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»Kein Ort zum Unterkommen«. Wer sich auf Sascha Kokots Gedichte einlässt, weiß, wie es sich anfühlt, der letzte Mensch auf Erden zu sein. Rodung schlägt eine Kälteschneise in unsere wohltemperierte Gegenwart: Es schneit, es ist still, kalter Rauch liegt in der Luft. Etwas ist zu Ende gegangen – ob etwas Neues beginnt, weiß niemand zu sagen. Sensibel und empathisch, gleichzeitig kühl und ohne jegliche Sentimentalität erkundet Sascha Kokot Orte und Landschaften, die weitgehend verlassen sind; (Ab-)Räume, die nur noch um ihrer selbst willen existieren. Von den Menschen ist nichts als das »Schwemmholz ihrer Herkunft« geblieben, das Geschichte und Gegenwart, Eigenes und Fremdes in eins setzt. Klare, spröde, auf das Notwendige reduzierte Verse von irritierender Schönheit.
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Sascha Kokot
Rodung
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am Hang im angewehten Schneehalten sich meine Spuren in Deckungaus der Schonung über das Bracheeisenden sie auf ungewisse Dauerdas Jungwild bleibt auf Abstandzieht sich schnell in die Bewaldung zurückdie einzige Kontur die sich ausmachen lässtder Weg ist schon fort vor Minuten überblendetgeblieben sind am Turm der Stundenschlagein Hof in dessen Ferne eine Säge kreistkein Ort zum Unterkommen
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der Winter webt fleißig ein frostiges Tuchzwischen meine Fensterflügel keine Handbreitfür das Temperaturgefälle reicht der Lackschon seit dem Vormieter kaum noch aus derStraße sickert das Achsenrumpeln wenn danicht die Kälte dieser Tage wäre ich lieber einbefelltes Tier auf der Fährte im Park dicht überder Decke zwischen all den Schneemännernden gelben Reviergrenzen junger Familien demGeäst vorgelagerter Jahre falle ich noch immerdeinem Pfeifen zum Opfer ganz fern bleibst dunur mir
�
vor dem Haus ist wieder ein Platzfür den Wind die gleitenden Vögelwenn die Kinder heimgetrieben werdenStiefelspuren in alle Richtungen zeigenbleibt auf den Platten in Schnee und Salzdie Grausamkeit liegen mit der sie lachendsich gegenseitig Frost an die roten Köpfe werfen
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du siehst das Tauwetter in den unteren Lagen grasenniemand sonst demontiert die letzten Zäunefrisst an den Wällen der Sturmseiteder geborstene Schiefer bleibt liegenmit dichtem Fell stellen sich die Katzen aufkauen ihre Krallen scharf wittern die Kälteschon schlagen die ersten Hunde anwenn sie erwachenihnen dein Geruch plötzlich fremd istdu erst am Jahresende wiederzu den Häusern hinabsteigen kannst
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diesen Brand haben wir selbst gesetzter zerrt an uns in immer gleichen Teilenverbrennt die Hände am WerkzeugMetall und Holm frisch beschlagenhängen daran die steifen Fäustefest verkeilte Sehnenso können wir ewig nicht lassenvom Grubenbeil das wir einschlagenzerwühlt in unserer Kinderhautmit dem sturen Wissenein eisenhaltiges Herzrostet irgendwo vor sich hin
ALS LETZTE WÄRMEQUELLE
am Hang im angewehten Schnee 7
der Winter webt fleißig ein frostiges Tuch 8
vor dem Haus ist wieder ein Platz 9
du siehst das Tauwetter in den unteren Lagen grasen 10
diesen Brand haben wir selbst gesetzt 11
die Maschinen werden dir zu klein 12
Schließer 13
du kennst dieses Gefühl 14
es liegt eine scharfe Kante über der Ansiedlung 15 du spürst seit Wochen wie du Abschied nimmst 16
dem Vater im Krankenhaus 17
deine Haut bleibt mir Parcours 18
ist das letzte Holz vom Hof geholt 19
KAPITALE BLOCKSTAATEN
in diesem Land blieb ihnen kein Schlaf 23 das Abreißen des Schnees 24
der Himmel liegt in Fetzen 25
der gute Herr an der Autobahn 26
am Morgen wenn die Hände noch streiken 27
nach dem dritten Tag Regen 28
zwischen den Baracken fest verzäunt 29
ruhig werd ich nicht 30
hier ist Einer der davongekommen ist 31
dort fällen sie noch immer 32
die Landschaft einer Haut 33
was ist das was vom Tag bleibt 34
ein blaues Beet 35
IN SICHERER VERWAHRUNG
etwas bricht aus den schwarzen Boxen 39
an meinem Fenster zogen heute tausend Autos vorüber 40 ohne Dächer steht ihr da 41
im ersten Lohen häutet sich der See 42
das Muster am Fenster 43 nach dem gescherbten Abend 44 der ausgerissene Finger ist verwachsen 45 in sicherer Verwahrung 46 dass die Wassermühle brannte 47 auch dieser See wird heute gedörrt 48 sprich aus den Raum und wirf einen Blick hinein 49 die Stadt steht nun kahl unter diesem Himmel 50 dass die Tiere nun fehlen lässt uns nicht ruhig im Wald 51
WESTWÄRTS WILDERN
du irrst dich 55 in den ersten Tagen blieb der Schnee aus 56
vom Osttor fahr ich ein in diesen Ort 57 Flusslandschaft 58 am Boden frisst sich der Frost wund 59 ein Leben auf Besuch 60 seit Stunden ein Blick in dieses Land 61 plenty of land 62 no country for old men 63 land of plenty 64
alle reichen weiter 65 border patrol 66
dieses Dach trägt nicht mehr 67
DAS FALLEN DER TEMPERATUREN
wie wir abends am Küchentisch sitzen 71 du in der Schwesterstadt 72 ein weißer Strich bist du 73 krachend geht der Sommer zu Bruch 74 ein paar schwarze Schuppen von dir 75
in der Kammer eine viel zu kurze Decke 76 Sperrgebiet 77 du legst kleine stille Feuer im Heuwald 78 sing mein stures Herz 79 man kann durch die stillen Räume gehen 80 brich eine Rinne in das Eis auf dem Kanal 81 im Schutz der Feuertüren 82 und an dich erinnert nicht mehr viel 83
Erstausgabe© edition AZUR, Dresden 2013www.edition-azur.de
Gestaltung: Kraft plus Wiechmann, BerlinPapiere: Stucco Tintoretto, 120 g/m2 (Bezug), Sirio Color Caffè, 115 g/m2 (Vorsatz), Arcoprint Milk, 100 g/m2 – alle von FedrigoniDruck: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg
ISBN: 978-3-942375-07-8
1982 in der Altmark geboren und aufgewachsen, lebt als freier Autor und Fotograf in Leipzig. Nach einer Lehre als Informa-tiker in Hamburg und einem längeren Aufenthalt in Australien studierte er am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sascha Kokot wurde für seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem zweiten Feldkircher Lyrikpreis 2012.
Die Entstehung dieses Werkes wurde durch Stipendien der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, des Landes SachsenAnhalt und der Albert Koechlin Stiftung ermöglicht. Der Autor dankt diesen Institutionen für ihre Unterstützung.
Sascha Kokot
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