Rache. \"Versöhnt man sich, so bleibt doch etwas hängen.\"

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Rache„Versöhnt man sich, so bleibt doch etwas hängen.“ 1

Jan Lukas GörnemannHausarbeit fürs Seminar „Verzeihen“, Prof. Dr. BoshammerWS 2015/16Abgabetermin: 14.04.2016

1 Goethe, Johann Wolfgang: „Faust – Der Tragödie zweiter Teil.“ 1832, 1. Akt, Weitläufiger Saal mit Nebengemächern, Alekto zu Megära. „http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-tragodie-zweiter-teil-3645/7“, letzter Zugriff: 20.01.2016.

Gliederung

1. Einleitung S. 12. Was ist Rache S. 12.1. Rosebury S. 32.2. Stainton S. 53. Ähnliche Begriffe S. 83.1. Bestrafung S. 84. Eine weitere Konzeption der Rache S. 115. Mögliche Nutzen und Zwecke von Rache S. 166. Fazit S. 187. Quellen S. 19

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1. EinleitungWährend der Begriff des Verzeihens oder des Versöhnens in der philosophischen Literatur ausführlich behandelt wird, wird über die begrifflichen Gegenstücke seltener geschrieben. Findet eine Auseinandersetzung mit diesen Gegenstücken statt, so tauchen sie meist im Rahmen anderer Debatten auf. Ein Gegenstück des Verzeihens ist der Begriff „Rache“, der in diesem Aufsatz einer begrifflichen Analyse unterzogen werden soll.Um einen umfassenden Begriff der Rache zu erhalten, bedarf es der Beantwortung der typischen Fragen: Welche Bedeutung hat der Begriff? Wie unterscheidet der Begriff sich von ähnlichen Begriffen? Welcher Art ist der Begriff? Wie wird der Begriff moralisch eingeordnet?

Zum Ende dieses Essays soll nach Betrachtung der oben genannten Fragen ein eigenes Konzept entwickelt werden, welches das Phänomen der Rache beschreibt. Da dieser Vorsatz unrealistisch und ein zu umfassendes Unterfangen ist, soll zumindest der Ansatz eines Konzeptes entwickelt werden. Offene Fragen oder hilfreiche Orientierungen für die Weiterentwicklung des Begriffs gehören zu einem solchen Versuch dazu.

2. Was ist Rache?Es gibt eine Fülle an verschiedenen Perspektiven auf das Phänomen „Rache“. Es sollen einige Beispiele genannt sein.

Für Brian Rosebury ist Rache am Besten mit dem Satz "You, Dave, punched me, so I will punch you" zusammengefasst.2 Er legt viel Wert auf die darin implizierte Wechselseitigkeit. Für Rosebury kann Rache das Objekt eines besonderen positiven Urteils sein, auch wenn sie dabei moralisch verwerflich bleibt. Rosebury nennt diesespositive Urteil "non-moral respect".3

Leo Zaibert ist der Überzeugung, dass Strafe4 und Rache das Selbe Phänomen seien.5

Für ihn ist eine passende Definition der beiden Begriffe: "A punishes B when A inflicts (what she believes to be) suffering upon B as a re-action to (what she believeswas) B's wrongdoing.6 Für Zaibert ist Rache immer eine Antwort auf ein "Wrong".7 Sie könne nie unbegründet sein, sei aber sehr wohl ein Phänomen, das übertrieben oder unfair in Erscheinung treten könnte.8 Die Rolle der Rache in Literatur und Film spräche relativ eindeutig auch für Rache in unserer Welt: Das Rachemotiv werde meist bemüht, um "die Gerechtigkeit zu feiern".9

Jon Elster definiert Rache folgendermaßen: "Revenge – the attempt, at some cost or risk to oneself, to impose suffering upon those who have made one suffer, because they have made one suffer (...)."10

Sie sei häufig impulsiv und widerspreche oft den (restlichen) eigenen Interessen des

2 Rosebury, Brian: "Respect For Just Revenge.", erschienen in "Philosophy and Phenomenological Research", Vol. 77,Nr. 2, 2008, S. 461.

3 Rosebury (2008), S. 451.4 Strafe ist hier einem besonderen Sinn gemeint, der im Verlauf des Essays erläutert wird.5 "This is, in principle, also true of the avenger." Zaibert, Leo: "Punishment and Revenge.", Law and Philosophy, Vol.

25, Nr. 1, Januar 2006, Springer-Verlag, S. 83.6 Zaibert (2006), S. 83.7 In Ermangelung einer guten Übersetzung belasse ich diesen Begriff in seinem englischen Original. Zaibert (2006),

S. 92.8 Zaibert (2006), S. 95.9 "That role is, roughly, to celebrate justice." Zaibert (2006), S. 97.10 Elster, John: Norms of Revenge. Erschienen in Ethics, Vol. 100, Nr. 4, Chicago University Press, Juli 1990, S. 862.

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Rächers.11 Rache stellt für Elster ein universales Phänomen dar. Es sei also eine Eigenschaft, die dem Menschen inhärent ist.12 Rache brächte an sich nur Kosten und Risiken mit sich, könnte aber nie einen Gewinn für alle Beteiligten bedeuten.13

Diese verschiedenen Beispiele, die die verschiedensten Bewertungen der Rache vornehmen, lassen vielleicht erkennen, dass der Begriff der Rache in der philosophischen Literatur weit von einer allgemeinen Definition entfernt ist. Viele Definitionen der Rache scheinen nur vollzogen worden zu sein, um ein anderes Phänomen durch Abgrenzung von ihr zu beschreiben.

Die wohl bekannteste, und damit die aussichtsreichste Definition der Rache wurde durch Robert Nozick formuliert.14 Wie bereits angedeutet tut auch Nozick dies, um den Begriff Bestrafung15 abzugrenzen.Nigel Walker beschreibt in seinem Essay "Nozick's Revenge" diese Bestimmung vonRache und Bestrafung. Rache sei nach Nozick erstens etwas, das auf Schäden reagiere. Diese Schäden könnten „einfache Schäden“ sein. Es müsse nicht um moralische "Wrongs"16 gehen. Rache sei zweitens etwas, das genießbar sein könne. Racheakte müssten drittens nicht generalisierbar sein und könnten auf ähnliche Schäden durch Andere ganz unterschiedlich und nach verschiedenem Maße reagieren.17 Rache sei viertens etwas, das ein persönliches Anliegen sein könne. Rache kenne schließlich fünftens keine natürliche Grenze in seinem Ausmaß, sie könne aber vom Rächer wegen externen Beschränkungen eingegrenzt werden.18

All dies grenze die Rache bei Nozick von staatlicher Bestrafung ab.19

Beide Begriffe hätten in Nozick's Text aber auch Gemeinsamkeiten. So würden beidemit einem Grund passieren und bei beiden wäre wichtig, dass das Opfer der Rache weiß, wer ihm diesen Schaden aus welchem Grund angetan hat. Rache sei also, genauso wie Retribution, ein kommunikativer Akt.20 Nigel Walker widerspricht Nozick21 und schreibt, dass das Wissen des Racheopfers um die Umstände eine Rache lediglich in ihrer Qualität verändern könne.22

Nozick vertritt als Retributivist eine interessante Position, die sich von Bestrafung auf Rache übertragen lässt. Statt auf die Folgen von Strafen zu achten, betrachte er die Strafe, so Walker, als einen symbolischen Akt. Dieser ließe bestimmte Werte eine Rolle im Leben des Bestraften spielen: "The message may or may not have a beneficial effect on the offender: it is sufficient that it reaches him and is understood,even if he does not accepted what it says."23 Bestrafung sei nach Nozick dann ein vor

11 Elster (1990), S. 862.12 Diese Frage untersucht Elster in seinem Text an späterer Stelle, er kommt allerdings nur zu einem vagen Ergebnis.

Elster (1990), S. 862/884-885.13 Elster (1990), S. 862.14 Zaibert (2006), S. 86.15 „Retribution“16 In Ermangelung einer besseren Übersetzung behalte ich den englischen Originalbegriff bei.17 Walker (1995), S. 581.18 Vielleicht wäre eine solche Einschränkung durch "Rachenormen" möglich, auf die später noch eingegangen wird.

Walker (1995), S. 582.19 Walker (1995), S. 581.20 Walker (1995), S. 582.21 Dies tut Robert J. Stainton später ebenfalls. Auf diese Einschätzung wird im Verlauf diesen Textes noch

eingegangen.22 Walker (1995), S. 583.23 Walker (1995), S. 583.

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allem kommunikativer Akt.24 Dies ist eine interessante Position, die im Verlauf des Essays noch intensiver betrachtet werden soll. Es sei zunächst nur so viel gesagt: Rache könnte ebenfalls als symbolischer Akt und als kommunikative Handlung betrachtet werden, bei welchen es sich weder um den Selbstwert des Opfers (und späteren Rächers), noch um die Umerziehung des Täters (und späteren Racheopfers) drehte. Auch auf diese Position soll im Verlauf des Aufsatzes noch eingegangen werden.

Zunächst soll aber auf andere Autoren eingegangen werden, die neben Nozick ebenfalls interessante Perspektiven auf das Phänomen der Rache formulierten. Es sollen zwei dieser Perspektiven vorgestellt werden. Da es schwierig sein könnte, demBlickwinkel ohne tiefere Erklärung zu folgen, soll das gesamte Konzept vorgestellt werden.

2.1. RoseburyDer erste Autor ist der bereits genannte Brian Rosebury, Lehrender an der University of Central Lancashire in England. Er beschreibt im Rahmen seiner Konzeptentwicklung Fälle, in denen sich Personen bewusst gegen eine moralisch richtige Handlung entscheiden, dabei aber eine Form von Respekt verdienten. Respekt könne nur für eine Person empfunden werden, die nüchtern und ernsthaft dieAnsprüche der Moral wahrgenommen habe und sich trotzdem bewusst gegen eine Handlung nach diesen Ansprüchen wendete, weil ein anderes Motiv eine zu zentrale Stellung im Leben einnähme. Respekt sei dabei, wenn wir aufgrund des Gedankens, dass wir in der selben Situation auch so hätten handeln können, die Handlung der Person sympathisch finden. Eine wichtige Rolle für die Entstehung dieser Sympathie spiele die Anerkennung, dass der Andere nur Mensch ist, wie man es selbst auch sei. Da man sich selbst immer wieder als Jemanden erlebte, der versuche, moralisch zu sein, und daran häufig scheiterte, erkenne man sich in der nicht-moralischen Entscheidung des Anderen wieder.25

Was hat Rache mit dieser Definition des Respekts zu tun? Nach Rosebury ist ein spezieller Fall dieser respektablen nicht-moralischen Handlungen die Rache.Rache ist für Rosebury eine Art Reaktion auf einen erlittenen Schaden, bei dem Wechselseitigkeit eine große Rolle spiele, solange es um die Erlangung von Respekt geht.26 Solange die Rache außerdem gerecht ist, das richtige Ziel trifft und dabei verhältnismäßig bleibt, könne sie zwar nicht moralisch gut sein, aber unsere Sympathie und unseren Respekt fordern.

Für Rosebury kann Rache also das Objekt eines besonderen positiven Urteils sein, auch wenn sie dabei moralisch verwerflich bliebe. Rosebury nennt dieses positive Urteil "non-moral respect".27 Rosebury nennt vier Arten des Handelns nach nicht-moralischen Motiven, derer nur die Letzte interessant für diesen Aufsatz ist.28 Diese sei die Einzige, die sich ernst und überlegt mit Implikationen moralischer Regeln auseinandersetzte.29 Ernst sei eine Handlung dann, wenn die handelnde Person die Forderungen der Moral ständig vor Augen hätte und sie in schmerzendem

24 Walker (1995), S. 586.25 Rosebury (2008), S. 454/463.26 Rosebury (2008), S. 461/462.27 Rosebury (2008), S. 451.28 Rosebury (2008), S. 464.29 Rosebury (2008), S. 464.

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Widerspruch zur eigenen Handlung oder Entscheidung fühlte.30 Wichtig für respektable Rache sei außerdem, dass die moralischen Bedenken nach reichlicher Überlegung verworfen werden. Es dürfe keine Impulshandlung und kein angenehmerProzess für den Rächer sein.31 Er bezieht sich dabei auf die "private Rache", also eineüberlegte und gefährdende Handlung gegen einen Täter, welche durch Ablehnung einer vorherigen Handlung des Täters gegen den Rächer oder eine andere Person, deren Verletzung der Rächer übel nimmt, motiviert ist.32 Privat sei diese Rache, weil sie nicht mit institutioneller Autorität ausgeführt würde.33 Damit Rache geschehen könne, müssten dabei ein Motiv in Form eines nachtragenden Grolls und eine schändliche Handlung gegeben sein.34 Rosebury formuliert in seinem Text klar, dass Rache moralisch nicht zu verteidigen ist. Wer rächend handelte, könne nie moralisch gerechtfertigt sein, er könne aber den angesprochenen Respekt erlangen, welcher außerhalb der Moral stünde.35 Der Rächer handelte nach vorsichtiger Abwägung ganzbewusst nicht nach der moralischen Handlungsalternative, sondern folgt anderen Motiven. Diese Motive müssten dabei, wie gesagt, eine ernsthafte und zentrale Rolle im Leben des Handelnden spielen.36 Damit diese Motive für Respekt und Sympathie sorgen können, müssten sie vor allem auf dem Gefühl des Rächers basieren, dass das ganze Leben sonst falsch und verdorben wäre, weil die Verletzung einen zentralen oder essenziellen Teil des Lebens des Rächers zerstört oder gefährdet hat.37 Sympathie entstünde dann, wie bereits angedeutet, aus dem Gedanken, dass man selbst nach reichlicher Überlegung so hätte handeln können, in Verbindung mit der Anerkennung, dass der Andere nur ein an der Moral scheiternder Mensch ist, wie man dies selbst sei.38

Wie kann Rosebury nun aber bei der Definition der Rache helfen? Er formuliert Bedingungen, die für respektable Rache erfüllt sein müssen: Die Rache muss gerechtsein (was auch immer dies im tieferen Sinne bedeuten mag), sie muss auf das richtigeSubjekt oder Objekt zielen und sie muss proportional zur vorhergehenden Verletzungsein.39 Auch Handlungen, die diese Bedingungen erfüllten, seien moralisch falsch, könnten aber Kandidaten für nicht-moralischen Respekt sein.40 Im späteren Verlauf des Textes fügt Rosebury eine Bedingung hinzu, die besagt, dass eine Handlung nichtrespektabel sein kann, wenn wir die Handelnde nicht als moralisch reflektierende Person mit ihr wichtigen Werten betrachteten.41

Je bewusster der Rächer zuvor über seine Rache nachdachte und die moralischen Bedenken dabei beiseite schob, desto wahrscheinlicher und größer würde der Respekt. Rosebury ist in seiner Argumentation sehr wichtig, dass nicht-moralischer Respekt die Wichtigkeit der Moral anerkennt.42 In der Betrachtung eines Rächers

30 Rosebury (2008), S. 466.31 Rosebury (2008), S. 466.32 Rosebury (2008), S. 451.33 Rosebury (2008), S. 452.34 Rosebury (2008), S. 451.35 Rosebury (2008), S. 452.36 Rosebury (2008), S. 461.37 "(...) her whole life would be spoiled or falsified if she did not pursue revenge (...).", Rosebury (2008), S. 452.

Außerdem S. 460/461.38 Rosebury (2008), S. 463.39 Rosebury (2008), S. 453.40 Rosebury (2008), S. 453.41 Rosebury (2008), S. 458.42 Rosebury distanziert sich zum Anfang und Ende seines Textes klar von nihilistischen Positionen.

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würden Respekt und moralische Ablehnung sogar gleichzeitig eintreten.43 Sie seien, so Rosebury, nur einfach klar voneinander unabhängig.44

Um Roseburys Argumentation zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, dass Moral undGerechtigkeit für ihn nicht in einer zwingenden Beziehung zueinander stehen.45 Dies sei, angesichts einiger Beispiele46, die er präsentiert, zumindest nicht kontraintuitiv.

Um seine Position zu stützen, formuliert Rosebury einige Beispiele. Um den Rahmendieses Essays nicht zu sprengen, soll eines dieser Beispiele genügen:

"Alberto's daughter is shot dead by a Ruritanian diplomat. Because of diplomatic immunity, and the absence of reciprocal trial or extradition agreements between Italyand Ruritania, the killer ist able to return home without facing charges. So poor is the historic relationship between the two countries that Alberto knows that the likelihood of legal redress in his lifetime is negligible. He believes in the Christian morality of forgiveness, and the secular consequentialist arguments for the futility of revenge – perhaps he even believes that his immortal soul is forfeit if he kills someone – but he finds that he cannot live out the rest of his life without an unbearable and perpetual sense that the most important thing in it, the only thing that now gives it meaning, his urge to revenge his daughter, is unrealised. He tracks the killer to Ruritania and shoots him dead."47

Dies ist für Rosebury ein Beispiel für einen Fall gerechter Rache, die juristisch illegalist und vom Rächer als moralisch falsch betrachtet wird. Im Beispiel wird auch klar gezeigt, dass die Wechselseitigkeit der Rache, also der Umstand, dass Alberto auf einen moralischen Verstoß reagiert, eine große Rolle in der Erlangung von Respekt spielt.48

2.2. StaintonEine allgemeinere Definition der Rache formulierte Robert Stainton, Lehrender an der Western University Canada. Stainton versucht in seinem Essay "Revenge (La vengenca)" zu beschreiben, was Rache ist, beziehungsweise was Rache nicht ist.49 Stainton trennt die Rache in zwei Teile auf: Den Bereich des "Seeking revenge", also dem Streben nach Rache, und des "Getting revenge", also des "Erlangens" der Rache.50 Das Streben sei dabei ein innerer, mentaler Zustand, während das Erlangen ein externes Ergebnis sei.51 Auf diese Einteilung wird am Ende des Essays noch Bezug genommen.Für Stainton sind notwendige und hinreichende Bedingungen von Rache schnell

43 Rosebury (2008), S. 459.44 Rosebury (2008), S. 460.45 Rosebury (2008), S. 454.46 Schlägt Person X Person Y, und schlägt Y Person X darauf zurück, so habe Person Y einen Grund zur Beschwerde,

welchen Person X nicht habe.47 Rosebury (2008), S. 457.48 Rosebury (2008), S. 462.49 Stainton, Robert J.: "Revenge (La vengenza).", Crítica: Revista Hispanoamericana de Filosofía, Vol. 38, Nr. 112

(April 2006), Universidad Nacional Autónoma de México, S. 3.50 "Erlangen" wird in Ermangelung einer passenderen Übersetzung verwendet. Vielleicht würde "Befriedigung der

Rachelust" passender sein, würde Stainton nicht in den letzten Abschnittes seines Essays verschiedene Befriedigungen der Rachelust aufzählen, die allerdings keine wirklichen Fälle von Rache seien. Stainton (2006), S. 4.4.

51 Stainton (2006), S. 4.

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genannt. Sie seien nur durch eine Tautologie zu bestimmen: "(...) what's necessary and sufficient for getting revenge is... getting revenge."52 Rache scheint für Stainton also vor allem durch "Getting Revenge" ausgemacht zu sein.Statt auf die Tautologie einzugehen, sucht Stainton stattdessen eher nach Voraussetzungen fürs Streben und Erlangen von Rache.53

Als Voraussetzung für Streben nach Rachen braucht es einen Agenten A, der in der Lage zu streben ist. Es braucht einen Rezipienten B, der Ziel der Rachehandlung ist. Es braucht einen Grund oder Anlass fürs Rachestreben (dies ist meist der Schaden, den A zuvor durch B erlitt). Es reiche dabei, wenn der Grund in den Augen von A ein Grund ist.54 Es brauche zudem einen speziellen Schaden, den A über B bringen will.55

Laut Stainton ist das Rachestreben also ein Satz mit vier Variablen: "Agent A seeks revenge on recipient B because of harm H(A) by intending to cause harm H(B)."56

Was kann ein Rachestreben auslösen? Nach Stainton muss sich der spätere Rächer zunächst überhaupt des Schadens bewusst sein. Es reiche aber auch, wenn das spätere Racheopfer lediglich einen Schaden zu verursachen versuchte.57 Auch indirekter Schaden, beispielsweise Schaden gegen enge Freunde, könne echtes Rachestreben auslösen.58 Rachestreben könne sogar ausgelöst werden, wenn der spätere Rächer sich nicht verletzt fühlt, solange doch ein wahrgenommener Versuch des Schadens vorhanden sei.59 Bei all dem müsse eine bestimmte Art von Wut oder bösem Willen in den Motivationen des Rächers vorhanden gewesen sein.60 Diese Emotion müsste die Rache im späteren Verlauf des Prozesses aber nicht mehr tragen.61

Das entscheidende Element, das der Rache eigen ist, ist für Stainton das präzise Streben nach Rache.62 Rache sei ein soziales Phänomen63, das für seinen Bestand die direkte Intention bräuchte, auch Rache auszuüben. Dies setzt voraus, wie Stainton richtig erkennt, dass das Konzept der Rache dem Rächer bekannt sein muss.64 Als Unfall sei Rache unmöglich.65 Außerdem müssten auch die richtige Art von Gründen vorhanden sein. Das Streben nach dem bestmöglichen Nutzen sei beipielsweise kein richtiger Grund.66

Was gibt es zum Ziel der Rache zu sagen? Laut Stainton sei es auch möglich, eine Gruppe oder eine unpräzise Identität als Ziel zu haben, solange man wirklich daran glaubte, dass diese für den Schaden zur Verantwortung zu ziehen sind.67 Rache könneaber nicht komplett ziellos sein und gegen jeden gerichtet, der einem begegnet,

52 Stainton (2006), S. 4.53 Stainton (2006), S. 4.54 Stainton (2006), S. 9.55 Stainton (2006), S. 4.56 Stainton (2006), S. 4.57 Stainton (2006), S. 10.58 Stainton (2006), S. 10.59 Stainton (2006), S. 11.60 Stainton (2006), S. 5.61 Stainton (2006), S. 7.62 Stainton (2006), S. 5.63 Es sei vergleichbar mit der Institution des Versprechens.64 Rache verhalte sich dabei dem modernen sozialen Konstrukt des Wissenschaftlers ähnlich: Damit es auf einen

Menschen zutrifft, müsste dieser sich des Konstrukts bewusst sein und sich entsprechend verhalten. Stainton (2006),S. 7.

65 Stainton (2006), S. 6.66 Stainton (2006), S. 6.67 Stainton (2006), S. 8.

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während man unterm Einfluss einer bestimmten Emotion ist.68

Das Streben sei nicht mit einer Rachehandlung möglich, an der das Racheopfer Freude hätte. Es sei allerdings möglich, eine Handlung als Rachestreben einzuordnen, wenn der Rächer zumindest glaubt, dass seine geplante Handlung dem Racheopfer schaden würde, selbst, wenn dies nicht der Fall wäre.69 Dies ist eine der Voraussetzungen fürs Streben nach Rache, welches es klar vom Erlangen von Rache trennt. Dazu später mehr.

Was sind Voraussetzungen vom Erlangen der Rache? Zunächst sei ein vorherigens Rachestreben eine nötige Bedingung.70 Um Rache zu erlangen müsste es sogar explizit Rache gewesen sein, nach der man strebte. Rache könne also nicht durch Zufall erlangt werden.71

Ein Agent A, der Rache erlangt, müsse Handlungen planen und Gründe für seine Handlungen haben können. Er müsse ein Konzept von Rache haben. Es bedürfe einesGrundes für die Rache, welcher ein spezifischer Schaden sein müsse. Dazu müsse einOpfer als spezifisches Ziel geplant sein. Dieses Ziel müsse für einen intentionalen Agenten und für die Quelle des Schadens gehalten werden.72

Der Agent müsse zudem dem Verursacher des ursprünglichen Schadens Schaden zufügen wollen. Es sollte ihm dabei als etwa proportional erscheinen.73

Dies sind so weit die internen Bedingungen an den Rächer, wenn es um das Erlangenvon Rache geht. Stainton zählt auch externe Bedingungen auf, die außerhalb des Rächers liegen. So könnte der Rächer seine Rache auch dann bekommen, wenn das Racheopfer gar nicht weiß, wer ihn den Schaden hat erleiden lassen.74 Die besseren Fälle der Rache beinhalteten allerdings, dass das Racheopfer um den Verursacher seines Schadens weiß.75 Mit dieser Bestimmung definiert Stainton die Erlangung vonRache stillschweigend auch als ein Phänomen, das in bessere und schlechtere Fälle einzuordnen ist.76

Rache könne außerdem nicht durch einen Unfall des Racheopfers erlangt werden.77

Eine weitere externe Bedingung besagt, dass der Schaden wirklich passiert sein und er auch in etwa der Art passiert sein müsse, wie der Rächer es denkt.78 Auf diese Bedingung wird zum Ende des Essays noch eingegangen.Das Opfer schließlich, dass den Schaden der Rache letztlich erleidet, müsse diesen Schaden auch wahrnehmen können. Es reiche nicht, wenn der Rächer vom Schaden

68 Diese Aussage sollte allerdings erweitert werden. Es scheint nämlich, dass es doch zumindest möglich ist, dass die Rache nach außen hin ziellos wirkt. Ein Amokläufer kann in Verblendung sicher davon ausgehen, dass die ganze Menschheit für die Missstände in seinem Leben verantwortlich sind. Würde er nicht gestoppt werden, würde er womöglich weiter wahllos töten. Stainton (2006), S. 8.

69 Stainton (2006), S. 10.70 Stainton (2006), S. 4.71 Stainton (2006), S. 15.72 Stainton (2006), S. 15.73 Eine letzte Bedingung, die Stainton im Zuge dieser Aufzählung nennt, ist für mich unverständlich: "both the harm

H(A) perceived by A, and the harm H(B) intended to befall B, will often be de dicto, i.e., "harms under a description"." Stainton (2006), S. 16.

74 Damit widerspricht Stainton der Rachedefinition Nozick's, wie sie von Nigel Walker (Walker (1995), S. 582.) dargestellt wird. Stainton (2006), S. 17.

75 Damit entspricht Stainton wiederum der Einschätzung von Nigel Walker selbst. Stainton (2006), S. 17.76 Stainton bestimmt nicht, wodurch bessere Fälle der Rache auszumachen sind, abgesehen vom Wissen des

Racheopfers um den Verursacher seines Schadens. Vielleicht könnte die "Güte" des Racheerlangens durch die nachfolgende Gefühlswelt des Rächers bestimmt werden.

77 Auf diesen Punkt wird im Verlauf des Essays noch eingegangen.78 Stainton (2006), S. 16.

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überzeugt ist.79

Stainton formuliert auch einige Voraussetzungen an das Objekt, an dem die Rache vollzogen werden soll. So müsste das Rachesubjekt davon ausgehen können und davon ausgehen, dass das Objekt der Rache aus Gründen gehandelt hat.80 Das Objektmuss auch für den Schaden verantwortlich gemacht werden können.81 Außerdem müsse das Objekt den Schaden der Rache. Es reiche nicht, wenn der Rächer vom Schaden überzeugt ist.82

3. Ähnliche Begriffe

Bei vielen Begriffsklärungen ist es hilfreich, Abgrenzungen zu vergleichbaren oder ähnlichen Begriffen aufzuzeigen. Durch die Erkenntnis, was ein Begriff nicht bedeutet, erscheint das gesuchte Phänomen meist deutlicher.Die Rache scheint kein Fall dieser Art zu sein. Es gibt eine Fülle an Begriffen, die in der Literatur als der Rache ähnlich bezeichnet werden. So beschreibt Sachsse zum Beispiel eine Vermutung von Erich Fromm, laut der Rachsucht und Neid die selben Wurzeln hätten.83 Dieser Vergleich taucht, wie viele andere auch, an anderen Stellen nicht auf. Andere Begriffe scheinen nur andere Worte für Rache zu sein. Die englischen Wörter „Vengeance“, „Revenge“ und „Vendetta“ beispielsweise scheinen das selbe Phänomen zu beschreiben. Leo Zaibert benutzt sie austauschbar.84 Ohne Frage gibt es Begriffe, die mit der Rache vergleichbar seien könnten und für Verwirrung sorgen könnten. Sicherlich gibt es genügend Philosophinnen und Philosophen, die einen großen Unterschied zwischen „Revenge“ und „Vengeance“ machen. Da solche bei der Recherche für diesen Text aber nicht auffielen, soll sich die begriffliche Klärung auf ein einzelnes Phänomen beziehen, das in Texten über Rache immer wieder auftaucht.Der wichtigste Begriff, der mit der Rache in Verbindung steht, scheint der Bestrafungsbegriff zu sein. Da für weitere wichtige Begrifflichkeiten der Rahmen desEssays zu klein ist, soll in diesem Kapitel nur der Begriff der Bestrafung sowie dessen Verbindung zur Rache in diesem Kapitel erläutert werden.

3.1. BestrafungLeo Zaibert und Nigel Walker sind sich darüber einig, dass Bestrafung und Rache Begriffe sind, die in der Philosophie häufig miteinander in Verbindung gebracht wurden. Laut Zaibert ist eine dominierende Ansicht in der Philosophie, dass Strafe und Rache unterschiedliche Dinge sind.85 Auch Nigel Walker geht auf verschiedene Philosophinnen und Philosophen ein, die Bestrafung und Rache zu unterscheiden versucht hätten.86

Einen guten Einstieg in die vermeintlichen Gemeinsamkeiten der Begriffe liefert Zaibert. Einige Autoren entsprechender Texte seien zum Beispiel der Überzeugung, dass Bestrafung rechtmäßig oder gerecht sei, während Rache "wütend" sei.87 Rache

79 Stainton (2006), S. 16.80 Stainton (2006), S. 8.81 Stainton (2006), S. 9.82 Stainton (2006), S. 16.83 Sachsse (1990), S. 55.84 Fußnoten bei Zaibert (2006), S. 81.85 Zaibert (2006), S. 81.86 Walker (1995), S. 583/584.87 Zaibert (2006), S. 81.

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könne wegen kleinen Verfehlungen oder Schäden von nicht-autorisierten oder emotional überreagierenden Agenten ausgeübt werden, die sich nicht mit dem universalistischen Unternehmen der Moral beschäftigten. Daraus könnten Handlungen entstehen, die nicht generalisierbar seien und unproportional zur ursprünglichen Tat wären.88 All dies sei allerdings nur Ausdruck der Annahme, dass Rache irrational und damit immer nicht zu rechtfertigen sei. Strafe im Sinne der genannten philosophischen Tradition sei dagegen rational, zivilisiert und rechtfertigungsbar.89

Walker beschreibt im Gegenzug die Position von Autoren, die Rache und Bestrafung zu trennen versuchten. Bestrafung hätte immer einen (guten) Zweck gehabt. So beschreibt er zum Beispiel eine aus seiner Perspektive scheinbar veraltetete Position unter Retributivisten, die Strafen als Versuch betrachteten, den früheren Täter zu überzeugen, in Zukunft einen anderen Weg einzuschlagen. Walker nennt dies die "teleologische Position".90 Als weitere teleologische Spielart könnte die utilitaristische Position zählen, die Walker nennt. Diese hofft, allgemeiner als die teleologische Position selbst, auf einen zuträglichen Einfluss auf die moralischen Einstellungen und Verhaltensweisen der Beteiligten.91 Dies würde also auch abschreckende Wirkungen mit beinhalten.Eine weitere Perspektive auf Strafe beschreibt Walker als metaphorische Perspektive,nach der eine Strafe die Tat in gewisser Weise ungeschehen machen würde.92

Es gäbe außerdem noch die religiöse Perspektive ("Gott will es"), die metaphysische Perspektive, mit der er Kant's kategorischen Imperativ meint, sowie einen Rückgriff auf menschliche Intuition, nach der Menschen ganz einfach um den Zusammenhang zwischen Missetat und folgender Strafe wüsste.93

Für Walker ist die wichtigste Beschreibung der Bestrafung anhand einer Abgrenzung zur Rache bei Nozick zu finden. Zu dieser wurde bereits Einiges gesagt.Für Zaibert selbst gibt es entweder keinen analytischen Unterschied zwischen Strafe und Rache oder Rache sei ein Fall von Strafe.94 Er ist davon überzeugt, dass die bisherige Einteilung von Strafe und Rache nicht passend ist. Stattdessen sollte Rache einer Unterkategorie der Bestrafung namens "Retributive Gerechtigkeit" gegenüber gestellt werden. Auch Rache sollte dann eine weitere Unterkategorie der allgemein Strafe ("Punishment Simpliciter"95) sein. Dieser Einteilung soll im Verlauf dieses Aufsatzes gefolgt werden.

Was ist dann also retributive Gerechtigkeit und was unterscheidet diesen Begriff von Rache? Für Robert J. Stainton, der ebenfalls einer ähnlichen Einteilung wie Zaibert zu folgen scheint, handelte es sich um einen Fall retributiver Gerechtigkeit,wenn in der Bestrafung eines Täters eine gewisse Wut oder bösem Willen in den Motivationen des Bestrafers fehlte. Dies sei der wichtigste Unterschied zur Rache.96

Rache könne aber auch über retributive Gerechtigkeit erfolgen, wenn der Bestrafer sich zum Medium des Rächers machen lässt und für diesen die Bestrafung

88 Zaibert (2006), S. 82.89 Zaibert (2006), S. 82.90 Sie könnte sicherlich auch "paternalistische Position" genannt werden. Walker (1995), S. 583.91 Walker (1995), S. 584.92 Walker (1995), S. 584.93 Walker (1995), S. 584.94 Zaibert (2006), S. 83.95 Zaibert (2006), S. 86.96 Stainton (2006), S. 5.

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ausführte.97

Weitere Unterschiede zwischen retributiver Gerechtigkeit und Rache übernehmen sowohl Walker als auch Stainton aus Nozick's Definition, die bereits im Kapitel über den Rachebegriff angedeutet wurde. Trotzdem sollen die Unterschiede hier nochmals, auf den Begriff der retributiven Gerechtigkeit angewandt, vorgestellt werden. So müsse Rache etwas Persönliches sein; Sie müsse nicht generalisiert werden und auf jeden nächsten Schaden die selbe Antwort bieten; Sie könne auch aufeinen wahrgenommenen Schaden reagieren, während eine staatliche Handlung ein vorheriges "Wrong" als Grundlage brauche; Sie müsse nicht proportional zum vorherigen Schaden sein; Sowie: Rache-Erlangung bringe auch eine Art Vergnügen mit sich. All dies gelte so nicht für die retributive Gerechtigkeit.98

Die Ansichten Nozicks haben laut Leo Zaibert, Philosophieprofessor am Union-College in New York, großen Einfluss auf die Debatte rund um die begriffliche Unterscheidung zwischen retributiver Gerechtigkeit und Rache genommen.99 Er kritisiert diese Ansichten, vor allem die Unterschiede zwischen beiden Begriffen, unddie Überzeugung der modernen Philosophie, den Einsichten Nozicks folgen zu müssen.100 Seiner Meinung nach seien Rache und Bestrafung begrifflich kaum trennbar. Dazu später mehr. Die bereits angesprochene fehlende Trennung von Strafe (im Sinne der "Retribution simpliciter" bei Zaibert) und retributiver Gerechtigkeit seidurch Nozicks Abgrenzungen entstanden und hätten durch sie ihren Einfluss in der heutigen Debatte.101 Es gäbe aber einen Unterschied in dem Umstand, das nur im Fallretributiver Gerechtigkeit die handelnden Agenten davon ausgingen, dass der von ihnen verursachte Schaden auch gerecht sei.102 Damit sei retributive Gerechtigkeit eine Unterkategorie der Strafe, womit sich einige begriffliche Verwirrungen zum Anfang seines Essays erklären lassen.103

Auch müsse ein Bestrafer nicht glauben, dass die von ihm vollzogene Strafe proportional zur ursprünglichen Tat ist. Dies müsse nur bei einem Bestrafer nach Maßstäben retributiver Rache der Fall sein.104 Diese Erkenntnis scheint vereinbar mit einfach Intutionen. Wie könnte von irgendeinem Menschen erwartet werden, für eine bestimmte Tat eine genau äquivalente Bestrafung zu finden?Zaibert lehnt auch ab, dass Rache keine interne Begrenzung haben müsse. Dies belegt er relativ schwammig mit einer Geschichte über eine Missetat, die komplett unproportional vergolten wird. Seine Ableitung, dass es aus diesen Absurditäten heraus doch Begrenzungen der Rache gebe, wirkt nur wenig überzeugend.105

Zaibert lehnt auch ab, dass nur Bestrafer die Fähigkeit hätten, gleiche Fälle von Missetat gleich zu vergelten, während Rächer diese Fähigkeit nicht haben könnten.106

97 Dies scheint inkonsistent mit der zuvor kritisierten Bestimmung Staintons, dass nämlich Rache nicht durch einen Zufall erlangt werden kann. Das Ausmaß der Rachehandlung wird nicht durch den Rächer, sondern durch eine externe Judikative übernommen. Der Rächer weißt den Staat zudem nicht direkt an, er kann lediglich Anzeige oder Ähnliches stellen , worauf er es in den Händen des Staates lässt. Stainton (2006), S. 18.

98 Stainton (2006), S. 19.99 Zaibert (2006), S. 86.100Zaibert (2006), S. 86/87101Zaibert (2006), S. 88.102Ich meine, dass es komplizierter ist, als Zaibert es hier darstellt. Im Rahmen meiner Begriffsklärung komme ich

noch auf diesen Punkt zurück. Zaibert (2006), S. 88.103Zaibert (2006), S. 88.104Zaibert (2006), S. 97.105Zaibert (2006), S. 98.106Zaibert (2006), S. 99.

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Ist Strafe nun das selbe wie Rache? Ist Rache ein Fall von Strafe und der Gegensatz zu retributiver Gerechtigkeit? Ist diese Einteilung überhaupt sinnvoll? Diese Fragen sollen in einem späteren Kapitel vorkommen. Bis dahin soll diese Vorstellung des Begriffs der Bestrafung reichen.

4. Eine weitere Konzeption der RacheDas Gefühl, dass eine Nötigkeit besteht, eine weitere Konzeption der Rache zu formulieren, ergab sich bei der Lektüre von Stainton. Stainton formuliert als externe Bedingung der Rache, dass diese wirklich passiert und sogar in etwa der Art passiert sein müsste, wie der Rächer es denkt.107 Dies wirkte stark kontraintuitiv. Beim Erlangen der Rache sollte es beinahe exklusiv um den mentalen, internen Zustand des Rächers gehen. Ob der Grund der Rache wirklich passiert ist, spielt solange keineRolle, wie der Rächer vom Vorkommen überzeugt ist und er durch äußere Umstände nicht vom Gegenteil überzeugt wird. Dementsprechend wäre ein in Wirklichkeit nicht passierter Grund für Rache so lange ein Teil eines echten Falles von Rache, wieder Rächer nichts über diese Realität weiß.Stainton scheint diese Intuition zu Teilen ebenfalls zu besitzen. So schreibt er, dass ein Streben nach Rache sicherlich auch dann möglich sei, wenn der ursprüngliche Schaden nicht wirklich passiert ist.108 Dass Stainton diese Erkenntnis nicht auch aufs Erlangen von Rache ausweitet, erscheint als inkonsequent.Einen ähnlichen Fehler macht Stainton in Bezug auf den Schaden, den das Racheopfer letztendlich davon trägt. So müsse dieser ein Agent sein, der den Schaden auch wahrnehmen könnte. Es reiche nicht, wenn der Rächer vom Schaden überzeugt ist.109 Würde nicht aber jeder Rächer sagen, dass er seine Rache erlangt hat, wenn er bis zu seinem Todestag fest davon überzeugt ist, dass sein Racheopfer den gewünschten Schaden erleiden musste, auch, wenn dies nur am schauspielerischen Talent der Racheopfers liegt? Eine objektive, rächerexterne Perspektive scheint nicht besonders hilfreich bei der Bestimmung des Phänomens derRache zu sein.110 Staintons Ansatz scheint, wie eigentlich alle anderen Ansätze auch, zu wenig rächerzentriert zu sein, wodurch ein Element der Rache übersehen wird, das intuitiv vielleicht die wichtigste Rolle in der Klärung des Phänomens spielen könnte: Die Gefühlswelt des Rächers selbst.111

Eine begriffliche Klärung, die dem Element der Gefühlswelt des Rächers beihilfe verschaffen könnte, fehlt in allen bisher genannten Aufsätzen. Auch dieses Begriffspaar scheint intuitiv eine deutlich größere Rolle zu spielen, als es bisher in der philosophischen Literatur spielt. Wie steht es mit Genugtuung und Befriedigung, wenn es um Rache geht?112 Kann Rache gesucht und dann beispielsweise durch einenUnfall befriedigt werden oder Genugtuung erlangen, sodass das Streben nach Rache zu einem Halt kommt? Stainton spricht diese Frage grob an, kann aber keine befriedigende Antwort liefern. Für ihn ist Rache nichts, was durch Zufall erlangt

107Stainton (2006), S. 16.108Stainton (2006), S. 16.109Stainton (2006), S. 16.110Stainton (2006), S. 16.111Dies bestätigt zum Beispiel Nigel Walker mit einem Satz, in dem es nur um die Befriedigung des Rächers allein

gehen kann: "Satisfaction is certainly the point of revenge." Walker, Nigel: "Nozick's Revenge.", Philosophy, Vol. 70, Nr. 274, Oktober 1995, Cambridge University Press, S. 586. Man achte auch auf Zaibert's Fokus auf die Perspektive des Rächers. Zaibert (2006), S. 90.

112Nigel Walker spricht die Intuition, dass es in Rachefragen auch um Befriedigung des Rächers geht, auch an: Walker (1995), S. 586.

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werden kann.113

Es scheint aber, als wäre es hypothetisch möglich, so etwas wie Befriedigung oder Genugtuung zu fühlen, ohne selbst den Racheakt vollzogen zu haben und auch keine Verantwortlichkeit für bestimmte Missstände im Leben des Täters zu tragen. Leo Zaibert argumentiert dafür, dass Literatur eine Rolle in begrifflicher Bestimmung spielen müsse.114 Dieser Argumentation soll mit einer von Michael Stephens erzählten Geschichte über Rache gefolgt werden, die als gutes Beispiel für das genannt werden kann, was mit Befriedigung oder Genugtuung gemeint sein könnte. In der Geschichte wird ein Mann, der von seiner Lebenspartnerin begleitet wird, im Park überfallen und beinahe ermordet. Sein Leben und vor allem das Leben seiner Partnerin verändern sich durch die folgende Angst, sodass sie sich letztendlich trennen. Der Protagonist scheint die Räuber verantwortlich zu machen. Er patrouilliert die Straßen und sucht nach den Tätern, bis er einige Zeit später einen Räuber verwundet oder tötet, der womöglich einer der ursprünglichen Räuber war. Weitere Jahre später sieht er einen Obdachlosen, womöglich Drogenabhängigen, in dem er den wirklichen ursprünglichen Täter zu erkennen glaubt. Angesichts dessen Schicksals kann er in dieser wirklichen Konfrontation mit dem echten Täter sein Rachestreben zurückhalten. Er scheint danach in einem Zustand zu sein, der "Befriedigung" oder "Genugtuung" genannt werden könnte: "The violence was drained out of him."115 Erst zwanzig Jahre später fällt er wieder in sein altes Verhaltenzurück.116

Ich möchte so weit gehen, dass in diesem Beispiel (wie auch in vielen weiteren) sowohl Genugtuung als auch Befriedigung erlangt wird. Ich möchte das Gefühl der Erleichterung, welches im Geist des Rächers und welches durch sinkenden Druck, Loslassen der Agression oder deren Externalisierung ausgelöst sein könnte, "Befriedigung" nennen. Es wäre das Ziel des Rachestrebens und würde in Staintons Konzept das Erlangen der Rache ersetzen. Auf den Begriff "Erlangen von Rache" soll in den nächsten Sätzen eingegangen werden.Der geistige Zustand, der mit dem Eintreten eines Umstandes, welcher den Rächer davon abbringt, seines Rachestreben weiter zu verfolgen, soll "Genugtuung" genannt werden. Aus dieser Genugtuung würde die Befriedigung folgen.117

Wenn Befriedigung des Rächers bereits durch den Zufall möglich ist, scheint ein persönliches Umsetzen des Rachestrebens nicht mehr notwendig. Oder verhält es sich mit persönlichen Rachehandlungen vielleicht ähnlich wie mit Rachehandlungen,in denen das Racheopfer weiß, wer warum die Tat an ihm vollzog? Stainton scheint davon überzeugt, dass es besseres und schlechteres Erlangen von Rache gäbe, abhängig von diesem Wissen.118 Es könnte also sein, dass eine persönliche Rache eine besonders "reichhaltige" Befriedigung erlangen könnte. Dieses Phänomen möchte ich so nennen, wie Stainton das Ziel seines Begriffs des Rachestrebens nannte: "Erlangen der Rache".

113Stainton (2006), S. 17.114Zaibert (2006), S. 84.115Stephens, Michael: "Revenge.", Manoa, Vol. 3, Nr. 2, Herbst 1991, S. 75-80.116Stephens (1991), S. 75-80.117Dass der Protagonist diesen Zustand der Befriedigung am Ende der Geschichte nicht beibehalten kann, mag an der

Unsicherheit liegen, ob er seinen Rächer wirklich gesehen hat oder ob er sicht irrte.118Stainton (2006), S. 17.

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Zur Verdeutlichung soll dieses Schaubild beitragen:

Ziel: BefriedigungMittel:

persönlicher Akt: nicht-persönlicher Akt:Racheerlangung GenugtuungBesondere „Güte“ derBefriedigung

Alle Fälle von Genugtuung und alle Fälle von Racheerlangung sind auch Fälle von Befriedigung. Nicht alle Fälle von Befriedigung sind Racheerlangen und nicht alle Fälle von Befriedigung sind Genugtuung. Alle Fälle von Befriedigung sind auch Racheerlangen oder Genugtuung. Befriedigung folgt aus Genugtuung oder Racheerlangen und stellt deren Ziel dar. Racheerlangung verschafft dabei möglicherweise eine Befriedigung besonderer Güte.

Kommen wir nun zu einem kurzen Rückblick auf Nozick's Position: Statt auf die Folgen von Strafen zu achten, betrachtete er Strafe als einen symbolischen Akt, der bestimmte Werte eine Rolle im Leben des Bestraften spielen ließe: "The message may or may not have a beneficial effect on the offender: it is sufficient that it reacheshim and is understood, even if he does not accepted what it says."119

Diese Erkenntnis könnte, angesichts des Nozick'schen Vergleichs von Retribution und Rache, auch auf Fragen der Rache übertragbar sein. Rache wäre ein symbolischer Akt, bei dem es sich weder um den Selbstwert des Opfers (und späterenRächers), noch um die Umerziehung des Täters (und späteren Racheopfers) dreht. Stattdessen wird unabhängig von den vielleicht ausbleibenden Erkenntnissen des Täters dafür gesorgt, das bestimmte Werte im Leben des Täters eine Rolle spielen. Ein Schläger würde, folgte man dieser Argumentation, durch einen Racheakt mit der Falschheit seiner Handlung in den Augen des Rächers konfrontiert und müsste sich mit dieser Falschheit auseinandersetzen. Der symbolische Akt muss zur Entfaltung seiner Symbolik und um mehr zu sein, als reine Metaphorik, dem Racheopfer klar kommuniziert werden.Diese Übertragung wirkt auf den ersten Blick unrealistisch. Warum sollte es eine Rolle spielen, ob bestimmte Werte im Leben eines Missetäters eine Rolle spielen?Formuliert man Nozick's Bedingung aber um, lässt sich ein wichtiges Zusammenspiel mit der angesprochenen "Befriedigung" ausmachen: Bestimmte Werte nehmen Einfluss auf das Leben des Racheopfers. Die Werte, die der Täter beziehungsweise das spätere Racheopfer, zuvor hatte und die ihn zu seiner Missetat motivierten, werden anderen Werten entgegengesetzt. Diese Werte werden begleitet durch einen Schaden ihm gegenüber, sodass er sie nicht ignorieren kann. Ob er sie annimmt oder ablehnt, bleibt egal, da es nur darum geht, dass der Täter die Werte wahrnimmt.

119Walker (1995), S. 583.

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Vielleicht könnte man in der Übertragung von Nozick noch weiter gehen. So könnte es sein, dass Rache als symbolischer Akt nicht nur Werte eine Rolle spielen lässt, sondern auch Erfahrungen teilt. Diese würden ebenso wie der "symbolische Akt der Werte", ein Form der Kommunikation vom Rächer zum Racheopfer sein. Der Inhalt könnte so viel sein, wie "Etwa so fühlt sich das an, was Du mir zuvor angetan hast". Die ursprüngliche Tat wäre dadurch vielleicht externalisierbar, es entstünde eine Umkehr der Machtverhältnisse120 und Befriedigung könnte eintreten. Die offensichtliche Bedingung wäre hier, wie auch bei Nozick selbst, dass die Rache ein kommunikativer Akt bleibt und das Racheopfer weiß, wer ihm den Schaden warum angetan hat. Dies wirkt leider wieder weniger intuitiv und wirft eine weitere Folgefrage auf, die im Fazit angesprochen wird.

Zurück zum Begriff "Genugtuung": Genugtuung könnte möglich sein, wäre aber von dem Charakter sowie vom anfänglichen Schaden abhängig. Wer sich in seinem Streben nach Rache verrennt, könnte auch durch die größten Missstände, die seinem Racheopfer zustoßen, nicht von seinem Rachestreben abgebracht werden, wenn dieseMissstände nicht durch ihn selbst auftreten. Es scheint aber durchaus vorstellbar, dassjemand, der Opfer einer Missetat wurde, nach Rache strebt, diese Rache aber unabhängig von seinen Handlungen befriedigt wird. Dies könnte zum Beispiel durch einen Autounfall des Racheopfers geschehen. Schäden wie die Ermordung des eigenen Kindes könnte es aber für jeden Menschen unmöglich machen, Befriedigungdes Rachestrebens zu erlangen, ohne (selbst ausgeführten) Racheerfolg zu erleben. Die interessante Frage, ob Genugtuung auch ohne den Schaden des ursprünglichen Täters erfolgen kann, kann hier nicht weiter behandelt werden. Eine weitere Diskussion sollte allerdings auf Konzepte wie jenes vom Psychoanalytiker Ulrich Sachsse eingehen, die davon ausgehen, dass ein Rächer während des Rachestrebens über sich selbst hinauswachsen könnte und so die genannte Umkehr der Machtverhältnisse ohne Rachehandlung erreichen könnte.121

Da der Begriff Rache in der Philosophie stark mit der Frage verknüpft ist, ob diese Rache das selbe wie Strafe ist oder nicht, sollte eine Konzeption der Rache auf diese Frage Antworten liefern können. Leo Zaibert's Erkenntnis, dass die Philosophie den Begriff "Strafe" zu häufig mit dem Begriff "Retributive Gerechtigkeit" vertauscht habe, wirkt nach Behandlung von dessen Argumenten plausibel. Vielleicht sind sowohl Rache als auch retributive Gerechtigkeit zwei Begriffe, die das Mittel der Strafe verwenden.Sind Rache und retributive Gerechtigkeit dabei unterschiedliche Begriffe oder bezeichnen sie das selbe Phänomen? Leo Zaiberts Trennung von Strafe und retributiver Gerechtigkeit scheint zwar hilfreich, ein Großteil der restlichen Argumentation, die sich vor allem gegen Nozick's ursprüngliche Trennung der Begriffe wendet, ist aber nicht an allen Stellen überzeugend. Zaibert behandelt die Kriterien, nach denen laut Nozick ein Unterschied entstünde, jeweils einzeln und verwirft alle Kriterien mit dem Argument, dass sie allein nicht zur Unterscheidung genügten. Nozick scheint aber eine Kombination dieser Kriterien als Unterscheidungsmerkmal zu meinen.

120Diese Machtverhältnisse werden durch Hinrichs angesprochen, der Hass, welchen er als Grundlage der Rache sieht, erst ermögliche. Hass könne nur gegen Jemanden entstehen, den man als „stärker“ empfände. Hinrichs (1990), S. 42.

121Sachsse, Ulrich: "Rache: Destruktive Wiedergutmachung.", erschienen in "Hassen und Versöhnen. Psychoanalytische Erkundungen.", herausgegeben von Herdieckerhoff, Ekesparre, Elgeti und Marahrens-Schurg. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen, 1990, S. 58.

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Folgt man Nozick's Annahme, dass Rache ein symbolischer Akt sei, könnte dies Rache von retributiver Gerechtigkeit unterscheiden. Zur Verdeutlichung könnte dieses Schaubild beitragen:

Strafe (Mittel)

Rachestreben retributive Gerechtigkeit- Qualität des Mittels: - Qualität des Mittels:symbolischer Akt teleologischer Akt- Ziel: Befriedigung des - Ziel: ErziehungRachestrebens-Mögliche Folgen: - Mögliche Folgen:Erziehung des Täters Befriedigung desdurch Genugtuung Rachestrebens

Während beide Phänomene nach Zaibert die Strafe als Mittel verwenden, könnten siesich einerseits durch die "Qualität des Mittels" unterscheiden. Damit ist die Art der Handlung gemeint, die als Strafe vollzogen wird. Beim Rachestreben ist dies ein symbolischer, bei der retributiven Gerechtigkeit ein teleologischer Akt. Dies drückt sich in dem aus, was den zweiten Unterschied ausmachen könnte, namentlich dem Ziel. Das Rachestreben zielte nur auf die Befriedigung dieses Strebens, während die retributive Gerechtigkeit eine Art "Erziehung" des Täters durch die Strafe wünschen könnte. Dies würde die retributive Gerechtigkeit dafür prädestinieren, als Agent vor allem staatliche Organe zu haben. Es scheint aber durchaus vorstellbar, dass Privatpersonen retributive Gerechtigkeit anstreben, solange das Ziel die "Erziehung" des Täters bliebe.Beide Phänomene könnten ohne Frage durch Zufall das Ziel des jeweils anderen Begriffs als Folge mit sich zu bringen.Wichtig scheint aber eine weitere Erklärung: Für das Streben nach Rache ist es nicht nötig, von moralischer Falschheit oder von moralischer Güte zu sprechen.122 Nach dieser Konzeption sollte es in der Betrachtung der Rache nur um die subjektiven Einschätzungen des Rächers gehen. Externe Umstände scheinen keine Rolle zu spielen, solange sie für Rächer keine Rolle spielen. Die Frage nach der moralischen Bewertung der Rache ist natürlich eine wichtige Frage, die an anderer Stelle beantwortet werden muss. Dabei sollten allerdings nicht mögliche Nutzen oder Zwecke der Rache außer Acht gelassen werden. Diese werden im nächsten Kapitel behandelt.

122"revenge is the getting of one's own back; the notion of moral wrong is irrelevant to it." John Kleinig, Punishment and Desert, S. 39. Nach Zaibert (2006), S. 94.

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5. Mögliche Nutzen und Zwecke von Rache

Ulrich Sachsse präsentiert eine interessante Perspektive des ursprünglichen Opfers. Das Unrecht stelle eine subjektive narzisstische Verletzung dar. Der Verletzte hätte die Möglichkeiten, entweder niedergeschlagen in seiner „traumatisierten Bedeutungslosigkeit“ weiterzuexistieren oder aber sein Selbstwertgefühl wiederherzustellen.123

Nachdem ein Unrecht also geschehen sei, könne Rache ein essenzielles Lebensziel des Opfers werden. Dies liege, nach Erich Fromm, daran, dass das Leidenlassen des Missetäters dessen Untat in den Augen des ehemaligen Opfers ungeschehen mache.124 Rache sei nach Fromm gar so etwas wie "magische Wiedergutmachung" und vollbrächte die oben genannte Wiederherstellung des Selbstwertgefühls.125

Sachsse ergänzt, dass für die Wiederherstellung des Selbstwertgefühls ein Triumph über den noch übermächtigen Feind nötig sei.126 Dieser Triumph wäre nach Sachsse auch auf anderen Wege möglich. Auf diesen wird gleich noch eingangen.Sachsse plädiert hier also dafür, dass das Unrecht durch den Racheakt im Bewusstsein des Opfers wiedergutgemacht werden könnte.

Sachsse macht einen weiteren interessanten Punkt, indem er die große Zahl an Filmen mit Rachemotiven, die es gibt, als Argument dafür anführt, dass es das verbreitete Bedürfnis gebe, zumindest in der Phantasie Rachegelüste (stellvertretend)auszuleben. Vielleicht sei Rache sogar ein menschliches Bedürfnis.127

Rache könnte laut Sachsse auch eine Kompromisslösung bieten, um die eigene innerseelische Struktur durch ansatzhaftes „Platzlassen“ zu retten.128 Im konstruktiven Fall würde der Rächer seine Destruktivität zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit zur Verfügung stellen. Es fände also ein destruktiver Kampf gegen die Destruktivität statt.129 Dieses „Überwachsen“ des Feindes, das eine Art Alternative zur Rache darstellen könnte, spiele innerseelisch eine wichtige Rolle und hätte für Freud den zentralen Schritt der „Über-Ich-Reifung“ dargestellt, indem es dazu anrege, erwachsen, groß und stark zu sein.130 Trotz der Einteilung als Rachealternative geht es hier zumindest um das Streben nach Rache, dass dann anders als geplant befriedigt wird. Diese Rachefantasien seien also wichtige Antriebe, als Opfer selbst „groß und stark“ zu werden.131

Gerda Lederer schreibt in ihrem Aufsatz für den Sammelband über Fremdenhass in der DDR und Österreich. Laut Lederer konnten Juden- und Fremdenfeindlichkeit nicht durch Tabuisierung beseitigt werden. Auch sie scheint für ein gesundes Umgehen mit unseren Rachegelüsten argumentieren zu wollen.132 Vor allem kann

123Sachsse (1990), S. 54.124Sachsse (1990), S. 54.125Sachsse (1990), S. 54.126Sachsse (1990), S. 54.127Sachsse (1990), S. 53.128Sachsse (1990), S. 55/56.129Sachsse (1990), S. 56.130Sachsse (1990), S. 56.131Sachsse (1990), S. 58.132Lederer, Gerda: "Antisemitismus und Fremdenhaß aus der Sicht der politischen Psychologie.", erschienen in

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ihre Argumentation so gelesen werden, dass jeder andere Versuch dieser Art nicht funktionierte.

David Becker macht auf einen Umstand aufmerksam, der von der philosophischen Debatte bisher scheinbar übersehen wurde. Laut Becker ist die Verbalisierung und Handlung nach Hass, welcher andere Menschen entmenschlicht, ein Charakteristikum von Tätern. Sollten die Opfer als Menschen gesehen werden, was durch eine direkte Konfrontation entstehen könnte, ergebe sich der Wunsch des Täters nach dem Aufbau einer neuen Zukunft, dem Abschluss mit dem Vergangenen, der möglichst geringen Schuldanerkennung und Wiedergutmachung sowie der raschen Versöhnung.133 Der Täter wolle möglichst wenig mit der Tat und der Anerkennung der eigenen Untat zu tun haben. Dies befreie offensichtlich das Gewissen des Täters. Die Strafe, die dieser sich selbst durch sein schlechtes Gewissen aufbürdet, vergeht schnell. Somit wäre eine rasche Versöhnung vor allem eine Erleichterung und Erlösung für den Täter. Das Opfer hingegen könne die Tat vielleicht auch durch Wut, Verdrängung oder Innengerichtetheit auflösen. Eine Versöhnung sei dazu nicht zwangsweise nötig.134 Es scheint, als sei die Betrachtung der Auswirkung einer Versöhnung vom Opfer und dessen Perspektive abhängig: Wirkt sie erlösend, weil das Opfer sich moralisch über dem Täter sieht, oder wirkt sieunterwerfend, weil auf Druck gewisser Versöhnungsnormen hin nachgegeben wird. Im zweiten Fall ginge der „Versöhnungswunsch auf Kosten der Opfer“.135 Dies könnte für die Rache sprechen.

Eine wichtige Frage, die ebenfalls Becker formuliert, ist, warum der sichtbare Hass des Opfers begrenzt werden oder sogar ganz ausbleiben kann und wohin die aggressiven Empfindungen dann umgeleitet werden.136 Sind sie nach innen gerichtet, so geschieht eventuell, was von anderen Autoren des Sammelbandes vermutet wird. Der Hass würde internalisiert und könnte so zum Abnehmen der geistigen Gesundheit führen.Als Verdeutlichung dafür sollte ein von Hinrich erzähltes Schicksal einer Serviererin mit Borderline-Syndrom ausreichen.137 Diese hätte lange Zeit Feindseligkeit gegen sich selbst empfunden und sich selbst Schäden zugefügt. Glücklicherweise konnte diese Feindseligkeit, die zunächst auf die eigene Person gerichtet war, nach außen getragen werden. Wäre sie innerlich geblieben, wäre womöglich kein "Frieden" möglich gewesen. Laut Hinrichs gäbe es viele solcher Fälle. Diese seien durch pathologischen Hass asugezeichnet, der gegen das eigene Ich gewendet zur "maßlosen Entwertung der Objekte" führe. Er unterscheidet dies von normalem Hass,der nach Freud eine "wohltuende Gefühlsbegleitung" trage und hasserfüllte Affekte nach außen leite.138 Die innere Hassabfuhr sei von beiden Möglichkeiten der Hassabfuhr, wie bereits oben erwähnt, die "ungesunde" und destruktive

"Hassen und Versöhnen. Psychoanalytische Erkundungen.", herausgegeben von Herdieckerhoff, Ekesparre, Elgeti und Marahrens-Schurg. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen, 1990, S. 89.

133Becker, David: „Ohne Haß keine Versöhnung. Aus der therapeutischen Arbeit mit Extremtraumatisierten in Chile.“, erschienen in "Hassen und Versöhnen. Psychoanalytische Erkundungen.", herausgegeben von Herdieckerhoff, Ekesparre, Elgeti und Marahrens-Schurg. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen, 1990, S. 107.

134Becker (1990), S. 107.135Becker, (1990), S. 107.136Becker (1990), S. 108.137Hinrichs (1990), S. 45.138Hinrichs (1990), S. 46.

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Alternative.139 Gesunder Hass leite hingegen verschiedene aggressive Impulse schadlos nach außen ab. Die Fähigkeit zum Erleben diesen Hasses sei für den Menschen gar notwendig.140

Zuletzt könnte ein zumindest erwähnenswerter Zweck der Rache aus Napoleon Chagnons Bericht über den südamerikanischen Stamm der Yanomamö bei Elster abgeleitet werden. So könnte in einem Umfeld wie dem der Yanomamö eine Tendenzzur Rache die reproduktive evolutionäre Kraft erhöhen, indem ein erarbeiteter Ruf andere vor Gewaltanwendung und anderen Verstößen abschrecke oder eine höhere Fortpflanzungswahrscheinlichkeit entstünde.141

FazitAus der Auseinandersetzung mit dem Begriff und Phänomen der Rache sind viele zu klärende Fragen entstanden. Ist Rache zum Beispiel ein Akt oder eine Emotion oder ist sie eine Handlung, die Emotionen auslöst? Wodurch genau wird ein Rachestreben ausgelöst? Durch Rachelust, durch Hass, durch einfache Wut oder wirklich nur direktdurch einen entstandenen Schaden? Ist es hilfreich, Rache als einen wertevermittelnden Akt zu beschreiben? Ist Rache zwangsweise ein nicht-staatlicher und ist retributive Gerechtigkeit zwangsweise ein staatlicher Akt? Worauf basiert die Intuition, dass es Rache besonderer Güte geben könnte? Ist es plausibel, dass Genugtuung und Racheerlangung nur durch einen kommunikativen Akt eintreten können? Kann Rache rational sein? Ist Rache zwangsweise irrational? Wie ist Rache moralisch zu bewerten?Und noch ein letzter Gedanke: Sollten (juristische) Strafen wirklich so viel mit Racheund Rachelust zu tun haben, wie einige Autoren dies nahe legen, scheint ein Überdenken von einem der Beiden notwendig. Entweder sollte dann unser Umgang mit Bestrafung den Einstellungen zur Rache angepasst werden, oder aber ein Umdenken in der Betrachtung von Rächern stattfinden.Der Begriff der Rache hat bisher keine allgemeine Definition und wird auch durch diese neue Konzeption keine allgemeine Definition erlangt haben. Vielleicht kann derAnsatz aber auf einige wichtige Elemente der Rache hinweisen, die in den bisherigenDefinitionen eine geringe Rolle spielten.Sicherlich verdiente der Begriff aber mehr Aufmerksamkeit, als ihm allein bisher zugekommen ist. Die genannten Hinweise aus der Psychoanalyse scheinen dafür zu sprechen, dass die Rache ein Phänomen ist, das eine große Bedeutung für das Leben der Menschen haben könnte und welches mehr Nutzen haben könnte, als ihm bisher zugestanden wurde. Das Phänomen scheint darüber hinaus komplexer zu sein, als bisher angenommen und könnte eine forciertere Perspektive hin zum Rächer und weg vom Racheopfer gebrauchen.

139140Hinrichs (1990), S. 47.141Für die letztere These existiert keine genauere Herleitung. Elster (1990), S. 881.

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