View
220
Download
0
Category
Preview:
Citation preview
Staats- und Europarecht I - 1
Staatslehre und politisches System
Dr. Peter Becker
Gliederung der Lehrveranstaltung
Thema 1 (Skript I-1): Staatslehre/Politologie
Entstehung von Staaten; Staatsbegriff; Souveränität; Herrschaft und Macht; Herrschaftsformen, Demokratieformen, Prinzipal-Agenten Dilemma, Eliten, Zivilgesellschaft
Thema 2 (Skript I-2): Staatsorganisationsrecht
Verfassungsbegriff und Verfassungsgeschichte, Staatsstrukturprinzipien; Staatszielbestimmungen; Staatsorgane, Funktionen und Kompetenzen der Staatsorgane
Thema 3 (Skript II-1): Allgemeine Grundrechtslehren
Wesen und Einteilung der Grundrechte, Grundsätze der Grundrechtsprüfung
Thema 4 (Skript II-2): Grundrechte
Menschrechte, Entstehung der Grundrechte, einzelne Grundrechte
Gliederung von Teil 1
I. Teil: Standortbestimmung
II. Teil: Die Genese politischer Systeme - der Weg zum demokratischen und sozialen Rechtsstaat
III. Teil: Der Staatsbegriff
IV. Teil: Staatsgewalt – Souveränität, Legitimität und Macht
V. Teil: Von der Polis zur Zivilgesellschaft
I. Teil Standortbestimmung
Standortbestimmung
Sein/empirisch Sollen/normativ Wechselwirkung
Sozial- und Rechtswissenschaften
Sozialwissenschaften insb. Politologie
Schwerpunkt der Betrachtung ist das gesellschaftliche Sein
• Untersuchung der gesellschaftlichen Realität Welche Kräfte wirken?
• System und Mechanismen
• Wie kam es dazu? (Verbindung zu den Geschichtswissenschaften)
• Politische Prognosen
Rechtswissenschaften (Staatsrecht)
Schwerpunkt der Betrachtung ist das gesellschaftliche Sollen
• Idee des demokratischen und liberalen Rechtsstaats als Zielsetzung
Wie kann das Zusammenleben mit den Mitteln des Rechts so organisieren, dass gleichzeitig
handlungsfähiger Staat
Höchstmaß an individueller Freiheit
verwirklicht werden?
II. Teil Die Genese politischer Systeme - der Weg zum demokratischen und sozialen Rechtsstaat
Besprechungsfall 1 (zum II. und III. Teil) Der zentralafrikanische Staat „Demokratische Republik Freeland“, eine frühere belgische Kolonie, ist nach mehreren Diktaturen und über 30 Jahren Bürgerkrieg endgültig zerfallen (sogenannter „failed state“). Funktionierende staatliche Einrichtungen gibt es schon lange nicht mehr und die formal bestehende Regierung wurde vor 5 Jahren von Milizen vertrieben. Überall herrscht Chaos und Gewalt. Die Stammeshäuptlinge vier befreundeter Stämme im Süden des Landes haben sich nun gegenseitig Frieden geschworen und wollen ihre Stammesgebiete (in der Größe von M-V, ca. 500.000 Stammesangehörige) als Staat mit dem Namen „Republik Peaceland“ zusammenschließen und die Aufnahme in die UNO beantragen. Das Land soll von einem Häuptlingsrat regiert werden, dem im jährlichen Wechsel einer der Stammeshäuptlinge als Staatsoberhaupt vorsteht. Die Stammeshäuptlingen werden traditionell im Wege des Palavers von den Familienvorständen aus dem Kreis der Notabeln bestimmt. Ihre Autorität ist weitgehend auf mystische Kräfte (Totemglaube) gegründet. Auf dem Gebiet befinden sich aus Kolonialzeiten ein Hafen und eine Eisenbahnlinie ins Landesinnere, wo frühere insbesondere Kaffee und Kakao angebaut wurden. Diese Infrastruktur ist jedoch weitgehend zerstört. Die Ernährungslage ist schlecht, weil die Landwirtschaft infolge des Bürgerkriegs darnieder liegt. Mangels Straßenverbindungen und Märkten ist auch lokaler Handel kaum möglich. Bewaffnete Milizen kontrollieren zudem die verbliebenen Hauptverbindungsrouten im Land. Die früher von Missionaren betriebenen Schulen und Krankenstationen sind seit langem geschlossen, weil die Missionen wegen des Bürgerkriegs geschlossen wurden. In den Siedlungsgebieten der Stämme kommt es immer wieder zu Cholera-Ausbrüchen, weil die Pumpen und Brunnen zerstört sind und es am Zugang zu sauberem Trinkwasser mangelt. Die Stammeshäuptlinge haben sich nun mit der Bitte an die Europäische Kommission gewandt, sie beim Aufbau eines Staates zu unterstützen. Die EU glaubt, die Häuptlinge könnten die Lage stabilisieren. Sie werden als Regierungsberater nach „Peaceland“ gesandt. Fragen: 1. Was würden Sie den Stammeshäuptlingen raten? 2. Kann „Peaceland“ UNO-Mitglied werden?
Zu Frage 1: Maßnahmen zum Aufbau der Republik „Peaceland“ Herstellung äußeren Friedens (= Abwesenheit von Krieg) Herstellung inneren Friedens
Gewaltmonopol des Staates, keine lokalen „warlord“ und Milizen, keine Selbstjustiz
Schaffung von (Entscheidungs-) Regierungsinstitutionen Mechanismen zur konsensualen Bestimmung der künftigen
Entscheidungsträger und Machtausübungsmechanismen Aufbau einer Verwaltungsorganisation
• Grundbedürfnisse der Bevölkerung • Wasserversorgung • Gesundheit • Bildung
• Ankurbelung der Wirtschaft • Währung, Infrastruktur, Märkte, Außenhandel
Ist eine Übertragung von westlichen Regierungs- und Verwaltungsmodelle anzustreben?
• Demokratie, Menschenrechte, Gender?
Frage: Auf welches grundlegende Problem dürfte das Vorhaben stoßen?
Formen von Gemeinwesen
Personenverbände Ämterstaaten
ohne zentrale Institutionen
Personenverbandsstaaten
Horde Nomadische
Gruppen
Frühe Republiken Feudalstaaten
Nomadenstaaten
Stamm 1.000- 300.000 M
Ämter, Schriftgebrauch, Geldsteuern
fast ausschließlich personale Bindungen
teilbürokratische Staaten bürokratische Staaten
Ständische Monarchie Stadtrepubliken udgl.
Imperium (div. Untergliederungen)
Territorialstaaten
Patrimonial-bürokratische Monarchien
Transitions-ordnungen
Demokratien
Absolutismus chinesische u. byzantinische Autokratien
islam. Despotien
Reformabsolutismus konstitutionelle
Monarchie moderne Diktaturen
parlamentarisch, präsidial, „defekte“
Demokratien (?)
Frage: Wo in diesem Schema steht die Republik „Peaceland“ und wo sollte sie nach Ihrem Verständnis hin?
Herrschaft
patrimonial bürokratisch
Der Herrscher führt dem Staat wie ein Familienvorstand. Keine Trennung zwischen Amt und Person bzw. privaten und öffentlichen
Interessen
Bürokratie Herrschaft durch Ämter Trennung von
öffentlichen Belangen und privaten Interesse/Vermögen der Regierenden
„Talcott Parsons und die evolutionären Universalien“ G
rad d
er Ko
mp
lexität
Richtung der gesellschaftliche Entwicklung (politisches System, Rechtsordnung etc.)
einfach komplex
Moderne Staaten (politische Teilhabe)
Protostaaten ("hydraulische" Gesellschaften; Wittfogl), Polis (Antike)
Akepale Gesellschaften (Jäger und Sammler; Naturvölker)
Segmentäre Gesellschaften (Sesshaftigkeit, Landwirtschaft, Großfamilien)
Stammesgesellschaften (Familienbande, kinship)
Feudalstaaten
Absolutismus (Entstehen moderner Staaten)
"Nachtwächterstaat" (Schutz von Freiheit Eigentum)
Sozialstaat (ökonomische Teilhabe)
Entwicklungsdruck (meist durch Kriege)
Warum sind die Regierungsformen der Staaten so unterschiedlich?
Frage: Welche bedeutsame „Wanderungsbewegung“ fehlt auf dieser Grafik?
Quelle: Yuyal Noah Harari
Pluralisierung und Homogenisierung
200.000 Ur-Eva
10.000 v. Chr. Landwirtschaft
800-200 v. Chr. Achsenzeit (Jaspars): Bedeutsame geistige Fortschritte in China, Indien, Griechenland, Palästina
14. Jhdt. Heinrich der Seefahrer
17. – 20 Jhdt. Kolonialreiche Heute: Globalisierung
Phase der Pluralisierung Diversifikation der Formen menschlichen Zusammenlebens inkl. gesellschaftlicher und politischer Systeme
Phase der Homogenisierung
1750 Kodex Hammurapi
Römisches Reich, China: Qin Dynastie (Kaiser)
Ab ca. 3.000 v Chr. Zivilisationen in Niltal, Mesopotamien, China und Indien
Jäger und Sammler
ca. 350 – 1400 Eurasische Handelsnetze
Gesellschaftliche und staatliche
Organisationstruktur
Weltbilder Institutionen und Leitideen
Geschichtliche Entwicklung, Kultur/Religion
Nicht-institutionelle Faktoren
Zugriff auf Handlungsressourcen
Gesatzte Rechtsordnung
(soweit wirksam)
Handeln der AkteureEinfacheGesellschafts-
strukturen
Komplexe Gesellschafts
strukturen
Interessen Interessen Interessen
Warum sind die Staaten der Erde so unterschiedlich?
Staatenbildung
Stammes“staat“ Stadtstaaten
Empire (Reich)
Nationalstaat
Herrschaft über mehrere Staaten mit Menschen unterschiedlicher Ethnizität Beispiele: Römisches Reich, Osmanisches Reich, Sowjetunion
Herrschaftsgebiete mit Menschen gleicher Ethnizität Beispiele: Städte in der Antike und in Norditalien (Renaissance), Fürstentümer
Idealbild: Herrschaftsgebiet mit Menschen gleicher Ethnizität. Die Idee entsandt während der frz. Revolution, in Deutschland nach den Befreiungskriegen von Napoleon
Hohe innere Stabilität, aber in militärischen Auseinandersetzungen oft unterlegen (Gefahr des Vasallenstaat oder Eroberung durch Empire) und den komplexen Anforderungen der Moderne meist nicht gewachsen
Bei militärischen Auseinander-setzungen überlegen, aber innerlich oft instabil, weil Angehörige eingegliederter Stammesstaaten bei zunehmender sozialer Mobilität nach Unabhängigkeit streben
Stabilste Form von Staatlichkeit, Meist Folge des Verschmelzens von Stammesstaaten oder Vermischung oder Integration ihrer Bevölkerung in einem „Empire“. Lässt sich aber künstlich nur schwer erzeugen (vgl. „failed states“ wie Somalia, Irak, Libyen, Jugoslawien udgl. aber auch EU)
Nationalstaaten sind ein erstrebenswertes Model, weil sie durch ihrer Stabilität in der Regel zu äußerem und inneren Frieden beitragen:
Nationale Identität wird befördert durch
1. gemeinsame Sprache (Deutschland: Luther-Bibel; Frankreich: höfische Sprache in Paris, Bedeutung von Amtssprachen und Schule!), Religion und Erziehung
2. Verringerung der Loyalitätspflichten gegenüber lokalen Gruppen und Klans
Industrialisierung hat in Europa zur Vereinheitlichung der Sprachen und der Bildung geführt und damit Herausbildung nationaler Identitäten befördert, in den meisten Fällen wurde der Prozess jedoch gewaltsam ausgelöst (Eroberung, Vertreibung, Unterdrückung)
Nationale Identität führt zu stabilen starken Staaten, aber auch zu Ausgrenzung und Vertreibung von Minderheiten (z.B. II. WK, Balkan) und Rassismus
Staatenbildung
State building Nation building
Technischer Prozess: Schaffung einer staatlichen Regierung, Bürokratie Armee und dgl. durch Einstellung von Staatsbedienstete, Errichtung von Behörden, Bereitstellung von Budgets und Erlass von Gesetzen und Verwaltungsanweisungen
Voraussetzung: Nationalbewusstsein, das Loyalität zu lokalen Gruppen überdeckt (ethnisch Zugehörigkeit ist wenig bedeutsam!) Kreationsbedingungen: Nationale Tradition, Symbole, Erinnerung an gemeinsame Geschichte, Kulturgemeinschaft
Entscheidend für den Erfolg der Staatenbildung
Zusammenfassung zu Teil II
Was haben Sie gelernt?
III. Teil Der Staatsbegriff
Zu Frage 2: Kann die „Republik Peaceland“ Mitglied der UNO werden?
Nach Art. 4 der Charta der Vereinten Nation können
alle friedliebenden Staaten,
die die Verpflichtungen aus der Charta übernehmen und
nach Urteil der UNO dazu auch fähig und willens dazu sind
Mitglied der UNO werden
Außerdem legt Artikel 4 fest, dass neue Mitglieder vom Sicherheitsrat empfohlen und per Beschluss der Generalversammlung aufgenommen werden müssen.
-> Ist die „Republik Peaceland“ ein Staat oder ggf. ein De-facto-Regime?
-> Staatsidee ist europäisch geprägt
Religion und Kriegstechnologie - Entstehung moderner Staaten in Europa
Personen-verbände/ Polis
Heiliges römisches Reich
Reformation Einheit des Glaubens wird zerstört führt zu:
Glaubenskriege •Einheit des HRR wird zerstört •Frankreich: Bürgerkrieg
führt zu:
Neue Kriegs-technologie • Adel verliert an
Bedeutung • Stehendes Heer • Professionelle
Verwaltung (Ämterstaat) wird erforderlichicht
Absolutismus Formaler (konsitutioneller) Verfassungsstaat
Sozialer und demokratischer Verfassungsstaat
Jede Gemeinschaft hat ihre Götter und lebt entsprechend ihrer Sitten
•Es gib nur einen Gott auf der Welt •Bibel/zehn Gebote als Gerechtigkeits-maßstab
„politiques“ (insb. Bodin, Fr.); Hobbes (Engl.): „Leviatan“ ist besser als Bürgerkriege
Fürst bleibt als Souverän Träger der Staatsgewalt, wird aber in ihrer Ausübung beschränkt
Liberalismus Volkssouveränität Rechtsstaat
Natürliche soziale Ordnung oder Despotie
Ein christliches Reich •Zwei-Schwerter-Lehre •Kaiser/Papst haben Zentralgewalt •Konflikte zw. König und Adel
Idee der Souveränität Der König steht über dem Recht Im Ergebnis anders: England, Magna Charta, glorious revolution
aufgeklärte Monarchie, konstitutionelle Monarchie
Vorreiter: rule of law Großbritannien Französische Revolution USA
Staatliche Souveränität
Staatliche Souveränität
innere (staatsrechtliche) Souveränität
äußere (völkerrechtliche) Souveränität
Gewährleistung des inneren Friedens
•Quelle der Staatsgewalt •Legitimation für die Ausübung der Staatsgewalt bzw. für die •Zentralisierung und Monopolisierung der Gewalt in der Hand des Staates
Gewährleistung des äußeren Friedens
Keine zentrale int. Autorität. Voraussetzung: •wechselseitige Respektierung der Staaten untereinander •prinzipielle Gleichheit und Unabhängigkeit aller Staaten •Problem: Völkerrecht vs. Souveränität
Wer ist der Souverän? (Frage nach
der Staatsform)
Was ist ein Staat?
ohne äußere Souveränität keine innere Souveränität
Der moderne Staatsbegriff
Nach der "Drei-Elementen-Lehre" von Georg Jellinek (1851–1911) gehören zu Wesensmerkmale eines Staat:
- Staatsgebiet (vgl. auch Satz 2 Präambel des GG)
- Staatsvolk (Summe der Staatsangehörigen; vgl. auch Art. 116)
- Staatsgewalt (innere und äußere Souveränität)
Nicht unumstritten, aber herrschende Lehre (u. a. im deutschen Rechtskreis die Allgemeine Staatslehre).
• Völkerrechtliche Anerkennung oder Mitgliedschaft in den VN sind keine konstitutiven Merkmale
• Problem: Abgrenzung zum De-facto-Regime
Staatsgebiet
Ursprünglich: Personenverbandsstaaten
Grundlage ist eine persönliche Bande zwischen Herrscher und Beherrschten
Heute: Moderne Staaten sind Gebietskörperschaft.
• In Richtung offenes Meer gehören zum Staatsgebiet die Festlandlinie (Landlinie bei Ebbe) und das Küstenmeer (3 Meilen).
• Die ausschließliche Wirtschaftszone nach Art. 55 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (200-Meilen-Zone) ist nicht Teil des Staatsgebiets.
•Der Luftraum gehört ebenfalls zum Staatsgebiet.
Staatsvolk
Prozess der Staatsentstehung
„Statebuilding“ „Nationbuilding“
Problem: Staat = abstraktes Gedankengebilde Loyalitätsgefühl ggü. dem Staat muss stärker sein als die Verpflichtung ggü. lokaler (natürlicher) Gemeinschaften
- Nicht willkürlich kreierbar (vgl. EU-Bürgerschaft) - Gefühl gemeinsamer Kultur und Geschichte , in der Regel über
die gemeinsame Sprache, ethnische Zugehörigkeit ist eher unwichtig (Bsp. Lutherbibel, Schweiz)
- Soziale Mobilität zur Bildung überörtlicher Gemeinschaft ist Voraussetzung
Nation = Volk als empfundene Gemeinschaft
Staatsvolk im Rechtssinne = Staatsangehörigkeit
Problem der aktiven und passiven Bürgerschaft
Willkürlich kreierbar Erwerb der StAng =
Regelung durch Gesetz genügt
Staatsvolk
Das Staatsvolk besteht aus der Summe der Staatsangehörigen (vgl. auch Art. 116 - Deutsche)
Problempunkte:
• Nationalstaat, ethnische Herkunft, Doppelstaater
• Unterscheidung zwischen Deutschen (bürgerliche Rechte) und Jedermanns-Grundrechte (Menschenrechte)
Prinzipien für den Erwerb der Staatsangehörigkeit:
• Abstammungsprinzip (ius sanguis)
• Geburtsortsprinzip (ius soli)
Deutschland: Wenn ein Elternteil im Zeitpunkt der Geburt seit acht Jahren seinen gewöhnlichen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt (§ 4 Abs. 3 StAG), erwirbt das Kind auch die deutsche StA und behält sie, wenn es in Deutschland „aufgewachsen“ ist (§ 29 StAG).
Staatsgewalt (i.S. innerer Souveränität) Der Staat ist Träger hoheitlicher Gewalt. Im "modernen Staat" (für Deutschland vgl. Art. 20 Abs. 3 GG)
- stellt er die Rechtsordnung bereit (= Gesetzgebung),
- führt er diese aus (= Verwaltung)
- und entscheidet Streitigkeiten an diesem Maßstab verbindlich (= Rechtsprechung).
Staatsgewalt erstreckt sich jedoch grundsätzlich auf alle Personen, die sich im Staatsgebiet aufhalten, jedoch auch auf Staatsangehörige im Ausland (vgl. u.a. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB)
Weil nötigenfalls die Anwendung von Gewalt zur verbindlichen Festlegung und zur Durchsetzung von Normen erforderlich ist, bestehen im "modernen Staat"
- ein Gewaltverbot für Private,
- ein Gewaltmonopol zugunsten des Staates,
- eine besondere Verantwortung des Staates.
Staatsgewalt bei dezentraler Staatsorganisation
„ursprüngliche“ Staatsgewalt (Herrschergewalt, Jellinek)
abgeleitet Staatsgewalt Autonome Rechtssetzung
durch Übertragung der Bedingungen für die Zwangsanwendung
Zentralstaat
Unterstaatliche Ebene
Selbstverwaltungskörper-schaften, Verbände, Kirchen
(-> Gemeinderat und Kreistag sind keine Parlamente!)
Beispiel: Art. 28 Abs. 2 GG
Überstaatliche Ebene Supranationale Ebene
insbesondere EU (Souveränitätsproblem: Partieller Bundesstaat?)
Bundesstaaten
Fortsetzung des Falls Republik „Peaceland“
Erfüllt die Republik Peaceland die Voraussetzungen des Staatsbegriffs?
Staatsgebiet (+)
Staatsvolk (+)
Staatsgewalt (?)
Leitfragen:
Üben die Häuptlinge (ggf. über den Häuptlingsrat) Staatsgewalt aus oder sind sie nur mächtige Privatpersonen (Familienvorstände)?
Falls sie in der Lage sind, auf ihrem Gebiet das Gewaltmonopol zu erringen, handeln sie als Regierung oder als De-facto-Regime?
Was ist mit der Abspaltung von der Republik Freeland?
Zusammenfassung zu Teil III
Was haben Sie gelernt?
IV. Teil Staatsgewalt – Souveränität, Legitimität und Macht
Staatsgewalt – Souveränität und Legitimität
Fragen:
1. Was unterscheidet einen autokratisch herrschenden Staatschef vom Chef einer mächtigen Verbrecherbande? Mussolini – Al Capone
2. Warum werden Gesetze befolgt? Warum warten (in Deutschland) Autofahrer auch dann an einer roten Ampel, wenn die Kreuzung frei ist?
3. Warum vollstrecken (in Deutschland) Amtsträger auch dann Gesetze, wenn sie sie persönlich für falsch halten? Richter X hält das Verbot aktiver Beihilfe zu Selbsttötung für falsch. Trotzdem verurteilt er einen Angeklagten wegen einer solchen Tat.
Macht und Recht
Das Recht folgt aus der Macht
Die Macht folgt aus der Recht
Souveränität Legitimität
Verpflichtungskraft der Gesetz
Amtsautorität
Geltung Wirksamkeit
Rechtfertigung zur Ausübung der Staatsgewalt
Wer darf die Gesetze machen?
Räubertheorie: „Geld oder Leben“? Gelten Gesetze nur, weil deren Befolgung wegen drohender Strafen das geringere Übel ist? Problem: „Der Allmacht gegenüber dem einzelnen Abhängigen steht auch die Ohnmacht gegenüber ihrer Gesamtheit zur Seite.“ Max Weber (W&G)
Traditionale Herrschaft Charismatische Herrschaft Rationale Herrschaft
Grundlage der
Herrschaft
Überzeugung von der Richtigkeit
der altüberkommener Ordnungen
und Herrengewalten (z. B.
aufgrund Gottesgnadentum).
Besonderes Vertrauen der
Rechtsunterworfenen in den Führer
Legal, aufgrund einer Verfassung
Form der Verwaltung Patrimonial, durch Dienerschaft;
zwischen Amt und Person wird
nicht unterschieden.
Angepasst an die vorgefunden
gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen,
bestehende Strukturen werden meist
nur modifiziert
Bürokratie;
Regierung und Verwaltung durch
Ämter;
professioneller Beamtenapparat
Ämtervergabe Aufgrund persönlichen
Vertrauensverhältnisses;
Verwandtschaftsbeziehung
dominiert.
Aufgrund persönliches
Vertrauensverhältnis, oft
Bestenauslese unter Anhänger.
Wahl bzw. formalisierte
Bestenauslese (vgl. z. B. Art. 33
Abs. 2 GG Eignung, Befähigung,
fachliche Leistung).
Entscheidungsmaßstab Willkürlich, allein im Interessen
des Herrschers.
Neutral, im öffentlichen Interesse,
aufgrund von Gesetzen.
Legitimität von Herrschaft bzw. Staatsgewalt nach Max Weber
Zusammenfassung zu Teil IV
Was haben Sie gelernt?
V. Teil Von der Polis zur Zivilgesellschaft
Abendländische politische Ideengeschichte I
1. Achsenzeit 800 bis 200 v. Chr.
Gesellschaften in von vier voneinander unabhängigen Kulturräumen, nämlich China, Indien, Griechenland und Palästina erzielen bedeutende philosophische und technische Fortschritte (vgl. Jaspers)
2. Das Altertum
• Verfassungsdebatte (Herodot)
• Die Suche nach dem idealen Staat und einer gerechten Ordnung (Plato),
• Vergleich realer Staaten und dem tugendhaften Leben darin (Aristoteles),
• Untersuchung zur Staatsorganisation, der Herrschaft der Gesetze (Polybios)
• Unterscheidung zwischen Gottes Reich und dem irdischen Staat (Augustinus).
2. Das Mittelalter
Endgültige Trennung zwischen religiösem Glauben und politischem Willen (Glück und Frieden sind nicht nur eine Gottesgabe).
Abendländische politische Ideengeschichte II
3. Die Neuzeit
a) Entwicklung moderner Herrschaftstechniken (Machiavelli)
b) Entwicklung der modernen Staatsidee und der Souveränitätslehre (Bodin)
c) Überwindung des Naturzustandes („der Mensch ist des Menschen Wolf“) durch den Staat und Beginn der modernen Vertragsidee (Hobbes)
d) Entwicklung der Gewaltenteilungslehre (J. Locke, Montesquieu)
e) Entwicklung der Lehre von der Volkssouveränität (J.-J. Rousseau)
f) Entwicklung und Garantie der Grund- und Menschenrechte
g) Schutz individueller Freiheiten und Rechte gegenüber dem Staat, d. h. Vorrang von Individuum und Gesellschaft (Pluralismus) vor staatlichem Machtanspruch (US-amerikanische Verfassung)
h) Idealisierung des Staates (Monismus) gegenüber der Gesellschaft (G. W. F. Hegel).
Verfassungskreislauf oder Demokratie als Ende der Geschichte?
Aristoteles und Polibios unterscheidet zwischen sechs Staatsformen von denen er drei als gute Formen bezeichnet, nämlich
• Monarchie (Alleinherrschaft),
• Aristokratie (Herrschaft der Besten) und
• Politie
sowie deren entarteten Pendants
• Tyrannis,
• Oligarchie (Herrschaft weniger) und
• Demokratie
Hegel: Der Kampf um die Anerkennung (Thymos) zwischen Herrn und Knecht, Dialektik resultiert im demokratischen Modell (Endzustand)
Regierungsformen nach der Transformationslehre
Defekte Demokratien
Im Allgemeinen wird zwischen vier Sub-Typen defekter Demokratien unterschieden, nämlich
• delegative Demokratie Exekutive dominiert, Judikative ist schwach und nicht unabhängig
• Enklavendemokratie Der demokratischen Regierung stehen starke nicht demokratisch legitimierte Vetomächte (z.B. Militär, Wirtschaftsunternehmen) gegenüber
• illiberale Demokratie formales Mehrparteiensystem, Regierungspartei versucht Machtwechsel durch Repressionen, Wahlmanipulationen usw. zu verhindern
• exklusive Demokratie Ausschuss bestimmter Bevölkerungsgruppen vom Wahlrecht Früher SA, Rhodesien (Simbabwe), Schweiz: bis 1971 kein Frauenwahlrecht (!)
Gesellschaft
Eliten
Massen Politische Klassen oder Exklusive -Elite
Zweite Schicht Insbesondere
Ministerialbürokratie
Das Elitenkonzept
Prinzipal
Übertragung von Macht und den Zugriff auf Ressourcen
durch demokratische Wahlen
Subordinationsverhältnis im Rahmen der Rechtsordnung
Rechenschaft
Prinzipal-Agentenverhältnis und Rechenschaft
Volk Regierung/Parlament
Agent
Rechenschaft erfordert: •Klare Zuständigkeit und Verantwortlichkeit der Staatsinstitutionen •umfassende Informationsrechte •freie Medien •starke Zivilgesellschaft •Sanktionsmechanismen •unabhängige Justiz
Gefahr: Agent handelt nicht im Interesse des Prinzipals •Auftrag unvollkommen •Informations-Asymmetrie •Machtgefälle zwischen Apparat/Bürger •Kontrollunwilligkeit des Prinzipals
Zivilgesellschaft
Aufklärung: Individualrechte, Trennung zwischen Staat und Gesellschaft
Problem: Verhältnis Staat/Bürger
‚zu viel an Ordnung‘ durch allgegenwärtigen Staat vs. ‚zu wenig an Ordnung‘ durch Fragmentierung der Gesellschaft
Freiheitlich-liberale Konzept (amerikanischer Ansatz) -> Schutz vor staatlichen Eingriffen
Konzept der politischen Gesellschaft (Frankreich) -> Recht auf politische Teilhabe
Staat (Apparat) Individuen
Staat (Gemeinwesen)
Zivilgesellschaft Sozialkapital
Zivilgesellschaft, Definition
„Die Zivilgesellschaft befindet sich in einer vorstaatlichen oder nichtstaatlichen Handlungssphäre und besteht aus einer Vielzahl pluraler, auf freiwilliger Basis begründeter Organisationen und Assoziationen, die ihrer spezifischen normativen und materiellen Interessen artikulieren und autonom organisieren. Sie ist in dem Zwischenbereich von Privatsphäre und Staat angesiedelt. In ihr artikulierte Zielsetzungen betreffen auch die res publica.
Akteure der Zivilgesellschaft sind damit in die Politik involviert, ohne jedoch nach staatlichen Ämtern zu streben. Entsprechend sind Gruppen, die ausschließlich private Zwecke verfolgen […], ebenso wenig Teil der Zivilgesellschaft wie politische Parteien, Parlamente oder staatliche Verwaltungen. Die Zivilgesellschaft […] [stellt] ein Sammelbecken höchst unterschiedlicher Akteure [dar], die allerdings einen Minimalkonsens teilen. Dieser beruht im Kern auf der Anerkennung des Anderen (Toleranz) und der Fairness. Ausgeschlossen ist die Anwendung physischer Gewalt.“ (Merkel & Lauth, Systemwechsel und Zivilgesellschaft: Welche Zivilgesellschaft braucht die Demokratie? Aus Politik und Zeitgeschichte, 1998, S. 22 f.)
Diskussion
Fragestellung:
Sind politische Parteien zivilgesellschaftliche Organisationen?
Welche Argumente sprechen dafür und dagegen?
Werteordnung – Weltbilder – Ideologien
Akteure Institution Apparat
Staatsvolk
Führungspersönlichkeiten
Eliten
Parteien Zivilgesellschaftliche Organistionen
Massen
Herrschaft durch Ämter
politisch administrativ
Wahlen und Rechenschaft
Bestenauslese Art. 33 IV
Durchlässigkeit zwischen Eliten und Massen?
Rechen-schaft
formell informell
Rechtsordnung Insbesondere: - Wahlregime - Gewaltenteilung - Recht auf politische Teilhabe
-Freiheits- und Gleichheitsrechte
-Rechtsstaatsprinzip
“rules of the game”
Sitten und Gebräuche
ständige Übung ständige Rspr. Verwaltungspraxis Soziale Regeln in Patronage-
Klienten-verhältnissen
Politischen Lager Interessenge-
meinschaften Sozialkapital aus dem Beziehungs-geflechte der Zivilgesellschaft
Struktur und Mechanismen der Gesellschaft in Deutschland
Zusammenfassung zu Teil V
Was haben Sie gelernt?
Recommended