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Gerd Gigerenzer
Max-Planck-Institut
für Bildungsforschung
Wie kann Gesundheitskompetenz
gefördert werden?
In the 19th century health was transformed by clear, clean water.
In the 21st century health will be transformed by clean, clear knowledge.
Sir Muir Gray
Digitalisierung hilft wenig
solange „analoge“ Gesundheitskompetenz fehlt
•Die meisten Patienten wissen nicht, wo sie verlässliche
Gesundheitsinformation finden können
•Die meisten Ärzte verstehen Gesundheitsstatistiken nicht
•Falsche Anreize und Interessenkonflikte: Überbehandlung,
irreführende Information und Gefährdung der Gesundheit
Gigerenzer & Muir Gray 2011 (Eds). Better doctors, better patients, better decisions:
Envisioning health care 2020. MIT Press
Die meisten Frauen überschätzen den Nutzen der
Krebsfrüherkennung um den Faktor 10, 100, oder 200.
104 Final-year Medical Students at Charité
104 Final-year Medical Students at Charité
Wie kann man ein Testergebnis verstehen?
HIV Schnelltest
Autotest VIH www.autotest-sante.com
Beipackzettel:
„Ihr Selbsttest hat reagiert: Sie sind wahrscheinlich HIV-POSITIV“
•Sensitivität 100%
•Spezifität 99,8%
Gigerenzer (2013). Helping clinicians make sense of test results to patients.
British Medical Journal, 347.
Prinz, Feufel, Gigerenzer & Wegwarth (2015). What counselors tell low-risk clients
about HIV test performance. Current HIV Research.
.0001 x 1
.0001 x 1 + .998 x .002
p(HIV|positiv)
=
p(HIV|positiv)
=1
1 + 20
1
HIV
9.999
kein HIV
1
positiv
20
positiv
0
negativ
9.979
negativ
10.000Personen
Bedingte WahrscheinlichkeitNatürliche Häufigkeit
p(HIV) = 0,01%
p(positiv|HIV) = 100%
p(negativ|kein HIV) = 99,8%
160 GYNÄKOLOGENSCHÄTZEN DIE WAHRSCHEINLICHKEIT VON BRUSTKREBS NACH
EINEM POSITIVEN SCREENING MAMMOGRAMM
Gigerenzer et al. 2007 Psychological Science in the Public Interest
Vor dem Training
90
81
10
1
Sch
ätz
ung
en
in
%
VERSTÄNDNIS STATT VERWIRRUNGNatürliche Häufigkeiten statt bedingte Wahrscheinlichkeiten
90
81
10
1
Vor dem Training Nach dem Training
Sch
ätz
ung
en
in
%
Gigerenzer et al. 2007 Psychological Science in the Public Interest
Natürliche Häufigkeiten werden u. a. von Cochrane, der
International Patient Decision Aid Standards Collaboration,
und der Medicine and Healthcare Products Regulatory
Agency empfohlen.
2018 wurden sie in den Lehrplan für die 11. Klasse an allen
Schulen in Bayern geschrieben.
Gigerenzer & Edwards (2003) British Medical Journal
Gigerenzer & Hoffrage (1995, 1999) Psychological Review
Wie kann man Nutzen und Schaden von
Behandlungen verständlich kommunizieren?
Faktenboxen
2007 Harding Zentrum für Risikokompetenz www.harding-center.mpg.de
2014 Tiroler Gesellschaft für Allgemeine Medizin
2014 Bertelsmann-Stiftung www.faktencheck-gesundheit.de
2015 AOK Faktenboxen www.aok.de/faktenboxen
2016 Helsana youtube.com
McDowell, Rebitschek, Gigerenzer & Wegwarth (2016). Medical Decision Making Policy & Practice
Brustkrebs-Früherkennung durch Mammographie über 10 Jahre
je 1.000 Frauen 50+
OHNE
Screening
MIT
Screening
Nutzen?
Brustkrebssterblichkeit 5 4
Krebssterblichkeit 21 21
Schaden?
Falsch-Positive/Biopsie -- 100
Unnötige Behandlung -- 5
FAKTEN BOX
Gøtzsche & Jørgensen (2013). Cochrane Database Systematic Review
Woloshin & Schwarz (2009). Journal of the National Cancer Institute
www.harding-center.de
www.harding-center.mpg.de
P
www.aok.de/faktenboxen
68.557 Frauen im Alter 55 – 74
Quelle: PLCO-Studie Buys et al 2011
www.aok.de/faktenboxen
ÜBERBEHANDLUNG
In 2014 empfahlen deutsche
Gynäkologen etwa 3 Millionen Frauen
einen Ultraschall.
Etwa 2 Millionen wurden durchgeführt.
Die Frauen zahlten dafür 75 Millionen
Euro (IGeL).
Etwa 35.000 gesunden Frauen wurden
die Eierstöcke entnommen.
Die Krankenkassen zahlten > 100
Millionen Euro für Operationen und
Behandlung der negativen Folgen.
Etwa 50% aller Krebserkrankungen haben ihre Ursachen im Verhalten.
1. Zigarettenrauchen: 20-30%
2. Fettleibigkeit, Ernährung, Mangel an Bewegung: 10-20%
3. Alkohol: 10% (Männer), 3% (Frauen)
4. CT Scans (Computertomographie) : 2%
Bildung ist
die beste Waffe gegen Krebs
World Cancer Research Fund / American Institute for Cancer Research 2007
Gigerenzer 2013. Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft. Bertelsmann
Self-Defense (Defensive Medizin)
Innumeracy (Zahlenblindheit)
Conflicts of Interest (Interessenkonflikte)
Das „SIC“ Syndrome in der Medizin
Gigerenzer 2013. Risiko. Bertelsmann
Defensive Medizin schützt den Arzt, nicht den
Patienten
Wie verbreitet ist Defensive Medizin?
•93% von 824 US-amerikanischen Ärzten
•42% von 250 Schweizer Internisten und Allgemeinärzten
Wie funktioniert Defensive Medizin?
•Unnötige Tests (59%)
•Unnötige Medikamente (33%)
•Unnötige invasive Eingriffe (32%)
•Unnötige Überweisung des Patienten an Spezialisten (52%)
Studdert et al (2005) JAMA
Steurer et al (2009) J Eval Clin Pract
Wettbewerb, der Interessenkonflikte erzeugt
ist nicht im Interesse des Patienten
Arzt-Patient Konflikt
•Fee-for-Service und Überbehandlung
Industrie-Patient Konflikt
•Werbung statt Information
Industrie-Arzt Konflikt
•Ärztliche Fortbildung durch die Industrie; 90% der Ärzte nehmen
Gelder von Pharmaunternehmen
Krankenhaus-Patient Konflikt
•Mangelnde Patientensicherheit und “Unwarranted Practice
Variability”. Swart et al 2000 Chirurg; Geraedts 2006 Gesundheitsforschung &
Gesundheitsschutz
Gigerenzer 2013. Risiko. Bertelsmann
Wie kann Gesundheitskompetenz verbessert
werden?
1. Faktenboxen sollten auf den Webseiten der Krankenkassen
stehen und in den Wartezimmern aller Arztpraxen verfügbar
sein.
1. Aus- und Fortbildung von Studenten, Ärzten und Pflegepersonal
im Verständnis von Gesundheitsstatistiken und
Risikokommunikation
2. Gesundheitsbildung soll im Kindergarten und der Grundschule
beginnen
Gigerenzer 2013. Risiko. Bertelsmann
• Die meisten Patienten wissen nicht, wo
sie verlässliche Gesundheitsinformation
finden können
• Die meisten Ärzte verstehen
Gesundheitsstatistiken nicht
• Falsche Anreize und
Interessenkonflikte: Überbehandlung,
irreführende Information, Gefährdung
der Gesundheit
Alle diese Probleme wären lösbar
wenn der Wille da wäre.
Digitalisierung hilft wenig,
wenn wir die wirklichen Probleme nicht angehen
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