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Arnd Heling (Hrsg.)
Der Ostseeraum und seine Wälder
Nachhaltigkeit im Zeichen des Klimawandels
ISBN 978-3-86581-206-3 287 Seiten, 16,5 x 23,5 cm, 24,90 Euro
oekom verlag, München 2010
©oekom verlag 2010
www.oekom.de
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W ä l d er u n d Wa l d n u t zu n g s f o r m en i m O s t s eer au m
Kl aus D ierßen
Flechten-Kiefernwald, Idre, Schweden © Klaus Dierßen
Zusammenfassung Ohne menschliche Nutzung wären die Landschaften entlang der Ostsee überwiegend waldbedeckt. Die beherrschenden Baumarten und Waldtypen dieser Region unterliegen großräumig dem Klimagefälle von der temperaten Zone im Süden zur borealen Zone im nördlichen Skandinavien sowie einer abnehmenden Ozeanität von Jütland bis zum Finnischen Meerbusen. Kleinräumig bestimmen die unterschiedlichen Böden und die regional verschiedene Landnutzung sowie die Nutzungsgeschichte durch die Menschen die aktuelle Struktur und Artenzusammensetzung der Wälder. Ihr künftiges Schicksal dürfte eng mit der Landnutzungsintensität und deren Veränderung verknüpft sein.
Nat urr aumgliederungDie Ostsee mit ihren angrenzenden Landschaften verdankt ihre aktuelle Gestalt den Auswirkungen der kaltzeitlichen Vergletscherungen sowie nacheiszeitlichen Hebungen der Landmasse im Norden und Senkungen im Süden. Letzteres ist die Folge der abtauenden Gletschermassen der letzten Vereisung, die ihre größte Mächtigkeit über dem zentralen Skandinavien erreicht hat. Mit der Landschaftsentwicklung verknüpft sind Veränderungen der Ausdehnung und der Wasserstände in der Ostsee selbst. Dieser Wandel vollzieht sich dynamisch und ist keineswegs abgeschlossen. Die Böden haben sich im Norden vorwiegend auf erdgeschichtlich altem Ausgangsgestein gebildet, im Süden dagegen fast durchweg auf eiszeitlichen Sandern und Moränenablagerungen.
Seit der Weichselkaltzeit hat sich die Zusammensetzung der natürlichen Vegetation entlang zweier Klimagradienten entwickelt. Vom Bottnischen Meerbusen südwärts steigen von der borealen (kühlen) zur temperaten (kühlgemäßigten) Zone die Jahresmitteltemperaturen an. Zugleich verkürzt sich die Länge der Vegetationsperiode als Phase des Pflanzenwachstums von Süden nach Norden. Von Jütland zum Finnischen Meerbusen wird das Klima »kontinentaler«. Die Temperaturunterschiede zwischen Sommer und Winter wachsen, die Niederschläge fallen dagegen besonders während des Sommers ab.
Die Klimagradienten sowie die lokalen und regionalen Bodenverhältnisse mit unterschiedlichem Relief der Landschaften, verschiedenem Ausgangsgestein für
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Rotbuche
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die Bodenbildung und der Wasserhaushalt prägen das lokale und regionale Vegetationsgefüge. In Skandinavien nördlich der heutigen Ostsee ist die Verwitterung des anstehenden Gesteins die entscheidende Grundlage der Bodenbildung. Südwestlich bis südöstlich sind dies demgegenüber die unterschiedlich mächtigen Ablagerungen der Moränen und Urstromtäler vor allem der jüngsten Vereisung. Überformt werden diese »natürlichen« Bedingungen und Prozesse durch eine regional unterschiedlich verlaufene Siedlungsgeschichte und aktuelle Bevölkerungsdichte der Menschen.
Nacheiszeitliche L andschaf t sent wick lungWährend der maximalen Ausdehnung des Inlandeises in Skandinavien in der Weichselkaltzeit waren neben Nordeuropa selbst auch die Landschaften südlich, westlich und östlich der Ostsee langfristig vom Inlandeis bedeckt. Die größten Eismächtigkeiten lagen im mittleren Bereich des Bottnischen Meerbusens. Nach der Entlastung der Landmasse durch den abgetauten Eiskörper erfolgte hier eine auch heute noch anhaltende nacheiszeitliche »isostatische« Landhebung um bis zu 295 Meter. Diese wird teilweise kompensiert durch einen durch das Abtauen erfolgenden »eustatischen« Meeresspiegelanstieg sowie Senkungsvorgänge der Landmasse entlang der südlichen und südwestlichen Ostsee1.
Die Geschichte der nacheiszeitlichen Wiederbesiedlung durch die Vegetation und Tierwelt lässt sich aus Bohrkernen
von Seesedimenten und Torfen erschließen. Gleichermaßen gilt dies für die Rekonstruktion von Meeresspiegelschwankungen, die Veränderung von Ausdehnung und Gestalt der Ostsee sowie die Charakterisierung der Siedlungsgeschichte entlang ihrer Küsten. Die Einwanderung von Vegetation, Tierwelt und bereits frühzeitig auch des Menschen erfolgte ganz überwiegend aus dem Südwesten, Süden und Osten. Bevorzugte Siedlungsräume für die Menschen waren durchweg zunächst die Küsten.
Die vom Menschen unbeeinflusste Vegetation entsprach in den Eisrandlagen zunächst den Verhältnissen arktischer Tundren. Phasenverzögert wanderten verschiedene Gehölzarten sukzessive aus kaltzeitlichen Rückzugsgebieten südlich der Alpen nach Mitteleuropa ein und damit auch, zeitlich verzögert, in den südlichen Ostseeraum. Die im Norden Skandinaviens vorherrschenden Bäume und Kräuter sind demgegenüber überwiegend aus eisfreien Rückzugsgebieten Nordrusslands westwärts gewandert.
Die Einwanderungsgeschichte der beherrschenden Gehölzarten im südlichen und mittleren Ostseeraum dürfte ähnlich verlaufen sein und wurde regional durch das Klima, unterschiedliche Böden und nicht zuletzt durch die unterschiedliche Intensität menschlicher Aktivitäten modifiziert.
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Links: ›Laubwiese‹, Saaramaa, Estland; rechts: Buchenwald, Moens Klint, Dänemark; alle Fotos © Klaus Dierßen
Natürliche Waldgesellschaften des Os t seer aumesDer bei weitem größte Teil Mittel und Nordeuropas wäre ohne menschlichen Einfluss waldbedeckt. Die räumliche Variabilität und Artenfülle der ursprünglichen Wälder ist beträchtlich und hat zusätzlich durch regional unterschiedliche Landnutzungsformen eine Bereicherung erfahren.
Die Baltischen Jungmoränen von Jütland, den dänischen Inseln und der Ostseeküste von SchleswigHolstein bis Nordpolen sind durch das Vorherrschen von Rotbuchenwäldern gekennzeichnet. Die Rotbuche kann hier auf nährstoffreichen Böden geradstämmige, während des Sommers stark Schatten werfende Hallenwälder aufbauen, in denen die Buche Höhen bis über 40 Meter erreichen kann. Bei stärkerer Durchsetzung mit anderen Baumarten wie Eichen, Esche und Ahorn wird das Kronendach
aufgelockert. Damit werden die Bestände lichter, und sowohl die Strauch als auch die Krautschicht werden merklich artenreicher.
Heute sind alte Primärwälder eine seltene Ausnahme und sind vorwiegend auf Schutzgebiete und Nationalparks beschränkt. Niederwaldartige Strukturen in ehemaligen Hutewäldern mit krummschäftigen, niedrigwüchsigen Buchen zeugen von einstiger Waldweide. Ästhetisch besonders ansprechend und biologisch herausragend sind die waldbaulich ungenutzten Buchenwälder der Kreidekliffs auf Moen und Rügen. Sie haben bereits begnadete Landschaftsmaler wie Caspar David Friedrich inspiriert und seither wenig von ihrem Charme eingebüßt.
Die Rotbuche ist nacheiszeitlich spät in Mitteleuropa und im Ostseegebiet eingewandert und kann, sofern Forstleute dies zulassen, wie ihre Begleitbaumarten 300 bis 600 Jahre alt werden (vergl. den
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V.l.n.r.: Erlenbruchwald, S-Litauen, Linden-Eichenwald, Bialovieza, E-Polen, Feuerspuren an Kiefern, Idre, Schweden.
Beitrag von H. Knapp). Natürliche Störfaktoren sind Stürme, Feuer, Nassschneeund Eisbruch, Sommerdürre sowie Spätfröste im Frühjahr und Frühfröste im Herbst2,3. Dies erklärt ihre nördliche und östliche Ausbreitungsgrenze: nordwärts eine verkürzte Vegetationsperiode, verknüpft mit einer abgeschwächten Produktion von Bucheckern und damit zugleich einer abnehmenden Regeneration der Bestände. Ostwärts steigt das Risiko von Spätfrösten und damit verbunden einer Schädigung der Knospen. Zusätzlich setzt an der Ostgrenze des Areals Sommertrockenheit den Buchen stärker zu als beispielsweise Eichen, Linden und der Hainbuche.
Die heutigen Buchenwälder sind ganz überwiegend Wirtschaftswälder, die sich entweder erst in den vergangenen 150 Jahren aus Niederwäldern entwickelt haben oder neu gepflanzt wurden. Insgesamt ist der Waldanteil am südwestlichen und südlichen Rand der Ostsee bei
überwiegend landwirtschaftlicher Flächennutzung gering.
Östlich und nordöstlich des Buchenareals im ostmitteleuropäischen Tief und Hügelland im überwiegenden Teil Polens sowie im Westen Litauens wird die Buche als vorherrschender Waldbaum ersetzt durch weniger spätfrostempfindliche Arten wie Hainbuche, Stiel und Traubeneiche, Esche und Winter linde. Insgesamt ist der Waldanteil in den gut landwirtschaftlich nutzbaren Räumen deutlich geringer als im nördlichen Ostseeraum. Allerdings haben sich in abgelegenen Gebieten des östlichen Polens zum Teil vom Menschen wenig beeinträchtige Primärwälder halten können. Das bekannteste Beispiel ist der seit 1921 als Reservat ausgewiesene BiałowiezaNationalpark in der Wojewodschaft Podlandskie an der Grenze zu Weißrussland. Die ältesten Eichen sind hier über 400 Jahre alt, und die Fichten erreichen Höhen von über 50 Metern. Das Waldbild
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Die Ostsee zur Zeit der »Yoldia«-Phase
vor ca. 9.000 Jahren.
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ist im Vergleich zu jenem der Buchenwäldern mehrstufig, im Regelfall dreischichtig. Den hohen, oft locker verteilten Eichen (Quercus robur, Q. petraea) und Eschen folgen in der Stufung Winterlinde, Spitzahorn, Hainbuche und Feldahorn (vgl. den Beitrag von R. Paluch et.al. in diesem Band). Im Vergleich zu den Hallenwäldern mit dominierender Buche dringt mehr Licht in das Waldinnere ein und erlaubt so die Entwicklung einer üppigen Strauch und Krautschicht.
Die standörtliche Amplitude der Eichen Hainbuchenwälder ist bezüglich des Wasserhaushaltes größer als jene der Buchenwälder und umfasst auch stärker grund und stauwassergeprägte Böden4.
In Sandergebieten sowie in Südskandinavien auf sauren Böden über graniti
schem Ausgangsgestein ersetzen Eichenmischwälder die Buchen und EichenHainbuchenwälder. Ihr im südlichen Ostseeraum regional auf magere Standorte beschränktes Verbreitungsgebiet reicht zudem weiter nach Osten und Norden als jenes der Buchenwälder5,6.
Die Böden haben durchweg geringe Basen und Nährstoffgehalte sowie ungünstige Humusformen. Die Masse der Bäume erreicht nur Wuchshöhen zwischen 15 und 25, selten bis zu 30 Metern. Der geringe Kronenschluss lässt die Entwicklung einer üppigen Strauch und Krautschicht zu. Die spärlich und kleinräumig vertretenen, historisch alten Waldstandorte sind teilweise bis in jüngere Zeit deutlich durch Waldweide geprägt, mit deutlich aufgelichtetem Baumbestand.
Ost und nordwärts werden diese bodensauren Eichenwälder sukzessive durch Kiefernwälder abgelöst.
In der boreonemoralen Übergangszone in den baltischen und skandinavischen Ländern geht klimabedingt der Anteil reiner Laubwälder nordwärts zunehmend zurück. Sukzessive setzen sich auf den nährstoffreicheren Böden Fichten und Fichtenmischwälder durch7. Ein mildes Regionalklima forciert an den nährstoffreichen Standorten auf Öland und Gotland sowie auf dem Festland SüdostSchwedens Lindenmischwälder mit variabler Baumschicht aus SpitzAhorn, Esche, Eichen und BergUlme. Die kleinklimatisch günstigen Standorte dieser Wälder sind seit Jahrhunderten durch die Nutzung als Weiden oder Laubwiesen dezimiert und überformt worden.
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frühen Ostsee (s. Abb.) vor rund 9.000 Jahren, als nordwestlich des Bottnischen Meerbusens die Reste des Inlandeises abtauten, wurde der Südwesten Schwedens dünn von altsteinzeitlichen Jägerkulturen besiedelt. Aus der Jüngeren Steinzeit vor etwa 5.000 Jahren lassen sich die ersten Formen eines primitiven Ackerbaues und der Viehhaltung belegen. Bis Mittelschweden wurden Spuren früher Brandrodung angetroffen9. Eine umfassende Rekonstruktion der frühen Kulturlandschaftsentwicklung liegt aus dem Raum Ystad an der Südspitze Schwedens vor. Die Besiedlung erfolgte zunächst durch spätmesolithische Jägerkulturen. Ihnen folgten jungsteinzeitliche und bronzezeitliche Siedler. Im Umfeld ihrer Siedlungen dürften in Südschweden und finnland Brandrodung und Waldweide bereits zu einer merklichen Auflichtung der Wälder geführt haben.
Zu Beginn der Eisenzeit wurde das Klima zunehmend milder und zugleich trockener. Zwischen Christi Geburt und dem 8. Jahrhundert lassen sich für die Seen Südschwedens Tiefstwasserstände rekonstruieren. Handwerklich hervorragend gearbeitete Eisengeräte machten die Bewirtschaftung selbst schwerer Böden möglich, und eine Düngung mit Asche, Holzkohle sowie tierischen Exkrementen schuf die Voraussetzung für eine zunehmend effektive Landbewirtschaftung. Episodisch genutzte Hutungen im Süden des Landes dürften in jener Zeit sukzessive durch dauerhafte Siedlungen ersetzt worden sein. Diese Entwicklung wurde, regional unterschied
Nördlich der »hemiborealen« Zone schließt sich auf der geographischen Breite von Stockholm und Tallin die von Kiefern und Fichten beherrschte boreale Nadelwaldzone an. Sie umspannt als ausgedehnte Waldregion die gesamte Nordhemisphäre von Nordamerika über Skandinavien bis Ostsibirien und Nordjapan. In Skandinavien ist sie aufgrund der kältezeitlichen Vergletscherungen und einer eingeschränkten Wiedereinwanderung von Gehölzarten besonders arm an Koniferen und Laubholzarten. Neben Fichte und WaldKiefer als vorherrschenden Nadelbäumen sind MoorBirke, ZitterPappel und GrauErle die häufigsten Laubbäume.
Bei in Details deutlichen Unterschieden der Waldstandorte sind die borealen Nadelwälder gekennzeichnet durch eine starke Rohhumus und Streuakkumulation und binden so erhebliche Kohlenstoffvorräte. Episodisch auftretende, durch Blitzschlag oder vorsätzlich ausgelöste Brände können demzufolge stark die Nährstoffdynamik dieser Wälder beeinträchtigen.
His torische Waldnu t zungÜber die Landschafts und Siedlungsgeschichte im Ostseeraum sind wir heute aufgrund pollenanalytischer Untersuchungen von Seesedimenten und Mooren sowie Grabungen von Prähistorikern in Siedlungsräumen umfassend orientiert8. Entlang der südlichen und westlichen Ostsee ist der Waldanteil durch ackerbauliche Nutzung stark dezimiert worden. Im nördlichen Ostseeraum steigt der Waldanteil nordwärts stetig an. Bereits während der »Yoldia-Phase« der
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Links: Subalpiner Fichtenwald, Lule Lappmark, Schweden, rechts: Flechten-Kiefernwald, Idre, Schweden
lich intensiv, zwischen 500 und 1.000 n. Chr. forciert. Ein weiterer Siedlungsschub mit dauerhaftem Ackerbau und einer landschaftsformenden Erweiterung des Nutzungsspektrums um verschiedene Getreidesorten wie Spelzgerste und Weizen sowie durch Fischfang erfolgte zur Zeit der Wikinger im Süden Skandinaviens vom 10. bis 13. Jahrhundert10.
Bis ins 18. Jahrhundert konzentrierte sich die Landnutzung mit Äckern, Niederwaldinseln sowie Allmendwiesen und weiden um Siedlungskerne im Süden Schwedens und Finnlands. Lokal und regional wurden bereits Niedermoore als Feuchtwiesen genutzt und erste Entwässerungsmaßnahmen durchgeführt.
Nordschweden und finnland wurden deutlich später besiedelt. In Västerbotten führten Pottasche und Teergewinnung, Brandrodung, kombiniert mit Waldweide oder verknüpft mit Roggenanbau, zu einer kontinuierlichen Ausmagerung der Böden und einer Dezimierung der
Mischwälder11,12. Waldreichtum im Norden Skandinaviens ist daher nicht gleichbedeutend mit »naturnahen« Waldstandorten. Eine rigorose Kahlschlagwirtschaft und wenig Boden schonende Bewirtschaftungsmaßnahmen mit Großgeräten werden selbst in abgelegenen Regionen Schwedens und Finnlands praktiziert.
Der Anteil historisch alter Primärwälder ist selbst im waldreichen Skandinavien gering und bleibt vielerorts auf kleine Reservate beschränkt. Ihr Artenbestand in der Stauden, Zwergstrauch und Krautschicht kann vor allem an frischen, nährstoffreichen und etwas feuchten Standorten hoch sein. Bezeichnend sind unter anderem Christophskraut, WaldStorchschnabel, FingerSegge und Seidelbast. Abhängig von der Bodenfeuchte der Humusdecke in den Wäldern entwickeln sich neben den Kräutern üppige Decken von Moosen und Flechten
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auf dem Waldboden und überziehen auch liegendes Totholz und die Baumstämme.
In den baltischen Ländern und im südlichen Skandinavien verliefen Waldbau, Waldweide und Grünlandnutzung vielfach kleinräumig nebeneinander und zeitlich fluktuierend, mit häufig unscharfen Nutzungsgrenzen beziehungsweise als Allmenden. Artenreich und von besonderem landschaftlichen Reiz sind von Südschweden über Öland, Gotland und die ÅlandInseln bis Südfinnland und Saaremaa und Hiiumaa »Laubwiesen« mit einem nutzungsgeprägten, feinmaschigen Mosaik aus ungedüngten Wiesen, »geschneitelten« Haselsträuchern, beweideten Niederwäldern und einzelnen Laubbaumveteranen, überwiegend Eichen.
Laubstreu als Winterfutter für das Vieh, episodisches Brennen, Mahd, Wiesen und Weidenutzung und selbst gelegentliche Getreideeinsaat schufen über die Jahrhunderte eine aus heutiger Sicht sehr abwechslungs und artenreiche, über
wiegend extensiv genutzte Kulturlandschaft. Die Erhaltung dieser Nutzungsformen wird derzeit zumindest regional als kombinierte Natur und Kulturlandschaftsschutzmaßnahme wieder forciert1316.
In Litauen haben sich vor allem in dörflichen Regionen im Süden und Südosten das Sammeln von Pilzen und Beeren in den Wäldern und »archaisch« anmutende Formen der Imkerei in WaldKiefern bis heute gehalten und prägen die naturräumliche Authentizität.
Ak t uelle Sit uation , künf tige R isik en und ChancenIn einer Welt mit sich rasch beschleunigendem Wachstum der menschlichen Bevölkerung, mit steigenden Verteilungsproblemen knapper werdender Ressourcen, einer zunehmenden Belastung mit Schadstoffen sowie zusätzlich durch eine Übernutzung von Lebensräumen verän
Links: Durch ehemalige Waldweide geprägte Flechten-Kiefernwälder, Chepkeliai, S-Litauen; alle Fotos: © Klaus Dierßen
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dert sich auch im Ostseeraum die Einstellung zu Wäldern, freilich regional in unterschiedlicher Form und Intensität.
Das Erscheinungsbild der Wälder des Ostseeraumes spiegelt neben den vielseitigen regionalen naturräumlichen und landschaftsgeschichtlichen Eigenheiten markante Unterschiede in der Walddichte, ihrer Nutzung und ihrer Gefährdung. Allgemein steigt der Waldanteil gegenüber der landwirtschaftlichen Nutzung in den einzelnen Ländern von Norddeutschland und Dänemark nach Russland und Finnland deutlich an. Nordostwärts sind Land und Forstwirtschaft zunehmend gekoppelt. Tendenziell gewinnt in den geringer besiedelten Räumen im Nordosten die private und kommunale Waldnutzung gegenüber einer kommerziellen und staatlichen an Bedeutung. In Litauen etwa sind Holzschnitzerei, das Sammeln von Pilzen und Beeren sowie die Imkerei in Wäldern ein historisch gewachsenes und gepflegtes Element nationaler Authentizität. Das Betreten von Wäldern außerhalb von Wegen und Pfaden ist hier unhinterfragt üblich, auch in den Schutzgebieten und Nationalparks. Ein angemessenes Verhalten ist selbstverständlich.
Vor allem die Wälder SchleswigHolsteins und Dänemarks sind bis in jüngste Zeit beträchtlich dezimiert worden17. Ihr Flächenanteil in SchleswigHolstein liegt aktuell bei unter 10 Prozent der Landesfläche. Davon sind etwa ein Drittel Nadelholzforste in einem waldbaulich ungünstigen Zustand, unter anderem mit einer eingeschränkten Resilienz gegenüber potenziellen klimatischen Verän
derungen. Die Nährstoffdynamik dieser Wälder ist zusätzlich geprägt durch atmosphärische Einträge von Mineraldünger und Gülleimmissionen aus landwirtschaftlich genutzten Flächen in der Größenordnung von jährlich 40 kg Stickstoff pro Hektar18. Den ökologisch und von der Artenvielfalt her eindeutig »günstigsten« Zustand zeigen »historisch alte« Wälder, die fast durchweg innerhalb von Schutzgebieten liegen.
Einträge von Schadstoffen in Wälder sind ein überregionales Problem. Als Beispiel für Emissionsprobleme sei Litauen herausgegriffen. Seit etwa 1940 ist hier die Holznutzung für den Hausbrand in den größeren Städten deutlich zurückgegangen. Der Anteil von Öl und Gasheizungen ist zunächst bis 1985 exponentiell angestiegen, aber seither gleichfalls wieder rückläufig. Die Emissionsraten bei der im Vergleich zu Deutschland geringeren Bevölkerungsdichte betragen derzeit bei klimawirksamen Substanzen und Schadstoffen bei Kohlendioxid in Litauen im Mittel 276 t / km2 jährlich, bei Schwefeloxiden 2 t/km2 und bei Stickoxiden 1 t/km2. Die entsprechenden Werte für die Bundesrepublik sind bei CO2 etwa 11mal, bei SOx etwa 15mal und bei NOx 9mal so hoch19. Etwa 60 Prozent der Einträge von Schadgasen kommen offensichtlich mit Luftmassen aus den südwestlich angrenzenden Ländern. Waldschäden durch Schadgase bleiben, mit deutlichen regionalen Unterschieden, ein weiterhin wachsendes globales Problem.
Sommeruni_Wald_Korrketuren_1106120 20 13.06.2010 13:35:54 Uhr
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unzulänglich, als die zunehmend wachsenden Eingriffe des Menschen in Waldlandschaften bereits seit der jüngeren Steinzeit zumindest in Europa tiefgreifend und flächendeckend erfolgt sind, wie sich aus der Analyse vegetationsgeschichtlicher Archive belegen lässt23,2 4.Mittlerweile sind wir unstrittig im vom menschlichen Handeln umfassend geprägten Zeitalter des »Anthropozän« angekommen. Nichts ist harmlos, was Homo sapiens auf diesem Planeten 6,5 x 109fach anstellt25. Insofern bedarf das vielfach in Naturschützerkreisen geforderte »Nicht Eingreifen« in »natürliche« Prozesse« (»Prozessschutz«) zusätzlich einer wesentlichen Ergänzung, nämlich eines vorausschauenden, weitestgehenden Vermeidens von und Schützens vor indirekten Störungen dieser komplexen Systeme durch anthropogenen Stress. Hier sind gleichermaßen eine nachhaltig umweltverträgliche Land und Forstwirtschaft, Industrie und Verkehrsentwicklung notwendig.
Ein Problem für die Umsetzung einschneidender umweltpolitischer Maßnahmen ist die latente Gewöhnung und Akzeptanz der Öffentlichkeit an nicht unmittelbar wahrnehmbare Veränderungen. So können wir uns etwa der ästhetischen Wirkung der »goldenen« Herbstfärbung eines Buchenwaldes nicht entziehen, selbst dort nicht, wo waldbauliche und standörtliche Veränderungen die Authentizität und Vielfalt eines konkreten Bestandes beeinträchtigen.
Fr agen eines ver ant wort ungs vollen Umgangs mit Wäldern , der Ethik und der Spirit ualitätIn komplexen Gesellschaften scheiden sich die Geister an mehrdeutigen und interpretationsfähigen Begriffen wie »Heimat« und »Wildnis«. Sie sind indessen in weiten Teilen Europas und damit auch im Baltischen Raum eng mit Wäldern oder auch alten Bäumen verknüpft. Die Achtung und der Schutz alter Bäume in ehemaligen Hudewäldern, denen vielfach ein »tausendjähriges« Alter angedichtet wird, ist für Menschen unterschiedlicher Kulturkreise unhinterfragt selbstverständlich. Das Betreten alter Waldbestände als »heiliger Haine« ist regional, etwa in Äthiopien oder Indien, tabuisiert. Stand in Europa für Jahrhunderte die Zähmung einer »wilden« Natur im Vordergrund der Landnutzung durch den Menschen20, so spiegelt die jüngere populärwissenschaftliche Literatur die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und regional Authentischen. Wäldern, gerade auch in waldärmeren Kulturlandschaften, kommt in diesem Zusammenhang unstrittig eine Schlüsselrolle zu21,22.
Für »nachhaltige« Schutz und Entwicklungskonzepte bleiben derzeit ungelöste Probleme: Um Wälder naturraumspezifischer und herausragender Qualität langfristig zu sichern, mag es hilfreich sein, sich im öffentlichen Diskurs griffiger Metaphern zu bedienen: »Urwald«, »Naturerbe« oder »Natur Natur sein lassen« sind stereotyp wiederholte und vermeintlich eingängige Floskeln. Sie spiegeln die Realität insofern
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Einige SchlussfolgerungenArten- und Strukturvielfalt wenig be-einträchtigter Wälder haben einen au-thentischen-ideellen-Wert, aber keinen Preis. Bei den derzeitigen gesellschaft-lichen und ökonomischen Randbedin-gungen dürfte die Annahme realistisch sein, dass die Entwicklung der forst-lichen Nutzung weiterhin primär von der Preisentwicklung der Holzmärkte bestimmt wird. Wenn neuerdings der »ökonomische Wert der Artenvielfalt« verstärkt öffentlich diskutiert wird, so bleibt dabei nicht selten unberücksich-tigt, dass gesellschaftliche und private Interessen nicht durchweg koinzidieren. So mag es sich für einen Einzelnen »rech-nen«, für den individuellen Gewinn den Verlust von »Artenvielfalt« in Kauf zu nehmen, obgleich dies für die Gesell-
schaft mit »externen« Kosten verknüpft sein kann26. Dem herrschenden ökonomischen Pri-mat in der menschlichen Gesellschaft frö-nend, mangelt es nicht an Überlegungen, »Gratisdienste« der Natur kostenaufwän-digen technischen Maßnahmen vorzuzie-hen, – teilweise mit absurden Schluss-folgerungen. So regte beispielsweise die Hamburger Forstverwaltung ernsthaft an, die »Filterleistung« von Waldbestän-den zur Staubbindung oder Ausfilterung von Schwefeldioxid technischen Vermei-dungskosten für den Filtereinbau in Fabri-ken gegen zu rechnen27. Die betroffenen Wälder dürften, so man sie denn fragen könnte, eine solche Anregung ihrer Ver-waltung kaum danken.
© Klaus Dierßen
Sommeruni_Wald_Korrketuren_1307122 22 13.07.2010 15:42:14 Uhr
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