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„Miteinander spielen!“
Landestheater und Bespieltheater in NRW // Bestandsaufnahme und Perspektiven
6. Februar 2019 Rheinisches Landestheater Neuss
Tagungsdokumentation
Eine Veranstaltung im Rahmen des Förderprogramms „Heimwärts“. Gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
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INHALT
Tagungsprogramm Seite 3
Impulsreferate am Vormittag Seite 4
Protokolle der Thementische Seite 6
- Thementisch 1: Infrastruktur der Theatergebäude Seite 7
- Thementisch 2: Programmförderung der Bespieltheater Seite 8
- Thementisch 3: Das Publikum von morgen Seite 10
- Thementisch 4: Kooperationen vor Ort / Bildungspartnerschaften Seite 12
- Thementisch 5: Bespieltheater und die Kommunalpolitik vor Ort Seite 13
- Thementisch 6: Mein Publikum – das (un)bekannte Wesen? Seite 14
- Thementisch 7: Interkultur Seite 15
- Thementisch 8: Kulturelle Teilhabe und Inklusion Seite 17
WDR 3 Forum: Abschlussgespräch „Perspektiven und Ausblick“ Seite 19
Vorne, v. l. n. r.: Wesko Rohde (DTHG-Vorstandsvorsitzender), Bernward Tuchmann (INTHEGA-Geschäftsführer), Stefan Dörr (Verwaltungsdirektor, Landestheater Detmold), Isabel Pfeiffer-Poensgen (Ministerin für Kultur und Wis-senschaft des Landes NRW), Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger (Kulturdezernentin, Landschaftsverband Westfalen-Lippe), Georg Heckel (Intendant, Landestheater Detmold) Hinten, v. l. n. r.: Reinar Ortmann (Intendant, Rheinisches Landestheater Neuss), Antje Nöhren (Geschäftsführerin, Kultursekretariat NRW Gütersloh), Heike Czarnetzki-Buschheuer (Verwaltungsleitung, Burghofbühne Dinslaken), Mirko Schombert (Intendant, Burghofbühne Dinslaken), Dirk Gondesen (Verwaltungsdirektor, Rheinisches Lan-destheater Neuss), Günter Wohlfarth (Geschäftsführender Direktor, Westfälisches Landestheater Castrop-Rauxel), Caroline Stolz (Intendantin ab 2019/20, Rheinisches Landestheater Neuss)
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TAGUNGSPROGRAMM 11.00 Uhr Begrüßung durch Moderator Peter Grabowski 11.05 Uhr Grußwort: Dr. Christiane Zangs, Kulturdezernentin der Stadt Neuss 11.15 Uhr Impulsreferat: Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen 11.35 Uhr Impuls „Bestandsaufnahme Gastspielmarkt NRW“
Frank Schellenberg, Geschäftsführer der actori Gmbh 12.00 Uhr Impuls „Infrastruktur der Theatergebäude“ Bernward Tuchmann, Geschäftsführer der INTHEGA, Wesko Rohde, Vorstandsvorsitzender der DTHG
(Deutsche Theatertechnische Gesellschaft) 12.20 Uhr Impuls „Programmförderung der Bespieltheater“
Antje Nöhren, Geschäftsführerin des Kultursekretariats NRW Gütersloh, Christian Schäfer, Künstlerischer Leiter des Theaters Gütersloh
12.40 Uhr Impuls „Das Publikum von morgen“
Stefan Fischer-Fels, Leiter des Jungen Schauspielhauses Düsseldorf und Vorstand der ASSITEJ Deutschland
14.00 Uhr Thementische 14.10 Uhr Thementisch: 1. Runde 14.50 Uhr Thementisch: 2. Runde 16.00 Uhr WDR 3 Forum
Moderiertes Gespräch „Perspektiven und Ausblick“ mit:
- Dr. Hildegard Kaluza, Abteilungsleiterin Kultur, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW
- Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, Kulturdezernentin, Landschafts-verband Westfalen-Lippe
- Paul Borgardts, Leiter des Städtischen Bühnenhauses Wesel, stellv. Vorsitzender der INTHEGA-Landesgruppe NRW, Sprecher Arbeitskreis Theater im Kultursekretariat NRW Gütersloh
- Reinar Ortmann, Intendant, Rheinisches Landestheater Neuss
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IMPULSREFERATE AM VORMITTAG
Die Stärkung des Theaters in der Fläche war das Ziel der Fachtagung „Landestheater und
Bespieltheater in NRW – Bestandsaufnahme und Perspektiven“ am Mittwoch, 6. Februar
2019, im Rheinischen Landestheater Neuss. Anlässlich der Ergebnisse der „Bestandsauf-
nahme Gastspielmarkt NRW“ hatten das Kultursekretariat NRW Gütersloh, die INTHEGA
(Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen e. V.) und die Landestheater
NRW – das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel, das Landestheater Detmold, die
Burghofbühne Dinslaken und das Rheinische Landestheater Neuss – die gemeinsame Kon-
ferenz initiiert.
Über 100 Gastspiel-Veranstalter*innen, Kulturschaffende und Kulturpolitiker*innen setzten
sich mit den Herausforderungen und Perspektiven der Theaterarbeit in den ländlichen Regio-
nen auseinander. Im Zentrum der Tagung standen Fragen nach dem baulichen Zustand der
Theatergebäude oder nach potentiellen Fördermodellen für Bespieltheater, die über kein ei-
genes Ensemble verfügen. Dr. Christiane Zangs, Kulturdezernentin der Stadt Neuss, be-
tonte in ihrem Grußwort* die Rolle der Theater als „Orte des Treffens, der Begegnung, als
Fixpunkte des gesellschaftlichen Austausches, der Diskussion wie der Reflexion, und damit
auch immer als Foren der Demokratie.“
Gast der Konferenz war Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft
des Landes Nordrhein-Westfalen.
„Theater laden die Menschen ein,
ihre Wahrnehmung zu schärfen, mit-
einander ins Gespräch zu kommen
und selbst initiativ zu werden. Die
Programmangebote der Landes-
theater und der Bespieltheater
decken dabei eine große Bandbreite
ab: Vom Experiment bis zur guten
Unterhaltung, von der großen
Schauspielproduktion bis zur kleinen mobilen Bühne, von der Opernproduktion mit Orchester
bis zum Tanz. Das macht die Theater zu einer unverzichtbaren Säule des Kulturlebens in
den Städten und Regionen Nordrhein-Westfalens“, sagte die Ministerin.
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Frank Schellenberg, Geschäftsführer der
actori GmbH, stellte die „Bestandsauf-
nahme Gastspielmarkt NRW“ vor, die von
den vier Landesbühnen in Auftrag gege-
ben und vom NRW-Kulturministerium ge-
fördert wurde. In seinem Beitrag* gab er
einen Gesamtüberblick über die räumli-
chen, infrastrukturellen und finanziellen
Rahmenbedingungen der Bespieltheater.
Bernward Tuchmann, Geschäftsführer der INTHEGA, und Wesko Rohde, Vorstandsvorsit-
zender der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft, zeichneten in ihrem Vortrag* über
die Infrastruktur von Theaterbauten ein heterogenes Bild der Theaterlandschaft in der Flä-
che. Ein Plädoyer für eine stärkere
Förderung der Bespieltheater* hiel-
ten Antje Nöhren, Geschäftsführe-
rin des Kultursekretariats NRW Gü-
tersloh, und Christian Schäfer,
künstlerischer Leiter des Theaters
Gütersloh. Zuletzt sprach Stefan
Fischer-Fels, Leiter des Jungen
Schauspielhauses Düsseldorf und
Vorstand der ASSITEJ Deutschland,
über “Das Publikum von morgen”.*
Das Theatermagazin „Die Deutsche Bühne“ berichtet im April 2019 über die Fachtagung und
die zentralen Impulsvorträge: „Die Fragen, mit denen sich die NRW-Vertreter in Neuss be-
fassten, waren nicht nur kulturelle, sondern im Grunde soziale Fragen“, so Autorin Hannah
Schmidt (Die Deutsche Bühne, 4/2019)
* Die ausführlichen Manuskripte bzw. Präsentationen der oben mit einem Stern gekenn-
zeichneten Beiträge können gerne unter buero@landestheater-nrw.de angefordert werden.
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PROTOKOLLE DER THEMENTISCHE
An acht Thementischen diskutierten die Tagungs-Teilnehmer*innen am Nachmittag unter-
schiedliche Aspekte der vorangegangenen Impulsreferate sowie Fragen der Besucher-
struktur, Interkultur oder Inklusion. Ebenso erörterten die Gäste verschiedene Kooperations-
möglichkeiten von Bespieltheatern mit lokalen Institutionen oder den Austausch mit der
Kommunalpolitik vor Ort.
Es folgen die Protokolle der jeweiligen Thementisch-Moderator*innen.
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Thementisch 1: INFRASTRUKTUR DER THEATERGEBÄUDE Moderation/Protokoll: Bernward Tuchmann, INTHEGA-Geschäftsführer
Gastspielhäuser machen einen elementaren Bestandteil der Theaterlandschaft aus und stel-
len eine unverzichtbare Größe für den Erhalt des Kulturangebotes dar. Problematisch zu be-
trachten sind jedoch die infrastrukturellen Rahmenbedingungen vieler Spielstätten mit teil-
weise maroden Theatern, Stadthallen und Kulturhäusern. Es ist daher notwendig, neben der
Bedeutung der kulturellen Inhalte auch die einer funktionierenden Infrastruktur in den Mittel-
punkt der kulturpolitischen Debatte zu stellen.
Im Rahmen der beiden je 40-minütigen Diskussionen am Thementisch „Infrastruktur der The-
atergebäude“ wurden zentrale Fragen behandelt wie „Was erwarten Kommunen mit Gast-
spieltheatern von den politischen Akteur*innen?“, „Welche Rolle spielen die Netzwerke und
Verbände“ und „Wie kann sich gemeinsames Handeln positiv auswirken?“
Ein Schwerpunkt der Diskussion lag in der Betonung der notwendigen, jedoch oft nicht vor-
handenen Fachlichkeit bei den sehr unterschiedlichen Bau- und Sanierungsarbeiten in den
Spielstätten. Viele Klein- und Mittelzentren verfügen allein schon auf Grund ihrer Größe sel-
ten über ausgeprägte Verwaltungsstrukturen, sodass eine externe fachliche Begleitung im
Vorfeld der jeweiligen Maßnahme enorm wichtig und entsprechend frühzeitig einzubinden ist.
Auch hinsichtlich der Kosteneinschätzung ist bei sämtlichen Vorhaben eine fachliche und re-
alistische Betrachtung von großer Wichtigkeit; es gilt, die vorgesehenen Projekte weder „bil-
lig“ zu rechnen, noch bedeutet es, eine unrealistische und somit kostenintensive Perfektion
als Maßstab zu nehmen.
Ein grundlegendes Problem bei Sanierungsmaßnahmen wurde ebenso deutlich: Viel zu häu-
fig lassen sich die Initiatoren solcher Maßnahmen grundsätzlich und zuerst von der Frage
der baulichen Machbarkeit leiten, weniger jedoch von der inhaltlichen Konzeption. Genau
diese aber muss zuerst vorliegen. Also gilt es, die Kulturfachlichkeit – hier: die Erfahrung der
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Veranstalter*innen von Gastspielen – in den Mittelpunkt zu stellen und durch die Beteiligung
der Fachleute in den Kulturämtern sicher zu stellen.
Eine konkrete Anregung war, eine „Mängelliste“ hinsichtlich der technischen Ausstattung in
Gastspielhäusern abzufragen, damit vorrangig den Anbietern von Produktionen (z. B. die
Landestheater), aber auch der Politik wichtige Informationen über den konkreten Zustand der
Gastspielstätten zugänglich gemacht werden können. Die INTHEGA stellt in Aussicht, hier in
Absprache mit den Beteiligten federführend tätig zu werden.
Abschließend wurde angeregt, den mit dieser Fachtagung begonnenen und wichtigen Aus-
tausch zwischen den beteiligten Institutionen (Land NRW, Landschaftsverbände, Landes-
bühnen, Kultursekretariat, INTHEGA) zum Wohl aller Teilnehmenden im regelmäßigen Aus-
tausch fortzusetzen.
Thementisch 2:
PROGRAMMFÖRDERUNG DER BESPIELTHEATER
Moderation/Protokoll: Antje Nöhren, Geschäftsführerin, Kultursekretariat NRW Gütersloh
Die Ergebnisse, die die Teilnehmer*innen in zwei Arbeitsrunden eingebracht haben, lassen
sich in Hinblick auf die Bedarfsermittlung zur Förderung der Bespieltheater in drei Inhaltsfel-
der kategorisieren (s. u.). Schwerpunkt der
Diskussion war die Frage, wie eine Landes-
förderung gestaltet sein müsste, um die Be-
spieltheater im Land NRW zu stärken und
bessere Rahmenbedingungen für die Arbeit
in den Häusern, insbesondere
kleinerer und mittlerer Kommunen
zu schaffen. Besonderer Bedarf
für eine Landesförderung wird in
den drei nachfolgenden Punkten
gesehen:
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1. Programmförderung
a. Es sollten mehr hochwertige Kinder- und Jugendprojekte gefördert werden. (Vor-
schlag: Im Kultursekretariat sollten auch Produktionen berücksichtigt werden, die we-
niger als drei Mal aufgeführt werden können.) Auch Gegenbesuche in der Schule und
Projekte zur Intensivierung der Zusammenarbeit mit Schulen könnten Gegenstand
einer Programmförderung sein.
b. Ein Ansatz für die Programmförderung könnte die Förderung innovativer Klassiker-
Inszenierungen sein, um den Zuspruch des Publikums für Klassiker zu steigern.
c. Eine Programmförderung sollte als Anregung dienen, auch neues Publikum zu er-
schließen (Audience Development).
d. Bezuschussung einer Abspielförderung (z. B. in Form einer Spielstättenprämie? Die
Bedenken sind hier, dass davon vorrangig die Häuser profitieren würden, die bereits
gut aufgestellt sind.)
e. Eine generelle Aufstockung des künstlerischen Etats würde es vielen Häusern er-
möglichen, ihr Programm qualitativ weiterzuentwickeln.
2. Förderung einer besseren Infrastruktur
a. Technische Infrastruktur (durch das Land, z. B. in Form eines Sondertopfes für erfor-
derliche Investitionen)
b. Bauliche Sanierung (durch die Kommunen)
3. Anschubförderung zur Verbesserung der personellen Infrastruktur
a. Durch eine z. B. dreijährige Anschubfinanzierung durch das Land (in Höhe von 50%)
könnten bei den Kommunen Anreize geschaffen werden, in die personelle Ausstat-
tung der Theater vor Ort zu investieren.
In beiden Runden wurde der Umstand proble-
matisiert, dass die Förderzeiträume nicht kom-
patibel sind mit den Spielzeiten und dem erfor-
derlichen Vorlauf bei Programmplanung und
-veröffentlichung. (Dieser Punkt wurde vor allem in Bezug auf die Förderkataloge des Kultur-
sekretariats als auch auf das Pilotprogramm „Heimwärts“ mehrfach angebracht.) Förderauf-
rufe seien in der Regel zu kurzfristig gesetzt, um etwas Neues entwickeln zu können. Durch-
führungszeiträume müssten ebenfalls länger sein, insbesondere für neue, außerplanmäßige
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Projekte. Letztere binden oftmals hohe finanzielle und personelle Ressourcen, was beson-
ders für kleinere Häuser eine Hürde darstellt. Projekt(förder)zeiträume sollten insofern mög-
lichst länger angelegt sein (Jahres- und spielzeitübergreifend), um mehr Entwicklungsspiel-
raum zu geben und neue Kooperationen zu etablieren und die Strukturen der Zusammenar-
beit zu festigen.
Die Sichtbarkeit der Bespieltheater im Land sei ausbaubar. Besonders die politischen Gre-
mien müssen für die Bedeutung der Theater, aber auch für Kultur als solche, stärker sensibi-
lisiert werden. (Ein Ansatz kann z. B. der Fachtag für Kommunalpolitik des Landschaftsver-
bands Westfalen-Lippe in Kooperation mit dem Kultursekretariat NRW Gütersloh sein.)
Die Förderlandschaft in NRW wird als unübersichtlich wahrgenommen. Gewünscht ist eine
bessere Übersicht der Informationen über mögliche Förderzugänge und -kriterien.
Thementisch 3:
DAS PUBLIKUM VON MORGEN
Moderation/Protokoll: Mirko Schombert, Intendant, Burghofbühne Dinslaken
Auf Stefan Fischer-Fels Impuls
aufbauend, der u. a. dafür plädiert
hat, auf die diversen Communities
einer Stadtgesellschaft zuzugehen,
den bisherigen Themenkosmos zu
erweitern und neue Inszenierungs-
formen und -formate für die Nicht-
miteinander-Kommunizierenden zu
entwickeln, haben sich beide Tische eingangs gefragt ob sie ihr Publikum und/oder auch ihr
Nicht-Publikum kennen, ob sie die künstlerischen, thematischen und partizipativen Bedarfe
der diversen potentiellen „Publikümmer“ einschätzen können. Hier wurden sehr unterschied-
liche Einschätzungen einzelner Theater deutlich. Vor allem kleinere Theater äußerten eher,
gerade ihr Nicht-Publikum nicht einschätzen zu können.
In beiden Runden wurde anfangs sehr einhellig für mehr Mut, das Beschreiten neuer Wege,
die weitere Öffnung aller Theater plädiert. Im weiteren, konkreten Gespräch kristallisierte
sich allerdings eine sehr große Unsicherheit heraus, wohin diese neuen Wege führen, wie
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genau neue Formate beschaffen sein könnten und wie man eigentlich fruchtbaren Kontakt zu
unterschiedlichen Communities aufbauen könne.
An dieser Stelle wurde die Frage kontrovers diskutiert, ob es denn überhaupt richtig und
sinnvoll sei, zu sehr vermeintlich künstlerische Wünsche und Bedarfe einzelner Communities
aufzunehmen und umzusetzen. Hier spielten Sorgen in die Diskussion herein, dass man da-
mit auch politisch-inkorrekten, künstlerisch anspruchslosen oder arg konservativen Ästheti-
ken und Themen Vorschub leisten könne. Ebenso wurde hinterfragt, ob denn vor allem bis-
herige Nicht-Zuschauer*innen überhaupt ausreichend konkrete künstlerische Wünsche for-
mulieren würden oder ob es nicht viel mehr Aufgabe der Theater sei, Angebote zu machen,
zu denen dann verführt würde. Gegensätzlich argumentierende Teilnehmer*innen betonten
die Gefahr, dass so weiterhin immer „dieselben Geschichten von denselben Menschen“
erzählt würden und sich am Status Quo nichts ändern könne.
Einigkeit herrschte in der Runde in der Einschät-
zung, dass (wie auch immer geartete) neue For-
mate und Konzepte von den Landestheatern nur
umgesetzt werden könnten, wenn es gleichzeitig
eine hohe Bereitschaft seitens der Bespieltheater
gäbe, diese Produktionen „einzukaufen“. Grund-
sätzlich wurde von fast allen Teilnehmer*innen eine solche Kooperationsbereitschaft signali-
siert. Neben den oben genannten hauptsächlichen Diskussionssträngen wurden zahlreiche
weitere Themen im Gesamtkontext angerissen, u. a.:
- Mangelnde Ressourcen der Bespieltheater, um
nachhaltige Projekte und partizipative Formate zur
weiteren Zuschauer*innenbindung zu entwickeln.
� Theaterpädagog*innen an Bespieltheatern könnten hier helfen.
- Die Schule bleibt nach wie vor als Sammelbecken diverser Communities ein wichtiger
Ankerpunkt. Bildungspartnerschaften und generelle politische Unterstützung für außer-
schulische Lernorte sind unabdingbar.
- Digitale Formate werden als künstlerisches Element und als Mittel zur Publikumsbindung
oftmals unterschätzt. Zu häufig werden digitale Angebote nur unter Marketingaspekten
betrachtet
� auch hier fehlende Ressourcen
an den einzelnen Häusern.
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Thementisch 4:
KOOPERATIONEN VOR ORT / BILDUNGSPARTNERSCHAFTEN
Moderation/Protokoll: Günter Wohlfarth,
Geschäftsführender Direktor, Westfälisches Landestheater Castrop-Rauxel
Das Interesse der Teilnehmer*innen konzentrierte sich auf die Bildungspartnerschaften. Anja
Warnkross und Antonia Weggebakker vom Team Bildungspartner NRW informierten über
die neue Bildungspartnerschaft „Bühne und Schule“, die am 22. März 2019 in Köln mit einer
Fachtagung unter Beteiligung der Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen, dem Staatssek-
retär des Schulministeriums Mathias Richter und Klaus Hebborn vom Städtetag NRW be-
ginnt. Die Teilnehmer*innen begrüßten den Schulterschluss der beiden Ministerinnen und
insbesondere die Empfehlung der Schulministerin an die Schulen, die neue Bildungspartner-
schaft für eine intensivere und stetigere Zusammenarbeit der Schulen mit den Theatern, Or-
chestern und Bespieltheatern als außerschulische Lernorte zu nutzen. Sie empfanden diese
Initiative als einen neuen Ansatz, um auf partnerschaftlicher Ebene mit den Schulen ins Ge-
spräch zu kommen, mit dem Ziel die Kooperationen mit den Schulen weiter auszubauen.
Die Teilnehmer*innen wünschten sich dabei Unterstützung und Begleitung insbesondere
durch die theaterpädagogischen Abteilungen der Landestheater und die Mitarbeiter*innen
der Geschäftsstelle Bildungspartner NRW. Die Vertreter*innen der Bespieltheater wiesen da-
rauf hin, dass für diese neue Initiative zusätzliche finanzielle Mittel notwendig seien. Der Ge-
danke, darüber mit dem Kultursekretariat NRW Gütersloh ins Gespräch zu kommen, ob sol-
che Projekte im Rahmen des Förderprogramms „Heimwär ts“ förderungswürdig sein könnten,
fand allgemeine Zustimmung.
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Thementisch 5:
BESPIELTHEATER UND DIE KOMMUNALPOLITIK VOR ORT
Moderation/Protokoll: Karl-Heinz Rohlf,
Leitung Stadttheater Herford & Vorsitzender der INTHEGA-Landesgruppe NRW
Es wurde eine Thementisch-Runde durchgeführt. Die Teilnehmergruppe führte einen
kollegialen Austausch über die Zusammenarbeit zwischen Gastspielhaus und der
Kommunalpolitik vor Ort durch.
Die meisten angesprochen Punkte bezogen sich auf die speziellen Rahmenbedingungen in
den einzelnen Kommunen. Deutlich wurde, dass in allen Kommunen die Kulturausschüsse
bzw. Kulturbeiräte über die Spielpläne der Theater entscheiden. Man tauschte sich einerseits
zu Problemen und andererseits auch zu Beispielen für gute Zusammenarbeit mit der
Kulturpolitik aus. Auch der Umgang mit eventuellem Rechtfertigungsdruck gegenüber
Kulturausschuss und/oder Verwaltung in den jeweiligen Kommunen wurde thematisiert, z. B.
Genehmigung des Spielplans oder Freikartenregelungen. Dabei wurde erörtert, die
Mitglieder des Kulturausschusses regelmäßig zu Veranstaltungen der Gastspielhäuser
einzuladen. Hierdurch kann ein besseres Verständnis für die inhaltliche Planung erzielt
werden und eine Bindung an die einzelnen Häuser angestrebt werden.
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Thementisch 6:
MEIN PUBLIKUM – DAS (UN)BEKANNTE WESEN?
Moderation/Protokoll: Marie Johannsen, Dramaturgin, Rheinisches Landestheater Neuss
Im Laufe der zwei Runden am Thementisch kam es bei den Teilnehmer*innen insbesondere
zu Überschneidungen in Fragen der Publikumsakquise: Viele Teilnehmer*innen formulierten
ihre Sorge, dass ihr Publikum immer älter werde und kaum junge, neue Zuschauer*innen für
das Theater gewonnen werden können. Auch sei die Publikumsstruktur in der Regel wenig
divers, sondern setze sich größtenteils aus dem sogenannten „Bildungsbürgertum“ jenseits
der 60 Jahre zusammen.
Davon ausgehend formulierten viele Teilnehmer*innen konkrete Fragen zu möglichen
Marketingstrategien, um auch jüngere Zuschauer*innen für das Theater begeistern und auch
binden zu können. Denn nur über eine attraktive Programmgestaltung allein ließe sich nicht
sofort ein jüngeres Publikum ansprechen.
Viele Teilnehmer*innen wünschten sich ein erhöhtes
Vermittlungsangebot von Theaterpädagog*innen –
allerdings hätten die Bespieltheater selbst in der
Regel keine Mittel, um eine eigene Stelle dafür zu
schaffen. Insbesondere für Kinder wäre das Angebot
wichtig: Einige Kolleg*innen beschreiben eine gut
funktionierende Kinderbetreuung durch
Theaterpädagog*innen während Nachmittagsvorstellungen – was wiederum die
heißbegehrte Zielgruppe der 30-49 Jährigen anspräche.
Diskutierte Maßnahmen:
1. Marketing-Guide für die Bespieltheater in der Fläche – mit Best Practice-Beispielen:
Welche Marketing-Strategien funktionieren in den ländlicheren Regionen gut?
� Kinderbetreuung, Abo-Strukturen, Einführungen, Social Media, konkretere
Inszenierungsbeschreibungen für die Programmflyer mit detaillierten Informationen
zum Konzept, etc.
2. Konkrete Forderung an die Politik: Theaterpädagogisches Vermittlungsprogramm von
den Landesbühnen für die Bespieltheater
� Kinderbetreuung, Workshops, Vor- und Nachbereitung in den Schulen –
insbesondere von Klassiker-Stoffen
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3. Umfrage-Tool für Bespieltheater zur besseren Erfassung der aktuellen Zuschauerstruktur
� Dabei wäre auch eine NICHT-Besucher*innen-Umfrage für die einzelnen Städte und
Gemeinden eine große Hilfe. Wer lebt in unserer Kommune und hätte Lust auf Kultur,
hat aber einfach noch keinen Zugang dazu bekommen und warum ist das so?
� Die Ergebnisse können zwischen Bespieltheatern und Landesbühnen ausgetauscht
werden und führen so zu einer verbesserten Nachfrage-Angebots-Situation
Thementisch 7:
INTERKULTUR
Moderation/Protokoll:
Christian Scholze, Dramaturg, Westfälisches Landestheater Castrop-Rauxel
In der ersten Thementisch-Runde wurde festgestellt, dass der Aufwand, Menschen mit
Migrationshintergrund zu erreichen und für kulturelle Angebote der Städte zu interessieren,
sehr groß ist. Zusätzlich erschwert werde die Arbeit durch die deutlich spürbaren Spaltungen
innerhalb der Communities. Hervorgehoben wurde, wie wichtig es sei, ausreichend
Vermittlungsstellen zu haben. In der
Kommune eines/r Thementisch-Teilnehmer*in
sei beispielsweise eine Person für 20 Schulen
verantwortlich.
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Des Weiteren wurde die Frage erörtert, was Theater im Bereich der Interkultur leisten
können. Am wichtigsten sei zunächst einmal das generelle Vorhandensein eines Angebots.
Das betreffe nicht nur Produktionen, die sich mit interkulturellen Thematiken beschäftigen.
Benötigt werden Angebote, die auch weit über Materialmappen hinausgehen. Für die Städte
sei es ebenso wichtig, Vermittlungsangebote zu bekommen. Häufig fehle es vor allem an
interkulturellen Kontakten. Gewünscht wird auch ein verstärkter Kontakt mit Künstler*innen.
In der zweiten Thementisch-Runde wurde bereits zu Beginn hervorgehoben, dass
man den Begriff „Partizipation“ neu denken müsse. Die bisherigen Strategien bzgl. Audience
Development etc. hätten im interkulturellen Bereich
weitestgehend nicht funktioniert. Es sei von
großer Wichtigkeit, dass gezielt Menschen mit
Migrationshintergrund angestellt werden. Auch in
dieser Runde wurde hervorgehoben, dass eine
stärkere Vermittlung von kulturellen Inhalten sehr wichtig sei. Dafür werden zusätzliche
Kulturvermittler*innen benötigt, die möglicherweise auch über Städte hinaus eingesetzt
werden können. Das wäre dann eine dezentrale Theaterpädagogik.
Neue Begegnungen müssten ermöglicht und ggf. die Vorbereitungen von Gastspielen bzw.
Theaterproduktionen generell neu strukturiert werden. Die Kulturvermittlung müsse neue
Wege ausprobieren können. In der Runde wird angeregt, Theatervermittlung verstärkt
regional zu denken, Netzwerke zu schaffen, sich umfangreich Gedank en darüber zu
machen, wie den Städten und
Gemeinden geholfen
werden kann, sich den
verändernden
gesellschaftlichen
Voraussetzungen zu
widmen und interkulturelle
Angebote zu machen.
Dafür sei eine viel besser
organisierte
Vermittlungsarbeit nötig.
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Thementisch 8:
KULTURELLE TEILHABE UND INKLUSION
Moderation/Protokoll: Reinar Ortmann, Intendant, Rheinisches Landestheater Neuss
Kulturelle Teilhabe für viele zu ermöglichen erscheint angesichts einer sich durch Vielfalt und
variierende Interessen auszeichnende Gesellschaft als große Herausforderung. Die Inklusion
von Zuschauer*innen, zum Beispiel mit körperlichen Benachteiligungen, ist dabei ein
weiteres wichtiges Feld. Vielseitige kulturelle Teilhabe betrifft viele Bereiche des
Kulturbetriebs: von der räumlichen Situation über die Programmplanung bis hin zur
Vermittlung und Öffentlichkeitsarbeit.
Längst ist nicht nur der klassische Theater- oder Museumsbesuch gefragt, sondern auch die
Mitwirkung in partizipativen Formaten wie Spielclubs und Bürgerbühnen. Kulturelle Teilhabe
und Inklusion bieten die Chance, ein neues Publikum zu erreichen, das bislang die
Berührung mit Kultureinrichtungen gescheut hat. Die Diversität unserer Gesellschaft, die
durch Migration geprägt ist, ist nicht allein ein Thema der Metropolregionen, sondern auch in
Mittelstädten und dem ländlichen Raum. Auch hier ist ein „Audience Development“ auf
Augenhöhe der gesellschaftlichen Entwicklungen gefragt.
Für den Thementisch „Kulturelle Teilhabe und Inklusion“ bei der Fachtagung „Miteinander
spielen“ kristallisierte sich folgende Fragestellung als maßgeblich heraus: Wie können
Landesbühnen und Bespieltheater mit diesen Herausforderungen umgehen und ihre
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Bemühungen teilen und einander ergänzen? So können die Theaterpädagog*innen an den
Landestheatern oftmals ein Vermittlungsprogramm nur im direkten Umfeld der jeweiligen
Sitzstadt anbieten. Formate wie Bürgerbühnen und Spielclubs, die dem Publikum attraktive
Angebote zur Mitwirkung liefern, erfordern eine intensive pädagogische Betreuung und sind
mit einem hohen Zeitaufwand verbunden.
An vielen Bespieltheatern ist aufgrund der geringen Personalstärke nur eine Konzentration
auf den reinen Spielbetrieb möglich und keine Ansprache eines neuen Publikums. Zudem
steht der thematischeren Vielfalt der Zuschauerinteressen ein oft reduziertes Programm
entgegen, das um größtmögliche Anziehungskraft bemüht ist. Spezifischere
Themensetzungen müssen außen vorgelassen werden. Teilweise besteht seitens der Träger
der Bespieltheater auch ein reines Interesse an Auslastungszahlen und eines einfachen
Erhalts der gegenwärtigen Zuschauersituation.
Ebenfalls der Personalsituation an Bespieltheatern geschuldet ist der Umstand, dass
partizipatorische Formate, wie zum Beispiel Mitmachkonzerte nur unregelmäßig und
höchstens einmal im Jahr angeboten werden können. Ein breiteres theaterpädagogisches
Angebot der Landestheater in den Bespieltheatern stieß auf große Zustimmung. Große
Einigkeit bestand auch über die ganze Fachtagung, die als gelungenes Forum angesehen
wurde, auf dem Landes- und Bespieltheater sich über den reinen Gastspielverkauf hinaus
über ihre Anforderungen austauschen konnten.
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WDR 3 FORUM:
ABSCHLUSSGESPRÄCH „PERSPEKTIVEN UND AUSBLICK“
Die abschließende Gesprächsrunde mit Dr. Hildegard Kaluza, Abteilungsleiterin Kultur im
Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Barbara
Rüschhoff-Parzinger, Kulturdezernentin des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe,
Paul Borgardts, Leiter des Städtischen Bühnenhauses Wesel, und Reinar Ortmann,
Intendant des Rheinischen Landestheaters Neuss, erörterte Perspektiven für die weitere
Zusammenarbeit zwischen Landes- und Bespieltheatern und mögliche Förderansätze.
Dieser Ausblick auf das Theater in der Fläche wurde – moderiert von Peter Grabowski – für
das WDR 3 Forum aufgezeichnet.
Paul Borgardts, stellvertretender Vorsitzender der INTHEGA-Landesgruppe NRW und
Sprecher des Arbeitskreises Theater beim Kultursekretariat NRW Gütersloh, schilderte die
Arbeit und Unterschiedlichkeit der Gastspielhäuser in NRW und die Rolle des jeweiligen
Bespieltheaters für kulturelle Impulse in der eigenen Stadt.
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Reinar Ortmann machte die besonderen Bedingungen der Landestheater deutlich, um die
Qualität der Theaterproduktionen auch in die vielen Orte des Landes mit unterschiedlichsten
Spielstätten, diversen Besucher*innen und verschiedenartigen technischen Gegebenheiten
bringen zu können.
Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger betonte die Bedeutung der Bespieltheater gerade für die
mittelgroßen Städte in den ländlichen Regionen, die sich ein Theater mit eigenem Ensemble
nicht leisten können. „Ansonsten wäre es gar nicht möglich, ein hochkarätiges Angebot
vorzuhalten“, so Rüschoff-Parzinger. In diesem Zusammenhang sprach sie sich für die
Stärkung der Landestheater und deren qualitativ hochwertiges Theaterprogramm in der
Fläche als „ein Grundpfeiler in der Kultur“ aus. Ebenfalls hielt sie ein Plädoyer für eine starke
Unterstützung der kulturellen Infrastruktur und Basisausstattung in den kleineren Orten.
Auch Dr. Hildegard Kaluza hob die Bedeutung der Kultur im ländlichen Bereich hervor. In
Bezug auf den Kulturetat des Landes stellte sie weitere Überlegungen hinsichtlich einer
zusätzlichen Förderung der Landestheater in den Bereichen Service und Marketing in
Aussicht. Darüber hinaus signalisierte sie die Bereitschaft des Landes, neben dem bereits
bestehenden Förderprogramm „Heimwärts“ auch eine etwas breitere Bespieltheater-
Förderung in den Blick zu nehmen. Problematisch sei es aber, „mit der Gießkanne durchs
Land zu gehen“, so Dr. Kaluza. Man wolle sich voraussichtlich auf die Bereiche Ausstattung
und Programmqualität konzentrieren. Weitere Gespräche über mögliche Fördermodelle wolle
man mit den Beteiligten in einem partizipativen Prozess führen.
Das Gespräch wurde für die Sendereihe „Forum“ des Kulturradios WDR 3 aufgezeichnet und
kann online unter folgendem Link gehört und heruntergeladen werden (bis März 2020):
https://www1.wdr.de/radio/wdr3/nachhoeren/wdrdrei-forum-podcast-100.html
Fotos: Frank-Uwe Orbons
Kontakt: Die Landestheater NRW
Manuela Schürmann
Oberstraße 95, 41460 Neuss
Tel.: 02131/2699-35
E-Mail: buero@landestheater-nrw.de
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