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Weiterbildung Sucht21.12.2011
Dr. med. Robert HämmigPsychiatrie & Psychotherapie FMH
Präsident Schw. Gesellschaft für Suchtmedizin
Leitender Arzt Schwerpunkt Sucht
Universitäre Psychiatrische Dienste Bern
•S•S•A•M•
Letzte Teilüberarbeitung 13.09.2012
GRUNDLAGENTeil 1
Wirkung
• Drogenwirkung – Wird im Gehirn ausgelöst– Über Vermittlung von Rezeptoren
• Folge– Es kann nichts ausgelöst werden, was nicht
im Gehirn angelegt ist, – Drogenwirkung ist somit nichts „Künstliches“
Rezeptor: die Schlüsselmetapher
• Rezeptor• Substanz
• Agonist
• Antagonist
• Türschloss• Schlüssel
• Schlüssel passt ins Schlüsselloch, öffnet die Türe
• Schlüssel passt ins Loch, öffnet Türe aber nicht
Stark vereinfacht, aber plausibel!
Affinität
• Mass dafür, wie gerne die Substanz an Rezeptor bindet.
• Antagonist: hohe Affinität• Agonist: geringe Affinität
Praxis• Eine kleine Menge Naloxon (Antagonist)
verdrängt eine grosse Menge Morphium (Agonist) aus der Rezeptorbindung
Intrinsische Aktivität
• Mass dafür, wie viel von der möglichen Wirkung am Rezeptor durch die Substanz ausgelöst werden kann
• 1: volle Wirkung -> voller Agonist• 0: keine Wirkung -> voller Antagonist• Werte zwischen 0 & 1:
Teilagonist / Teilantagonist• Neu: Superagonist: >1, mehr agonistische
Wirkung als der entsprechende endogene volle Agonist
Blut-Hirn-Schranke
aus: Robert M. Julien Drogen & Psychopharmaka
Verteilung im Körper
aus: Robert M. Julien Drogen & Psychopharmaka
Praxis
• Nur lipophile Stoffe können die BHS überwinden -> alle psychotropen Stoffe sind lipophil.
• Lipophile Stoffe weisen ein hohes Verteilungsvolumen auf.
• Das im Blut zirkulierende Methadon (2% der aufgenommenen Menge) ist zu 90% proteingebunden (Oromucosid, «Methadonspeicher») -> nur der freie Teil kann die BHS überwinden und verstoffwechselt werden.
• Leberstörung mit verminderter Proteinbildung & Methadon: hohe Peakwirkung + schneller Wirkungsabfall -> dose splitting!
Wie kommen Drogen in den Körper
Art und Weise• per oral
• Schleimhäute (buccal, rektal, vaginal)• per cutan• Intramusculär• Intravenös• intrathecal
Filterfunktion• Darmwand, first pass Effekt der Leber,
BHS• Schleimhaut, BHS
• Haut, BHS• Gewebe, BHS• BHS• keine BHS: Blut-Hirn-Schranke
Ausscheidung der Drogen
• Verstoffwechselung der Drogen durch Enzyme (Leber, aber auch an anderen Orten, z.B. Blut)
• Ausscheidung in Galle -> Darm(-> Wiederaufnahme durch Darm -> erneute Ausscheidung in Galle -> Darm = enterohepatischer Kreislauf)
• Ausscheidung durch Niere
Dosis / Wirkung
Substanz A’: Dosis-Wirkungskurve der Substanz A, wenn am gleichen Rezeptor eine andere Substanz anlagert -> rechts Verschiebung der Dosiswirkungskurve = kompetitive HemmungSubstanz C: intrinsische Aktivität von 0.5
nach: Robert M. Julien Drogen & Psychopharmaka
Substanz im Blut: Verteilung und Elimination
aus: Robert M. Julien Drogen & Psychopharmaka
Kumulation
aus: Robert M. Julien Drogen & Psychopharmaka
Steady state
aus: Robert M. Julien Drogen & Psychopharmaka
Praxis
Methadon• Abfall unter minimale therapeutische
Wirksamkeit (Entzugssymptome) -> Dosis erhöhen -> erhöhte Peakwirkung
• Verminderung der Peakwirkung durch: dose splitting!
ÜBERLEGUNGEN ZU SUBSTITUTION
Teil 2
Voltaire
• Ärzte geben Medikamente, über die sie wenig wissen, in Menschenleiber, über die sie noch weniger wissen, zur Behandlung von Krankheiten, über die sie überhaupt nichts wissen
Suchtmodell
Koob et al. / Neuroscience and Biobehavioral Reviews 27 (2004) 739–749
SuchtmodellModell zeigt Bewusstes & Unbewusstes sowie Ambivalenzen in den Motivationen auf -> wichtig für MI!
aus: Robert West Theory of addiction
Ideales Substitutionsmedikament
• Geringe positive Verstärkung– Keine hohen Peak-Konzentrationen gleich
nach Applikation– Evtl. reduzierte Wirkung am Rezeptor
• Keine negative Verstärkung– Kontinuierliche Wirkung
• Günstiges Profil der unerwünschten Wirkungen
Praktische Beispiele für Substitutionstherapien
• Opiate• Kokain• Benzodiazepine• Alkohol• Nikotin
Opiatsubstitution: Methadon
Vorteile• Langsamer Wirkungseintritt• Lange Wirkdauer• Voller Agonist am µ-Rezeptor• NMDA-Rezeptor-Antagonist• Orale Verabreichung• (Kontrolle der Patienten möglich)
Opiatsubstitution: Methadon
Nachteile• Nur langsames Aufdosieren möglich• Hohe interindividuelle Variabilität des
Metabolismus• „Störanfälligkeit“ des Metabolismus,
Interaktionen• QTc Verlängerung• Störung der Hypophysen-Gonaden-Achse
Hohe therapeutische Breite (Ceiling Effect = Plateau Effekt = Sicherheit)
Von der Pharmaindustrie verbreitete Folie Kommentar: «Super-Agonist» ist definiert als Agonist, der mehr agonistischen Effekt auslöst als der endogene Agonist. Natürlich ist die nach oben zeigende Kurve Blödsinn: die Wirkung ist limitiert, da sie Rezeptor vermittelt bleibt.
Opiatsubstitution: Subutex®
Vorteile• Teil-Agonist am µ-Rezeptor• Antagonist am κ-Rezeptor • (teil‐)agonistischer Effekt am Nociception / Orphanin FQ
(NOP) oder „Opioid Receptor Like 1“‐Rezeptor (ORL1) (Dopaminmodulation?)
• Lange Wirkzeit durch lange Rezeptorbindung• Geringe Atemdepression: hohe Dosen ab Beginn
möglich -> therapeutische Sicherheit• Geringe Beeinflussung von QTc und Hypophysen-
Gonaden-Achse• (Kontrolle der Patienten möglich)
Opiatsubstitution: Subutex®
Nachteile• Teurer als Methadon• Einnahme als Sublingualtablette• Teil-Antagonist am µ-Rezeptor (mögliche
Auslösung von Entzugssymptomen• Interaktionen mit cyp 3A4 Hemmern und
Induktoren
Opiatsubstitution: retardiertes Morphin
Vorteile• Relativ langsamer Wirkungseintritt• Lange Wirkdauer• Voller Agonist am µ-Rezeptor, gute
Opioidwirkung• Orale Verabreichung• (Kontrolle der Patienten möglich)
Opiatsubstitution: retardiertes Morphin
Nachteile• Nur langsames Aufdosieren möglich• Störung der Hypophysen-Gonaden-Achse• Teuer, für Indikation (noch) nicht registriert• Gute Opiatwirkung, evtl. Dysphorien
Opiatsubstitution: Diaphin®
• Voller Agonist am µ-Rezeptor, sehr gute Opioidwirkung
• Gute Retentionsraten
Opiatsubstitution: Diaphin®
Nachteile• Nur langsames Aufdosieren möglich• Störung der Hypophysen-Gonaden-Achse• Teuer• Sehr gute Opiatwirkung• Nur in Spezialkliniken• i.v. Verabreichung
Warum ist Substitution mit Diaphin® möglich?
Andauernde Sättigung der Rezeptoren: gleichförmiger Zustand -> subjektiv keine Wirkung
Rhythmischer Wechsel zwischen mehr und weniger Wirkung -> subjektiv angenehm
T1: nach der DosisverabreichungT2: vor der nächsten Dosisverabreichung -> nächste Dosis -> T1 etc.
Morphin vs. Diaphin®
Beta weight:- Euphorie: negativ für H & Mo, d.h. höhere Dosen = weniger Euphorie- Nebenwirkungen: für Mo bei höheren Dosen mehr NW, nicht für H
Haemmig & Tschacher ,Journal of Psychoactive Drugs 2001
Kokain: Mate de Coca
Kokainsubstitution
Kokain für Substitution grundsätzlich wenig geeignet, weil:
• Schneller Wirkungseintritt• Schneller Wirkungsabfall• Generelle Toxizität
– Psychisch: Psychosen– Lokalanästhetisch: kardiale Reizleitung– Gefässspasmen: Infarkte (Herz & Gehirn)
Kokainsubstitution: Ritalin®
• Geringere positive Verstärkung• Verminderung der negativen Verstärkung• Gleichmässige Spiegel mit long acting
Formen möglich
Aber:• Datenlage unklar, ws. gute Effekte bei
ADHD
Kokainsubstitution: Modafinil®
• Stimulans mit anderem Wirkmechanismus als Kokain und mit geringem Abhängigkeitspotential (Steigerung des Glutamats)
• Wirkt wie Kokain gegen Anergie und Anhedonie
Leo Sternbach
Benzodiazepinsubstitution
Strategie:• Versuch den Benzodiazepinkonsum in
einen kontrollierten Konsum zu überführen• Ersatz von schnell anflutenden und kurz
wirksamen Benzodiazepinen mit langsam anflutenden und lang wirksamen
• Langzeitsubstitution in der Literatur nicht vorgesehen
Alkohol
• Für eine Alkoholsubstitution braucht es keine ärztliche Verschreibung
• Kontrolliertes Trinken als Substitutionsäquivalent
• Medikamentöse Unterstützung– GABA Rezeptoren
• GABAA: Modulation durch Benzodiazepine• GABAB: GHB, Baclofen
Bemerkung zu AlkoholWilliam Hogarth: Beer Street and Gin Lane (1751)
Nikotin
• Rauchen führt zu schnellen Nikotin-Peak-Konzentrationen
• Nikotin ist im Vergleich zu den anderen Tabakinhaltsstoffen wenig gefährlich (Schädigung entsteht durch gleichzeitige Rauchvergiftung)
• Medikamentöse Anti-Tabakrauchen-Strategien:– Verhindern der Peak-Konzentration (nur limitiert
sinnvoll)– Gleichmässige Spiegel
„Ich würde gerne eines versuchen, um zu schauen. Welches empfiehlst Du mir?“
„Versuch sie alle!“
Mic Delinx (dessin) et Christian Godard (scénario) «La Jungle en folie»
SUBUTEX® &BERNER METHODE
Teil 3
Medical guidelines
• Leitplanke oder Richtschnur?• Mehr und mehr wird „off-label use“ zum
ärztlichen Glatteis• Pharmaindustrie kann nicht zu einer NDA
(new drug application) gezwungen werden
Hindernis: Guidelines
• Z. B. Induktion einer buprenorphingestützten Behandlung
• Umstellung von Agonisten auf Teilagonisten häufig schwierig, weil am 1. Tag z. T. massive Entzugssymptome ausgelöst werden
US FDA label for Subutex®
Induction:Prior to induction, consideration should be given to the type of opioid dependence (i.e. longor short-acting opioid), the time since last opioid use, and the degree or level of opioid dependence. To avoid precipitating withdrawal, induction with SUBUTEX should be undertaken when objective and clear signs of withdrawal are evident.
US FDA label for Subutex® (cont.)
Patients taking heroin or other short-acting opioids:At treatment initiation, the dose of SUBUTEX should be administered at least 4 hours after the patient last used opioids or preferably when early signs of opioid withdrawal appear.
Naloxon-ausgelöster Entzug
Resnick RB, Kestenbaum RS, Washton A, Poole D. Naloxone-precipitated withdrawal: a method for rapid induction onto naltrexone. Clin Pharmacol Ther. 1977 Apr;21(4):409-13.
Weiter geführter Opioidkonsum unter Buprenorphin-Substitution
Studie Opioid pos. Urine
Petitjean et al. 2001 68%
Schottenfeld et al. 1997 58%
Pani et al. 2000 40%
• Dosis abhängig• Zeit abhängig• Ohne SAE (severe adverse effects)
Klinische Beobachtung
• Patienten berichten, dass sie keine unerwünschten Effekte erleben, wenn sie Heroin zu einer Subutex®-Verschreibung konsumieren
• Heroin-Wirkung wird nur teilweise durch eine Subutex®-Verschreibung blockiert und die nächste Subutex®-Dosis löst keine Entzugssymptome aus.
Theoretische Überlegungen zur “Berner Methode”
• Kleine, repetierte Dosen eines Teilantagonisten sollten keine gröberen Entzugssymptome auslösen, wenn sie in genügend langen Intervallen verabreicht werden (z.B. 12h)
• Aufgrund der langen Rezeptor-Bindungs-Halbwertszeit, kumuliert Subutex® am Rezeptor
• So werden über die Zeit mehr und mehr die Agonisten-Moleküle durch die Teilagonisten- Moleküle vom Rezeptor verdrängt (höhere Affinität und competitive Hemmung)
„Berner Induktions-Methode“
Dosis
Zeit
Strassenheroin
Buprenorphin
Zunehmende Blockierung der Agonisten-Effekte
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