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Research Collection
Report
Flexibilität beim Lösen linearer Gleichungssysteme mit zweiUnbekannten
Author(s): Büchel, Peter; Hauser, Rainer
Publication Date: 2009
Permanent Link: https://doi.org/10.3929/ethz-a-005879853
Rights / License: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted
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ETH Library
Flexibilität beim Lösen linearer Gleichungssysteme mitzwei Unbekannten
Autoren: Peter BüchelRainer Hauser
Kursinformation: Empirische Arbeit zur Lehr- und Lernforschung (EW4),ETH Zürich, Herbstsemester 2008/Frühjahrssemester 2009
Datum: 28. März 2009
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit beschreibt eine Untersuchung, in der Gymnasiastinnen und Gym-
nasiasten aus drei Klassen im achten Schuljahr auf Flexibilität beim Einsatz verschiedener
Lösungsstrategien untersucht wurden. Sie haben die Gleichsetzungs-, Einsetzungs- und Addi-
tionsmethode zum Lösen von Gleichungssystemen mit zwei Unbekannten in einem Lerntext,
der diese drei Methoden als gleichberechtigt nebeneinander gestellt hat, kennen gelernt. An-
schliessend haben sie diesen Typ Aufgaben intensiv geübt, bevor ihnen in einem Test nach-
einander mehrere Gleichungssysteme vorgelegt wurden, bei denen sich die drei Methoden
unterschiedlich gut eigneten. Die Studie hat gezeigt, dass Jugendliche in diesem Alter durch-
aus zu Flexibilität dieser Art fähig sind, dass aber weitere Studien nötig sind, um detailliertere
Antworten auf interessante Fragen zu bekommen.
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1. Einleitung
Flexibilität im Gebrauch verschiedener Strategien ist in einer Welt, in der lebenslanges
Lernen verlangt wird, eine nützliche Fähigkeit. Im Folgenden wird das Verhältnis von Lernen
und Flexibilität eingehender beleuchtet.
1.1. Fachspezifisches und strategisches Wissen
Zu den wichtigsten Zielen guten Unterrichtes gehört sicher die Vermittlung von fachspe-
zifischem Wissen, das teils deklarativer und teils prozeduraler Natur ist. In der Mathematik
besteht der deklarative Anteil im Wesentlichen aus den korrekten begrifflichen Definitionen
und geeigneten Modellvorstellungen, während Methoden, Algorithmen und Heuristiken zum
prozeduralen Wissen gehören, deren Sinn darin besteht, das zielgerichtete Lösen von mathe-
matischen Problemen zu ermöglichen.
Die Vermittlung von fachspezifischem Wissen allein genügt aber nicht, denn zum erfolg-
reichen Lernen gehört auch Wissen über das Lernen selber. Nach Hasselhorn und Gold (2006)
ist ebenfalls ein vorrangiges Ziel guten Unterrichts, dass die Lernenden Experten des eigenen
Lernens werden. Ormrod (1990) betont, dass es beim sinnvollen Lernen – im Gegensatz zu
blindem Auswendiglernen – um das Verständnis geht, mit dem Lernende Problemlösungs-
strategien einsetzen. Der bewusste Umgang mit Lösungsstrategien ist Teil dieses Wissens
über das Lernen selber, das jemanden zum Experten des eigenen Lernens macht.
1.2. Flexibilität als Gegenstand der Untersuchung
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit im Gebrauch von Strategien ist also ein Zeichen für
ein gut entwickeltes Wissen über Problemlösungen. Leute mit dieser Fähigkeit müssen erstens
verschiedene Lösungsmethoden kennen, die sie gelernt oder aber selber entdeckt haben, und
sie müssen diese auch effizient einsetzen können. Wenn flexible Problemlöser jedoch eine
Strategie kennen, die sich den anderen Strategien als überlegen erwiesen hat, so setzen sie von
diesem Moment an nur noch diese ein. Um also den flexiblen Einsatz verschiedener Strate-
gien zu untersuchen, braucht es einen Typ Testaufgaben, bei denen in Abhängigkeit von der
Aufgabe verschiedene Strategien verschieden geeignet sind.
Lineare Gleichungssysteme bestehend aus zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten haben
sich für diesen Zweck als besonders passend herausgestellt, denn es gibt mehrere verschiede-
ne Lösungsmethoden, von denen keine a priori besser als die anderen ist. Sie führen zwar alle
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zur richtigen Lösung, kommen jedoch je nach gegebenem Gleichungssystem unterschiedlich
schnell zum Ziel.
1.3. Rahmen dieser Studie über Flexibilität
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Flexibilität beim Lösen von Gleichungs-
systemen mit zwei Unbekannten und ist eine Art Vorstudie zu einer umfangreicheren Arbeit,
der von Michael Schneider betreuten Doktorarbeit von Daniela Nussbaumer am Institut für
Lehr- und Lernforschung der ETH Zürich. Unter Benutzung von Materialien, die an diesem
Institut entwickelt worden sind, haben die beiden Autoren drei Schulklassen im achten Schul-
jahr an zwei verschiedenen Gymnasien darauf getestet, wie sie lineare Gleichungssysteme mit
zwei Unbekannten lösen, und ob sie verschiedene Lösungsmethoden flexibel einsetzen oder
immer dieselbe Methode benutzen. Die drei Klassen haben erst eine kurze Einführung in das
Thema gehört, anschliessend einen speziell für diese Studie erstellten Lerntext, in dem die
Gleichsetzungs-, die Einsetzungs- und die Additionsmethode nebeneinander vorgestellt wer-
den, selbstständig durchgearbeitet und zum Schluss das Lösen an Beispielen geübt.
Die drei Lösungsmethoden wurden im Lerntext so vorgestellt, dass die Lernenden dazu
angeregt werden, die von Klauer und Leutner (2007) beschriebene Strategie des Vergleichens
anzuwenden, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei Methoden zu entdecken. So
eignen sich die Schülerinnen und Schüler auch strategisches Wissen über das Lernen selber an
und beschäftigen sich indirekt mit der Tatsache, dass es nicht nur einen Weg zum Ziel gibt. In
allen drei Klassen sind die Schülerinnen und Schüler aber bewusst nicht darauf aufmerksam
gemacht worden, dass die Studie ihre Flexibilität untersucht, oder dass Flexibilität überhaupt
eine wünschenswerte Eigenschaft ist.
Flexible Anwendung von verschiedenen Methoden und verwandte Arten strategischen
Wissens ist bei Lernenden im achten Schuljahr noch nicht sehr hoch entwickelt, und etwelche
Fehlvorstellungen behindern nicht selten ein planvolles Vorgehen beim Lösen von mathe-
matischen Problemen. Insbesondere findet man nach Hasselhorn und Gold (2006) bei man-
chen Jugendlichen die Überzeugung, dass es für jedes mathematische Problem nur eine
korrekte Lösungsprozedur geben könne. Die drei vorgestellten Methoden für das Lösen von
linearen Gleichungssystemen mit zwei Unbekannten können mithelfen, diese und ähnliche
fragliche Vorstellungen auszuräumen oder doch wenigstens zu hinterfragen.
Das sind aber Nebeneffekte der vorliegenden Arbeit. Das Hauptziel der Untersuchung war,
wie im Folgenden beschrieben wird, die Flexibilität von Schülerinnen und Schüler im achten
Schuljahr beim Lösen von linearen Gleichungssystemen zu erforschen, wenn ihnen die zu
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Grunde liegende Theorie so präsentiert wird, dass sie die drei Methoden als gleichwertige
Vorgehensweisen nebeneinander kennen lernen.
1.4. Übersicht über die folgenden Kapitel
Im nächsten Kapitel wird der Hintergrund der Studie mit dem Stand der Forschung, der
Bedeutung des untersuchten Gegenstandes, der Grundidee der Arbeit und den untersuchten
Forschungsfragen beschrieben. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Methode und geht
insbesondere auf die Stichprobe, die benutzten Materialien und den Design sowie die Durch-
führung des Versuches ein. Im vierten Kapitel werden die Ergebnisse quantitativ analysiert,
wobei sowohl die vom benutzten Computerprogramm aufgezeichneten Dateien wie auch die
handschriftlichen Notizen der Versuchspersonen behandelt werden. Zum Schluss wird die
Untersuchung im fünften und letzten Kapitel auch qualitativ diskutiert, indem nochmals auf
die Forschungsfragen, die methodischen Grenzen der Studie und offene Fragen eingegangen
wird. Die benutzten Materialien werden in den Anhängen am Schluss der Arbeit zusammen-
gestellt und besprochen.
2. Hintergrund der Studie
Ein direkter Zusammenhang zwischen fehlendem flexiblen Wissen und unbefriedigenden
akademischen Leistungen in der Mathematik macht das Thema Flexibilität beim Problem-
lösen interessant für die Didaktik des Mathematikunterrichts.
2.1. Stand der Forschung
Flexibilität beim Lösen von Problemen als ein Kernaspekt von Kreativität (Silver, 1997) ist
durch verschiedene Studien für verschiedene Fachgebiete und unterschiedliche Altersgruppen
erforscht worden. Deák (2000) beispielsweise hat die Flexibilität von Kindern im Vorschulal-
ter beim Lernen neuer Wörter und beim Generalisieren dieser Wörter auf ähnliche Objekte
untersucht. Silver, Hughes, Bornstein und Beversdorf (2004) massen den Effekt von bestimm-
ten Medikamenten auf die kognitive Flexibilität von Studenten einer amerikanischen Univer-
sität gemessen an der zum Lösen von Anagrammen benötigten Zeit im Vergleich zu einer
Kontrollgruppe, der ein Placebo verabreicht worden war.
Das Spektrum an Forschung auf diesem Gebiet ist also sehr gross. Wir beschränken uns
hier aber auf die Altersgruppe in der unteren Sekundarstufe, auf das Fachgebiet Mathematik
und auf Effekte rein didaktischer Interventionen. In diesem Zusammenhang sind besonders
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zwei Studien zu erwähnen, die erst kürzlich vom gleichen Forschungsteam durchgeführt wor-
den sind, und die das Lösen von Gleichungen zum Thema haben.
In der ersten Studie lernten Schülerinnen und Schüler im siebten Schuljahr das Lösen von
Gleichungen in der Algebra entweder durch den Vergleich von alternativen Lösungsmethoden
zur gleichen Zeit oder durch das Beschäftigen mit den alternativen Lösungsmethoden nach-
einander (Rittle-Johnson & Star, 2007). Die Hypothese war, dass die Gruppe, welche die al-
ternativen Lösungsmethoden gleichzeitig vergleichend lernen konnte, im Folgenden ‚compare
group‘ genannt, flexibleres Wissen aufbaut als die Gruppe, welche sich nacheinander mit den
alternativen Lösungsmethoden beschäftigte, im Folgenden ‚sequential group‘ genannt. Das
Resultat der Studie bestätigte die Hypothese im Wesentlichen. Genauer fand die Studie, dass
die ‚compare group‘ einen grösseren Zuwachs an prozeduralem Wissen sowie an Flexibilität
verzeichnete, während die ‚sequential group‘ beim prozeduralen Wissen weniger, dafür beim
deklarativen Wissen stärker zulegte.
Die zweite Studie untersuchte Schülerinnen und Schüler im sechsten Schuljahr ebenfalls
beim Lösen von linearen Gleichungen, wobei diesmal die eine Gruppe darauf hingewiesen
wurde, eine Gleichung auf verschiedene Weise zu lösen, indem beispielsweise ein Problem,
nachdem es gelöst worden war, mit der Aufforderung, das Problem auf eine andere Weise zu
lösen, nochmals präsentiert wurde, während bei der anderen Gruppe direkt die verschiedenen
Lösungsmethoden unterrichtet wurden (Star & Rittle-Johnson, 2007). Ein Beitrag dieser Ar-
beit war die Entflechtung des Wissens um verschiedene Lösungsstrategien von der Benutzung
der verschiedenen Lösungsstrategien. Hinweise auf die Benutzung verschiedener Strategien
vergrösserte die Benutzung verschiedener Lösungsstrategien, nicht aber die Benutzung effi-
zienterer Lösungsstrategien, während der direkte Unterricht zwar die Benutzung effizienterer
Lösungsstrategien, nicht aber die Benutzung verschiedener Lösungsstrategien förderte.
Beiden Studien liegen lineare Gleichungen mit einer Unbekannten zu Grunde. Die norma-
lerweise im (amerikanischen) Schulunterricht eingeführte Methode zur Lösung solcher Glei-
chungen ist die Elimination von Klammern durch Ausmultiplizieren. So wird beispielsweise
die Gleichung 3(x + 1) = 15 in 3x + 3 = 15 umgeformt, obwohl die Division durch 3 schnel-
ler zum Ziel führen würde. Bei Gleichungen der Form 3(x + 1) + 2(x + 1) = 20 ist es noch
offensichtlicher, dass das Ausklammern von (x + 1) effizienter ist als das Ausmultiplizieren.
2.2. Bedeutung
Die in den beiden Arbeiten von Rittle-Johnson und Star benutzte Effizienzsteigerung hat
den Nachteil, dass sie – einmal erkannt – immer angewendet wird und somit nicht mehr zur
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Messung von Flexibilität benutzt werden kann. Bei den in der umfassenden Studie am Institut
für Lehr- und Lernforschung an der ETH und somit auch in der vorliegenden Arbeit benutzten
linearen Gleichungssysteme mit zwei Unbekannten hingegen ist nicht eine der drei vorgestell-
ten Lösungsmethoden in allen Fällen effizienter als die anderen, sondern je nach Gleichungs-
system ist eine der Methoden effizienter als die anderen. So kann durch geeignete Wahl der
Gleichungssysteme geprüft werden, ob die Versuchsperson immer dieselbe Methode oder je
nach Problemstellung die geeignetste Lösungsmethode einsetzt, um möglichst effizient zum
Resultat zu kommen.
Flexibilität bei der Strategiewahl führt nicht nur schneller zum Ziel, sondern erlaubt auch
eine vielfältigere Vernetzung des Wissens mit dem Vorwissen. Menschen, die nur eine Me-
thode kennen, können eine Aufgabe nicht mehr lösen, wenn sie die einzige ihnen bekannte
und somit die einzige ihnen zur Verfügung stehende Methode oder Teile davon nicht aus dem
Gedächtnis abrufen können, während Menschen mit Zugang zu mehreren Methoden, die sie
flexibel anwenden können, immer auch alternative Wege zum Ziel finden können.
Flexibilität hat aber noch einen weiteren Vorteil. Wer mehrere Methoden kennt, um ein
Problem zu lösen, kann eine zweite Methode benutzen, um die mit der ersten Methode gefun-
dene Lösung zu überprüfen. Die oben erwähnte lineare Gleichung 3(x + 1) = 15 etwa kann
erst mit der effizienteren Methode (also Division beider Seiten durch 3) und anschliessend mit
der Standardmethode (also Ausmultiplizieren der linken Seite) überprüft werden, was das
Vertrauen in die Lösung erhöht, falls auf beiden Wegen dasselbe Resultat gefunden wird.
Die hier vorgestellte Fragestellung hat aber nicht nur eine offensichtlich praktische Rele-
vanz, weil ein wichtiges Ziel guten schulischen Unterrichts die Vermittlung von flexiblen und
adaptiv einsetzbaren Strategien beim Lösen von Problemen ist, sondern ist auch von theoreti-
scher Bedeutung, weil der flexible Einsatz von Strategien als Forschungsgegenstand mithelfen
kann, mathematisches Denken und damit auch Wege mathematischen Problemlösens besser
zu verstehen.
2.3. Grundidee
Mittels der elementaren Algebra machen die Schülerinnen und Schüler ihren ersten Kon-
takt mit einem abstrakten Formalismus in der Mathematik und haben oftmals riesige Schwie-
rigkeiten damit, die sich bis ins Erwachsenenalter halten (Fischer & Malle, 1985). Dieser erste
Zugang zur Welt der formalen Systeme, der meist im siebten Schuljahr passiert, bedeutet den
keineswegs einfachen Übergang vom rein arithmetischen Rechnen mit Zahlen zum abstrakten
Manipulieren algebraischer Terme und Gleichungen. Die Umformungsregeln sind zwar für
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mathematisch begabte Schülerinnen und Schüler durchaus nachvollziehbar, sind aber für die
leistungsschwächeren oft ein fast unüberwindbares Hindernis auf dem Weg zum Verständnis
der höheren Mathematik. Der Schritt vom Rechnen mit Zahlen zum Rechnen mit Buchstaben
erfordert von den Lernenden neue Fähigkeiten, die sie bisher nicht benötigt haben.
Wenn weniger begabte Lernende diesen Übergang gemeistert haben, halten sie sich vor-
sichtigerweise lieber an diejenigen Lösungsschritte, die sie gelernt haben, und die sich somit
bewährt haben. Von ihnen Flexibilität beim Vorgehen zu erwarten, ist aus diesem Grund wohl
etwas viel verlangt, denn sie sind froh, schon auf einem Weg zum Resultat zu gelangen.
Das Phänomen, dass Lernende einseitig auf einer syntaktischen Ebene agieren und die
semantische Ebene vernachlässigen, ist von der Bruchrechnung her bekannt (Padberg, 2002).
Das ist aber auch in der Algebra ein Problem. Weiter werden strukturelle Analysen oftmals
fehlerhaft durchgeführt, was beispielsweise bei Bruchtermen zum fälschlichen Kürzen in
Summen verleitet. Solche didaktischen Tatsachen müssen bei der Untersuchung von Flexibi-
lität im Umgang mit algebraischen Gegebenheiten stets im Auge behalten werden.
In der hier vorgestellten Untersuchung wurden Schülerinnen und Schüler im achten Schul-
jahr, die das Lösen von einer Gleichung mit einer Unbekannten bereits intensiv geübt hatten,
mit der Aufgabe konfrontiert, Gleichungssysteme mit zwei Unbekannten zu lösen, nachdem
sie instruiert worden waren, dass es dafür mindestens drei verschiedene Methoden gibt. Das
Thema eignet sich aus verschiedenen Gründen für die Untersuchung der Flexibilität bei der
Problemlösung in der Mathematik.
Wie oben erwähnt hat keine der drei Lösungsstrategien die Eigenschaft, dass sie für alle
Gleichungssysteme geeigneter ist als die andern, denn für jede der Methoden gibt es Beispiele
von Gleichungssystemen, für die sie sich besonders eignet. Somit heisst Flexibilität nicht, ein
für alle Mal auf die effizientere Methode umzusteigen, sondern je nach Gleichungssystem die
passende Strategie zu wählen. Weiter ist die Eigenschaft, welche Methode die effizienteste ist,
eine rein syntaktische Eigenschaft, die somit keine semantischen und damit schwierigeren Be-
trachtungen verlangt, sondern durch einfache strukturelle Überlegungen entschieden werden
kann, mit denen auch leistungsschwache Schülerinnen und Schüler keine Mühe haben. Zudem
haben die Lernenden mit den wenig anspruchsvollen Umformungsschritten beim Lösen der
Gleichungssysteme kaum Probleme, haben sie doch die weit schwierigeren Bruchtermum-
formungen bereits behandelt. Daher kann man vermuten, dass nicht nur begabtere Lernende
flexibles Vorgehen zeigen, sondern dass auch weniger leistungsstarke Lernende wenigstens
manchmal verschiedene Lösungsmethoden benutzen. Dies ist aber nur eine Hypothese, die
erst durch die Untersuchung gestützt oder eben falsifiziert werden soll.
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2.4. Forschungsfragen
Die drei folgenden Fragen werden untersucht:
1. Benutzen Schülerinnen und Schüler im achten Schuljahr überhaupt flexibel mehrere
Strategien, und wenn ja, in welchem Mass?
Als Lehrperson hört man manchmal von Lernenden auf dieser Altersstufe, dass sie
lieber keinen zweiten Lösungsweg sehen möchten, weil sie das nur verwirre, oder dass
sie nicht verstehen, weshalb man eine zweite Lösungsmethode betrachtet, wenn man
schon eine gefunden hat. Schülerinnen und Schüler sind durch die Anforderungen der
Algebra in diesem Alter generell verunsichert, sodass es nicht offensichtlich ist, ob sie
überhaupt Flexibilität zeigen können. Weil sie möglicherweise lieber nur eine einzelne
Methode kennen zu lernen, diese dafür möglichst intensiv zu üben wünschen, ist es
zudem nicht a priori klar, ob sie überhaupt Flexibilität zeigen wollen, selbst wenn sie
es könnten.
2. Fallen den Schülerinnen und Schülern alle drei Methoden gleich schwer oder bevorzu-
gen sie gewisse Methoden?
Für geübte Mathematikerinnen und Mathematiker sind die drei Methoden gleich leicht
und gleich offensichtlich, dass sie bei deren Benutzung nur darauf schauen, welche
von ihnen bei einem gegebenen Gleichungssystem in ihren Augen am geeignetsten ist.
Das muss aber bei Schülerinnen und Schüler im achten Schuljahr nicht ebenso sein,
sodass sie diese eine Methode, die ihnen schwieriger vorkommt, tendenziell seltener
einsetzen als die anderen Methoden, auch wenn sie in den Augen der Versuchsleitung
weniger optimal ist.
3. Betrachten die Schülerinnen und Schüler bei Gleichungssystemen dieselbe Methode
als die geeignetste, wie dies geübte Mathematikerinnen und Mathematiker tun?
Diese Frage ist eng verwandt mit der vorhergehenden. Bei der Planung der Studie ist
davon ausgegangen worden, dass es erstens objektive Kriterien gibt, welche Methode
zu welchem Gleichungssystem optimal passt, und dass diese Kriterien zweitens für
Leute mit langjähriger Übung dieselben sind wie für Leute, die erst kürzlich mit der
Algebra in Kontakt gekommen sind. Dass dies so sein muss, ist nicht offensichtlich.
3. Methode
Bei der Untersuchung wurden drei Schulklassen im achten Schuljahr an zwei verschiede-
nen Langzeitgymnasien in der Schweiz getestet.
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3.1. Stichprobe
Die drei Schulklassen, die an der Studie teilgenommen haben, und die im Folgenden mit
den Nummern 100, 200 und 900 bezeichnet werden, was den ersten Ziffern für die Identifika-
tionsnummern der Schülerinnen und Schüler der jeweiligen Klasse entspricht, werden im
Folgenden etwas genauer beschrieben. Das Programm Flextest wurde in allen drei Klassen in
den letzten beiden Wochen vor den Weihnachtsferien 2008 eingesetzt.
Die Klasse 900, eine Klasse an einem privaten Gymnasium im Kanton Zürich bestehend
aus 12 Mädchen und 9 Knaben, hat als erste an der Untersuchung teilgenommen. Zwei
Mädchen waren am Tag, an dem die Klasse mit dem Programm Flextest gearbeitet hat, jedoch
krank, und eine weitere Schülerin brach den Test ab, weil sie vorher die ganze Woche, in der
die übrigen Schülerinnen und Schüler das Lösen von Gleichungssystemen geübt hatten, krank
gewesen war. Somit haben 9 Mädchen und 9 Knaben aus dieser Klasse Daten beigesteuert.
Die Klasse 100, die als zweite an der Untersuchung teilgenommen hat, wird an einem öf-
fentlichen Gymnasium im Kanton Luzern unterrichtet und besteht aus 12 Schülerinnen und 10
Schülern, wobei nur die Daten von 10 Mädchen und 10 Knaben ausgewertet werden konnten.
Die Klasse 200 an demselben öffentlichen Gymnasium im Kanton Luzern wie die Klasse
100 ist die letzte Klasse, die an der Studie teilgenommen hat. Sie besteht aus 11 Schülerinnen
und 8 Schülern.
3.2. Materialien
Bei der Untersuchung wurden folgende Materialien benutzt, die in den Anhängen genauer
eingesehen werden können:
1. Instruktionen für den Versuchsleiter zur Vorbereitung des Versuchs:
Die Versuchsleiter werden aufgefordert, vorgängig das Programm Flextest zu instal-
lieren, die Testbüchlein und das Zusatzblatt ‚Löse folgendes Gleichungssystem auf
drei verschiedene Arten‘ zu kopieren und die VP Nummern einzutragen.
2. Das Programm Flextest:
Auf einem Eingangsmenu geben die Schülerinnen und Schüler ihre Daten ein, bevor
das Programm ihnen die zu lösenden Gleichungssysteme in zufälliger Reihenfolge
präsentiert.
3. Text ‚Lineare Gleichungssysteme‘:
Mit diesem Lerntext haben die Schülerinnen und Schüler nach einer einführenden
Lektion die drei Lösungsverfahren Gleichsetzungs-, Einsetzungs- und Additions-
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methode für lineare Gleichungssysteme mit zwei Unbekannten gelernt. Dabei haben
sie die drei Verfahren als gleichberechtigt nebeneinander stehend kennen gelernt.
4. Instruktionen für den Versuchsleiter zur Durchführung des Versuchs:
Damit sich die Ergebnisse verschiedener Testsitzungen möglichst gut miteinander ver-
gleichen lassen, wird der Ablauf durch Instruktionen genau festgelegt: Begrüssung,
Vorlesen der Instruktion, Verteilen der Testbüchlein, Eintragen der persönlichen An-
gaben, Beantworten allfälliger Fragen, Eingeben der persönlichen Angaben am Com-
puter, Test, Beenden des Tests mit Verteilen des Zusatzblattes, Verabschiedung.
5. Instruktionen für die Versuchspersonen:
Die Instruktionen, die der Versuchsleiter vorliest, erklärt den Schülerinnen und Schü-
lern, wie das Programm Flextest funktioniert, wie sie die Aufgaben bearbeiten sollen,
wann sie die Ergebnisse eingeben sollen, und dass sie nicht länger als zehn Minuten
für eine Aufgabe aufwenden sollen.
6. Testbüchlein:
Im Testbüchlein schreiben die Versuchspersonen die Zwischenschritte beim Lösen der
Aufgaben auf, damit bestimmt werden kann, nach welchem Verfahren sie bei jeder
Aufgabe vorgegangen sind.
7. Zusatzblatt:
Mit dem Zusatzblatt ‚Löse folgendes Gleichungssystem auf drei verschiedene Arten‘
wird sichergestellt, dass die Versuchsperson überhaupt drei verschiedene Verfahren
zum Lösen von linearen Gleichungssystemen mit zwei Unbekannten kennt.
Sämtliche Materialien mit Ausnahme des Textes ‚Lineare Gleichungssysteme‘, der von den
Autoren der vorliegenden Studie geschrieben wurde, sind vom Institut für Lehr- und Lern-
forschung an der ETH Zürich zur Verfügung gestellt worden.
3.3. Versuchsdesign
Es wurde in dieser Versuchsanordnung versucht, sämtliche Versuchspersonen demselben
Unterricht auszusetzen, damit alle möglichst gleiche Ausgangsvoraussetzungen haben. Es gibt
also weder mehrere Gruppen mit unterschiedlicher Instruktion noch eine Kontrollgruppe.
3.4. Versuchsdurchführung
Die Schülerinnen und Schüler der drei Klassen kannten das Lösen einer linearen Gleichung
mit einer Unbekannten. In einer Lektion wurden sie auf das Problem sensibilisiert, mehrere
Gleichungen mit mehreren Unbekannten zu lösen, indem man eine Unbekannte eliminiert und
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dadurch die Anzahl Gleichungen reduziert. Anschliessend bekamen sie den in den Anhängen
ersichtlichen Text ‚Lineare Gleichungssysteme‘ mit dem Auftrag, ihn selbstständig durchzu-
arbeiten, sowie ein Blatt mit Aufgaben und Lösungen. Für das Bearbeiten des Lerntextes und
der Aufgaben standen ihnen vier Lektionen sowie die Zeit für die Hausaufgaben einer Woche
zur Verfügung.
Anschliessend arbeiteten sie nach Instruktion (siehe Anhänge) eine Doppellektion lang mit
dem Programm Flextest und den verteilten Testbüchlein. Sie wussten nicht, dass es bei dieser
Studie um die Flexibilität ging, und schlossen dies vermutlich auch nicht aus dem Namen des
Programmes. Sie waren hingegen darüber informiert, dass mit diesem Test keine notenwirksa-
me Leistungsbewertung verbunden war. Das Programm Flextest ist so entwickelt worden,
dass es die Aufgaben zufällig geordnet präsentiert. Damit sollte es für eine Testperson so
aussehen, als bekomme sie andere Aufgaben vorgelegt als die Versuchspersonen links und
rechts nebenan, falls die Schülerinnen und Schüler so nahe beisammen sitzen, dass sie sich
gegenseitig auf den Bildschirm oder in die Testbüchlein sehen können. (Die Randomisierung
hat beim ersten Versuch jedoch noch nicht richtig funktioniert, was das Resultat, wie unten
diskutiert wird, möglicherweise beeinflusst hat.)
Die Studie basiert auf der Annahme, dass es für lineare Gleichungssysteme objektive, rein
syntaktische Merkmale dafür gibt, welche der drei Methoden Gleichsetzungs-, Einsetzungs-
und Additionsmethode sich zur Lösung am besten eignet. Wenn die beiden Gleichungen beide
schon nach der gleichen Variablen (wie im Beispiel y = 2x + 3 und y = –x + 1) aufgelöst
sind, so führt die Gleichsetzungsmethode am schnellsten zum Ziel. Ist aber nur eine nach
einer der Variablen aufgelöst (wie in y = 2x + 3 und 2y – 5x = 1 oder wie im Aufgabenbei-
spiel 111 des Programms Flextest im Anhang), so eignet sich die Einsetzungsmethode am
besten. In allen übrigen Fällen ist die Additionsmethode die passendste Wahl. Auf diese
Weise kann zu jedem gegebenen Gleichungssystem ein Problemtyp bestimmt und mit dem
gewählten Verfahren verglichen werden. (Die syntaktischen Merkmale und die Problemtypen
wurden jedoch mit den Versuchspersonen nicht besprochen.)
4. Ergebnisse
Wir diskutieren die Studie qualitativ. Die Auswertung und die Tabellen in diesem Kapitel
stammen von Matthias Lüthi vom Institut für Lehr- und Lernforschung der ETH Zürich. In
Rot steht jeweils der Idealfall, bei dem der Problemtyp und das gewählte Verfahren überein-
stimmen.
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4.1. Daten der Logfiles
4.1.1. Wahl der Lösungsstrategie
Tabelle 1: Prozentuale Verteilung der Lösungsstrategien in Abhängigkeit vom Problemtypgemittelt über Personen (Standardabweichung in der Klammer)
Problemtyp Gewähltes Verfahren Gesamt
Addition Einsetzen Gleichsetzen Rest
Addition 65 (43) 12 (25) 14 (33) 9 (20) 100 (0)
Einsetzen 15 (31) 60 (39) 16 (33) 9 (18) 100 (0)
Gleichsetzen 18 (37) 5 (17) 74 (42) 4 (16) 100 (0)
Gesamt 100 (0)
Die obige Tabelle zeigt, dass über 60% der Schülerinnen und Schüler die richtige Strategie
gewählt haben, wobei die Gleichsetzungsmethode mit 74% deutlich besser abschneidet als die
beiden anderen Methoden. Die nicht optimal gewählten Methoden liegen etwa gleichverteilt
um 15%. Weiter scheinen jeweils weniger als 10% der Schülerinnen und Schüler nicht ge-
wusst zu haben, wie sie die Aufgabe lösen sollen.
4.1.2. Korrekt gelöste Aufgaben
Tabelle 2: Prozentsatz korrekt gelöster Aufgaben gemittelt über Personen (Standardab-weichung in der Klammer)
Problemtyp Gewähltes Verfahren Gesamt
Addition Einsetzen Gleichsetzen Rest
Addition 52 (25) 28 (36) 42 (26) 16 (36) 44 (26)
Einsetzen 50 (36) 54 (34) 49 (40) 5 (13) 48 (28)
Gleichsetzen 47 (33) 22 (40) 77 (25) 17 (41) 68 (30)
Gesamt 51 (26) 48 (33) 71 (28) 11 (25)
Auch hier schneidet die Gleichsetzungsmethode mit 77% klar am besten ab. Die beiden
anderen Methoden liegen etwas über 50%. Bei der ungünstigen Methodenwahl zeigen sich
jedoch grosse Unterschiede. Bei der Additionsmethode liegt die Lösungsrate bei 50%, bei der
Gleichsetzungsmethode etwas tiefer, aber bei der Einsetzungsmethode nur bei etwa 25%.
13
4.1.3. Effizienz der Lösungen
Tabelle 3: Lösungszeiten in Sekunden gemittelt über Personen (Standardabweichung in derKlammer)
Problemtyp Gewähltes Verfahren Gesamt
Addition Einsetzen Gleichsetzen Rest
Addition 212 (83) 303 (153) 254 (131) 184 (117) 224 (86)
Einsetzen 216 (95) 226 (107) 200 (79) 191 (154) 215 (85)
Gleichsetzen 211 (90) 219 (129) 114 (41) 93 (76) 129 (57)
Gesamt 216 (83) 245 (105) 141 (61) 174 (109)
Bei der Additionsmethode benötigten die Schülerinnen und Schüler unabhängig vom je-
weiligen Problemtyp um die 215 Sekunden. Bei der Gleichsetzungsmethode ist die Zeit aber
abgestuft nach Rechenaufwand, sodass die Zeit für den Problemtyp Addition am grössten, für
den Problemtyp Einsetzen kleiner und für den Problemtyp Gleichsetzen – also bei der optimal
gewählten Methode – am kleinsten war. Die Einsetzungsmethode ist jedoch für alle Problem-
typen – auch bei der geeignetsten Methode – am langsamsten. Sie ist beim Problemtyp Addi-
tion sogar noch langsamer als die Gleichsetzungsmethode, obwohl dort mehr Rechenschritte
benötigt werden.
4.2. Auswertung der Testbüchlein
4.2.1. Rechenschritte bis zur Lösung
Tabelle 4: Anzahl benötigter Zeilen bis zur Lösung gemittelt über Personen (Standard-abweichung in der Klammer)
Daten nur von der Klasse 200!
Problemtyp Gewähltes Verfahren Gesamt
Addition Einsetzen Gleichsetzen Rest
Addition 5.8 (1.6) 6.1 (1.5) 7.9 (2.4) 1.3 (1.7) 5.0 (2.3)
Einsetzen 4.4 (2.0) 4.8 (1.0) 6.8 (2.4) 1.4 (1.9) 4.3 (1.6)
Gleichsetzen 4.6 (1.4) 6.0 (2.7) 3.9 (0.6) 1.3 (1.5) 3.9 (0.7)
Gesamt 5.6 (1.4) 5.4 (1.0) 4.9 (1.9) 1.3 (1.4)
14
Interessanterweise benötigten die Schülerinnen und Schüler bei der Additionsmethode für
den Problemtyp Addition im Durchschnitt mehr Zeilen (d.h. Rechenschritte) als bei den
andern beiden Problemtypen. Bei der Einsetzungsmethode brauchten sie erwartungsgemäss
für den passenden Typ von Gleichungssystemen weniger Schritte als für die anderen Typen.
Dies gilt auch für die Gleichsetzungsmethode, wobei sich hier eine klare Abstufung nach
Rechenaufwand zeigt, die auch mit den Lösungszeiten korreliert.
4.2.2. Anzahl benutzte Methoden
Die Testbüchlein der Klassen 100 und 200, die vom gleichen Mathematiklehrer unterrich-
tet werden, sind daraufhin untersucht worden, wie viele Methoden eine Schülerin oder ein
Schüler eingesetzt hat. Von den Testpersonen dieser beiden Klassen haben 37.5% nur eine
Methode, 32.5% zwei und 30% drei Methoden verwendet. Bei denen, die nur eine Methode
benutzt haben, haben 60% die Gleichsetzungs- und 40% die Additionsmethode gewählt. Bei
denen, die zwei Methoden benutzt haben, ist zu 92% die Gleichsetzungsmethode, zu 61% die
Einsetzungsmethode und zu 46% die Additionsmethode eingesetzt worden. Bei denen, die
alle drei Methoden benutzt haben, sind die drei Methoden etwa gleichverteilt zum Einsatz ge-
kommen.
5. Diskussion
Wir diskutieren qualitativ und nicht quantitativ, was man aus der Studie herauslesen kann,
wo die methodischen Grenzen liegen, und welche weiteren Aspekte bei der Interpretation der
Resultate zu beachten sind.
5.1. Forschungsfragen
5.1.1. Frage nach der Flexibilität im achten Schuljahr
Schülerinnen und Schüler im achten Schuljahr sind etwa 14 Jahre alt und somit längst noch
nicht ausgewachsen. So stellt sich die Frage, ob Jugendliche auf dieser Entwicklungsstufe
überhaupt in der Lage sind, für die Lösung einer Kategorie von Aufgaben – hier lineare
Gleichungssysteme mit zwei Unbekannten – mehrere Lösungsstrategien anzuwenden. Nach
Hasselhorn und Gold (2006) entwickelt sich beispielsweise die Fähigkeit, irrelevante Informa-
tion auszublenden, erst ab dem zwölften Lebensjahr, und nach Ormrod (1990) geschieht im
menschlichen Hirn in der Pubertät und im frühen Erwachsenenalter sehr viel wie das Reduzie-
15
ren von nicht gebrauchten Synapsen (engl. synaptic pruning), was einen Einfluss darauf
haben könnte, ob die Jugendlichen in diesem Alter überhaupt zu Flexibilität der hier betrach-
teten Art fähig sind.
Die Resultate der Studie zeigen, dass dies möglich ist, denn eine Mehrheit der getesteten
Schülerinnen und Schüler haben zwei oder drei Methoden benutzt. (In den Klassen 100 und
200 sind es grob gerechnet je ein Drittel der Versuchspersonen, die eine, zwei oder drei Me-
thoden eingesetzt haben, wie die Untersuchung der Testbüchlein gezeigt hat.) Auch wenn bei
einzelnen Jugendlichen dieser Altersstufe gewisse Abneigungen gegen multiple Lösungsstra-
tegien festgestellt werden können, scheint die Mehrheit von ihnen – wenigstens auf gymnasia-
lem Niveau – keine fundamentalen Widerstände dagegen zu haben.
5.1.2. Frage nach der bevorzugten Lösungsmethode
Die Gleichsetzungsmethode ist offensichtlich das beliebteste Lösungsverfahren und die
Einsetzungsmethode das unbeliebteste. Die Resultate der Studie zeigen zudem, dass es sich
bei der Additions- und Gleichsetzungsmethode auszahlt, die dem Problemtyp entsprechende
und damit als optimal betrachtete Methode zu wählen, dass dies aber für die Einsetzungs-
methode nicht im gleichen Masse zutrifft.
Das kann daran liegen, dass das, was in den Augen geübter Mathematiker die passende
Methode ist, dies nicht unbedingt auch in den Augen der Schülerinnen und Schüler im achten
Schuljahr zu sein braucht, weil sie mit gewissen Lösungsschritten grössere Schwierigkeiten
haben als mit anderen. (Aus diesem Grund sind die Zahlen in der Tabelle 4 im Abschnitt 4.2.1
mit Vorsicht zu geniessen, denn eigentlich müsste man die Zeit pro Zeile einzeln messen, um
so feststellen zu können, mit welchen Rechenschritten die Jugendlichen dieser Altersstufe
mehr oder weniger Mühe haben.)
Die Einsetzungsmethode verlangt einen Ausmultiplikationsschritt, also eine Anwendung
des Distributivgesetzes, sowie das Zusammenfassen der Terme, in denen die gleiche Variable
vorkommt. Das Einsetzen führt in der Aufgabe 111 mit den beiden Gleichungen 9x – 2y = 4
und y = (–11x) + 29, die im Anhang als Aufgabenbeispiel des Programms Flextest gezeigt ist,
zur Gleichung 9x – 2((–11x) + 29) = 4, die nicht ganz einfach ist, weil die Schülerinnen und
Schüler in diesem Alter nach wie vor Mühe mit negativen Zahlen haben. Ausmultiplizieren
führt zu 9x + 22x – 58 = 4, und Zusammenfassen der Terme zu 31x – 58 = 4. Verglichen mit
der Additionsmethode, bei der die zweite Gleichung erst zu 2y = (–22x) + 58 verdoppelt wird
und die beiden Gleichungen anschliessend zu 9x = (–22x) + 58 + 4 addiert werden, ist zu-
mindest fraglich, welche der beiden Methoden für Jugendliche dieses Alters einfacher ist. Die
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Einsetzungsmethode führt hier mit dem Minuszeichen, das auf einen komplexen Term wirkt,
aber eindeutig zu einer unübersichtlicheren Gleichung als die Additionsmethode.
5.1.3. Frage nach der optimalen Lösungsmethode
Gerade bei diesem Beispiel kann man sich deshalb berechtigterweise fragen, ob die Addi-
tionsmethode – zumindest für weniger geübte Rechner – nicht generell besser zu diesem Glei-
chungssystem passen würde, und ob somit das einfache, rein syntaktische Unterscheidungs-
merkmal, mit dem der Problemtyp bestimmt wird, zu kurz greift. Die Lösungszeiten in der
Tabelle 3 im Abschnitt 4.1.3 lassen solche Vermutungen zu, denn die Verfahren Gleichsetzen
und Addition schneiden beim Problemtyp Einsetzen besser ab als das als optimal betrachtete
Verfahren Einsetzen.
Bevor man davon sprechen kann, welche Methode für einen Problemtyp optimal ist, muss
man erst klären, was optimiert werden soll. Beobachtungen in der Klasse 900 haben gezeigt,
dass mindestens ein Teil der Schülerinnen und Schüler die Qualität ihrer Lösungen als wichti-
ger betrachtet hat als die Effizienz. Entsprechend haben sie vermutlich diejenige Strategie
gewählt, die in Bezug auf Korrektheit des Resultats optimal erschien, und nicht diejenige, die
in Bezug auf Effizienz optimal gewesen wäre. Andere – vor allem leistungsstarke – Schüle-
rinnen und Schüler haben sich möglicherweise auch noch von weiteren beispielsweise ästheti-
schen Optimierungskriterien leiten lassen, denn gewisse Lösungswege werden als mathema-
tisch elegant, andere jedoch als Murks empfunden. Es ist somit durchaus denkbar, dass sich
einzelne Schülerinnen und Schüler bei der Aufgabe 111 vom Programm Flextest deshalb für
die Additions- und nicht die Einsetzungsmethode entschieden haben, weil ihnen die dabei ent-
stehende Gleichung 9x = (–22x) + 58 + 4 besser gefallen hat als 9x – 2((–11x) + 29) = 4.
5.2. Zusammenfassende Betrachtungen zu den Resultaten
Die Ergebnisse im letzten Kapitel haben so nicht erwartete Aspekte gezeigt, die sich fol-
gendermassen zusammenfassen lassen:
1. Die Gleichsetzungsmethode hat eindeutig am besten abgeschnitten. Sie scheint den
Schülerinnen und Schülern in diesem Alter besser zu liegen als die anderen Metho-
den. Auch bei grösserem Rechenaufwand finden sich immer noch viele korrekte
Antworten. Wir nehmen an, dass die Schülerinnen und Schüler in diesem Alter sie
intuitiv am verständlichsten empfinden.
2. Die Einsetzungsmethode auf der anderen Seite schneidet schlecht ab. Nur beim
passenden Problemtyp liefert sie vergleichbar gute Resultate. Obwohl sie eine für
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mathematisch geschulte Personen simple Verallgemeinerung der Gleichsetzungs-
methode ist, scheint sie den Schülerinnen und Schülern nicht zu liegen. Eine mögli-
che Erklärung ist, dass der Lerntext zum Selbststudium die Gleichsetzungsmethode
als erste behandelte und so indirekt zum Standard machte. Eine andere Möglichkeit
ist, dass die Einsetzungsmethode (wie oben besprochen) zu einer Anwendung des
Distributivgesetzes führt und deshalb als schwieriger empfunden wird.
3. Die Additionsmethode wurde von den Schülerinnen und Schülern als Alternative
zur Gleichsetzungsmethode erkannt, was sich an der konstanten Prozentzahl der
korrekt gelösten Aufgaben und den Lösungszeiten unabhängig von der Wahl der
Methode zeigt. Die Additionsmethode ist sehr schematisch, was zu einer starken
Automatisierung führen kann. Wie unten erwähnt ist zudem während der Einfüh-
rung ins Lösen von linearen Gleichungssystemen bei der Klasse 900 die Additions-
methode als erste gefunden worden, was möglicherweise zu einer Bevorzugung
dieser Methode in dieser Klasse geführt hat.
4. Die Resultate lassen die Vermutung zu, dass das Vorgehen bei der Gleichsetzungs-
und Additionsmethode für die Schülerinnen und Schüler klarer ist als bei der Ein-
setzungsmethode. Das passt auch zur Beobachtung bei der Sichtung der Testbüch-
lein, dass sich gut ein Drittel der Schülerinnen und Schüler in den Klassen 100 und
200 auf nur eine Methode und etwa ein weiterer Drittel auf nur zwei Methoden
festgelegt hatte.
5.3. Technische Probleme bei der Durchführung der Studie
Versuchsanordnungen dieser Art können nicht so objektiv durchgeführt werden, wie man
es theoretisch gerne hätte, denn zwei verschiedene Versuchsleiter mit ihren Eigenheiten und
drei verschiedene Klassen ebenfalls mit ihren Eigenheiten führen zwangsläufig auch bei noch
so grosser Sorgfalt zu unterschiedlichen Voraussetzungen. Aspekte dieser Art werden in den
folgenden Abschnitten diskutiert.
Die Klasse mit der Nummer 900 ist am 12. Dezember 2008 als erste der drei Klassen ge-
testet worden. Bei der vorangehenden Einführung ins Thema „Lineare Gleichungssysteme“ ist
dabei unerwarteterweise die Additionsmethode, obwohl sie für das besprochene Gleichungs-
system nicht sonderlich geeignet war, von einem Schüler als erste vorgeschlagen worden, so-
dass die Schülerinnen und Schüler dieser Klasse die Additionsmethode als erste Strategie zur
Lösung von linearen Gleichungssystemen kennen lernten und deshalb später möglicherweise
bevorzugt einsetzt haben.
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Das Programm Flextest hat bei dieser Klasse – anders, als in den Instruktionen behauptet –
allen Versuchspersonen die Gleichungssysteme in derselben Reihenfolge präsentiert, sodass
nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Schülerinnen und Schüler, die im Computer-
raum recht nahe beieinander sassen, gegenseitig abgeschrieben haben, denn sie hatten grosse
Angst, Fehler zu machen, obwohl sie wussten, dass der Test anonym und ohne Wirkung auf
ihre Note ablief. Das zeigte sich auch darin, dass sie lieber mehr Zeit brauchten, um die richti-
ge Lösung zu finden, als das Ergebnis schnell einzugeben. Sie hatten auch manchmal bereits
das richtige Resultat eingegeben, beschäftigten sich aber weiter mit der Aufgabe und vergas-
sen, die Ok-Taste zu drücken, oder drückten die Weiter-Taste für die nächste Aufgabe bereits,
obwohl sie noch mit der vorhergehenden Aufgabe beschäftigt waren. Für sie war eindeutig
die Korrektheit ihrer Lösung wichtiger als die Zeit. Sie schienen die Zeitmessung völlig zu
ignorieren. Zudem wussten nicht alle Schülerinnen und Schüler, wo auf der Tastatur Minus-
zeichen und Schrägstrich für Brüche zu finden waren, was die Zeitmessung zusätzlich ver-
fälschte. So dauerte es eine ganze Weile, bis die Klasse einen ruhigen, konzentrierten und
effizienten Arbeitsrhythmus fand, wie er für diese Studie von Anfang an erwünscht gewesen
wäre. Das lag sicher teilweise daran, dass der Mathematiklehrer mit dieser Klasse vorher noch
nie am Computer gearbeitet hatte.
Das Problem, dass in Flextest die Randomisierung nicht funktionierte, wurde sofort beho-
ben, sodass die Klasse 100 am 22. Dezember 2008 bereits mit der korrigierten Version arbei-
ten konnte. Die Durchführung in dieser Klasse verlief weitgehend reibungslos. Ein Schüler
kam jedoch zufällig auf die ESC-Taste, worauf Flextest abgebrochen wurde und er nochmals
von vorne beginnen musste, und bei zwei Schülerinnen waren die Logfiles nach der Durch-
führung nicht mehr vorhanden, vermutlich weil sie sie selber gelöscht hatten. Zudem stand im
Testbüchlein des Schülers, der mit der ESC-Taste das Programm abgebrochen hatte, kaum
etwas Brauchbares, sodass es nicht verwendet werden konnte.
Bei der Klasse 200 verlief die Durchführung am 24. Dezember 2008 nicht so problemlos,
was vom Versuchsleiter, der die Klasse als Mathematiklehrer kennt, nicht anders erwartet
worden war, weil die Schülerinnen und Schüler wenig motiviert waren, da sie wussten, dass
ihre Leistung keinen Einfluss auf ihre Note hat. Sie gaben – vor allem gegen Schluss des
Tests – viele Fragezeichen ein, lösten die Aufgaben schlecht oder gaben irgendwelche Werte
ein ohne zu protokollieren, wie sie zu diesen Ergebnissen gekommen waren. Entsprechend
gross waren die Diskrepanzen zwischen den Testbüchlein und den Logfiles. Verglichen mit
der Klasse 100 arbeitete die Klasse 200 weniger seriös und konzentriert. Weil es für sie um
nichts ging, waren sie halbherzig bei der Sache und gaben sich nur wenig Mühe.
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5.4. Methodische Grenzen der Studie
Bedingt durch den limitierten Zeitaufwand und die kleine Erfahrung mit der Durchführung
solcher Studien geben unsere Ergebnisse nur sehr beschränkt Einblick in die Flexibilität der
Schülerinnen und Schüler beim Lösen von linearen Gleichungssystemen, und bedingt durch
die Tatsache, dass alle Versuchspersonen annähernd den gleichen Lernbedingungen ausge-
setzt waren, und dass es somit weder Vergleichs- noch Kontrollgruppen gab, lassen sich bei
dieser Studie keine Vergleiche anstellen, um Effekte unterschiedlicher Instruktion zu messen.
5.5. Offene Fragen
Die Studie an den drei Gymnasiumklassen im achten Schuljahr hat gezeigt, dass Schü-
lerinnen und Schüler auf dieser Altersstufe grundsätzlich zur Flexibilität bei der Wahl geeig-
neter Lösungsstrategien fähig sind. Offen geblieben ist aber die Frage, aus welchen Gründen
sie flexibel aus verschiedenen Strategien wählen. Einzelne Versuchspersonen haben die Rich-
tigkeit ihrer Lösungen optimiert und nicht die Schnelligkeit, mit denen sie ihr Resultat gefun-
den haben. Sie waren intrinsisch motiviert, korrekte Antworten abzugeben, während die Ge-
schwindigkeit für sie weniger wichtig war. Schliesslich durften sie weder früher ins Wochen-
ende, noch wurden sie für diese Form von Effizienz belohnt, wenn sie schneller fertig waren.
Vielleicht hat die Anonymität der Untersuchung auch verhindert, dass eine kompetitive
Stimmung aufkommen konnte, die den Ehrgeiz angestachelt hätte. Wenn also sichergestellt
werden soll, dass die Versuchspersonen Effizienz in Bezug auf die Lösungsgeschwindigkeit
optimieren, müsste dies beispielsweise durch extrinsische Motivation schmackhaft gemacht
werden, indem Schnelligkeit belohnt wird. Andererseits wäre es interessant herauszufinden,
nach welchen Kriterien Jugendliche auf gymnasialer Stufe in diesem Alter ihren Lösungsweg
optimieren, wenn es nicht die Effizienz ist.
Diese Frage ist speziell auch im Lichte der Studie von Star und Rittle-Johnson (2007) zu
betrachten, denn die Benutzung verschiedener Strategien und die Benutzung effizienter Stra-
tegien dürfen weder verwechselt noch vermischt werden. Das liegt nicht nur daran, dass Schü-
lerinnen und Schüler nach anderen Kriterien als Effizienz optimieren können, sondern auch
am Unterricht, der je nachdem die Benutzung verschiedener oder aber die Benutzung effizien-
ter Strategien in den Vordergrund stellen kann.
Die oben beschriebene Untersuchung der drei Klassen hat weiter gezeigt, dass die Schüle-
rinnen und Schüler die Gleichsetzungsmethode bevorzugen, mit der Additionsmethode auch
klar kommen, mit der Einsetzungsmethode aber Mühe haben, hat jedoch keinerlei Hinweis
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darauf gegeben, woher das kommt. Es ist oben diskutiert worden, dass dies daran liegen
könnte, dass die Einsetzungsmethode zu komplexen Gleichungen führt, die ein als schwierig
empfundenes Ausmultiplizieren erfordern. Diese Betrachtungen sind jedoch nur als erste vage
Vermutungen zu betrachten, und genauere Abklärungen müssten erst zeigen, woran das wirk-
lich liegt. Das Zählen der Lösungsschritte genügt möglicherweise nicht, um die Komplexität
eines Lösungsweges zu untersuchen. Mindestens die für die einzelnen Schritte benötigte zeit-
liche Dauer müsste allenfalls auch aufgezeichnet werden.
Die Ergebnisse der Studie haben Hinweise darauf geliefert, dass die einfache, aber rein
syntaktische Unterscheidung der Problemtypen von linearen Gleichungssystemen so nicht von
den Schülerinnen und Schülern geteilt wird. In gewissen Fällen kann die Additions- oder die
Gleichsetzungsmethode leichter zum richtigen Ergebnis führen, als es die theoretisch optimale
Einsetzungsmethode könnte. Die Frage ist somit noch nicht abschliessend beantwortet wor-
den, ob diese Einteilung in Problemtypen – wenigstens für die betrachtete Altersstufe achtes
Schuljahr – wirklich die optimale Kategorisierung liefert.
Literaturverzeichnis
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Changing Verbal Cues to Infer Multiple Word Meanings. Journal of Cognition and
Development, 1(2), 157-191.
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Hasselhorn, M. & Gold A. (2006). Pädagogische Psychologie. Stuttgart: W. Kohlhammer.
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Ormrod, J.E. (1990). Human Learning. Upper Saddle River: Pearson Prentice Hall.
Padberg, F. (2002). Didaktik der Bruchrechnung. Heidelberg: Spektrum Akad. Verlag.
Rittle-Johnson, B., & Star, J.R. (2007). Does Comparing Solution Methods Facilitate
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Star, J.R., & Rittle-Johnson, B. (2007). Flexibility in problem solving: The case of equation
solving. Learning and Instruction, 18(6), 565-579.
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Anhänge
Instruktionen für Testleiter und Versuchspersonen
Die Person, die den Test leitet, ist vom Institut für Lehr- und Lernforschung der ETH mit
folgenden Instruktionen ausgestattet worden. Vor dem Test sollen folgende Punkte ausgeführt
werden: Installieren des Programms Flextest auf allen Computern, die für den Test benötigt
werden, kopieren des Testbüchleins sowie des Zusatzblattes ‚Löse folgendes Gleichungs-
system auf drei verschiedene Arten‘ und eintragen der VP Nummer.
Auch der Ablauf des Testes ist durch Instruktionen festgelegt, damit sich die Ergebnisse
verschiedener Testsitzungen möglichst gut miteinander vergleichen lassen:
1. Begrüssung
2. Vorlesen der Instruktion
3. Verteilen der Testbüchlein
4. Schülerinnen und Schüler auffordern, persönliche Angaben zu schreiben
5. Allfällige Fragen beantworten
6. Versuchsteilnehmende auffordern, VP Daten am Computer einzugeben
7. Mit dem Test beginnen
8. Während dem Test werden nur formale, nicht inhaltliche Fragen beantwortet
9. Ungefähr 8 Minuten vor Schluss Test beenden und Zusatzblatt verteilen
10. Verabschiedung
Die Person, die den Test leitet, liest (siehe Punkt 2. Vorlesen der Instruktion) folgenden
Text vor:
1. Die Aufgaben werden dir am Computer präsentiert. Du hast eine andere Aufgabenreihenfolge als
deine Nachbarn.
2. Schreibe die Aufgabe ab und löse sie auf dem Papier. Benutze für jede Aufgabe eine neue Seite.
Schreibe oben links in das Feld die Aufgabennummer.
3. Schreibe alle Zwischenschritte und Ausrechnungen auf. Bitte schreibe leserlich. Dies ist wichtig,
wir möchten nachher genau sehen, was du gerechnet hast.
4. Gib die Lösung für x oder y sobald Du sie gefunden hast in den Computer ein. Gebe nicht erst am
Schluss beide Lösungen gleichzeitig ein.
5. Wir schauen für jede Aufgabe, ob die Lösung stimmt und wie lange du für die Rechnung brauchst.
Es ist also wichtig, dass du die Aufgaben richtig und zügig löst.
6. Du kannst im Test vielleicht nur wenige Aufgaben lösen. Vor allem, wenn du das Thema
Gleichungssysteme noch nicht in der Schule behandelt hast. Dies macht nichts, probiere aber dein
Bestes zu geben.
7. Findest du die Antwort nicht, so gebe ein Fragezeichen ein.
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8. Als Lösung kannst du positive und negative ganze Zahlen, Brüche (Eingabe mit Schrägstrich, z.B.
5/8) oder Dezimalzahlen (Eingabe mit Komma, z.B. 7,3) eingeben.
9. Für jede Aufgabe solltest du nicht länger als 10 Minuten aufwenden. Wenn du kurz vor dem
Fertiglösen stehst, kannst du die Aufgabe noch beenden. Ansonsten gibst du Fragezeichen ein.
10. Wenn etwas nicht klappt, strecke auf und frage die Versuchsleiter!
Viel Erfolg!
Auf dem Zusatzblatt sollen die Versuchspersonen das folgende Gleichungssystem auf drei
verschiedene Arten lösen, um zu zeigen, dass sie überhaupt verschiedene Methoden kennen
und ein Test auf Flexibilität sinnvoll ist:
4x – y = 27
2x + y = 21
Beschreibung des Computerprogramms Flextest
Beim Starten des Programms Flextest kommt erst ein Menu zum Eingeben persönlicher
Angaben und anschliessend werden die Aufgaben präsentiert:
Eingangsmenu:
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Aufgabenbeispiel:
Geeignete Textaufgaben
Um die drei verschiedenen Lösungsmethoden zu illustrieren, eignen sich Aufgaben, die
natürlicherweise zu einem Gleichungssystem führen, zu der eine der Methoden besonders gut
passt. Wenn man in den drei folgenden Textaufgaben das, was im Text vorgegeben ist, direkt
in zwei Gleichungen übersetzt, so entstehen Gleichungssysteme, für die jeweils eine der hier
vorgestellten Methoden besonders geeignet ist, und die recht einfach sind, sodass sie für eine
Einführung ins Thema lineare Gleichungssysteme in Betracht gezogen werden können.
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Aufgabe 1: Schwarze und weisse KugelnIn einem Sack befinden sich schwarze und weisse Kugeln. Wären 21 weisse Kugeln wenigerim Sack, gäbe es halb so viele schwarze wie weisse Kugeln. Wären aber 105 weisse Kugelnmehr im Sack, gäbe es einen Drittel so viele schwarze wie weisse Kugeln. Wie viele schwarzeund weisse Kugeln sind im Sack?
s: Anzahl schwarze Kugeln, w: Anzahl weisse Kugelns = 1/2 (w – 21)s = 1/3 (w + 105)Hier eignet sich die Gleichsetzungsmethode, weil beide Gleichungen bereits nach derVariablen s aufgelöst sind.
Lösung:Es sind 126 schwarze und 273 weisse Kugeln im Sack.
Aufgabe 2: Zwei TürmeIn einer Stadt stehen zwei Türme mit verschiedenen Höhen. Der kleinere Turm misst fünfSechstel des grösseren Turms. Wäre er 100 Meter weniger hoch, wäre er nur halb so hoch wieder grössere Turm. Wie hoch sind beide Türme?
k: Höhe des kleineren Turms, g: Höhe des grösseren Turmes (beide in Meter)k = 5/6 gk – 100 = 1/2 gHier eignet sich die Einsetzungsmethode, weil eine der beiden Gleichungen nach derVariablen k aufgelöst ist.
Lösung:Der Türme sind 300 Meter beziehungsweise 250 Meter hoch.
Aufgabe 3: AbstimmungBei einer Abstimmung in einer Gemeinde sind (ohne leere Stimmen) 8508 gültige Stimmeneingegangen. Davon entfallen 1314 Stimmen mehr auf Ja als auf Nein. Wie viele Ja- undNein-Stimmen sind eingegangen?
j: Anzahl Ja-Stimmen, n: Anzahl Nein-Stimmenj + n = 8508j – n = 1314Hier eignet sich die Additionsmethode, weil beim Addieren der beiden Gleichungendie Variable n verschwindet.
Lösung:Es sind 4911 Ja- und 3597 Nein-Stimmen eingegangen.
Einführung für die Lernenden
Nach einer kurzen Einführung in die Problemstellung haben die Schülerinnen und Schüler
selbstständig den folgenden Text durchgearbeitet und anschliessend das Lösen von linearen
Gleichungssystemen mit zwei Unbekannten geübt. Dazu ist in allen drei Klassen ein Blatt mit
denselben linearen Gleichungssystemen sowie deren Lösungen verteilt worden, sodass die
Schülerinnen und Schüler selbstständig daran arbeiten konnten.
2525
1
Lineare Gleichungssysteme
a) Einleitung
Wir betrachten zunächst folgende Aufgabe:
In einem Stall hat es Hühner und Kanichen. Beide zusammen haben 36 Köpfe und 118 Beine.Wieviele Hühner und Kaninchen sind in diesem Stall?
Hier werden gleichzeitig zwei Grössen gesucht, nämlich die Anzahl Hühner und Ka-ninchen. Um diese zwei Grössen zu bestimmen, haben wir aber auch mehr Informatio-nen (über die Köpfe und die Beine) zur Verfügung. Bisher haben wir solche Aufgabenmit einer Unbekannten (Variable) gelöst. Wir bezeichnen mit x die Anzahl Hühner undhaben dann 36− x für die Anzahl Kaninchen. Dies führt auf die Gleichung
2x + 4(36− x) = 118
(Wir nehmen an, dass es sich um „normale“ Hühner und Kaninchen handelt: jedesHuhn hat genau einen Kopf und genau 2 Beine; jedes Kaninchen hat auch genau einenKopf und genau 4 Beine.)
Diese Gleichung können wir nach x auflösen und erhalten x = 13 (Hühner) und damity = 36− x = 23 (Kaninchen).
Wenn wir aber schon zwei gesuchte Grössen haben, warum führen wir nicht auch zweiUnbekannte ein?
Wir bezeichnen mit x die Anzahl Hühner und mit y die Anzahl Kaninchen. Dann er-halten wir für die Köpfe die Gleichung
x + y = 36
Für die Beine erhalten wir die Gleichung:
2x + 4y = 118
Die beiden Gleichungen gehören zusammen. Beide beschreiben etwas über die gleicheAnzahl Hühner bzw. Kaninchen. Wir schreiben dann diese beiden Gleichungen in derForm
x + y = 362x + 4y = 118
Wir sprechen hier von einem Gleichungssystem. Die beiden Längsstriche zeigen an, dassdie beiden Gleichungen zusammen gehören. Wir müssen nun aus diesen beiden Glei-chungen das x und das y bestimmen.
Wir werden im folgenden drei Verfahren kennenlernen, wie wir aus den beiden Glei-chungen x und y bestimmen können.
b) Gleichsetzungsmethode
Wir wollen drei Beispiele machen, um diese Lösungsmethode kennenzulernen. Imletzten Beispiel kommen wir zu den Hühnern und Kaninchen zurück.
2626
2
1. Wir haben das folgende Gleichungssystem gegeben:
y = 2x − 2y = x + 4
Dieses wollen wir nach x und y auflösen.Lösung:Da es sich jeweils um das gleiche y handelt, können wir die rechten Seiten derGleichungen gleichsetzen. Wir bekommen dann eine Gleichung mit einer Unbe-kannten, die wir gewohnt nach x auflösen:
2x− 2 = x + 4 | − xx− 2 = 4 |+ 2
x = 6
Wir haben jetzt schon x bestimmt. Das y erhalten wir, wenn wir x = 6 in eine derbeiden Gleichungen einsetzen und y ausrechnen:
y = 2x− 2 = 2 · 6− 2 = 10
Damit haben wir die Lösung x = 6 und y = 10 für unser Gleichungssystem erhal-ten.Wir können x auch in die andere Gleichung einsetzen und wir bekommen dassel-be Resultat:
y = x + 4 = 6 + 4 = 10
2. Das Gleichungssystem3y = 6x
4x + 2y = 16
wollen wir nach x und y auflösen.Lösung:Um die Gleichsetzungsmethode benützen zu können, müssen wir zuerst beideGleichungen nach y auflösen (rechne nach!)
y = 2xy = −2x + 8
Wir können jetzt wieder die rechten Seiten gleichsetzen und x berechnen
2x = −2x + 8 |+ 2x4x = 8 | : 4x = 2
Diesen Wert setzen wir wieder in eine der Gleichungen ein und berechnen
y = 2x = 2 · 2 = 4
Die Lösung ist also x = 2 und y = 4.
2727
3
3. Wir wollen jetzt noch unser „Kaninchen und Hühner“-Beispiel lösen:
x + y = 362x + 4y = 118
Auch hier wollen wir dieses Gleichungssystem nach x und y auflösen.Lösung:Anstatt beide Gleichungen nach y aufzulösen, können wir sie auch nach x auflö-sen (rechne nach!)
x = −y + 36x = −2y + 59
Wir setzen jetzt die beiden rechten Seiten wieder gleich
−y + 36 = −2y + 59 |+ 2y − 36y = 23
Diesen Wert können wir wieder in eine der Gleichungen einsetzen und jetzt xberechnen:
x = −y + 36 = −23 + 36 = 13
Es sind also 13 Hühner und 23 Kaninchen im Stall.
c) Einsetzungsmethode (Substitutionsmethode)
Hier werden nicht beide Gleichungen nach y aufgelöst, sondern nur eine. Diese nacheiner Variable aufgelöste Gleichung setzen wir dann in die andere Gleichung ein.
Wir machen wieder drei Beispiele:
1. Im Gleichungssystem2x + 3y = 13
y = x + 1
wollen wir wieder x und y bestimmen.Lösung:Die zweite Gleichung ist hier schon nach y aufgelöst. Anstatt die 1. Gleichungennoch nach y aufzulösen und gleichzusetzen, können wir gleich die rechte Seiteder 2. Gleichung für y in die 1. Gleichung einsetzen. Wir bekommen dann wiedereine Gleichung in einer Unbekannten, die wir wie gewohnt nach x auflösen:
2x + 3(x + 1) = 132x + 3x + 3 = 13 | − 3
5x = 10 | : 5x = 2
Diesen Wert können wir wieder in die 2. Gleichung einsetzen und y berechnen:
y = x + 1 = 2 + 1 = 3
Wir haben also die Lösung x = 2 und y = 3.
2828
4
2. Hier noch ein etwas komplizierteres Beispiel:
2x − 3y = 123x + 4y = 1
Lösung: (rechne jeweils die einzelnen Schritte nach):
1) Löse die 1. Gleichung nach y auf:
y = 23x− 4
2) y in die 2. Gleichung einsetzen:
3x + 4(
23x− 4
)= 1
3) Gleichung nach x auflösen:x = 3
4) x in eine der Gleichungen einsetzen und nach y auflösen (am einfachsten indie unter 1) aufgelöste Gleichung):
y = −2
Die Lösung ist somit x = 3 und y = −2.
3. Wir wollen die „Hühner und Kaninchen“-Aufgabe auch mit dieser Methode lö-sen. Das Gleichungssystem
x + y = 362x + 4y = 118
wollen wir wieder nach x und y auflösen.Lösung:Wir lösen die erste Gleichung nach y auf:
y = 36− x (∗)
und setzen sie in die zweite Gleichung ein und lösen nach x auf:
2x + 4(36− x) = 1182x + 144− 4x = 118 | − 144
−2x = −26 | : (−2)x = 13
Diesen Wert können wir in (∗) einsetzen und y berechnen:
y = 36− x = 36− 13 = 23
Damit haben wir die Lösung x = 13 und y = 23.
2929
5
Bemerkungen:
− Man kann natürlich auch im 1. Schritt die 1. Gleichung nach x auflösen und ent-sprechend fortfahren.
− Auch ist es möglich mit der 2. Gleichung zu beginnen, nach einer Variable auflö-sen, sie in die 1. Gleichung einsetzen und entsprechend fortfahren.WICHTIG: Die nach einer Variable aufgelöste Gleichung muss in die andere Glei-chung eingesetzt werden.
d) Additionsmethode
Eine weitere Methode zur Auflösung von linearen Gleichungssystemen ist die soge-nannte Additionsmethode. Auch diese Methode wollen wir an drei Beispielen genaueruntersuchen.
1. Bestimme x und y:3x + 4y = 447x + 3y = 71
Lösung:
1) Multipliziere die einzelnen Gleichungen so, dass die Koeffizienten von x ent-gegengesetzte Zahlen sind. Dies machen wir am einfachsten, wenn wir die1. Gleichung mit dem x-Koeffizienten der 2. Gleichung (hier 7) multipliziertund die 2. Gleichung mit dem entgegengesetzten Koeffizienten der 1. Glei-chung (hier −3) multipliziert:
3x + 4y = 44 ·77x + 3y = 71 ·(−3)
→ 21x + 28y = 308−21x − 9y = −213
2) Addiere nun jeweils die linken bzw. die rechten Seiten der Gleichungen undlöse nach y auf (die x fallen dann weg):
21x + 28y − 21x− 9x = 308− 213
19y = 95
y = 5
3) y in eine der Gleichungen einsetzen und nach x auflösen:
x = 8
Es ist also x = 8 und y = 5.
2. Löse das Gleichungssystem
2y = 8− 3x5x + 31 = 3y
3030
6
nach x und y auf.Lösung:Wir müssen das Gleichungssystem erst auf die Form wie in Beispiel 1 bringen,damit wir das Additionsverfahren anwenden können:
2y = 8− 3x5x + 31 = 3y
→ 3x + 2y = 85x − 3y = −31
Dann geht die Auflösung wie in Beispiel 1:
3x + 2y = 8 ·55x − 3y = −31 ·(−3)
→ 15x + 10y = 40−15x + 9y = 93
+−→ 19y = 133 → y = 7
Dieser Wert wird in eine (hier 1.) Gleichung eingesetzt:
3x + 2 · 7 = 8 → 3x = −6 → x = −2
Wir haben also die Lösung x = −2 und y = 7 erhalten.
3. Auch mit dieser Methode wollen wir die „Hühner und Kaninchen“-Aufgabe lö-sen. Wir müssen also wieder das Gleichungssystem
x + y = 362x + 4y = 118
nach x und y auflösen.Lösung:
x + y = 36 ·22x + 4y = 118 ·(−1)
→ 2x + 2y = 72−2x − 4y = −118
+−→ −2y = −46 → y = 23
Diesen Wert in die 1. Gleichung eingesetzt:
x + 23 = 36 → x = 13
Die Lösung ist also wieder x = 13 und y = 23.
Bemerkungen:
− Die ersten beiden Schritte, wo die Variable x wegfällt, heisst Elimination von x.Auch hier kann man natürlich zuerst die Variable y eliminieren.
e) Schlussbemerkungen/Zusammenfassung
Alle drei Methoden sorgen in einem ersten Schritt dafür, dass wir nur noch eine Glei-chung mit einer Unbekannten haben, die wir lösen können.
Weil wir dann wissen, welchen Wert diese Unbekannte hat, können wir ihn in dieGleichungen einsetzen und bekommen so eine Gleichung für die andere Variable.
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