auf europäische Heimatfronten. Wohl ernst gemeinter Spass eigener Sorte: mili- tärischer Nachwuchs bei den senegalesischen Schützen (Propagandakarte 14/18, Dok. K. M. Kreis).

Der Beitrag der französischen Kolonien im 1. Weltkrieg

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Der Beitrag der französischen Kolonien im 1. Weltkrieg

Um die beiden Weltkriege voneinander zu unterscheiden, hat der an der Londoner School of Economics lehrende deutsche Militärhistoriker Sönke Neitzel erklärt, dass nur der zweite »wirklich global«, der erste dagegen der letzte einer Reihe eher kon-ventioneller Kriege europäischer Grossmächte des 18. und 19. Jahrhunderts gewesen sei.1 Keine Frage, zwischen den beiden Kriegen besteht ein gradueller, es besteht aber kein prinzipieller Unterschied: Auch der Krieg von 1914–18 nahm sehr bald globale Di-mensionen an. Das wurde bis vor kurzen kaum wahrgenommen, im letzten grossen Gedenkjahr 1964 ohnehin nicht, aber auch noch nicht zu Beginn der Nullerjahre.2

Der Einbezug von Menschen aus den Kolonien in den grossen Europäischen Krieg von 14/18 ist inzwischen ein fast populäres Thema geworden. Die Aufmerksamkeit diesem Thema gegenüber erklärt sich zu einem grossen Teil aus der Problemlage, in der sich die heutigen Gesellschaften und insbesondere Frankreich befinden; sie

1 Sönke Neitzel, Der historische Ort des Ersten Weltkrieges in der Gewaltgeschichte des 20. Jahr-hunderts. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 64. Jg. 14. April 2014. S. 17–23. Zit. S. 17. Unter Berufung auf Bernd Wegner, Vortrag vom 20. Februar 2014, Frankfurt a. M.- Gegenläufig dazu hat im gleichen, hochstehenden Heft Martin Bayer, Berlin, in einem weiteren Beitrag über die internationale Erinnerung wenigstens auf die 600 000 kolonialen Arbeiter und Soldaten hingewiesen und gesagt, dass dieser Aspekt kaum wahrgenommen werde (S. 49).

2 Volker Berghahn (Columbia, New York), Der Erste Weltkrieg. München 2003. Das 4. Kap. »Der erste Weltkrieg ›von unten‹« beschränkte sich auf europäische Heimatfronten.

Wohl ernst gemeinter Spass eigener Sorte: mili-tärischer Nachwuchs bei den senegalesischen Schützen (Propagandakarte 14/18, Dok. K. M. Kreis).

38 ERSTER WELTKRIEG

artikuliert sich vor dem Hintergrund der realen Unterprivilegierung der Immigra-tionsbevölkerung und ihrer Nachfolgegenerationen sowie der fremdenfeindlichen Haltung der rechtsnationalen Kräfte einerseits und anderseits der gegenläufigen Bestrebungen um aufwertende Anerkennung der um Integration bemühten repu-blikanisch gesinnten Kräfte.

Damit die Rekrutierung von Kolonialbevölkerung ein Thema der Gesamtge-schichte und/oder der klassischen Nationalgeschichte wurde, bedurfte es zweier Voraussetzungen: Einerseits brauchte es das wacher werdende Interesse an der Glo-balgeschichte und anderseits die entschiedener werdenden Forderungen der ehe-maligien Kolonien nach Würdigung ihres damaligen Einsatzes.

Worauf wir später nochmals zurückkommen: Die Inszenierung des diesjährigen Quatorze Juillet (2014) wollte dem neuen Trend gerecht werden: Man lud nicht nur ehemalige Kriegsgegner, mit denen man wie wie mit Deutschland jetzt verbündet ist, ein, was keine Premiere gewesen wäre; man lud nun Vertreter aus über 70 Na-tionen ein, die in irgendeiner Form am Ersten Weltkrieg beteiligt waren, also auch die ehemaligen Kolonialangehörigen.3

Die jüngsten Historikerbeiträge ordnen sich da ein. Sie stellen, da man ja stets mit Neuem kommen will, das zu überwindende Aufmerksamkeitsdefizit grösser dar, als es gewesen ist. Sie nehmen – einerseits zu Recht, anderseits etwas dick aufgetra-gen – für sich in Anspruch, endlich eine grosse und auch ungerechte Lücke zu füllen und dabei gegen kollektive Amnesie und allumfassendes Vergessen – »le pan-oublié de l’histoire« – anzukämpfen. Die zur Zeit bezüglich des Ersten Weltkriegs bestehen-de Erinnerungsbereitschaft wird genutzt: »C’est une opportunité pour enfin intégrer l’histoire de ces soldats dans les études dominantes sur le conflit«.4

Es kann hier nicht im einzelnen ausgeführt werden, in welchem Mass die Mit-wirkung nichteuropäischer Kräfte am europäischen Krieg seit längerem doch schon Gegenstand historischer Arbeiten gewesen ist. Ein diesbezügliches Defizit zeigt sich vor allem in den gängigen Gesamtdarstellungen. Nicht völlig ausgeblendet, aber separat behandelt wurde die Mitwirkung der aussereuropäischen Länder, die Europa etwas näherstehen wie die Dominions Kanada, Australien oder Südafrika auf briti-scher Seite und auf französischer Seite Algerien5, aber auch Indochina.6 Selbst der Einbezug des westafrikanischen Senegal war schon lange ein Thema. Zu erinnern ist an die bereits in den 1970er Jahren in Angriff genommenen Arbeiten von Marc Michel.7

3 Stefan Brändler, Eine Geste stört die Parade. Eine algerische Delegation an der heutigen Trup-penparade zum Nationalfeiertag Frankreichs sorgt für hitzige Debatten und böses Blut. In: St. Galler Tagblatt vom 14. Juli 2014. Diese »Anerkennung« erinnert ein wenig an die Inszenierung der Feierlichkeiten zum 200. Revolutionsjahr 1989, als eine Frau wahrscheinlich aus französisch Guyana die »Marseillaise« singen durfte.

4 Der Amerikaner Fogarty im Mai 2014, www.france24.com/fr/20140515-premiere-guerre-mondi-ale-troupes-coloniales-racisme-armee-francaise-afrique-indochine/

5 Gilbert Meynier, L’Algérie révélée, la guerre de 1914–1918 et le dernier quart du XXe sieècle. Genève 1981.

6 Vgl. etwa Maurice Reeves/Eric Deroo, Les Linh Tâp: Histoire des militaires indochinois au service de la France (1859–1960). Paris 1999.

7 Marc Michel, L’Appel à l’Afrique, contributions et réactions à l’effort de guerre français en AOF (1914–1919). Paris Sorbonne 1982. – Ders. Les Africains et la Grande guerre: l’appel à l’Afrique, 1914–1918. Paris Ed. Karthala 2003. Ein Vierteljahrhundert später (2008) urteilt Fogarty über

39DER BEITRAG DER FRANZöSISCHEN KOLONIEN IM 1. WELTKRIEG

Das bisher offenbar zu wenig beachtete Thema soll nun am Beispiel der franzö-sischen Kolonien diskutiert werden.8 Unser Interesse an der Bedeutung der franzö-sischen Kolonien kann sich vor allem auf vier Werke stützen:

Erstens auf die 2006 erschienene Arbeit von Jacques Frémeaux, Spezialist der Kolo-nialgeschichte, vor 65 Jahren in Alger zur Welt gekommen und bis vor kurzem an der Universität Paris IV tätig.9 Zweitens auf die 2008 erschienene Arbeit des auf franzö-sische Geschichte spezialisierten Amerikaners Richard Fogarty, der sich vor dem Hin-tergrund der starken Rassendiskriminierung in der amerikanischen Armee für den Umgang des französischen Republikanismus mit den kolonialen Hilfskräften inte-ressiert hat; er kommt zum Schluss, dass die Franzosen weniger einen biologischen als einen kulturellen Rassismus praktizierten, dies – aber leicht abgeschwächt – auf das Gleiche hinauslief.10 – Eine dritte für unser Thema wichtige Arbeit hat Guoqi Xu 2011 unter dem Titel »Strangers on the Western Front« in Harvard publiziert. Der Autor kam in China zur Welt, studierte in den USA und wirkt heute in Hong Kong.11

Arbeiten also aus Frankreich, Amerika, China – eine Pionierarbeit stammt in-dessen aus der Schweiz. Es ist diejenige Christian Kollers, des heutigen Leiters des Schweizerischen Sozialarchivs Zürich, über Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik in den Jahren 1914–1930. Weit grössere Beachtung dürfte dagegen der in Englisch publizierte Aufsatz des gleichen Autors aus dem Jahr 2008 erfahren haben.12 Bezeichnenderweise wurde Kollers erste sehr aufschlussreiche Arbeit von den erwähnten französischen und angelsächsischen Kollegen nicht rezipiert.13

Was kann mit »Beitrag der Kolonien« im Ersten Weltkrieg gemeint sein? Es ist zu unterscheiden zwischen den Leistungen, die in den Kolonien selber erbracht wurden und den Leistungen in Europa. Ebenfalls nicht näher sollen hier die wirt-

Michel: »the most important and thorough work of West Africans«. Mit diesem besten Kenner dieser Geschichte habe ich mich bereits vor 40 Jahren über die Frage unterhalten, ob der Vorwurf, dass diese französischen Krieger ihren deutschen Opfern jeweils die Ohren abschnitten, nur deutsche Propaganda war oder ein derartiges Handeln einheimischer Tradition entsprach.

8 Spannend könnte ein Vergleich mit England sein, das 1914 ebenfalls Kolonialtruppen (insbe-sondere aus Indien) rekrutierte und möglicherweise schon früh mehr Kolonialbevölkerung bei sich aufgenommen hatte als Frankreich.

9 Jacques Frémeaux, Les colonies dans la Grande Guerre. Combats et épreuves des peuples d’out-re-mer. Soteca, 14+18 Editions 2006.

10 Richard S. Fogarty, Race and war in France: colonial subjects in the French Army, 1914–1918. Baltimore John Hopkins University 2008.

11 Guoqi Xu, Strangers on the Western Front. Cambridge (Mass.) Harvard University Press 2011.Untertitel: »Chinese Workers in the Great War«. Das von der Harvard University Press publizierte Buch folgt der chinesischen Usanz, den Namen dem Vornamen ohne Komma voranzustellen: Xu Guoqi (vgl. auch: www.history.hku.hk/people/staff-xu-guoqi.html)

12 Christian Koller, »Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt«. Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914–1930). Stuttgart Franz Steiner 2001. – Christian Koller, The Recruitment of Colonial Troops in Africa and Asia and their Deployment in Europe during the First World War. In: Immigration & Minorities, vol. 26 Nos. 1 & 2, March/July 2008, S. 111–133. – Christian Koller, Colonial Military Participation in Europe (Africa). Und: Historiography 1918–today (Africa). In: International Encyclopedia of the First World War (1914/1918 Online). 2014.

13 Anders hingegen in der Arbeit, die sich anerkennend auf Koller bezieht: Jean-Yves Le Naour, La honte noire. L’ Allemagne et les troupes coloniales françaises, 1914–1945. [Paris], Hachette 2003.

40 ERSTER WELTKRIEG

schaftlichen Vorteile betrachtet werden, die aus den Kolonien erzielt werden konn-ten (Import von Palmöl, Kautschuk, Erdnüssen), im Falle Frankreichs aber nicht überschätzt werden sollten.

Im Weiteren ist zu unterscheiden, auch wenn es am Schluss allerdings doch zusammenwirkte, zwischen zivilen und militärischen Leistungen, zwischen den Beiträgen der Kolonialarbeiter und der Kolonialsoldaten. Im Folgenden kann aber nicht auf alles eingegangen werden und soll der Einsatz von Kolonialsoldaten in den Frontkämpfen im Vordergrund stehen, obwohl die Arbeitseinsätze der rund 220 000 Kolonialarbeiter (etwa 80 % aus Nordafrika, daneben, wie mit Fotografien/Postkarten belegt, Vietnamesen und Chinesen)14 in kriegsrelevanten Fabriken und bei Befesti-gungsarbeiten in gewisser Hinsicht interessanter wären, weil sie eher den heutigen Arbeits- und Lebensverhältnissen der Einwanderungsgesellschaften entsprechen. Auskünfte dazu findet man bei Tyler Stovall in einer (ebenfalls) vergleichsweise frü-hen Studie aus dem Jahr 1998.15 Sofern es dazu Informationen gibt, dies sei schon jetzt gesagt, gilt aber auch für die Verhältnisse in der Armee, dann stammen sie kaum von Menschen aus den Kolonien, sondern von Angehörigen des Koloniallandes. In unseren Quellenbeständen dominieren die europäische Perspektive und die Äusse-rungen der Kolonialistenseite. Die Menschen aus den Kolonien dagegen kommen (bis jetzt in der europäischen Forschung wenigstens) kaum selber zu Wort.16

Die Formulierung »Einbezug von Menschen« vermeidet bewusst andere Aus-drucksmöglichkeiten. Im Februar 2014 wurde zu einer Tagung mit der gängigen Formulierung »Combattants venus des 4 coins du monde« eingeladen.17 Das »venus« ist problematisch, weil es ein aktives Kommen, sogar ein freiwilliges Zuhilfeeilen suggeriert; die Formulierung »qui ont été mobilisés« wäre treffender, denn zum Teil handelte es sich auch um Zwangsverschiffungen. Auch die Bezeichnung »Beitrag« könnte missverständlich sein, wenn sie suggeriert, dass es ein Geben aus eigenem Wille gewesen sei.

Was gibt das Thema her? Was muss und was kann daran diskutiert werden? – Aus heutiger Sicht dürfte vor allem das Spannungsverhältnis interessieren, das bestan-den haben muss, wenn eine Kolonialmacht mit der Formel liberté-égalité-fraternité als Devise aussereuropäische Kräfte für den Krieg in Europa aufbietet und wenn diese Kräfte sogar – mit dem »impôt du sang« – ihr Leben aufs Spiel setzen müssen, aber einen minderen Rechtsstatus haben und wegen der bestehenden Überlegen-heitsvorstellungen der Europäer einer abschätzigen Behandlung ausgesetzt sind.

Da interessiert vor allem, wie der Einbezug auf der einen Seite gerechtfertigt und auf der anderen Seite angenommen oder verweigert wurde. Im weiteren interessiert

14 Aus Algerien 76 000, Indochina 49 000, Marokko 35 000, Tunesien 18 500, Madagaskar 5,500 und aus China 36 700 (vgl. Koller, 2008, S. 113).

15 Tyler Stovall, The Colour Line behind the Lindes. Racial Violence in France during the Great War. In: The American Historical Review Vol. 103, No. 3, Jun. 1998.

16 Etwa: Bakary Diallo, Force-bonté. Paris 1926. Reprinted 1985. Oder: Joe Harries Lunn Maelstrom: A Senegalese Oral History of the First World War. Portsmouth 1999 (Befragung von 85 Veteranen im Jahr 1982/83). Diese Angaben aus Koller, 2008 sowie einer umfassenden Bibliografie von Fogarty, 2008.

17 www.achac.com (Titel zur Tagung vom 21. Mai 2014; Zugriff vom 24. Februar 2014)

41DER BEITRAG DER FRANZöSISCHEN KOLONIEN IM 1. WELTKRIEG

der konkrete Umgang mit den Kolonialsoldaten und das Bild, das die einsetzende Seite von diesen Kräften hatte und welche Erfahrungen die Kräfte selber dabei mach-ten. Da es um Krieg geht, ist auch die Frage wichtig, wie sich die Kolonialsoldaten auf dem Schlachtfeld verhalten haben. Mit Blick auf die grössere Entwicklung geht es zudem um die Frage nach den unmittelbaren und längerfristigen Auswirkungen dieses Einbezugs in Europa und in den Kolonien. Die weiteren Ausführungen glie-dern sich in diese vier Teile:1. Die frühen Einbezüge von Kolonialsoldaten2. Die konkreten Dimensionen des Einbezugs in den Jahren 1914–19183. Die Bilder der kolonialen Kräfte 4. Die Kolonialsoldaten in der Erinnerung

1. Die frühen Einbezüge von Kolonialsoldaten

Bevor wir uns mit dem Einsatz im Krieg von 14/18 befassen, sollten wir einen Blick auf die Gegebenheiten der vorangegangenen Jahre werfen. Die Rekrutierung von Kämpfern aus den Kolonialgebieten setzt nicht erst 1914 ein, sie geht auf eine län-gere Praxis zurück.18 Sozusagen selbstverständlich war die Verwendung von Kolo-nialsoldaten in den Kolonialkriegen. So setzte Frankreich auch bei der Bekämpfung des Boxeraufstands 1900 in China Kolonialsoldaten ein. Neu ist aber die Vielzahl der Eingezogenen, neu ist der stärkere Zwangscharakter der Rekrutierung, neu ist die Eingliederung in die nationalen Streitkräfte und einigermassen neu ist deren breiter angelegter Einsatz im europäischen Kerngebiet. Als Berufssoldaten kamen Turcos oder Zouaven19 bereits im Krimkrieg (1853/56) und im italienischen Feldzug bei Magenta und Solferino (1859) und dann im 1870/71er-Krieg zum Beispiel bei Frö-schwiller/Woerth und Sedan zum Einsatz. Einige von ihnen wurden übrigens mit der Bourbaki-Armee in der Schweiz interniert, wo man keine schlechten Erfahrun-gen mit ihnen machte.20

1909 propagierte General Mangin die Schaffung einer über das frühere Berufs-soldatentum hinausgehenden »Force noire«, um den Geburtenrückgang in der Metropole auszugleichen. Die Praxis, mit Kolonialsoldaten die »défense coloniale« zu organisieren, sollte auf die »défense nationale« ausgedehnt werden. Er erntete damit jedoch breite Kritik, sowohl bei den Kolonialisten wie auch bei der Linken. Algeriens Kolonialisten befürchteten, dass eine breit eingeführte Wehrpflicht bei den »indigènes« zu einer Einführung auch von Bürgerrechten führen und wegen

18 Zur Vorgeschichte vgl. auch Koller, 2001, S.43ff. und zum bereits 1870 erhobenen Vorwurf, die »Wilden« hätten einen besonders grausamen Umgang mit Verwundeten und Toten.

19 Gemäss Wikipedia geht der Name auf den kabylischen Stamm der Zuauas im Distrikt Zuaua (Zuavia) in der algerischen Provinz Constantine zurück, die bereits zu Zeiten des Osmanischen Reiches Söldnertruppen stellten, die für ihre Tapferkeit berühmt waren.

20 Eine eindrückliche Abbildung von Auguste Bachelin zeigt, wie ein schweizerisches Bauernpaar einen erschöpften Zuaven stärkt, Federlithographie L’Armée de l’Est en Suisse, Zentralbibliothek Zürich. In: Peter Jezler/Elke Jezler/Peter Bosshard, Der Übertritt der Bourbaki-Armee in die Schweiz 1871. Asyl für 87 000. Zürich 1986. S. 68. Nochmals vom gleichen Zeichner: Zuaven und Turcos im Gebet zum Dank für die Rückkehr nach Frankreich. Dahinter in überlegener Beobachterposition zwei französische Soldaten (ebenda, S. 112). Zu den Erfahrungen, vgl. Koller, 2002, S. 51ff.

42 ERSTER WELTKRIEG

der militärischen Aufgebote männliche Arbeitskräfte verloren gehen könnten. Und auf der Linken: Jean Jaurès wollte eine Volksarmee ohne Kolonialsoldaten, weil diese ja keine Bürger und nur willige Befehlsempfänger der Offizierskaste wären.

Die künftige Integration von Kolonialsoldaten in die französischen Streitkräfte wurde mit deren erstmaligem Auftritt im Rahmen der Militärparade vom Quatorze Juillet 1913 vorweggenommen. Doch bei Kriegsbeginn war man noch immer wenig an diesem Zuzug interessiert. Es dominierte die Vorstellung von einem kurzen Krieg (zwei Monate), zudem waren die Distanzen zu den Kolonialgebieten zum Teil sehr lang. Hier die Zahlen zu den Transportzeiten: Dakar lag 10 Tage von Frankreich ent-fernt, die Antillen waren es zwei Wochen, Madagaskar drei Wochen, vier Wochen dauerte es nach Indochina, zwei Monate nach Neukaledonien.21 Erste grössere Kon-tingente aus Nordafrika landeten erst im September 1914 in Europa. Französische Kolonialsoldaten wurden mit langsamen Schiffen auf 100-Tage-Reisen zum Beispiel aus Indochina nach Europa herantransportiert.22

Aus Deutschland, das selbst weit weniger die Möglichkeit hatte, Kolonialkräfte zu mobilisieren, kam schon damals schärfste Polemik rassistischer Art gegen das französische Vorhaben, etwa mit der höhnischen Bemerkung, bei einem Einsatz von Kolonialsoldaten müssten keine Gefallenen mehr geborgen werden, weil die Kannibalen nach der Schlacht das Feld schon aufräumen würden. Darauf replizier-te das französisches Qualitätsblatt »Le Temps«, dass es die Deutschen seien, die in Kamerun noch Reste von anthropophagen Einheimischen hätten, während dies in französischen Kolonien (»à l’égard des nôtres«) nicht mehr der Fall sei. Deutsche Schwarze wurden mit französischen Schwarzen verglichen und von letzteren wurde gesagt, dass sie im Vergleich mit dem restlichen Afrika eine höhere Zivilisations-stufe erreicht hätten.23

Mit der Eingliederung von Nichtbürgern in seine Armee hatte das offizielle Frank-reich konzeptionell kein Problem: Zum einen konnte man in der Aufnahme in die Armee die Krönung der Zivilisationsanpassung erblicken und die Unterstützung durch »andere Rassen« als gerechtfertigt sehen, da Frankreich ja nicht nur für sich, sondern für die Menschheit und ihre universalen Werte kämpfe. Wie sich die Re-krutierten selber zum Einbezug in die Armee stellten, ist wegen der prekären Quel-lenlage schwer zu sagen. Es bestanden gewisse Hoffnungen, dass die militärischen Leistungen nach dem Krieg mit der Entlassung in die Selbständigkeit honoriert würden. Ansatzweise regten sich schon vor dem Krieg Unabhängigkeitsbestrebun-gen in Indochina, Tunesien und Algerien, analog zur Jungtürkenbewegung, etwa mit dem Mouvement »Jeune Algérie«.

2. Die konkreten Dimensionen des Einbezugs in den Jahren 1914–1918

Vorweg sei gesagt, dass die Verhältnisse schwieriger zu erfassen sind, als man auf den ersten Blick meint. Genauigkeit ist zum Teil schwer möglich, weil einige Ein-

21 Frémeaux, 2006, S. 41.22 Über 43 000 an der europäischen Front. Vgl. Jacques Frémeaux, Les colonies dans la Grande

Guerre. Combats et épreuves des peuples d’outre-mer. Quercy 2006. S. 63.23 Le Temps, 15. September 1909: »Les Projèts d’armée indigène«, zit. nach Naour, 2003, S. 19.

43DER BEITRAG DER FRANZöSISCHEN KOLONIEN IM 1. WELTKRIEG

heiten gemischt zusammengesetzt waren (»brassage«), konkret etwa in senegale-sischen Schützenformationen auch europäische Soldaten inkorporiert waren. Eine genauere Betrachtung müsste zwischen geschlosssenen und gemischten Einheiten und zwischen der »armée d’Afrique« und der »armée coloniale« unterscheiden.24 Bei den Rekrutierungszahlen müsste zwischen der allgemeinen Mobilisation und den Kampfeinsätzen an der Front unterschieden werden. Der Anteil der Koloni-al-Soldaten wird, wenn er einmal überhaupt zur Kenntnis genommen worden ist, gerne überschätzt und dürfte sich auf etwa 2 Prozent beschränkt haben. Hier, stark vereinfacht, die Angaben von Jacques Frémeaux zur Zahl nicht aller Mobilisierten, sondern nur der in Europa Eingesetzten:25

Nordafrika (Algerien, Tunesien, Marokko) 220 000Subsahara (Senegal, Afrique équatoriale, fr. AEF) 140 000Übriges Empire (Indochina, Madagascar, Somalia, Pazifik) 80 000Total 440 000 Siedler 140 000

Diese Zahlen müssten wiederum mit den Zahlen der Kolonialbevölkerung und mit denen der eingesetzten Mutterlandfranzosen in Beziehung gebracht und am Schluss mit Verlustzahlen verglichen werden; letzteres vor allem wegen des Ver-dachts, dass die Kolonialsoldaten als »Kanonenfutter« gedient hätten.

Es bietet sich an, klären zu wollen, wie die importierten Kolonialmenschen im Lande der »liberté, égalité, fraternité« tatsächlich behandelt wurden. Naheliegend ist der Verdacht, dass die im Kolonialismus schlechthin angelegte Unterscheidung zwischen Herrscherklasse und beherrschten Einheimischen beim Kriegseinsatz ebenfalls und sogar noch stärker zum Ausdruck gekommen sei. Der amerikanische Historiker Richard Fogarty hat, was nicht erstaunlich ist, in der Armee bezüglich der Beförderungen und des Umgangs mit den Dienstgraden deutliche Ungleichbehand-lungen festgestellt; es war eine ausgemachte Sache, dass »nichtweisse« Offiziere, die es zum Teil immerhin gab, vor allem Söhne von afrikanischen Dorfältesten, kei-ne weissen Soldaten befehligen durften, dass bei gleichem Grad der »Nichtweisse« den »Weissen« zu grüssen hatte. Kurz: »Race often came before rank«.26 Schwer benachteiligt waren die Kolonialsoldaten im Urlaubwesen. Während die Franzosen vorübergehend nach Hause gehen durften, war den aus Übersee Mobilisierten dies nicht möglich. Als Ersatzlösungen gab es für Kolonialsoldaten Erholungslager in Südfrankreich.

Der französische Kolonialhistoriker Jean Martin weist darauf hin, dass die Armee (trotz ihrer hierarchischen Struktur) egalitärer gehalten war als die Kolonialgesell-schaften, aus denen die Kämpfer rekrutiert worden waren, und dass die Koloni-alsoldaten nicht in stärkerem Mass »Kanonenfutter« waren als die Franzosen des Mutterlandes; die Bretonen beispielsweise habe man mit religiösen Parolen und

24 www.rfi.fr/contenu/20100524-armee-afrique-armee-coloniale-deux-corps-militaires-distincts/ ein Teil gehörte zur Marine

25 Leicht andere Zahlen bei Koller, 2008, S. 114. – Pascal Blanchard/Sandrine Lemaire, Culture coloniale, la France conquise par son Empire (1873–1931). Paris 2002, S.117.

26 Fogarty, 122, das gesamte Kapitel S. 96–132

44 ERSTER WELTKRIEG

Abgabe von Alkohol ins Feuer geschickt.27 Die Todesrate der Kolonialsoldaten war aber doch höher als beim Durchschnittsverlust der Gesamtarmee von 16 %: näm-lich 19 % bei der Nordafrikanern und 23 % bei den Senegalesen.28 Christian Koller bemerkt zu Recht, dass man bei Vergleichen von Gefallenen aus Frankreich und aus den Kolonien nicht mit Gesamtzahlen der Jahre 14/18 operieren sollte und die wirklichen Einsatztage berücksichtigen müsse. Kolonialsoldaten wurden aus Rück-sicht auf das Klima im Winter weniger eingesetzt, zudem kamen wesentlich mehr in der zweiten Hälfte des Kriegs als in der ersten zum Einsatz.29 Nicht näher kann hier auf die Todesursachen eingegangen werden, es sei bloss darauf hingewiesen, dass viele Soldaten auch an epidemischen Ansteckungen (insbesondere durch die »Spanische Grippe«) gestorben sind. Ebenfalls unbeachtet bleibt der grosse Bereich der lebenslänglichen Beeinträchtigungen durch Kriegsverletzungen.

Richard S. Fogarty betont, dass die Armee sich bemüht habe, die muslimischen Ernährungs- und Beerdigungsvorschriften sowie den Ramadan zu berücksichtigen.30 Dies geschah nicht einfach aus interkulturellem Respekt, es ging auch darum, die Kampfmoral der Muslime nicht zu beeinträchtigen, Empörung in den Herkunfts-ländern zu vermeiden und der deutschen Propaganda keine Angriffsflächen zu bie-ten. Diese war bestrebt, speziell an der südosteuropäischen Front Muslime zum Überlaufen zu bewegen, und liess, zum Teil gestützt auf Auskünfte muslimischer Gefangenen, die diesbezüglichen Verhältnisse in der französischen Armee schlechter erscheinen, als sie waren.31

Und bei Kriegsende? Etwa eine Hälfte der Mobilisierten kehrte zurück, die an-dere Hälfte blieb in Europa. Das Ansehen der Kolonialherren dürfte bei einem Teil der Heimkehrer infolge des Kriegserlebnisses gelitten haben. Anderseits könnte von ehemaligen Kolonialsoldaten, wenn sie als Bindeglieder zwischen Kolonialverwal-tung und Kolonialbevölkerung eingesetzt wurden, eine stabilisierende Wirkung ausgegangen sein.32

27 Jean Martin, Januar 2014, vgl. Anm. 56.28 Frémeaux, 2006, S. 206ff. Die Verlustquote bei den Senegalesen könnte in der Kampfzeit noch

höher gewesen sein, weil ein Teil ihres Totals erst nach Kriegsende nach Europa kam. Dem wird zuweilen widersprochen: »Contrairement à la légende, ces troupes coloniales ne subirent pas en proportion des pertes plus élevées que les troupes métropolitaines.« (www.histoire-image.org/site/etude_comp/etude_comp_detail.php?i=103). – Eine eigene Kategorie bildeten die fran-zösischen Kolonialisten, die 1914 ins Mutterland zurückkehrten, um dort das Vaterland zu verteidigen, das sie zuvor nie gesehen hatten. In dieser anonymen Kategorie ist einer speziell bekannt, weil er einen berühmten Sohn hatte und dieser ihn in seinen Schriften erwähnte: der Vater von Albert Camus (Frémeaux, 2006, S. 201).

29 Frémeaux, 2006, S. 202, nennt ein Total von 87 000 Gefallenen oder Vermissten.30 Fogarty, Mai 2014 in Paris; sein Referat wurde unter dem Titel »Grande Guerre et colonies: l’armée

française était-elle raciste?« zusammengefasst. Er interessierte sich vor allem für die Frage, wie eine republikanisch definierte Gesellschaft mit Kolonialsoldaten umging. Er plädierte für Differenzierung zwischen den Polen »rassistisch« und »nichtdiskriminierend«.(www.france24.com/fr/20140515-premiere-guerre-mondiale-troupes-coloniales-racisme-armee-francaise-af-rique-indochine)

31 Ein bekanntes Beispiel war der algerische Leutnant Boukabouya Rabah, der 1915 nach Istanbul floh und in der Propagandaschrift »L’Islam dans l’armée française« seine Kameraden aufforderte, ihre Waffen in einem heiligen Kreuzzug gegen ihre Kolonialherren zu richten. Vgl. Fogarty oben.

32 Bei Frémeaux werden manche Aspekte angesprochen, und da findet sich auch der sprechende Titel »regards croisés« (2006, S. 299).

45DER BEITRAG DER FRANZöSISCHEN KOLONIEN IM 1. WELTKRIEG

3. Die Bilder der kolonialen Kräfte

Senegalesische Kolonialsoldaten sollen bei ihrer Ankunft von einheimischen Franzo-sen mit dem Ruf bejubelt worden sein »Couper têtes aux allemands«33. Solche Zeug-nisse, die ja indirekt das Bild vom Wilden bekräftigten, besagen nicht, dass diese Männer mit einem gefestigten Wohlwollen aufgenommen worden wären. Eindrück-lich ist das Zeugnis einer französischen Pflegerin, die von ihren westafrikanischen Patienten erfuhr, wie man mit ihnen umgegangen war: Alles denkbar Schlechte wurde ihnen angedichtet: vom Waldfrevel über Trunkenheit, Vergewaltigung und Verbreitung von Epidemien.34

Anderseits ist es nicht sicher, dass die Anwesenheit bewaffneter Kolonial-soldaten in Frankreich als Zivilisationsbruch empfunden und Ängste in der Be-völkerung wegen deren Präsenz in französischen Städten empfunden wurden. Die in Frankreich vertriebenen Postkarten zeigen, dass sich das exotische Motiv dieser Krieger einer gewissen Popularität erfreut und zudem dem französischen Selbstbewusstsein geschmeichelt haben muss, wenn man daran ablesen wollte, dass sich auch nichtfranzösische Kräfte für Frankreichs Verteidigung einsetzten. Auf französischer Seite wurde ethnisch-kulturelle Differenz betont, erstaunlicher-

33 Koller, 2014, S. 7.34 Ebenda.

Propagandakarten bezeugten eine vorbildliche Opferbereitschaft in doppelter Ausführung: diejenige der Kolonialsoldaten wie diejenige der einheimischen Samariterinnen (Dok. G.K.).

46 ERSTER WELTKRIEG

weise aber nicht der religiöse Unterschied insbesondere zwischen Christentum und Islam. Die Armee war jedenfalls darauf bedacht, auf die religiösen Traditionen be-züglich Ernährung/Ramadanfasten, Feiertage und Beerdigungsriten Rücksicht zu nehmen. So musste bei Beerdigungen auch der buddhistische Ritus (z. B. mit Schneiden der Fingernägel) beachtet werden.35

Ablehnende Haltungen bezogen sich vielmehr auf die Hautfarbe und andere körperliche Unterschiede, und dies in Kombination mit kulturellen Vorurteilen. Der muslimische Glaube wurde nur insofern thematisiert, als man sich fragte, wie die »eigenen« Muslime damit umgingen, dass sie gegen gegnerische Muslime in Klein-asien kämpfen müssten (Gallipoli und Syrien).36 Der eigenen Situation kam entge-gen, dass Nordafrikaner (mit Ausnahme von Tunesiern) selber ein eher feindseliges Verhältnis zum Osmanischen Reich hatten und sich von der türkisch-deutschen Propaganda nicht irritieren liessen.

Welche Bilder nicht der Muslime, sondern der Schwarzen verhandelt wurden, haben wir bereits im Zusammenhang mit den Plänen von 1909 zur Schaffung von Europatruppen aus Kolonialsoldaten kurz angesprochen. Es ging um die angebliche Wildheit, um die angeblich dazu gehörende Kämpferqualität, und, daran gleich anschliessend, ihre sexuelle Gefährlichkeit. Während man Westafrikaner als bes-sere Krieger einstufte, wurden Vietnamesen wegen ihrer kleinen Körpergrösse und ihres grazilen Körperbaus sowie die Madagassen (aus welchen Gründen auch immer) für weniger gute Krieger gehalten. Die mehrheitlich nordafrikanischen Zouaven genossen das Ansehen einer Elitetruppe und markierten mit ihren eignen Unifor-men stolze Sichtbarkeit. In den Zouaven-Regimentern war auch ein Grossteil der wehrpflichtigen europäischen Einwohner Nordafrikas eingegliedert sowie Franzo-sen aus dem Mutterland.37

General Mangin, ein typischer Kolonialoffizier, Eroberer von Marrakesch, pries die hohe Qualität der schwarzen Soldaten (vielleicht auch der Nordafrikaner) mit den folgenden Kriegereigenschaften: »rusticité, endurance, tenacité, instinct de combat, absence de nervosité, incomparable puissance de choc«. Zugleich wurden diese angeblich so harten Männer – was mit Eingeborenen häufig geschieht – auch wie Kinder eingestuft. Gewiss gab es diese Haltung auch gegenüber »urfranzösi-schen« Soldaten, zum Beispiel den erwähnten bretonischen Bauern, dennoch muss es einen Unterschied ausgemacht haben, ob die Geringschätzung Angehörige der gleichen Nation oder eben nur der Kolonien betraf.

Die Präsenz von Kolonialsoldaten in Frankreich wirkte sich auch auf Deutsch-land aus und wirkte zum Teil von Deutschland wieder auf Frankreich zurück. Jean-

35 Frémeaux, 2006, S. 325.36 1915 war in Deutschland die erste Grossmoschee, ein Holzbau, im sog. Halbmondlager für musli-

mische Gefangene aus französischen und britischen Truppen in Wünsdorf bei Berlin entstanden. Das darin zum Ausdruck gekommene Entgegenkommen sollte die Gefangenen zu Anhängern der Gegenpartei und zu Überläufern machen (de.wikipedia.org/wiki/Halbmondlager). Vgl. auch Gerhard Höpp, Die Wünsdorfer Moschee. Eine Episode islamischen Lebens in Deutschland, 1915–1930. In: Die Welt des Islams, Neue Serie 36, 1996. S. 204–218. – www.bpb.de/apuz/182568/der-erste-weltkrieg-in-der-internationalen-erinnerung?p=all (Zugriff: Mai 2014).

37 Mit der Unabhängigkeit Algeriens löste man die letzten Zouaven-Einheiten 1963 auf.

47DER BEITRAG DER FRANZöSISCHEN KOLONIEN IM 1. WELTKRIEG

Yves Le Naour geht in seiner lesenswerten Arbeit der Frage nach, wie die deutsche Seite auf den Einsatz aussereuropäischer, insbesondere schwarzer Soldaten durch Frankreich reagiert hat.38 Die selber mit dem Vorwurf der Barbarei konfrontierte deutsche Seite attackierte ihre Kriegsgegner im Westen (vor allem Frankreich) mit dem Vorwurf, es sei barbarisch, »Wilde« gegen Weisse kämpfen zu lassen. Ziemlich unbekannt ist, dass, wie bereits angedeutet, Zouaven-Einheiten im 70/71er-Krieg gekämpft hatten und zum Teil in deutsche Gefangenschaft geraten waren.39 So kam es auch, dass das deutsche Familienblatt »Die Gartenlaube« seiner Leserschaft ein Bild mit afrikanischen Hilfskräften vorsetzte und diese mit der Bildlegende versah: »Einige Träger der französischen Zivilisation«.40

Bekannter ist das Bild aus dem Jahr 1916 mit der Überschrift »Die Zivilisierung Europas«: Eine Titelblatt-Zeichnung präsentierte einen »tirailleur sénégalais« mit allen verfügbaren rassistischen Stereotypen der Zeit – nacktem Oberkörper, Ring in der Nase, grossen Lippen, Händen und Füssen sowie einem umgehängten To-

38 Jean-Yves Le Naour, La honte noire. L’ Allemagne et les troupes coloniales françaises, 1914–1945. Paris 2003. Die Jahre 14/18 bilden allerdings nur den Ausgangspunkt dieser Publikation. Zum Einsatz von Kolonialsoldaten auf der Gegenseite: Stefanie Michels, Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Bielefeld 2009.

39 Es gab bereits im 18. Jh. Moslems im preussischen Heeresdienst, beginnend mit 20 türkischen Langen Kerls, für die 1732 ein Saal als Moschee hergerichtet wurde, und die »Rote Moschee« in Schwetzingen, 1780–85 erbaut als Mittelpunkt eines türkischen Gartens (Mitteilung von Karl Markus Kreis, August 2014, gestützt auf Muhammed Salim Abdullah, Geschichte des Islams in Deutschland. Graz 1981.

40 Die Gartenlaube Nr. 40 von 1870 (Jezler, S. 80).

Gartenlaube Nr. 40 von 1870.

48 ERSTER WELTKRIEG

tenkopf.41 Aus welchen tieferen Einstellungsschichten dieses Bild kam, zeigt das berüchtigte Diktum des gut bürgerlichen und hoch(ein)gebildeten Schriftstellers Thomas Mann, der im Frühjahr 1915 in der Presse von einem senegalesischen Sol-daten, der deutsche Gefangene bewachte, sagte, er sei »ein Tier mit Lippen so dick wie Kissen« und er führe »seine graue Pfote die Kehle entlang und gurgelt: ›Man sollte sie hinmachen‹.«42

Auf ähnlicher Grundlage, aber mit einnehmendem Witz versorgt, müssen ähn-liche Bilder vom »Wilden« wie dasjenige von 1916 auch in Frankreich zirkuliert sein. So soll in der französischen Presse eine Karikatur publiziert worden sein, die einen senegalesischen Soldaten mit einem Collier mit abgeschnittenen (deutschen) Ohren gezeigt habe in Kombination mit der Aufforderung, verschwiegen zu sein, weil der Feind mithöre.43 Die Karikatur war eine Anspielung auf die nicht nur erfundene, zugleich aber auch bestehende Klischees begünstigende Vorstellung, dass Senega-lesen ihren »erlegten« Opfern als Zeichen des Triumphs die Ohren abschneiden würden (vgl. weiter oben Anm. 7 und der Abschnitt zu Anm. 23). Die damals vor dem Hintergrund von Idealvorstellungen des ritterlichen Zweikampfs geführte De-batte um primitive und »unfaire« Kampfmethoden afrikanischer Soldaten stand in

41 Titelseite der satirischen Zeitung Kladderadatsch vom 23. Juli 1916. Weiteres Bespiel aus der deutschen Presse: Ein französischer Offizier erhält auf die Frage, wo die Gefangenen seien, von Senegalesen die Antwort: »Gefressen, mein Kapitän.« (Simplizissimus Nr. 5 vom 4. Mai 1915, abgedruckt bei Koller, 2001, S. 102).

42 Text an das »Svenska Dagbladet« vom April/Mai 1915 (Thomas Mann, Werke, Frankfurter Edition, Bd. 15,1, S. 123)

43 Naour, 2003, S. 30.

Kladderadatsch vom 23. Juli 1916Die Bildlegende lautet: »›Einer von den Negersolda-ten hielt in französischer Ansprache eine feurige An-rede an die weisse Truppe und forderte sie auf, mit ihren farbigen Brüdern zusammen Frankreich vor den deutschen Barbaren zu retten. Diese Ansprache wurde mit grossem Enthusiasmus aufgenommen, worauf sich die weissen und farbigen Franzosen und Engländer auf den Feind stürzten.‹ Wörtlich aus der englischen Zeitung ›Daily Express‹.«

49DER BEITRAG DER FRANZöSISCHEN KOLONIEN IM 1. WELTKRIEG

einem sonderbaren Kontrast zu der Massentötung der eingesetzten Soldaten durch Ferngeschosse.44

Noch während der Ruhrbesetzung 1923/24 versuchte die deutsche Propaganda Frankreich wegen seines Einsatzes afrikanischer Soldaten zu diskreditieren. Sie prägte das Wort von der »schwarzen Schmach« und warf den Franzosen vor, die Schwarzafrikaner gegen den »weissen Mann« einzusetzen und die weisse Bevöl-kerung, insbesondere die Frauen, diesen »Wilden« auszusetzen. Zugleich warf sie ihnen vor, die Kolonialsoldaten unmenschlich zu behandeln. Es ging darum, den seit 1914 erhobenen Vorwurf wegen barbarischer Kriegführung umzukehren und zugleich mit dem Schüren rassistischer Ressentiments bei der Bevölkerung einen auf Überlegenheitsvorstellungen beruhenden Gemeinschaftsglauben zu pflegen.45

4. Die Kolonialsoldaten in der Erinnerung

In der rückblickenden Einschätzung der Einsätze der Kolonialsoldaten gibt es zwei widersprüchliche Vorstellungen: Die eine geht davon aus, dass in der Kriegszeit Diskriminierung praktiziert, im Rückblick aber diese von einem nostalgischen Bild der Fraternité überdeckt wurde.46 Die andere Vorstellung vermittelt das Gegenteil: In der Kriegszeit kaum Diskriminierung, weil dies die Kampfesleistungen reduziert hätte, dagegen in der Nachkriegszeit kaum Anerkennung und sogar Vergessen der Leistungen der Kolonialsoldaten. Nicht auszuschliessen ist, dass beide Bilder ihre Berechtigung haben.

Es ist nicht so, dass in der Zeit selber die Leistungen der Kolonialtruppen nicht anerkannt worden wären. Maréchal Foch würdigte schon 1914 den entscheidenden Beitrag der Division Marocaine in der Schlacht an der Marne. Die Einheiten der Kolo-nialsoldaten nahmen Spitzenpositionen in den »Ehrenmeldungen« ein; diese moch-ten Wertschätzung ausdrücken, sie hatten aber auch die Funktion, den Kampfes-willen zu befeuern. Eine von der Deputiertenkammer einstimmig verabschiedete Erklärung drückte Anerkennung und Bewunderung für die Kolonialtruppen aus und pries die »fraternité« zwischen den »soldats de la métropole et des colonies«.47 Bei Kriegsende war dann aber alles wie vergessen, es kamen alte Grundhaltungen wieder an die Oberfläche, im Grunde die gleichen Vorurteile, bemerkte der französische Historiker Jean-Yves Le Naour, wie sie auf der anderen Seite des Rheines bestanden.48

Auf bestehende Vorbehalte verweisen die um 1919 zirkulierenden Gerüchte, wo-nach bei der Auslosung des »Soldat inconnu« darauf geachtet worden sei, dass sich keine Leichenteile eines muslimischen Soldaten darunter befanden.49 Dagegen war

44 Zur Praxis des Tötens vgl. etwa Benjamin Ziemann, Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten, Über-leben, Verweigern. Essen 2013.

45 Sieheauch den Beitrag vom 24. August 2014 von Naoual Astitouh, Cornelia Knab, Manuel Knapp, Isabella Löhr, https://europa.unibas.ch/aktuelles/nachrichtendetails/article/kolonialtrup-pen-im-ersten-weltkrieg/

46 Frémeaux, 2006, S. 292.47 Naour, 2003, S. 33.48 Ebenda, S. 35.49 Thematisiert auch im Film von Bertrand Tavernier »La Vie et rien d’autre« (1989).

50 ERSTER WELTKRIEG

bei der Errichtung der 1926 eingeweihten grossen Moschee von Paris die Anerken-nung der 36 000 im Krieg gefallenen Maghrebiner im Spiel.50

Im Hinblick auf das 90-Jahr-Gedenken wurde in Verdun neben dem Beinhaus eine grosse Denkmalanalage für die »soldats musulmans morts pour la France« errichtet und am 25. Juni 2006 von Staatspräsident Chirac eingeweiht. Mit einer entsprechenden Gestaltung der zahlreichen Einzelgräber war dem muslimischen Glauben selbstverständlich bereits lange zuvor Rechnung getragen worden, jetzt ging es aber darum, mit einer Anlage diese Kategorie als solche zu würdigen. Das Monument war nicht einzelnen gefallenen Muslimen geweiht, sondern den 600 000 muslimischen Kämpfern an Frankreichs Seite insgesamt. Der französische Staat-schef beschwor in seinem Auftritt Frankreich sowohl »als Einheit« als auch »in seiner Unterschiedlichkeit«. 1916 habe es die französische Nation über alle Standes- und Glaubensgrenzen hinweg vermocht, »sich zu sammeln, die Stirn zu bieten, bis zum Ende standzuhalten«.51 Kritisch sein wollende Stimmen bemerkten dazu etwa: »Frankreich hat über 90 Jahre gebraucht, um dem kolonialen Kanonenfutter für deutsche MG-Stellungen ein monumentales Denkmal zu setzen, just zu einem Zeitpunkt, als in Migrantenvorstädten die Autos brennen. Zufall? Übrigens waren die französischen Kolonialtruppen beim deutschen Soldaten besonders verhasst, weil brutale Nahkämpfer. Vielleicht sagt dem einen oder anderen der Begriff ›Se-negalneger‹ was …«52

Die Gedenkstätte im fernen Verdun reichte nicht aus, zusätzliche Anerkennung musste auch in der Hauptstadt markiert werden. Im Februar 2014 weihte Präsident Hollande zwei Gedenkplatten in der Grossen Moschee von Paris in Anwesenheit von viel Prominenz (»un parterre de ministre«) ein und kritisierte, dass die Anerkennung der Leistungen der Muslime im Ersten Weltkrieg bisher ausgeblieben sei. 100 000 Muslime seien in beiden Weltkriegen für Frankreich gestorben. Aufschlussreich war die Aussage, dass die Waffenbrüderschaft in den Konflikten des 20. Jahrhunderts den Isam in der Republik, in der Verteidigung ihrer Souveränität und Freiheit tief verankert habe.53 Es gab Stimmen der Anerkennung zu dieser Anerkennung, die auch darauf hinwiesen, wie wichtig diese sei, nachdem kurz zuvor wieder einmal ein Schweinekopf in eine Moschee (in Blois) geworfen worden sei. Es gab aber auch kritische Stimmen, die – nachvollziehbar – auf die politischen Hintergedanken die-ser Geste hinwiesen: Es gehe der Regierungspartei darum, kurz vor den Gemein-dewahlen gute Stimmung zu machen und die Muslime politisch abzuholen. Es wurde darauf hingewiesen, dass es in der Assemblée nationale noch immer keinen einzigen Muslim gebe.54 Diese »Versöhnung mit der Geschichte« (»réconciliation

50 Maurice Barbier, La laicité. L’Harmattan 1995, S. 98 (zit. nach fr.wikipedia: Colonies dans le Première Guerre mondiale). Es finden sich auch anerkennende Nennungen in der den Ersten Weltkrieg verarbeitenden Literatur der 1920er und 1930er Jahre.

51 www.verdun-meuse.fr/index.php?qs=fr/ressources/discours-du-mois---fevrier-2011---discours-de52 www.politikforen.net/showthread.php?26406-Chirac-weiht-in-Verdun-Denkmal-für-Muselsol-

daten53 »La fraternité d’armes, née des conflits du XXe siècle, a profondément ancré l’Islam dans la

République, dans la défense de sa souveraineté et de sa liberté«.54 www.france24.com/fr/20140218-france-soldats-musulmans-morts-france-fin-anonymat-islam-

guerre-mondiale-hollande-francois/

51DER BEITRAG DER FRANZöSISCHEN KOLONIEN IM 1. WELTKRIEG

avec l’histoire«) hatte also durchaus, wenn auch nicht ausschliesslich, eine tagespo-litische Bedeutung.

Ganz in dieser Richtung war die Ankündigung des Quatorze Juillet 2014 im No-vember 2013 gegangen, als man am 11. dieses Monats an das Ende des Ersten Welt-kriegs erinnerte. Statt von den Muslimen immer nur Ruhe und Ordnung zu verlan-gen, solle man ihre Leistungen im Ersten Weltkrieg anerkennen, dies setze aber ein Wissen voraus, und dieses müsse mit Schulbüchern sichergestellt werden (im Französischen war das Wortspiel möglich: »reconnaissance par la connaissance«).55

Im Januar 2014 befasste sich eine im Pariser Rathaus durchgeführte Tagung mit dem Beitrag der Kolonialsoldaten in den Jahren 1914–1918. Der Kolonialhistoriker Jean Martin von der Sorbonne und Lille III56 hob die Bedeutung der Kolonialverbände hervor und rief in Erinnerung, dass die kriegsbedingte Mobilisation der Nordafrika-ner sozusagen der Auftakt der weiteren Einwanderung gewesen sei. Im Laufe der vier Kriegsjahre habe sich die Zahl der Maghreb-Fremdarbeiter mehr als verzehnfacht (von 15 000 auf 180 000).57

Und im Mai 2014 fand im französischen Aussenministerium eine Tagung statt, die gemäss Selbstdeklaration erstmals die von den Kolonialmächten veranlasste Teil-nahme von Bevölkerungen aus Afrika und Asien zum Gegenstand hatte. Die Tagung wurde von Staatssekretären mit Migrations- und Kolonialhintergrund eröffnet, von dem in Alger geborenen und aus einer Harki-Familie stammenden Kader Arif, der im Verteidigungsministerium für die Ancien combattants und für »Mémoire« zu-ständig war, sowie von Annick Girardin, die für die Entwicklung der Frankophonie zuständig und Vertreterin von Saint-Pierre-et-Miquelon, einem nordatlantischen Archipel (nahe beim kanadischen Neufundland, Terre-Neuve), war. Die Tagung be-schränkte sich nicht auf Frankreich, auch Grossbritannien, Portugal, Deutschland und Belgien standen auf dem Programm. Girardin räumte ein, dass Vietnamesen und Chinesen zur Zwangsarbeit eingezogen worden waren, sprach von den Narben der Vergangenheit, sah aber auch eine Entwicklung am Werk, die von der Subordi-nation zur Kooperation und von der Kooperation zur Partnerschaft unter Gleichge-stellten führe. Der multiethnische und multinationale Erste Weltkrieg trage unsere eigene mondialisierte und interdependente Modernität in sich.58

55 Dabei kam es zu einer seltsamen Vermischung: Weil Nachkommen von Veteranen, aber auch Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien heute Franzosen sind, wurden die ehemaligen Kolonialsoldaten retro-französisiert mit der präsidialen Aufforderung vom 7.11.2013, keinen Franzosen zu vergessen, der in diesem Krieg engagiert gewesen sei: »Aujourd’hui, je souhaite qu’aucun des Français impliqués dans cette mêlée sanguinaire ne soit oublié« (www.france24.com/fr/20131107-centenaire-grande-guerre-longue-reconnaissance-contribution-troupes-afri-caines/).

56 www.academieoutremer.fr/academiciens/fiche.php?aId=15457 www.france24.com/fr/20140130-premiere-guerre-mondiale-troupes-maghreb-tirailleurs-ma-

rocains-algeriens/58 Girardin: »Nous devons comprendre pourquoi cette première guerre globalisée est le moment

que les historiens ont choisi pour faire démarrer le XXème siècle. Car malgré l’horreur du conflit, l’hypocrisie des réquisitions, le sacrifice de millions d’hommes, cette première guerre mondiale, multi-ethnique, multi-nationale, porte en elle notre propre modernité mondialisée, interconnectée, interdépendante.« (basedoc.diplomatie.gouv.fr/vues/Kiosque/FranceDiplomatie/kiosque.php?fichier=bafr2014–05–21.html#Chapitre15). – Interview mit »Le Monde« vom 23. Mai

52 ERSTER WELTKRIEG

Schliesslich stand der bereits erwähnte Quartorze Juillet 2014 auf dem Programm. Der Front national protestierte mit einer Petition gegen die Präsenz von drei algeri-schen Soldaten auf den Champs Elysées. Kritik kam aber nicht nur von der franzö-sischen Ultrarechten, sondern auch von Said Abadou, dem Präsidenten des starken Verbands algerischer Kriegsveteranen. Er war gegen eine Militärdelegation, »solange die Frage der Verurteilung des Kolonialismus nicht geregelt ist«.59 Von dem ist aber sowohl das konservativ-nationale als auch das sozialistisch-nationale Frankreich noch weit entfernt. Im Jahr 2005 gab es sogar ein Gesetzesprojekt, das die Würdi-gung der »positiven Rolle« der französischen Überseepräsenz vorschreiben wollte, wegen des breiten Widerstands aber fallen gelassen wurde. 60 Über Tausend His-toriker haben die Petition »Non à l’enseignement d’une histoire officielle« (vom 25 avril 2005) unterzeichnet61.

Mittlerweile kann man, was den Beitrag der französischen Kolonien im Ersten Weltkrieg betrifft, nicht mehr klagen, dass er in der Historiographie wie in den pa-triotisch-militärischen Feierlichkeiten verschwiegen werde. Die grösser gewordene Aufmerksamkeit gilt aber dem Einsatz von Kolonialbevölkerung in einem Konflikt der Europäer. Sie schliesst nicht mit ein, welche Konsequenzen die mehrheitlich zwangsweise erfolgte Mobilisation für den »Beitrag« im Konflikt der Europäer für die (ehemaligen) Kolonien selber gehabt hat. Dafür sollten wir uns noch vermehrt interessieren.

Vortrag, 4. November 2014 an der Universität Basel

2014 aus diesem Anlass unter dem bezeichnenden Titel: »Bâtir une mémoire collective avec les ex-colonies«. So wurde die Rede z. B. auch von der französischen Botschaft in Uganda verbreitet (www.ambafrance-ug.org/Ouverture-du-colloque-Les-hommes).

59 Kommentar von Stefan Brändle »Die Parade der Afrikaner« in der Aargauer Zeitung vom 15. Juli 2014.

60 fr.wikipedia.org/wiki/Loi_française_du_23_février_2005_portant_reconnaissance_de_la_Nati-on_et_contribution_nationale_en_faveur_des_Français_rapatriés

61 Da der Text auch bei mir vorbeikam, habe ich gerne mitunterzeichnet.

Georg Kreis

VORGESCHICHTEN ZUR GEGENWART

Ausgewählte AufsätzeBand 7

Inhalt

Vorwort 7

Teil 1Erster WeltkriegAufbruch ins Verderben 11

»Verdun« als Verflechtungs- und Erinnerungsgeschichte 13

Der Beitrag der französischen Kolonien im 1. Weltkrieg 37

Die politischen Gemeinplätze in den Betrachtungen eines Unpolitischen 53

1914 – der Beginn der Insel-Schweiz 67

Verfassungswidrig und einseitig? 71

Die Eidgenössischen Abstimmungen der Jahre 1914–1918 81

Propaganda in der »Graben«-Schweiz der Jahre 1914–1918 91

Der Erste Weltkrieg und die Schweiz von heute 95

Teil 2Geschichte der Schweiz

Eine neue Schweizer Geschichte 107

Die Schweizergeschichte – ein Endlager gewesener Begebenheiten? 119

Grosse Geschichtsschreibung in der Schweiz des 20. Jahrhunderts? 129

Wozu Schweizer Geschichte? 141

Verflochtene Schweiz 151

Alte und neue Helden der Schweizer Geschichte 155

Warum musste Wilhelm Tell sterben? 167

Unser aller Marignano 175

Die Schweiz – eine Pfahlbauernation 179

Sündenböcke auch in unserer Schweizer Geschichte 185

Rückblick auf »Bergier« 191

Adieu Schweizergeschichte? 197

Die Schweiz und die Menschenrechte im historischen Kontext 201

Wie viel Bevölkerung erträgt die Schweiz? 207

4 INHALT

Nachdenken über die Volksinitiative und deren Reformierbarkeit 217

1848 – eine erfolgreiche Niederlage der Konservativen? 227

1848 – der gestaltungsfreudige Aufbruch in eine unfertige Zukunft 235

Nationalstolz 239

Gibt es die Schweiz? 243

Was bedeutet den Schweizern und Schweizerinnen die Bundesverfassung? 245

Das Jahr 2015 und die selektive Geschichtsversessenheit 253

Von Wien nach Brüssel? 263

Teil 3Rückkehr der Vergangenheit

Eine Woche im September 271

Auf unserer Seite des Zauns 285

Nach dem Holocaust »besser« geworden? 293

Die Schweiz und Apartheid-Südafrika – eine nicht vergehende Vergangenheit? 303

Tränen aus Stahl 315

Staatsschutz und Bürgerrechte: Sicherheit versus Schutz der Privatsphäre 319

Die Burgergemeinde und die Herausforderungen der Zwischenkriegszeit 331

Anders als die klassischen Kolonialmächte? 397

Sorry für die Atombombe? 405

Europa vor dem Krieg (1938/39) 411

Osterweiterung nach 1989 423

Französische Deutschlandbilder vor 1916 – und heute 433

Europäisches Deutschland oder deutsches Europa? 451

Welche Verantwortung hat Europa gegenüber Israel? 455

Angelangt an die Grenzen der Integration? 465

In Memoriam Kurt Imhof 475