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Dr. phil. Karin Grossmann, assoziiert an der
Universität Regensburg
22. Tag des Kindeswohls, Stiftung zum Wohl des Pflegekindes,
Regensburg, 12. Mai, 2014
Grossmann, Karin, 12.5.2014 1
Grossmann, Karin, 12.5.2014 2
Das Kind lernt in Beziehungen die Welt kennen und den Wert der Personen und Dinge.
Durch liebevolle Beziehungen erlebt es, liebenswert zu sein.
Sein Gehirn wird durch seine Erfahrungen in Beziehungen strukturiert – täglich 18-20 Std.
Die Stabilität der betreuenden Person, die Zuverlässigkeit ihrer Aufmerksamkeit und die
Qualität ihrer Antworten sind zentral.
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Tages- oder Pflegemutter
Erzieherin
Oma oder
Nachbarin
Grossmann, Karin, 12.5.2014 4
a.
Seit mehr als 35 Millionen Jahren war Sicherheit für ein Primatenbaby gleichbedeutend damit,
Tag und Nacht ganz nah bei seiner wärmenden, schützenden und nährenden Mutter zu bleiben.
Sie schnell unterscheiden können;
Trennung erzeugt Angst.
Wenn es die Verbindung verlor, war es so gut wie tot.
(Hrdy, Mutter Natur, 2000)
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Körperkontakt stimuliert die
endogene Hirn-Opiat-Produktion
Angst: Kontrolle und Linderung
der Angst, der negativen
Gefühle und Unwohlsein des
Kindes durch Nähe,
Körperkontakt und Trost
Resilienz: zuverlässige
Beruhigung „lehrt“
Stressbewältigung – gemäß
Tierstudien lebenslang
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UNESCO Kalender-
bilder
Ärger + Zorn (Eifersucht)
Angst
Leid + Trauer
Psychische
Unsicherheit
Heute: Aktivierung
des gesamten
Stresssystems
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G. Vigeland, Oslo
Picasso, Eifersucht
Steigerung des Cortisol-Ausstoßes (Disstress), wenn
keine Lösung durch eigenes Verhalten möglich ist
starke Erregung, Leid.
Verminderung der Oxytocin-Ausschüttung (Cortisol ist
Antagonist) negative Stimmung, Panik
Bindungsverhalten zeigen
Aggressiv evtl. hyperkontrollierend gegenüber dem
Bindungspartner sein
Den „Schuldigen“ bestrafen/vertreiben
Passivität, evtl. Depression bei Hoffnungslosigkeit
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Mögliche Schwierigkeiten nach einer Übernahme eines
Pflegekindes, das schon eine Bindung hatte:
Störungen des Bio-Rhythmus
◦ Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus,
◦ Herz-Rhythmus-Störungen,
◦ Steigerung und spätere Hemmung des Wärme- Metabolismus
(Fieber, Untertemperatur)
Steigerung des Cortisol-Niveaus -> Mängel in der
Angemessenheit der Stressreaktion,
Das Kind wird sensibler und intensiver auf erneute Angst
reagieren („epigenetische Programmierung“).
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Häufige überwältigende
Stresserfahrungen lassen
breitere und schnellere
Nervenbahnen entstehen.
Ein Mangel eines Neurohormons
(GABA*) lässt Stresssignale
und Cortisol schneller durch
das Gehirn laufen.
Isolation vermindert GABA
*Gamma-Amino-Butter-Acid Bild und Studien aus dem Labor von B. Fakler, U. Freiburg, Synapsen erleutet
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Physiologisch: Cortisol wird durch
Oxytocin u.a. „in Schach“ gehalten
ohne Sorge um seine Sicherheit ◦ die Welt erkunden
Neues ausprobieren
Neue Fähigkeiten erwerben
Neue Bekanntschaften machen
Grenzen erweitern
Weil man sicher sein kann, dass man Hilfe, Beruhigung und Stressreduktion bekommt, wenn man darum bittet.
(social control of the neural threat response, Coan et al., 2013)
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Entsteht: Bei wohligen Gefühlen Massage, Kuscheln, sanfte Körperpflege,
Gern gesehene Bekannte wieder sehen,
Gemeinsam mit Freunden essen, usw.
Bewirkt: Reduktion des Blutdrucks Reduktion des Kortisolniveaus, Anregung schnellerer und besserer Wundheilung Anregung von Wachstum, auch Nervenwachstum, regt selbst eigene Ausschüttung von Oxytozin an
(Forschungen von Kerstin Uvnäs-Moberg).
Grossmann, Karin, 12.5.2014 12
Ich brauche dich,
damit du meinen
Erkundungsdrang
unterstützt
Pass auf mich auf,
hilf mir,
Freu dich mit mir
Ohne dich
bin ich verloren
Beschütze mich,
Tröste mich,
Ordne meine Gefühle
Ich brauche dich
damit du mich willkommen heißt,
und mir Wissen gibst Einsamkeit,
Hunger,
Kälte
Angst
Vom Leid zur Beruhigung und sicherer Erkundung Adaptation des Kreises der Sicherheit von R. Marvin
entspannen
auftanken
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Kälte, Hunger, Durst, innere Schmerzen: Mangel erkennen
und signalisieren
Schmerzen – Gesundheit in Gefahr
Überlastung mit Eindrücken – Chaos im Gehirn
Angst, Ärger/Wut, Leid, Trauer – soziale Signale
Signal + Antwort = Kommunikation
Feinfühligkeit „lehrt“ auch soziale Verbindlichkeit statt
Egoismus zugunsten der Kooperation (wem zuliebe soll
sich das Kind beherrschen, soll es verzichten, soll es sich anstrengen?)
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Die Oberschicht – der Cortex
(Erkennen, Verstehen, Wissen,
Erinnern, Reflektieren)
soll die Impulse der
unteren Schichten
kanalisieren bzw. beherrschen.
Feinfühlige Vermittlung durch
Bindungsperson notwendig
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(Ch.Hampden-Turner,1982)
1. Das Kind (Baby) weint, bis es
jemand auf den Arm nimmt.
2. Es hört auf zu Weinen, wenn
es die Schritte/Stimme der
feinfühligen Bindungsperson
hört. Ab ca. 5 Monaten.
3. Es weint nicht mehr bei
kleinem Leid, weil es weiß,
dass die Bindungsperson
kommen würde, wenn es
riefe. Ab ca. 18 Monaten.
(Lamb,M.E.&Malkin,C.M.,1986).
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Regulationsstörungen –
◦ Von Anfang an oder
◦ erworben durch mangelnde Feinfühligkeit
Schwacher Ausdruck (z.B. bei Frühgeborenen, bei
vielen belasteten Pflegekindern)
Körperkontakt macht Angst (Stressreaktion)
Hypersensibilität
Zurückweisung (Pflegewechsel) im Vor-Leben
steigert Kampfbereitschaft
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„Mir geht es gut“
a. Physiologisch: Rosige Haut, regelmäßiges Atmen,
regelmäßiger Herzschlag
b. Im Verhalten: weiche Bewegungen, Bemühen um
Selbstberuhigung, zielgerichtetes Schauen oder Handeln,
Neugier, Selbstbeherrschung bei kleinen Versagungen,
Kooperationsbereitschaft bei Versorgungen.
„Mir geht es nicht gut“
a. Physiologisch: unregelmäßige Atmung, zu blasse/rote Haut,
schlaff oder angespannt,
b. Im Verhalten: wild, ziellose Bewegungen, Stereotypien,
Frustrationsintoleranz
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1. Zeigen bei Leid kein Bindungsverhalten. Gehen weg
statt hin zur Pflegemutter.
2. Viele können ihre Angst, Schmerzen, Unwohlsein (in
weiten Bereichen) so gut verbergen, dass sie aussehen “als
wäre nichts”.
3. Wenn sie ihr Leid nicht mehr beherrschen können,
werden sie noch zurückweisender: ärgerlich, aggressiv,
bissig, nörgelig, unleidlich.
(Bick, J. & Dozier, M. 2013, Steele et al., 2008)
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Endgültige Trennung, Tod ohne 2. Bindungsperson
Hochstrittige Scheidung mit Aggressionen
Für länger einer Institution übergeben
„du bist nichts wert – verdienst nicht meine Fürsorge“
Angriffe, unmäßiges Strafen, Misshandlung
Keine Schutz vor Aggression des Partners
Angst vor dem Kind, niedriges Selbstwertgefühl der
BP, Angst, die Liebe des Kindes zu verlieren
Rollenumkehr, Partnerersatz
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Erlebte Versorgung „programmiert“ das Gehirn, wie man Kinder versorgt.
Die Entwicklung des Elternverhaltens
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Forschungslabors: Katharina Braun (Magdeburg), Markus Heinrichs (Freiburg), Myron Hofer (New York), Michael Meaney (Montreal), Inga Neumann (Regensburg), Jaak Panksepp (Ohio), Steven Suomi (Washington)
Degus Maus Familie (Braun)
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die Gen-Aktivität verändert sich so, dass mehr Proteine für die Produktion von Glucocorticoid Rezeptoren (Cortisol uptake = Auffangen und neutralisieren) im Hippokampus gebildet werden.
Sie bestimmen die Dichte dieser Rezeptoren
Im Gehirn der Jungtiere befinden sich weniger Stresshormone, da diese vermehrt “neutralisiert” werden.
Die geringere Stress-Responsivität hält ein Leben lang an.
Grossmann, Karin, 12.5.2014 24
die weiblichen Jungtiere zeigen ebenfalls gute
Fürsorgequalitäten (Meaney, 2005)
die Jungtiere der nächsten Generation sind ebenfalls
stress-resistenter – durch das Verhalten ihrer Mütter
Dieses biologische System wird positiv wie negativ
durch das soziale Umfeld beeinflusst (Epigenetik).
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Erlebte vernachlässigende
Bemutterung
Abwesender gleichgültiger
Vater
Ersatzloser Elternverlust
Schutzlos erlebte
Aggression/Missbrauch
Keine einzige sichere
Bindungsperson im Laufe
des Lebens
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Sehr niedriger Bildungsstand der Mutter,
Misshandlung/Vernachlässigung der Mutter als Kind,
psychiatrische Pathologie,
Substanzabhängigkeit,
Gefängnisaufenthalt,
Depression,
Partnergewalt.
Die Häufung solcher Risiken ist gravierender als jedes einzelne Zeichen.
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Optimal: Wertschätzende Haltung zu Bindungen
Können klar und reflektiert über ihre eigenen
Bindungserfahrungen sprechen.
Sind akzeptierend und bemühen sich, das Kind zu verstehen.
Fühlen sich dem Kind verpflichtet.
Glauben an ihren Einfluss auf das Kind.
Sind kooperativ, aber auch kritisch mit der angebotenen Hilfe.
Forschungen von Prof. Mary Dozier, Delaware und Prof. Miriam Steele, New York
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Erinnern sich schlecht oder idealisieren die eigene
Bindungsgeschichte
Ignorieren häufig negative Befindlichkeiten ihres Kindes
Hinterfragen nicht das „Es-ist-nicht-Gesicht“
Sind schnell frustriert, wenn das Kind nicht sofort reagiert
Beklagen sich viel über das Kind, Kind lehne sie ab.
Erzählen wenig Positives vom Miteinander
Hält sich bewusst emotional zurück, falls es wieder fort muss.
Kind ist Gast oder Einkommensquelle
Tun sich schwer, Probleme zuzugeben und Hilfe anzunehmen
Grossmann, Karin, 12.5.2014 30
Grossmann, Karin, 12.5.2014 31
Prinzip: Sichere Bindungserfahrungen der ersten beiden
präverbalen Lebensjahre nachholen – das Gehirn ist
plastisch. Wissen um Stress und Oxytocin stärken*.
Das Kind wie ein sehr viel jüngeres behandeln, um
Versäumtes nachholen zu können.
Babyspiele und Babyspielzeug anbieten, um soziale
Wirksamkeit zu erleben.
Zärtliche Körperpflege und Fürsorge: Versorgungen mit
Zärtlichkeiten anreichern.
*Ustorf, Anne-Ev (2012). Allererste Liebe. Wie Babys Glück und Gesundheit
lernen. Stuttgart: Klett-Cotta.
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Externe Regulation
◦ Schnelle Beruhigung begleitet von Erklärungen, die
Zusammenhänge stiften.
◦ Minimale Zeichen (z.B. „Pokergesicht“) als Gefühl
erkennen, ihm Ausdruck und Worte geben.
◦ Ungutes Gefühl braucht Benennung.
◦ Bindungsperson muss aktiv die Nähe oder die Distanz
herstellen, je nach Situation.
◦ Ausrasten als Hilferuf erkennen.
◦ Fühlen, denken, Pläne, Absichten von anderen immer
wieder erläutern.
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Adoption und Pflegefamilien sind effektive „Interventionen“, die den Kindern gute Entwicklungsmöglichkeiten in kognitiven und sozialen Bereichen geben.
Eine sichere Bindungsentwicklung zu übernehmenden Eltern ist möglich, wenn die Bindungshaltung der Pflegeeltern berücksichtigt wird.
und stabil ist.
Sicherheit der Bindung hängt ebenso mit der Feinfühligkeit zussammen wie in Geburtsfamilien (Jaffari-Bimmel et al., 2006)
Aber übernommene Kinder tragen die Wunde des (mindestens 1 x ) Verlassen-Worden-Seins mit sich. Risiko für niedriges Selbstwertgefühl.
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Grossmann, Karin, 12.5.2014 35
Bick, J. & Dozier, M. (2013). The effectiveness of an attachment-based intervention in promoting foster mothers‘ sensitivity toward foster infants. Infant Mental Health Journal, 34, 95-103.
Coan, J.A., Kasle, S., Jackson, A., Schaefer, H.S., & Davidson, R.J. (2013). Mutuality and the social regulation of neural threat responding. Attachment & Human Development, 15, 303-315.
Fenoglio, K.H. Chen, Y., & Baram, T.Z. (2006). Neuroplasticity of the hypothalamic-pituary-adrenal axis early in life requires recurrent recruitments of stress-regulating brain regions. Journal of Neurosciences, 26, 2434-2442.
Hrdy, Sarah Blaffer (2000). Mutter Natur. Die weibliche Seite der Evolution. Berlin. Berlin Verlag.
Jaffari-Bimmel, N., Juffer, F., Van IJzendoorn, M.H., Bakermans-Kranenburg, M.J., & Mooijaart, A. (2006). Social development from infancy to adolescence: Longitudinal and concurrent factors in an adoption sample. Developmental Psychology, 42, 1143-1153.
Lamb, M.E. & Malkin, C.M. (1986). The development of social expectations in distress-relief sequences: A longitudinal study. International Journal of Behavioral Development, 9, 235-249.
Larrieu, J.A., Heller, S.L., Smyke, A.T., Zeanah, C., (2008). Predictors of permanent loss of custody for mothers of infants and toddlers in foster care. Infant Mental Health Journal, 29, 48-60.
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Ustorf, Anne-Ev (2012). Allererste Liebe. Wie Babys Glück und Gesundheit lernen. Stuttgart: Klett-Cotta.
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