15
Wiener Geschichtsblätter Inhalt: Herausgegeben vom Verein für Geschichte der Stadt Wien Ortolf Harl, Die römische Epoche 165 Falko Daim, Archäologische Zeugnisse zur Geschichte des Wiener Raums im Frühmittelalter 175 Karl Brunner, Die Ungarnzeit und die Neuorientierung im österreichischen Donauraum . . . . 198 Ortolf Harl, Zu den Ereignissen um die Jahrtausendwende 202 Ortolf H a r 1 Die römische Epoche Will man die Lokalgeschichte eines Gebietes oder Ortes schreiben und be handelt man dabei Zeitläufte, für die als Quellen nur Bodenfunde zur Verfü gung stehen, so entstehen fast immer Lücken im geschichtlichen Ablauf, die sich mit dem lokalen archäologischen Material nicht überbrücken lassen. Denn historische Ereignisse manifestieren sich nicht an jedem Platz mit gleicher Deutlichkeit in Bodenfunden, vieles vom materiellen Erbe unserer Vorfahren ist für uns ganz verloren, weil es aus vergänglichem Material be3tanden hat, und schließlich kann die Bodenforschung viel weniger gleichmäßig die Vergan genheit erfassen als etwa die Urkundenforschung, denn sie ist in hohem Maße vom Zufall und auch vom Glück des Ausgräbers abhängig. Zum Füllen dieser durch die Art der archäologischen Quellen bedingten Lücken kann man sich einerseits auf Ereignisse berufen, die sich in der Nähe zugetragen und daher vermutlich Auswirkungen auf die Nachbargebiete gehabt haben; anderersein muß man sich mit dem Versuch begnügen, die wahrscheinlichen Folgen der besser dokumentierten zeitgenössischen Geschichte für das betreffende Ggziet zu erraten. Bei der Darstellung des ersten Jahrtausends der Wiener Geschichte wird dieses Verfahren einige Male angewendet werden müssen, ja, es wird schon für den Einstieg in unser Thema benötigt. Gerade über eine der interessantesten und folgenreichsten Perioden unserer Vergangenheit, die Jahrzehnte der In besitznahme des Ostalpenraumes durch die Römer und deren Etablierung in diesen neuen Grenzprovinzen des Reiches, von den letzten vorchristlichen Jahr zehnten bis zur Mitte des ersten Jahrhunderts, wissen wir sehr wenig. Wir müs sen daher nach Rom selbst blicken, wo im Jahre 13 n. Chr. der greise Kaiser Augustus in seinem politischen Rechenschaftsbericht sagt protulique fines Illyrici ad ripam fluminis Danuvii“ ( und dehnte die Grenzen von Illyri cum bis ans Ufer der Donau aus“). Welchen Stellenwert Augustus selbst dieser Expansion des römischen Einflußgebietes zumaß, erkennt man daran, daß darüber unmittelbar nach der Erwähnung des größten Erfolges, dessen sich Augustus rühmte, der Rückgewinnung der im Jahre 53 v. Chr. an die Parther verlorenen römischen Feldzeichen, berichtet wird und danach die Feststellung folgt, daß sogar aus Indien königliche Gesandtschaften nach Rom gekommen seien. 36. Jahrgang 1981 Heft 4 Literatur zur Geschichte und Heimatkunde: Neuerscheinungen zur Geschichte Wiens (Felix Czeike) 207 Zeitschriftenüberschau (Felix czeike) 217 Vereinsnachrichten: Professor Fred Hennings-Pawlowski t (Erwin M. Auer) 225 Erneuerung des Doktordiploms für Hofrat Dr. Erwin M. Auer 226 Hohe Auszeichnung für Prof. Padiwy 226 Veranstaltungsprogramm 1981/82 . . . . . . 227 Einladung zur Vollversammlung 1982 . . . . 227 Liste der Mitarbeiter . . . . . . . . 228 Gedruckt mit Unterstützung der Stadt Wien. . Der dieser Ausgabe beiliegende „Bezirkskulturführer Spittelberg“ bildet einen Bestandteil dieses Heftes. Den Bezirkskulturführer erhalten nur Vereinsmitglieder.

Archäologische Zeugnisse zur Geschichte des Wiener Raums im Frühmittelalter. Wiener Geschichtsblätter 36/4, 1981, 175-197

  • Upload
    rgzm

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Wiener GeschichtsblätterInhalt:

Herausgegeben vom Verein für Geschichte der Stadt Wien

Ortolf Harl, Die römische Epoche 165

____________________________________________________________________________

Falko Daim, Archäologische Zeugnisse zur Geschichte des Wiener Raumsim Frühmittelalter 175

____________________________________________________________________________

Karl Brunner, Die Ungarnzeit und die Neuorientierung im österreichischenDonauraum . . . . 198

Ortolf Harl, Zu den Ereignissen um die Jahrtausendwende 202Ortolf H a r 1

Die römische Epoche

Will man die Lokalgeschichte eines Gebietes oder Ortes schreiben und behandelt man dabei Zeitläufte, für die als Quellen nur Bodenfunde zur Verfügung stehen, so entstehen fast immer Lücken im geschichtlichen Ablauf, die sichmit dem lokalen archäologischen Material nicht überbrücken lassen. Dennhistorische Ereignisse manifestieren sich nicht an jedem Platz mit gleicherDeutlichkeit in Bodenfunden, vieles vom materiellen Erbe unserer Vorfahrenist für uns ganz verloren, weil es aus vergänglichem Material be3tanden hat,und schließlich kann die Bodenforschung viel weniger gleichmäßig die Vergangenheit erfassen als etwa die Urkundenforschung, denn sie ist in hohem Maßevom Zufall und auch vom Glück des Ausgräbers abhängig. Zum Füllen dieserdurch die Art der archäologischen Quellen bedingten Lücken kann man sicheinerseits auf Ereignisse berufen, die sich in der Nähe zugetragen und dahervermutlich Auswirkungen auf die Nachbargebiete gehabt haben; andererseinmuß man sich mit dem Versuch begnügen, die wahrscheinlichen Folgen derbesser dokumentierten zeitgenössischen Geschichte für das betreffende Ggzietzu erraten.

Bei der Darstellung des ersten Jahrtausends der Wiener Geschichte wirddieses Verfahren einige Male angewendet werden müssen, ja, es wird schon fürden Einstieg in unser Thema benötigt. Gerade über eine der interessantestenund folgenreichsten Perioden unserer Vergangenheit, die Jahrzehnte der Inbesitznahme des Ostalpenraumes durch die Römer und deren Etablierung indiesen neuen Grenzprovinzen des Reiches, von den letzten vorchristlichen Jahrzehnten bis zur Mitte des ersten Jahrhunderts, wissen wir sehr wenig. Wir müssen daher nach Rom selbst blicken, wo im Jahre 13 n. Chr. der greise KaiserAugustus in seinem politischen Rechenschaftsbericht sagt protulique finesIllyrici ad ripam fluminis Danuvii“ ( und dehnte die Grenzen von Illyricum bis ans Ufer der Donau aus“). Welchen Stellenwert Augustus selbst dieserExpansion des römischen Einflußgebietes zumaß, erkennt man daran, daßdarüber unmittelbar nach der Erwähnung des größten Erfolges, dessen sichAugustus rühmte, der Rückgewinnung der im Jahre 53 v. Chr. an die Partherverlorenen römischen Feldzeichen, berichtet wird und danach die Feststellungfolgt, daß sogar aus Indien königliche Gesandtschaften nach Rom gekommenseien.

36. Jahrgang 1981 Heft 4

Literatur zur Geschichte und Heimatkunde:

Neuerscheinungen zur Geschichte Wiens (Felix Czeike) 207

Zeitschriftenüberschau (Felix czeike) 217

Vereinsnachrichten:

Professor Fred Hennings-Pawlowski t (Erwin M. Auer) 225

Erneuerung des Doktordiploms für Hofrat Dr. Erwin M. Auer 226

Hohe Auszeichnung für Prof. Padiwy 226

Veranstaltungsprogramm 1981/82 . . . . . . 227

Einladung zur Vollversammlung 1982 . . . . 227

Liste der Mitarbeiter . . . . . . . . 228

Gedruckt mit Unterstützung der Stadt Wien.

.

Der dieser Ausgabe beiliegende

„Bezirkskulturführer Spittelberg“

bildet einen Bestandteil dieses Heftes.

Den Bezirkskulturführer erhalten nur Vereinsmitglieder.

174 175

-.. Verm4VtZjs-— 4TI‘‘i —

armE

0 4 L J • t

Abb. 5 Teil eines beheizten Hauses, das über zerstörten Offiziersunterkünften errichtet wurde,aber von den römischen Baulinien abweicht. Spätes 4. bis Anfang 5. Jahrhundert,1, Hoher Markt 3.

(Abb. 5.) Mitten im damals schon teilweise verfallenen Lager wurde ein fürrömische Verhältnisse mehr als bescheiden anmutender Bau aus Steinen mitLehm-(nicht Mörtel!)bindung errichtet, der aber durch seine Bodenheizungnoch den Einfluß der römischen Vorbilder zeigt.

Wie überall in unseren Provinzen hören gegen 400 n. Chr. die Soldzahlungen an das Militär auf. In Wien manifestiert sich dieser gewissermaßen offizielleSchlußpunkt der Römerseit durch einen Schatzfund von 529 Kupfermünzender Kaiser Honorius und Arkadius mit einem spätestmöglichen Prägedatumknapp nach 100. Da dieser Schatz unter einer mächtigen Brandschicht, die anvielen Stellen innerhalb des Lagers festgestellt wurde, lag, scheint damit nichtnur fiskalisch, sondern auch physisch in Vindobona die Römerzeit zu enden.

Literatur

*

Vindobona — Die Römer im Wiener Raum. Katalog der 52. Sonderausstellung desHistorischen Museums der Stadt Wien (1977/78) enthält das gesamte, für die Darstellung derrömischen Epoche wichtige Material, das historisch und archäologisch aufgearbeitet ist.

Die historischen Aspekte stellt in den Vordergrund:Ortolf Harl, Vindobona — Das römische Wien, Wiener Geschichtsbücher 21/22,

Wien 1979.Zur römischen Okkupation Westpannoniens jetzt:

Endre Toth, Arheoloski Vestnik xxviii (1977), 278—287.

Archäologische Zeugnisse zur Geschichtedes Wiener Raums im Frühmittelalter

Einleitung

Stadtarchäologen befinden sich üblicherweise in einem mehrfachenDilemma. Zum einen sind die Möglichkeiten der Spatenforschung im dichtverbauten Gebiet stark eingeschränkt. Gerade im Stadtzentrum, dem Ziel allergrößten Interesses der Siedlungshistoriker und Archäologen. lassen sich höchst. selten ungestörte Befunde früher Siedlungsphasen ergraben. Nach mehr als40 Generationen Bautätigkeit am selben Platz gehört ein einzelnes unversehrtesGrab aus der Völkerwanderungszeit oder ein spätrömischer Töpferofen bereitszu den kühnsten Träumen des Ausgräbers, und geht sofort nach Auffindung als„Fund des Jahrzehnts“ in die Bücher ein. Dabei hat die Chance auf Neutundein den letzten zwanzig Jahren rapide abgenommen — trotz des wiedererstarkten historischen Interesses der Offentlichkeit. Einem heutigen Baggerführer istkaum ein Vorwurf zu machen, wenn er ein archäologisches Objekt von seinem„Hochsitz“ aus nicht mehr rechtzeitig erkennt. Umso zorniger stimmen danndie immer wieder eintreffenden Nachrichten von Fundverheimlichungen, wiezuletzt die von einem Münzschatz, der offensichtlich beim U—Bahn-Bau amStephansplatz gemacht worden ist. Dieser Ohnmacht des Archäologen stehendie sich noch immer in Weiterentwicklung befindenden modernen Auswertungsmethoden gegenüber, die aber möglichst komplette Begräbnisstätten, möglichstgroße und gleichmäßig gegrabene Siedlungsareale verlangen. Die Auswertungeines Einzelfundes erschöpft sich — grob gesagt — in der Typochronologie,eventuell unter Einschluß einer Stilanalyse. Auf einer Fundkarte ist ein Einzel-fund nur mehr ein kleiner Punkt, aussagekräftig lediglich durch seine geographische Situation in Bezug zu allen anderen Fundplätzen. Der Einzeltund anund für sich ist nicht interpretierbar.

Das zweite Dilemma des Stadtarchäologen liegt in den unhistorischenFragestellungen, die an ihn herangetragen werden. Oft unterliegen sogar Fachleute der Versuchung, von der späteren Bedeutung Wiens als Weltstadt ausgehend, nach der Rolle des Siedlungsplazes während der ‚dunklen Jahrhunderte“ zu fragen; in der Frage impliziert ist ja das Postulat, daß einer heutigenaußergewöhnlichen Rolle auch eine frühere ebenso bedeutende entsprechenmuß. Legitim ist hingegen der Versuch, die weitere Entwicklung des vormaligen Römerlagers Vindobona zu bestimmen. Und doch zeigt sich, daß auchkritische und methodisch vorsichtige Wissenschaftler zumindest unbewußt Absichten verfolgen, die sich dann in den Bewertungen der archäologischen Fundeniederschlagen. Dies ist keinesfalls als Vorwurf gegenüber verdienten Forschernaufzufassen, sondern als Erklärung dafür, daß sich seit der Konstituierung derarchklogischen Disziplinen und ihrer Nachbarwissenschaften immer wiederwilde Diskussionen um zumeist minimale Funde ergeben haben, und unser Fachist diesem Stadium durchaus nicht vollständig entwachsen.

Falb Dairn

Fundberichte aus Osterreieh, 19 1980), 724.

176 177

Der Forschungsstand der Frühmittelarchäologie im heutigen niederösterreichischen Raum wurde gerade in der letzten Zeit mehrmals ausführlich dargelegt2. Darüber hinaus hat Ferdinand Opll erst kürzlich die Ergebnisse derverschiedenen historischen Disziplinen zur Frage der frühmittelalterlichen Siedlung im Bereich Vindobona-Wien gegenübergestellt, und hat — als Historiker — die bewunderungswürdige Arbeit, sich in die Literatur der benachbartenDisziplin einzulesen, nicht gescheut3. Einige kleine Korrekturen und Ergänzungen sind auf den folgenden Seiten angebracht. So hat der vorliegende Artikelhauptsächlich iilustrativen Charakter. Wenn ich die Einladung zur Abfassung&r vorliegenden Arbeit dennoch angenommen habe, dann nicht zuletzt deshalb, weil gerade in letzter Zeit einige Fundobjekte wiederaufgetaucht sind, dielängere Zeit verschollen waren, und dementsprechend noch nie, mit verwendbaren Zeichnungen versehen, vorgestellt wurden. In diesem Sinn sind die eingefügten Exkurse zu verstehen. Für wertvolle Hinweise und Anregungen dankeich meinen Lehrern Herrn Univ.-Prof. Dr. Herwig Friesinger und HerrnUniv.-Prof. Dr. Herwig Wolfram.

Goten und Hunnen — Der historische Rahmen4

Traditionellerweise läßt man die Völkerwanderungszeir mit der Ankunftder Hunnen in Osteuropa beginnen. 375 vernichteten hunnische und alanischeReiter das Ostgotenreich des Ermanarich. In der Folge mußten diejenigen gotischen Verbände, die sich der hunnischen Herrschaft entziehen wollten, auswei—dwn und erhielten 376 Aufnahme ins Römerreich. Doch bereits zwei Jahrespäter vernichtete ein Heer aus Goten, Alanen und hunnischen Gruppen dieoströmische Hofarmee, wobei außer dem Kaiser Valens fast alle Generale und35 Offiziere im Oberstenrang den Tod fanden. Dem Nachfolger des gefallenenKaisers, Theodosius dem Großen (379—395), gelang es, der Situation Herr zuwerden, indem er den Ausgleich mit den gentilen Formationen, die das Reichbedrohten, suchte. So kam es 382 zur Aufnahme eines ganzen Volkes, derDonaugoten unter ihrem Fürst Fritigern, in das Reich. Präzedenzfall für dieseVorgangsweise bildete das Abkommen, das der Westkaiser Gratian mit demostrogothisch-alanisch-hunnischen Stammesverband geschlossen hatte. So ließensich 380 Ostrogothen, Alanen und Hunnen in den pannonischen ProvinzenValeria und Pannonia II nieder. Der römische Limes war nie ein „EisernerVorhang“. Abgesehen von intensiven Handelsbeziehungen, die für Römer wiefür die Barbaren wichtig waren, konnte auch ein Nichtrömer im RömerreichKarriere machen, sofern er sein Römertum über seine Stammcsherkunft stellte.

Katalog der Ausstellung Germancn, Awaren, Slawen in Niederösterreich“, Wien 1977,mit Fundkataster und Lireraturangaben; Herwig Friesinger — Horst Adler, Die Zeit derVölkerwanderung in Niederösterreich (XssenschafrIicl,e Schriftenreihe Niederösterreich 41/12,1979); Falko Daim, Die Awaren in Niederösterreich (Wissenschaftliche Schriftenreihe Niederösterreich 28, 1977); Herwig Wolfram, Die Karolingerzeit in Niederösterreich (Wissenschaft.liche Schriftenreihe Niederösterreich 46, 1980); Herwig Friesinger. Die Slawen in Niederösterreich (Wissenschaftliche Schriftenreihe Niederösterreich 15, 1976).

Ferdinand OpIl, Die Entwicklung des Wiener Raumes bis in die ßabenbcrgerzeit, in:Jb.VGSrW, 35 (1979), 7ff.

Die im Folgenden gebotene Darstellung folgt im wesentlichen Herwig Wolfram, Geschichte des Donau- und Ostalpenraums vom Ende des 4. bis zum Anfang des 10. Jahrhunderts (Geschichte Osterreichs 3/1, im Druck); vgl. auch: Friesinger — Adler (Anm. 2).

1‘1

Abb. 1 Glättverzierte Keramik, 5. Jahrhundert. 1: Wien 10, lnzersdorf, 1876; 2: Wien 11,Simmering-Zcntralfriedhof; 3—5: Wien 21, Leopoldau. Maßstab: 1: 1/2; 2—5: 1/4.

178 179

Das Neue an der Situation zum Ende des 4. Jahrhunderts war die Tatsache, daßnun ganze Volksteile mit ihrer Sozialstruktur und Herrschaft in das Reich aufgenommen und als Herren über ein definiertes Gebiet anerkannt worden sind.Das foedus, der Vertrag, der mit ihnen abgeschlossen wurde, verpflichtete sieunter anderem zur militärischen Unterstützung im Kriegsfall. Keinesfalls stelltdie Aufnahme von Föderaten die Abtretung von Reichsgebiet dar.

Der niederösterreichische Raum dürfte durch die Ansiedlung der Ostrogothen in Pannonien nicht berührt worden sein. Die politische Situation in unserem Raum war nach wie vor durch einen gentilen Druck gegen die Donauvom Norden und durch dic Alamannen auch vom Westen her geprägt. Auchhier führten die Auseinandersetzungen zu Föderatenverträgen. So ist beispielsweise für die Zeit um 395 die Ansiedlung von markomannischen Sueben im südlichen Niederösterreich bezeugt. In den folgenden Jahren kam es wiederholtzum Durchzug von Völkerschaften durch das Donaugebiet. So geschah es 401,als Vandalen, pannonische Alanen und bastes Pannonii, pannonische Provinziale, die sich ihnen angeschlossen hatten, gegen Westen zogen. 405 fielen diewohl ostrogothischen Scharen des Radagais in Italien ein. Vielleicht wurdedabei auch Vindobona niedergebrannt. Drei j‘hre später besetzte Alarich 1. mitseinen Goten Teile Pannoniens und Noricums. Noch im selben Jahr zieht erallerdings zusammen mit den gotisch-hunnischen Reitern seines Neffen Athaulfnach Italien. Dennoch hielt die Gotisierung Pannoniens an. Wohl bald nachdem Abzug Alarichs nach Italien, der Eroberung Roms, dem Tod Alarichs undder schließlichen Ansiedlung der Goten in Gallien setzen sich die Hunnen imKarpatenbecken fest. Sie spielen bald eine wichtige Rolle in der politischenAuseinandersetzung zwischen dem Heermeister Aetius und dem römischen Adel,und wurden auch bei verschiedenen Heerzügen als Hilfstruppen eingesetzt.Nach der Ermordung seines Bruders Bleda vereinigt der Hunnenkönig Attila415 die Herrsdmft in seiner Hand. Das Bild von den so gut wie unbesiegbarenReitern aus dem Osten, das während des ganzen Mittelalters immer wiedertradiert wurde, entsteht in den acht Jahren von Attilas Königtum. 151 zogendie Hunnen sengend und brennend nach Gallien, und trotz ihrer Niederlageauf den Katalaunischen Feldern fallen sie 452 wieder in Italien ein.

Die Zeit der hunnischen Herrschaft in unserem Raum war dennoch einePeriode der relativen Ruhe, die sich auch im archäologischen Material widerspiegelt. Spätestens 455, nach dem Tod Attilas, zerfiel das gewaltige Hunnen-reich auf Grund der verschiedenen gentilen Unabhängigkeitsbestrebungen. Nachder Niederlage der hunnischen Koalition am Nedao siedelten die Gepiden östlich der Theiß und im heutigen Siebenbürgen. Die geschlagenen Hunnen undihre Verbündeten, die sogenannten Valamir-Goten, wurden römische Föderatenin Pannonien. Gleichzeitig ließen sich im westlichen Weinviertel die Rugiernieder. Als Reaktion auf eine politische Verbindung der Rugier mit suebischen,skirischen, erulischen, gepidischen und sarmatischen Gruppen unter Führungdes Suebenkönigs Hunimund erringen die Ostgoten 469/70 die Vorherrschaftüber die genannten genus. Für diese Jahre, das 3. Viertel des 5. Jahrhunderts,besitzen wir eine der berühmtesten Quellen des europäischen Frühtnittelalters,die Lebensbeschreibung des hl. Severin. Geschrieben von dem Abt Eugippius,steht sie in der spätantiken Tradition und berichtet vom Wirken des hl. Severin,wie vom Leben und den Zwängen der im bayerisch-österreichischen Donauraumlebenden Romanen. Als Severin am 6. Jänner 482 starb, war Odoaker, demSeverin zuvor sein Königtum geweissagt hatte, am Höhepunkt seiner Macht.

Abb. 2 Funde des 5. Jahrhunderts. 1: Wien 1, Am Hof; 2: Wien 1, Kriesrninisterium, AmHof; 3: Wien 1, Salvatorga5se; 4: Wien 10, lnzersdnrt, Wienerfeld Ost; 5: Wien II.Simmering, Zentralfriedl,nf; 6: Wien 21, Leopoldau; 7: Wien 22, Aspern; 8: Wien 23,Atzgersdorf.

476 war er von der italienischen Armee zum König ausgerufen worden undhatte den letzten römischen Kaiser Romulus Augustus abgesetzt. Fortan bemühteer sich um die Anerkennung seiner Herrschaft in Italien durch Ostroni. 187und 4S8 führte Odoaker einen Feldzug gegen die Rugier, wobei das rugischeHerrscherpaar gefangengenommen und später hingerichtet wurde. Im selbenJahr, 488, läßt Odoaker die Romanen, soweit er sie durch seine Truppen dazuzwingen kann, nach Italien absiedeln und nimmt die Nordgrenze des Römer-reiches an die Alpen zurück. Ebenfalls noch 488 bricht Theoderich der Großemit seinen Goten nach Italien auf. Nach fünf Jahren verlustreicher Kämpfe mitOdoaker führt Theoderich einen Vergleich mit dem italischen König herbeiund tötet ihn eigenhändig „aus Rache“. inzwischen haben sich die Langobardenunter ihrem König Godeoc im verlassenen „Rugiland“ niedergelassen.

s Siedlungsfunde

7 Grabfunde

180 181

Vindobona und Umgebung im 5. Jahrhundert —

Die archäologischen Quellen

Erst in den letzten Jahren hat man systematisch versucht, die archäologischen Funde des 5. Jahrhunderts chronologisch abzugrenzen und zusammenzutragen. Während die reichen Grabfunde der Hunnen, Ostrogothen und Alanenals fremdländische Elemente — was die grundsätzliche Zuordnung betrifft —

keine besonderen Schwierigkeiten boten, waren umfangreiche Studien vonnöten,bis es gelang, die keramischen Produkte der in spätrömischer Tradition arbeitenden Werkstätten des 5. Jahrhunderts zu definieren. Richtungweisend wardabei die Bearbeitung von neugegrabenem Keramikmaterial aus Carnuntumdurch Mathilde Grünewald und eine Uberblicksarbeit von Herwig Friesinger,in der er zahlreiche Funde des 5. Jahrhunderts einander gegenüberstellte. Nunhat Friesinger anläßlich einer Analyse zweier Töpferofenfunde aus Mauternund Ternitz das Wiener und niederösterreichische Vergleichsmaterial zusammengetragen, und es zeigt sich, daß mit der nun wesentlich verbreiterten Material-basis auch entsprechend qualifiziertere Aussagen möglich sind5.

Die römischen Lager waren auch im 5. Jahrhundert noch als Befestigungsanlagen verwendet worden, wie Untersuchungen in Carnuntum und Zeiselmauerzeigten. Die übrigen Lagergebäude, die von der zahlenmäßig viel geringerenBesatzung nicht benötigt wurden, verwendete die Zivilbevölkerung und bautesie entsprechend um°. Auch in Wien fand sich im Bereich des römischen LagersAm Hof und in der Salvatorgasse die glättverzierte hellgraue oder graubraune,scheibengedrehte Keramik, die in den provinzialrömischen Werkstätten hergestellt worden war. Die gleiche Ware fand sich auch als Import in gleichzeitigen Siedlungen nördlich der Donau, so zum Beispiel in Wien-Leopoldauund Wien-Aspern7.

Die archäologischen Reste der hunnischen, alanischen und ostrogothischenFöderaten sehen wir in einigen außergewöhnlichen Gräbern, die sich in Niederösterreich, aber auch in Wien fanden. Berühmt wurden die Inventare von wohldrei Gräbern aus Untersiebenbrunn, Niederösterreich, die unter anderem einPaar Silberpiattenfibeln erbrachten, die mit Gold überzogen und mit Almandinen verziert waren. Der gleichen Zeitstufe entsprechen in Wien Gräber ausLeopoldau, Simmering-Zentralfriedhof, Inzersdorf-Wienerfeld Ost und Atzgersdorf. An den drei erstgenannten Fundplätzen wurden waffenführende Männergräber aufgedeckt, die einen guten Einblick in die Kampfweise dieser Zeitermöglichen. So stammt aus Leopoldau eine Spatha, ein einschneidiges Hieb-schwert, und aus Simmering-Zentralfriedhof ein einschneidiger Sax sowie einbeinverstärkter (zusammengesetzter“) Reflexbogen mit mehreren dreiflügeli

Mathilde Grünewald, Die Geiäßkeramik des Legionslagers von Carnuntum (Grabungen 1968_i9741) (Der römische Limes in Osterreich 29, l979); Fresinger — Adler (Anmerkung 2); Herwig Friesinger — Helga Kerchler, Tüpferöfen der Völkerwanderungszeit inNiederösterreich, in: Archaenlogia Austriaca, 65 (1981), im Druck.

Hermann Vetters, Zorn Problem der Kontinuität im niederösterreichischen Limesgebiet,in: Jb.Lkde. NO., NE. 38 (1968—1970) = Festschritt für A. Klaar und H. Mitscha-Märheim,48 ff.; Hannsjörg Ubl, Der spätrömische Burgus von Zeiselmauer, Grabung und Restaurierung,in: Bonner Jahrhücher, Beiheft 38 (1977), 251 ff.

Marianr.e Pollak, Die germanischen Bodenfunde des 1—4. Jahrhunderts nach Chr. imnördlichen Niederösterreich 1 (Studien zur Ur- und Frühgeschichte des Donau— und Ostalpen—raums 2, 1 = Den!;shriften der phil-hin. Klasse der Osterr. Akademie der Wissensd,aften 147,1980), 151 ff.

.——.‘

2

Abb. 3 Wien 10, \Vienerfeld Ost. Maßstab 1/2.

gen Eisenpfeilspitzen. Der Reflexbogen ist dabei eine typische Reiterwaffe —

unter den Feuerwaffen mit dem Karabiner zu vergleichen —‚ der auf Grundseiner beinversteiften Arme trotz seiner Kürze eine beeindruckende Durchschlagskraft erzielte. Die fatale Wirkung dieser Waffe mag ein Lendenwirbelillustrieren, der ebenfalls aus einem Grab von Wien-Leopoldau stammt und imNaturhistorischen Museum aufbewahrt wird: Offensichtlich war der Mann aufeinem Pferd sitzend von schräg vorne getroffen worden. Der Pfeil hatte seineLeber verletzt und den gesamten Wirbelkörper durchschlagen. Die Pfeilspitzewar knapp vor ihrem Wiederaustritt steckengeblieben. Abgesehen von zeit-gleichen Gräbern — so stammt auch aus dem Grab aus Wien-Inzersdorf-Wienerfeld Ost eine dreiflügelige Eisenpfeilspitze — treten der zusammengesetzteReflexbogen und die dreiflügeligen Eisenpfeilspitzen in unserem Raum erstwieder mit der Ankunft der Awaren auf.

Die bezeichneten waffenführenden Gräber aus dem 5. Jahrhundert enthielten daneben auch glättverzierte Keramik, welche die Verbindung zu denhier ansässigen Romanen aufzeigt. Die Poliethnizität im 5. Jahrhundert illustriert auch eine Modeerscheinung der damaligen Zeit, die künstliche Schädeldeformation, die bei dem Skelett aus Simmering-Zentraltriedhof festgestelltwurde. Ein weiterer deformierter Schädel wurde im vorigen Jahrhundert inAtzgersdorf gefunden. Auch Skelette, die in Wien 1, Salvatorgasse aufgedecktwerden konnten, zeigten die Folgen dieser Kopfverschönerung. Eine Frau, diehier bestattet worden war, hatte als Bestandteile ihrer Tracht ein Paar silberneSprossenfibeln mit rhombischer Fußplatte, die in das ausgehende 5. Jahrhun

182 183

dert gestellt werdenS (Abb. 4/1). Die ethnische Zuordnung der Trägerin ist nichtzweifelsfrei durchzuführen. Sie könnte eine Erulerin gewesen sein, oder — wennman die mögliche Laufzeit der Fibeln berücksichtigt — eine Langobardin. DieTatsache, daß bei den Langobarden die künstliche Schädeldeformation nichtüblich war, spricht allerdings gegen eine derartige Zuordnung, wenn sie auchnicht Beweiskraft hat. (Vgl. 5. 186.)

Exkurs: Zwei Gefäße aus Wien 10 — Wiener feld Ost

Am 19. März 1952 wurde beim Bau der Schule Wien 10 — Wienerfeld Ostein Grab angefahren und teilweise zerstört. Alfred Neumann konnte noch dieGrabumrisse feststellen und einige Beigaben, nämlich einen Topf, einen Krug,eine Schale und eine dreiflügelige Eisenpfeilspitze bergen. Vom Skelett desBestatteten vermerkt er nur Teile der Knochen“. 1966 publizierte Neumanndas Grab in der Festschrift für Alphons A. Barb, wobei er die Fundumständemit Hilfe zweier Planskizzen genauer darlegt&‘. Hingegen bildete er die Objektenur in Fotografien ab. In den folgenden Jahren waren die Fundmaterialiennicht auffindbar. Erst in den letzten Monaten wurden im Depot des Historischen Museums Revisionsarbeiten durchgeführt. Dadurch wurden die Schaleund der Topf wieder zugänglich und können hier in Zeichnung vorgestellt werden. Herrn Dr. Ortolf Harl möchte ich an dieser Stelle für seine liebenswürdigeHilfe meinen Dank aussprechen.

5 c ha 1 e ‚ scheibengedreht, aus hellgrauem, feinem Ton, stellenweisedunkle Schmauchtlecken. Gut abgesetzte Standfläche, die konische Wand mitneun ovalen Eindellungen verziert, dazwischen Dichtungsglättung. H 34,Sttldm 50—53, Msdm 133. Hist. Museum Wien, o. mv. Nr. (Abb. 3/1.)

T o p f, scheibengedreht, aus hellgrau gebranntem, mit feinen Steinchengemagertem und porös wirkendem Ton. H 126, Stfldm 68, Bdm 146, Msdm 115Hist. Museum Wien, o. mv. Nr. (Abb. 3/2.)

Beide abgebildeten Gefäße, wie auch der momentan nicht auffindbare Krugstehen in der Tradition der spätrömischen Töpfereien. Die dreiflügelige Pfeil-spitze kennzeichnet hingegen den Bestatteten mit großer Wahrscheinlichkeit alsMitglied der hunnisch-alanisch-ostrogothischen Füderaten.

Langobarden — Der historische Rahment°

Nach dem Untergang der mitteldanubischen Föderatenreiche der Rugier,Sarmaten, Sueben und Skiren dehnten die Eruler ihr Herrschaftsgebiet nachallen Seiten hin aus. Zu ihrem Einflußgebiet scheinen auch die Langobardengehört zu haben, die bis etwa 489 in Böhmen siedelten. Nun zogen sie unter

Alfred Neumann, Spital und Bad des Lcionslagers Vindobona. Die ArchLiologischenErgebnisse der Kanalgrabung Wien 1, Salvatorgase (1951. in: Jahrbuch des Rümisch-Germaniscl,en Zentraiamuscums Mainz, 12 (1965), 99ff., bes. i3ff. und 117ff.

Alfred Neumann, Die römische Siedlung in Wien-Inzersdorf am Wienerberg, in:\Vissensehaftliche Arbeiten aus dem Burgenland, 35 (1966) = Festsel,rift für A. Barb, 115 ff.,bes. 126 ff. (mit Abb. 19—21).

10 Nach Wolfram (Anm. 4) und Adler (Anm. 2); vgl. auch lstv&n B6na, Der Anbruchdes Mittelalters. Gepiden und Langobarden im Karpatenbecken, Budapest 1976.

• 12

1

Abb. 1 Fibeln aus dem Ende des 5. und dem 6. Jahrhundert. 1: Wien 1, Salvatorgasse;2: Wien 6, Mittelgasse. Maßstab 1/1.

184 185

ihrem König Godeoc ins „Rugiland“, das mit dem westlichen Weinviertelidentifiziert werden kann, möglicherweise um die Westflanke des Erulerreichesabzudecken. Gegen 505 weiteten sie ihr Siedlungsgebiet über die Ebene „Feld“,nach Horst Adler das Tuliner Feld, aus. Die immer mehr erstarkende Machtder niederösterreichischen Langobarden dürfte schließlich den Erulern unheimlich geworden sein, so daß sie 508 einen Präventivschlag führten — und denkürzeren zogen. Die Eruler verloren Land und Herrschaft und versuchten zunächst gegen Westen auszuweichen, während die Langobarden unter ihrem König Tato ihr Herrschaftsgebiet über das niederösterreichische Weinviertel undSüdostmähren ausdehnten. Von etwa 510 bis 540 hatte König Wacho dasKönigtum inne. Unter seiner Herrschaft besetzten die Langobarden die Pannonia 1 und die Valeria entlang der Donau. Erst 547/48 konnte König Audoinauf Grund eines Vertrages mit Kaiser justinian 1. auch die südlichen Teile derPannonia 1 und der Valeria sowie große Teile der Pannonia II, ausgenommendas oströmische Srmium, selbst in Besitz nehmen. Der Vertrag mit Justinianhätte auch die Oberhoheit über das gesamte Noricum den Langobarden zugesprochen, doch saßen hier bereits die Franken.

Das letzte Kapitel der pannonischen Geschichte der Langobarden ist bestimmt durch die Auseinandersetzung mit den Gepiden, die jenseits der Theißsaßen. Zwischen 547 und 552 konnten die Langobarden einen beachtlichen Teil-erfolg erringen. Mitte der sechziger Jahre. als der zweite große Krieg drohte,

1 hielten sich die Byzantiner neutral. Die Zerstörung des Gepidenreiches besorgten 567 allerdings die Awaren, mit denen der Langobardenkönig Alboin einenVertrag geschlossen hatte. Für ihre Dienste übernahmen die Awaren die Herrschaft über das gesamte gepidische Siedlungsgebiet und — von dem Abzug derLangobarden nach Italien 568 an — auch über das restliche Mitteldonaubeckenbis zur Enns. Die Langobarden begründeten in Norditalien ihr Reich, das erst200 Jahre später durch Karl den Großen zerstört wurde.

Die archäologische Hinterlassenschaft der Langobarden

Auf dem heutigen ‘Wiener Gemeindegebiet konnte bisher nur ein einzigeslangobardisches Gräberfeld freigelegt werden, und zwar in Wien 6 — Mittel-gasse. Der Friedhof wurde zu Ende des vorigen Jahrhunderts freigelegt. Einenkurzen, aber doch detailreichen Bericht verdanken wir Matthäus Much, derbeispielsweise vermerkte, daß die Bestattungen stark gestört waren, ein Befund,

k5flfR-ih .M5SW@t3..

1

02

E

cr

M

Ii11

J 3Abb. 6 Material aus einem lanzobardischen Grab? rundort vermutlich Wien.

Maßstab: 1 und 2: 1/1; 3: 1/2.

y Grabfunde

Abb. 5 Funde des ausgehenden 5. und 6, Jahrhunderts. 1: Körpcrgräbcr aus Wien, 1, Salvatorgasse (Eruler?); 2: langobardisches Gräberfeld aus Wien 6, Mittelgasse.

186 187

den wir auch bei allen anderen, im niederösterreichischen Raum aufgefundenenlangobardischen Gräbern zur Kenntnis nehmen mußten“. Die Funde, die aufuns gekommen sind und die sich durchaus sehen lassen können, stellen lediglichden Rest dar, den die Grabräuber übersehen oder als wertlos zurückgelassenhaben. Zu den offensichtlich „übersehenen‘ Gegenständen gehört das silberneBügelfibelpaar aus dem ersten, zufällig angeschnittenen Grab. (Abb. 4/2.) Interessant scheint auch die Bemerkung Muchs, „Eine hervorstechende und deshalbbezeichnende Erscheinung unter den Schädeln bildet aber ein sogenannterSchnUr— oder Thurmsdädel von der ausgeprägtesten Art; er gehörte einem Gr&sean, da die Alveolen gänzlich abgeschliffen und die Nähte verwachsen sind.“Es handelt sich also um die oben beschriebene Mode der künstlichen Schädel—deformation, die im 5. jahrhundert weit verbreitet war. Es kann angenommenwerden, daß sich der hier Bestattete den Langobarden erst in unserem Raumangeschlossen hatte.

Machen Schmuck und Bewaffnung der norddanubischen Langobardennoch einen gemeingermanischen Eindruck — erst ab dem zweiten Viertel des6. jahrhunderts nimmt das langobardische Kunsthandwerk eine eigene Entwicklung — lassen sich in der Keramik schon bald die lokalen Einflüsse feststellen. Die scheibengedrehten, glättverzierten, hellgrau gebrannten Schüsseln,wie wir sie nun auch vom Töpferofen in Ternitz kennen, finden sich in langobardischen Gräbern und lassen sich aus der spätantiken Tradition herleiten.

Abgesehen von dem genannten Gräberfeld, liegt nur ein weiteres langobardisches Grabinventar vor, das vermutlich in Wien aufgefunden worden war(siehe Exkurs). Leider ist über die Fundumstände nichts näheres bekannt.

Der Mangel an langobardenzeitlichen Grabfunden aus Wien entsprichtnicht ganz der langobardischen Präsenz in unserem Raum. Zwar kam detn ehemaligen Vindobona sicher keine zentrale Rolle im Handel und im Handwerkzu, doch zeigen interessante Gräber aus der Umgebung Wiens, aus Schwechatund Mödling, daß zumindest das nördliche Wiener Becken gleichmäßig besiedelt war‘.

Mit dem Abzug der Langobarden nach Italien brechen auch die archäologischen Funde ab. Zwar mißtraut der Archäologe aus Erfahrung historischenNachrichten von ‚vollständigen“ Abzügen und es lassen sich auch immer wieder germanische Elemente in frühawarischen Gräberfeldern feststellen, dochfehlen bisher Funde aus der Zeit nach 568, die sich zweitelsfrei mit den Langobarden verbinden lassen.

E.vknrs: Ein langobardisches Crabinvcntar aus Viun?

Anläßlich der Recherchen für die vorliegende Arbeit fanden sich im Depotdes Historischen Museums mehrere Objekte, die in ein Stück Packpapier eingeschlagen waren. Dieses trug eine unleserliche Aufschrift, lediglich die Worte„Von einem Skelett gerettet sind zu entziffern. Daraus läßt sich immerhin

‚ Gute Zusammenfassungen zur Archäologie der Langobarden bieten Horst Adler imKatalog »Germanen, Awaren, Slawen in Niederösterreich“ (Anm. 2) und Friesinger — Adler(Anm. 2). Ich danke Herrn Dr. Horst Adler für die Oberlassung der Zeichnungen Abb. 4/2.

Horst Adler, Neue langobardisehe Gräber aus Scl:wechat, in, Pu:idberichte aus Osterreich, 18 (1979), 9ff.; Peter Stadler, Das langobardische Gräberfcld von Mödling, Niederösterreich, in: Archacologla Austriaca, 63 (1979), 31ff.

• ‘1

• !4•

1

2

3

Abb. 7 Awarische Rienserzungen, 8. Jahrhundert, 1: Wien Ii, Unter St. Veit; 2: Wien 12.Herviciusgasse; 3: Wien II, Hauffgasse. Peitschenknauf; 4: Wien 13, Unter St. Veit.Maßstab 1/1.

188189

schließen, daß es sich um ein Grabinventar handelt. Ober den Fundort besitzenwir keine Hinweise, doch kann vermutet werden, daß die Bestattung im Bereichder Stadt Wien aufgefunden worden war.

5 c h il d dorns c h n alle, fragmentiert, Bronzeguß, mit eingeschla—gener Verzierung. Rahmen: L 24, B 34, D 8; Dorn: L 32, B 12, D 4. 0. mv. Nr.(Abb. 6/1.)

G ii r t e 1 h a f t e, Bronzeguß. Zur Befestigung wurde an der Unterseiteein über 20 mm langer Dorn mitgegossen und dieser nachträglich zu einer Oseumgebogen. L 14, B 8, D der Platte 1, H der Platte mcl. der Use 11. 0. mv. Nr(Abb. 6/2.)

Zw ei E i s e ii f r a g m e n t e eines schwertartigen Objektes, vielleichteines Webschwertes, mit angerosteten Holzresten. Das Objekt ist durch Korrosion lammellenartig aufgeplatz. L 215 und 104, B 51 und 37, D 24 und 14.0. mv. Nr. (Abb. 6/3.)

Sowohl die Schilddornschnalle wie auch die Gürtelhafte ermöglichen es,das vorliegende Inventar in die Langobardenzeit zu stellen. Eine gute Parallelefür unser Material bietet das Inventar aus Grab 2 des langobardischen Gräberfeldes von ?vlödling10, das ein in unserem Raum seltenes Beispiel einer ungestörten Bestattung darstellt. Außer einem Scheiben- und einem Bügelfibelpaar fandsich unter anderem auch eine Schilddornschnalle, die allerdings unverziert ist,sowie drei Gürtelhaften. Letztere waren in Silber gegossen worden und besitzenan der Unterseite zungenförmige Osen. Peter Stadler konnte das MödlingerInventar in die Mitte des 6. Jahrhunderts datieren, eine Zeitstellung, die auchfür unser Grabinventar angenommen werden kann.

Franken, Awaren, Slawen — Der historische Rahmen

Noch bevor die Langobarden in unseren Raum gekommen waren, vollzogsich im heutigen süddeutschen Raum die Ethnogenese der Bayern. Was die Herkunft ihrer gentilen Elemente betrifft, ist weder ein historischer Nachweis möglich, noch reichen die Funde für eine archäologische Klärung des Problems. DieBayern gehen als die Findelkinder“ der Völkerwanderung. Neue archologische Untersuchungen in Bayern, zum Beispiel in Straubing-Alburg, zeigen, daßdie Herausbildung des bayerischen Ethnikums schon gegen die Mitte des 5. Jahrhunderts abgeschlossen gewesen sein mußi1.

Die Bayern lebten von der Mitte des 6. Jahrhunderts an in Abhängigkeitzum fränkischen Merowingerreich. Ustlich der Enns, dem limes certus, übtenseit 568 die Awaren die Herrschaft aus. Es scheint, daß die Enns-Grenze vonbeiden Seiten respektiert wurde, an kriegerischen Auseinandersetzungen zwi—

l Peter Stadler, Das langobardische Gräberfeld von Mödling, Niederösterreich, in:Archaeologia Austriaca 63 (1979), 31ff., bes. 34 f., snwic Abb. 4 und 5. Zur verzierten Schilddornschnalle siehe überdies: Eduard Beninger — Herbert Mitscha-Märheim, Das langobardischeGräberfeld von Nikitsch, Burgenland (Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 43,1970), TaL & und 12/6 (Grab 27), sowie Joachim Werner, Die Langobarden in Pannonien (Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hisr. Klasse, NF. 55, 1962),bes. A—Tc‘:tcil, as. Abb. 8 Awar,scl,e Funde. 1: Mante]schl,eßc aus Wien 11, Csoknrgasse; 2: Phalere aus Wien

„ Rainer Chrisdein, Ein bajuwarischcr Friedhof des 5.—7. Jahrhunderts von Straubing- 13, Unter St. Veit; 3: baversclies Gefäß aus Wien 13, Unter St. Veit: 4: Trense aus

Alburg, Niederbayern, in: Rainer Christlein (Hg.), Das archäologische Jahr in Bayern 1983 sen 13, Unter St. \‘cit; 5: Steigbügel aus Nuen 13, Unter St. Veit. Maßstab: 1: 1:1;

(1981), 154.2: 1/_; 3—,: 1,4.

1

1

/

2

4

190 191

schen Awaren und Bayern ist lediglich eine Schlacht 595 bekannt, in der dasbayerische Heer von den Slawen unter Beteiligung der awarischen Reiterei geschlagen wurde. Tatsächlich dürften die Awaren nur bis 626 eine Oberherrschaft über die Alpenslawen ausgeübt haben, während sie 741/42 vielleicht versuchten, diese wieder zu erlangen.

Ihren Namen als entfesselte berittene Krieger machten sich die Awarenanläßlich ihrer zahlreichen Kriegszüge gegen Byzanz, als deren Folge die slawische Besiedelung auch ganz Griechenlands geschah. 626 bedrohte ein awarisch-persisches Heer Konstantinopel. Die Niederlage, die das Heer vor derbyzantinischen Hauptstadt erlitt, hatte weitreichende Veränderungen imschen Reich zur Folge. Fortan war den Awaren der Zugang zur Balkanhalbinselversperrt, sie dehnten daher ihr Siedlungsgebiet gegen Norden und Nordwestenaus. Auch der ostniederösterreichische und burgenländische Raum wird nunawarisch besiedelt, doch blieb auch nach dieser Ausweitung des Siedlungsgebietsein breiter unbesiedelter Grenzstreifen zwischen Wienerwald und Enns bestehen.Tiefgreifende Machtkämpfe im awarischen Reich lassen sich nur erahnen. 9000Bulgaren zogen aus und suchten Schutz bei den Bayern. \Vohl in Böhmen, Mähren, dem nordöstlichen Niederösterreich und in der Westsiowakei wird das slawische Samo-Reich gegründet, auch die Alpenslawen könnten sich bei dieserGelegenheit bereits von ihren awarischen Oberherrschern‘ freigemacht haben.

In den folgenden Jahrzehnten scheinen friedliche Beziehungen zwischenBayern, Awaren und Langobarden bestanden zu haben. Lediglich in Heiligenviten sind bisweilen awarische Uberfälle an der Enns genannt, deren historischeTatsächlichkeit aber in Frage steht. Erst 741/42 erreichte die Bayern ein Hilfe-gesuch des Karantanenfürsten Boruth, man möge ihn gegen die Awaren unterstützen. Die relativ friedliche Zeit geht ihrem Ende zu, als Karl der Große denBayernherzog Tassilo III. absetzen und ins Kloster schicken läßt. Die starkebayerische Opposition lenkt er mit einem sehr aufwendig geführten Heiden-kreuzzug gegen die Awaren ab. Diplomatische Missionen der Awaren zu Karlsind erfolglos. Zwischen 791 und 803 wird das Awarenreich restlos zerschlagen.Dabei mußten die Awaren einen Mehrfrontenkrieg führen, denn auch die Bulgaren trachteten, sich ein großes Stück vom Kuchen abzuschneiden und besetzten das Karpatenbecken zumindest bis zur Theiß. Außerdem dürften bereitsnach dem ersten fränkischen Feldzug 791 im Awarenreich Machtkämpfe ausgebrochen sein, die zur Folge hatten, daß 795 ein awarischer Fürst, der Tudun,für sich und seine Leute die Unterwerfung und Annahme des Christentums anbot. 799 kam es zu Rückschlägen bei den fränkischen Eroberungen, als beidePräfekten der Ostgrenze, Gerold 1. und Erich von Friaul, getötet wurden. 802fielen die Grafen Goteram und Chadaloh. So kam es 803 zu einem neuerlichen Feldzug. 805 ersuchte ein getaufter awarischer Khapkhan, Theodor, umAnerkennung eines Tributär-Fürstentums zwischen Carnuntum und SavariaSteinamanger. Nach dessen Tod wurde ein awarischer Khaghan bei Karl vorstellig und bat um Anerkennung seiner Oberherrschaft über das gesamte awarische Gebiet.

Die Frage des awarischen Weiterlebens nach der militärischen Niederlagegegen Karl den Großen gehört nach wie vor zu den großen Streitpunkten unserer Wissenschaft. Da in Niederöstererich die Belegung der awarischen Gräberfelder offensichtlich mit einem Schlag eingestellt wird, andererseits gleichzeitigzahlreiche slawische Begräbnisstätten angelegt werden, scheinen die Awaren

(1

• 1

kriege einen terminus ante quem, ein oberes Datum, für die awarischen Gräberfelder abzugeben. Unmittelbar nach den Awarenkriegen wird in unserem Raumdie kirchliche und politische Organisation aufgebaut. Slawische Gruppenströmen ins Land und werden hier wohl innerhalb von zwei Generationenchristianisiert.

Ein „Dauerbrenner“ in der wissenschaftlichen Diskussion ist seit langemauch die Frage nach der Sprache, die die Awaren im 8. Jahrhundert wohlgesprochen haben könnten. Wie ich sehe, gibt es zu ihrer Beantwortung allerdings keine neuen Anhaltspunkte. Das Awarenreich war, was seine Bevölkerungbetrifft, um nichts homogener, als die anderen frühmittelalterlichen Staatswesen.Außer einem zentralasiatischen Traditionskern lebten restgermanische (lango

Abb. 9 Awarische Funde aus den, 7. und 8. Jahrhundert. 1: Wien 6, Stumpergasse; 2: WienII, Simmering; 3: Wien 11, Csokorgasse; 4: Wien 12, Hervicusgasse; 5: Wien 12, Südwestfriedhof; 6: Wien 13, Unter St. Veit (viel]eicht größeres Gräberfeld); 7: Wien 14,Penzinger Straße, 8: Wien 19, Heiligenstadt (fraglich); 9: Wien 23, Liesing.

V Grab bzw. wenige Gräber

Gräberfeld (über zehn Gräber)

192 193

bardische, gepidische, suebische), bulgarische, slawische und viele andere Völkerschaften im Karpatenbecken. Nur selten lassen sich ihnen entsprechendeFundgruppen im awarischen Fundmaterial aussondern, wie beispielsweise imslawischen birituellen Gräberfeld von P6kaszepetk oder im frühawarischenGräberfeld von Környe, in dem sich reichhaltiges germanisches Material fand.Die awarische Identität, die sich — zumindest im 8. Jahrhundert — in einerUnitormität des Fundmaterials (ausgenommen die sogenannte Keszthely—Kulturin der Plattensee-Gegend) und — politisch — in einer gemeinsamen diplomatischen Vertretung ausdrückt, sagt notwendigerweise nichts über die Sprache aus.Was wir an awarischen Namen haben, stammt entweder aus der Frühzeit(Bajan) oder sind Würdenamen (Khaghan, Tudun, Khapkhan), die ebenfallseine lange Tradition haben. Natürlich ist eine Slawisierung der Awaren imLaufe des 7. und 8. Jahrhunderts möglich. Archäologisch ist der Beweis dafürallerdings nicht zu erbringen. Ein Hinweis könnte immerhin die Tatsache sein,daß — abgesehen von den Würdezeichen, den Gürtelgarnituren — der Bruchzwischen awarischen Gräberfeldern des 8. Jahrhunderts und slawischen Gräberfeldern des 9. Jahrhunderts eben ausschließlich im Belegungswechsel selbst liegt.Im archäologischen Fundmaterial liegt ein klarer typologischer Zusammenhangvor. Der Nachweis dafür kann anhand der Keramik, aber auch der Ohrringeleicht geführt werden. Die slawischen Ortsnamen, auf die man sich stets gerneberuft, sind undatierbar, sofern eine zeitliche Zuordnung nicht urkundlich abgesichert werden kann. Der Vergleich der Ortsnamen mit den awarischen Fund-materialien führt aber häufig zu gefährlichen Zirkelschlüssen, und möge bittenach Möglichkeit unterlassen werden‘5.

Vom 7. bis zum 9. jabrbundert — Die Archäologie der Awarenund Slawen“

Was die archäologischen Funde betrifft, so können wir die Zeit der awarischen Siedlung im heutigen Wiener Gemeindegebiet als die „fruchtbarste“ früh-geschichtliche Periode bezeichnen. Ein ungewöhnlich großes Gräberfeld inWien 11, Csokorgasse, zwei wichtige, aber nicht vollständig ausgegrabene Gr‘äberfelder in Wien 13, Unter St. Veit und Wien 23, Liesing, sowie zahlreicheeinzelne Gräber beweisen, daß unser Raum von den Awaren relativ dicht besiedelt gewesen ist. Ein Blick auf eine Fundkarte von Niederösterreich zeigt allerdings, daß dies für das ganze Wiener Becken gilt, und es wäre unredlich, aufGrund der Fundkonzentration eine besondere Bedeutung „Wiens“ während derAwarenzeit zu konstruieren, zumal im ersten Bezirk bisher kein awarischesGrab geborgen worden ist. Dennoch gibt es Hinweise, daß dem Ort eine gewisseRolle als Grenzstation“ zukam. Von der Mitte des 7. Jahrhunderts bis zu denAwarenkriegen lag zwischen der bayerischen Ennsgrenze und dem awarischenSiedlungsgebiet im Karpatenbecken, der kleinen ungarischen Tiefebene, der südlichen Slowakei und dem Wiener Becken ein rund 150 km breiter, kaum besie

\Tgj z, B. Dpi1 (Anm. 3). 17, Anm. 43.“ Zur Arcl,äologie der Awaren vgl. Falko Daim (Anm. 2); Falko Daim, Das 7. und

8. Jahrhundert in Niederösterreich, Katalog ‚Germanen, Awaren, Slawen in Nicderdsterreich“,Wien 1977, 88ff.; Falko Daim, Awarische Altfunde aus Wien und Niederösterreich, in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft, 109 (1979), 55 ff.; zur Archäologie der Slawenvgl. Priesingcr (Anm. 2).

. r

Abb. 10 Slawischer Grabfund aus Wien 10, Dberlaa.

delter Grenzstreifen. Händler, die in die ‚Avaria“ zogen, erreichten die erstenawarischen Siedlungen in unserem Raum. Es würde nicht weiter verwundern,wenn die Awaren den Platz besonders gesichert hätten. In den fränkischenQuellen ist zwar von Betestigungsanlagen die Rede, doch konnte die Achäologie bisher keine awarische „Burg“ auffinden. Interessant scheint allerdings indiesem Zusammenhang die auffällige Häufung von Reiterbestattungen in denGräberfeldern von Liesing und Unter St. Veit, die vielleicht etwas mit einerawarischen Grenzschutzorganisation zu tun haben.

Im \Veg einer genauen Analyse der awarischen Grabinventare konnte maneine Typochronologie der awarischen Trachtbestandteile und Grabbeigahenerarbeiten. Die absolute Datierung der einzelnen chronologischen Stufen istallerdings noch umstritten. Immerhin läßt sich sagen, daß die Belegung derersten Gräberfelder in Wien 11, Csokorgasse und Wien 23, Liesing in der sogenannten Mittelawarenzeit und somit etwa in der Mitte des 7. Jahrhundertsbeginnt. Die Mehrzahl der Gräber gehören aber der Spätawarenzeit, also imwesentlichen dem 8. Jahrhundert an.

V Grabfund

195191

Vielfach sehen wir in den Grabinventaren, vor allem der ausgehendenMittelawarenzeit Spuren eines regen Handels mit den benachbarten Bayern undden norditalischen Langobarden. Hier hat vor allem ein bayerisches Gefäßaus Wien 13, Unter St. Veit längere Zeit Verwirrung gestiftet. Obwohl es auseinem — leider nur rudimentär geborgenen — awarischen Gräberfeld stammt,wurde es immer wieder als „Beweis“ einer bayerischen Präsenz im Wiener Raumum 700 gewertet (Abb. 8/3). So taucht der ominöse Topf zuletzt in der Fund-karte auf, die Ferdinand OpI1 seinem Artikel beigegeben hat1. Zwar entschärfter die damit verbundene Aussage wenige Seiten später (5. 36), doch würden wires für angebrachter halten, künftig von einem bayerischeiz Gefäß aus einemawarischen Grab (oder Fnndverband), keinesfalls aber von einem bayeischenGrabjund zu sprechen. Ebenfalls für rege Beziehungen zu den Bayern sprechenzweischneidige Schwerter aus Wien 11, Hauffgasse (Abb. 11/1) und Wien 23,Liesing sowie mehrere eiserne, silbertauschierce oder -plattierte Gürtel- undRiemenbeschläge wie auch mehrere Saxe aus Wien 11, Csokorgasse. Gerade dasletztgenannte Gräberfeld verspricht zahllose neue Ergebnisse zur Typochronologie des awarischen Fundmaterials überhaupt und zur Kenntnis der Lebensweise und der Wirtschaft der awarischen Bevölkerung.

Hat man die Awaren lange Zeit für Nomaden gehalten, die höchstens imWinter feste Siedlungen anlegten, sprechen die mittel— und spätawarischenFunde für eine seßhafte Lebensweise mit starkem Anteil der Viehzucht. DerSpeisezettel wurde durch Fischfang und Jagd aufgebessert und scheint zumindest ebenso abwechslungsreich gewesen zu sein, wie ein durchschnittlicher moderner.

Da wir in Osterreich aus der Awarenzeit bisher keine Siedlungen kennen,fehlt es uns an archäologischen Befunden zu den Awarenkriegen selbst. Wieerwähnt, brechen die spätawarischen Gräberfelder alle ungefähr zur selben Zeitab, während wohl etwa gleichzeitig viele neue Gräberfelder angelegt werden.In der Bevölkerung, die in diesen Friedhöfen bestattet hat, können wir hauptsächlich die Restawaren sowie neueingewanderte Slawen aus Böhmen, Mährenund der Slowakei sehen. Innerhalb der Wiener Gemeindegrenzen kam bisherbedauerlicherweise nur ein einziges Grab, in Wien i 0, Oberlaa, zutage, dasdieser Zeitstufe zuzuordnen ist. Es wird in der vorliegenden Arbeit erstmalspubliziert. Ich darf an dieser Stelle Herrn Ludwig Streinz. und Frau AngelikaHoll herzlich für die Mitteilung dieses Stückes danken. (Abb. 10.)

Mit der Eingliederung unseres Raumes in das fränkische Reich beginnt dieEinrichtung einer Verwaltungs- und Pfarrorganisation, und damit der Anschlußan einen wesentlich entwickelteren Westen. Die „Kolonisationsarbeit“ wurdedurch die Landnahme der Ungarn tür fast ein Jahrhundert unterbrochen, bevormit den Babenbergern die Geschichte Osterreichs beginnt.

Exkurs: Wieder aufgejundene awarische Fundmaterialien aus Wien

a) Ein Schwert aus Wien 11, Raujfgasse

1979 konnte der Autor awarische Altfunde aus Wien und Niederösterreichvorlege&N Darunter befand sich auch ein Grab aus Wien 11, Hauftgasse, das1953 geborgen worden war. Es handelte sich offenbar um eine Reiterbestattung,

-

‚3—s

z

1.

— —

«cl

‘;e t

1

‚4-‘

-n4

r 1 “CAt

1

*‘ -‚.>:.‚1

‚7Abb lt AwarisLIle funde 1 \\ tu 11,

stab 1 14 2—7 1/2

1

• 1

3

..;:1 4

r 1).

t\

„tIt4

% .1t itt

5‘ 4lb,1

7 it,

‘Id

6

Opil (Anm. 3), 12 f.“ Daim, Awarische Altfunde (Anm. 16), bes. 57ff

Hauffgasse; 2—7: Wien 13, Unter St. Veit. Maß-

196

wobei sich beim Mann, abgesehen von einer Gürtelgarnitur (Riemenzunge sieheAbb. 7/3), auch ein Schwert befunden hat. Dieses Schwert war längere Zeitverschollen, so mußte offenbleiben, ob es sich nicht doch um einen Säbel gehandelt hat, da zweischneidige Schwerter nur höchst selten in Awarengräbern aufzufinden sind. Anläßlich der genannten Revision im Historischen Museum kamdieses Schwert wieder zum Vorschein, und ich danke Herrn Dr. Ortolf Harl,daß er mich darauf aufmerksam machte.

Zweischneidiges Schwert, stark vergangen. Eine der Bruchstellen zeigt deutlich eine beidseitige Einsattelung der Klinge. Erh. Ges. L 720,Griffangel L 80, Klingenbreite bei Heft 50. Hist. Museum Wien, o. mv. Nr.(Abb. 11/1).

b) Ein Grabinventar aus Wien 13, Unter St. Veit

Im Juni 1956 wurden bei Ausschachtungsarbeiten in der Käthe-Leichter-Gasse 17 (Spohrstraße 4) drei Gräber angefahren, die offenbar zu einemgrößeren awarischen Gräberfeld gehören, von dem immer wieder Funde bekanntgeworden sind. Die Gräber wurden von Alfred Neumann in der Osterreichischen Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege vorgelegt und vom Autor1979 noch einmal behandelt19. Grab 2 enthielt das bayerische Gefäß, das — wieerwähnt — wiederholt zur Stützung einer Frühdatierung der bayerischen Siedlung in unserem Raum herangezogen worden ist. Die Funde aus Grab 1, einTopf und verschiedene Eisen- und Bronzegegenstände, blieben dann für mehrereJahre verschollen. Nun können die Zeichnungen gleichsam nachgereicht werden. Die Fundobjekte befinden sich im Historischen Museum der Stadt Wienund sind noch nicht inventarisiert.

T o p f, auf der Scheibe nachgedreht, aus grobem, steinchengemagertem,aber relativ gut gebranntem Ton von rötlicher bis dunkelgrauer Farbe. DasGefäß trägt vier, teilweise sehr undeutliche Wellenbänder an Schulter undBauch. Der scharfkantige ausladende Mundsaum ist senkrecht abgeschnitten.Der Topf trägt am Rand offentlichtlich eine Flickstelle, da er dort zweimalsauber durchbohrt ist, und zwischen den Löchern ein — wahrscheinlich — alterBruch verläuft. H 150, Stfldm 76—77, Bdm 138, Msdm 110—112 (Abb. 11/2).

Feuers ch läger aus Eisen, teilweise vergangen. Erh. L 74, D 3(Abb. 11/3).

E i s e n s c h n a 11 e ‚ teilweise vergangen, mit eingezogenen Seiten.L ca. 30, B ca. 30 (Abb. 11/4).

B r o n z es c h n alle, halbrund, Dorn stark korrodiert und abgefallen.L 24, B 29, Rahmenstärke 2—3 (Abb. 11/5).

R a s i er mcs s er (?) mit dünner, gebogener Klinge und kräftig abgesetzter, schmaler Angel. L 76, B 18, D 2 (Abb. 11/6).

Eis e n m es s er mit geradem Rücken und gebogener Schneide sowie vomRücken gut abgesetzter Angel. L 197, B 17, D 4 (Abb. 11/7).

Dokwnentationen iasd )nfrnsatianen

Die folgenden Seiten widmen Ihnen:

IV Alfred Neumann, Zu dem frühgeschichtlichen Gräberfeld in Wien 13, Unter St. Veit,in: Osterreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, 17/4 (1963), 145 ff.; Daim,Awarische Altfunde (Anm. 16), 64 ff.

Zentralsparkasse und Kommerzialbank Wien XLII bis XLIV

Niederösterreichische Landesregierung XLV

Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien XLVI und XLVII

Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien XLVIII

Wiener Städtische Wechselseitige Versicherung IL und L

Usterreichische Apothekerkammer LT und LII

Wiener Stadt- und Landesarchiv LIII bis LV

Städtische Bestattung LVI

Austria Tabakwerke Umschlagseite 3

Dorotheum Auktions-, Versatz- und Bank-Ges. m. b. H. Umschlagseite 4

Wir danken für die damit verbundene finanzielle Unterstützung!

Einen Förderungsbeitrag erhielten wir auch von der Gewerkschaft derGemeindebediensteten.

Beilage zu Heft 4/1981 der „Wiener Geschichtsblättcr“

1

Exkurs: Ein Grab des 9. Jahrhunderts aus Wien 10, Ober/aa

Im Naturhistorischen Museum — Prähistorische Abteilung — befindet sichein Ohrring, der laut Auskunft des Inventarbuches im April 1906 vom „Direktor der Wienerberger Ziegel-Fabriks- und Baugeseilschaft“ zusammen mitmenschlichen Skeletteilen übergeben worden war. Als Fundort ist vermerkt„Funde im blauen Tegel des Werkes Oberlaa, Wien 10, Laaer Straße Nr. 157“.Das Skelettmaterial wurde 1977 der Anthropologischen Abteilung übergeben.

Oh r r in g aus Bronzeguß, mit Resten der Vergoldung. Traubenförmige,granulationsimitierende Zier. Ringdm ca. 24, Ges. L 32, Drahtst. 2. mv. Nr.45.837 (Abb. 12).

Einfache Ohrringe mit „Bronzekügelchenanhänger“ kommen an sich schonwährend der ganzen Spätawarenzeit vor, finden sich aber auch in den slawischen Gräberfeldern des 9. Jahrhunderts, so zum Beispiel in Pitten Grab XXXIIund LXXP°. Komplizierter aufgebaute Ohrringe mit Granulationsimitation —

ähnlich unserem Stück — sind aus der Awarenzeit allerdings unbekannt, während sich in den slawischen Gräberfeldern diese „weiterentwickelten“ Ohrringebisweilen finden. So stammt ebenfalls aus Pitten Grab XCI ein Ohrring miteiner Granulationsimitation, der wesentlich aufwendiger gestaltet ist, als diespätawarischen Exemplare2l. Unser Ohrring aus Wien 10, Oberlaa dürfte daherebenfalls in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts zu stellen sein.

LVI

STÄDTISCHE BESTATTUNG

197

WiSIebeOimTrauerfall mit

9

(0

Rat und Hilfe zurYeitüguog____

Abb. 12 Ohrring aus Wien 10, Oberlaa; 9. Jahrhundert. Maßstab 1/1.

STADtSOIE SESTATTuNG,1040 Wen, Goideggassei9,Telefon 651631

MmeldesteIIen in allen Bezirloen

Abkürzungen

Abb.BBdmD-dmerh, LGes. L

AbbildungBreiteBauchdurchmesserDicke-durchmessererhaltene LängeGesamtlänge

Hmv. Nr.LMsdmo. Inv. Nr.—StStfldm

HöheIn ve n tarn u mmc rLängeMundsau mdu rchmesserohne Inventarnummer-stärkeStand flächen durchmesser

20 Herwig Priesinger, Studien zur Archäologic der Slawen in Niederösterreich II. (Mitteilungen der prähistorischen Kommission der Csterr. Akademie der Wissenschaften 17—18,1975—1977), Taf. 17 und 34.

Priesinger (Anm. 20), Taf. 42.

• WIENER

/ GESCHICHTS• BlÄTTER

HERAUSGEBER: VEREIN FÜRQESOHOITE DER STADT WIEN

Inhalt:

.Beiträge zur Frühgeschichte WiensDie Beiträge dieses Heftes ergänzen

Band 10 der „Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte“

Regesten zur Frühgeschichte Wiens

36. Jahrgang (1981) . Heft 4

1

‚11

1