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703 DAS ARGUMENT 310/2014 © Wulf D. Hund Crusoes Kreuzzug Marginalie zum Krieg gegen den Teufel bei Daniel Defoe Als Daniel Defoe seinen ›Robinson Crusoe‹ entwarf, ging er ebenso zügig wie planvoll vor. Er schrieb innerhalb kurzer Zeit drei Bände, die beiden ersten mit romanhafter Handlung, den letzten mit belehrenden Essays. Dass die Literatur- wissenschaft hierin vorwiegend das Gesetz des seriellen Erfolges sehen will, ist beschämend. Denn schon im ersten Absatz des Gesamtwerks wird dessen umfas- sendes Programm verkündet: der Autor lässt seinen Helden 1632 in York zur Welt kommen und gibt ihm einen ebenso sprechenden wie vielversprechenden Namen. Sein Geburtsjahr teilt er mit John Locke, seine Geburtsstadt ist derselbe Ort, an dem einst römische Truppen Konstantin den Großen zum Kaiser ausriefen. John Locke ist der Philosoph der ursprünglichen Akkumulation, Konstantin der Herr- scher, der das Christentum zur Staatsreligion eines Imperiums machte. Es nimmt nicht Wunder, wenn ein derart initiierter Knabe dann auch noch Robinson Crusoe heißt. Das in diesem Namen codierte Programm wird im Verlauf der Romanhand- lung im wahrsten Sinne des Wortes abgearbeitet. Sein schließlich noch ausstehender Höhepunkt, die erfolgreiche Wiederaufnahme der Kreuzzüge und die Errichtung der christlichen Weltherrschaft, wird zumindest als Perspektive formuliert: Ich hänge gewiss nicht sonderlich der Meinung an, dass Religion mit dem Schwert begründet werden müsste; aber da die christlichen Herrscher Europas […] nun einmal dem gesamten Rest der Welt dermaßen an militärischer Erfahrung und in der Kunst des Krieges überlegen sind, ist nichts gewisser, als dass sie, wenn sie ihre Interessen verei- nigen würden, in der Lage wären, das Heidentum ein für allemal zu erledigen. Wenn sie ihre Macht bündelten und gemeinsam handelten, würden sie mit Sicherheit das türkische Imperium und das persische Königreich zerstören und selbst den Namen Mohammeds aus dem Gedächtnis der Welt entfernen. Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass das christliche Militär den Türken zur Zeit offenkundig überlegen ist. Gäbe es zwischen uns keine internen Auseinandersetzungen und hätten sich alle […] dem Prinz Eugen angeschlossen, wären die Mohammedaner von ihm aus Europa vertrieben, Konstantinopel eingenommen und das türkische Welt- reich zerschlagen worden. Bis wohin hätte sich nach einer derartigen Eroberung die christliche Religion nicht aus- breiten können? Der König von Spanien würde ebenso mühelos die Macht der Mohren an der Barbarenküste brechen und diese Söhne der Hölle vertreiben, die Algerier, Tripo- litaner, Tunesier und alle mohammedanischen Piraten, und die alten Kirchen Afrikas, die Saat Tertullians, Cyprians und anderer, neu errichten. Selbst der Zar von Moskau […] fände es nicht unmöglich, mit Unterstützung sei- ner Nachbarn, der nordländischen Mächte […], sogar das chinesische Imperium anzugreifen, das […] durch diese Operation untergehen würde; eine derartige Armee

Crusoes Kreuzzug. Marginalie zum Krieg gegen den Teufel bei Daniel Defoe [Crusoe’s Crusade. Marginalia to Daniel Defoe and the War against the Devil]

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Wulf D. Hund

Crusoes Kreuzzug

Marginalie zum Krieg gegen den Teufel bei Daniel Defoe

Als Daniel Defoe seinen ›Robinson Crusoe‹ entwarf, ging er ebenso zügig wie planvoll vor. Er schrieb innerhalb kurzer Zeit drei Bände, die beiden ersten mit romanhafter Handlung, den letzten mit belehrenden Essays. Dass die Literatur-wissenschaft hierin vorwiegend das Gesetz des seriellen Erfolges sehen will, ist beschämend. Denn schon im ersten Absatz des Gesamtwerks wird dessen umfas-sendes Programm verkündet: der Autor lässt seinen Helden 1632 in York zur Welt kommen und gibt ihm einen ebenso sprechenden wie vielversprechenden Namen.

Sein Geburtsjahr teilt er mit John Locke, seine Geburtsstadt ist derselbe Ort, an dem einst römische Truppen Konstantin den Großen zum Kaiser ausriefen. John Locke ist der Philosoph der ursprünglichen Akkumulation, Konstantin der Herr-scher, der das Christentum zur Staatsreligion eines Imperiums machte. Es nimmt nicht Wunder, wenn ein derart initiierter Knabe dann auch noch Robinson Crusoe heißt. Das in diesem Namen codierte Programm wird im Verlauf der Romanhand-lung im wahrsten Sinne des Wortes abgearbeitet. Sein schließlich noch ausstehender Höhepunkt, die erfolgreiche Wiederaufnahme der Kreuzzüge und die Errichtung der christlichen Weltherrschaft, wird zumindest als Perspektive formuliert:

Ich hänge gewiss nicht sonderlich der Meinung an, dass Religion mit dem Schwert begründet werden müsste; aber da die christlichen Herrscher Europas […] nun einmal dem gesamten Rest der Welt dermaßen an militärischer Erfahrung und in der Kunst des Krieges überlegen sind, ist nichts gewisser, als dass sie, wenn sie ihre Interessen verei-nigen würden, in der Lage wären, das Heidentum ein für allemal zu erledigen. Wenn sie ihre Macht bündelten und gemeinsam handelten, würden sie mit Sicherheit das türkische Imperium und das persische Königreich zerstören und selbst den Namen Mohammeds aus dem Gedächtnis der Welt entfernen. Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass das christliche Militär den Türken zur Zeit offenkundig überlegen ist. Gäbe es zwischen uns keine internen Auseinandersetzungen und hätten sich alle […] dem Prinz Eugen angeschlossen, wären die Mohammedaner von ihm aus Europa vertrieben, Konstantinopel eingenommen und das türkische Welt-reich zerschlagen worden.Bis wohin hätte sich nach einer derartigen Eroberung die christliche Religion nicht aus-breiten können? Der König von Spanien würde ebenso mühelos die Macht der Mohren an der Barbarenküste brechen und diese Söhne der Hölle vertreiben, die Algerier, Tripo-litaner, Tunesier und alle mohammedanischen Piraten, und die alten Kirchen Afrikas, die Saat Tertullians, Cyprians und anderer, neu errichten. Selbst der Zar von Moskau […] fände es nicht unmöglich, mit Unterstützung sei-ner Nachbarn, der nordländischen Mächte […], sogar das chinesische Imperium anzugreifen, das […] durch diese Operation untergehen würde; eine derartige Armee

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disziplinierter europäischer Soldaten würde die Streitkräfte dieses riesigen Reiches mit derselben oder noch größerer Leichtigkeit besiegen, mit der Alexander die Armee des Darius zerstörte […].Weshalb sollten also die christlichen Herrscher nicht davon ausgehen, dass es den Seelen der Menschen gegenüber barmherzig und außerdem eine demütige Unterstützung des Waltens der Vorsehung wäre, […] wenn sie die gesamte Welt der Herrschaft christli-cher Macht unterwerfen und so die Kenntnis von Jesus Christus unter den Heiden und Mohammedanern verbreiten würden? […] [D]ie Aufgabe der Macht ist es, den Weg für das Evangelium des Friedens freizumachen […]. [W]ir sollten […] es für unsere 3ÁLFKW�KDOWHQ��DOOH�EDUEDULVFKHQ�XQG�J|W]HQGLHQHULVFKHQ�9|ONHU�GHU�:HOW�]X�XQWHUZHUIHQ��um die Verehrung des Teufels, […] des großen Zerstörers und Feindes der Menschheit, abzuschaffen […]. Ich schlage keinen Krieg gegen Menschen, sondern gegen den Teufel YRU�²�HLQHQ�.ULHJ��GHU�6DWDQ�DOV�WHXÁLVFKHQ�7\UDQQHQ�GHU�:HOW�HQWWKURQW�>«@��,FK�GHQNH��das ist ein rechtmäßiger und gerechter Krieg (3217-221).1

›Robinson Crusoe‹ ist der Roman eines modernen Kreuzritters. Gleich seinen historischen Vorfahren verbindet er Mission und Geschäft. Wie sich weiland Enrico Dandolo auf dem Weg nach Jerusalem bereicherte, indem er Zara und Konstanti-nopel plündern ließ und anschließend mit der Beute heimkehrte, ohne die heilige Stadt je erreicht zu haben (Queller/Madden 1997), organisiert Robinson seinen sozialen Aufstieg aus dem Bürgertum in den Landadel durch die Ausbeutung von Sklaven und stellt in allen drei angeblich von ihm selbst verfassten Bänden diese profane Seite seiner kolonialistischen Vita als Mission dar: im ersten Band als Selbstmissionierung, im zweiten Band als Heidenmission und im dritten Band als globale Aufgabe Europas.

Diese Verbindung von Gewalt, Reichtum und Erlösung ist seinem Namen von Anfang an eingeschrieben. Sein patronymischer Vorname macht ihn zum Nachfolger des Chronisten des ersten Kreuzzuges (Robert the Monk 2005). Sein Nachname weist solcher Vergangenheit eine glorreiche Zukunft und verbindet diese gleichzeitig mit der Erfolgsgeschichte des europäischen Kolonialismus. Er heißt nach seinem deutschen Vater ›Kreutznaer‹, ein Wort, das auch in seiner anglisierten Form ›Crusoe‹ die in ihm enthaltene Botschaft bewahrt.

Sie lässt sich in einem einfachen Diagramm darstellen (vgl. Abbildung 1), das auf Geld gegründet ist. Der ›Kreuzer‹ war eine im Süden des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation weit verbreitete Münze. Der durch ihn symbolisierte Wille zur Bereicherung bildet die Basis eines Name gewordenen Weltbildes. Seinen Überbau liefert das ›Kreuz‹, unter dem schnöde Ausbeutung zum Walten der Vorse-hung wird. Es hatte der Münze, auf deren Rückseite es ursprünglich eingeprägt war, ihre Bezeichnung gegeben (Krünitz 1790, 373), stand aber seit Konstantins Zeiten vor allem für einen religiös legitimierten Machtapparat. Ihm sollte der Sohn Gottes

1 Die Robinson-Trilogie wird hier und im folgenden jeweils mit hochgestellter Bandnummer und Seitenzahlen zitiert: 11997 behandelt Jugend, koloniales Engagement und Inselaufent-halt Robinsons, 21997 führt ihn zunächst auf seine Insel zurück und schließlich auf eine Reise um Afrika nach Indien, China und durch Russland zurück nach England, 31895 enthält 5RELQVRQV�JHVDPPHOWH�5HÁH[LRQHQ��DX�HUGHP�ZLUG�DXI�GLH�HQJOLVFKH�$XVJDEH�GHV�HUVWHQ�Bandes 1E1975 verwiesen; alle Übersetzungen stammen von mir.

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selbst auf die Fahne geschrieben haben: ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist‹, und es symbolisierte schon seit einigen Jahrhunderten die christliche Seite des ›Krieges der Welten‹ zwischen Orient und Okzident (vgl. Pagden 2009). Flankiert werden Geld und Glaube von den Instrumenten ihrer Realisierung. Das eine, ›Kreuzer‹, sind Schiffe, die die Ausbreitung des Kolonialismus unterstützten und die der ›Act for the better securing the Trade of this Kingdom by Cruisers and Convoys‹ noch vor Erscheinen von Defoes Roman mit dem militärischen Schutz von Handelsin-teressen betraut hatte (Owen 1938, 284). Das andere, ›Kreuzzüge‹, sind religiöse wie politische und sozialökonomische Unternehmungen, die von Volksmassen und herrschenden Klassen als ›heiliger Krieg‹ verstanden wurden (Tyerman 2006).

Vor diesem Hintergrund war es grenzenlos naiv, dass Jean-Jacques Rousseau ������������GLH�(U]lKOXQJ�YRQ�¿5RELQVRQ¾�ªYRQ�VHLQHP��EHUÁ�VVLJHQ�%HLZHUN�befreit« und auf die Inselepisode reduziert wissen wollte. Kurzsichtig war auch Karl Marx (1962, 91), der dieselbe Episode erzählte, ohne Freitag auch nur zu erwähnen und zudem erklärte: »Vom Beten […] sprechen wir hier nicht, da unser Robinson GDUDQ�VHLQ�9HUJQ�JHQ�ÀQGHW�XQG�GHUDUWLJH�7lWLJNHLW�DOV�(UKROXQJ�EHWUDFKWHW©��:HLW�JHIHKOW��,Q�5RELQVRQV�3DQRSWLNXP�GHU�$UEHLW�LVW�GDV�6WXGLXP�GHU�%LEHO�HLQH�ª3ÁLFKW�gegenüber Gott« (1159), und wenn er beginnt, »ernsthaft darin zu lesen«, macht er sich erklärtermaßen »entschlossen an diese Arbeit« (1134).

Die berühmte ›Robinsonade‹ ist ohnehin ein ideologisches Schaustück. Wir müssen uns Robinson auf einer Bühne vorstellen, auf der er John Lockes fadenschei-nige Begründung des Eigentums aus eigener Arbeit als Drama inszeniert, das vor

Abb. 1: Nomen est omen

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allem deswegen so langatmig ausfällt, weil hinter der Bühne Sklaven auf Robinsons brasilianischen Zuckerplantagen derart ausgebeutet werden, dass er nach seiner glücklichen Heimkehr reich genug ist, um sich ein Landgut kaufen zu können und als gentleman zu leben (1380ff, 211ff) – natürlich auch das à la Locke (1977, 217). Dessen Eigentümer behauptete: »Das Gras, das mein Pferd gefressen« und »der Torf, den mein Knecht gestochen«, würden durch »meine Arbeit« zu »mein[em] Eigentum«; Robinson erklärt, nachdem er sich ein »Pferd« gekauft und »Dienst-boten« zugelegt hat: »Ich bebaute mein eigens Land, […]�ZDV�LFK�SÁDQ]WH��JHK|UWH�mir« (212).

Das ganze Theater auf der Insel ist nur dazu da gewesen, den Prozess der ursprünglichen Akkumulation mit einem legitimatorischen Mäntelchen zu umgeben. In einer frivolen Vorwegnahme von Erving Goffmans Bühnenmetapher (1983) gibt Robinson vor, auf der Vorderbühne seines Dramas unermüdlich tätig zu sein, während auf der dadurch verhängten Hinterbühne die Sklaven seiner Plantagen vernutzt werden.

Schon zu Beginn der gesamten Geschichte ist freilich eine Spur gelegt worden, die auf den späteren Aufruf zum Krieg gegen Türken und Moslems verweist. Robinson wird zunächst selbst von einem »türkischen Freibeuter« (127) gefangen genommen, der aus Salé stammte, einem jener ›Barbareskenstaaten‹, die durch ihre 3LUDWHULH�GLH�(QWZLFNOXQJ�GHV�HXURSlLVFKHQ�,PSHULDOLVPXV�HPSÀQGOLFK�VW|UWHQ�2

Der muslimische Korsar macht Robinson zu »seinem Sklaven« (128). Erst nach Jahren gelingt ihm die Flucht, auf die er gewaltsam einen ebenfalls versklavten jungen ›Morisken‹ (131) mitnimmt, den er später, angeblich mit dessen »Einver-ständnis« (150), gewinnbringend an einen portugiesischen Kapitän veräußert und damit sein Vermögen genügend aufbessert, um in Brasilien Land für eine Zucker-plantage erwerben zu können. Ehe er sich dann seinen ersten Sklaven kauft, macht er sich zunächst schaustellerisch selbst an die Rodung und Kultivierung des Landes. Dabei will er über »keine andere Arbeit als nur die [s]einer Hände« (152) verfügt haben – wohl wissend, dass John Lockes idealer Eigentümer (1977, 216) seinen Besitz durch »eigene« Arbeit, nämlich »[d]ie Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände«, begründet hat.

$OV�HU�JHOHJHQWOLFK�VHLQHQ�3ÁDQ]HUNROOHJHQ�YRQ�GHQ�J�QVWLJHQ�*HOHJHQKHLWHQ�]XP�6NODYHQHUZHUE�LQ�*XLQHD�HU]lKOW��ELHWHQ�GLHVH�LKP�GLH�SURÀWDEOH�/HLWXQJ�HLQHU�diesem Zweck dienenden Schiffsexpedition an. In deren Verlauf gerät das Schiff in schwere Wetter und nur Robinson kann sich auf seine berühmt-berüchtigte Insel retten. Dort macht er sich sofort ans Werk und plündert nicht nur das vor der Küste liegende Wrack, sondern auch das Wortfeld »Arbeit« derart penetrant, dass sich die damit verbundene Botschaft nur mutwillig übersehen lässt. Nicht nur die Bergung

2 Das galt mehr als 150 Jahre nach Robinsons Gefangennahme auch noch für den nordame-rikanischen Imperialismus, so dass schließlich Thomas Jefferson und James Madison als Präsidenten der USA ihre Flotte in die ›Barbary Wars‹ schickten, die ein heutiger Autor reißerisch als »America’s First War on Terror« (Wheelan 2003) schildert (vgl. auch Leiner 2007).

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der Schiffsvorräte verursacht »Labour and Pains« (1E37), auch die Erkundung der ,QVHO�LVW�ª:RUN©�YROOHU�ª/DERXU�DQG�'LIÀFXOW\©��1E39f). Die Befestigung seiner Behausung erfordert »Time and Labour« (1E44) und erst nach »very laborious and tedious Work« (1E49) fühlt er sich halbwegs sicher. Dann fängt er an »to order [his] times of work« und verbringt, »working every Day«, seine Zeit mit »great Labour« (1E53ff), wodurch er nach und nach zum »Master of [his] Business« (1E77) wird.

Erst nachdem er sich voll philosophischen Hintersinns seine Insel durch eigene Arbeit so weit angeeignet hat, dass er »der unanfechtbare König und Herr über das gesamte Land« ist »und das Recht auf seinen Besitz« hat (1139), macht er sich an die Menschenaneignung und beschafft sich einen Sklaven. Dabei betrachtet er es als »Business«, ihn zu unterrichten und »useful, handy, and helpful« zu machen (1E152). Schließlich stellt er zufrieden fest: »I set him to work […], and in a little Time [… he] was able to do all the Work for me« (1E154). Damit ist er stillschweigend von der schweißtreibenden Legitimation von Eigentum durch eigene Arbeit zu dessen Aneignung aus fremder Arbeit übergegangen. Der so gerechtfertigte Ausbeutungs-zusammenhang wird als Errettung, freiwillige Unterwerfung und Zivilisierung geschildert, die lediglich dem Wohl des versklavten ›Wilden‹ dient.3

Dazu gehört, dass Robinson seinem Sklaven neben den Freuden der Arbeit auch den Geist des Christentums vermittelt. Die »Lehre vom wahren Gott« (1292) über-wältigt diesen dermaßen, dass er seinen »Master« (1282) inständig bittet, die »wilden Männer« seines gesamten Volkes zu bekehren (1302). Angesichts dieser Sachlage ist es nicht zufällig, dass er von Robinson »Freitag« genannt wird – chronographisch, weil er ihm »an diesem Tag das Leben gerettet hatte« (1282), spirituell aber zweifellos nicht ohne Hintergedanken: wo ›Feitag‹ zum ›wahren (christlichen) Gott‹ betet, sind nicht nur die ›Heiden‹ bekehrt, sondern ist gleichzeitig auch dem epochalen monotheistischen Gegner, in dessen Händen Robinson sich einst selbst als Sklave befunden hat, ein Schnippchen geschlagen und das ›Freitagsgebet‹ zumindest der Idee nach nicht länger nach Mekka ausgerichtet. Robinson, der sich durch einen Schirm vor einem »mulattenhaften Aussehen« schützt, aber einen »langen moham-medanischen Schnurrbart« nach Art der »Türken« hat wachsen lassen (1211f), übernimmt unangefochten die Rolle des Propheten einer weltweiten Heidenmission.

Durch deren Botschaft sind auch die Verhältnisse auf Robinsons brasilianischer Plantage salviert und er kann deren Erträge nach seiner Heimkehr guten Gewissens in Besitz nehmen. Seine sozialphilosophische Mission freilich ist damit noch nicht voll-endet. Als nächstes wartet die Organisation einer kolonialen Gesellschaft auf ihn. Auch wenn er dabei keinen Zweifel an der englischen Prärogative lässt, reformiert er seine Insel weitsichtig als ökumenisches christliches Gemeinwesen, in dem protestantische Engländer und katholische Spanier unter der geistigen Leitung eines französischen Benediktinerpaters über gezähmte und missionierte ›Wilde‹ herrschen.

�� �6HLQ�(UÀQGHU��GHU�ZLH�-RKQ�/RFNH�6KDUHKROGHU�GHU�5R\DO�$IULFDQ�&RPSDQ\�ZDU��KDWWH�IUHL-lich klare Vorstellungen vom Nutzen des Sklavenhandels: »No African trade, no negroes; no negroes no sugars […] etc; no sugars etc no islands; no islands no continent; no continent no trade« (zit.n. Davis 2014, 26).

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Ehe es soweit ist, muss freilich ein reichliches Durcheinander geordnet werden, GDV�HLJHQV�I�U�VSlWHUH�5HÁH[LRQHQ�YRQ�,QWHUVHNWLRQDOLWlW�HQWZRUIHQ�ZRUGHQ�]X�sein scheint. Gebildete Spanier werden von faulen und streitsüchtigen englischen Matrosen aus der Unterschicht kujoniert, und indigene Frauen geben zu moralischen Verwerfungen Anlass. Die Inselbewohner fallen in Robinsons Abwesenheit gera-dezu in den »Kriegszustand« (257) zurück. Dem hilft dieser nach seiner Rückkehr mit leviathanischem Sendungsbewusstsein ab, das er vorsorglich eher an Thomas Hobbes (1966) als an Locke orientiert.

Dabei erweist sich, dass noch die bestgemeinte Zivilisierungsmission nicht ohne Gewalt durchführbar ist. Wo ›Wilde‹ massenhaft auftreten, müssen sie zunächst einmal dezimiert werden, ehe sie zivilisiert werden können. Man muss sie »jagen« und »töten«, bis sich ihre »Anzahl verringert« hat, ehe man die Überlebenden »lehren« kann, »Ackerbau zu treiben und von ihrer täglichen Arbeit zu leben« (2122). Wie auch bei seinen sonstigen Schilderungen, ist Robinson auch hier ausgesprochen akribisch, lässt 250 ›Wilde‹ die Inselbewohner attackieren, von denen schließlich 37 überleben dürfen (2112, 2124), was eine Dezimierung auf rund 15 % bedeutet und HLQVFKOLH�OLFK�GHU�IROJHQGHQ�8PHU]LHKXQJ�GXUFKDXV�XQWHU�PRGHUQH�*HQR]LGGHÀQLWL-onen fällt (vgl. Chalk/Jonassohn 1990).

All dies geschieht wie schon die ursprüngliche Inbesitznahme der Insel »im Namen Gottes« (1313), und Robinson ist sich mit dem katholischen Geistlichen einig in dem »Grundsatz«, »den alle Christen, welcher Kirche […] sie auch angehören mögen, anerkennen […] sollten, nämlich, dass die christliche Lehre durch sämtliche nur möglichen Mittel und bei jeder nur möglichen Gelegenheit zu verbreiten ist« (2151). Dass mit dieser Maxime eine welthistorische Perspektive verbunden ist, wird spätestens auf Robinsons weiterer Reise deutlich, die ihn nach der Befriedung seiner »Kolonie« (2184) über den Atlantik, um das Kap der guten Hoffnung, an Mada-gaskar vorbei nach Indien, in die Inselwelt Südostasiens, nach China und von dort schließlich auf dem Landweg durch die Tartarei, Sibirien und Russland zurück nach Hause führt.

Dabei wird ihm die Nichtigkeit außereuropäischer Kulturen ebenso klar wie die Notwendigkeit der inneren Mission im russischen Imperium, dessen asiatischen Teil er überwiegend von »Heiden und Götzendienern« bevölkert sieht, deren »Lebens-weise […] äußerst roh und unerträglich ist« (2308) und in dessen osteuropäischem Teil er zunächst auch überwiegend auf »Heiden« trifft, die »kaum besser als die Wilden Amerikas« leben (2341). Von der Kultur Indiens macht Robinson weiter kein Aufhebens: Bengalen, wo er sich mehrere Jahre lang aufgehalten haben will, wird im Wesentlichen als von der »englischen Ostindischen Kompanie« (2230; vgl. Chaudhuri 1978) dominierter Handelsstützpunkt betrachtet. Von den Einheimischen bleibt zu vermelden, dass sie »überwiegend Heiden oder Mohammedaner« sind und ihre »primitiven Sitten« selbst noch diesen Glauben korrumpiert haben (3116).

Weitaus mehr Mühe wird hingegen auf die Diskriminierung Chinas verwendet. Der Grund dafür liegt auf der Hand: es geht um die Korrektur des Irrtums, den »unsere Leute« begehen, wenn sie sich »so schöne Dinge über die Macht, den

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Reichtum, den Ruhm, die Pracht und den Handel der Chinesen« erzählen, die doch in Wahrheit »eine verächtliche Horde […] von unwissenden, niedrigen Sklaven sind« (2276). Bei Lichte besehen, erscheint ihre gesamte Kultur, so wie ihr berühmtestes Bauwerk, als ein »mächtiges Nichts« (2290). Ihre Baukunst ist primitiv, ihr Handel unterentwickelt, ihre Schifffahrt lächerlich, ihre Landwirtschaft unvollkommen, ihre Nahrung ekelhaft und ihre Wissenschaft kurzsichtig. Vor allem aber ist ihre militäri-sche Stärke ein Popanz, was schon dadurch erhellt, dass selbst »eine Linie deutscher Kürassiere oder französischer Kavallerie die gesamte Reiterei Chinas aus dem Sattel werfen« würde (2275). Das gesamte Land steht nachgerade auf porzellanen Füßen und scheint nur auf seine Erschließung durch den europäischen Kolonialismus zu warten.

Das waren einerseits leicht zu durchschauende Ausfälle gegen die zeitgenössi-sche europäische Begeisterung für Chinoiserien (Blue 1999, 69). Andererseits ging es aber auch entschieden um die Herabminderung und Verteufelung chinesischer Kultur und Spiritualität (vgl. Starr 2010, 442ff). Der Konfuzianismus sei nichts weiter als »eine Rhapsodie von unstimmigen Worten« und bliebe selbst hinter dem Raisonnement der amerikanischen Indianer zurück (3117).4 Die Anbetung monströser Götzen machte den Charakter des gesamten Volkes »ganz und gar töricht«, sie lebten unter einer »absoluten Tyrannei«; Wissenschaft und Technik seien unterentwickelt wie bei »Schwachköpfen« (3120ff).

Für sie und alle anderen Heiden und Häretiker hat die »invisible hand of provi-dence« (3183) ein Schicksal vorgesehen, das die Teufelsanbeter in Amerika schon ereilt habe: die Spanier, »durch Gott zur Zerstörung der sündhaftesten und wider-lichsten Menschen der Welt berufen«, hätten als »Instrumente des Himmels zur Vollstreckung göttlicher Gerechtigkeit« gewirkt und »diese Nationen vom Antlitz der Erde getilgt« (3215f). Anderen soll, wie Robinsons Aufruf an die christlichen Herrscher zeigt, solches Fatum noch bevorstehen. Neben den Chinesen konzentriert sich seine Ranküne dabei vor allem auf Muslime.

Daniel Defoe, dessen (verloren gegangene) erste Publikation das Osmanische Reich und seine Muslime wegen ihres Angriffs auf Wien attackierte (vgl. Arava-mudan 2008, 62), ließ auch später keinen Zweifel an seiner Gegnerschaft zum Islam und erklärte, er würde lieber von der römisch-katholischen Kirche verfolgt, als von den Türken toleriert werden (vgl. Kugler 2012, 87). Wie letztere hielt er auch die nordafrikanischen »Mohammedaner« für ein »tyrannisches Volk« ohne »Fleiß und Gewerbe«, das »Kultur und Fortschritt« vernachlässigen würde, und erinnerte an den leider vergeblichen Versuch Karls V., »die christliche Welt vom Terror solcher Barbaren zu befreien« (Defoe 1728, 319f). Anschließend forderte er ein neuerliches vereintes Vorgehen der europäischen Seemächte England, Holland, Frankreich und Spanien zur Eroberung und Kolonisierung Nordafrikas

4 Da war einer der Wortführer des späteren wissenschaftlichen Orientalismus maßvoller gestimmt – er fühlte sich von den »dem Konfuzius zugeschriebenen Aussprüchen« immer-hin »an die Ausdrucksmittel indianischer Häuptlinge […] erinnert« (Weber 1991, 125; vgl. Hund 2014b).

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und seiner Integration in den europäischen Fernhandel (322ff). Damit würde nicht zuletzt die koloniale Erschließung Afrikas gesichert. Guinea und andere Gebiete würden dann nicht nur Sklaven, Elfenbein und Gold liefern, sondern durch Plan-tagenwirtschaft und Sklavenarbeit auch Kaffee, Zucker, Tee und Gewürze wie 0XVNDW��1HONHQ�XQG�=LPW�XQG�DQGHUH�WURSLVFKH�3URGXNWH��GLH�GRUW�DQJHSÁDQ]W�XQG�kultiviert werden könnten (327ff).

So gesehen, erweisen sich Robinsons Reisen als wohlkalkulierte Einkreisung eines skandalösen Zustands, der Behinderung der uneingeschränkten Ausbreitung europäischen Kommerzes durch das Osmanische Reich und die seine Herrschaft stabilisierende Religion. Der Islam ist ein Handelshindernis und der imperialen Erschließung der Welt im Wege. Auf seiner kolonialen tour de force umschifft Robinson diese Sphäre und hüllt sie dadurch in beredtes Schweigen, dass er die mit ihr verbundenen Probleme zumindest andeutet: zunächst, als seine Karriere beinahe HLQ�(QGH�ÀQGHW��HKH�VLH�UHFKW�EHJRQQHQ�KDW�XQG�HU�YRQ�HLQHP�PXVOLPLVFKHQ�3LUDWHQ�versklavt wird (127-33), weiter, als sein Schiff auf der Reise nach Indien im Persi-schen Golf fünf Matrosen verliert, die von »Arabern« gefangen und getötet oder versklavt werden (2226).

'HU�(LQÁXVV�GHV�,VODPV�UHLFKW�IUHLOLFK�YRQ�GHQ�6lXOHQ�GHV�+HUNXOHV�ELV�]XU�Mündung des Ganges und von den Quellen des Niger bis nach Sumatra, Java und Borneo. Er umfasst die Großreiche der Moguln, Safawiden und Osmanen (vgl. Lapidus 1988). Doch Robinson subsumiert alle unter ›den Teufel und Mohammed‹ und hebt nur ›das türkische Weltreich‹ eigens hervor. Dessen Macht hat das alte medi-terrane Zentrum europäischen Geschäftssinns zu einer Gefahrenzone werden lassen, die die Entwicklung eines einträglichen Kolonialismus stört. Außerdem vertritt es die Rolle des Bösen in einer Jahrhunderte währenden säkularen Auseinandersetzung mit dem Christentum. Ganz so, wie Robinson seine koloniale Landnahme und die Versklavung angeblicher ›Wilder‹ als christliche Zivilisierungsmission ausgibt, kann HU�GDKHU�DXFK�VHLQH�LP�,QWHUHVVH�GHV�3URÀWV�JHJHQ�GLH�2VPDQHQ�JHULFKWHWH�$WWDFNH�als religiöse Botschaft formulieren.

Dabei gehen Christentum, Kapitalismus und Kolonialismus eine untrennbare Verbindung ein. Wenn Crusoe vom Teufel spricht, ist damit letztendlich ein übler Widersacher jeder Entwicklung gewinnbringender Geschäfte gemeint. Er hält sogenannte barbarische und heidnische Völker in seinem Bann und verhindert ihre Integration in ein koloniales europäisches Weltsystem, indem er sie in träger Faulheit YHUKDUUHQ�XQG�OLHEHU�QDFK�0HQVFKHQÁHLVFK�WUDFKWHQ�DOV�DQVWlQGLJHU�$UEHLW�QDFK-JHKHQ�OlVVW��8QG�HU�U�VWHW�KlUHWLVFKH�RULHQWDOLVFKH�0lFKWH�XQG�XQWHU�LKUHP�(LQÁXVV�VWHKHQGH�3LUDWHQ�]XP�.DPSI�JHJHQ�FKULVWOLFKH�6WDDWHQ�XQG�.DXÁHXWH��'LH�7�UNHQ�sind nichts als Instrumente Satans im Kampf des Bösen gegen das Gute. Gegen sie hilft nur ein heiliger Krieg.

Die Legitimation kolonialer Landnahme und Versklavung indigener Völker als segensreiche Verbreitung der Zivilisation kreist um das in der abenteuerlichen Erzählung nur angedeutete Zentrum einer epochalen Entscheidungsschlacht. 'DV�FUXVRHVFKH�)DGHQNUHX]�]LHOW�JOHLFK]HLWLJ�DXI�3URÀW�XQG�'RPLQDQ]��'LH�SROL-

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tische Ökonomie der Robinsonade macht die Ausbeutung von Sklavenarbeit zum Anhängsel eigener Arbeit, die als ›white man’s burden‹ auch die Mühen der Zivi-lisierung ›wilder‹ Anderer umfasst, und schließt den rücksichtslosen Kampf gegen jene ein, die sich der Suprematie Europas und des Christentums verweigern.

Ironische Beilage

Schon Dante (1993, Inferno) mochte die kulturellen Errungenschaften des Islams nicht einfach verwerfen. Für die Retter, Interpreten und Kommentatoren des Erbes der griechischen Antike, Avicenna und Averroes, sah er deswegen im Jenseits einen vergleichsweise angenehmen Aufenthaltsort vor: sie ergehen sich in der Vorhölle zusammen mit den großen Denkern der Antike (4. Gesang). Mohammed hingegen wird tief in den Schlund der Hölle verbannt, wo ihn ein Teufel immer wieder mit dem Schwert traktiert (28. Gesang). Giovanni da Modena hat die Szene später so illustriert, dass sie sicher Defoes Zustimmung gefunden hätte (vgl. Abbildung 2).

Doch Defoe wollte nicht bis zum jüngsten Gericht warten, sondern den Namen des Propheten schon aus den weltlichen Wissensarchiven löschen. An der von ihm inspi-ULHUWHQ�.XOWXU�HWZDV�*XWHV�]X�ÀQGHQ��NRQQWH�I�U�LKQ��ZLH�HV�VFKRQ�*HRUJ�YRQ�8QJDUQ�(1993, 302f; vgl. Hund 2014a, 113f) formuliert hatte, nur heißen, den »deliramenta et illusiones dyaboli« aufzusitzen. Diesen ist freilich, wie es die Geschichte der philosophischen Ideen will, selbst Defoe erlegen. Er bediente sich nämlich unbe-wusst oder heimlich bei den kulturellen Errungenschaften des Islams. Denn zu den Quellen seines ›Robinsons‹ gehört neben Berichten von Reisenden und Erzählungen

Abb. 2: Im Bannkreis des Teufels

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YRQ�6FKLIIEU�FKLJHQ�DXFK�GLH�NXU]H�DEHU�ZLUNXQJVPlFKWLJH�*HVFKLFKWH��LQ�GHU�$Eŗ�%DNU�,EQ�̜XIDLO�]ZLVFKHQ������XQG������YRQ�GHU�6HOEVWELOGXQJ�HLQHV�.QDEHQ�DXI�einer einsamen Insel erzählt.

Der lernt durch Beobachtung seine Unvollkommenheit kennen und fängt an, diese durch die Benutzung von Werkzeug und die Herstellung von Kleidung zu kompensieren, übt sich im Gebrauch des Feuers, stellt Waffen her, zähmt ein Pferd und lernt reiten. Er entwickelt eine Nomenklatur der Dinge, studiert die Anatomie der Tiere und verfällt dabei auf die Idee der Seele. Er eignet sich mathematische, naturwissenschaftliche und philosophische Kenntnisse an, verfällt auf die Vorstel-lung von der besonderen Stellung des Menschen in der Natur und schließt auf die Existenz eines höheren Wesens. Schließlich trifft er auf einen Eremiten, der sich kürzlich auf die Insel zurückgezogen hat. Beide erkennen sich als Menschen, kehren LQ�GLH�:HOW�]XU�FN��XP�DQGHUH�DQ�LKUHU�:HLVKHLW�WHLOQHKPHQ�]X�ODVVHQ��ÀQGHQ�DEHU�QXU�profanen Unverstand vor. Deshalb ziehen sie wieder auf ihr Eiland und verbringen den Rest ihrer Tage in Andacht.5

Sicher waren die ebenso profanen wie zeitgenössischen Quellen von Defoes ›Robinson‹ die Erfolgsstory über den Seemann Alexander Selkirk, der mehrere Jahre DXI�HLQHU�,QVHO�LP�3D]LÀN��EHUOHEW�KDWWH��XQG�GHU�%HULFKW�GHV�6FKLIIVDU]WHV�+HQU\�Pitman über seinen drei Monate währenden Aufenthalt auf einer Karibikinsel (vgl. Severin 2002). Aber die philosophischen Grundlagen der Geschichte wurden von einem islamischen Philosophen gelegt, der in Granada geboren worden war und als Gelehrter in Marrakesch gelebt hatte. Ihm verdankte Averroes den Auftrag zur Abfas-sung seiner Aristoteles-Kommentare. Sein Roman über die menschliche Fähigkeit zur Selbstbildung wurde 1671 von Edward Pococke ins Lateinische übersetzt, gehörte zur /HNW�UH�VHLQHV�6FK�OHU�-RKQ�/RFNH�XQG�EHHLQÁXVVWH�GHVVHQ�9RUVWHOOXQJ�YRP�PHQVFK-lichen Verstand als tabula rasa (vgl. Russell 1994). Die englischen Übersetzungen von 1674, 1686 und 1708 zeugen von der Popularität des Werkes.

In der Folgezeit erwähnten zwar auch zahlreiche westliche Stimmen die Ähnlich-NHLWHQ�]ZLVFKHQ�EHLGHQ�%�FKHUQ��EOLHEHQ�DEHU�KLQVLFKWOLFK�P|JOLFKHU�GLUHNWHU�(LQÁ�VVH�deutlich zurückhaltender als entsprechende Einschätzungen von Autoren aus dem Mittleren Osten (vgl. Baeshen 1986, 16). Das lag nicht zuletzt daran, dass der musli-mische Philosoph den christlichen Schriftsteller vorausschauend beschämt hatte (vgl. /HDPDQ����������I���:lKUHQG�,EQ�̜ XIDLOV�,QVHOEHZRKQHU�GHQ�QHXHQ�$QN|PPOLQJ�DOV�Mitmensch erkennt und begrüßt, unterwirft ihn Defoes Pendant als Sklaven.6 Der kann von Glück sagen, dass er ein ›heidnischer Wilder‹ ist, der sich ›bekehren‹ lässt. Ein Anhänger des Islams wäre besser nicht auf Robinsons Insel gestrandet.

�� �9JO��$Eŗ�%DNU�,EQ�̜XIDLO���������]X�GHQ�]DKOUHLFKHQ�)LOLDWLRQHQ�]ZLVFKHQ�KLVWRULVFKHQ�Robinsonaden und Defoes Roman siehe David Fausett (1994, 47f); dort auch Hinweise zu ,EQ�̜ XIDLO��]X�GHQ�%H]LHKXQJHQ�]ZLVFKHQ�¿5RELQVRQ�&UXVRH¾�XQG�¿+D\\�LEQ�<DTGKDQ¾�VLHKH�auch Attar 2007, 20-27.

6 Beide Autoren sind sich freilich darin ähnlich, ihre Inseln als Männerwelten zu entwerfen (vgl. Malti-Douglas 1996).

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