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Wissenschaft mobil. Über mobile Forscher, migrierende Menschen und wandernde Tiere.
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1–09Das Wissenschaftsmagazin im
Wissenschaft unterwegs Über mobile Forscher,migrierende Menschen und wandernde Tiere
Beilage zu Falter Nr. 19/09Erscheinungsort: Wien. P.b.b. 02Z033405 W;
Verlagspostamt: 1010 Wien; lfde. Nummer 2197/2009;Cover: Corbis
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Macht Wien besser:
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BRAIN-CIRCULATION 4 Die unaufhaltsame Internationalisierung der Forschung | BOLOGNA 6 Wie mobil sind Österreichs Studierende
RIskANTe FORsCHUNGsReIseN 10 Durch den Dschungel zum Wissen | ZeRsPLITTeRT 16 Die Misere der Migrationsforschung
WOHeR WIR kOMMeN 18 Die DNA des Homo sapiens auf Wanderschaft | INVAsION 22 Fremde Tierarten wandern in Europa ein
EDITORIAL
Liebe Leserin, lieber Leser!
Manche Wissenschaftler genießen es, andere leiden darunter, entziehen kann sich kaum einer. Mobilität ist gefragt im heutigen Forschungsbe
trieb, kurzfristig – eine Konferenz in Köln, ein Projekttreffen in Brüssel – wie langfristig: Wenn die Bedingungen für die eigene Arbeit in Singapur oder Oxford besser sind, packt man eben die Koffer.
Migration ist freilich keine Spezialität der Wissenschaftler. In Österreich wird seit Jahren um die richtigen Konzepte in der Zuwanderungspolitik gestritten. Eine Debatte, die geprägt ist von Stereotypen, Mythen und Ressentiments. Die heimische Migrationsforschung kommt dagegen nicht an. Sie ist zersplittert, von den politischen Entscheidungsträgern und der Bürokratie fühlt sie sich ignoriert und bestenfalls instrumentalisiert.
Die Migration macht auch vor unserer Redaktion nicht halt. Die Hälfte der Autorinnen und Autoren dieses Heftes (vier von acht) sind Aus bzw. Zuwanderer, d.h. sie leben schon seit mehr als einem Jahr außerhalb ihres Geburtslandes, in Spanien, Deutschland und in Österreich.
Noch mehr Artikel zum Heftthema finden Sie unter www.heurekablog.at. Dort können Sie uns auch Ihre Erfahrungen mit Mobilität und Migration mitteilen. Die Redaktion
UNeRMüdLICH 8 Im Auto, im Flieger, im Zug:
fünf Forscher über ihr Leben in
ständiger Bewegung
UNReFLekTIeRT 12 Hohe Zäune stoppen Einwan-
derer und andere Mythen über
Migration
UNeRWüNsCHT 14 Kritische Migrationsforschung
fehlt hierzulande, klagt
Polito loge Rainer Bauböck
UNGLAUBLICH 20 Tierische Höchstleistungen:
wie Vögel und Fische um den
halben Erdball wandern
INHALT
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Impressum: Beilage zu Falter Nr. 19/09; Herausgeber: Falter Verlags GmbH, Medien inhaber: Falter Zeitschriften GmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T.: 01/536 60-0, F.: 01/536 60-912, E.: heureka@falter.at, DVR-Nr.: 0476986; Redaktion: Birgit Dalheimer, Klaus Taschwer, Oliver Hochadel; Satz, Layout, Grafik: Andreas Wenk; Druck: Berger, Horn
heureka! erscheint mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung
Man nannte ihn den zweiten Kolumbus, weil er Amerika gleichsam wiederentdeckte. Fünf Jahre lang erforschte Alexander von Humboldt Natur und Kultur Süd- und Mittel -ame rikas und ließ dabei kaum einen reißenden Fluss oder Berggipfel aus. Wissenschaft unterwegs – im allerbesten Sinne. Am 6. Mai jährt sich der Todestag des vielleicht größten Forschungsreisenden aller Zeiten zum 150. Mal.
Der Blog zum Heft: www.heurekablog.at
heureka 1/2009 | Wissenschaft unterwegs4 …
Von Wien in die Welt „Ich war ein österreichischer Gscherter mit wenig Ahnung von der Welt“, bekennt Arnold Schmidt im Rückblick auf die Anfänge seiner Karriere. Der Physiker und langjährige Präsident des Wissenschaftsfonds FWF hatte Anfang der 1960erJahre in Wien promoviert und in seiner Heimatstadt als Forschungsassistent seine wissenschaftliche Laufbahn begonnen. Halb aus beruflichen, halb aus privaten Gründen verschlug es ihn in seinen späten Zwanzigern das erste Mal für längere Zeit ins Ausland – was ihm die Augen öffnete.
Schmidt forschte fünf Jahre an der Universität York in Großbritannien und im Anschluss daran weitere fünf Jahre an der kalifornischen Universität Berkeley. Als er 1975 nach Wien zurückkehrte, war dort noch alles weitgehend beim Alten. „Aber ich war ein anderer geworden“, so Schmidt. „Diese zehn Jahre im Ausland haben mein Leben verändert.“
Sein Auslandsaufenthalt sollte allerdings noch nachhaltigere Folgen haben. Er wollte, dass auch andere junge Forscher solche Erfahrungen machen können, und wurde in den 1980erJahren zum Gründervater der SchrödingerAuslandsstipendien: Nachwuchswissenschaftler aus Österreich sollten die Chance bekommen, an führenden ausländischen Forschungseinrichtungen und Forschungsprogrammen mitzuarbeiten.
Das ErwinSchrödingerProgramm des FWF, das heuer ein Vierteljahrhundert alt wird, wurde
zu einer echten Erfolgsgeschichte: Mehr als die Hälfte der ehemaligen Stipendiaten, die zwei oder mehr Jahre im Ausland forschten, haben 15 Jahre nach ihrer Mobilitätsförderung durch den Wissenschaftsfonds eine ordentliche Professur inne – entweder in Österreich oder sonst wo auf der Welt.
Je besser, desto mobiler Forschung war immer schon ein internationales Unterfangen: „Die Wissenschaft kennt keine Heimat“, erklärte der französische Mikrobiologe Louis Pasteur im 19. Jahrhundert, allenthalben habe der Forscher eine. Anfang des 21. Jahrhunderts kann man sich auch diesbezüglich nicht mehr so sicher sein. Wissenschaftler werden zur Kerngruppe der globalen „Kreativen Klasse“ (Richard Florida) gezählt, die sich durch Hypermobilität auszeichnet. Heimat und Staatszugehörigkeit sind für sie längst zur Nebensache geworden.
Entsprechend gilt Internationalität in der Wissenschaft längst als ein verlässlicher Gradmesser für Qualität – sowohl auf individueller wie auch auf institutioneller Ebene. Für ein kleines Land wie Österreich trifft das ganz besonders zu. Dass man hierzulande durchaus auf dem richtigen Weg ist, legen einige überraschende Zahlen nahe. Oder hätten Sie gewusst, dass 2007 nicht einmal ein Viertel der 101 neu berufenen Professoren an heimischen Universitäten aus Österreich kam?
Wo Spitzenforschung betrieben wird, nimmt der Mobilitätsgrad dann noch einmal zu: Am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) und seiner jüngeren Schwester, dem Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) am Vienna Biocenter, arbeiten Wissenschaftler aus über 30 Ländern. Mehr als die Hälfte (inklusive der Diplomanden und Dissertanten) stammen nicht aus Österreich. Besonders augenfällig wird diese Internationalisierung weiter oben in der Institutshierarchie: Von den insgesamt 23 Gruppenleitern am IMBA und IMP sind gerade einmal drei gebürtige Österreicher, also ziemlich genau 13 Prozent.
Für ständige internationale Fluktuation sorgen auch die Rahmenbedingungen: Gruppenleiterstellen sind auf fünf Jahre befristet, können einmal verlängert werden – und dann heißt es im Normalfall, woanders weiterzuforschen. Da das Vienna Biocenter längst einen international ausgezeichneten Ruf genießt, herrscht bei Bewerbungen aus aller Welt kein Mangel.
Moderne NomadenMobilität ist längst eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Wissenschaft geworden: je internationaler die Forschung, desto besser. Österreich ist auf einem guten Weg. Klaus Taschwer und Peter Illetschko
Arnold Schmidt, Gründervater der Schrödinger-Auslandsstipendien
„Gezielt österreichische Forscher aus dem Ausland wieder zurückzuholen ist Unsinn”Arnold Schmidt
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Vom Drain zum Gain „Statt BrainDrain muss uns der BrainGain gelingen“, fordert Wissenschaftsminister Johannes Hahn. Dass sich die österreichische Bilanz der BrainCirculation – wie es im forschungspolitischen Neudeutsch heißt – zuletzt verbessert hat, dafür sprechen auch die aktuellen Gewinner der wichtigsten heimischen Wissenschaftspreise: Von den acht im Vorjahr vergebenen STARTPreisen für Nachwuchsforscher gingen sechs an Wissenschaftler, die nicht in Österreich geboren wurden.
Und auch der Gewinner des WittgensteinPreises 2008, der wichtigsten heimischen Auszeichnung für Wissenschaftler, ist nicht hier geboren: Experimentalphysiker Markus Arndt übersiedelte von seiner Heimat Deutschland ins kleinere Nachbarland, weil Österreich in der Quantenphysik eine internationale Größe ist.
Über eine solche internationale Anziehungskraft verfügt der Standort Österreich nicht nur in der Molekularbiologie und der Quantenphysik, sondern zum Beispiel auch in der Mathematik: Das ErwinSchrödingerInstitut in Wien etwa nützen jährlich 500 Mathematiker aus aller Welt für Forschungsaufenthalte.
Internationale Kopfjagd „Eine attraktive Infrastruktur und die notwendigen Rahmenbedingungen sind wichtig, um Spitzenforscher nach Österreich zu holen und sie im Land zu halten“, weiß auch Wissenschaftsminister Hahn. Zumal auf der einen Seite die Jagd nach den besten Köpfe immer internationaler wird: Aufstrebende Wissenschaftsmächte wie das kleine Singapur sind mit ihren bestens ausgestatteten Forschungseinrichtungen und großzügigen Gehältern längst zu ernsthaften Konkurrenten selbst für USamerikanische TopUnis geworden.
Auf der anderen Seite hat aber auch die Mobilität der Wissenschaftler im Vergleich zu früher noch einmal zugenommen: „Der Vorteil der heutigen Forschergeneration ist einfach, flexibel zu sein“, sagt der 35jährige deutsche Biologe Janek von Byern, der in Österreich vor allem mit FWFProjektmitteln biologische Klebstoffe entwickelt. „Wir gehen dorthin, wo das Geld und die besseren Labore locken.“ Angesichts der zwischenzeitlichen Finanzierungskrise des Wissenschaftsfonds war er nicht der einzige Forscher, der sich einen Weggang aus Österreich überlegte. „Das Wegziehen ist einfach“, sagt von Byern. „Jemanden wieder zu holen ist weitaus schwieriger und teurer.“
Kommen und Gehen Die Wiener Neurowissenschaftlerin Daniela Pollak ist eine von jenen, die wieder zurückgekehrt sind. Sie war drei Jahre lang Postdoc an der New Yorker Columbia University und arbeitete im Labor des Hirnforschers und MedizinNobelpeisträgers Eric R. Kandel, der nach 1938 gezwungen war, Wien zu verlassen. Seit Anfang des Jahres ist die 29Jährige an
der Meduni Wien angestellt und untersucht am Mausmodell die Beziehung zwischen TagNachtRhythmus und Depressionen.
Warum sie Österreich verließ? „Man muss einfach weggehen, um mit anderen Wissenschaftlern in Kontakt zu kommen“, so Pollak, „und um andere Forschungs und Forschungsförderungssysteme zu verstehen.“ Die längerfristige Abwanderung junger Forscher in die USA hingegen sieht sie kritisch: „Nordamerika lebt sehr gut von Wissenschaftlern, die in Europa kostengünstig ausgebildet wurden.“
Ihre Rechnung: „Ich bin zwölf Jahre lang in Österreich in die Schule gegangen, habe fünf Jahre Veterinärmedizin studiert, danach drei Jahre an meiner Dissertation gearbeitet. Das sind 20 Jahre, die der Staat in mich investiert hat. Danach bin ich drei Jahre ins Ausland und habe dafür – wieder vom Staat – ein Stipendium erhalten.“ Es sei „einfach dumm“, den Wissenschaftlern das Arbeiten hierzulande schwerzumachen. Sie nennt das „money waste“, Verschwendung von Geld.
Unsinnige Rückholaktionen Dass mit dem Förderprogramm Brainpower Austria Wissenschaftlern gleich welcher Nation Arbeit in Österreich angeboten wird, sieht sie positiv. Für einen Unsinn hingegen hält es Arnold Schmidt, gezielt österreichische Forscher aus dem Ausland wieder rückholen zu wollen: „Der Standort Österreich muss attraktiv genug für alle Spitzenwissenschaftler aus der ganzen Welt sein.“
Schmidt ist aber auch skeptisch, ob der neue Kollektivvertrag für die heimischen Universitätsbediensteten einen positiven Beitrag zur internationalen BrainCirculation leistet: „Meiner Ansicht nach verhindert er nicht in ausreichendem Maße, dass es wieder zu Hausberufungen und durchgehenden Karrieren innerhalb der eigenen Universität kommen kann.“ Das sei unbedingt zu vermeiden – zugunsten längerer Auslandsaufenthalte.
„Ein halbes Jahr in einem anderen Labor ist ja nur ein Ausflug“, so der Physiker, der vor gut 40 Jahren von Wien aus in die Welt aufbrach: „Man muss als Wissenschaftler mindestens zwei Jahre woanders verbringen. Denn nur so erfährt man, wie ein anderes Leben ausschaut.“ 3
Moderne Nomaden
Am Vienna Biocenter forschen knapp tausend Wissenschaftler aus 40 Nationen
2007 kam nicht einmal ein Viertel der 101 neu berufenen Professoren an heimischen Unis aus Österreich
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Latein macht mobil Vor genau 400 Jahren richtete Galileo Galilei sein Fernrohr zum ersten Mal in den Himmel über Padua. Ein Stockwerk tiefer schlummerten adelige Studenten von jenseits der Alpen, die sich tagsüber in Mechanik unterrichten ließen. Galileis geräumiges Professorenhaus war also so etwas wie ein kleines, aber feines Studentenwohnheim.
Die Universitäten in Padua und Bologna, aber auch in Siena, Perugia und Rom lockten mit den Studienfächern Medizin und Kirchenrecht Studenten aus aller Herren Länder nach Italien. Zwischen 1553 und 1630 besuchten allein in Padua 10.500 Studenten „deutscher Nation“ – das ist eher umfassend zu verstehen – Hörsäle und Anatomietheater. Aus dem Gebiet des heutigen Österreich waren zwischen 1500 und 1629 über 2500 Studenten an italienischen Hochschulen inskribiert.
In der Frühen Neuzeit kamen nur wenige Männer in den Genuss eines Studiums, ihre enorme Mobilität erstaunt noch heute. Eine universelle Unterrichtssprache mach
te es möglich. Damals war es Latein, heute ist es Englisch, das als Lingua franca der Wissenschaft mithilft, einen durchlässigen europäischen Hochschulraum zu schaffen.
Bumerang aus Bologna? Vor allem aber sollen Studierende durch eine in allen Ländern einheitliche Studienarchitektur zu mehr Mobilität ermuntert werden. Ein Studienortwechsel zwischen Linz und Padua,
zwischen Paris und Tromsø soll reibungslos möglich sein. Das ist eines der erklärten Ziele des sogenannten BolognaProzesses, zu dem nicht zuletzt die Einführung der Bakkalaureats und Masterstudien gehört.
Ausgerechnet diese neuen Abschlüsse könnten sich nun aber als Hemmschuh für
die angestrebte Internationalisierung erweisen – zumindest für die ersten Studienjahre. An der Universität Salzburg schlug man vor kurzem Alarm: Im vergangenen Studienjahr gingen um 40 Prozent weniger Studierende ins Ausland als noch 2001/2002. Der Psychologe Urs Baumann, Vorsitzender der Kommission Qualitätsmanagement Lehre an der Uni Salzburg, macht dafür die Studienreform verantwortlich. Da für den ersten Abschluss nur mehr drei Jahre vorgesehen seien, hätten die Studierenden zu wenig Luft zum Wechseln. Die Idee sei, an einem Ort den Bachelor und an einem anderen den Master zu machen. Die Studierenden blieben aber meist am selben Ort. Sonderfall Salzburg? An anderen österreichischen Hochschulen hingegen gönnen sich immer mehr Studenten einen Auslandsaufenthalt: An der Wirtschaftsuniversität Wien etwa um 40 Prozent mehr seit 2001/2002; an der Medizinischen Universität Wien sogar dreimal so viele wie 2003/2004. Baumann erklärt den Unterschied zu den anderen Unis damit, dass man in Salzburg das Bakkalaureat im mehreren Studienrichtungen relativ bald eingeführt habe, sich also auch die Effekte früher einstellen.
Erich Thöni, Vizepräsident des Österreichischen Austauschdienstes, bemängelt, man habe bei vielen Studienrichtungen zu viel Stoff aus den Diplomstudien in die Bachelorstudien reingepackt. Dadurch seien die Curricula zu voll und es bliebe keine Zeit für einen längeren Auslandsaufenthalt. Auch die Hochschülerschaft kritisiert die Verschulung des Unisystems.
Auf zum Hürdenlauf Rom, London oder Montpellier? ErasmusStudenten haben oft die Qual der Wahl, wo sie ihr Auslandssemester verbringen. Dazu gibt es ein kleines Stipendium und einen sehr überschaubaren bürokratischen Aufwand. Eine Aufenthaltsbewilligung braucht es nicht.
Für junge Menschen aus Afrika, Lateinamerika oder anderen weniger privilegierten Regionen der Welt schaut das in der Regel anders aus. Die Anerkennung von Schulabschluss und bisherigen Studienleistungen sowie das Erlangen eines Visums sind für ein Studium in Innsbruck, Wien oder Graz keine kleinen Hürden. Es gibt zwar einige Stipendien. Davon profitierten im letzten Studienjahr aber lediglich drei Prozent, Tendenz fallend.
Ausländische Studierende müssen in Österreich auch nach der Reform der Studiengebühren noch 360 Euro pro Semester zahlen. Lediglich für 50 ärmere, vor allem afrikani
sche Länder gibt es eine Ausnahmeregelung. Aber ein Studium selbst zu finanzieren, und das ohne Arbeitsbewilligung, ist eine Belastung, die sehr viele abbrechen lässt.
Dabei studieren an Österreichs Unis immer mehr Menschen aus „Entwicklungsländern“ – mehr als 12.000 waren es im Studienjahr 2007/2008 und damit mehr als doppelt so viele wie zu Beginn der 1990erJahre. Stark verändert hat sich in den letzten Jahren deren Herkunft. Immer mehr Studierende kommen aus Asien oder Südosteuropa – die meisten aus der Türkei, China oder ExJugoslawien (die offizielle Statistik hat also einen sehr weiten Begriff von Entwicklungsland). Jene aus Afrika hingegen bleiben zunehmend fern.
Brücken bauen Um auf die schwierige Lage dieser Studierenden in Österreich aufmerksam zu machen, wurde ein „Runder Tisch
der weite Weg zum studium
Heute studieren circa 16 Prozent aller öster rei chischen Studenten einmal im Ausland
Ausländische Studierende werden in Österreich zu wenig unterstützt
„drei Jahre sind zu knapp“Der Bologna-Prozess soll die europäische Hochschullandschaft durchlässig machen. Wie steht es wirklich um die Mobilität österreichischer Studierender? Mark Hammer
heureka 1/2009 | Wissenschaft unterwegs … 7
An den Fachhochschulen gehen laut den Statistiken des Wissenschaftsministeriums anteilsmäßig jedes Jahr fünfmal so viele Studierende ins Ausland wie an den Unis. Thöni erklärt dies damit, dass die FHs die Auslandsaufenthalte in den Curricula einplanen.
Der Sog des Südens Es sei noch zu früh, um zu beurteilen, wie sich die neue Studienstruktur auf die Mobilität auswirkt,
hält Josef Wöckinger, Abteilungsleiter für Hochschulstatistik im Wissenschaftsministerium, dagegen. Solange die Studien noch umgestellt werden, falle der Befund schwer – etwa weil Studenten von einem Diplom zu einem Bakkalaureatsstudium wechseln.
Die EU fördert den Austausch der Studierenden mit dem ErasmusProgramm, seit 1992 auch für Österreich. Heute studieren circa 16 Prozent aller österreichischen Studenten im Laufe ihres Studiums einmal
in einem anderen Land. Seit 1992 hat sich die Zahl der ErasmusStudierenden sowohl in Europa wie auch in Österreich immerhin vervierfacht. 33 Länder stehen den Studierenden europaweit zur Auswahl. 437 österreichische ErasmusStudenten (von insgesamt 4032) inskribierten im Studienjahr 2006/2007 in Italien. Beliebter waren nur noch Frankreich und Spanien. Galilei lehrt nicht mehr. Der mediterrane Raum scheint nach wie vor sehr anziehend zu sein. 3
Bildungszusammenarbeit“ gegründet. An diesem sitzen vier Ministerien, mehrere entwicklungspolitische Organisationen so
wie die Universitäts und FachhochschulKonferenz. Im März wurde ein erster Bericht veröffentlicht.
Hauptkritik ist die geringe Förderung der Studenten während des Studiums. Die Entwicklungszusammenarbeit konzentriere sich stattdessen zunehmend auf den Aufbau von Infrastruktur in Entwicklungsländern. „Die Studierenden aus Entwicklungsländern sind ein zu wenig genutztes Potenzial – für die Internationalisierung der Univer
sitäten, die Entwicklungszusammenarbeit und um Brücken zu schlagen“, moniert Margarete Kernegger vom Vorstudienlehrgang der Wiener Universitäten und Koordinatorin des runden Tischs.
Wolfhard Wegscheider, Rektor der Montanuniversität Leoben, beklagt, dass die Unis die Studierenden kaum unterstützen könnten. Sie könnten etwa bei den Heimplätzen nicht mitbestimmen.
Leichter bei der Unterstützung haben es die Fachhochschulen, an denen sich die Zahl der Studierenden aus Entwicklungsländern in den letzten vier Jahren sogar verdoppelt hat. Sie könnten sich aufgrund der geringen Größe eher um Heimplätze kümmern und den Studierenden mit individuellen Vereinbarungen helfen. „Wir wissen aber bis zuletzt nicht, ob sie ein Visum bekommen“, berichtet Raimund Ribitsch, Vizepräsident der FachhochschulKonferenz.
Chancen schaffen In Sachen Internationalität seien sowohl Unis als auch Studierende gefordert. So lassen sich bestehende Sprachbarrieren nicht einfach durch englischen Unterricht abbauen, sagt Wegscheider.
Entsprechende Lehrveranstaltungen seien auch nicht in erster Linie für Studierende aus anderen Ländern gedacht – und sind auch für heimische Studenten eine Herausforderung. „Im ersten Semester Chemie auf Englisch zu unterrichten ist die probateste Methode, den Hörsaal zu leeren“, so Wegscheider.
Bildungssysteme seien nun mal in jedem Land anders. Entspricht die Sekundarbildung von Studierenden aus Entwicklungsländern nicht mitteleuropäischem Niveau, solle man sie dennoch zu den Unis hinführen, fordert Wegscheider: „Intelligenz ist auf der Welt gleich verteilt. Die Chancen nicht.“ M.H.
Intelligenz ist auf der Welt gleich verteilt. Die Chancen nicht
Schneller lernen! „Bologna“ hat die Studieninhalte komprimiert. Bleibt für Auslandssemester daher keine Zeit mehr?
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Internationale Tagungen, Forschungsreisen, Projekttreffen – Mobilität ist im Wissenschaftsbetrieb ein Muss. Fünf Forscher über ihren Alltag zwischen Labor und Luftraum. Aufgezeichnet von Mark Hammer
Langsam nach Lhasa
Lesen Sie weitere Testimonials unter: www.heurekablog.at
Fatima Ferreira (50) leitet das Christian-Doppler-Labor für Al ler giediagnostik und -therapie in Salzburg und ist Wissenschaft-lerin des Jahres 2008.
Stefan Karner (55) ist Historiker an der Universität Graz und leitet das Ludwig-Boltzmann- Institut für Kriegsfolgen-forschung.
„Selbst unsere Hochzeitsreise führte uns 1975 ins Bundesarchiv nach Koblenz”Stefan Karner, Historiker
Nie mit dem Auto Ich besuche jährlich zwei große Kongresse – einen in Europa, einen in den USA. Dazu kommen jedes Jahr mehrere kleinere Symposien oder Workshops. Ich bin aber nicht sehr oft unterwegs. Sonst verliere ich den Überblick über das, was im Labor passiert. Urlaub und Konferenzen lassen sich selten verbinden, da ich wegen Lehrveranstaltungen meist nicht länger wegkann. Ich möchte das auch trennen, damit ich mich auf den Urlaub konzentrieren kann. Zudem werden die Reisen von der Uni oder von Kooperationspartnern bezahlt – das mag ich nicht missbrauchen.
In Europa fahre ich manchmal mit dem Zug; mit dem Auto nie, weil ich keinen
Führerschein habe. Momentan bin ich vor allem aufgrund meiner Auszeichnung zur Wissenschaftlerin des
Jahres viel unterwegs. Die letzten zwei Wochen war ich nur
an den Wochenenden daheim in Salzburg. Aber das wird wahrscheinlich nur dieses Jahr so sein.
Video oder Telefonkonferenzen nutze ich häufig, mit manchen Kollegen regelmäßig. Es ist oft besser, eine Videokonferenz abzuhalten, als nur schriftlich zu kommunizieren. Wenn man EMails schreibt, entstehen Missverständnisse. Kommunikation ist aber ein dynamischer Prozess. Beim Sprechen – und vor allem, wenn man auch das Bild dazu hat – bekommt man die Reaktionen des anderen besser mit.
Reisen lassen sich dadurch nicht immer vermeiden. Wenn man zum Beispiel zusammen publiziert, ist es manchmal produktiver, sich zu treffen und gemeinsam zu schreiben. Ich reise auch gerne für die Arbeit, weil man dabei viel lernt. Man sieht zum Beispiel, wie die Arbeitsgruppen bei Kollegen funktionieren und wie die Infrastruktur dort aussieht.
Im VW-Käfer durch die UdSSR Ohne Forschungsreisen wäre meine Arbeit nicht möglich. Besonders seit 1991 in Russland die Archive aufgingen. Da kam ich eine Zeitlang auf über 60 Übernachtungen pro Jahr allein in Moskau. Ohne vor Ort in den Archiven zu sein, ist historische Forschung nicht möglich. Dazu kommt – speziell im ehemaligen „Osten“ – die seismografische Qualität der Archive für politische Veränderungen.
Vieles erledige ich mit dem Auto: Niederlande, Slowenien, Prag. Doch ich bin ein Vielflieger geworden. Gewissensbisse? Wegen ein paar Wissenschaftlern wird sich die Situation nicht ändern. Allerdings bin ich für Kostenwahrheit im Verkehr, die momentan in keiner Weise gegeben ist. Wissenschaftler sollten auf jeden Fall mehr reisen. Der Mehrwert wiegt den zeitlichen Einsatz bei weitem auf.
Das Reisen im Dienste der Wissenschaft begann für mich 1974, als ich mit Zelt und VWKäfer 8000 Kilometer durch die Sowjetunion reiste – bis weit hinter Moskau und ans Schwarze Meer in Odessa. Auf solchen Fahrten lernte ich als noch junger Wissenschaftler die Menschen vom kommunistischen System zu unterscheiden. Wie ging das mit Familie? Meine Frau hatte immer großes Verständnis, da bin ich ihr sehr dankbar. Am Anfang war sie noch häufig mit dabei. Selbst unsere Hochzeitsreise führte uns 1975 ins Bundesarchiv nach Koblenz. Die Kinder kannten kaum etwas anderes. Um die Forschungsreisen mit einem Urlaub zu verbinden, fehlt mir leider meist die Zeit.
„Die letzten zwei Wochen war ich nur an den Wochenenden daheim in Salzburg”Fatima Ferreira, Allergologin
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Mit dem Flieger nach Brüssel Ich muss unwillkürlich an den alten Witz über einen berühmten Kollegen denken: Zwei Flugzeuge sind über seiner Heimatstadt zusammengestoßen, den Medienberichten zufolge saß er in beiden Flugzeugen. So weit bin ich noch nicht, obwohl ich viel reise. Der Europäische Forschungsrat hat seinen Sitz in Brüssel, doch wir versuchen den persönlichen Kontakt zu Wissenschaftlern in allen beteiligten Ländern herzustellen. Zu diesen Reisen in offizieller Funktion kommen noch zahlreiche Einladungen für Vorträge und internationale Konferenzen dazu. Themen sind etwa, wie Wissen in Zukunft produziert und wie dies organisiert wird, Fragen der Forschungspolitik oder die Auswirkungen der Lebenswissenschaften auf die Gesellschaft.
Ein mobiles Leben erfordert gute und rechtzeitige Planung. Als emeritierte Professorin bin ich in der glücklichen Lage, zeitlich nur durch meinen eigenen Terminkalender gebunden zu sein. Ich bin also entsprechend wählerisch. Ich sage nur zu, wenn das Thema spannend ist und ich dazu etwas beizutragen habe. Ich habe gelernt, meine Zeit unterwegs gut zu nützen, indem ich etwa beim Hinflug Papiere zur Vorbereitung lese. Der Rückflug ist einer Lektüre gewidmet, die ich für diesen Zweck aufgespart habe.
Doch je mehr ich unterwegs bin, desto kostbarer werden jene Tage, die ich an einem Ort verbringen kann, um mich ganz dem Schreiben zu widmen oder einfach um auszuspannen. Mobilität braucht also einen ruhenden Gegenpol: im eigenen Leben, aber auch im Wissenschaftssystem.
Nicht mehr mit Familie Ich empfinde das Reisen nicht so schlimm – im Gegenteil. Solange es nicht zu häufig vorkommt, sorgen Reisen für ein wenig Distanz zur Alltagsroutine. Ich bin durchschnittlich zweimal im Monat außerhalb Österreichs unterwegs, meist in Europa. Innerhalb Österreichs schon deutlich öfter, ein bis dreimal im Jahr auch in den USA oder in Asien. Ein starker Kaffee pendelt mich im Jetlag meist wieder ein.
Ich versuche aus familiären Gründen vor allem Übernachtungen zu vermeiden. Wenn man früh abreist und spät heimkommt, kann man aus einem dreitägigen Projekttreffen auch leicht ein ein oder zweitägiges machen. Und ob man dann aus Bangkok oder einfach nur spätabends aus dem Labor in Graz wieder heimkommt, wenn alle anderen schon schlafen, ist eigentlich egal. Früher sind meine Frau und die beiden ersten Söhne öfter mitgereist. Mit der Schule geht das jetzt nicht mehr. Mitbringsel wirken da aber beruhigend und lassen die Kinder ein wenig an den Reisen teilhaben. Da genügen oft ganz einfache Dinge, wie zum Beispiel eine exotische Frucht vom Markt.
Ohne Reisen geht es nicht, aber man kann auch nicht zu oft unterwegs sein. Dann bleibt daheim die Arbeit liegen. Als Wissenschaftler kann man sich zum Glück meist aussuchen, wohin man wann fährt. Ich habe früher auch in Firmen gearbeitet. Da hat man weniger Freiraum.
Das Wichtigste am Reisen ist der persönliche Kontakt. Der lässt sich auch nicht durch Videokonferenzen ersetzen. Dort wird meist nur die Minimalinformation weitergegeben. Neue Projekte und verrückte Ideen entstehen nur im persönlichen Kontakt – und dann meist in lockerer Atmosphäre, etwa in Konferenzpausen oder am Weg zum Flughafen.
Im Zug nach Peking In meiner Arbeit zu nachhaltigem Konsum beschäftigt mich das Reisen gleich doppelt. Zum einen weil Mobilität einer der wichtigsten Bereiche ist, die nachhaltiger gestaltet werden müssen. Zum Zweiten muss ich selber reisen, um Forschungsergebnisse Entscheidungsträgern buchstäblich nahezubringen.
Das Transportmittel meiner Wahl ist die Bahn – nicht nur aus ökologischen Gründen. Von Köln aus erreicht man in
Europa viele Konferenzorte über Tag oder Nacht, meist pünktlich und entspannt zum Tagungsbeginn. Entscheidender Vorteil des vermeintlichen Zeitverlustes im Vergleich zur Flugreise: Ich habe Zeit, mich vorzubereiten, und kann auf dem Rückweg alle Todos, Kontakte, Informationen und Eindrücke in Ruhe verarbeiten. Leider sitze ich zuhause dann manchmal vor Reisekostenerstattungsformularen, in denen es nur die Rubrik Flugreisen gibt. Dass Veranstalter – von Tagungen zu Nachhaltigkeit, wohlgemerkt – Bahnreisen nicht erstatten, weil sie teurer sind als Fliegen, passiert zum Glück selten.
Die Bahn ist auch im Urlaub mein liebstes Transportmittel. Mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Peking zu reisen war einfach entspannend. Bei jedem Stopp konnte man bei den Babuschkas an den Stationen selbstgemachte Köstlichkeiten kaufen. Am Weg mit der Tibetbahn nach Lhasa dagegen fragte ich mich, wie sich der durch den Bahnbau ausgelöste Touristenstrom auf eine Gesellschaft auswirkt, die so lange in sich geruht hat.
Helga Nowotny (71) ist emeri-tierte Professorin der ETH Zürich, Vizepräsidentin des Europäischen Forschungsrats und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Universität Wien.
Anton Glieder (43) arbeitet am Institut für molekulare Bio-technologie der TU Graz und am Kompetenzzentrum Angewandte Biokatalyse.
Sylvia Lorek (46) arbeitet von Köln aus für das Sustainable Europe Research Institute in Wien.
„Ich habe gelernt, meine Zeit unterwegs gutzu nützen”Helga Nowotny, Wissenschaftsforscherin
„Das Wichtigste am Reisen ist der persönliche Kontakt”Anton Glieder, Molekularbiologe
„Das Transportmittel meiner Wahl ist die Bahn – nicht nur aus ökologischen Gründen”Sylvia Lorek, Nachhaltigkeitsforscherin
heureka 1/2009 | Wissenschaft unterwegs10 …
Empire und Empirie Gleich, ob Astronomie, Geologie oder Medizin, gleich, ob Botanik, Zoologie, Ethnologie oder Paläontologie. Ohne ausgedehnte Reisen, das Sammeln und Beobachten, das Befragen und Vermessen im „Feld“ ist die Geschichte vieler wissenschaftlicher Disziplinen nicht vorstellbar. Bepackt mit Fernrohren und Botanisiertrommeln ging es stets um mehr als nur das Sammeln neuer Erkenntnisse. Zahlreiche Expeditionen waren aufs Engste mit dem kolonialistischen Ausgriff der europäischen Mächte verknüpft, es ging um nationale Interessen und ums Prestige.
So war die „Beagle“, mit der Charles Darwin zwischen 1831 und 1836 um die Welt reiste, ein Vermessungsschiff der British Navy. Ohne Empire keine Evolutionstheorie. Die „Admiral Teget hoff“ sollte das Nordpolarmeer für den Kaiser erkunden, getrieben vom Packeis entdeckten die österreichischen Expeditionsführer Julius von Payer und Carl Weyprecht 1873 freilich FranzJosephLand.
Zwischen Forschung und Macht herrschte ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Die Fregatte „Novara“ der österreichischen Kriegsmarine brachte von ihrer Weltumsegelung (1857 bis 1859) über 26.000 zoologische Präparate zurück. Mit deren Auswertung waren manche der beteiligten Wissenschaftler den Rest ihres Lebens
beschäftigt. Die Speicher des Naturhistorischen Museums Wien ächzen heute noch unter der Last des sammelwütigen 19. Jahrhunderts.
Weit weg und hoch hinaus Darwin, das sollte man ehrenhalber noch sagen, bezahlte für seine Überfahrt stattliche 500 Pfund, war also Privatgelehrter. Ganz wie sein großes Vorbild Alexander von Humboldt. Der deutsche Universalgelehrte verwendete einen Großteil seines Vermögens, um Süd und Mittelamerika zu erkunden (1799–1804). Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass er sich schlechterdings für alles interessierte: Vulkane und Meeresströmungen, Düngemittel und Silberminen, Erdmagnetismus und Biogeografie, Inkas und Schamanismus.
Das Erkunden der Fremde wurde für Humboldt vor allem aber auch zur Begegnung mit sich selbst. Beladen mit Käfigen voller Vögel und Affen sowie ausgebuddelten Leichen trieb er fast 3000 Kilometer in einem ausgehöhlten Baumstamm tropische Flüsse hinunter und wunderte sich, wie gut er das feuchtwarme Klima vertrug, während seine Träger dahinsiechten.
An der Besteigung des über 6000 Meter hohen Vulkans Chimborazo im heutigen Ecuador scheiterten Humboldt und seine Begleiter im Juni 1802 knapp. In der dünnen Luft bluteten Lippen und Zahnfleisch, dazu kam Schwindel und Brechreiz, und doch stellten sie für die nächsten 30 Jahre einen Höhenrekord auf.
Berggipfel dienen übrigens bis heute immer noch zum Selbstversuch im Dienste der Wissenschaft. Unlängst begaben sich vier – natürlich britische – Mediziner auf den Mount Everest und ließen auf 8400 Metern und bei schneidend kaltem Wind die Hosen runter, um sich Blut aus der Leiste abzuzapfen. Die anschließende Messung des Sauerstoffgehalts im Blut ergab so tiefe Werte, wie sie sonst nur nach Herzinfarkten gemessen werden. Die Mediziner waren aber laut Mark Grocott vom University College London quietschfidel, der Mensch ist also zumindest kurzfristig in der Lage, sich auf die dünne Höhen luft einzustellen (New England Journal of Medicine 360/2 (2009), S. 140–149).
Die Vermessung der Erde 65 Jahre vor Humboldt hatte sich eine französische Expedition erstmals tief ins Innere des südamerikanischen Kontinents gewagt. Bis dahin waren Forschungsreisen fast ausschließlich auf die Küstengebiete beschränkt.
Malaria, Maden und Morast
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Er war der Archetypus des wissenschaftlich Reisenden: Vor 150 Jahren starb Alexander von Humboldt. Eine kleine Blütenlese mehr oder weniger bedeutsamer Expeditionen. Oliver Hochadel
Die ganze Natur erfassen und vermessen: Alexander von Humboldt und sein Mitreisender Aimé Bonpland in Südamerika. Gemälde von Eduard Ender 1856
Für Frauen war wissenschaftlicher Ruhm nicht vorgesehen
Alexander von Humboldt: Mein vielbeweg tes Leben. Der Forscher über sich und seine Werke. Eichborn 2009. 240 S., € 30,80
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Amalie Dietrich trennte sich nach 17 Jahren von ihrem untreuen Ehemann. Dieser hatte zunächst die Leidenschaft für Botanik in ihr entfacht, nach der Geburt ihrer Tochter aber verlangt, dass sie aufhören solle, sich nur mehr um die Bestimmung von Pflanzen zu kümmern. 1863 gab Dietrich ihre Tochter in ein Internat und schiffte sich nach Australien ein, wo sie zehn Jahre lang Naturalien für das Museum Godeffroy in Hamburg sammelte. Ihre Vogelsammlung ist vermutlich die größte, die je von einer einzelnen Person zusammengetragen wurde. Dietrich publizierte nie etwas unter ihrem Namen.
Zu Besuch bei den „Wilden“ Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs war der gebürtige Krakauer Bronisław Malinowski gerade im heutigen PapuaNeuguinea unterwegs – damals britisches Herrschaftsgebiet. Als Bürger von ÖsterreichUngarn wurde er für die Dauer des Krieges „interniert“, glücklicherweise auf seinem Reiseziel, den TrobriandInseln. Malinowski nützte seinen Zwangsaufenthalt im Westpazifik, um etwa die Kultur des Tauschens, Partnerwahl und Sexualverhalten der Eingeborenen zu studieren. Seine methodische Vorgabe der „teilnehmenden Beobachtung“ wurde wegweisend.
Als zweiter Gründungsvater der Ethnologie gilt der Deutschamerikaner Franz Boas. Seine erste Forschungsreise führte ihn 1883 auf die nordkanadische BaffinInsel, wo er sich intensiv mit der Kultur der Inuit beschäftigte. Klimatisch jedenfalls das Gegenteil einer Südseeinsel: Nachdem er 26 Stunden lang mit dem Schlitten bei fast 50 Grad minus durch die arktische Nacht geirrt war, schrieb er am 23. Dezember 1883 einen Brief an seine Frau. Es gäbe keinen Grund, auf die vermeintlich „Wilden“ herabzuschauen, die vermeintlich Zivilisierten hätten diesen nichts vor aus. Boas wandte sich damit gegen evolu tionäre Gesellschaftsmodelle, wonach Jäger und Sammler die unterste Stufe der Entwicklung darstellen. In der Folge wurde er zum wichtigsten Verfechter eines Kulturrelativismus.
Er starb 1942 während eines Abendessens in New York an einem Herzinfarkt in den Armen des jungen Claude Lévi-Strauss, der letzten November seinen einhundertsten Geburtstag feierte. Der französische Ethnologe, einer der einflussreichsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, bereiste zwischen 1935 und 1939 mehrmals den brasilianischen Amazonas. Seine „Traurigen Tropen“ (1955) sind ein elegischer Abgesang auf die eingeborenen Kulturen, die der zerstörerischen Kraft der westlichen Zivilisation nichts entgegenzusetzen haben.
„Was uns die Reisen zeigen, ist der Schmutz, mit dem wir das Antlitz der Menschheit besudelt haben“, schreibt er in seinem Klassiker, und gleich zu Beginn „Ich verabscheue Reisen und Forschungsreisende.“ 3
Die Französische Akademie der Wissenschaften entsandte 1735 zwei Vermessungsexpeditionen, eine nach Lappland und eine nach Peru. Seinerzeit zankten sich nämlich die Anhänger Newtons mit jenen von Descartes darum, ob die Erde an den Polen abflacht oder spitz zuläuft.
Die Expe di tion unter der Leitung von Mau-pertuis in den hohen Norden wurde zum Erfolg (die Erde ist abgeflacht), jene an den Äquator zum ultimativen Desaster: veruntreutes Budget, nicht enden wollende Krankheiten, Reibereien mit den spanischen Behörden, beschädigte Instrumente, durchnässte Notizbücher und schließlich der Zerfall der Gruppe. Manche gelangten erst nach Jahrzehnten zurück nach Frankreich, von anderen ward nie wieder etwas gehört. Aber immerhin: Mit Charles-Marie de La Condamine hatte erstmals ein Naturforscher den Amazonas befahren, zu seinen Mitbringseln gehörte Kautschuk, Chinin (das Antimalariamittel) und das Pfeilgift Curare.
Völlig unspektakulär verlief dagegen die astronomische Expedition von Arthur Stanley Eddington. Im Mai 1919 beobachtete er die Sonnenfinsternis von der westafrikanischen Vulkaninsel Principe aus und konnte zeigen, dass die Sonne den Raum um sie herum krümmte. Damit lieferte er den ersten empirischen Beleg für die allgemeine Relativitätstheorie. Erst jetzt, mehrere Jahre nachdem Einstein seine Theorie publiziert hatte, stieg er schlagartig weltweit zum Medienstar auf.
Allein unter Männern Wissenschaftlicher Ruhm war für Frauen nicht vorgesehen. Wollten sie Forschungsreisen unternehmen, mussten sie nicht nur reißende Flüsse und Bergketten, sondern zuerst einmal maskuline Widerstände überwinden. Die Französin Jeanne Barret verkleidete sich als Mann, um so als Assistent des Botanikers Commerçon an Bougainvilles Weltumseglung 1766 bis 1769 teilzunehmen. Angeblich fiel dies niemandem auf – bis die Tahitianer den Schmäh durchschauten, sodass Barret fortan den Nachstellungen der Matrosen ausgesetzt war.
Die deutsche Naturforscherin Maria Sybilla Merian verließ nach 16 Jahren ihren untreuen Ehemann und machte sich als Illustratorin selbstständig. 1699 schiffte sie sich in die niederländische Kolonie Surinam ein, ließ von Sklaven Wege durch den Dschungel schlagen und entdeckte zahlreiche neue Tier und Pflanzenarten. 1701 zwang sie die Malaria zur Rückkehr. Die hohen Investitionen in die Reise machten sich bezahlt, ihre exotischen Mitbringsel – Schlangen, Schildkröten, Motten, Käfer, Bienen, Fliegen, Würmer und Maden – verkauften sich gut. Ihre wissenschaftlichen Publikationen über die Lebenszyklen von Insekten führten erstmals einem größeren Publikum vor, wie aus einer Raupe ein Schmetterling wird.
Stationen von Humboldts Süd-amerikareise (1799–1804): der Vulkan Cayambe, der Chimborazo, die Schlammvulkane von Turbaco, die Seilbrücke bei Penipe (von oben nach unten)
Das Erkunden der Fremde wurde für Humboldt zur Begegnungmit sich selbst
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Migration besteht aus Aus- bzw. Einwande-rung, ist also eine einmalige Bewegung in eine Richtung.Die meisten Migranten pendeln zwischen Ziel und Herkunftsgebiet, oft mehrmals oder regelmäßig. Hohe Zuwanderungsraten sind in der Regel von hohen Abwanderungsraten (meist früher Zugewanderter) begleitet. Selbst die Auswanderung in die USA war bei vielen nicht dauerhaft. Im späten 19. Jahrhundert lagen die Rückwanderungsraten für West, Mittel und Nordeuropa im Durchschnitt bei 20 Prozent. Italiener kehrten zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu 60 Prozent wieder aus den USA zurück, Bulgaren sogar zu 90 Prozent.
Eine restriktive Migrationspolitik bremst Zu-wanderung.Dazu gibt es zahlreiche Gegenbeispiele. Neue Gesetze und höhere Zäune bremsen vor allem die zirkuläre Migration, also die Ab und Rückwanderung von Zuwanderern, da sie sich nicht sicher sein können, wieder in ihr Zielland gelassen zu werden. Am spektakulärsten scheiterte USPräsident Bill Clinton mit der „Sicherung“ der Grenze zu Mexiko. Milliarden Dollar flossen in doppelte Stahlzäune und Suchscheinwerfer, die mexikanischen Migranten wichen in bislang weniger frequentierte Grenzgebiete aus. Denn die Nachfrage der kalifornischen Landwirtschaft nach billigen Arbeitskräften blieb hoch. Der „Erfolg“ von Clintons „Operation Gatekeeper“: Die Zahl der Menschen, die beim Grenzübertritt ums Leben kamen, stieg von 23 im Jahr 1994 auf
499 im Jahr 2000, der Durchschnittspreis der Menschenschlepper im selben Zeitraum von 143 auf 1500 Dollar. Wer einmal so viel investiert hat, der geht so schnell nicht mehr zurück.
Migranten sind Menschen, denen keine ande-re Wahl bleibt. Sie werden von Hunger und Elend getrieben.Sieht man von politischen Verfolgungen und Vertreibungen ab, gehörten und gehören Migranten überwiegend nicht den ärmsten und den reichsten, sondern den mittleren sozialen Schichten an, die aufsteigen möchten. Dies ist für die europäische Migrationsgeschichte statistisch eindeutig nachweisbar. Ähnliche Belege gibt es für die derzeitige Migration von Mexiko in die USA. Und auch wenn die aktuellen Bilder afrikanischer Flüchtlinge an den Küsten Italiens und Spaniens zutiefst verzweifel
te Menschen zeigen: Nur wer die teuren Schlepper bezahlen kann, kommt überhaupt vom Inneren des Kontinents bis an die EUAußengrenze.
Menschen sind heutzutage mobiler.Das ist Globalisierungsgerede. Laut UN sind nur drei Prozent der Weltbevölkerung
Migranten, d.h. Menschen, die schon mehr als ein Jahr außerhalb ihres Geburtslandes leben. In Europa lagen die Migrationsraten nach dem Ersten Weltkrieg wesentlich niedriger als im 19. Jahrhundert. In Deutschland etwa wechselten zwischen 1880 und 1914 prozentual etwa viermal mehr Menschen den Wohnort als zwischen 1950 und 1988. Die Menschen sind sesshafter geworden. An die Stelle der Migration sind allerdings neue Formen der Mobilität (z.B. tägliches Pendeln über große Entfernungen) getreten.
In der Geschichte der Menschheit war Migra-tion der Ausnahmefall und Sesshaftigkeit der Normalzustand.Auch wenn die Ursachen und Formen jeweils äußerst unterschiedlich waren: Schon vor dem 19. Jahrhundert wurde häufig migriert. Man denke nur an die Zwangsumsiedlung österreichischer Protestanten nach Siebenbürgen unter Maria Theresia, die Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich Ende des 17. Jahrhunderts, den Normanneneinfall auf den Britischen Inseln im Mittelalter, die Völkerwanderungen der Spätantike, ja schließlich die Ausbreitung des Homo sapiens aus Afrika über den ganzen Erdball vor 100.000 Jahren. Vielleicht sollte man besser Homo migrans sagen.
Arbeitsmigration ist überwiegend männlich.Das war einmal. Heute sind bereits weltweit die Hälfte derer, die im Ausland arbeiten, Frauen. Tendenz steigend. Frauen sind flexibler. Sie integrieren sich leichter. Sie schicken einen größeren Anteil ihres Verdiensts an die zurückbleibende Familie. Eher als Männer bleiben sie und nehmen die Staatsbürgerschaft ihrer neuen Heimat an. Der sich aufgrund der demografischen Entwicklung abzeichnende künftige Arbeitskräftemangel in Österreich ist weiblich: Pflege und Hausarbeit. Hinter einer beruflich erfolgreichen Powerfrau steht in vielen Fällen eine Migrantin, die ihr Kinder und Haushalt abnimmt.
Emigration schadet den Herkunftsländern.Zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht trifft das Gegenteil zu. Geldüberweisungen von Emigranten, die in reicheren Ländern arbeiten, an ihre Verwandten in Entwicklungsländern beliefen sich 2008 laut Schätzungen der Weltbank auf 230 Milliarden Euro (wobei davon auszugehen ist, dass noch einmal um die Hälfte mehr auf informellen Kanälen dazukommt). Das ist mehr als zweieinhalbmal so viel wie die im selben Jahr geleistete Entwicklungshilfe von gut 90 Milliarden Euro. In 45 Ländern machen
Mythen über MigrationWas die Wissenschaft an Stereotypen und Klischees über Zuwanderer längst widerlegt hat, spukt immer noch in unseren Köpfen herum. Eine Auswahl. Oliver Hochadel
EPA
Migranten gehören überwiegend nicht den ärmsten, sondern den mittleren sozialen Schichten an
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die registrierten Überweisungen mehr als zehn Prozent des Volkseinkommens aus, in Tadschikistan und Moldawien sogar annähernd die Hälfte. Auch Direktinvestitionen werden in vielen Entwicklungsländern vor allem von Emigranten getätigt.
Migration kann politisch gesteuert werden. So mancher Politiker glaubt immer noch, Migrationsströme ließen sich wie ein Wasserhahn auf und zudrehen. Und zwar durch eine Regulierung der sogenannten Pull und Pushfaktoren, also wie stark die Anziehungskräfte des Ziellandes und die Abstoßungskräfte des Heimatlandes sind. Diese bürokratische Rationalität übersieht freilich, dass die Migration von ganz anderen Dynamiken bestimmt wird: etwa den Netzwerken zwischen den Ländern. So wurde zwar in der Folge des Ölpreisschocks von 1973 durch verschiedene Einschränkungen der Anteil von Ausländern am österreichischen Arbeitsmarkt zwischenzeitlich reduziert. Durch den Familiennachzug ist der Gesamtanteil an Ausländern aber weiter gestiegen.
Österreich ist kein Einwanderungsland.Politik und Volksseele wollten es lange nicht wahrhaben: Unterschiedlichste Formen der Migration prägen Österreich seit langem
nachhaltig, nicht zuletzt aufgrund der zentralen Lage mitten in Europa. Zwischen 1815 und 1914 stieg die Bevölkerung Wiens von 250.000 auf über zwei Millionen. Das Wiener Telefonbuch dokumentiert die tschechische Einwanderung noch zu k.u.k. Zeiten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hielten sich 1,6 Millionen ausländische Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und ehemalige KZInsassen in Österreich auf. Spätestens seit den 1960erJahren ist die Zweite Republik zum Einwanderungsland geworden.
Migranten nehmen „echten“ Österreichern die Arbeit weg.Billige Hetze. Der Arbeitsmarkt ist kein Nullsummenspiel. Migranten tragen nämlich auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei, indem sie etwa neue Beschäftigungsfelder erschließen. Volkswirtschaftlich gesprochen stellen sie „komplementäre Faktoren“ im Produktionsprozess dar. Knapp ein Drittel der Unternehmer in Wien sind Migranten (in Zahlen: 16.000). Und wie die Diskussion um die Pflege gezeigt hat, sähe es in vielen Bereichen schwarz aus, da Einheimische längst nicht mehr bereit sind, vermeintlich „niederen“ Tätigkeiten nachzugehen.
Die meisten Migranten in Österreich stammen aus der Türkei.Verfolgt man die öffentliche Diskussion zu Migration und Integration, hat man mitunter den Eindruck, die Türken ständen wieder einmal vor Wien. Es wird hauptsächlich
über Kopftuch, islamischen Religionsunterricht und vermeintlich inkompatible Kulturen debattiert. Dabei stammt die größte Gruppe der hier lebenden Migranten aus Serbien und Montenegro, die zweitgrößte aus Deutschland (auch weil diese sich nur selten einbürgern lassen). Erst auf Platz drei folgen die Türken. Betrachtet man allein die Zahl der neuen Zuwanderer, so belegen die Deutschen seit 2006 Rang eins. 2007 etwa wanderten 17.920 Deutsche ein, dagegen aber nur 5262 Türken.
Bestimmte Gruppen sind aufgrund ihrer an-deren Sprache, Religion und Kultur nicht inte-grierbar.Gegenbeispiele gefällig? In den Hochphasen der deutschen Einwanderung in die USA Mitte des 19. Jahrhunderts galten die Teutonen als schlichtweg unintegrierbar. Sie hielten an der eigenen Sprache fest, seien nicht bereit, Englisch zu lernen, holten Ehepartner aus Deutschland und bedrohten als Anarchisten und Terroristen die innere Sicherheit. Erst als Ende des 19. Jahrhunderts weniger Deutsche, dafür vermehrt Südeuropäer in die USA kamen, die noch viel fremder erschienen, mauserten sich die Deutschen zu Integrationsmusterknaben. Ähnlich ging es den Iren lange Zeit in Großbritannien: Sie würden nur auf den Papst hören, ständig bechern und sich nicht an das liberale Wertesystem anpassen. Als Richtwert für die Dauer einer gelungenen Assimilation gelten drei Generationen.
Der Fußball hierzulande ist deshalb so schlecht, weil sich österreichische Talente in den Bun-desligateams aufgrund der zahlreichen aus-ländischen Kicker nicht entfalten können.Derartige Klagen sind nichts Neues. Schon 1948 wurde daher die Anzahl ausländischer Spieler erstmals beschränkt, 1962 vor einer „Invasion von Legionären“ gewarnt. Die Rede von den ohnehin nur „drittklassigen Ausländern“ ist ein Evergreen unter Österreichs Grantlern.
Für diesen Artikel wurden folgende (Migrations)Forscher befragt: Karin Mayr (Universität Linz), Ilker Ataç, Joseph Ehmer, Georg Spitaler, Sigrid Wadauer (alle Universität Wien), Elisabeth Röhrlich (Demo kratiezentrum Wien), Jochen Olt-mer (Universität Osnabrück).
Klaus J. Bade et al. (Hg.): Enzyklopädie Migra tion in Europa.
Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Fink 2007, 1156 S.,
€ 80,20
Als Richtwert für die Dauer einer gelungenen Assimilation gelten drei Generationen
Hohe Grenzzäune wie hier zwischen Mexiko und den USA bedeuten keineswegs weniger Einwanderer
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heureka!: Hört die Politik auf die Expertise der Migrationsforschung?Rainer Bauböck: Da muss man unterscheiden. In Brüssel gibt es einen Konsens, dass Migrationsforschung notwendig ist, um die europäische Politik weiter zu harmonisieren. In Österreich ist das Verhältnis zwischen der Migrationsforschung und der Politik traditionell schlechter.
Warum ist das so?Das begann mit der Gastarbeiterzuwanderung und ihrem Abbau seit der Mitte der 1970erJahre. Da herrschte politisch die Vorstellung, dass die Einwanderung eine Arbeitsmarktfrage sei, die sich die Sozialpartner untereinander ausmachen. Für die Migrationsforschung gab es bloß den Auf
trag, Zahlen zu beschaffen. Das hat sich in den 1990erJahren mit der großen Zuwanderung aus dem Westbalkan und abermals aus der Türkei geändert. Damals kam die Politik durch eine rechtspopulistische Instrumentalisierung des Themas unter Druck. Das machte es für die wissenschaftliche Forschung und Expertise natürlich schwer. Als Folge entwickelte sich ein eher konfliktbeladenes Verhältnis zwischen der Migrationsforschung und dem in der Migrationspolitik federführenden Innenministerium.
Woran liegt das?Man geht hierzulande davon aus, dass die Politik ohnehin schon Expertise in Gestalt der Beamten besitzt. Die Wissenschaftler liefern allenthalben die Daten und Zahlen,
sollen sich aber nicht öffentlich in die Diskussion einmischen. Einerseits fehlt also bei der Politik die Offenheit für kritische Migrationsforschung. Andererseits versäumte es die Migrationsforschung aber auch, die Kräfte zu bündeln, um mit einer gewissen Autorität in der Öffentlichkeit aufzutreten.
Sie selbst sind als Migrationsforscher Anfang 2007 von Wien nach Florenz übersiedelt? War das eher „push“ oder „pull“?Das war eindeutig „pull“. Die Professur hier am European University Institute ist eine wirklich sehr attraktive Stelle, sowohl was die Lehre als auch die Forschung betrifft. Hätte es allerdings eine vergleichbare Stelle in Österreich gegeben, wäre ich gerne geblieben.
Kritische Forschung unerwünscht: Der Politologe Rainer Bauböck über die Versäumnisse der Migrations-politik und die drohende Zweiklassengesellschaft unter Einwanderern. Interview: Klaus Taschwer
„Abschreckende Wirkung“
„Wer sich in seine nationale Nische verkriecht, verliert einfach den Anschluss”Migrationsforscher Rainer Bauböck über den modernen Wissenschaftsbetrieb
EUI
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Wie wichtig ist Mobilität für den Migrations-forscher?Sie ist in der Wissenschaft grundsätzlich zur Erfolgsbedingung geworden – sowohl auf individueller wie auch auf fachlicher Ebene: Disziplinen, die den internationalen Austausch nicht fördern, befinden sich am Abstellgleis. Diese ungeheure Mobilisierung und die Vielzahl an Kooperationen im Bereich der Universitäten und der Forschung halte ich im Übrigen für einen der ganz großen Erfolge des europäischen Integrationsprojekts. Wer sich in seine nationale Nische verkriecht oder sich abschottet, verliert einfach den Anschluss.
An welchen Kooperationen sind Sie beteiligt?Ich koordiniere unter anderem ein größeres Projekt, das sich European Citizenship Observatory nennt. Das ist eine riesige
Materialsammlung, die im Sommer online gehen wird und in der alle Zahlen und Fakten von 33 europäischen Ländern aufbereitet werden, die mit Staatsbürgerschaft zu tun haben. Die Forschungsfrage dahinter ist, ob es so etwas wie eine Europäisierung der Staatsbürgerschaftspolitik gibt. Die ist ja einerseits reine Kompetenz der Nationalstaaten. Aber da alle Unionsbürger die Freizügigkeitsrechte in anderen Staaten genießen, gibt es da einen europäischen Zusammenhang. Dieser wurde ja vor kurzem sogar vom österreichischen Außenminister thematisiert, der sich wegen der geplanten Masseneinbürgerungen von Moldawiern in Rumänien Sorgen macht. Wer allerdings die Staatsbürgerschaftspolitik einzelner Mitgliedsländer infrage stellt, muss auch bereit sein, sich auf europäische Mindeststandards beim Zugang der regulären Migranten zur Einbürgerung zu einigen.
Für außerhalb der EU lebende Menschen ist es aber nicht unbedingt einfacher geworden hierherzukommen. Richtig. Es gibt in der EU zwei ganz strikt getrennte Migrationsregimes. Für mich ist es erstaunlich, wie es Akademiker und Politiker immer wieder schaffen, diese zwei Phänomene so zu behandeln, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Auf der einen Seite wurden für die Unionsbürger fast alle Hindernisse für Migration beseitigt. Da redet man auch nicht darüber, dass sie sich in
tegrieren oder Sprachtests absolvieren müssen. Andererseits gibt es eine gegenläufige Bewegung bei den Drittstaatsangehörigen, die beweisen sollen, dass sie integrationswillig sind, bevor sie rechtlich gleichgestellt werden. Die Diskrepanz zwischen den beiden Regimen ist auf die Dauer nicht wirklich haltbar.
Warum?Um ein Beispiel zu nennen: In Italien gab es kürzlich Ausschreitungen gegen rumänische Unionsbürger. Die Wahrnehmung in der Bevölkerung ist, dass das Migranten sind, die mit demselben Humankapital und mit denselben Motiven kommen wie Drittstaatsangehörige. Ich glaube, man müsste in der EU versuchen, diese beiden Regimes besser aufeinander abzustimmen: also liberaler gegenüber Drittstaatsangehörigen und stärkere Integrationserwartungen gegenüber EUBürgern.
Wie und wann kam es zu dieser Verschärfung für Migranten aus Drittstaaten?In den Niederlanden waren die Morde an Pim Fortuyn und Theo van Gogh ein Auslöser einer Trendwende. Multikulturalismus erschien nicht mehr als etwas Positives. Stattdessen setzte sich die Überzeugung durch, dass sich die europäischen Nationalstaaten gegenüber der Migration selbst wieder behaupten müssen und die Migranten sich in eine nationale Gemeinschaft integrieren müssen – auch in Hinsicht auf kulturelle Werte und die nationale Sprache.
Welche Rolle spielte dabei Österreich?Österreich war von Anfang an freudig mit dabei und hat gemeinsam mit Deutschland und Dänemark sehr rasch diese neue Philosophie übernommen und Integrationstests eingeführt, die den Zugang zum Daueraufenthalt und zur Staatsbürgerschaft regeln.
Was spricht dagegen?Die USA und Kanada haben schon lange solche Einbürgerungstests. Aber dort sagte man immer: Die Einwanderer haben ohnehin ein Interesse, die Sprache zu lernen, und wenn man das auf einem niedrigen Niveau vor der Verleihung der Staatsbürgerschaft auch noch abprüft, schreckt das nicht ab. In den Niederlanden, Dänemark und dann vor allem in Österreich setzte sich aber die Auffassung durch, dass das ein echtes Auswahlkriterium ist, nach dem Motto: „Wir wollen nur gebildete Leute dahaben, die anspruchsvolle Tests bestehen können.“ Freilich fallen bei den Tests in Österreich nicht viele Leute durch. Ich vermute eher, dass es eine ab
schreckende Wirkung im Vorfeld gibt. Dafür wären die drastisch sinkenden Einbürgerungszahlen ein Indiz. Außerdem bleiben die meisten Leute, die diese Tests nicht absolvieren, dann trotzdem im Land, weil sie nicht deportierbar sind. Man schafft so eine Zweiklassengesellschaft der Migranten.
Wo macht man es besser?Ich würde in Europa noch am ehesten auf Schweden verweisen und international auf Kanada. Wobei es sehr wichtig ist, den Kontext zu verstehen: Kanada funktioniert deshalb besser als Einwanderungsland, weil es quer über das Parteienspektrum einen Grundkonsens gibt, dass Einwanderung erwünscht ist. Das ist ein Grundproblem in Europa: Selbst in den vergangenen 20 Jahren, als Einwanderung in großem Maßstab stattgefunden hat und auch wirtschaftlich
positive Auswirkungen hatte, entstand kein politischer Grundkonsens, sich auch öffentlich zu einer aktiven Einwanderungspolitik zu bekennen. Immigration wurde politisch als unerwünscht verkauft. Das macht es natürlich schwer, den Einwanderern rechtliche Gleichstellung zu versprechen und sie willkommen zu heißen. 3
Zur Person:Rainer Bauböck ist Politikwissenschaftler und seit 2007 Professor für Politische und Soziale Theorie am renommierten European University Institute (EUI) in Florenz. Er gehört zu den führenden europäischen Migrationsforschern und wurde 2006 mit dem angesehenen Europäischen LatsisPreis ausgezeichnet. Nach seinem Studium an der Universität Wien und einer Ausbildung am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien ging er mit einem SchrödingerStipendium nach Warwick. Danach forschte und lehrte Bauböck unter anderem in Barcelona, Bristol, Budapest, Malmö, Princeton und Yale.
„Immigration wurde politisch als unerwünscht und unkontrollierbar verkauft”
„Staatsbürgerschaft gab es nur für jene, die sich angepasst haben”
„Das macht es natürlich schwer, den Einwanderern rechtliche Gleichstellung zu versprechen”
heureka 1/2009 | Wissenschaft unterwegs16 …
Schlüsselfeld der Forschung Migration soll nationaler Forschungsschwerpunkt werden. So steht es zumindest im Regierungsprogramm 2008 bis 2013. Nur drei Forschungsgebiete sind darin explizit genannt. Migration ist eines davon. M., ein Migrationsforscher, mit dem heureka! sprach, winkt ab. Kenne er schon. Sei ja nicht das erste Mal, dass sein Fach im Regierungsprogramm steht. Geändert habe sich nichts.
Auch der Wissenschaftsminister ist im Wort. Vorigen August in Alpbach listete er Migration als eines von vier Schlüsselfeldern künftiger Forschung auf. Bereits im Jänner 2008 lud Johannes Hahn Fachvertreter ins Ministerium. M. war dabei. Doch er traut weder Regierung noch Ministern. Für ihn zählt erst, wenn etwas auf der Ebene der Beamten läuft. Die einzige Bewegung, die er da orte, sei der Weggang der für sein Fach zuständigen Mitarbeiterin nach Brüssel.
Vielleicht, sagt M., müsse er sich bald selbst im Ausland nach einer Stelle umsehen. Der erste und bis jetzt einzige Lehrstuhl in Österreich, der Migration mit im Titel trägt, wurde im Vorjahr an der DonauUniversität Krems eingerichtet und mit Gudrun Biffl besetzt. Allerdings fehlt der Professur die Dotierung, um wissenschaftliche Mitarbeiter einzustellen. Arbeitsgruppen, die sich am Institut für Höhere Studien oder am Europä ischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozial forschung Migrationsfragen widmeten, gibt es nicht mehr.
M.s Weggefährten von früher forschen mittlerweile in Paris, Istanbul und Australien, haben Lehrstühle in Florenz oder Ankara. Einige sind zu NGOs gegangen. Ein paar sind mittlerweile beim International Center of Migration Policy Development oder dem International Office of Migration beschäftigt. Einer denkt heute im Auftrag einer Bank.
Um seinen Abschied aus Österreich nicht zu beschleunigen, will M. anonym bleiben. Weitere Migrationsforscher, mit denen heureka! sprach, wollen zur Lage ihres Fachs lieber auch nicht namentlich Stellung nehmen. Einer der Gründe heißt Heinz Faßmann.
Ein Mann mit Einfluss Faßmann ist Obmann der Kommission für Migrations und Integrationsforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er ist Mitglied oder Vorstand eines Dutzends weiterer Kommissionen und Fachgesellschaften, Herausgeber von vier Fachzeitschriften, Gutachter für acht Forschungsorganisationen, Österreichs Vertreter im Migrationsforschungsnetzwerk IMISCOE und der meistzitierte Migrationsexperte in den Medien. Heinz Faßmann ist der einflussreichste Migrationsforscher im Land, man könnte auch sagen: der einzige, der überhaupt nennenswerten Einfluss hat. Das verdankt er seiner Beharrlichkeit und dem Umstand, dass er den Regierenden nicht
ständig Fehler und Versäumnisse ihrer Ausländer und Integrationspolitik vorhält. Mitarbeiter schwört er darauf ein, in der Öffentlichkeit keine politischen Aussagen zu machen. Nur die Fakten, bitte. Die Bewertung sei Sache der Politiker. Selbst das Innenministerium, das mit unabhängigen Migrationswissenschaftlern sonst nicht viel
der großeIntegratorEinige österreichische Migrationsforscher sind selbst migriert, andere haben die Wissenschaft aufgegeben. Die Verbliebenen betrachten ihre Lage in Österreich zunehmend als prekär. Nur einer von ihnen gewinnt ständig an Einfluss. Stefan Löffler
Heinz Faßmann ist der einflussreichste Migrationsforscher im Land, man könnte auch sagen: dereinzige, der nennenswerten Einfluss hat
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Wissenschaft hat neutral zu sein – Multifunktionär Heinz Faßmann
heureka 1/2009 | Wissenschaft unterwegs … 17
am Hut hat, kann mit ihm: Faßmann bekam die Herausgeberschaft der Österreichischen Integrations und Migrationsberichte angetragen.
Bericht einer Fragmentierung In seine Hände gelegt wurde auch eine Evaluierung der heimischen Migrationsforschung im Auftrag des Wissenschaftsministeriums. Der Bericht wurde vorige Woche freigegeben. In Kürze soll er als Working Paper der ÖAW vorliegen. Es ist ein Dokument der Zersplitterung. Er zählt „113 Institutionen, die im weiteren Sinne Migrations und Integrationsforschung betreiben“.
Zwar wurden in den letzten fünf Jahren 240 einschlägige Forschungsprojekte und an die 200 beteiligte Wissenschaftler gezählt. Doch die wenigsten von ihnen, nicht mehr als zehn, widmen sich mehr oder minder ganz diesem Gebiet. Österreich verfügt zwar über eine Zahl international anerkannter Experten. Für die Beteiligung an internationalen Projekten, vor allem auf EUEbene, fehlt es aber inzwischen fast überall an kritischer Masse.
Der Bericht dokumentiert auch das Meinungsklima unter denen, die in Österreich zumindest gelegentlich zu Migrationsfragen forschen. Viele sorgen sich wegen der mangelnden institutionellen Verankerung. Vor allem aber wird politische Vereinnahmung beklagt. Während für Grundlagenstudien das Geld fehlt, stecken hinter vielen Auftragsforschungen handfeste Interessen. Fakten und Zahlen würden vielfach verdreht und missbraucht. Die Politik mische sich zu sehr ein.
Streit um die Integration Dass das gerade für den wichtigsten Auftraggeber, das Innenministerium, gilt, steht so nicht im Bericht, wird aber von den Migrationsforschern, mit denen heureka! sprach, bestätigt. Seit die große Koalition in den 1990erJahren aus Angst vor einem noch größeren Erstarken der FPÖ selbst eine populistische Ausländerpolitik betrieb und dafür von den Experten reichlich mit Kritik bedacht wurde, ist das Verhältnis zwischen Innenministerium und Wissenschaft verfahren. Die Beamten laden Fachexperten zum Vorsingen, setzen die Expertise aber ein, wie es ihnen selber passt.
Bezeichnend ist der 2008 erschienene Integrationsbericht. Verfasst wurden die Kapitel von Wissenschaftlern. Als Erstautoren scheinen aber die Spitzenbeamten auf. Daneben leistet sich das Innenministerium sowohl beim Integrationsfonds als auch an der Sicherheitsakademie aus Absolventen mit einschlägigem Hintergrund eigene Forschungsabteilungen, die diesen Namen aus Sicht von M. nicht verdienen.
Ach, hätten sie doch besser zusammengehalten, als es noch Zeit war! Vor vier oder fünf Jahren waren M. und seine Kollegen drauf und dran, sich um ein LudwigBoltzmannInstitut zu bewerben. Als der Einzige, der damals von
ihnen habilitiert war, kniff, verließ die anderen der Mut.
Über ein Zentrum für Migrationsforschung wurde schon 1997 eine Machbarkeitsstudie erstellt. Als 2001 der noch in Erhard Buseks Amtszeit als Wissenschaftsminister angeschobene Forschungsschwerpunkt „Xenophobie, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus“ auslief, der viele in die Migrationsforschung lockte, wurde wieder beratschlagt, wie und wo das disziplinär ausufernde Forschungsgebiet institutionell verankert werden sollte. Faßmanns Argument, die Ansiedelung an einer Uni entfremde die Migrationsforscher an anderen Hochschulen, gab damals den Ausschlag für die ÖAW.
Zentrum ohne Personal Der Weg an die Akademie stellte sich bald als Sackgasse heraus. An der ÖAW wurde die Migrations und Integrationsforschung mit einer „nicht personalführenden Kommission“ abgespeist. Eine einzige Halbtagsstelle musste genügen. An eigene Forschung war damit natürlich nicht zu denken. Zwar kamen einige Migrationsforscher am ÖAWInstitut für europäische Integrationsforschung unter. Dort hat man indessen für sie wenig übrig, seit die erste Direktorin Sonja PuntscherRiekmann im Streit geschieden ist. Budgetkürzungen geben den wenigen, auf das Auslaufen ihrer Verträge wartenden Kräften den Rest.
Nur am ÖAWInstitut für Stadt und Regionalforschung geht alles seinen gewohnten Gang, aber das leitet ja Heinz Faßmann, „wirkliches Mitglied“ der Akademie. Gegen das Aushungern der Migrationsforschung an der ÖAW hätte er mehr Gegenwehr leisten können, finden Kollegen. Faßmann hält dem entgegen, dass es das Wissenschaftsministerium versäumt habe, der Akademie mit der Finanzierung Vorgaben zum Erhalt der Migrationsforschung zu machen.
Nun wird gemunkelt, dass er ein Zentrum für Migrationsfragen an der Uni Wien plant. Faßmann wird nachgesagt, dass er mit dessen Realisierung punkten will, um sich eines Tages zum Rektor wählen zu lassen. Dekan und Senatsmitglied ist er bereits.
Zurück zu seinem Bericht ans Wissenschaftsministerium. Der endet mit zwei Empfehlungen. Die versprengten Forscher sollen stärker vernetzt werden. Durch einen gemeinsamen Datenpool, durch Projekte, an denen sich viele beteiligen können, oder auch durch eine international sichtbare Publikationsreihe. Darüber hinaus brauche es eine „Leuchtturminstitution“.
Käme ein solches Zentrum für Migrations und Integrationsforschung zustande, fragte heureka! eher der Form halber beim Autor der Empfehlung nach, würde er sich aufgrund seiner vielen Verpflichtungen ja wohl nicht als Direktor bewerben? Ach woher. Heinz Faßmann packt auch das noch. 3
Der Weg an die Akademie erwies sich für die Migrationsforschung als Sackgasse
Knusprige Präsentation, aber keine unabhängige Forschung beim österreichischen Inte-grationsfonds
heureka 1/2009 | Wissenschaft unterwegs18 …
Y-Chromosome, mitochondriale DNA, ja sogar Magenkeime weisen den Weg. Durch die Analyse von Erbsubstanz versuchen Genetiker, die Besiedelung der Erde durch den Menschen zu rekonstruieren.
Birgit Dalheimer und Oliver Hochadel
dNA auf Wanderschaft
Retrospektive Genetik Die Idee ist bestechend: Um den Schleier unserer Herkunft zu lüften, geht man nicht in die afrikanische Savanne Fossilien suchen, sondern ins wohltemperierte Labor und analysiert
dort das Erbgut heute lebender Menschen. Anhand der statistisch errechneten Wahrscheinlichkeit für kleine Änderungen in der DNA pro Generation lässt sich so etwas wie eine „molekulare Uhr“ kalibrieren – und dadurch etwa im Vergleich mit der DNA von Schimpansen rückrechnen, wann sich beide Linien trennten.
Schon 1967 behaupteten Genetiker um Vincent Sarich, dass das vor fünf Millionen Jahren geschehen sei. Manche Paläoanthropologen waren bis dahin von bis zu 30 Mil
lionen Jahren ausgegangen. Entsprechend verschnupft waren die Fossilienjäger über diese unbotmäßige Einmischung in ihren Herrschaftsbereich.
Der nächste Coup gelang Allan Wilson, Rebecca Cann und Mark Stoneking. Sie nutzten für ihre Rückrechnungen sogenannte mtDNA. Das ist Erbsubstanz aus den Mitochondrien und nicht aus dem Zellkern, die nur von der Mutter auf ihre Kinder vererbt wird, sich also nicht von Generation zu Generation mischt. So gelangten die drei Molekularbiologen 1987 zur Theorie der „schwarzen Eva“, der gemeinsamen „Urmutter“ aller heute lebenden Menschen, die vor rund 150.000 Jahren in Afrika lebte.
Im Magen um die Welt Die Aussagekraft dieser retrospektiven Genetik wurde seither viel diskutiert, mehr oder weniger scharf kritisiert (siehe das Interview rechts), teils revidiert, vor allem aber: weiterentwickelt. Das vergleichende Rückrechnen wurde zu einer zentralen Methode der Populations
genetik, um so die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Gruppen zu klären – und damit auch: wann und auf welchen Wegen die Erde besiedelt wurde.
Neben der mtDNA wird von den Migrationsforschern das YChromosom genutzt, das nur vom Vater an die Söhne vererbt wird. Aber auch Heliobacter pylori wird befragt. Dieses Bakterium hat sich schon vor Urzeiten im Magen der Hälfte aller Menschen eingenistet, sorgt dort für Geschwüre – und Freude bei den Biologen. Da der Magenkeim mit einer bestimmten „Geschwindigkeit“ mutiert, lässt er sich als molekulare Uhr nutzen. Mark Achtman vom MaxPlanckInstitut für Infektionsbiologie in Berlin und seine Kollegen konnten 2007 damit die „Out of Africa“Theorie weiter untermauern, wonach der moderne Mensch nur in Afrika entstand und von dort aus vor etwa 60.000 Jahren die Erde bevölkerte.
Forscher um Yoshan Modle rekonstruierten heuer mit derselben Methode zwei Besiedelungswellen von Südostasien nach Australien und den Südpazifik vor 30.000 und 5000 Jahren (Science 323, 479). Er
Wir wissen, woher ihr kommt: Die US-Genetikerin Sarah Tishkoff erklärt dem Volk der Hazda in Tansania ihr Forschungsprojekt zur Gen geschichte Afrikas
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In Afrika wurde buchstäblich seit Menschengedenken hin und hermigriert
Eine Speichelprobe, bitte! Auf DNA-Safari in Afrika
heureka 1/2009 | Wissenschaft unterwegs … 19
Gerhard Weber und seine Kollegen von der Universität Wien haben mit computergestützten Methoden der virtuellen Anthropologie einen neuen Blick auf
alte Schädel geworfen. Und warten mit einem neuen Szenario über die Migrationsmuster des frühen Menschen auf.
heureka!: Eine geläufige Theorie über die Aus-breitung des modernen Menschen geht davon aus, dass dieser vor knapp 200.000 Jahren in Ostafrika erschien, vor 80.000 bis 60.000 Jahren über die Arabische Halbinsel nach Eu-rasien auswanderte und in weiterer Folge die ganze Erde besiedelte. Sie sagen, so linear sei es nicht abgelaufen.Gerhard Weber: Unsere Untersuchungen legen nahe, dass der moderne Mensch Afrika nicht in einer, sondern in mehreren Auswanderungswellen verlassen hat. Zudem ist davor und im Zuge dieser Auswanderungswellen in Afrika selbst auch einiges passiert. Da entwickelten sich verschiedene Populationen von Homo sapiens, breiteten sich über den Kontinent aus, waren vielleicht zigtausend Jahre lang voneinander getrennt und vermischten sich dann teilweise wieder. Diese Menschen waren also vermutlich immer schon mobiler als ihre Vorgänger, die archaischen Menschen. Sie sind mehrfach aus Afrika ausgewandert und eventuell teilweise auch wieder zurückgekommen.
Das heißt, der Exodus nach Eurasien war kei-ne Einbahn?Er war wahrscheinlich weder eine Einbahn noch die einzige Route, die die in Afrika lebenden Menschen interessiert hat. Wir
glauben, dass der Homo sapiens auch über die Straße von Gibraltar nach Europa gekommen ist. Was eigentlich auch nicht weiter verwunderlich wäre.
Warum?Wenn es der Homo sapiens geschafft hat, schon vor fast 60.000 Jahren bis nach Australien zu kommen, warum sollte er dann nicht auch die Meerenge von Gibraltar überwunden haben? Die kürzeste Meeresdistanz, die man damals bis nach Austra
lien überwinden musste, betrug 80 Kilometer. Und von Afrika nach Europa, das man bei Gibraltar von der anderen Seite aus sogar sehen kann, sind es gerade einmal 13 Kilometer.
Zuletzt haben die Geschichte der frühen Wan-derbewegungen des modernen Menschen vor allem Genetiker geschrieben. Sie vermessen wie früher Anthropologen Skelettteile.Stimmt, wir schauen uns wieder die Schädelform an – aber in einer Weise, die vorher unmöglich war: am Computer. In der letzten Untersuchung waren das 200 Schädel vom Homo erectus, den Neandertalern und dem modernen Menschen. Auf jedem dieser Schädel legten wir knapp 500 Messpunkte fest. Beim Vergleich der Messergebnisse zeigte sich, dass die Variabilität der Schädelformen schon bei den frühen modernen Menschen extrem hoch ist – größer als zum Beispiel beim Homo erectus oder den Nean
dertalern. Das und die Verbindungen, die man zwischen den sich ähnelnden Schädelformen finden kann, deutet eben auf eine besonders große Mobilität der modernen Menschen von Anfang an hin. Für solche Aussagen muss man die Gesamtform vieler Schädel vergleichend im Auge behalten, und das geht nur mit den Methoden der virtuellen Anthropologie, mit denen wir arbeiten.
Der molekularen Anthropologie und ihren stammesgeschichtlichen Rückschlüssen aus der Untersuchung der DNA heute lebender Men-schen trauen Sie das nicht zu?Wir regen mit unserer Arbeit an, dass die Genetiker ihre Modellannahmen verfeinern sollten. Da hat nach dem genetischen Hype Ende der 1980erJahre eine gewisse Ernüchterung eingesetzt.
Was ist das Problem bei genetischen retrospek-tiven Methoden?Man muss bei der Auswertung dieser Daten immer sehr viele Annahmen treffen – über Mutationsraten, Populationsgrößen und dergleichen. Das Ergebnis hängt völlig von diesen Annahmen ab. Große Diversifikation schon in Afrika, so wie wir das finden, also nicht der einfache Exodus aus Afrika, sondern komplexe Migrationsmuster innerhalb Afrikas und zwischen den Kontinenten – das sind Dinge, vor denen sich Genetiker eher scheuen, weil sie das Modell extrem verkomplizieren. Wir denken, dass die zuverlässigsten Ergebnisse aus einer Zusammenarbeit zwischen der Genetik und einer modernen Morphometrie, der Methode, mit der wir hier arbeiten, entstehen können. Interview: Birgit Dalheimer
„Immer schon mobil“
gänzt und sogar noch verfeinert wurde dieses Szenario durch neuseeländische Sprachwissenschaftler um R.D. Gray, die mit computergestützter historischer Linguistik die jüngere Migration von Menschen und Wörtern von Taiwan bis zur Osterinsel nachzeichneten. Das ist der Wissenschaftlertraum: dass zwei voneinander völlig unabhängige Untersuchungen mit gänzlich unterschiedlichem Material zu ähnlichen Ergebnissen kommen.
Gene schreiben Geschichte Die Parameter Genetik und Sprache sind auch die Grundlage einer zehnjährigen Megastudie, die die USGenetikerin Sarah Tishkoff und 24 (!)
Kollegen am 30. April in Science (online) veröffentlichten. Dafür wurden über 3000 Personen aus 121 afrikanischen, vier afroamerikanischen und 60 nichtafrikanischen Gruppen um Speichelproben gebeten.
Die Forscher konnten 14 „ursprüngliche“ Populationen ermitteln, d.h. genetisch charakterisieren. Interessanterweise fanden sie in fast allen dieser 14 „Urgruppen“ auch eine starke Vermischung mit anderen Populationen. Sprich: In Afrika wurde buchstäblich seit Menschengedenken hin und her migriert.
Tishkoff et al. wollen auch die Herkunft der Afroamerikaner entschlüsselt haben, die zu 71 Prozent von der westafrikani
schen nigerkordofanischen Population abstammten, aber zu 13 Prozent auch von Europäern.
Und schließlich haben die mit den Daten gefütterten Programme auch den Punkt ausgespuckt, an dem die Wanderung des Menschen in Afrika begann: Er liegt auf 12,5º Ost und 17,5 º Süd, also an der Grenze von Namibia und Angola. Den Kontinent verlassen haben die Menschen über das Rote Meer, und zwar genau auf 35,7º Ost und 22,5º Nord.
Lesen Sie unter www.heurekablog.at, wie private Firmen gegen gutes Geld anbieten, die genetischen Wurzeln jedes Einzelnen zu erforschen. Und was daran problematisch ist.
„Die Genetiker sollten ihre Modellannahmen verfeinern”
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Warum migrieren Tiere?Meistens geht es um Nahrungsressourcen, zum Teil auch um Partnersuche oder die Versorgung des Nachwuchses. Wenn es anderswo besser ist, zieht man dorthin. So sind mitunter recht skurrile Strategien zustande gekommen. Beim Europäischen Aal zum Beispiel handelt es sich ursprünglich um einen Tiefseebewohner, dessen Jungtiere „gelernt“ haben, das reiche Nahrungsangebot von Flüssen und Seen zu nutzen. Aber dennoch laichen die schlangenartigen Fische nach wie vor in den Tiefen der rund 6000 Kilometer weit entfernten Sargassosee im Westatlantik, was sich übrigens bis heute dem Auge der Wissenschaft entzieht.
Wie sehr ist das „Ziehen“ genetisch gesteuert, oder können Tiere das lernen?Der Wandertrieb ist zumindest weitgehend angeboren und vererbbar. Laut der sogenannten „ZugschwellenHypothese“ hat sogar jede Tierart einen genetisch veranlagten Drang zur Abwanderung, der immer dann aktiviert wird, wenn sich die Lebensbedingungen zu stark verschlechtern. Bei vielen Spezies ist der Zugtrieb allerdings flexibel. So lebten zum Beispiel kalifornische Hausgimpel ursprünglich weitgehend sesshaft. Als der Mensch einige von ihnen an die Ostküste der USA brachte und die Vögel sich dort vermehrten, begannen immer mehr Angehörige dieser Population im Winter immer weitere Strecken in den Süden zu wandern. Der Trend hält bis heute an (Proceedings of the Royal Society of London B 265, S. 2063).
Migrieren immer alle Tiere einer Art?Nicht unbedingt. Unter Vögeln etwa ist der „Teilzug“ weit verbreitet. Bei teilziehenden Spezies wie Amsel und Buchfink wandert nur eine gewisse Anzahl von Individuen im Winter ab. Je nach Witterung erlangen mal die Migranten, mal die Daheimbleiber Vorteile. Letztere können zum Beispiel im Frühling zuerst die besseren Reviere besetzen. In strengen Wintern dagegen kann Heimattreue tödlich sein. Wer dann in den warmen Süden geflohen ist, findet
zu Beginn der Brutsaison jede Menge freie Siedlungsräume vor. Die Konkurrenz ist schlichtweg verhungert oder erfroren.
Warum sterben Lachse eigentlich nach dem Ablaichen?Pazifische Lachse der Gattung Oncorhyn-chus pflanzen sich in der Tat nur einmal fort, die Ufer nordwestamerikanischer und ostasiatischer Lachsflüsse sind deshalb all
jährlich übersät mit Fischkadavern. Das mag wie Verschwendung anmuten, doch das programmierte Massensterben ist Teil einer komplexen Fortpflanzungsstrategie. Die Lachsleichen stecken voller Nährstoffe, vor allem Stickstoffverbindungen. Die Fische haben sie quasi vom Meer in die kargen Regionen der Flussoberläufe transportiert. Durch ihren Tod düngen die Lachse
also ihre Kinderstuben. Bäume und Pflanzen am Ufer wachsen schneller, Insekten finden mehr Nahrung, das ganze Ökosystem profitiert (vgl. u.a. Freshwater Biology 51, S. 1211). Und damit natürlich auch der Lachsnachwuchs.
Welche Strecken können Tiere auf ihren Wan-derungen zurücklegen?Einige tierische Migranten vollbringen geradezu unglaubliche Leistungen. Die erwähnten Pazifischen Lachse wandern im Yukon und seinen Nebenflüssen bis zu 4000 Kilometer stromaufwärts. Atemberaubend ist auch die Odyssee eines weiblichen Weißen Hais: Das Tier schwamm von den Gewässern nahe des Kaps der Guten Hoffnung zielstrebig in nur 99 Tagen an die Westküste Australiens und bald darauf wieder zurück (vgl. Science 310, S. 100). Es wird vermutet, dass die Raubfischdame auf der Suche nach einem Partner war, ihre Jungen aber vor der nahrungsreichen südafrikanischen Küste zur Welt bringen wollte.
Die kühnsten Weltreisenden findet man allerdings unter den Vögeln. Küstenseeschwalben pendeln sogar jährlich zwischen Arktis und Antarktis hin und her. Pfuhl
Immer dem Magnetsinn nach Rund um den Globus begeben sich ständig Milliarden Vögel und Fische auf den Weg.Warum und wie sie das machen – und welche unglaublichen Leistungen sie dabei vollbringen: neun Fragen und neun Antworten. Kurt de Swaaf
Ein Weißer Hai schwamm in 99 Tagen vom Kap der Guten Hoffnung nach Australien
Einige Vogelarten „ver brennen“ unterwegs sogar einen Teil ihrer Muskulatur
APA
bzw
. dpa
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schnepfen wandern ebenfalls um den halben Globus und haben sich als echte Extremsportler erwiesen (vgl. Proceedings of the Royal Society of London B 276, S. 447). Sie schaffen es, die mehr als 11.000 Kilometer lange Strecke zwischen ihrem Brutgebiet in Alaska und dem Winterquartier in Neuseeland nonstop quer über den Pazifik zurückzulegen – acht Tage Flug ohne Zwischenlandung!
Wie gelingt es den Wissenschaftlern, wan-dernde Tiere so präzise zu verfolgen?Die moderne Kommunikationstechnologie hat der Forschung ungeahnte Perspektiven eröffnet. Überall auf der Welt schwimmen, fliegen oder laufen heutzutage Kreaturen mit Funksendern herum. Diese „Tracking“Apparaturen melden nicht nur die Position ihrer Träger, sondern können auch Umweltdaten wie Temperatur, Wasserdruck und dergleichen messen, speichern und an Satelliten senden. Manchmal werden die Geräte chirurgisch in den Körper der Tiere eingepflanzt, um so ihre Bewegungsfreiheit möglichst wenig zu beeinträchtigen. Einige Experten planen derweil, brisante Militärtechnik zu Forschungszwecken zu nutzen. Sie wollen ziehende Vögel auf ihrem Flug mit Drohnen folgen und filmen.
Mit welchen Tricks überstehen die Tiere die weiten Reisen?Fett ansetzen ist wohl am meisten verbreitet, denn schließlich brauchen die tierischen Migranten große Mengen Treibstoff für ihre Muskeln, und unterwegs auftanken kann manchmal sehr schwierig oder gefährlich sein. Einige Vogelarten „verbrennen“ unterwegs sogar einen Teil ihrer Muskulatur. Um Wasserverluste einzudämmen, verstecken sich europäische Singvögel bei ihrem Zug über die Sahara tagsüber meist an schattigen Stellen in der Wüste. Geflogen wird dann in der kühlen Nacht (vgl. Proceedings of the Royal Society of London B 274, S. 735).
Wie orientieren sich Tiere bei ihren Wande-rungen?Hier hat die Wissenschaft noch reichlich Arbeit vor sich, denn vieles ist ungeklärt. Auf jeden Fall gibt es unter Tieren eine ganze Palette von Navigationsmethoden.
Fische können sich anscheinend die charakteristischen Düfte von Gewässern einprägen. Temperatur, Lichtverhältnisse und Tageslänge dürften ebenfalls von vielen Tierspezies zur Orientierung genutzt werden. Über See fliegende Vögel erkennen offensichtlich an der Wolkenbildung die Position von Inseln, bevor diese über dem Horizont sichtbar werden. Viele Tierarten scheinen sich mithilfe eines Magnetsinns zu orientieren. Am berühmtesten ist wohl der Magnetkompass, welcher vom Frankfurter Forscherehepaar Wiltschko im Auge des Rotkehlchens nachgewiesen wurde (vgl. u.a. Naturwissenschaften 91, S. 585). Dieser funktioniert wahrscheinlich mittels
Sinnenszellen, die mit sogenannten cryptochromen Flavoproteinen ausgestattet sind. Diese Proteine reagieren auf das Magnetfeld der Erde und liefern Reize an das Nervensystem (Nature 435, S. 387).
Ändern sich Tiermigrationen infolge des Kli-mawandels?Ohne Zweifel! Wenn sich das Klima und somit die Umweltbedingungen in einem bestimmten Gebiet verändern, müssen die dort brütenden oder sich ernährenden Tiere gegebenenfalls in andere Regionen ausweichen. Die Frage ist nur, ob ihnen das gelingt. In Europa zum Beispiel könnten sich ganze Vegetationszonen und Ökosysteme nach Norden verlagern. Zugvögel wie die sogenannten Grasmücken müssten infolgedessen mehrere hundert Kilometer weiter von ihren afrikanischen Winterquartieren in ihre Brutgebiete fliegen, wie das Journal of Biogeography kürzlich errechnete. Experten befürchten, dass einige Arten die Strapazen zusätzlicher Strecken nicht verkraften und aussterben würden (Ibis 148, S. 8).
Lesen Sie eine Langfassung des Texts unter www.heurekablog.at
Bei den Amseln wandert nur ein Teil der Indi-viduen im Winter ab
Die migrierenden Lachse düngen nach ihrem Tod mit den eigenen Kadavern ihre Kinderstuben.
heureka 1/2009 | Wissenschaft unterwegs22 …
Fremdlinge mit Folgen Sie kommen als blinde Passagiere im Schiff, Flugzeug oder Lastwagen. Manche verbergen sich in einer Ladung alter Autoreifen, andere kommen als Souvenir im Handgepäck. Sind sie erst einmal eingereist, bleiben sie oft für immer. Tag für Tag siedeln sich Tiere und Pflanzen fern ihrer angestammten Gebiete an. In der neuen Heimat vertreiben sie nicht selten alteingesessene Bewohner und bringen das Ökosystem aus dem Lot.
Allein in Europa gibt es über 11.000 gebietsfremde Arten, korrekt „Neobiota“ genannt. Davon verursacht etwa ein Zehntel nachweislich ökologische und wirtschaftliche Schäden. Das berichtet eine europäische Expertengruppe im Wissenschaftsmagazin Science (Bd. 324, S. 40) Anfang April. Die Forscher schätzen die verursachten Kosten, die etwa durch Bekämpfungsmaßnahmen oder Ertragsverluste entstehen, auf jährlich zehn Milliarden Euro.
Womöglich ist die Zahl aber noch höher anzusetzen: „Die wahren Kosten sind sehr schwer zu kalkulieren“, erklärt Montserrat Vilà, Biologin an der Estación Biológica de Doñana in Sevilla. Im Fachjournal Frontiers in Ecology and the Environment hat Vilà gemeinsam mit Kollegen Mitte April eine erste Schadenserhebung gewagt. Sie beziffern die Verluste, die allein die britische Landwirtschaft durch eingewanderte Insekten und Spinnentiere erleidet, auf 2,8 Milliarden Euro jährlich. In einer Liste der „teuersten“ Invasoren nennt Vilà unter anderen die dickstielige Wasserhyazinthe, die „Killeralge“ Chrysochromulina polylepis oder auch die als Nutria bekannte Biberratte, deren Beobachtung und Kontrolle jährlich jeweils rund drei Millionen Euro verschlingt.
Europäischer Ernstfall Das Team bezieht seine Erkenntnisse aus der ersten Datenbank über nichtheimische Arten in Europa, DAISIE (Delivering Alien Invasive Species Inventories for Europe). Die dort gesam
melten Befunde haben die EUKommission bereits veranlasst, ein Strategiepapier vorzulegen. „Das ist uns nicht genug“, moniert
indes Vilà. Sie und andere Experten forderten in Science die Einrichtung einer zentralen EUInstitution zur Überwachung und Bekämpfung der invasiven Spezies.
Das Problem ist hausgemacht: „Mehr als die Hälfte der Arten wurden vorsätzlich eingeführt“, erläutert Vilà. „Das gilt vor allem für Pflanzen, die meist als Zier oder Nutzpflanzen für Forst und Landwirtschaft ins Land gebracht werden.“ Andere
werden unbeabsichtigt eingeschleppt. „Das Ballastwasser von Schiffen beispielsweise enthält häufig Larven“, sagt Vilà. „Wenn ein Schiff sein Wasser in einem anderen Meer ablässt, dann kann sich die Spezies dort ansiedeln.“
Die Zuwanderer profitieren auch vom Klimawandel, wie Ende April eine Tagung
in Wien zeigte: „Neobiota sind meist opportunistische Arten, die besonders rasch
und flexibel auf sich ändernde Umweltbedingungen reagieren“, erklärte Wolfgang Rabitsch vom Umweltbundesamt. Die
spanische Wegschnecke etwa, einst im Gemüsetransport angereist, hat
sich seit Ende der 1960erJahre dank des milderen Klimas nördlich der Alpen explosionsartig vermehrt.
Aliens in Austria In Österreich gelten etwa der Signalkrebs, der Kartoffelkäfer oder die Bisamratte als problematisch.
Einst wegen ihres schönen Pelzes ins Land gebracht, hat
sich Letztere entlang von Flusstälern und Feuchtbiotopen heimisch gemacht. In Uferbereichen, wo das Nagetier seine Höhlen gräbt, verursacht es oft große Schäden.
Ein Neuzugang ist die Amerikanische Rebzikade, die seit 2004 in der Steiermark vorkommt. „Sie saugt an Weinreben und überträgt ein Bakterium, das zur Vergilbung der Blätter und Wachstumsstörungen führt“, erklärt Rabitsch. Sorgen bereitet auch der Asiatische Laubholzbockkäfer, der vor wenigen Jahren mit befallenem Verpackungsholz einreiste. Seine Larven fressen sich durch das Holz von Laubbäumen und bringen sie zum Absterben.
Solch vereinzelte Zerstörungswut hat den Neobiota eine schlechte Presse beschert, die so manches Feindbild heraufbeschwört. Wie fragwürdig es jedoch ist, heimische Arten als „gut“, fremde dagegen als „schlecht“ zu etikettieren, zeigt das Beispiel des Höckerschwans: Im späten 19. Jahrhundert in Österreich ausgesetzt, gehört er heute zum Landschaftsbild. Als „Fremdling“ würde ihn wohl niemand mehr bezeichnen. 3
Bio-Invasion in europaLebewesen, die absichtlich oder unabsichtlich in neue Gebiete eingeschleppt werden, können dort erhebliche Schäden anrichten. Nun haben Forscher erstmals die von den „Alien Species“ verursachten Kosten geschätzt. Ulrike Fell
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In Österreich gelten der Signalkrebs, der Kar toffelkäfer oderdie Bisamratte alsproblematisch
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