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Page 1: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

Egbert Dozekal

Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus' Darstellung und Kritik eines Diskussionsprozesses in der Bundesrepublik von 1967 bis 1984

Köln 1985 Pahl-Rugenstein Verlag

Page 2: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

Diese Arbeit hat dem Promotionsausschuß Dr. rer. pol. der Universität Bremen als Dissertation unter dem Titel "Von der ,Rekonstruktion' der Marxsehen Theorie zur ,Krise des Marxismus' - Darstellung und Kritik eines Diskussionsprozesses in der Bundesrepublik von 1967 - 1984" vorgelegen. An dem Promotionsverfahren haben Prof. Dr. Margaret Wirth (Bremen) und Prof. Dr. Lothar Peter (Bremen) als Gutachter mitgewirkt. Das Kolloquium hat am 24. Mai 1985 stattgefunden.

Bll

© 1985 by Pahl-Rugenstein Verlag GmbH, Gottesweg 54, D-5000 Köln 51. Alle Rechte vorbehalten. Herstellung: MVR Druck, Köln CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Dozeka!, Egbert:

Von der .,Rekonstruktion" der Marxsehen Theorie zur "Krise des Marxismus'·: Dars!. u. Kritik c. Diskussionsprozesses in der Bundesrepublik von 1967 bis 1984 / Egbert Dozekal. - Köln: Pahl-Rugenstein, 1985.

(Pahl-Rugenstein-Hoehsehulsehriften Gesellschafts­und Naturwissenschaften; 204: ISBN 3-7609-5204-6

INHALT

I. Einleitung

11. Die Rekonstruktion des ~larxismus - seine Verwand­

lung in Erkenntnistheorie und Methode

1. Die Rekonstruktion der Marxschen Theorie als

"logische Struktur des Kapitalbegriffs"

(Helmut Reichelt)

a) Was heißt logische Analyse des Kapital­

begriffs?

b) Die logische Struktur des Kapitalbegriffs:

das Wahrheits- und Geltungskriterium der

Marxschen Theorie

c) Die "Kritik der politischen Ökonomie":

die Entfaltung eines Totalitätsbegriffs

der entfremdeten Formen

d) Das "Kapital": eine Phänomenologie von Er­

kenntnisrestringierungen der bürgerlichen

Theorie

e) Probleme der Gültigkeit der Marxschen

Theorie

2. Die Rekonstruktion der Marxschen Theorie als

"Versuch einer Begriffsbestimmung"

(Claus Offe)

a) Der Marxsche Kapitalismusbegriff: Bedingun­

gen der Möglichkeit seiner erfolgreichen

Anwendung

9

19

23

23

31

40

70

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b) Der wissenschaftliche Ertrag eines mög­

lichen Spätkapitalismusbegriffs

3. Die Rekonstruktion der Marxschen Theorie als

"Produkt" der Produktionsverhältnisse

(Joachim Bischoff)

a) Theorie als "Ausdruck" der gesellschaft­

lichen Praxis

b) Die Marxsche Theorie als der adäquate "Aus-

91

95

druck" der gesellschaftlichen Praxis 103

Exkurs: Sein und Bewußtsein im wissenschaft­

lichen Sozialismus

4. Die notwendigen Konsequenzen der Rekonstruktion

des Marxismus als Methode

111. Die empirische Verifikation des als Methode rekon­

struierten Marxismus - Realanalyse, Krisentheorie

und Krisenprognose

1. Realanalyse (Elmar Altvater)

a) Was heißt Analyse der Konkurrenz?

b) Realanalytische Berechnung der Profitrate

2. Krisentheorie und Krisenprognose (Elmar Altva­

ter und Zeitschrift "Probleme des Klassen­

kampfs")

a) Krisentheorie: die Legitimation marxistischer

Gesellschaftskritik aus den Verwertungs­

schwierigkeiten des Kapitals

108

115

150

150

153

168

183

183

Exkurs: Der allgemeine Grund und die Verlaufs­

formen der Krise

b) Krisenprognose: das Beweisverfahren der

(Un-)Gültigkeit des Marxismus

Die Konjunkturen der Krisenprognose -

Optimismus

Enttäuschter Optimismus

Desillusionierung

IV. Die Demontage der rekonstruierten Marxschen

Theorie - die "Krise des Marxismus"

1. "Krise des Marxismus" - eine Selbstverständ­

nisdebatte

2. Die Bewältigung der "Krise des Marxismus" -

die Ersetzung früherer Illusionen durch

neue Idealismen

a) Der "traditionelle Proletariatsbegriff"

b) Abschied vom Proletariat (Andre Gorz)

Die Krise des Proletariats

Wiedergewinnung einer Perspektive

Versöhnung mit der Notwendigkeit des

Staates

c) Hinwendung zur Menschheit (Rudolf Bahro)

Abschied vom "Froletariatsbegriff"

Die Menschheit als weltveränderndes Subjekt

187

194

196

198

202

226

226

230

230

233

233

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245

249

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3. Marxistische Theorie in den 8üer Jahren -

methodische Anweisungen und Perspektiven

a) Der "Konservatismusbegriff" als neue

"Strukturkategorie" materialistischer

Theorie (Michael Th. Greven)

b) Pl~doyer für die Fortentwicklung marxisti­

scher Theorie zu "plebejischem \-lissen"

(Joachim Hirsch)

c) Marxismus als "Ökumene" aller denkbaren

"~larxismen" (Wolfgang Fri tz Haug)

d) Zusammenfassung

V. Schluß

Literaturverzeichnis

256

261

26'5

273

291

Diese Arbeit hat dem Promotionsausschuß Dr. rer. pol. der

Universit~t Bremen als Dissertation unter dem Titel "Von

der 'Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur 'Krise des

Marxismus' - Darstellung und Kritik eines Diskussionspro­

zesses in der Bundesrepublik von 1967 - 1984" vorgelegen.

An dem Promotionsverfahren haben Prof. Dr. Margaret Wirth

(Bremen) und Prof. Dr. Lothar Peter (Bremen) als Gutachter

mitgewirkt. Das Kolloquium hat am 24. Mai 1985 stattgefun­

den.

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Einleitung

Gegenstand dieser Arbeit ist der Versuch der Analyse einer

Theorieentwicklung, die während eineinhalb Dezennien nicht

nur die Selbstverständnisdiskussion der Sozialwissenschaften

nachhaltig beeinflußte, sondern auch im außeruniversitären

politischen Bereich wirksam war, Den historischen Ausgangs­

])unkt der "Rekonstruktion" der Marxschen Theorie bildete

die Studentenbewegung Ende der 60er Jahre, Sie leitete ei­

ne Selbstverständnisdebatte innerhalb der Sozialwissen­

schaften ein, die mit den Stichworten "Positivismusstreit"

und "Rekonstruktion der Marxschen Kritik der politisohen

Ökonomie" umrissen werden kann. So wurde zum Beispiel auf

einem Kolloquium unter dem Titel "Kritik der politischen

Ökonomie heute - 100 Jahre 'Kapital''', das 1967 1n Frank­

furt am fJIain veranstal tet wurde und an dem wichtige Reprä­

sentanten kritischer Wissenschaft, unter ihnen Schüler

der "kritischen Theorie" wie die damaligen Frankfurter

Dozenten Alfred Schmidt und Oskar Negt und Wirtschafts-

und GesellschaftswissenschaftleI' wie Werner Hofmann. El­

mar Altvater und Ernest Mandel. teilnahmen1

). sehr selbst­

bewußt die Einbeziehung der Marxschen "Kritik der politi­

schen Ökonomie" in die Sozialwissenschaft postuliert, An

ihr sollte sich künftig entscheiden, welche Theorie als

Ideologie zu kritisieren sei und welche als Wissenschaft

gelten dürfe, Die "Rekonstruktion" der i~arxschen Theorie

im Gefolge der Studentenbewegung wurde explizit in Oppo­

sition zu und als Kritik an der etablierten "bürgerlichen"

Gesellschaftswissenschaft betrieben, von der Marx bislang

in theoretischer Hinsicht als "toter Hund" und in prakti­

schem Betracht als Ziehvater der "totalitären Systeme im

Osten" behandelt worden war. Auf dem oben genannten Kol

loquium wurde die Il[arxsche Theorie als theoretische Be-

gründungsinstanz anerkannt, an der sich die gesamte So­

zialwissenschaft zu messen habe; und zwar nicht mehr an

10

f d· "I' 'u"hschr' f+e"j" verkürzten ;.jarxreze])tion, einer au. le <I . ..< •• \.F.,J

sondern auf einem Gebiet, das auch jllarx als sej.n Hau])t-

anliegen und -werk bezeichnete, der "Kritik der ])oliti-

sehen Ökonomie",

t Rl'C}1 das umgekehrte Bild. Nicht 15 Jahre später biete -

bloß, daß die Diskussion um

der Wende zu den SO er Jahren zu "b h pt noch ge­

mischen Debatte geworden ist, wenn sie u er au

die "Politische Ökonomie" an

einer weitgehend akade-

führt wird, Vielmehr haben eben die Protagonisten der sei-

"Rekonstruktion" der Marxschen Theorie selbst nerzeitigen _ und nicht etwa die damaligen "bürgerlichen" Kontrahen­

Diskussion um die Richtung, ten in der wissenschaftlichen

ft zu nehmen hätte - die "Kri­welche die Sozialwissenscha '

" f So hat um vorab nur ein se des Marxismus ausgeru en, ,

, 'I Elmar Altvater der 1969 die fragl o-Belsple zu nennen, ., ,

"ber elner se Überlegenhei t der Marxschen Theorie gegenu

d' "b "bürgerlichen \1irtschaftstheorie" postulierte, le e-

hauptet, das moderne wirtschafts])oli tische lnstrumen t2l­

rium entwickelt zu haben, mit dem auch in Zukunft dle ka-

Ent~icklung krisenfrei manipuliert werden pi talistische .. konne,,2), zehn Jahre später unter dem Titel "Krise des

. " d' kaler Selbstkritik "an überkommenen Marxlsmus zu 1'0. l Selbstverständlichkeiten, an politischen Identifikatio-

nen und an gewohnten theoretischen Begründungszusammen-

hängen,,3) aufgerufen.

von der "Hekonstruktion" der Diese Theorieentwicklung

d es (;larxismus" ist aber nj.cht l~arxschen Theorie zur "Krise

d ~hr noch von nur von wissenschaftshistorischen, son ern m~ wissenschaftspolitischen Interessen her besehen von Bedeu­

tung, Denn rekonstruj.ert wurde die Marxsche Theorie nicht

nur mit dem Impetus, einen Beitrag zur Kritik der Ideolo­

geme der etablierten Wissenschaft zu leisten, also dle

den positivistischen und systemtheoretischen sozlalwls

-überlegene Wissenschaft zu sein,

sensehaftlichen Theorien

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11

ondern auch mi t dem An~pruc'l _. ~ k . - 0 J, ale )01' lärung und Kri-

tik der modernen kapitalistischen Verhältnisse darzustel len und ~o 'h V

o zu l rer eränderung beizutragen. Das mit der

"Hekonstruktion" der Marxschen Theorie verfolgte Anlie­

gen war gerade nicht nur ein innertheoretisches, sondern

entsprang mehr noch einem erklärten Anspruch auf Gesell­

schaftsanalyse in p lot· h T . • .' 0 l lSC emanzipatorischer Absicht.

".n der Dlskusslon um die "Krise des 1liarxismus" steht nicht

mehr die Kr i ti k von Wissenschaft und Gesellschaft sondern die S 1 ' e b s t kritik im Mittelpunkt, ob nicht der

eigene frühere "Tradi ti onsbestand an poli tischen Analysen,

Konzepten und Strategien ... von der Entwicklung nachhal-

tig dementiert worden i~"' "Li) D' .. , d . " . ,0C ••. lewanren undlmGefolge

der Krlse des arxismus" sta.ttfi.ndonden Theoriebildungs­

und Diskussionsprozesse zeichnen sich in zunehmendem Maße

dadurc h aus daß angE'" i c ht ". 1 • _o·~0, s von angebotsorientierter" Krisenbewältigun" d 0 '~b --

, CO> , ,.m -- e eneJ.nander von Hirtschilftswachs

tum und Iliassenarbei tsl osigkei t dem "I'bb d S . ':) , - 1-\ au es 02 l al-

staats" US\>I. - "l~o oi .. ' V' J~'h] , () . ..:> nel le .L>d . von ner wissenschaftli

ehen Erhellung und praktische' K . tiJ, h~ . . r. rl ~, vrrender Phanomene

- das linke theoretische und politische Interesse sich in

gewisser Weise in den ehemals voller Emphase kritisierten

"Elfenbeinturm" zurUckzieht und ü'ber . t St . , wel e recken ml t

elgener Vergangenheitsbewältigung, wenn nicht gar Pflege

el.ner pauschalen Skepsis und Selbstrelativierung beschäf­tigt ist.

Die zu konstatierende mh . 1 eorleentwicklung von der "Rekon-

struktion" der ~~arxschen Theorie zur "Krl'se d 11 . es "arXlS-mu~" . ft ' P ,

,0 Wlr eln robJ.em auf, dem in dieser Arbeit nachge-

gangen werden soll: Sind die Postulate der "Krise des TfJar-xismus" d d "\.b . . un es j schleds vom Proletariat", die sich auf

den ersten Blick als unvermittelter Vliderspruch zu den ur­

sprünglichen Intentionen der "Rekonstruktion" der iliarx­

sehen Theorie darstellen, nicht vielmehr als immanente Kon­

"Tliethode" und "Krisentheorie und Krisen-sequenz eines al

12

prognose" rekonstruierten Marxismus zu interpretie-

ren? Gibt es einen die Ansätze und Beiträge einzel-

ner Wissenschaftlersubjekte Ubergreifenden immanenten

theoretischen Entwicklungsprozeß, der einen nicht nur zu­

fälligen oder von rein außerwissenschaftlichen Healitäten

besti,nmten Zusammenhang offenbart, wie der unzweifelhafte

seinerzeitige Erfolg marxistischer Theoriebildung notwen-

dig umschlagen mußte i.n ihren heutzutage allgemein konsta­

tierten rHßerfolg? Eine olche s y s te m a t i s ehe Dar­

stellung dieser Theorieentwicklung ist geeignet, sowohl

nach der Seite der theoretischen Bedeutung als auch nach

der Seite der praktisch politischen Helevanz hir, ei.nen Bei­

trag zur kritischen Hinterfragung des zu konstatierenden

Dilemmas linker Theoriebildung und Diskussionsprozesse zu

leisten. tUt der j,rbeit ist somit auch der AnSprlJch ver­

bunden, einen Baustein zur Lösung des Problems :0U iefern,

ob und inwiefern der mit der Selbstverständnisdebatte um

die "Krise des r,larxismus" eingeschlagene Vleg einen Fort­

schritt im Sinne der Eliminierung bemerkter VIidersprUche

und Illusionen der rekonstruierten Marxschen Theorie be­

deutet, oder ob di.eser Weg nicht insofern einen HUckschri

darstellt, als unter dem methodischen Anspruch des "Healis­

mus" alle Illusionen durch neue Ideali2,men ersetzt werden

und er darin parallel geht mit der seit Anfang der 80er Jah­

re zu konstatierenden Tendenzwende auch in der VIissenschaft.

Bevor wir uns dem methodischen Ausgangspunkt der "Rekonstruk­

tion" der Illarxschen Theorie zuwenden, sollen einige wesent­

liche forschungsstrategi.sche Implikationen und Pri'jmissen

noch vorab dargelegt und expliziert werden.

Ein Einwand gegen das Unterfangen ei.ner systema.tischen kri­

tischen Darstellung linker Theoriebildung während der letz­

ten eineinhalb Dezennien mag naheliegen: Sind die im fol­

genden behandelten Arbeiten von Heichelt, Offe oder B1-

schoff nicht aus ganz unterschiedlichen Theorietrad1tionen

und D1skussionszusammenhängen heraus entstanden, geleitet

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durch divergierende subjektive Fragestellungen? Haben dar­

über hinaus die im Diskussionsrahmen der Zeitschrift "Pro-.

bleme des Klassenkampfs" entstandenen Realanalysen von

Altvater und anderen nicht ihr explizit selbständiges wis­

senschaftliches Anliegen, das sich unterscheidet von den

methodischen Fragestellungen zum Beispiel Reichelts? Und

zuguterletzt, inwieweit sollen überhaupt die Beiträge von

Bahro, Gorz, Hirsch oder Negt zur "Kris des f.1arxj.smus",

die sich dabei nicht auf die methodologischen und erkennt­

nistheoretischen Reflexionen von Reicheit oder Bischoff

beziehen oder berufen, doch nur den Prinzipien der "Re­

konstruktion" der Marxschen Theorie nun gegen den Marxis­

mus zur Durchsetzung verhelfen?

Diesen möglichen Einwendungen ist dreierlei zu bedenken

zu geben: Zunächst auf der forschungslogischen Ebene, daß

die notwendigen Verlaufsfermen einer Theorieentwicklung

nicht identisch sind mit den empirischen Arbeitsbeziehun-

gen und Problemstellungen der in ihr involvierten Wissen­

schaftlersubjekte; oder etwas allgemeiner ausgedrückt, daß

die Darstellung des systematischen Zusammenhangs einer Sa­

che nicht mit ihrem empirisch-historischen Auftreten zu­

sammenfällt, wenngleich der Forschungsprozeß davon notwen­

dig seinen Ausgang zu nehmen gezwungen 1st. 5) Wenn von

einer systematischen Darstellung die Rede ist, so impli-

zi ert di es einen log i s ehe n Ausgangspunkt und di e

Entwicklung vermittels einer Anzahl von Übergängen. Wenn

die Darstellung dieser Entwicklung gelingt, dann unter­

scheidet sie sich dadurch von der historischen Darstellung

der empirischen Verhäl tnisse zwischen den Theorieexponen-

ten, daß sie diese in der geordneten Form ihrer inneren

Zusammenhänge präsentiert. Zum zlveiten ist gegen diesen

Einwand zu erwidern, daß ein unterschiedlicher wissenschafts­

empirischer Ausgangspunkt und persönllciher Hintergrund ge­

radezu als Bedingung für die Entfaltung der inneren Logik

anzusehen ist. Die wesentliche Gemeinsamkei teinmal unter-

14

stellt - Wissenschaftler, die sich um die "Rekonstruktion"

der :4arxschen Theorie gegenüber all denjenigen bemühen,

die t1arx für einen "toten Hund" halten - sind differie­

rende forschungsstrategische Standpunkte geradezu die Be­

dingung dafür, am "Stand" der marxistischen Thecrie Unzu­

friedenhei t zu empfinden und sich daranzumachen, einen

konstatierten r,langel zu beheben: Nur so, durch das Selbst­

bewußtsein einer bleibenden theoretischen Herausforderung,

die r~arx für die Gesellschaftswissenschaft darstellt,

kommt überhaupt eine Entfal tung der inneren Logik arx­

rekonstruktiver Theoriebildung zustande, die hier nachge­

zeichnet werden soll.

Zum dritten ist dem oben bezeichneten Einwand zu bedenken

zu geben, daß es ein unmögliches Unterfangen ist, gleich­

sam schon im Vorgriff zu begründen. warum die Auswahl der

exemplarisch zu behandelnden Arbei ten auf die im folgen-

den dargestellten Repräsentanten linker Theoriebildung ge­

fallen ist und inwiefern die an der "Rekonstruktion" der

r,jarxschen Theorie wie an der "Krise des r,larxismus" betei­

ligten Theorien in methodischem Ausgangspunkt und Selbst­

kritik im Prinzip identisch sind. Die begründete Entschei­

dung darüber, ob und inwieweit die von mir behandelten Wis­

senschaftler - wie mir das Studium des Materials hat ge-

raten erscheinen lassen tatsächlich am geeignetsten sind,

den systematischen Zusammenhang und die immanenten Ver­

laufsformen der Entwicklung der "Rekonstruktion" der r·larx­

sehen Theorie bis hin zu ihrer "Krise" auf den Begriff zu

bringen, muß der Nachvollzug der unten durchgeführten Ana­

lyse entscheiden.

Die forschungsstrategische Absicht der vorliegenden Arbeit

sei jedoch hier nochmals betont. Durch die kritische Dar­

stellung der Entfaltung der Entwicklungslogik von der "Re­

k ons trukti on" des "wi ss ens c haftl i ehen Sozi al ismus" zur

"Krise des Marxismus" soll der Ansatz gefunden sein, um

die bloß additive \hedergabe linker Theorie- und Forschungs-

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15

richtungen zu überwinden, ebenso wie eine nur historisch

verfahrende Aufzeichnung ihrer Fortschritte. Der durchaus

schon geleisteten Darstellung und Kritik diverser Arbei-

zur "Bekonstruktion" der Marxschen Theorie soll also

nicht eine weitere zur Seite gestellt werden. Es geht viel­

mehr darum, in der exemplarischen Analyse und Kritik aus­

gewähl tel' wissenschaftlicher Protagonisten des linken

theoretischen Diskussi onsprozesses während der letzten

eineinhalb Dezennien deren wis enschaftslogischen Zusam­

menhang zur Ableitung und Darstellung zu bringen.

Zur Auswahl der behandelten Literatur ist noch soviel zu

bemeI'ken: Bei der Analyse der "Krise des arxismus 11 ist

di innerhalb der französischen und italienischen Linken

geführte Diskussi on von mir explizit ausgespart worden.

01;\'/0111 die Parole :Louis Althussers "Endlich ist die Krise

arxismus ausgebrochen 11 ihren AusGang auf einem von

'11 festa' im November 1977 in Venedig veranstalteten

Kongreß ), ist dieser Diskussionsprozeß bewußt im

Rahmen der vorliegenden Arbei t nicht behandel t worden.

Während nämlich in der italienischen und französischen

Linken unter dem Titel "Krise des I·larxismus" praktische

Uberlegungen zukünftiger politischer Strategie eingelei­

tet \vlJrden, die weit entfernt davon waren, einen "Ab­

schied" vom Marxismus zu bedeuten 7), bestand die bundes­

deutsche Bezugnahme auf diese Diskussion fast ausschließ­

lich 1.n der Ubernahme der Parole von der "aufgebrochenen

Krise des Marxismus" als Synonym für die Problemstellung,

\Vi e und ob überhaupt noch linke Theorie in der Bundesre­

publik im Marxismus ihre wissenschaftlichen Problemstel-" f· d k·· 8) ~unGen 1n en onne.

Die Berücksichtigung der französischen und italienischen

Marxismusdiskussion müßte also nicht nur vom systematischen

Gesichtspunkt meiner Arbeit aus als problematisch erschei­

nen, sondern würde darüber hinaus mit Sicherheit auf Grund

ihrer eigenen Thematik und gesellschaftspoli tischen Hin-

16

tergrtinde den Rahmen der hier vorGelecten A se c~pr

gen.

Eine Ausnahme wurde jedoch gemacht. Andr& Gorz 1

den "Abschied vom Prol

lyse und Kritik un

sehen Thesen i

D.t n 1:JJ.rd hrli'ch der n

cht n~J.r)

sion um die "Krise d

noch ist, daß in der Au~" II der:;; 8

im IiAbschied vom Proletari t l, vertreten

desdeutsche linke

blemstellungen derin

c haftl

teD, denen ich

sehe Theorieb.ildunc zuzuwenden babe.

Es versteht sich von selbst) daß

wesentlicher Teil marxisti eher Theori

publik ausgeklammert bleiben inU. e

1 di e ~}

eLen

in der Tradition realos i8t180hen arxi musv

nisses stehende historische und dialekti ehe ~

mus sowie die Theorie des staatsmonopolist schen

lismus nicht in die Diskussion um die "Krise des

bun

0-

yri ti-·

tiind

" . t·, ) '" f't eH mus" als deren Verfeeheer engaglcr, SJ.D ,J_(.-\. ,I

berechtigt erscheinen und gibt einen Hinwei.s darallf, daß

diese Richtung marxisti eher Theoriebildung die Weiter­

entwicklung des arxismus unter gan:;:; eigenen Gesicht;)

punkten praktizier

Gleichsam parallel zur krj.tischen DarstelluDe: der zu be-

handelnden Versuche zur" ekonstruÄU.oYl" dec3 ar

eine ausführliche positi.ve Darstell;1l1g der xschen 1'heo-

ri0, einen eigenstE1.ndigen Interpretationsbei ~\ber sie

zu erarbeiten, ist aus systematischen GrUnden nie in-

tendiert und wiirde überdies den nahmen mej.ner bh::.ndlung

sprengen. Schließl eh versucht die vorliegende Arbeit,

nen Beitrag zu dem Nachweis zu liefern, da!J eh e an

der "Rekonstrukti on tf der arxschen Theorie e an der llK:::,i_

se des MarJ\ismus!l bete:LLieten His enscha.ftJ.er einer-

seits auf dj.e "Kr:i.·;:ik der politischen Ökonom:'e'; "

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r 17

fungsinstanz ihrer Arbei ten stützten, daß aber die Verlaufs­

formen der sich auf f,larx berufenden Diskussionsprozesse

nicht durch den Rückgriff auf Marx zu begreifen sind, son­

dern nur durch die Analyse der methodischen Anliegen der

"Rekonstruktion" der ~jarxschen Theorie selbst dargestellt

werden können.

Andererseits ist es im Rahmen meiner Untersuchung, inwie­

fern die Arbeiten zur "Rekonstruktion" der Marxschen Theo­

rie fhßverständnisse derselben einschließen und sie da­

durch sogar in Gegensatz zur Marxschen "Kri tik der poli ti

sehen Ökonomie" geraten, unabdingbar, einige im Brennpunkt

der "Rekonstruktion" und "Krise des ~larxismus" stehende

Aussagen von Marx eingehend zu behandeln. Dies betrifft

zum einen - auf die erkenntnistheoretisohe Diskussion be­

zogen - die Theorie-Praxis-Problematik, thematisiert am

Marxschen Diktum vom gesellschaftlichen Sein, das das Be­

wußtsein bestimmt, zum anderen die Marxsche Krisentheorie.

Ihr ist im Rahmen der Darstellung im Abschni tt 111. "Kri­

sentheorie und Krisenprognose" ein eigener Gliederungspunkt

eingeräumt, um über die positive Darstellung des im "Kapi­

tal" analysierten "Gesetzes vom tendenziellen Fall der Pro­

fi trate" hinaus zugleich daran das "Problem der Prognose"

bei ['larx zu thematisieren. Ebenso ist in diesem Zusammenhang

ein Kapitel eingeschoben. in dem mittels eines Vergleichs

des methodischen Gangs der Darstellung im "Kapital" von

Band I nach Band 111 einers ei ts und dem Verfahren der "Re­

alanalyse" andererseits untersucht wird, ob es sich bei

dem Pr 0 j ek t der Real analys e - wi e von ihren Ver tretern b e­

hauptet wird - um die Fortführung des r4arxschen Anliegens

der Analyse der Konkurrenz handelt oder ob in ihm nicht

vielmehr ein grundsätzliches rUßverständnis der Marxschen

Kapitalismusanalyse eingeschlossen ist.

18

Anmerkungen: Einleitung

1) Kritik der politischen Ökonomie heute - 100 Jahre 'Ka­pi tal', Referate und Diskussi onen vom Frankfurter C 01 loquium 1967. Walter Euchner/Alfred Schmidt (Hrsg.). Frankfurt am 11ain 1972.

2) Elmar Altvater, Die vleltwährungskrise, Frankfurt am [\1 ai n 1 9 69, S. 5.

3) Al tvater/Armanski/Blanke et. al., Editorial: \'las heHlt Krise des Marxismus?, in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 36, 1979, s. 1.

4) Joachim Hirsch. Der Sicherheitsstaat - Das 'l,jodell Deutschland' ~eine Krise und die neuen sozialen Bevle-gungen, Fr t am Main 1980, S. 132.

5) "Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungs",eise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschied -nen Entwicklungsformen zu analysieren und deren inn res Band aufzuspüren. Erst nachdem di,ese Arbel t voll­bracht, kann di,e wirkliche Bewegung entsprechend dar­gestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider. so mag es aussehn. als habe man es mit einer Konstruktion 0. priori zu tun." (Karl Marx. Das Kapital. Bd. 1. in MEW 23. Berlin (Ost) 1971. s. 27),

6) Louis AlthusseI', zitiert nach: Frieder O. \\Iolf, Auf­lösung oder Erneuerung des ll]arxismus?, in: Probleme des Klassenkampfs NI'. 36, 1979, S. 26.

7) Vgl. hierzu die von Elmar Altvater und Otto Kallscheuer herausgegebene Sammlung von Bei trägen auf dem Kongreß von 'lI 1!ianifesto' in Venedig 1977: Altvater/Kallscheu­er (Hrsg.), Den Staat diskutieren - Kontroverse über eine These von Althusser, Berlin (V/est) 1979.

8) Vgl. hierzu die unter dem Titel "Krise des t1arxismus?" in der Zeitschrift Probleme des Klassenkampfs NI'. 36, 1979, gesammelten Beiträge.

9) Vgl. hierzu die vom Institut für marxistische Studien und Forschung herausgegebenen r~aterialien zum 100. To­destag von Marx: l~arx ist Gegenwart - fllaterialien zum Karl Marx Jahr 1983, IMSF (Hrsg.), Frankfurt am 14ain 1983.

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11. Die Rekonstruktion des Marxismus - seine Verwandlung

in Erkenntnistheorie und Methode

Bis Ni tte der 60er Jahre gal t I~arx innerhalb der etabl'ier­

ten bundes deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften als

zu vernachlässigende Größe. sowohl unter wissenschaftlichem

wie auch politischem Aspekt als von der Realität restlos

überholt. Auseinandergesetzt wurde sich hierbei mit einem

mehr oder weniger selbstkonstruierten Bild der Marxschen

Theorie als Geschichtsteleologie und Zukunftsprognose, das

sich dann leicht an den Zuständen einer bundesrepublikani­

schen Gesellschaft blamieren ließ. 1 ) Sofern überhaupt ein

positives Interesse an Narx zu konstatieren war, blieb die­

ses auf den engen Kreis der "Frühschriften" beschränkt.2

)

Sowohl gegen die bürgerliche Widerlegung der Marxschen

Theorie als auch gegen ihre auf die "Frühschriften" ver­

kürzte Rezeption richteten sich die im Zuge der Studenten­

bewegung Ende der 60er Jahre an den bundesdeutschen Uni­

versitäten entstehenden Ansätze zur "Rekonstruktion" der

"Kritik der politischen Ökonomie".

Über wissenschaftliches Interesse und AufgabensteIlung der

Wiederentdeckung des Marxismus unter Westdeutschlands In­

tellektuellen vermag ein Kolloquium Auskunft zu geben, das

unter dem Titel "Kritik der politischen Ökonomie heute -

100 Jahre ' Kapi tal'" 1967 in Frankfurt am [;lain veranstal tet

wurde.)) Roman Rosdolsky stellt die "Situation" der :,jarx­

sehen Theorie "heute" wie folgt dar:

"Gerade unerträglich aber wurde die schiefe Situation, von der wir sprachen (die darin besteht, "die richtigen, aber abstrakten Lehrsätze unmittelbar, d. h. ohne jegli­che Vermittlungen, auf die ihnen prima facie widerspre­chenden Phänomene der Erscheinungswelt anwenden" zu wol­len; d. Verf.), seit dem Ende des letzten Weltkrieges, seltdem der westliche Kapitalismus so gewaltige Wand­lungen erfahren und seitdem es auch gilt, die im Osten neu entstandenen Gesellschaftsgebilde wissenschaftlich zu erfassen. Auch diesmal muß sich die Theorie um mit I'larx zu sprechen, 'im Dünger der Widersprüche' ' emporar-

20

beiten, wenn sie allem Neuen, das die konkrete Wirk­lichkeit d~rbietet, Rechnung tragen soll. Und unsere Theorie kann es, wenn sie sich von jedem Dogmatismus fernhält und wenn sie die unendlich fruchtbare Methode des 'Kapital' richtig anzuwenden weiß, d. h. wenn sie jene Vermittlungen aufzufinden vermag, die die abstrak­ten Theoreme dieses Werkes mit der konkreien Wirklich­keit von heute verbinden." 4)

Im Anliegen, die p,jarxsche "Kritik der politischen Ökono­

mie" als die der "bürgerlichen" Gesellschaftswissenschaft

überlegene Theorie zu entwerfen, gab Rosdolsky (dessen

Referat die ungeteilte Zustimmung aus den Reihen der ver­

sammelten Repräsentanten kritischer Wissenschaft fand, wie

den folgenden Diskussionsbeiträgen zu entnehmen ist 5 )) der

etablierten Sozialwissenschaft allerdings zunächst in ei

ner Hinsicht in deren Urteilen über die Marxsche Theorie

recht: m a te r i al i te r habe das "Kapital" "uns" nur

noch wenige Erkenntnisse zu bieten, bei seinen Erklärun­

gen handele es sich weitgehend um bloß "abstrakte Theore­

me", weil der Kapitalismus seit Marx und vor allem seit

dem letzten Weltkrieg "gewaltige Wandlungen" erfahren ha­

be: aber nur, um in einer anderen Hinsicht um so nach­

drü~klicher die Unentbehrlichkeit und Überlegenheit der

1-1arxschen "Kritik der poli tischen Ökonomie" zu unterstrei­

chen: Nicht als Erkenntnis der modernen kapitalistischen

Produktionsweise genommen, sondern als Bedingung der Mög­

lichkei t von Erkenntnissen über sie, also als Met h 0 d e

interpretiert, könne das "Kapital" "unendlich fruchtbare"

Verwendung innerhalb der Sozialwissenschaften finden -

so lautet das einhellig geteilte Resümee Rosdolskys.

Ohne die in der Aussage von Rosdolsky liegenden Probleme

in allen Einzelheiten kommentieren zu wollen, soll hier

zunächst einmal soviel über die Intention der angestreng­

ten "Rekonstruktion" der ;\larxschen Theorie festgehalten

werden:

Page 11: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

21

. Von den inhaltlichen Analysen der [',jarxschen "Kri-

der politischen Ökonomi,e" soll eine dauerhafte 11etho­

de soliert werden, die ge t ren nt von den materialen

Aussagen als Garant der Überlegenheit materialistischer

Gellschaftstheorie fungieren soll.

Zweitens. Dabei ist man sich der Tatsache bewußt, daß das

Pro;:ekt einer "Rekonstruktion" der j',larxschen Theorie als

thode durchaus eine Kr i ti k an den materi,alen Aus­

sagen von j"larx zur "Kritik der politischen Ökonomie" e1n

schließt. Ohne daß von Rosdolsky näher nachgewiesen und

expliziert w~rde, in wie f ern die f1arxsche Analyse

des Gegensatzes von Lohnarbeit und Kapital, der Akkumu­

Ion, der Profitrate, der Krise oder des Kreditsystems

angesicllts der "so gewal tigen Handlungen" des Kapi talis­

mus nach dem 2. Weltkrieg oder gar der Etablierung des

"realen Sozialismus" aIs gesicherte und zutreffende Er­

kenntnis desavouiert sei, geht er von der Überzeugung aus,

d r;, die "konkrete \-Jirklichkeit von heute" eben eine

!!neue" sei und deshalb die inhaltlichen Analysen von arx

ZVJa..r !/richtigett, Etber !!abstrakte" und damit im materialen

e wertlose "1.ehrsätze" darstellten.

Drittens. Die Methode des "Kapital" soll ganz ungeachtet

einer inhaltlichen Überprüfung, ob die im "Kapital" dar­

gelegte Analyse der l.ohnarbeit, der Krise oder des Kre­

ditsystems auch die Verhältnisse der Lohnarbeit, Krise

oder des Kreditsystems im westlichen Kapitalismus anno

1967 noch zu erklären vermag, die Richtigkeit und Über­

legenheit der Marxschen Theorie - euphemistisch als ihre

"unendliche Fruchtbarkeit" ausgedrückt - garantieren.

Viertens. Viiederaneignung der Marxschen Theorie heißt

also ihre Rekonstruktion als Methode. Dies wird von Ros­

dolsky als "Zentralaufgabe der heutigen marxistischen

Ökcnornie,,6) benannt und programmatisch wie folgt ausge­

drückt:

22

"Aus dem Gesagten erhellt. daß wir die Methode des" "Kapital" für das wertvollste und dauerhafteste Stuck des ökonomischen Lehrgebäudes von Marx halten und da~ her im Studium und in der Anwendung dieser Methode dle Zentralaufgabe der marxistischen Forschung von heute erblicken." 7)

Page 12: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

23

1. e Rekonstruktion der ;'"arxschen Theorie als "logisc11e

Struktur des Kapitalbegriffs" (Helmut Heichelt)

a) Was heißt logische Analyse des Kapitalbegriffs?

Als einer der bedeutendsten und gründlichsten Beiträge

zu der auf besagtem Frankfurter Kolloquium formulierten

"Zentralaufgabe der marxistischen Forschung von heute"

gil t allgemei.n Helmut Reichel ts Arbeit "Zur logischen

S 1 d K l' f " b K I T,1 e'r ,',~ !I • 8) J".' h I' l' ." tru~tur es .apita begri.s ei ar .. _ _ •

die Anerkennung zuteil geworden,

Studien Wygodskis und Rosdolsky

über die "Kapi.tal H_

. 9) hinausgegangen zu Sln

und damit eine Hwesentliehe Voraus etzu~lg für eine ver-

ti e e und angemes en Interpr on der arx~3chen 'Kri-

tik .. 10) er politischen Okonomie' n darzu 1 en .

Reicnelt seJb t faßt den StCtna der !;Pe.kon:3truktionl! der

der poli tischen onomie!t kriti c e .c 01 /:'lJ-

sammen:

Interesse immer mehr dem ~arxsc]len Spätwerk doch der 81'hoff-

Klärung der methodischen ~eheint man kaum einen Schritt näher Gekommen zu sein. eh der von R dolsky verfaßte Kommentar hat daran nicht viel Geän­dert." 11)

Das Fazit aus di e~

:',1 a:r'):f 01' sc hun[; tl 1 ): Di

?heorie habe ihr Augenmerk

herigen

chäftigung mit der ehen

Ewf die "diidekti ehe Darstel

1 1 l( .·t '.," 1 ) . ung Qer A a egorlen 1 11Kapi ta.ll! zu richten, als UD-

c~bdinGbare Voraussetzung 1 urT: sich llabschlußhed't über di

~arxsche Methode und ihre Eignunc für die Analyse des

"t· TT '~1' ,,1!+)"(L .k"· gen'\,,ra.r 1gen f\.apl L.d. .. lsmus aUHlern Zl~ ,onnen.

Bevor die Argumentation von Reichelt und die in ihr ein­

geschlossenen Probleme dargestellt werden. erscheint es

GrUnden der analytischen KJ.arheit angebracht, vorab

folgende Fr(,;1.gen zu dj.skutieren: 1. lilas hat maYl zum Gegen-

d. wenn man das Forschungsinteres a.uf die !!logische

Struktur des Kapi begriffs bei Karl Marx!lric 2. H:i.

hätte dement::-.;preche::1d eine .Llnalyse der "dial sehen

stellun der' Kategorien 11 iTn llKapi tal n cUl~,;zusehel1? :3. vIel

ohe Erkenntnislei.cstung dar rationellerweise von oiner 01-

ehen Nachzeichnung der l"ogik des

werden?

t('),lbcgriff::). erwaTtet

Beginnen wir mit der ersten Fr an ka.nn s eh die im

"Kapital" dargestellte Analyse der ökonomiscllen G

gen s t ä n cl e zum Gegenstand der wissenschaftli.chen Be­

schäftigung nehmen. Dann i t zu untersuchen, ob die üher

die l'iare, die Lohnarbe:tt, die Akkumulation oder di Krise

1 4- 'J t'l i' [f' "ind, und der i.nhaltliche NC.ch-darGe egcen l r 'el e S J:l.m II ~

volJ,zug der [',Iarxscben Ar{;umente muß ergeben) ob diese Ge­

gem;tände der kapitalistischen Ökonomi in 'i.hrer chaf­

fenheit, ihren Gesetzen, Zwecken und ihrem Grund

und begriffen ind.

Selbstverständlich kann man ttd en ehenfalls d:tf'

"logische t r u tu r des Kapi ta.lbegri fs n 'lnter-

suchen. Solch eine Analyse ich darauf berufen, daß

arx von sj.ch selbst behauptet, der Tlegelschen l,ogik

!!' 1 +t· -l-1I1 S) zu h~l)en lJnd 1'betont. welch 1 großen Dienst I KOKe,-, ,1CrL.. .J;' (." J. ,

ihm die HegeIsche Logik in der 1 ethode des ci teDs'

geleistet habe. ,,16) Der GeGen t;;;;.nd ein solchen naJ.yse

sind dann niclyt di e im "Ko.1)i. tal !I darges 1 ten

Inhalte, sondern die allgemeinen und formel en

o 1/; i

on omi sc

o 1 gen des Denkens, Urteilens und Schließens

gemeinen Formbestimmungen der Darstellung

eher Einsichten als System.

wissenschaftli-

Reichelt wei.st in diesem Zusammenhang <i.uf die Bedeutung

hin, die der HeGeIschen I,oC;ik in B~z,ug auf eine Analyse

, jf "11 • 'f-f'"lI r .VOr-1!Yl.c:,'nie}lt der "logischen Struktur oes ",~pJ.Ta.L)e2,rl .LS /"u., ,,,''v' "

nur sei "die 1 schwer verständliche HegeIsche Ausdruc::s",ei.­

set integraler Bestandteil der :,larxschen KritiklI, ondern

darüber hinaus zeiclme "eine an der HegeIschen I,oGj,k orj.en--~ 11 16(1 ) 1·'1' "l(~y . '<-~"ll! Oll tierte Form der Darste11ung OVJO L, GelS üpJ_ 1,(".. c"

Page 13: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

25 26

auch vO.'!: allem die "Grundrisse der Kritik der politischen

Ökonomie" aus. Insofern erscheint es sinnvoll, in einem

ersten Schritt darzustellen, was laut Hegel die "Wissen­

s c haft der Logik" zu un tersuc hen hat un d worin di e Lei

stungen und die Grenzen der "IJogik" zu sehen sind. Den

Gegenstand einer "Wissenschaft der Logik" bestimmt Hegel

wie folgt:

"Die Denkformen müssen an und für sich betrachtet wer­den; sie sind der Gegenstand und die Tätigkeit des Ge­genstandes selbst; sie selbst untersuchen sich, müssen an ihnen selbst sich ihre Grenze bestimmen und ihren

aufzeigen. Dies ist dann diejenige Tätigkeit des ens, welche demnächst als Dialektik j.n besondere

Betrachtung gezogen werden wird und von welcher hier nur vorläufi zu bemerken ist, daß dieselbe nicht als von außen an e Denkbestimmungen gebracht, sondern vielmehr als denselben selbst innewohnend zu betrach­t en ist." 1 7)

Untersuchung der "Dialektik" oder, in Reichelts \vorten,

der "logischen Struktur" greift die ökonomischen Inhalte

des "Kapital" als bloßes Material auf, um die allgemeinen

Momente und Gesetze des Denkens zu bestimmen. Sie ist al-

sc sczusagen eine Erläuterung, was beim Denken und Erken­

nen geschieht. Ihr Thema ist, um ein Beispiel zu nennen,

nicht die Warenanalyse, sondern die \varen analyse.

Si fragt nach der logischen Eigenart des 13 e g r i f .f s

der \'Jare; dieser selbst ist dabei als gültiger unterstellt.

Die logische Analyse untersucht also die allgemeinen und

formellen Gesetze des Gangs des Denkens, das - um dies hier

nur anzudeuten - zunächst die wahrgenommenen Teile, Un­

terschiede, Eigenschaften und Homente einer Sache schei­

det, dann nach der Sonderung der verschiedenen Seiten zur

Tätigkeit des Urteilens und Schließens weitergeht usw.

Es ist h1e1'bei in unserem Zusammenhang wichtig festzuhal­

ten. daß die Logik das stattgehabte Denken untersucht,

also in unserem Falle die "logische Struktur" des von

Il\arx erarbeiteten "Kapitalbegriffs". Vom Stand­

punkt der Erarbeitung von materialem Wissen über die po-

litische Ökonomie des Kapitalismus aus ist sie nutzlos,

weil sie ihm notwendig erst nachfolgt und zu seinem Er-. 1 8) 0 • t n·· dl' e folg nichts mehr bei tragen Kann. 00 ln eressa c .

wissenschaftliche Beschäftigung mi t der "logischen Struk­

tur" sein mag, zum Gelingen einer Wissenschaft wie der po­

litischen Ökonomie zum Beispiel vermag sie keinen Beitrag

zu leisten. Für seine geistige Arbeit benötigt der Mensch

die Wissenschaft der Logik nicht, weil er - wie Hegel be­

merkt - ihre Gesetz längst betätigt, "so sehr natürlich

ist ihm das LogiSche".19) \~eil ein zwar wissenswertes,

aber nicht notwendiges Gebiet der Wissenschaft, bezeich-. '''s t d L~' ,,20). net Hegel die Logik zurechT als oen onn ag es coens ,

sie ist ein luxuriöses Betätigungsfeld des Gej.stes, denn

"das Bedürfnis, sich mit den reinen Gedanken zu beschäf­

tigen, (setzt) einen weiten Gang voraus, den der Henschen­

geist durchgemacht haben muß; es ist, konn man sagen, das

Bedürfnis des schon befriedigten Bedürfnisses der Notwen­

digkei t. ,,21)

Dasselbe gilt, wenn sich die Untersuchung der "logischen

Struktur" nicht den Gesetzmäßigkeiten der Analyse, sondern

dem Formellen der Darstellung wissenschaftlicher Einsich­

ten als System zuwendet. Nochmals sei Hegel zitiert, der

davon spricht, daß "die wahre Gestalt, in welcher die V/ahr­

heit existiert, allein das wissenschaftliche System der­

selben sein (kann),,22) und als dessen Prinzip festhält:

"Die Hethode, wie in der V/issenschaft der Begriff sich aus sich selbst entwickelt und nur ein immanentes Fort­schreiten und Hervorbringen seiner Bestimmungen ist" -"heiße ich die Dialektik". "Diese Dialektik ist dann '" nicht äußeres Tun eines subjektiven Denkens, sondern elle eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre ZVJelge und Früchte hervortreibt." 23)

Gegenstand einer Analyse der "logischen Struktur" der Dar­

stellungsform ist, um dies wiederum durch Unterstreichung

zu verdeutlichen, nicht der entfaltete Kap i t Cl 1 begriff,

sondern die Entfaltung des Kapital be gr i f f s. Auch

Page 14: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

27

hier werden die materialen Inhalte der "K ·t'k cl . ~:_..:<:._ ,,"1 . t\ .. ' Tl. 1. .er poll-" . .L,~,cLen Ol{OnOmlE' Dur ,-. ",t;""t - 1 • " Lce. erJ,a genommen, die allgemei-

nen und formellen Bestimmungen eines "Systems" darzustel­

len. Des:"en Charakterishk besteht de;,rl'n, " nur s ovi el ist

hier wichh.g anzudeuten, die l:lesh.mmungen einer Sache in

1 hr em not. wen di gen Zus ammen han g zur Dars teIlung zu bringen.

Ein System ist also nicht el'n Agg-lomer~t ,. ~ von richtigen Ur-

teilen übel' 3.einen Gegenstand, sondern diese Urteile sind

untereinander in ihrem i.nnere'l',' Z usammenhang dargestellt,

so daß nach jedem U t 'J d 'j l' el. er ;:angel dieser Bestimmung fest-

gelJaJ.ten wird, um ~o f 1 d ... " zur o. gen en reicheren Bestimmung

uberzugehen. Dies ist damit gemeint, wenn Hegel die Dia­

lekt:Lk als ein "immanentes Fort~chrel' ten de,.s ~ Begriffs"

charakteri,siert. So sind i.m volleno'eten "'" t d ' . oys em er poli-

tischen Ökonomie" alle Momente der Sache . d' " " ln lesern Falle

iche Gegenstände, Einrichtungen und Bewegungen des

Produktions- und Reproduktionsprozesc,es ~ des Kapi tals in

ihrer not>vendigen Beziehung zu ihrem allgemeinen Zweck

dargestellt.

Ff.ir unseren Zusammenharlg, 't 11 ,18 vor a , em von Bedeutung zu

verstehen daß das T.'l' S" " 1 , vv ,,,en um CiJ.e algemeinen Bestimmun-

gen eines Systems zwar eine Hilfe sein mag als "r~ethode

des Bearb ei tens" "i e~ S t i'f ~ n Q ,o:s zum Zwecke seiner Darstel-

lung, wenn der Forschungsprozeß abgeschlossen ist. Ein

Kri terium für di e Iüchtigkei t der Urtel'l e über eine Sache

kann es aber schlechterdings nich-!-c sein. Zwar mag di e sy-

stematische Ordnung nur h .. sc wer und mit 'gewaltsamen' Über-

gangen herzustellen sein, wenn das Resul-!-at d D h c es l' orsc ungs-

prozesses falsche Urteile sind, richtiger oder falscher

aber werden sie nicht dadurch, daß sie in systematische

Form gebracht werden, So verhindert vhssen um die Gesetz­

mäßigkeiten des Urteilens und Schließens sowie der syste­

matischen Darstellung der so gewonnenen Resultate nicht

falsche und ideologische Erkenntni"se. D~~auf ~ = ~ weist Marx

in seiner Kritik &'1 der HegeIschen Ableitung des Privat-

28

eigentums aus dem freien Willen hin24

): rj,chhge Beshm­

mungen der Dialektik in der "Logik" haben Hegel nicht da­

von abgehalten, falsche Auffassungen über die Natur cles

Privateigentums zu vertreten. So kann umgekehrt di.e :',1'­

klärung der Vlare bei !4arx auch nicht dadurch ri<;:hh

oder falscher werden, daß sie als "Elementarform" des

Reichtums und "einfachstes ökonomisches Konkretum,,26) den

Anfang der systematischen Ableitung bildet, die das inne­

re Verhältnis der verschiedenen Formen des Reichtums (Vla­

ren, Geld, Kredit, Aktien, Grundstücke) zur Darstellung

bringt.

Diese Überlegungen lassen sich noch präzisieren, wenn viiI'

uns der Erörterung der zweiten und dritten Frage zuwenden,

wie eine Analyse der "logischen Struktur des Kapitalbe­

griffs bei Karl r,larx" auszusehen hätte und was eine sol

che Untersuchung zu leisten vermag. Dies soll anhand ei.­

ner innerhalb der "Rekonstruktion" der r,\arxschen Theorie

extensiv diskutierten Fragestellung exemplarisch umrissen

werden: der Frage nach dem "Verhältnis von logj.scher und

historischer ~!ethode". 27) Oder in anderen Vlorten aW3ge­

drückt': Warum gibt es im logischen Gang der Darstellung

des allgemeinen Kapitalbegriffs historische Ausführungen

und Exkurse, wann werden sie notwendig?

Marx selbst begründet im "Kapi tal ", warum er den Gang der

Darstellung des allgemeinen Begriffs des Kapitals nach der

Analyse des Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation un­

terbricht und die Darstellung der geschichtlichen Heraus­

bildung des Kapitalverhältnisses - die sogenannte ursprüng­

liche Akkumulation - folgen läßt:

"~,lan hat gesehn. wie Geld in Kapital verwandel t. durch Kapital Mehrwert und aus Mehrwert mehr Kapital gemacht wird. Indes setzt die Akkumulation des Kapitals den Mehr­wert. der Mehrwert die kapitalistische Produktion. diese aber das Vorhandensein größerer Massen von Kapital und Ar­beitskraft in den Händen von Warenproduzenten voraus. Diese ganze Bewegung scheint sich also in einem fehler­haften Kreislauf herumzudrehn. aus dem wir nur hinaus-

Page 15: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

29

kommen, inden wir eine der kapitalistischen Akkumula-tion vorausgehende 'ursprüngliche' Akkumulation ('pre­voius accumulation' bei Adam Smith) unterstellen, eine Akkumulation, welche nicht das Resultat der kapitalist­sehen Produktionsweise ist, sondern ihr Ausgangspunkt," 28)

Es ist wichtig zu verstehen, daß sich der hj.er vorliegende

"Übergang" von der begrifflichen zur historischen Darstel­

lung der "Logik der Sache,,29) verdankt, die hier noch ein­

mal rekapituliert sei: Die Akkumulation des Kapitals setzt

die Trennung von Produktionsmitteln und Produzenten - die

Existenz von doppelt freien Lohnarbeitern auf der einen

Sei.te und von Produktions- und Lebensmitteln in ds:" Hand

von Geldbesitzern auf der anderen - ebensoselo_l' voraus, wie

sie beständi.g diese Trennung auf wachsender Stufenleiter

reproduziert. Wenn diese Trennung von Arbeitskraft und

Reichtum beständiger Ausgangs- und Endpunkt des kapi tali-

stischen Akkumulationsprozesses ist so schließt I'larx -

dann muß ihr eine ursprüngliche Trennung vorausgesetzt sein,

die nicht Resultat, sondern eben Ausgangspunkt ist. Die

Bestimmung des praktischen Zirkels der Kapitalbewegung ver­

weist so auf ihren historischen Grund.

Diesen besonderen Gedankengang nimmt r~arx j.n den "Grundris­

sen" zum Anlaß einer allgemeinen Bemerkung über den Zusam­

menhang von "logischer und historischer r,lethode":

"Andrerseits ... zeigt unsre Methode die Punkte, wo die historische Betrachtung hereintreten muß, oder wo die bürgerliche Ökonomie als bloß historische Gestalt des Produktionsprozesses über sich hinausweist auf frühre historische Weisen der Produktion. Es ist daher nicht nötig, um die Gesetze der bürgerlichen Ökonomie zu ent­wickeln, die wirkliche Geschichte der Produktionsverhält­ni s s e zu sc hr ei ben .. Aber di e ri c hti ge Anse hauung und Deduktion derselben als selbst historisch gewordner Ver häl tnis s e fü hr t immer auf ers te GI ei c hungen - wi e di e empirischen Zahlen z. B. in der Naturwissenschaft -, die auf eine hinter diesem System liegende Vergangenheit hinweisen. Diese Andeutungen, zugleich mit der richtigen Fassung des Gegenwärtigen, bieten dann auch den Schlüs­sel für das Verständnis der Vergangenheit ... " 30)

30

Rekapi tul i eren wir, sich einer Untersuchung entnehmen

läßt, die ihr Augenmerk auf die "logische Struktur" rich­

tet, in uns er em Bei spi. el auf den Fortgang der Dars tell ung

der allgemeinen Bestimmungen und Gesetze des Akkumulations­

prozesses des Kapitals zu seinen historischen Voraussetzun­

gen. Oder dasselbe etwas anders formuliert: v/as läßt sich

getrennt von der Analyse des besonderen Gedankengang," -

des Schlusses von der Akkumulation auf ihre historischen

Bedingungen - als allgemeine Bestimmungen dieses Ganges

f es thaI ten?

Der Übergang von der begrifflichen Darstellung des Akkumu-

1 ati onspr oz es s es zu sein en hi s tori sehen Vor aus setzungen

hat seinen Grund weder in einem subjektiven Einfall, einem

Interesse oder einer Vorliebe von I-larx, noch verdankt er

sich der Anwendung einer von ihm gewählten äußerlichen

lliethode. Vielmehr entpuppen sich die Notwendigkeiten des

Gangs der dialektischen Darstellung als nichts anderes

denn die Notwendigkeiten der dargestellten Sache. Der Ort

historischer Reflexionen im Eahmen der dialektischen Dar­

stellung ist durch die Bestimmungen der Sache bezeichnet:

ihre Notwendigkeit, wo ,,31) . t zung ist ,verwels

"jedes Gesetzte zugleich Vor2.usset­

auf die historischen Voraussetzun-

gen dieses "fehlerhaften Kreislaufes".

llian merkt, daß mit der Bestimmung des allgemeinsten Fort­

schreitens aller möglichen besonderen Gedanken nur sehr

wenig mitgeteilt wird, so richtig die wenigen Bemerkungen

auch sein mögen. Darüber hi.naus ist das Folgende festzu­

halten: Im Unterschied zum Studium der im "Kapital" dar­

gestellten Urteile über die kapitalistische Produktions­

weise, das im ideellen Festhalten von Bestimmungen, Be­

ziehungen und Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen

Öko no mi e resultiert, ist das Erkenntnisresul tat der

Analyse der "logischen Struktur des Kapi talbegri ffs" \tJis-

sen über die formellen Bestimmungen von Hissenschaft

Page 16: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

31

I,etz tel' durchaus e 1 fe sein, v/enn darum

oz über Sacli8 zum

sehe Ordnung zu

. \rlc:nn er von dC'nl !!Großen

cht, den ihm die I1by rnere accj.den 11 en

ei ten~) 11]

kte

ethode de'3 ge-

1 s tct hr.;tlJ . Aber) und darau kommt in unserem Zusum-

hang di es es s on üb er Formelle von Wissenschaft

1 t rC Ins "trlJElcn urn da,J') vor 2:mzuc:l.gnel1 wäre,

eie un If:':jrrüttel zur

J.: api tal i ben . Vi<21mehr setzt;j umGc--

ehrt di arb r:lmuilgen über dEl.:::; !!Verhäl t-

ni von 1 eher 1)11 bi tori eher cthodc!l im \'Kapital!j -

oben ne,chge'JJi cn c hon

de:, Akkumul cl

S ol:Jeni kann d 'vii s en bel'

3S8n tiber die Bestimmungen

K a,p i tal s v CI' au s. U n cl e b cn -

e 1110gi ehe S truJe tur!l des

talbeGrl.ffs Wahrhei tskri ter:Lum für cU e :t m Ka,pi tal-

ff zusammengefaßten , 33) ürteile fung:leren.

Henn man ß, daß "der sy he Ort der Behandlung

diese,; Prozesses (der ur3prünglichen Akkumulation; d. Verf.)

dUTe die immanent _I_li] 1-1) festg;elegt i v

Logi.

dann 1.s

fer:nell, di.ese Bemerkung i"it -,

er k lec;or:i.alen. Darstellung

d t - 0 richtig, wenn auch

chts darüber ausgesagt, ob

die m Abschnitt über die Gesetzmäßigkeiten der Akkumula­

tion des Kapitals gegebenen Bestimmungen zutreffend sind,

noch ist darüber entschi,eden, eb in der Darstellung der

hi tori s c hen Vor 211) S s etzung der k api tal i s ti sehen Pr odukti ons­

",eis die Rolle der Blutgesetzgebung, der Staatsschulden

edel' des Kolonialsystems richtig aufgefaßt ist.

b) e logische Struktur des Kapitalbegriffs : das Wahr-

heits- und Geltungskriterium der lilarxschen Theorie

Vor dem Hintergrund dieser Bemerkungen, die der Selbstver-

gung dienen oll ten, wa:3 der Gegenstand einer Ana-

32

ly se der "1 ogi s c hen S truk tur des Kapi tal b egr ; .:' .",;" ist

und was rationellerweise an Erkenntnl.sleistung von einer

solchen Analyse erwartet werden darf, wollen wir uns wie-

der den Arb ei ten zur "Rekonstruktion" der I-larxschen Theo-

ri e zuwenden.

Hi er ist zunäc hs t auf den Fortschritt der Bei träge Rei-

chelts gegenüber der zu BeGinn dieses Absclmitts zitierten

r,1 arx-Rez ep ti on Ros dol skys hinzu weis en .35) Ros dolsky ist

bemüht, durch die explizite Trennung von Gegenstand und

I:lethode die "Fruchtbarkeit" der r·larxschen Theorie, sofern

sl.e als t4ethode rekonstruiert wird, hervorzuheben. "Re­

konstruktl.on" der l·larxschen Theorie heißt bel. ihm der

Versuch, getrennt von der Lo[;ik der Sache eine Sache der

l,o[;ik zu isolieren. ünabhän[;ig von den im "Kapital" dar­

gestellten ürteilen über den Gegenst&'1d - die dort gege­

bene Bestimmungen und Gesetzmäßigkeiten der kapitalisti­

schen Produktionsweise gelten Rosdolsky angesichts der

Entwicklung der Realität als fragwürdig - soll ein me­

thodisches Verfahren konstruiert werden, das gleichwohl

dem Gegenstand angemessene Erkenntnisse hervorzubringen

geeignet sein soll. Bei Rosdolsky wird Methode also gerade

im oben kritisierten Sl.nn verstanden, zum einen als ein

Instrument, das vor der Erkenntnis des modernen Kapi talis­

mus als deren t'littel zu konzipieren sei, zum anderen als

Wahrheitskriterium, &'1 dem - und nicht an den inhaltli­

chen ürteilen von :\larx - sich die Gültigkeit der l:iarx­

sehen "Kritik der politischen Ökonomie" entscheide. Ge­

gen solches Verständnis der Trennung von Methode und

, f 36) d ,- ' h R . h 1-1- Er durchgeführter \'ilssenscha twen ee SlC elC e e.

weist berechtiGterweise darauf hin, daß die Beschäftigung

mit der t4ethode oder "dialektischen Darstellung der Ka­

tegorien" das Studium der dargestellten ökonomischen In­

halte nicht ersetzen kann, sie vielmehr umgekel1rt gerade

den Nachvollzug und die Prüfung der ökonomj,schen Urteile

v orauss etz t:

Page 17: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

33

"~4arx insistiert darauf - und darin zeigte er sich als ein echter Schüler von , daß über die r,lethode, abgelöst vom Inhalt, nie ausgesagt werden kann." 37)

Darüber hinaus macht Heichelt auf den Fehler aufmerksam,

die dialektische !liethode als ein Instrument zu verstehen

- oder sie gar als ein solches zu "rekonstruieren" -, das

vor der Erforschung der Gegenstände zu erlernen sei, um

dann auf si e angewendet zu werden:

"Irreführend ist daher vor allem die Hede von der 'An­wendung der dialektischen !ljethode', die den Eindru~ vermittelt, als ob es sich um eine erlernbare Verfah­rensweise handle, die an verschiedene Inhalte von außen herangetragen werden könne." 38)

Solches falsches Verständnis der Dialektik verdanke sich

nämlich einem unkritischen Verhältnis zu den '~ethodendis

kussionen" der modernen Sozialwissenschaft, die "je schon

in einem Verhäl tnis wesentlicher Äußerlichkei t zum eigent­

lichen Gegenstand stehen.,,39) Ihr hält Heichelt vor, daß

hier r~ethode identisch ist mi.t instrumentellem Verfahren,

das die Objektivität des Denkens ad acta gelegt hat, da

der "Gegenstand vorweg schon in ei.ne bestimmte Form ge­

bracht wurde. ,,40)Gegenüber einer Wissenschaft, die der Sub­

sumtion des Gegenstandes unter eine von außen an ihn heran­

getragene Methode das \\Tort redet, betont Heichelt, "daß

abgelöst vom Nachvollzug seiner Darstellung (der des Gegen­

standes; d. Verf.) so gut wie nichts über die Methode aus­

zumachen ist.,,41), somit die Beschäftigung mit der Hethode

bzw. "logischen Struktur des Kapitalbegriffs" nichts an­

deres sein kann als die Betrachtung des immanenten Fort­

gangs der dargestell'ten Sache selbst.

So sehr einerseits dieser Kriti.k an Positionen zuzustim­

men ist, die die "dialektische Methode" in Gegensatz zu

den politökonomischen Inhalten stellen und in ihr den

Schlüssel für die ganze Marxsche Theorie und ihre Brauch­

barkeit für die Analyse des Kapitalismus sehen, so ist an­

derersei ts bei Heichel t selbst ein Zurückgehen hinter sei-

34

ne eigene Kritik nicht zu übersehen. Denn neben dem Jr-

teil, "daß über die r"ethode, abgelöst vom Inhalt, nichts

ausgesagt werden kann ,,1+2) , findet sich bei Heichelt die

dem en tgegenges etz te Behaup tung, ger ade di e "F orm der Dar­

stellung" eröffne "erst den Zugang zu den eigentlichen Ge­

halten der Harxschen Ökonomiekritik.,,43) So sehr Heichelt

einerseits betont, daß die Sache der Dialektik identisch ist

mit der Dialektik der Sache, so kündigt sich in der letz­

ten Formul i erung ander ers ei ts di e dem wi derspr ec hen d e Auf-

fassung an, die Sache der Dialektik sei doch mehr als

die Dialektik der Sache. Als Beleg und Bestätigung dafür

gilt ihm der Hohentwurf des "Kapital", die "Grundrisse zur

Kritik der politischen Ökonomie":

"Die Verflechtung von Sachverhalten, die traditionel­lerweise der ökonomischen Wissenschaft zugerecrlllet wer­den, und eine an der Hegelschen Logik orientierte Form der Darstellung dieser Sachverhalte ist hier so eng, daß das eine abgelöst vom andern gar nicht mehr zu erörtern ist. Die Gesamtdarstellung des ökonomischen Systems weist ein Höchstmaß an subtilen methodischen und systemati­schen Überlegungen auf, doch ist es unmöglich, auch nur einige Gedanken abzutrennen und gesondert vorzutragen, ohne sie in ihrer Substanz zu verletzen oder ihnen die Form von Dogmen zu geben." 44)

Warum so ist hier zu fragen - soll die separate Erörterung

eines einzelnen Gedankens, Urteils oder Schlusses diese "in

ihrer Substanz verletzen" oder ihnen gar "die Form von Dog­

men geben"? Was soll sich an der Objektivität der "geson­

der ten" Bes ti mmung der \\Tar e al sEin hei t von G ebr aue hs wer t

und Wert oder an der Wertbestimmung als Vergegenständlichung

abstrakter Arbeit 'substantiell' dadurch ändern, daß oder

daß nicht - zugleich über· das Geld, das Kapital oder die

Akkumulati on und deren notwendigen Zusammenhang zur Ware

geurteilt wird? Wie am Beispiel des Übergangs von der Dar­

stellung der Gesetze des kapitalistischen Produktionsprozes­

ses zur Betrachtung seiner historischen Voraussetzungen in

der sogenannten ursprünglichen Akkumulation sowohl im "Ka­

pital" als auch in den "Grundrissen" von mir gezeigt, setzt

die Darstellung des immanenten Zusammenhangs die substan-

Page 18: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

35

tielle Bestimmung der einzelnen Gegenstände voraus, an­

statt sie umgekehrt in ihrer Substanz erst noch zu be­

stimmen. Die Objektivität der Urteile sowohl Uber das im

Abschni tt zur Akkumulati on dargestell te Gesetz der pro­

gressiven Produktion einer industriellen Reservearmee als

auch Uber die Rolle von Expropriation, Wucherkapital oder

Staatsschulden im Prozeß der ursprUnglichen Akkumulation

wird nicht im mindesten dadurch tangiert, wenn sie in ih­

rem notwendigen Verhältnis zueinander - dem der histori­

schen Voraussetzung - dargestell t werden. Denn es ist kein

von den Urteilen Uber die einzelnen ökonomischen Gegen-

stände getrennter Zusammenhang, der im "Kapital"

oder den "Grundrissen" zur Darstellung kommt, sondern

ihr Zusammenhang, der sich eben aus den Bestimmungen

und Gesetzmäßigkeiten der einzelnen Gegenstände selbst

ergibt.

Wenn Reichelt dagegen der "Gesamtdarstellung des ökonomi­

schen Systems" die Funktion beimißt, die einzelnen Gedan­

ken, Urteile und SchlUsse in ihrer Substanz oder Objekti­

vität wesentlich zu modifizieren, dann trennt er nicht nur

entgegen seiner eigenen Warnung, die "Form der Darstellung"

au f kein en Fall von den ök on omi sc hen S ac hv er haI ten 'abzu­

lösen', die r~ethode der Darstellung von ihrem ökonomischen

Inhalt. Er hebt darUber hinaus die "Form der Darstellung"

in den Rang, mehr zu sein als die systematische Darstel­

lung der einzelnen Urteile Uber die ökonomischen Gegen­

stände in ihrem notwendigen Zusammenhang. Seinem Verständ­

nis zufolge ist es erst die "Gesamtdarstellung des öko­

nomischen Systems", die den 'gesonderten' Gedanken ihre

sub s t an t i eIl e W a h r h e i t zu geb en vermag bz w.

die "erst den Zugang zu den eigentlichen Gehalten der

Marxschen Ökonomiekri tik,,45) eröffnet. Die Gel tung des

r'larxschen Systems der politischen Ökonomie soll dieser In­

terpretation zufolge nicht in der GUltigkeit der einzel­

nen ökonomischen Urteile bestehen, sondern umgekehrt soll

sich die GUltigkeit der einzelnen Urteile aus der IVahr-

36

heit der Gesamtdarstellung des ökonomischen Systems erge­

ben. Nur - so muß sich Reichelt an dieser Stelle fraGen

lassen - woran bemißt sich dann die Geltung des Systems?!

Reichelt fällt damit auf eine Position der "~lethodendis­

kussionen" zurUck, die er selbst Uberwunden zu haben be­

ansprucht - das Postulat des Systems, das als Ganzes mehr

sei als der Zusammenhang seiner Teile, was den von ihm

kritisierten Gedanken der "Äußerlichkeit der Form geGen­

Uber dem Inhalt,,46) notwendiG einschließt. Über die Teile

des Systems - die einzelnen GeGenstände bzw. die einzel­

nen Urteile Uber sie - wird diesem erkenntnistheoreti­

schen Diktum zufolGe behauptet, sie seien fUr sich ge-

nommen unvollständig und mangelhaft, da bIo ß die Tei-

le eines umfassenden Systems. UmGekehrt wird sich das

System als eines vorgestellt, das mehr sei als der

Zusammenhang der Teile selbst und den für sich mangelhaf­

ten Teilen bzw. Urteilen erst zu ihrer wahren ';)ubstanz'

oder ihrem 'eigentlichen Geh,üt' verhelfe. Der \üderspruch

dieser erkenntnistheoretischen Idee des Verhältnisses von

System und Teilen besteht darin, einen von den Teilen Ge­

trennten Gesamtzusammenhang zu behaupten, der gleichwohl

der 'substantielle' Zusammenhang der Teile sein soll. Oder

dasselbe von den Teilen her formuliert: die Teile sollen

einerseits den ZusammenhanG des Systems konstituieren. der

andererseits erst den wahren Zusammenha"lg der Teile stif­

ten soll. Auf die Darstellung wissenschaftlicher Einsich­

ten als System angewendet führt diese widersprüchliche

Vorstellung über das Verhältnis vom Zusammenhang und sei­

nen Teilen zu dem methodischen Pcstulat, daß die analy­

tischen Urteile Uber eine Sache ungeachtet ihres 'sub­

stantiellen' Inhalts als prinzipiell mangelhaft aufzu­

fassen seien. Denn sie sollen ihre 'substantielle' ViaJo,r­

heit ja erst und alleine in dem von ihnen getrennten Zu­

sammenhang oder Gesamtsystem besitzen. \\fenn Reichelt in

diesem Kontext davor warnt, es sei unmöglich, einzelne

Page 19: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

~-------------------------------------------CJ1it"'j; ~_._._. __ .. _---_ ... -

37

Gedanken der Gesamtdarstellung der "Kritik der politi

sehen Ökonomie" "abzutrennen und gesondert vorzutragen",

ohne ihnen "die Form von Dogmen zu geben", so ist aller­

ding", umgekehrt ihm zu bedenken zu geben, ob die Gefahr

d~~ Dogmatisierung hier nicht auf Seiten desjenigen liegt,

der vor ihr warnt. Wenn sich nur vom Standpunkt des Sy­

stems die Stimmigkei t der einzelnen im "Kapi tal" oder den

"Grundrissen" dargelegten Urteile prüfen lassen soll,

worin besteht dann die Stimmigkeit des Systems':' Vlenn die

Objektivität des Systems der "Kritik der politischen Öko­

nomie" nicht ihren [VJaßstab in der Stimmigkeit der einzel­

nen ökonomischen Urteile hat, muß sie dann nicht quasi

"dogmatisch" vorausgesetzt werden, anstatt 'sub-

stantiell' begründet zu sein? Macht Reichelt da-

durch die tclarxsche Theorie - so muß weiter gefragt wer-

den - entgegen seinem Anliegen, zur Rekonstruktion und

Erhärtung des "Kapital" als die den bürgerlichen Theorien

überlegene, da objektive VIissenschaft beizutragen, nicht

verv.'Undbar gegenüber den Kritiken der etablierten Sozial­

wissenschaft, die die Urteile von arx über das Geld, die

Ausbeutung oder die Krise als falsch, ideologisch oder

veraltet ansehen? Muß nicht am Ende gar bei Reichelt selbst

ein Moment von Skepsis gegenüber den einzelnen politöko­

nomischen Urteilen von ~jarx zurückbleiben, deren Objekti­

vität er dooh gerade nachzuweisen bemüht ist?

Diese Fragestellungen umreißen nochmals die Konsequenzen,

die mit der Übernahme der metaphysischen Fassung des Ver­

hältnisses von System und einzelnem Urteil notwendig ver­

bunden sind und das Projekt einer "Rekonstrukti on" der

Iliarxschen Theorie, wie Reichelt dies beabsj.chtigt, nicht

unberührt lassen: 1. Für die Seite der sachlichen Aussa­

gen vcn Iliarx über die ökonomischen Gegenstände zieht dies

ihre Verwandlung in Hy pot h e sen nach sich. Denn die

'Substanz', Objektivität und Gewißheit der sachlichen Ur­

teile verbürgen nicht sie selbst, sondern alleine die "Ge-

38

samtdarstellung des ökonomischen Systems", also die von

ihnen getrennte dialektische t·"lethode ihrer Darstellung.

2. Für die Seite der dialektischen Methode ist die not-

wendige Konsequenz der Ver 1 u s t jedes in dem Gegen-

stand liegenden Anhal tspunkts Denn ihren Halt

kann die Methode nicht aus den sachlichen Urteilen über

die ökonomischen Gegenstände beziehen, wenn sie als deren

Fundament fungieren soll.

Beide Konsequenzen bezeichnen das Dilemma, in das der Ver­

such führt, eine "logische Struktur des Kapitalbegriffs"

von den im Kapitalbegriff in ihrem systematischen Zusam­

menhang dargestellten ökonomischen Urteilen abzutrennen,

um erstere als den Schlüssel für und Objektivitätskrite­

rium von letzteren zu rekonstruieren: statt - wie von Rei­

chelt beabsichtigt - zur Gewißheit über die sachlichen

Aussagen einerseits und die dialektische r·jethode ihrer

Darstellung andererseits beizutragen, wird so aus der

Marxschen Theorie ein erst noch zu bewältigendes Pro­

bl e m :

"Erst wenn über den Sinn dieser Unterscheidung ("zwi schen der Darstellung des 'allgemeinen Begriff des Ka-pitals' und der ... Darstel der \·Jirklichen Konkur-renz, des existierenden Kapi ismus also"; d. Verf.), der nur auf dem Wege einer detaillierten Nachzej.chnung der dialektischen Darstellung der Kategorien und Erör­terung der Implikationen dieser Darstellun form zu er-schließen ist, Klarheit besteht, wird es ich sein, sich abschlußhaft über die ffJarxsche l-1ethode und ihre Eignung für die Analyse des gegenwärtigen Kapitalis­mus zu äußern." 47)

An dieser programmatischen Äußerung über die "Aufgabe zu­

künftiger Forschung,,48) ist zweierlei aufschlußreich: zum

einen die explj.zit instrumentelle Bestimmung der ;,larx­

sehen Methode als Voraussetzung und l-littel "für die Ana-

lyse des gegenwärtigen Kapitalismus" eine Sichtweise von

tfJethode, die zu kritisieren Reichelt gerade bestreb war;

zum anderen die Aufgabe, die einer Untersuchung der von

~larx geleisteten "Darstellung des allgemeinen Begriffs

Page 20: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

39

des KE:tpital 11 zugewiesen wird, nämlicI) ennt von und

'''01' der "Analyse des gegenwärtigen Kapitalismu~.;l1 die "Eig­

nung" der :!;arxschen etrlode für diese zu prüfen - ebenfalls

eine ?osition, die Peichelt an anderer Ste11e zurecht als

"irre,. hrend" kritisiert, da sie "den Eindruck vermittelt,

211 ob es sich um eine erlernbare VerfahrensvJeis0 hElndle,

di e an verschi edene Inhal te von außen hero.'1L;etragen wer-

den 1c 'inn e "Li9) ;<'~ 'J' ,,"t "<l' C h"'l' g ,~\.. • .LIp.0 yv >.v. _~ zu verstehen, daß eichelt

dan;j"t der ItAuseinandersetzung mit dem arxscben hTer;-;:rt50)

einen neuen nllalt gegeben hat: die Besch;j .. ftiEjUng mit dem

i:n OKapi ~:aJ!l dar tell ten "Sy tem der bU ichen Öko-

:1 omi ';~'l~~ l1durch die Da.r t81J.un;~ zugleich Kri-

i t, vJIrd ersetzt durch die erkenntnis-

der axu~l:! ti ~)C hen T i c hk ci t der

arxs('hen ethodc.

eh thode? ~ns verbUrß~ ihre Ancemes an den zu

lU'lC ieht

In diesem Zusammen

1tAufgabe zukünftiger orschung" an.

g mißt er der "detiül ierten Nach-

;; ei c ti:3 he:n tellun en 11 _

tell der Erkenntnisrs;:)uJ vollzo e-

e der bkonoITli ehen Gegensttindc' W0I

L0hn, Kr t ".in hrem:imrna,n ten

tscheidende Eedci)tung bei, närnlic eüz.:; :i.ttel~

Tauglichkei der ethode für die noch Z,U er tel

1 en d e !\nalyse des ex:Lstiere:1den Kapita]j.;;mus, zu erwei­

sen. v\lie aber, so st hier einzuwenden, so11en die im "Ka-­

pital" dargestellten sachlichen Urteile di e Entscheiduncs­

hilfe leisten? Denn entweder h"ndelt es sich bei den darge­

legten ökonomischen Katecorien um Wissen über den existieren­

den Kc.pitali,';mus; dann ist allerdings die Bestimmung einer

geeiS'11eten ethode, dieses \1issen hervorzubringen, nicht

mehr nötig. Oder die im "Kapital" dargestellten Kategorie:1

sind keine objektiven Bestimmungen des existierenden gegen­

wärtigen' Kapitalismus; dann können sie auch schlechterdi:1gs

nicht als 1;laßstab oder Prüfstein für die Tauglichkej.t der

1!0

Methode zu seiner Analyse dienen; denn vermöge von Kate­

gorien, die dem gegenwärtligen Kapitalismus unangemessen

sind, über die Angemes,,,enhei t einer l~ethode zur Analyse

des ge{;enwärtigen Kapitalismu" entscheiden zu wollen, ist

eine contradictio in adjecto. Diesen Aporien ist zu e:1t­

nehmen, daß es sich bei der von Heichelt angegangenen

llAufgabe zukünftiger Ferse hung l1 um eine im trengen Sinn

unlösbeJ,re Problemstellung ha.ndelt. Sie besteht darin)

gleichsam nach einem archimedischen Punkt zu suchen, der

der l<larxschen I~ethode Halt zu geben vermaß und darüber

hinaus den !fmethodi ehen Anspruch rechtfertj.gen!t kann, !ldie

kapitalistische esellschaft :Ln einer Heise begrifflich

verELrbeiten zu können, vor der sich die Fragestel1unEen

der gegenwärtigen sozialwizsenscha.ftlichen ethedend:i.~)kl)­

sion nicht nur als unzulänglich erweisen. sondern selb

noch als Ausdruck einer - in 11egels Worten SteJ.lun des

Gedankens zur Objektivit~.it: e arx in der ka:tc[jori cn .. . ,,52)

Darstellung je cho{J uber;~pr;lJ1gen ha.t.

c) Die "Kritik der }Ioh,tischen Ökonomie": ie En

eines Totali tätsbeßri ffs entfremdeten Formen

Heichelt geht es hei der von j.hrn angestrebten "neuen AU[3-

einandersetzunß mit dem arxschen \verk" also zum einen

darum aus den sachlichen lJrteil en der Kri tik der poli ti , .. . ". '. ". ,,53) 1 ~ • _ sehen Okonomle den Schnltt;punKt; zu KO<.10truleren, der

erlaubt, von der r.lar'xschen Theorie als positiver Wissen­

schaft zu sprechen, die zurecht gegenüber der "bürgerli­

chen Wissenschaft" für sich in Anspruch nehmen darf,

"zum ersten Male in der Entwicklungsgeschichte der r'!ensch­

heit ... die gesellschaftliche Struktur in all ihrenEr-. "f b . k" ,,';4. scheinungsformen auf den Begrl" rlngen zu onnen. ,

zum anderen soll damit zugleich der "Prüfstein,,55) aus dem

"Kapi tal" herauskristalisi ert werden, der es umgekehrt

Page 21: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

41

ermöglicht, vorweg "die Kritik an seinem IVerk und die ver­

schiedenen Formen der Rezeption als unzulänglich zu de­

chiffrieren, als Kritik und Rezepti 0:1 , die sich einem

Standpunkt verdankt, den er je schon überwunden hat: dem

des bürgerlichen SUbjekts.,,56) Und Reichelt hat damit nicht

nur das Problem der zukünftigen Forschung umrissen, sondern

ist sich gewiß, auch über die angemessene Lssung zu verfü­

gen: Den "Schnittpunkt" und "Prüfstein", der der Marxschen

Theorie objektive Gültigkeit und "je schon" tiberlegenheit

über die bürgerliche lVissenschaft verbürgen soll, hat er

in einem methodischen Verfahren gefunden, das

er aus den sachlichen Urteilen der Marxschen Vierttheorie57 )

und der Theorie des Arbeitslo11ns 58) konstruiert:

"IVenn wir von derselben Struktur ausgehen, die wir als grundlegendes Problem des Frühwerks kennengelernt haben, der Struktur der Verdopplung, und uns an die spezifischen Merkmale der bürgerlichen Theorie erinnern, so können wir auch in diesem Falle, bei der Verdopplung der Ware in Ware und Geld, bestimmte 101otive der Kritik vorweg­nehmend formulieren. Was für die Verkehrung der gesell­schaftlichen Form der entfesselten Individualität zur Naturform und den daraus entspringenden Konse'1uenzen hin­sichtlich der begrifflichen Verarbeitung der Form des politischen Staates und der verschiedenen Formen des ideologischen Bewußtseins gilt, gilt auch im Falle der Verdopplung der Ware in Ware und Geld. Das darf jedoch nicht nur im Sinne einer Analogie aufgefaßt werden. Re­kurs auf die Basis heißt ja zugleich, daß die Wurzel der Verkehrung im bürgerlichen Denken in der Verkehrung der Warenform zur Naturform des Produkts zu suchen ist. daß es sich also bei der Dechiffrierung dieser Verdopplung für Marx um die Eröffnung des einzig möglichen Einstiegs in die theoretische Verarbeitung der gesamten bürgerlichen Gesellschaft handelt." 59)

Insofern bei I~arx der "Verkehrungsprozeß selber Gegenstand

der Theorie wird,,60), sei es berechtigt, im Unterschied

zur "bürgerlichen \Vissenschaft" der f.larxschen Theorie den

Anspruch zuzuerkennen, nicht nur die bürgerliche Gesell­

schaft auf den Begriff gebracht zu haben, sondern darüber

hin aus auc h

42

"die Struktur der aufenen Geschichte einschließ-lich ihrer ideologis Formen. unverstellt durch ei-ne selbst noch diesem angehörende Präformierung des Bewußtseins, zu ifen. Sie schmiegt sich in ihrer 'wirklichen Darstellung' menschlicher Ent­Wicklungsgeschichte der Struktur dieses Prozesses an, sie begreift ihren Gegenstand als einheitlichen, näm­lich als Konsti tutionsprozeß derf'lenschhei t unter ei-ner Totalität entfremdeter Formen." 61)

Zunächst einmal ist zu konstatieren, daß das von Reichelt

aus der Beschäftigung mit der "dialektischen Darstellung

der Kategorien" tm "Kapital" konstruierte methodische Ver­

fahren der "Dechi.ffrj.erung", welches lViarx bei der begriff­

lichen "Verarbeitung" eler kapitalisti.schen Gesellschaft

praktiziert habe, einen theoretischen Zirkel darstellt:

Einersei ts entnimmt Rei.chel t den in den "Grundrissen"

und im "Kapital" dargestellten Resul taten der von

~Iar x durc hgefii hr ten An alys e der kap i tali s b. sc hen Pr oduk­

tionsweise zwei sachliche Urteile, elie ihm als objektives

Wissen gelten: zum einen die Aussage über die bürgerliche

Gesellschaft, elie durch di.e "Verkehrung der vlarenform zur

Naturform des Produkts" bestimmt ist, und zum andern die

Bestimmung des biirgerlichen Denkens, das ebenfalls eine

"Verkehrung" aufweist und in der "Verkehrung der \'larenform

zur Naturform" gründet. Andererseits soll das schon erar­

beitete Viissen um diese "Verkehrungen" die unabdingbare

Voraussetzung zur Erarbeitung "unversteJ.lten" Ihs­

sens darstellen, den "einzig möglichen Einstieg i.n die

theoretische Verarbeitung der gesamten bürgerlichen Ge­

seIlschaft". Das methodische Verfahren namens "Rekurs auf

die Basis" und "Dechiffrierung", das die er f 01 gr ei c he

sachliche Bestimmung der kapi talistischen Produkti onswei-

se samt des ihr zugehsrigen Be,mßtseins voraussetzt - denn

es wird ja gleichsam als Essenz aus ihr extrahiert -, soll

zugleich erst der Gar an t erfolgre:i.cher Analyse der ka-

pitalistischen esellschaft sein.

Page 22: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

In unserem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß Rei­

chel das von ihm kcnstruierte Verfahren, welches - um

es nochmals in allgemeiner Form auszudrUcken das Wis-

sen vom Wissen trennt und es als Vorbedingung fUr sich

selbst ), als Re-Konstruktion der von Marx

praktizierten wissenschaftlichen Verfahrensweise begreift.

Insofern sich Reichelt auf Marx beruft, erscheint es sinn­

voll. im folgenden in einem ersten Schritt zu untersuchen,

was bei t'Jarx "Verkehrung der Vlarenform zur Naturform"

heißt. In einem zweiten Schritt ist dann zu diskutieren,

ob die von ReicheIt rekonstruierte Verfahrensweise der

"Dee ffrierung" des Gegenstandes "al Konst:ituti.onspro­

zeß der Menschheit unter einer Totalität entfremdeter

Fcrr~en" den Anspruch einzul en vermag, den Heichelt mit

ihr verbindet: die Rechtfertigung des Anspruchs auf Wis­

senschaftlichkeit und Objektivität der Marxschen Theorie.

Heichelt reklamiert gerade gegenUber der modernen bUrger­

lichen Sozial und Vlirtschaftswissenschaft Marx als den

ers-:;en Theoretiker, der sich mit der "Dechiffrierung der

Verkehrung der vJarenform zur Na,turform l1 llüber das gesam-

te sehe Bewußtsein vergangener Zeiten hinweggesetzt,,6J)

habe. und beruft sich dabei vor allem auf den ersten Ab-

schrütt "Ware und Geld" des "Kapital". Was al.so ist von

Marx ausgesagt, wenn er in dem vielzitierten Kapitel über

den F'etischcharakter der Ware das "Geheimnisvolle der Wa­

ren form" damit bestimmt,

"daß sie den l~enschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Naturei­genschaften dieser Dinge zurUckspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Ge­samtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesell­schaftliches Verhältnis von Gegenständen," 64)

Marx hat bei der Analyse von Ware und Geld entdeckt, daß

in diesen auf den ersten Blick so selbstverständlichen

und trivialen Dingen ein ganzes gesellschaftliches Pro­

duktionsverhältnis eingeschlossen ist, welches nicht nur

44

das Handeln der Individuen in der bUrgerlichen Gesellschaft

bestimmt, sondern darUber hinaus auch deren Bewußtsein, das

von ihm als notwendig falsches Bewußtsein charakterisiert

wird. An der Leistung des Geldes, Waren zu kaufen, zum Bei­

spiel hat Marx den Widerspruch dieses bkonomischen Sachver­

halts bemerkt. Wie - so lautete seine Frage - kann denn

Gold die Leistung vollbringen, ihrer natUrlichen Beschaf­

fenheit nach so vollkommen unvergleichbare Dinge wie Brot,

Häuser oder Maschinen untereinander zu vergleichen und ge-

geneinander auszutauschen? Mehr noch wie kann denn Gold,

selbst ein Ding, das seiner natUrlichen Beschaffenheit nach

zum Ausstopfen hohler Zähne oder als Material fUr Luxusar­

tikel dient, die wahrhaft mysteribse Leistung bewerkstel­

ligen, daß nicht nur untereinander, sondern auch mit ihm

vbllig inkommensurable Dinge ungeachtet dieser ihrer natUr­

lichen Unvergleichbarkeit verglichen, verkauft und gekauft

werden? Die Beantwortung dieser Frage hat die gewbhnliche

Vorstellung über diesen bkonomischen Sachverhalt, es sei

eben die Leistung und der lobenswerte Dienst des Geldes,

die verschiedensten Gegenstände der menschlichen Produktion

und Konsumtion erst vergleichbar und damit austauschbar

zu machen, als "falschen Schein,,65) kritisiert: Denn - so

lautete der Schluß von Marx - wie sollen von ihrer natUrli

ehen Beschaffenheit her so inkommensurable Dinge Uber das

Geld verglichen und ausgetauscht werden kbnnen, wenn sie

nicht schon vergleichbar sind; nur weil ihnen getrennt von

ihren natUrlichen Eigenschaften eine gleiche Qualität in­

newohnt, die rein gesellschaftlich ist und von Marx als

Wertgegenständlichkeit bestimmt wird, sind Brot, Häuser oder

Maschinen Uberhaupt austauschbar, kbnnen sie in Geld bemes­

sen, verkauft und gekauft werden. Als erstes Resultat sei­

ner Analyse von Ware und Geld konnte r4arx also festhaI ten:

Entgegen dem gesunden Menschenverstand, dem Geld als nUtz­

liches Hilfsmittel fUr den Austausch von Waren gilt, macht

Geld nicht die Dinge der Produktion und Konsumtion ver­

gleichbar, sondern setzt vielmehr deren Vergleichbarkeit

Page 23: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

1;5

längst voraus; Geld kann gar nichts anderes ein als die

den Waren selbst als ihre gesellschaftliche Eigenschaft

innewohnende Wertgegenständlichkeit, di 1m Gold zugleich

selbständige Existenz und handgreifliche Form erhalten

hat und ihnen als Ding gegenübertritt.

Damit ist ein zweiter Widerspruch der talistischen Pro-

duktionsweise ausgesprochen, der theoreti eh geklärt sein

will - und über den hinwegzusehen nur dem sogenannten ge­

sunden Menschenverstand kein Problem bereitet: Wenn ein

Ding es ist, das sämtliche Gegenstände der Produktion und

Konsumtion einer Gesellschaft aufeinander bezieht und ge­

geneinander austauscht, was läßt dies über das gesellschaft­

liche Verhältnis der Produzenten erkennen~ Ware und Geld -

so die Schlußfolgerung von Marx - setzen einerseits den

gesellschaftlichen Zusammenhang der einzelnen Produzenten

voraus, die sich s Glieder der gesellschaftlichen Ge-

samtarbeit betätigen; derorseits exi tiert der gese11-

schaftliehe Zusammenhang ihrer Arbeiten nicht in diesen

selbst, sondern getrennt von ihnen und verselbständigt in

einer S ac he. Wenn der Zusammenhang der gesellschaft-

lichen Arbeiten in einem Ding existiert, dann - so die

Analyse von Marx - ist das allerdings das Gegenteil ein~r

blo;'3 technischen Operation, gleichsam einer unsichtbaren

Hand, die eine fehlende bewußte Planung der gesellschaft­

lichen Gesamtarbeit ersetzt. Das Geld ist vielmeh! ein

materiell gewordenes D:L k tat an die Produzenten, ein

gesellschaftliches Subjekt, das getrennt von und rück­

sichtslos gegen die Bedürfnisse, Interessen, rHttel und

Fähigkeiten der produzierenden Individuen über die Re­

sultate ihrer Arbeit entscheidet. Denn di Gleichsetzung

ihrer produzierten Ware mit Geld ist das Maß, ob überhaupt

und - wenn ja - wieviel des ebenfalls als Ware existie­

renden gesellschaftlichen Reichtums der Produzent sich

kaufen kann; was umgekehrt bedeutet, daß es das Geld ist,

welches den Anteil des Produzenten an den Resultaten der

1,6

Gesamtarbeit beschränkt. In der sachlichen Gestalt des Gel­

des hat Marx das matert le Substrat der 0 b j e k ti v e n

Verkehrung bestimmt, welche die bUrgerliehe Gesel -

schaft charakterisiert: Ware und Geld sind ökonomische For­

men einer Produktionswei e, die einerseits au der Beherr­

schung der Natur durch die gesellschaftliche Produktion

der Individuen berur.t; andererseits unterwerfen sich eii

Menschen einem ihnen als Sache gegenübertretenden gesell

schaftlichen Zwangs am:nenhang, den ie doch el.bst pro-

duzieren und der ihnen vJ:Le ein Natur[;es

gen ihres HandeIns vorschreibt:

di e

"Ihre eigne gesellschaftl ehe Bevicgung besi.tz,t für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kon­trolle sie stehen, statt sie zu kontrolli.eren." 66)

Ist erst einmal di in Ware und Geld objektive Verkehrung

der kapitalistischen Produktionsweise begri f , dann stellt

- so Marx - die dritte 'Verrücktheit' der bürgerli.cben ·3e­

seIlschaft kein R~tsel mehr da: Warum den Individuen im Ka­

pitalismus entgegen allem Augenschein und aller Logik "For­

meln, denen es auf der Stirn geschrieben stebt, daß s

einer Gesellschaftsformation angehör J worin der Produk-

tionsprozeß die Menschen, der ensch noch nicht den Pro-

duktionsprozeß bemeistert, für ebenso selbstverständ-

liche Naturnotwendigkeit als die produktive Arbeit selbst,,67)

gel ten. Den in Ware und Gel d inkorporierten sachlichen Zwang

bestimmt Marx als den gesellschaftlichen Grund dieser sub-

jektiven Verkehrung,

wußtseins:

des notwendig falschen Be-

"Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Pri.vatarbeiten als das, was sie sind, d. h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhält­nisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhäl tnisse der Sachen." 68)

Marx weist an dieser Stelle darauf hin, daß unter Verhiilt­

nissen, in denen eine ganze Gesellschaft auf v/are und Geld

beruht und in der sämtl che ökonomischen Operationen der

Page 24: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

Prod"ktion und Kon8umtioo eh Vorfügung ü er Geld voraus-

setzen und auf die Verfügung üb Geld ausgerichtet sind,

di Lodividuen gar nicht umhin können, das Geld il1 selbst­

verständlich gegebene Voraussetzung ihres HandeIns, als

"natürlichen Gegenstand" prakti ch zu behandeln und auch

the etisen so zu betra,ehten. Denn kaum verspürt das In­

dividuum ein Bedürfni "nd kaum regt ich bei ihm ein In­

ter se, ist e~) auf di VerfUgung Uber G d praktisch an-

en. rgerl:Lehe Sub,~j besitzt keine andere

Wahl; si h des Gel s seines Lebensmittels zu be-

di \v'enn für ohne Geld chts, aber mit Geld vieles

geht, 'vJe11 der Re':' htum der" Gesel schaft s I'ungeheure \

arnmlung ll ) existiert, o&.nn ist es zwar ej.ll "fal

sch'2r Schein", da;" Geld ale,; sinnvolle Eiorichtung für

eh und BedUrfnisbefriedigung anzusehen, aber ein durch

di gesel schaf tl ehen Umstände. unter dl das Individuum

eugt j_st, praktisch erzvrungener "falscher chein!!:

eselben (von dem m:Lnd unabhän gen, ol)c1eich auf ihn enden) Umstiinde. die die Pr eotecn z , ihre

?rodukte als Waren ~u verkaufen - IJmst~nde, eine Form der Produktion von der andren unterscheiden

en i.hren Produkt (auch für ihren mind) einen vom ebrauchswert unabhzi.n gen Tauschwert. Ihr 'mind' , ihr

durc nicht wissen, für es ma.g nicht h in fact der Wert ihrer Waren oder

estimmt sind. Sie sind in Ver­tnisse gesetzt, die j.hren mj.nd bes mmen, ohne daß

si.e es zu wissen brauchen. Jeder kann Geld als Geld brauchen, ohne zu wi sen, was Geld ist. Die ökonomi-schen spiegeln sich im Bewußts n sehr ver-

Marx legt Wert auf die Feststellung, daß der Fetisch der

Haren- und Geldform mißverstanden wäre, hielte man i.hn ~ PI"" . h' . -, 1 t· 71 ) für ej.n blojjes .1'oh. em von l~lnSlC 'C und .bY'<::cnn -nlS.

No '~'endig falsches Bewußtsein ist die Auffassung des

Geldes als natUrliches Mittel der BedUrfnisbefriedigung.

weil jedermann in der bürgerlichen Gesell chaft - ob er

wil oder nicht - praktisch darauf angewiesen ist, zum

Zwecke seines Lebensunterhalts "Geld zu brauchen". Den

1!8

Produktionsagenten 1 sen eIl chaftlichen "UmstEtn-

deli gar keine andere vI a.!) 1 , als sich instrumentell zu dC'D

ökonomischen Gegemötänd zu stellen 7 ) und dilS Geld als

Mittel der Befriedigung ihrer Bedürfnis e zu gebrauchen,

aue h wenn das Gel d di es ittel gar nicht ist - und dies

sogar dann, wenn ie darum wUßten, " was Geld'l wirklich

Genauso mißverstanden a.llerdings wäre die Darstellung es

Fetischs im 1!Kapital!1~ vJenn man dj.8 Notwendigkeit des al­

sehen Bewußtseins in der bürgerlichen Gesellschaft zu (;1-

ner historischen Unumgänglichkeit erklären und im Sinn e1-

n es Determinismus verstehen .,ijrd ) welche di.e Kritik

der falschen Bewußtseinsinhal te verunmöglichte. Denn

da.ß die "ökonomischen Kategorien sich im Be\-JUfltsein sehr

verkehrt abspiegeln" und die Inc3titution des Geldes sich

ganz anderen Zwecken verdankt s demjenigen universaler

Bedürfnisbefriedigung, wird nicht nur dem größten Teil

der Produkti onsagenten handgrei flieh vor Augen geführt,

wenn ihnen ihre begrenzte Verfiicung über Geld die Beschrän­

kung ihrer Bedürfnisbefriedigung aufnötigt. Doch nicht nur

die Widersprüchlichen praktischen Erfahrungen widerlegen die

Vorstellung von einer unausweichlichen Befangenheit im VJa­

ren- oder Geldfetisch. Henn tatsächlich ein Determinismus

herrschte und das notwendig falsche Bewußtsein ein bloDer

Reflex der ökonomi.schen Kategorien wäre, dann v/äre eben die­

se selbstbevJUßte Eins:i.cht von I!iarx über das bürgerliche Be­

wußtsein, dem "die Wertform des Arbeitsprodukts" "für die

ewige Naturform der Produkti on ,,71,) gil t, ein Ding der Un­

möglichkei t.

Zum Abschluß dieser Nachzeichnung des Gedankengangs im

"Kapital" soll noch ein Problem diskutiert werden, das

dann zugleich überleitet zu der von Rei.chelt rekonstruier­

ten Verfahrensweise der "Dechiffrierung" der "Verkehrung

der Warenform zur Naturform": nämlich welcher Stellenwert

der Erkenntnis von VJare und Geld und des ihnen immanenten

ihllv. iibliofh@k I.h~$!~kl

Page 25: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

Fetischcharakters beizumessen ist. r~arx selbst hat mehrfach

auf die grundlegende Bedeutung der Analyse von Ware und

Geld für das Verst~ndnis des die bürgerliche Gesellschaft

charakterisierenden Kapitalverh~ltnisses hingewiesen, so

zum Beispiel in einem Brief an Engels:

"Außerdem ist die Sache zu entscheidend für das ganze Buch. Die Herrn Ökonomen haben bj.sher das höchst Ein­fache übersehn, daß die Form 20 Ellen Leinwand = 1 Rock nur die unentwickelte Basis von 20 Ellen Leinwand = 2 Pfund Sterling, daß also die einfachste Warenform, worin ihr Wert noch nicht als Verh~ltnis zu allen andern Wa­ren, sondern nur als Unterschiednes vcn ihrer eignen Naturalform ausgedrückt ist, das ganze Geheimnis der Geldform und damit, in nuce, aller bürgerlichen Formen des Arbeitsprodukts enth~lt." 75)

r,jarx legt Hert auf die Feststellung, daß mit der Bestim­

mung der Ware und der Darstellung ihres Werts in der "ein··

fachsten IVarenform" schon über den spezifischen Charakter

der kapitalistischen Produktionsweise entschieden ist -

wenn auch erst "i.n nuce", in allgemeiner und abstrakter

Form. Denn die Harenanalyse charakterisiert diese Ökonomie

als eine, in der nützliche Gegenst~nde allein um ihres

Tauschwerts willen produziert vJerden. Arbeitsprodukte sind

Reichtum nicht ob ihrer konkreten Gebrauchseigenschaften,

sondern ob ihrer Gleichgeltung mit anderen Arbeitsprodukten

respektive mit Geld. IVenn Zweck und Inhalt der Produktion

von IVaren der von der Bedürfnisbefriedigung emanzipierte,

eben abstrakte Reichtum in Gestalt des Vlerts ist, dann - so

ist sich ~jarx gewiß - werden sich auch s~mtliche anderen

"bürgerlichen Formen des Arbeitsprodukts" wie Geld, Kapi­

tal, Kredit und Zins, Aktien oder Grundeigentum als be-

sondere Existenz1tJeisen und funktionelle Ges ten des V/erts

erweisen. Es ist aber in unserem Zusammenhang wichtig zu

verstehen, daß diese Gewißheit den Theoretiker nicht der

Aufgabe entheben kann, die anderen Gestaltungen des ab

strakten Reichtums für sie h zu analysieren. Denn

we::1n man wei ß, daß Kredit und Zins besondere Formen des

Werts sind, dann besitzt man eben noch keine Kenntnisse

50

darüber, wie sie das sind, wodurch die Höhe des Zinse"'

bestimmt ist, warum sich das zi,nstragende Kapital als der

"vollständigste Fetisch,,76) darstellt, wie das Verh~l tnis

des zinstragenden zum produkti.ven Kapital aussieht, was

die Gesetze der fiktiven Akkumulation im Unterschied zur

wirklichen sind, usw. usf. Eine gelungene, weil stimmige

Analyse der Ware, j.hrer Verdopplung in IVare und Geld ~;o­

wie ihres Fetischcharakters mag eine Orientierung für die

Untersuchung anderer Formen des Werts an d1 e Hand geben,

aber weder ist sie als eine notwendige und unabdingbare

Voraussetzung für letztere anzusehen"17) noch kann sie eine

selbst~ndige Erforschung der besonderen Gestalten des bür­

gerlichen Arbeitsprodukts ersetzen oder gar quasi apriori

deren Erkenntniserfolg garantieren. Die Frage, ob I-lan,.-

wie er für sich reklamiert eine stimmige Erkl~rung nicht

nur von \'Iare und Geld, sondern auch des Arbeitslohns oder

Kredits samt der diese ökonomi chen Formen charakterisie­

I' enden Verkehrungen un d Mys ti fi ka ti on en gegeb en hat, ~ ßt

sich nicht getrennt und unabh~ngig von der Beurteilung des

sachliohen Gehalts der t4arxschen Urteile über diese öko­

nomischen Gegenstände durch einen Rekurs auf die \vert­

theorie quasi vorab entscheiden. Diesem QUj,dproquo al 01'­

dings scheint Rej.chelt zu erliegen, wenn er - wie oben ge--

sehen - die IVerttheorie als den "Prüfstein" der ökono-

mischen Theorie von t~arx interpretiert, "um die Kritik an

seinem \'Ierk und die verschiedenen Formen seiner Hezeption

als unzulänglich zu dechiffrieren. ,,78) Die entscheidende

Bedeutung der \'Ierttheorie sieht Reichelt weniger in den

kritischen Aufschlüssen, die sie über die Natur der kapi­

talistischen Produktionsweise zu geben v ), als viel­

mehr in dem Stellenwert, der ihr zukomme, um die Streitfra­

ge über die Gültigkeit der r~arxschen Kapitalismustheorie

eindeutig beantworten zu können. Anhand der Analyse von

lvare und lvert soll es möglich sein, je schon und ganz prin­

zipiell, also noch vor einer fluseinanderse-tzung mit den

einzelnen sachlichen Urteilen über die verschiedenen im

Page 26: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

51

"Kapi tal" im folgenden dargestell ten ökonomischen Gegen­

stände, die Marxsche Kapitalismusanalyse als die überlegene

Gesellschaftstheorie zu erweisen 80); und genauso prinzi­

piell und unabhängig von einem Nachweis der ökonomischen

Fehlurteile und logischen Widersprüche der bürgerlichen

Vol ks wirts c haftsl ehr e und etabl i erten Sozi al wi s sense haf­

ten soll die "Dechiffrierung" der Verdopplung der Ware in

Ware und Geld es erlauben, die bürgerliche Rezeption und

Kri tik an Marx "vorweg schon als unzulänglich zurückzu­

weisen ... , als Kritik nämlich, die sich je schon einem

Standpunkt verdankt, den die Marxsche Theorie immer schon

übersprungen hat. ,,81)

Dami t sind wir bei der schon oben angegebenen zwei ten Fra­

ge angelangt: Kann der "Rekurs auf die Basis", dessen

Quintessenz Reichel t als "Verkehrung der Warenform zur Na­

turform des Produkts,,82) zusammenfaßt, den Anspruch einlö­

sen, quasi den Kristallisationspunkt darzustellen, in dem

sich die Wissenschaftlichkeit der r4arxschen Theorie und

ihre Überlegenheit über die "bürgerliche" Wissenschaft

verdichten? Oder dasselbe Problem etwas anders ausgedrückt:

Wenn man aus der "theoretischen Nachzeichnung der Geldform,,83)

einen "marxistischen Totalitätsbegriff" gewinnt, "den wir

als Totalität der entfremdeten Formen begreifen, unter de-

nen sich die Menschen reproduzieren,,84), verfügt man dann

über ein universell zu handhabendes "methodisches Vorbild,,85)

für die wissenschaftliche Erkenntnis der ihrer endgültigen

Aufklärung noch harrenden Phänomene der bürgerlichen Ge­

sellschaft?

Zur Beantwortung dieser "methodisch-kategorialen Fragen,,86)

müssen wir unser Augenmerk auf den sachlichen Gehalt des

"marxistischen Totalitätsbegriffs" richten, den Reichelt

aus dem Nachvollzug der Marxschen Darstellung von Ware und

Geld extrapoliert. Wo Narx - wie oben gezeigt - analysiert,

wie schon in den elementaren ökonomischen Gegenständen

52

Ware und Geld die objektive Verkehrung der gesellschaft­

lichen Verhältnisse der Individuen in gesellschaftliche

Verhäl tnisse von Sachen enthal ten ist, unter deren Kon­

trolle die Menschen stehen statt sie zu kontrollieren,

konstruiert Reichelt daraus das "methodische Vorbild",

daß die ökonomischen, sozialen und poli tischen Ein­

richtungen der bürgerlichen Gesellschaft als "Verkehrun­

gen" oder "entfremdete Formen" zu bestimmen seien. Und

wo ~larx nachweist, wie der praktische Zwang, den das

Geld für die Individuen in der bürgerlichen Gesellschaft

bedeutet, zugleich das notwendig falsche Bewußtsein übcr

das Geld erzeugt, es sei ein natürliches und nützliches

Instrument für Austausch und Bedürfnisbefriedigung, ex­

trapoliert Reichelt daraus die "AbleitungSstruktur,,87),

daß die Wurzel der subjektiven "Verkehrung im bürgerli-

chen Denken" im "Rekurs auf die Basis" zu suchen sei. Aus

den in den "Grundrissen" und im "Kapital" dargelegten

sachlichen Resultaten der abgeschlossenen Analyse, in der

~larx die jeweils besondere Form, den spezifischen Inhalt

und den bestimmten Grund der die verschiedenen ökonomi­

schen Gegenstände (Ware, Geld, Kapital, Arbeitslohn usw.)

charakterisierenden Verkehrung theoretisch erarbeitet hat,

extrahiert Reichelt die ganz allgemeine, unspezifische

und formelle Bestimmung der Verkehrt he i t des bürgcr-

lic hen Bewußts eins un d s ein es Grundes in der "i mman en ten

Widersprüchlich k ei t der Basis". 88)

·Dieses Abstraktionsverfahren kann für sich genommen nicht

kritikabel sein. Es darf sich soweit auf r4arx berufen, der

selbst gelegentlich neben der Darstellung des Warenfe­

tischs, der Verkehrungen der Geldform oder der Nystifika­

tionen des Arbeitslohns noch einmal das daraus zu entneh­

mende, zusammenfassende und allgemeine Urteil über die

kapitalistische Produktionsweise explizit macht, so zum

Beispiel mit dem folgenden schon zitierten Diktum: "Die

ökonomischen Kategorien spiegeln sich im Bewußtsein sehr

Page 27: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

verkehrt ab. ,,89) Allerdings ist es in unserem Zusammen­

hang von Bedeutung zu verstehen, daß von r~arx mit solchen

Formulierungen ein abstraktes Ergebnis durchgeführter

Analyse des Waren-, Geld- und Lohnfetischs angegeben

wird: der ganz allgemeine Begriff des Scheins von Natur­

und Sachnotwendigkeit, den die gesellschaftlich produ­

zierten Verhäl tnisse im Kapi talismus annehmen. Kri tikabel

wird daher das von Reichelt praktizierte Abstraktionsver­

fahren an dem Punkt, wenn er dazu übergeht, die Aussage,

daß sich im Kapitalismus dem bürgerlichen Bewußtsein "die

gesellschaftliche Form zur Naturform verkehrt,,90), nicht

mehr all eine als abstraktes Resul tat der von r·larx durch­

geführten Analyse von Hare, Geld und Arbeitslohn zu be­

greifen, sondern zugleich als notwendige methodische Vor­

aus etzung und unabdingbaren Garanten erfolgreicher Ana­

lyse der bürgerlichen Gesellschaft zu reklamieren. Denn

die Extrapolation eines "marxistischen Totalitätsbegriffs"

"1ie bürgerliche Reproduktionsform steIlt sich insge­amt als eine Gesamtheit verschiedener omente dar, die

ihrer ezifischen Formbestimmtheit aus einer zen-tralen an der Basis abzuleiten sind. Tota-

anderes als die Totalität der ent­fremdeten Form." 91) -

vermag den Anspruch ni.cht einzulösen, den Heichelt mit

ihm verbindet: weder kann er als universell zu handhaben-" h~' h " b'" ",,92) f" ~. D b' t g von IN')' s des met OulSC es vor l.LU .ur ule l'.lrar el"Un" . -

sen

seIl

bel' die diversen Gegenstände der bürgerlichen Ge-

chaft och "Prüfstein,,93) der Gü tigkeit des er-

arbeiteten Wissens fungieren. Denn wenn ein Gesellschafts­

wissenschaftler um das bloße Faktum einer Verkehrung weiß,

welche Hilfestellung vermag ihm dies für die Untersuchung

und Bestimmung des spezifischen Inhalts und der besonde­

ren Form der Verkehrung zu leisten? Entgegen der implizi

ten Annahme des von Reichelt konstruierten methodischen

Verfahrens ist es nicht mögli.oh, aus dem viissen um die "n . h' ,,94) . b schiere Existenz des retlsc lsmus selne e-

sondere Qual t abzu1 si ten .

Ein Beispiel, mit dem sich auch Heichelt eingehend ausein­

andersetzt95 ), mag dies erläutern: Es gilt, die politöko­

nomische Kategorie des Arbeitslohns zu analysieren, also

die Summe Geld, die ein bestimmtes Quantum Arbeit kauft.

Angenommen, der Wissenschaftler beginnt nun die Untersu­

chung des Arbeitslohns gemäß dem aus dem Nachvollzug der

Werttheorie konstruierten "einzig möglichen Einsheg i:1

die theoretische Verarbeitung der gesamten bürgerlichen

Gesellschaft,,96), nämlich den zu analysierenden Gegenstand

al s Verkehrung, rcjystifikation und objektiven Schein er­

fassen zu wollen. Sofor sieht er sich mit einem Problem

konfrontiert: Welche Eigenschaften und Bestimmungen wei

sen den Arbeitslohn selbst als "Verkehrung" aus? Denn ei

seiner "DechiffrierUng,,97) als "entfremdete Form" soll es

sich gerade nicht um eine von anderen Zusammenhängen her

gewußte und von au[Jen an den zu analysierenden Gegenstand

herangetragene Vermutung handeln, sondern um die ihn

wesentlich auszeichnende Bestimmung. Zur Lösung di.eses Pro­

blems ist der Wis~,enschaftler daher wieder ganz auf die

theoretische Beschäfti.gung mit dem Gegenstand selbst ver­

wiesen. Alleine die "Irrati.onalität der Form selbst,,98),

nicht eine aus der "Nachzei.chnung der Geld.form" "me­

thodisches Vorbild" extrapolierte "Ableitungsstruktur,,99),

vermag der Analyse des Arbeits olms ihren theoreh.schen

Gang zu weisen. t·1ehr noch, die methodische Behau[itung ;iber

den Arbeitslohn, er sei al s Verkehrung zu dechiffrieren,

muß solang als bloße Hypothese gelten l solange nicht d:ie

"Irrationalität der Form selbst" nachgewiesen und besb_mmt

ist. Erst die erfelgreich durchgeführte Analyse des Ar·­

beitslohns vermag die anfangs geäußerte Vermutung seiner

fetischhaften Natur in Gewißheit zu überführen, als daß

umgekehrt die herangetragene Vermutung gleichsam als Prüf­

stein die Gewißheit der Analyse verbürgen könnte.

Als zusätzliche Illustration, daß das Diktum von der Ver­

kehrtheit der ökonorniE;chen Kategorien keine Richtschnu:' für

Page 28: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

den Forschungsprozeß abzugeben vermag, soll der sachliche

GehaIt der von r,jarx durchgeführten Analyc;e des Arbeitslohns

in gebotener Kürze nachgezeichnet werden. 1 00) Der Arbei ts

lohn stellt sich dem lVissenschaftler zunächst nicht anders

dar als den Produktionsagenten, die praktj.sch mit j.hm be­

faßt sind: als eine Summe Gel.des, womit ei.n "Arbeitgeber"

Arbei für eine bestimmte Zeitdauer einkauft, oder umge­

kehr, als das Geldquantum, das ein "Arbeitnehmer" für die

Ableistung seiner Arbeit während einer bestimmten Dauer von

seinem Anwender bezahlt bekommt.

"Auf der OberfItiche der bürgerlichen Gesellschaft er scheint der Lohn des Arbeiters als Preis der Arbeit, ein bestimmtes Quantum Geld, das für ein bestimmtes Quan­tum Arbeit gezahlt wird. t,lan spricht hier vom Wert der Arbeit und nennt seinen Geldausdruck ihren notwendigen oder natürlichen Preü;." 1 01)

So sehr einerseits der sogenannte gesunde r~enschenverstand

die für ihn im Arbeits- und Geschäftsleben praktisch gül-

tige GI eichung je nach Standpunkt des "Arbej.tnehmers"

oder "Arbeitgebers" verkauft er ein Quantum Arbeit gegen

ein Quantum Geld oder kauft mit einem Geldguantum eine Ar­

beitsmenge - auch als selbstverständliche und gültige Auf­

fassung über den Arbeitslohn begreift, so sehr muß er sich

andererseits blind stellen gegen die sich mit der Vorstel­

lung vorn Arbeitslohn als Preis der Arbeit unmittelbar auf­

drängenden Widersprüche und theoretischen Fragen. Wenn der

Arbeitslohn die abgeleistete Arbeit bezahlt - so fragt

Harx -, wie sollte dann ein Uberschuß für den Geldbesitzer

zustande kommen, denn "in diesem Fall produzierte" der Ar­

beiter "keinen r,lehrwert für den Käufer seiner Arbeit,,1 02)?

Desweiteren: Zwar ist einerseits nicht zu bestreiten, daß

vom Standpunkt des Arbeiters aus "für ihn in der Tat seine

zwölfstündige Arbeit das Kaufmittel der 3 sh,,103) ist, er

also mit einem in der Zeit oder Anzahl gefertigter Stücke

bemessenen Quantum Arbeit eine vertraglich hxierte Geld-

summe kauft. Aber so muß anderers ei ts gefragt werden -

is die Gleiehung, die für den Arbej.ter raktische

'f!r!!

Gültigkeit besitzt die öße seines Lohns rj.chtet sich , b . t 1 OLl) ,. t h ' nach dem Quantum gele:Lstete:r Hr el' -, aam).· aue SCllon

die gültige t h e 01' e ti s c he Aussage über den Arbeits­

lohn? Denn ein Widerspruch 21m Arbeitslohn ist nicht zu

übersehen: vlas auf den ersten Blick als fix e GI eiehung

eines Quantums Arbeit mit einem Geldquantum erscheint,

stell t sich beim zweiten Hinschauen auf einer Sei te als

durc haus v 21 I' i. 21 bel dar. Der Geldbesitzer kauft närr:-

lieh keine fertige Vlare Arbei t, sondern die Ver füg u n

über den Arbeiter. Hit dem Arbeitsvertrag ist entschieden,

daß der "Arbeitgeber" für :3 sh Geld Ansprueh l' Ableistung

von Arbei t während 12 Stunden sowie den Heehtsti tel auf

das materielle Hesultat der Arbeit besitzt. Wie er die Be­

dingungen der zu leistenden Arbeit gestaltet, ist ganz An­

gelegenheit seiner gesch'iftlichen Kalkulation. Er besitzt

di e 1" I' e i h e i t zur Variation der mit dem ArbeitspliJ,tz

an den Arbeiter gestellten Anforderungen, sowohl was die

profi tliche Ausgestal tung der Arbei tszei t innerhalb der

vertraglich gesetzten Grenzen des Arbei tstages als auch die

gewinnbringende Veränderung der Intensität der zu leisten­

den Arbeit betrifft. Umgekehrt stellt der Arbeitslohn P ür

den Arbeiter die Verpflichtung dar, für die ver­

traglich fixierte Geldsumme den veränderten Leistungsan­

forderungen nachzukommen. Als erstes Ergebnis der Analyse

kann r~arx somit die Verkehrung festha1ten, die im Arbeits­

lohn als "Preis der Arbeit" steckt: die Geldsumme bezahlt

nicht die Arbeit selbst, sondern die Verfügung über Ar­

beit, also die Arbeitskraft:

"Was dem Geldbesitzer auf dem Vlarenmarkt direkt gegen­übertritt, ist in der Tat nieht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was letztrer verkauft, ist seine Arbeitskraft. Sobald seine Arbeit wirklieh beginnt, hat sie bereits aufgehört, ihm zu gehören, kann also nicht mehr von ihm verkauft werden. Die Arbeit ist die Substanz und das immanente Haß der Werte, aber sie selbst hat keinen Vlert. Im Ausdruck: 'vlert der Arbeit' ist der vlertbegriff nicht nur völlig ausgelöscht, sondern in sein Gegenteil verkehrt." 105)

Page 29: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

57

Dami hat die Analyse aber den Arbej,tslohn nicht nur "als"

Verkehrung "dechiffriert", sondern zugleich den bestimmten

Grund und spezifischen Inhalt dieser besonderen Verkeh­

rung bezeichnet. Die Verwandlung des Werts der Arbeits­

kraft in den Preis der Arbeit - so schließt r-larx - ist

durch den praktischen Zwang bewirkt, den die ökonomische

Kategorie Arbeitslohn darstellt: Der Geldbesitzer bindet

die Zahlung der Geldsumme an die Ableistung eines Arbeits­

quantums , das notwendige und f>1ehrarbei t einschli eßt.

Nur wenn und weil der Arbeiter die Arbeitsmenge eines gan­

zen P.rbeitstags abliefert, bekommt er mit dem Lohn das

Geldäquivalent für die notwenchge Arbeit. So verschwindet

durch die Form der Bezahlung des v/erts der Ware Arbeits

kraft als Preis der Arbeit jede offensichtliche Teilung

des Arbeitstages in bezahlte und unbezahlte Arbeit und es

entsteht notwendig der verkehrte Schein, als würde dj,e ge­

samte Arbei t bezahl t:

"I,}an sieht ferner: Der Wert von J sh., viOrj,n sich der bezahlte Teil des Arbeits , d. h. sechsstündige Ar-elt darstellt, erscheint s Wert oder Preis des Ge-

samtarbei ts von 12 Stunden welcher 6 unbezalü te Stunden t. Di e Form des ei tsl o~h.ns 1 öscht also jede Spur der Teilung des Arbeits in otwendi Ar-beit und 1'.Jehrarbeit, in bezahlte un unbezahlte eit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbej,-t." 106)

An dieser Stelle soll die Nachzeichnung der Analyse des

Arbel tsl ohns abgebrochen werden, um di e Hi,nwelse zu re­

sümieren, die ihr für unsere Fragestellung zu entnehmen

sind.

Als ein wesentliches Resultat hat ich ergeben, daß die

wissenschaftliche Analyse des Arbeitslohns nicht auf eine

aus anderen theoretischen Zusammenhängen konstruierte

I,eitlinie angewiesen ist. Das aus dem "Nachvollzug der

th t '" AbI '''- d ~ ldf ',ier \"~~,enform,,107) 'L 00re lSCIlen 81l-Ung er l1e ,\,. orm aus "'- 'Vu.._

extrapolierte methodische Bewußtsein von der "Verkehrung

der Vlarenform zur Naturform des Produkts,,10(3) kann so

zutreffend es als Aus über Ware und Geld auch sein mag

- die ihm von Reichelt zugedachte universelle Rolle als

"Eröffnung des einzig möglichen Einstiegs in die theoreti­

sche Verarbeitung der gesamten bürgerlichen Gesellschaft"109

)

nicht spieleh. Denn die Beh3~ptung, daß die anderen zur Un­

tersuchung anstehenden Gegenstände der bürgerlichen Gesell­

schaft (in unserem Beispiel die ökonomische Kategorie des

Arbeitslohns) eigentlich eine "Verkehrung" darstellen und

"als" Verkehr:-ung zu "dechiffrieren" seien, muß notwendig

ein den Gegenständen äußerlicher und leerer Verdacht blei­

ben, solange nicht an ihnen selb t die widersprJchlichen

Bestimmungen herausgefunden sind, die sie - wie am Gang der

Marxschen Analyse des Arbeitslohns gezeigt - als Verkehrung

ausweisen und auf ihre wirkl ehe Natur schließen lassen.

Der obigen Nachzeichnung der Marxschen Analyse des Arbeits­

lohns ist damit zugleich ein zweiter allgemeinerer Hinweis

zu entnehmen. Die von Reichel vorgenommene Charakterisie­

rung der von Marx prak-ti ierten Forschungs- und Darstel-110\

lungsweise als "Declü frieruYlg" J vermittelt ein falsches

Bild. Denn die Dechiffrierung einer Sache stellt eine rein

technische Operation dar. Si,e besteht dar:in. eine verschlüs­

selte und deshalb scheinbar bedeutungslose Botschaft mi:

Hilfe eines vorher vereinbarten oder erst noch herauszufin-

denden Codes zu entschlüs n. Hierin liegt auch schon die

Inkommensurabilität von in er eifre und dem !lverkehrten

Schein" der ökonomischen Gegens de, von einer Dechiff-­

rierung und einer wissenschaftlichen Analyse, Eine Chiffre

macht tatsächlich die AYlwendung eines äußeren Schlüssel

nötig, weil in den geheinen Zeichen jeder inn~re Zusammen­

hang zum bezeichneten Inhalt zielgerichtet ausgelöscht ist.

Die ökonomischen Kategorien Ware. Geld, Arbeitslohn, Kre­

dit usw. hingegen sind keine Geheimzeichen fUr einen von

ihnen getrennten und ~ußerlichen Inhalt. Auf diesen we­

sentlichen Unterschied weist einerseits Reichelt selbst

hin, wenn er davon spricht. daß sich arn Arbeitslohn "das

Page 30: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

59

Verhältnis von Wesen und Erscheinung an der Form selbst,,111)

manifestiert. Andererseits legt er mit der Charakterisie­

rung der Analyse von Ware, Geld und Arbeitslohn als "De­

chiffrierur1g" die unzutreffende Vorstellung nahe, an den

ökonomischen Kategorien selbst sei ihre Verkehrung nicht

mehr aufzufinden, wenn man nicht Uber einen SchlUssel und

damit erst Uber die Bedingung der Möglichkeit verfUge, sie

als Verkehrung zu dechiffrieren.

Was hier auf den ersten Blick als philologische Randfrage

erscheinen mag die Redeweise von der "Dechiffrierung"

erweist sich allerdings in der Tat als wesentliches Pro­

blem einer "adäquaten Rezeption der Marxschen Theorie.,,112)

Die von Reichelt angestrebte neue Auseinandersetzung mit

dem lVlarxschen Werk legt ihr Augenmerk weniger auf den sach­

lichen Nachvollzug und die PrUfung der Stimmigkeit der von

r~arx im "Kapital" dargestell ten harten ökonomischen Urteile

Uber die kapitalistische Produktionsweise, also auf das,

was Marx selbst fUr die entscheidende Leistung seines Bu­

ches hielt, nämlich die "Kritik der ökonomischen Katego­

rien oder, if jou like, das System der bUrgerlichen Öko­

nomie kritisch dargestellt. Es ist zugleich Darstellung

des Systems und durch die Darstellung Kritik desselben.,,113)

Vielmehr begreift Reichelt als wesentliche Aufgabe der neu­

en Marxforschung die Nachzeichnung der sachlichen Darstel­

lung der ökonomischen Gegenstände unter dem erkenntnis-

theoretischen Gesichtspunkt, wo in der Marxschen Kritik

der politischen Ökonomie der SchlUssel zu suchen sei, der

es ermöglicht, die Verkehrungen der bUrgerlichen Gesell­

schaft als Verkehrungen zu dechiffrieren und ihren Feti­

schismus als Fetischismus zu durchdringen.

Insofern sich Reichelt dabei auf Marx beruft, erscheint um­

gekehrt der kritische Einwand gegen die von Reichelt prak­

tizierte Beschäftigung mit dem Marxschen Werk gerechtfer­

tigt, es nicht nach seinem wesentlichen Gehalt rezipiert

60

zu haben. Wo nämlich Marx im "Kapital" die konkreten Be­

stimmungen der ökonomischen Kategorien entfaltet und zum

Beispiel am Arbeitslohn darstellt, wie er den Wert

der Arbeitskraft in den Preis der Arbeit verkehrt, wie

er das Ausbeutungsverhältnis auslöscht, wie er vom Stand­

punkt des Lohnarbeiters und Kapitalisten praktisch und

theoretisch behandelt wird, welche Formen der Arbeitslohn

(Zeitlohn, StUcklohn) annimmt usw., reduziert Reichelt die

Marxsche Analyse auf die dUnne Abstraktion, daß "in

dem Ausdruck 'Preis der Arbeit' die Lohnarbeit nicht als

bestimmte gesellschaftliche Form der Arbeit erscheint. 1111 i

sondern alle Arbeit ihrer Natur nach als Lohnarbei t." .'

Und wo Marx anhand der Verdopplung der Ware in Ware und

Geld nachweist, wie sich das gesellschaftliche Ver­

hältnis der Produzenten in ein gesellschaftliches Ver­

hältnis der Sachen verkehrt, wie der im Geld als Sache

vergegenständlichte gesellschaftliche Zwangszusammen­

hang mit einem praktischen Handeln der Produktionsagen­

ten zugleich auch ihr Bewußtsein bestimmt usw., entnimmt

Reichelt der Nachzeichnung der Waren- und Geldanalyse die

formelle Aussage, daß r~arx die "Verkehrung der Waren­

form zur Naturform des Produkts" analysiert habe und daß

die "Wurzel der Verkehrung im bUrgerlichen Bewußtsein"

im "Rekurs auf die Basis ,,115) zu suchen sei.

Wenn die dialektische Darstellung der ökonomischen Kate­

gorien im "Kapital" den bestimmten Inhalt, die besondere

Form und den spezifischen Grund der Verkehrung der ver­

schiedenen Gegenstände der kapitalistischen Produktions­

weise "auf dem Begriff gebracht" hat, dann muß die von

Reichelt fUr wesentlich erachtete Erkenntnis der Marx­

sehen "Kritik der politischen Ökonomie", daß es sich

bei Ware und Geld, Kapital und Arbeitslohn, Kredit und

Zins, Profit und Grundrente usw. um eine Verkehrung der

gesellschaftlichen Form zur Naturform handelt, sowohl vom .. ,11 6) .

theoretlschen Wle auch vom praktlschen Standpunkt aus

als das unwesentlichste Ergebnis der Analyse angesehen

Page 31: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

61

werden. Der Reicheltschen Rezeption der Marxschen Theorie

verkehrt sich die unspezifische, weil auf Ware, Geld, Ka­

pital und Arbeitslohn gleichermaßen zutreffende und sie

als besondere Gegenstände gerade nicht bestimmende Aus­

sage zu der die ökonomischen Gegenstände spezifisch cha­

rakterisierenden Bestimmung. Die Verkehrung der von Rei­

chel t vorgenommenen Rezeption des "Kapital" ist darin zu

sehen, gerade der formellen und von ökonomischem Inhalt

gereinigten Aussage, das "Geheimnis der bürgerlichen Ge­

sellschaft" hestünde in der "Verkehrung ej,nes EntsDrun-

g en en z 1" E t " 11 7) d' . '. ~ elnem rs en ,.1e entscheidende Bedeutung

für die Gültigkeit der Marxschen "Kritik der politischen

Ökonomie" beizumessen: sie soll gegenüber den Pos

selbst undurchsichtigen Posi tivi~;mus ,,11

onen

des "sich

gleichsam den methodischen Schnittpunkt und Prüfstein

darstellen, der den Anspruch der Marxschen Theorie zu

verbürgen vermag, "die erste wirkliche posi tive vlissen­

schaft des Kapitalismus im Sinne einer zum ersten ale

unverstellten Erkenntnis desselben,,119) zu sein.

Diesem Anliegen ist aber nicht nur - wie oben gezeigt -

zu bedenken zu geben, daß die Suche nach einem apriori

sowohl die Wissenschaftlichkeit als auch die Geltung der

Marxschen Theorj,e garantierenden Schni ttpunkt eine Über­

forderung der Marxschen "Kritik der politischen Ökonomie"

darstellt, ihre Konfrontation mit einem methodischen Ab­

solutheitsanspruch, den diese notwendig nicht einzulösen

vermag. Dieses methodische Anliegen führt darüber hin-

aus dazu, einen wesentlichen Teil der in den "Grundrissen"

und im "Kapital" dargelegten materialen Urteile als un-

wesentlich anzusehen. Denn das kr i ti sc he

der 1,1arxschen "Kritik der politischen Ökonomie" wird nicht

mehr mit den sachlichen Analysen identifiziert, angefan­

gen von der Darstellung der Ware bis hin zur trinitari­

sehen Formel der Revenuequel1en. Es wird vielmehr in ei­

ner davon getrennten methodIschen Anweisung gesehen, wie

62

Gesellschaftstheorie zu verfahren hätte, will sie nicht

dem "Fetischismus" der bürgerlichen Gesel schaft verhaf-

tet bleiben. Marx s 0 nicht rezipiert zu haben, wirft

Reichelt der sozialistischen Theorie nach Marx bis in

die neueste Zeit hineIn vor, die

"bei der Rezeption des l~arxschen Werkes diesem Feti­schismus (des Kapitalismus ; d. Verf.) aufsitzt dann als blindes Noment in die Rez tion das kritische Moment der t~arxschen Fachökonomische transzendierende Durc tischismus , nicht tive wahrni ." 120)

I~arx adäquat zu rezipj.c,ren, heißt Reichel t zufolge, aus

der Kri ti k der pol i t i s ehe n Öko n 0 m i e

Kritik der poIl, tischen Ökonomie als ein die

lung der ökonomischen Inhalte überschreitendes

eine

Darstel-

Denkver-

fahren namens "Durchdringung des Fetiscbi~~mus" zu rekon­

struieren. Damit begibt sich Reichelt nicht nur endgül­

tig in Widerspruch zu seiner eigenen Prämisse, derzufcl­

ge bei I\larx "über die r,jethcde, abgelöst vom IYlhalt, nichts

t d k ,,121) d D - ~h ' l'~''"''' ausgesag- wer en ann , son "rn auv, ln exp l,~lven '"e-

gens atz zum oben zitierten Selbstverständnis von Marx.

seine Darstellung der ökonomischen Inhalte sei ideYltisch

mit der Methode ihrer Kritik. 122 ) Bei Reichelt ist "Fe­

tischismus" nicht mehr wje bei r~arx der Name für einen

ökonomischen Sachverhalt, der dargestellt und kritisiert

ist, sondern die Bezeichnung für ein Denk- und Kritik-

prinzip, das erst die Darstellung und Kritik einer Sa-

che ermöglicht. Die Analyse des Waren-, Geld-

oder 10 h n fetischs der kapi talistischen Prcduktionswei­

se wird so in das von sachlichem Gehalt gereinigte Po-

stulat des Fe t i s chi s mus der bürgerlichen Gesell-

schaft verkehrt.

Als vorläufiges Resümee unserer Nachzeichnung der ange­

strebten "neuen Auseinandersetzung mi t dem r,jarxschen

Werk,,12J) ist somi t eine zentrale Verkehrung in der Re­

zeption der "Kritik der politischen Ökonomie" festzuhal-

Page 32: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

6

: aus der I'la.rxßchen Darstel ung und Kri tik der kapi-

talistischen Produ~ti weise wird eine von ihrem sach-

lichen Gehalt getrennte, universell zu handhabende 50-

zialwissenschaftliche enkmet'hode, um vorab jeden

ökonomischen Gegenstand der bürgerlichen Gesellschaft als

Fetischismus und vorweg die Ergebnisse bürgerlicher Wis­

senschaft als dem Fetischismus verhaftet zu kritisieren.

Für die uns vordringlich interessierende Frage nach dem

inneren Zusammen]10ng von der onstruk rJIarx-

sc terer Kri (; des r:1;:u'xismus ist

es wichtig zu verstehen,

struierten Marxschen

einer al Methode rekon-

di e du::"c

der ökonomj.schen Gegenständ verbUrgte

timmungen

ßhei t ihrer

wi enschaftlichen Ur hwind . Ihren Halt b itzt

si alleine im 'Ion der ~~ he getrennten Bts ein der

Überlegenhei ihr methodi c hen S tan dpun k der es ihr

erlauben soll, e:Lnen "Teil der Kri k, die an de.s

~1a:txsche t1erk heretngetrE'l.c;cn vd

länglich zurtickzuweisen

je schon einem StandpurtJ.: ver

rie irn;T,eI' hcn tiberspr;;.ngen

, vorweg schon als unzu-

03 Kritik nämlich, d:i_e sich

ankt, den ,,124 )

e r~arxsche Theo-

t ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit

der etablierten bürgerl hen Ökonomie und Sozialwissen­

schaft um die Gültigkeit der arxschen Theorie auf di.e

Ebene einer filethodendiskussion verlagert, die gar nicht

anders als apodiktisch verlaufen kann. Zur Illllstrati_on

der in dieser Methodendiskussion eingeschlossenen Apo-

r1en soll das Augenmerk im folgenden noch auf zwei Pro­

blemfelder gerichtet werden: zum einen auf die in der Re­

konstruktion des rqarxismus als der bürgerlicher Wissen­

schaft überl egenen Methode enthal tene Gefahr des D 0 g

m a t 1_ s mus eines Standpunkts, der sich seiner Unangreif­

barkeit "inmer schon" gewiß ist; zum anderen der im Selbst­

bewußtsein der methodischen Überlegenheit des Marxismus

ebenso eingeschlossene pauschale S k e pt i z i sm u s ge-

genüber den materialen Aussagen der r.1arxschen Kritik der

politischen Ökonomie.

cl) Das "Kapital" - eine Phänomenologie von Erkenntnis­

restringierungen 125 ) der bürgerlichen Theorie

Die Arbeiten zur "Rekonstruktion" der li]arxschen Theorie

sahen sich mi t der bürger]i_chen Kri tik am t1arxismus kon­

frontiert. Die etablierten Geistes- und Gesellschafts­

wissenschaften wie Volkswirtschaftslehre, Soziologie,

Politologie oder Philosophie erachteten dabei für ihre

!ljarx-VJiderlegung eine immanente Prüfung der Stimmigkeit

der in der "Kritik der politi_schen Ökonomie" dargelegten

Urteile und Gesetze über die bürgerliche Produktionswei

se weitgehend für obsolet. Sie verglichen diese schlicht

mit dem methodischen Stand der eigenen Disziplin und den

in ihr thematisi erten Problemen und befanden daran ge­

messen das "Kapital" je schon für zu unreflektiert, weit-­

gehend veraltet und längst überholt. 126) Mit der Rekon­

struktion der r.1arxschen Theorie als universelle Denk-

und Kritikmethode beansprucht Reichelt - wie oben gezeigt

- umgekehrt gegenüber der bürgerlichen Wissenschaft, sie

gleichsam auf ihrem eigenen methodischen Terrain schlagen

zu können und über das überlegene methodische Verfahren

zu verfügen, das je schon ermöglicht, die Erkenntnisbe­

schränkungen der bürgerlichen Theorien aufzudecken und

zugleich deren Marxismuskri tik für unhal tbar zu erklären:

"Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie erweist sich unter diesem Aspekt als eine Phänomenologie von Erkenntnisrestringierungen, innerhalb deren sich das bürgerliche Subjekt in seinen theoretischen Äußerun­gen bewegt." 127)

In diesem Abschnitt sollen nun die folgenden Fragen dis­

kutiert werden: Welchen Aufschluß erhäl t man über die bür­

gerlichen Theorien, wenn man sie als dem Fetischismus der

bürgerlichen Gesellschaft verhaftete Erkenntnisbeschrän-

Page 33: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

kungen ableitet? Wie erscheinen bürgerliche Ökonomie oder

Philosophie im Lichte eines methodischen Verfahrens, das

sie als Verkehrungen dechiffriert?

In den "Ansätzen zu einer materialistischen Interpreta­

tion der Rechtsphilosophie von HegeI" gibt uns Reichelt

folgende Antwort:

"Ableitung dieser Formen heißt aber auch zugleich, sie als notwendig falsches Bewußtsein zu begreifen, also a~ch die Philosophie ihrer Form nach als Ausdruck be­stimmter Lebensv tnisse zu entwi. , die sich in diesen Formen des Bewußtsei.ns reflektieren und zwar in einer Weise die dem Philosophen, dem Theoretiker nicht mehr ich ist. Die Form der Philosophie ist an ihr selbst oment einer Welt, die sich - in einer dem Denker s t undurchsichtigen Gestalt - bis in die Form sei-

erl hinein fortpflanzt ... Der zentrale, für den Begri der Ideol e als notwendig falsches Bewußtsein' wesentliche Asp t darf dabei nicht unter-schI werden Zum 1 reinen Theoretiker', der sich aus-sohlie ich im erbau' herumtreibt', wird der Denker dann, wenn er die bestimmte weltliche Grundl. nicht in ihrer Formbestimmtheit erkennt, sondern VI mehr dIe­se zur Naturform verkehrt ... Grundsätzl h häl t r,larx daran fest. daß die amte bürgerliche onomie als bürgerliehe gerade h charakterisi.ert i :' daß sie die wirkliche Verkehrung an der Basis ebenfalls nIcht durchschaut." 1 28)

Zunächst einmal soll die hier vorgeschlagene Methode der

kritischen Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Wissen­

schaft, Philosophie und Ökcnomie, betrachtet werden. Was

ist von der Charakterisierung zu halten, der bürgerliche

Denker erkenne die weltliche Grundlage nie h t in i.h­

rer Formbestimmtheit? Wie ist die Kritik zu beurteilen,

moderne Volkswirtschaftslehre sei darin "bürgerliche Öko-

nomie", daß sie ebenfalls ni c h t die Verkehrung an der

Basis durchschaut? Hier wird ein vom bürgerlichen Wissen­

schaftspluralismus her bekanntes Argumentationsmuster von

ei~em seiner Gegner übernommen und gegen ihn vorgebracht:

Philosophie und Ökono~i wird die Mißachtung eines metho­

dolegischen Grund~;atzes vorgehalten, den man selbst für

unerläßlich und entscheidend erachtet. Das Argumentations-

-;" r 00

verfahren ist bei der wis enschaftlichen Klärung von

Sachfragen so wenig hilfreich wie etwa die Kritik am Ka­

pi talismus , er sei kein Kommunismus. Denn was di e bUr

gerliche Philosophie und CJkonomie positiv charakterisier:;,

ist nicht im mindesten bestimmt, wenn man ihnen vorhält,

was sie nicht tun. Die logische Form der Argumentation

ist das l,lessen der zu kritisierenden Sache an ei.nem auf

sie nicht zutreffenden, ihr äußerlichen j·]aßsta.b. Das Er­

gebnis dieser Kritik b teht zunächst einmal in nichts

anderem als in der Konstatierung einer Abweichung vom ei

genen Maßstab und damit der tautologischen Bestätigung

des eigenen methodischen Verfahrens, wirkliche Hissen-

schaft habe die wirkliche Verkehrung an der

durchschauen.

i8 zu

Das Augenmerk ist im weiteren auf den sachlichen Gehalt

der Reicheltschen Auseinandersetzung mit der bUrgerli­

ehen Wissenschaft zu richten. Philosophie und Ökcnomie

werden dabei als Formen notwendig falschen Bewußtseins

charakterisiert, so daß zwei Fragen zu diskutieren sind:

Vielehe Fehler rechnet Reichelt den bürgerlichen Wissen­

schaften Philosophie und Ökonomie vor? Und worin sieht

er die Notwendigkeit der falschen und ideologischen Lei­

stungen bürgerlicher Wissenschaft begründet?

Zunächst einmal ist zu konstatieren, daß die von Reichel

vorgeschlagene Ableitung der wissenschaftlichen Formen des

notwendig fa 1 s ehe n Bewußtseins in der bürgerlichen

Gesellschaft auf den Nachweis verzichtet, wie die bUrger­

lichen Geistes und Gesellschaftswissenschaften ihre Ge­

genstände falsch erklären, welcher allgemeinen Argumenta­

t10nsmuster und Gedankentechniken sie sich dabei bedienen

und was die für jede Wissenschaft spezifi.schen 'erkennt­

nisleitenden Interessen' sind, womit sie ihre Gegenstände

auf mehr oder weniger ideologische Absichten bezieht und

darüber zu Behauptungen über die gesellschaftlichen Gegen­

stände gelangt, die mit deren tatsächlicher 8eschaffen-

Page 34: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

67

heit, ihren Bestimmungen, Zweck~n und Gründen nichts mehr

gemein haben. Der Nachweis von Fehlern ist in obigem Ab­

lei tungsv er fahr en ers etz t durc h den Vorwur f der Fehl er­

haftigkeit, daß die bürgerliche Wissenschaft es versäumt,

gesellschaftliche Formbestimmungen als gesellsqhaftliche

Formbestimmungen zu begreifen und sie stattdessen "zur

Naturform verkehrt". Sämtliche 1 Fehler' von Ökonomie und

Philosophie, die Reichelt aufführt, bezeichnen nicht

wirklich praktizierte Erkenntnisleistungen, sondern an-1 29) D "E td k " r geblich unterlassene. eren n ec ung ve-

dankt sich einzig dem Vergleich mit dem eigenen für gül­

tig erachteten methodischen Verfahren. Ein Einwand gegen

das von Reichelt postulierte Kritikverfahren allerdings

liegt nahe: vlenn die sich auf lfl.arx berufende 14ethode das

wissenschaftlich überlegene Verfahren ist, dann dürfte es

ihr keine Schwierigkeit bereiten, an den bürgerlichen Theo­

rien selbst deren Verstöße gegen ihren eigenen wissen­

schaftlichen Anspruch zu entdecken. Solange es allerdings

nicht gelingt (oder gar darauf verzichtet wird), an den

Argumentationssträngen der Philosophie zum Beispiel nach­

zuweisen, was die Fehler der Ableitung des Privateigentums

aus dem Begriff des freien Willens bei Hegel sind, solange

muß die Behauptung ihrer Falschheit eine bloße Hypothese

bleiben. Dann gerinnt der Vorwurf an die bürgerlichen Wis­

senschaften, dem "Fetischismus" und "objektiven Schein"

der bürgerlichen Gesellschaft verhaftet zu sein, zur un­

begründeten S k e psi s und die Behauptung ihres bürger­

lieh-ideologischen Gehal ts wird zum Vor ur te i 1. Un­

ter Berufung auf ~larx und im methodischen Selbstbewußt­

sein, über eine "Phänomenologie von Erkenntnisbeschrän­

kungen ,,130) zu verfügen, wird dann der wissenschaftliche

Nachweis fehlerhafter Theorie substituiert durch die kei­

nes Nachweises mehr bedürfende leere Gewißheit einer pau-, . 131)

schalen Erkenntnisbeschränkung bürgerlicher Wlssenschaft.

68

Schreiten wir nun fort zur Diskussion der zweiten Frage,

worin Reichelt das not wen d i g falsche Bewußtsein

des bürgerlichen Theoretikers begründet sieht. In obigem

Zitat spricht Reichelt davon, daß "sich" die "bestimm­

ten Lebensverhältnisse" im Bewußtsein des bürgerlichen

Denkers "reflektieren" und "sich" die "weltliche Grund­

lage" "in einer dem Denker selbst undurchsichtigen Ge­

stalt bis in die Form seiner Überlegungen hinein fort­

pflanzt." Als erstes ist zu konstatieren, daß Reichelt

hier die gesellschaftliche Notwendigkeit im Sinne eines

Determinismus oder Automatismus interpretiert:

Das notwendig falsche Bewußtsein sei die passive Wirkung

der bürgerlichen Gesellschaft, die umgekehrt als die agie­

rende Ursache zu bestimmen sei. Die Erkenntnistätigkeit

eines Philosophen oder politischen Ökonomen ist allerdings

nicht begriffen, wenn man sie als Reflex ihres Erkenntnis­

gegenstands bestimmt. Denn zum einen ist den Ausführungen

von Reichelt selbst zu entnehmen er spricht von einer

aktiven Leistung des "reinen Theoretikers", der die "welt­

liche Grundlage" "zur Naturform verkehrt" -, daß die wis­

senschaftliche Tätigkeit die theoretische Praxis eines

selbstbewußten Subjekts ist, die Welt für sich "als ein

geistig Konkretes zu reproduzieren. ,,132) Auch wäre die

Gewißheit des notwendig falschen Bewußtseins und die Ein­

si c ht in "Erkenn tni sr es tr ingi erungen" ein Ding der Unmög­

lichkeit, wenn die Bewußtseinsinhalte unausweichlich ge­

prägt wären. Wenn "sich" die Welt in "undurchsichtiger

Gestalt" in die "Überlegungen hinein fortpflanzt", wie

soll te man dann davon Kenntnis oder gar ein Selbstbewußt­

sein von den ideologischen Bewußtseinsinhalten gewinnen

können? Oder umgekehrt ausgedrückt: Die distanzierte und

selbstbewußte Einsicht von Reichelt in die Determiniert­

heit theoretischer Tätigkeit in der bürgerlichen Gesell­

schaft widerlegt praktisch die behauptete Distanz- und

Bewußtl osigkei t der Erkenntnispraxis .

Page 35: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

69

Wenn ein bürgerlicher Ökonom, um ein Beispiel zu nennen,

die gesellschaftlichen Einrichtungen "zur Naturform ver­

kehrt", das Geld als Erfordernis einer jeden arbeitstei­

ligen Gesellschaft bespricht und damit eine Institution

der kapitalistischen Gesellschaft mit dem Schein der Na­

turnotwendigkeit und Begründetheit versieht, 'dann handelt

es sich hierbei nicht um eine "welthistorisch nicht zu

vermeidende Erkenntnisrestriktion,,133), sondern um ein

Beispiel instrumentellen Denkens, das Marx in

nen bürgerlicher Theoretiker identifiziert,

dem Ansin-

"die Wissenschaft einem nicht aus ihr selbst, .. , son­dern von außen ihr fremden, äußerlichen Interessen ent­l~hnten Standpunkt zu akkomodieren." 134)

-'- I' 135) Reiehelt hingegen interpretiert den Instrumenca lsmus

der bürgerlichen Geistes und Gesellschaftswissenschaften

'm c" nne einer "wel tgeschichtlichen Notwendigkei t", die .L."'~ 136) .. nicht der "Schuld der Theoretiker" anzulasten sel.

"Doch diese Borniertheit der Theoriebildung wird ,:on Marx, wie wir gesehen haben, ebenfalls noch als elne . substantielle begriffen, als eine welthlstorlsch nlcht zu vermeidende Erkenntnisrestriktion ... " 137)

Die im Vorwurf des "Fetischismus" enthaltene pauschale

Ablehnung bürgerlicher Theorien wird hier um die pauscha­

le Anerkennung der ideologischen Theoriegebäude als welt­

geschichtli.ch unvermeidliche "Erkenntnisrestrikti on" er­

gänzt. Den bürgerlichen Geistes- und Gesellschaftswissen­

schaften w:Lrd konzediert, zu keinen anderen Gedanken

fä hi g zu sein als zu denen, die sie hab en. Die

kritische Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Wissen-

scharten als Formen notwendig falschen Bewußtseins nimmt

die Verlaufsform an, ihnen einerseits vorweg mit dem un­

begründeten kritischen Vorbehalt geGenüberzutreten, ,ie

schon dem "Fetischismus" verhaftet zu sein, ihnen anderer­

seits zugleich die ebenso grundlose LeGitimation zuzuer­

kennen. dem "Fetischismus" unentrinnbar verhaftet zu sein

jedenfalls solange seine "DechiffrierunG" historisch

70

noch nicht möglich war:

"Einblick in die verkehrte Form ist erst ich, wenn sie als solche weltgeschichtlich überholt is wenn sich also die Produktivkräfte soweit entwickelt haben. daß sich die Produktionsverhältnisse als Fessel bemerk­bar machen und sich ulll-liderstehlich ins BevroJHsej.n drängen." 139)

Das zu Beginn dieses Abschnitts aufgeworfene Problem, wie

sich das notwendig falsche Bewußtsein von Philosophie und

Ökonomie im Lichte eines methodischen Verfahrens darstellt,

das es als Verkehrung dechiffriert, kann nun resümierend

wie folgt beantwortet werden: "Fetischismus" wird hierbej.

zur Formel für die pauschale Ablehnung aller nichtmarxi­

stischen Theorien, "Erkenntnisrestriktion" zum Argument

pauschalen Verständnisses des Mangels bürgerlicher \'iis­

senschaft als unumgänglich. Generelle S k e psi sund

universelle An er k e n nun EI definieren das wissen-

schaftspolitische Verhältnis gegenüber den bürgerlichen

Theoriegebäuden . Beide fassen sich im apodiktischen Be-

wußtsein der Übe l' 1 e gen he i t der eigenen, sich auf

Marx berufenden Theoriebildung zusammen, im Gegensatz zu

den im bür ger 1 i ehen Vii s sens c haftspl ur al ismus etabl i er ten

Geistes und Sozialwissenschaften "unwiderstehlich" auf

der Höhe der Zeit und in Übereinstimmung mit den weltge­

schichtlichen Tendenzen der Realität zu sein.

e) Probleme der Gültigkeit der r~arxschen Theorie

Dieser Abschnitt soll eine letzte noch offene Frage erör­

tern: Reichelt entwickelt - wie gesehen das "r.lethodische

Vorbild", wie Gesellschaftstheorie zu verfahren hätte, un­

ter Berufung auf Narx. Hat die Rekonstruktion der r·larxschen

Kritik der politischen Ökonomie als Methode Rückwirkungen

auf das Verhältnis Reichelts zur arxschen Theorie als sei­

ner wi s s ensc haftl i c hen Beru fungsins tanz? Er geb en si c haus

Page 36: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

......

der Hezeption des "Kapi " unter methocli ehern Aspekt

Konsequenzen fUr die weitere Beschäftigung mit dem ~arx-

sehen \·Jerk?

Der vorangegangenen Darstellung war zu entnehmen, daß

Heiche1t die !\Useinandersetzung mit den etabJj.erten bür­

gerlichen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften um die

'Aktuali.tat' der Harxschen Theorie im Selbstbewußtsein der

frag;} os cn ült gkeit und methodischen Überlegenheit

der I\larxschen "Kritik der politischen Ökonomie" führt. Sie

gilt ihm als positive Wissenschaft schlechthin in dem Sinn,

lIdaß sie zum ersten l'.'iale in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit mit dem Anspruch auftreten kann, eich-

unverstellt durch eine selbst noch gesellsc tlich Präformierung der Erkenntnis die eIl schaft-

truktur in allen ihren Erscheinungs ormen auf den Begriff bringen zu können." 1 /+0) ..

Auf der anderen Seite ist zu konstatieren, daß die Gewiß­

heit der theoretü;chen Uberlegenheit von '·larx, dem weltge­

schichtlj.ch der 'Fetischismus' und 'objektj.v Schein' des

Kapita1:i.smus "zum ersten aIe durchschaubar geworden

sind,,1 L,1), bei ReicheIt zugleich den Keim des Zvl e i fe 1 s

an der Geltung in sich trägt, welche der Harxschen Theorie

heute zugesprochen werden darf:

"Wie kommen wir der Formuli

dazu, heute, mehr als hundert Jahre nach dieser Theorie, sie als eine der weite­ichen Entwicklung enthobene Wahrheit

erst einmal entdeckt, weiterhin Gül­darf?" 1 112)

ren gesell sc hinzuste1len, die tigkeit beanspruc

Der Verdacht, ob Marx letztlich nicht doch zu einern gewis­

sen Grad den gesel.lschaftlichen Verhältni.ssen verhaftet

blieb, die er durchdrang, gibt Heichelt

"Anlaß zu fr ... das Marxsche 'Kapital' auch in der abstrakt alen Darstellungslogik nicht sei-nerseits durch den damali historischen Entwicklungs-stand des Kapitals beein Bt sein könnte. tUt anderen Worten: Wäre das' tal' heute anders zu schreiben oder auf theoretischer ene weiterzuschreiben, damit man sich den zum tigen Kapitalismus nicht durch eine orisc begrenzte Darstellungsform ver-sperrt?" 14J)

Zur theoretischen Erhellung der Heicheltschen Problemstel­

lung erscheint es sinnvoll, selbst umgekehrt die folgenden

Fragen zu diskutieren: Worin besteht die hier vorgetragene

Problematisierung der Geltung der lliarxschen Theorie? Wo­

her rührt der zu konstatierende Umschlag von fragloser

Gültigkeit des "Kapital" in seine erst noch zu überprüfen

de Geltung? Kann die Problematisierung der Gültigkeit sich

auf einen sachlichen Anhal tspunkt am l-1arxschen Herk selbst

berufen?

Die Problematisierung des "Kapital" besteht in der Frage

nach seiner 'Aktualitat', ob nicht angesichts von 100 ,Jah­

ren gesellschaftlicher Entwicklung nach der Formulierung

dieser Theorie sowohl der sachliche Gehalt als auch die

"abstrakt kategorial e Darstellungslogik" gJ. eichsam histo­

risch 'überholt' sein könnten. Oder anders formuliert, ob

der aus dem "Kapital" extrapolierten ethode zurecht die

behauptete universelle Gültigkeit zuerkannt werden darf

oder sie nicht vielmehr als historisch bedingte und damit

relative eingeschätzt Herden muß, die aktu

schreiben" sei. Das hier s 0 au fgewor fen e Problem be-

zeichnet eine im strengen Sinne unlösbare theoretische

Aufgabe. Denn einmal unterstellt, man hat den Verdacht,

das "Kapital" sei möglicherweise hl.storisch beeinflußt,

wie will man anders zu einer begründeten Entscheidung über

diese Vermutung kommen al durch die Erörterung des sach·­

lichen Gehalts der im "Kapital" dargestellten ökonomischen

Kategorien und Gesetze. So könnte, um dies hier nur anzu­

deuten, zum Beispiel der Nachvollzug der von 11arx gegebe­

nen Darstellung des. Akkordlohns - "Den Stücklohn gegeben,

ist es natürlich das persönliche Interesse des Arbei ters,

seine Arbeitskraft möglichst intensiv anzuspannen, was dem

Kapi tal i s ten ein e Er höhung des Normal gr ads der In tens i ta t

erleichtert,,144) - erweisen, daß dieser Zusammenhang durch

die Realität moderner Fabrikarbeit 100 Jahre nach Erschei­

nen des "Kapital" insofern 'überholt' ist, als die durchge­

setzte Intensitat heutigen Bandakkords diesen Spielraum

Page 37: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

freier individueller I,eistungssteigerung gar nicht mehr zu­

läßt und die Erhöhung des Intensitätsgrads der Arbeit eman­

zipiert von der aktuellen Leistung des Arbeiters mit Hilfe

von Methoden der analytischen Arbeitsplatzbewertung fest­

gel egt wird.

Mit der oben bezeichneten Problemstelung allerdings ver-

sucht Reichel t, getrennt von der s. ach I ich e n Darstel-

lung im "Kapital" über die Aktuali tät der r~arxschen Darstel­

lungs log i k zu entscheiden. Damit setzt er sich nicht

nur in Widerspruch zu seiner eigenen Auffassung, "daß ab­

gelöst vom Nachvollzug seiner Darstellung (der des Gegen­

standes, d. Verf.) so gut wie nichts über die Methode aus-

zumachen l·s,-.,,145) Der R . h 1"'" v von elC e. v angegebenen Beschäfti-

gung mit der "abstrakt kategorialen Darstellungslogik"

muß darüber hinaus jeder aus dem Inhal t der Sache sich er­

gebende Halt schwinden. Die Problematisierung der Gültig­

keit der Marxschen Theorie bezeichnet so die immanente Kon­

sequenz einer Rezeption des "Kapital", die auf der Tren­

nung der Sache von der Methode ihrer Darstellung beruht.

Der Verlust begründeter Gewißheit ist ebenso der zweiten

Hälfte der oben zitierten programmatischen Fragestellung

Reichelts zu entnehmen, ob nämlich das "Kapital" heute

"anders" oder "auf theoretischer Ebene wei. terzuschreiben"

wäre, um einen adäquaten, durch keine "historisch begrenz­

te Darstellungsform" versperrten "Zugang zum gegenwärtigen

Kapi.talismus" zu ermöglichen. Hier ist der logische Zirkel

zur Anschauung gebracht, in den sich eine Rekonstruktion

der /Ilarxschen Theorie begibt, welche versucht, unabhängi.g

von und vor einer praktizierten s ac hli c hen Ana-

lyse des gegenwärtigen Kapi talismus Las "Kapi tal" auf ei­

ner "theoretischen Ebene weiterzuschreiben", um damit ei-

nen angemessenen "Zugang" für die sachliche Analy-

se des gegenwärtigen Kapi talismus zu eröffnen.

Unserer bisherigen Erörterung ist zu entnehmen, daß Rei­

chelt über keinen sachlichen Anhaltspunkt am Marxschen

Werk selbst verfügt, wenn er das Problem aufwirft, ob nicht

die "Darstellungsform" der im "Kapital" analysierten öko­

nomischen Gegenstände "historisch begrenzt" sein könnte.

Die kritische Auseinandersetzung mit der "Marxschen Me­

thode und ihre(r) Eignung für die Analyse des gegenwärti

gen Kapitalismus,,146) ist nicht das Ergebnis der Aufdek­

kung von Unstimmigke:iten in der Darstellung der ökonomi-.

sehen Gegenstände oder das Resultat der Entdeckung von

ökonomischen Sachverhal ten, die l~arx nicht analysiert hat

oder noch nicht analysieren konnte. Die Problematisi.erung

der Gültigkeit der Marxschen Theorie bezeichnet die im­

manente Konsequenz einer Rezeption der "Kritik der poli­

tischen Ökonomie", die darauf ausgerichtet :ist, von der

Darstellung der ökonomischen Sache eine ~lethode i.hrer Dar·­

stellung abzutrennen und sie als Vorbedingung - als "ein­

zig möglichen Einstieg in die theoretische Verarbeitung

der gesamten bürgerlichen Gesellschaft" und zugleich als

ihr "Prüfstein,,147) - für die Analyse und Darstellung der

ökonomischen Sache zu behaupten. Damit werden die im "Ka­

pital" dargelegten Urteile, angefangen von der Analyse der

Elementarformen Ware und Geld über die Darstellung der Ver­

wandlung des vlerts der v/are Arbei tskraft in den Arbei tsl ohn

bis hin zu den Bestimmungen und Gesetzen der Profitrate, zu

bloßen Hypothesen und Denkanweisungen verkehrt, die

gleichsam "im ~Iedium des reinen Begriffs entwickel t,,11+8)

wurden.

Für den von uns zu analYSierenden Zusammenhang von der

"Rekonstruktion" der ~lar:'xschen Theorie und der "Krise des

Marxismus" ist von Bedeutung, daß mit der Rezeption ökono­

mischer Analysen als "reine Begriffe" den sich auf r,larx

berufenden Arbei ten der sachliche HaI t schViinden und um­

gekehrt die Gefahr inhaltsleerer Problemahsierung der Gül

tigkeit der Marxschen Theorie zunehmen muß. Ebenso ist es

Page 38: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

75

von Bedeutung für unsere Darstellung, die unmittelbaren

immanenten Konsequenzen der Rekonstruktion der r,jarxschen

Theorie als Methode festzuhal ten: Die im "Kapi tal" darge­

stellten Urteile gelten nicht als Resultate vollzogener

Analyse der Gegenstände und Gesetzmäßigkeiten der "wirk­

lichen" kapitalj.stischen Produktionsweise, sondern als vor­

weg erlassene Denkanweisungen für eine erst noch zu voll­

ziehende Analyse des "wirklichen Kapitalismus":

"Im Grunde hat 1JIarx nur einen geringen Teil realisiert, die Darstellung der Anatomie dieser bürgerlichen Ge­sellschaft, aber auch hier ist er nicht bis zur 'wirk­lichen Darstellung' durchgedrungen, der genauen Ent­wicklung der 'wirklichen Konkurrenz', sondern hat fast ausschließlich den' allgemeinen Begriff des Kapi tals' entfaltet, also selbst noch einmal eine Art Anweisung zum Studium des wirklichen Kapitalismus in seinen ver­schiedenen nationalen Ausprägungen." 149)

11'] i dieser Diagnose ist zugleich der immanente Fortgang

der "Rekonstruktion" der r,jarxschen Theorie bezeichnet. Die

"Kri tik der poli tischen Ökonomie" stell t Reichel t zufolge

eine doppel te theoretische Herausforderung dar: Auf der ei­

nen Seite hat sich die Hezeption des "Kapital" weiterhin

mit Problemen der ~lethode bei 1~arx, "der dia­

lektischen Darstellung der Kategorien und Erörterung dieser

Dars tell ungs form" 150), der Extr ap 01 a ti on ein er "AbI ei tungs­

struktur als methodisches Vorbild 151), der möglichen hi­

storischen Beeinflussung der "abstrakt kategorialen Dar­

stellungsform,,152) usw. im Bewußtsein zu befassen, daß es

nur so "möglich wird, sich abschlußhaft über die Marxsche

f4ethode und ihre Eignung für die Analyse des gegenwärtigen

Kapitalismus zu äUßern.,,153) Auf der anderen Seite ist die

methodische Selbstbeschäftigung mit dem "Kapital" durch

ein spä ter al s "Realanalyse" bezeichnetes "Stu-

dium des wirklichen Kapi talismus " im Bewußtsein zu ergän­

zen, erst dadurch "wirkliches" \rlissen über den gegenwär­

tigen Kapitalismus zu erarbeiten und damit zugleich die

"Eignung" der aus dem "Kapital" extrapolierten 1JIarxschen

Methode zu verifizieren.

76

Bevor wir uns den Projekten einer "Real analyse" des bundes­

republikanischen Kapitalismus zuwenden, soll die Erörterung

der immanenten Bestimmungen, Prinzipien und Konsequenzen

der "Rekonstruktion" der Marxschen Theorie mit der Analyse

der Arbeiten zweier Wissenschaftler fortgesetzt werden,

die anerkanntermaßen einen wesentlichen Beitrag zu der

neuen methodischen Auseinandersetzung mit dem l~arxschen

Werk leisteten.

Page 39: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

T7

2. Die Rekonstruktion der Marxschen Theorie als "Versuch

ej.ner Begriffsbestimmung" (CI aus Offe)

a) Der I\jarxsche Kapi talismusbegriff : Bedingungen der

I~öglichkei t seiner erfolgreichen Anwendung,

1-1ie die erkenntnistheoretischen Arbeiten zur "logischen

Struktur des Kapitalbegriffs" bei Reichelt gehen auch die . 1') 1"\

"Aufsätze zur politischen Soziologie" . J von Offe von ei

nem allgemeinen Scheitern sämtli.cher Varianten bisheriger

Gesellschaftstheorie aus:

"Ebensovienig wie der ff auf die r~arxsche An,dyse des zeitgenössischen ismus alle Phänomene der

italistischen' ormationen zu entschlüs eIn auch nur theoretisch einzuordnen v

ehrt die heute etablierten Sozialwissensc , ins-esondere die Politikwissenschaft, in der (oder bes-

seI': sie sehen fast ausnahmslos und methodisc davon ab), die Marxsche frage nach den Bewegungsgesetzen des Kapitals un von se:Lner bestimmten So-zialstruktur zu stellen, geschweige zu beantwor ten." 155)

Die in der kritischen Bestandsaufnc.hme geäußerten VorwUr­

fe verraten mehr ü!Jer das Interesse dessen, der sie macht.

211 über die Fehler derjenigen, denen sie gelten. Den bis­

herigen sich auf ;~arx berufenden Theorien des modernen

Kapi tal i s mu s wir ft 0 f f eden "Ililck gri ff au f di e 1,1 ar xsc he

Analyse des zeitgenössischen Kapitalismus" vor, gibt also

zu erkennen, daß er der Auffassung ist, die Darstellung

und Kritik der kapitalistischen'Produktionswei,se im "Ka­

pital" sei für sich (alleine) ein ungenügendes Instrumen­

tarium zur "Entschlüsselung" der "spätkap:italistischen"

Gesellschaften. Den etablierten Sozialwissenschaften hält

Offe umgekehrt vor, die von ihm unter Berufung auf t4arx

für unabdingbar erachtete "Ausg2~'lgsfrage nach den Bewe­

gungsgesetzen des Kapitals" in ihren Staats- und Gesell­

schaftsanalysen nicht gestellt zu haben und dieses Ver­

säumnis darüber hinaus noch rücht einmal für ein überhaupt

78

ernstzunehmendes Problem zu erachten:

"Eine politische Sozlol e des Spätkapitalismus ver langt schon als Anspruc nach einer Rechtferti . Der Versuch nämlich, unter dem Begriff des Spätkapi s-mus jene Fragestellungen exemplarisch zu beleuchten, di in den etablierten Sozialwissenschaften entweder überhaupt nicht, oder unter den wi lkürlichen Vergleichs chts-punkten der comparative poli, tics, oder inner Serie von Einzelstudien nationaler Entwi behandelt werden, ist ei,n Unternehmen. das sie auf approbierte akademi.sche Tradi t.i on nicht berufen kann. Die Beiträge,' die die akademische oziolo[(ie und Politikwissenschaft heute zur der gesellschaftlichen Entwicklun v egen, sind von einer theorie-politischen Situation !J8stimmt, in der der Terminus Kapitalismu:o keine Rolle ielt. e eh stinktive Kraft dieses Konzepts muß eine etablierte Forsc s behauptet wer Abstraktionsebene talismus-Begriffs in einer ven zwei Hinsichten verfehlt, Diese Abstraktionsebene wird entweder unterboten von Studien, deren Untersuchungs einhei tein nati onalstaatliches System und seine G e-schichte ist; oder s e wird überschritten in Rich-tung auf eine' Theori i.ndustrieller Gesellschaften' , .. " 156)

Offe rechnet der etablierten Ökonomie, Soziologie und

litikwissenschaft die lhßachtung der eigenen, sich auf

Narx berufenden methodologi ehen Grundsätze vor. Folgen-

de Fragen sind also zu erörtern: Wo ist Off es itrag zur

Rekonstruktion der r1arxschen Theorie und ihrer !lApproba-­

tion" innerhalb der tablie::,ten Sozialwi.ssenschaft' Horin

besteht Offes Bezugnahme auf die Narxsche Kapitalismus­

analyse'? Zunächst einmal i t den Vorwürfen gegen dj.e eta­

blierte Sozialwissenschaft soviel !Jer das eigene positive

Anliegen einer "politischen Soziologie des Spätkapitalis­

mus" zu entnehmen: Offe will ei,n neues "Konzept" in die

etablierte Forschungspraxis einführen. Es soll eine neue

"Abstraktionsebene" eröffnen. bisher vernachlässigte "Fra­

gestellung" "beleuchten" und damit eine "theorie-politische

Situation" überwinden, in der "der Terminus Kapitalismus

keine Rolle spielt." "Kapitalismus" ist bei Offe nicht di.e

Bezeichnung für einen ökonomischen Sachverhalt, den Marx

Page 40: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

mehr oder weniger ich analys ert und dargestellt

er i h auf Marx berufenden me-hat, sor:d.ern der Ti tel

sehen VerfahrensVJei e, um "Tendenzen d.er gesellschaft-

lichen Entwicklung!! al kapitalistisch interpretieren zu

können. Dj.e Darlegung des !!Kapitalismus-Begriffs!! im "Ka-

pi 11 erscheint bei Offe nicht als Aussage über ej.ne exi-

stente S ach e , sondern als methodische Be d i n gun g

für ftige Aussagen über sie. t dem "Begriff des Spät­

Resultat durchge-kapi iSffii.1S JI präsentiert O.1.'fe nicht e

fühT Analyse de Spätkapitalismus, sondern ein metho-

dol ches Konzept, was zu tlln , wol te man eine Ge-

seIl c t Unterschied zu den etablierten Ansätzen der

Sozi wiss chaft nicht al !!Industriege ellschaft", son-

dern 2'11 IlS pätkapi talismlJs If betrachten.

Cf Beitrag zur Rekonstruktion der Marxschen Kapitalis-

musanalyse esteht also in der exemplarischen Demonstra-

t1 in es met h 0 d 0 1 0 gis ehe n I1Konzeptsll,

wie wissenschaftl eh zu verfahren wäre, wenn man mit dem

Erkenntnisinteres c, die modernen Gesellschaften und ihre

Sta.atsformen als HSpätkapitalismus!! zu interpretieren,

folgreich sein VJi

er-

1I1)1'ei Fragen s:ind et·) unmittelbar auftau-chen, VJenn hier die

für die wes icher' G seI c systeme in

men VJird. Erstens: Aufgrund VJelcher tände sind ~ie nach VJie vor kapitalistisch zu nennen'? ZVJeite~s: ~as bedeutet die Qualifizi. 'spätkapitalistisch'C, Jrlttens: Wle wlrd dle beide e implizierte Zurück-VJeisung alternativer typisierender Oberbegriffe ge­rechtfertigt, VJie sie insbesondere in der angelSächSi­schen J"iteratur (z. B. 'postindustrial society', 'post modern society', 'technotronic society', 'neVJ industrial state', 'modern talism' etc.) so Vielfältig aufge-kommen sind." 157

Die Problemstellung von Offe ist durch die explizit in­

strumentelle Best:Lmmung der "Kategorie des Spätkapitalis­

mus" charakterisiert. Diese sol unabhängig von und vor

der Kenntnisnahme des Untersuchungs gegenstandes als "Be-

zugspunkt" entVJorfen und dabei so konZipiert werden, daß

sie als universell zu handhabende Verfahrensweis gemäß

der Erkenntnisabsicht taugt, "industrielle" Gesellschaf­

ten als "kapi talistisch" zu identi.fizieren. Allerdings

unterscheidet sich das von Offe vorgeschlagene methodo­

logische "Konzept" in einer Hinsicht wesentlich von ande­

ren "Versuchen" einer Begriffsbesb.mmung des Spätkapita­

lismus. Offe beabsichtigt mi t seinem Entwurf einer "po­

litischen Soziologie de" Spätkapitalismus" nicht, in ei

nem ersten Schritt mit aus dem "Kapital" isob.erten Be·­

grifflichkei ten die "Kategorie des Spätkapi talj.smus" zu

konstruieren, um in einem zVJeiten Schritt zu ihrer AnVJen­

dung zu schreiten und die gesellschaftliche Wirklichkeit

unter die getrennt von ihr entVJorfenen Begriffsmuster und

Kategorienraster zu subsumieren. Offe behandelt Marx nicht

in methodischer, sondern in met 2'1 - met h 0 dis ehe I'

Hinsicht. Er entwirft nicht. die "Kategorie des Spätkapi­

talismus", sondern problematisiert die Bedingungen der

Möglichkeit ihres erfolgreichen EntVJurfs. Seine Frage-

und Problemstellung läßt sich VJie folgt umreißen: "Wenn"

sich ein SozialVJissenschaft.ler entscheidet, die "Abstrak­

tionsebene des Kapitalismus-Begriffs" zu VJählen, welches

sind dann die Bedingungen der Möglichkeit der erfolgrei­

chen Anwendung dieses "Konzepts"'?

Die Bearbeitung dieses Problems teilt Offe in zwei Ab­

teilungen auf. Zuerst führt er auf dem Wege einer "Über­

setzung" der Marxschen Kapi. talismusanalyse in die Begriff­

lichkeiten moderner Soziologie den NachVJeis, daß eine Ka­

pitalismustheorie die richtige "Abstraktionsebene" nur

einhalte, VJenn sie als systemtheoretische Konstruktion

konzipiert sei .158) Dann etabliert er den "Rahmen", der

es erlauben soll, die "hochindustrialisierten "lestlichen

Gesellschaftssysteme" als genau so "spätkapitalistisch"

zu interpretieren, wie sich dies auf die Marxsche Kapi­

talismusanalyse berufende SozialVJissenschaftler immer

Page 41: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

31

vorgestellt hätten. 159 )

Als er s te Bedingung einer erfolgversprechenden Spät­

kapitalismustheorie gibt Offe di.e Etablierung des "Marx­

sehen Kapitalismus-Be.griffs" selbst an. Die Rekonstruk­

tion des "Marxschen KategOrienapparates,,160) hat dabei im

Lichte der Problemstellung zu erfolgen, "ob und wie weit

systemtheoretische Konzepte dem Bezugsrahmen der Marx­

sehen politischen Ökonomie legitimerweise integriert wer­

den können,,161), und resultiert in der folgenden Begriffs­

definition:

"Der Marxsche Kapitalismus·-Begriff ... bezeichnet die Logik eines Entwicklungsmusters einer historischen und sozialökonomischen Formation in ihrer Gesamtheit ... Diese Entwicklungslogik wird nun bei Marx unter den allgemeinen (und wechselseitig nahezu austausch­baren) Formeln von dem Widerspruch zwischen wachsender 'Vergesellschaftung der Produktion' und ihrer 'priva­ten Aneignung' einerseits, von dem der 'Produktivkräf­te' und 'Produktionsverhältnisse' andererseits gefaßt. In eine andere Sprechweise übersetzt, lassen sich diese allgemeinsten Bestimmungen als Antwort auf die Frage interpretieren, welchen Typus von Systemproblemen ein sozialökonomisches System typischerweise und objektiv erzeugt, und welche Mechanismen ihm strukturell zur Verarbeitung dieser Probleme zur Verfügung stehen. Der antagonistische Charakter eines Systems besteht in den selbstdestrukti.ven Tendenzen, die sich aus dem Ausein­anderklaffen von institutionalisierten Programmen der Problemverarbeitung und jenen Mechanismen ergeben, die Probleme oder Widersprüche hervorbringen." 162)

Zwei Fragen sollen im folgenden erörtert werden: 1. Was

besagt das Marxsche Diktum über den Widerspruch von Pro­

.duktivkräften und Produktionsverhältnissen? 2. Worin be­

steht die von Offe vorgenommene "Übersetzung" in eine "an­

dere Sprechweise"?

Offe zufolge stellt der Widerspruch von Produktivkräften

und Produktionsverhältnissen eine von Marx konzipierte

"Formel" dar, ein Begriffsinstrumentarium, um die "Ent­

wicklungslogik" einer "historischen und sozioökonomischen

Formation in ihrer Gesamtheit" analytisch "fassen" zu kön­

nen. Der Darstellung im "Kapital" im Kontext der Analyse

82

des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate16J ) is

allerdings zu entnehmen, daß es sich bei dieser "Formel"

weder um die Definition eines universellen "Entwicklungs­

musters" als methodische Vorbedingung einer erst noch

durchzuführenden Analyse der kapitalistischen Gesellschaft

handel t noch um die anhand des Kapitalismus durchgeführte

exemplarische Beschreibung der "Entwicklungslogik" einer

problematischen Gesellschaft. Marx formuliert mit dem Wi­

derspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnis-

sen ein abstraktes Res u 1 tat der von ihm durchgeführ-

ten Analyse der kap i tal ist i s ehe n Produktions-

weise. Bei der Untersuchung der Krise hat Marx die folgen­

den widersprüchlichen ökonomischen Phänomene konstatiert:

1. Das vi ach s tu m des Kapitals ist charakterisiert

durch periodisch eintretende Stockungen des Zirkulations­

und Reproduktionsprozesses des Kapitals. Diese gehen ein­

her mit der En twertung von KaPita1.164

) 2. Die pe­

riodischen Stockungen des Wachstumsprozesses des Kapitals

bedeuten nicht, es wären zu wen i g ~littel für die

kontinuierliche Fortführung und Ausdehnung der Produktion

vorhanden. Sowohl die objektiven Bestandteile des Produk­

tionsprozesses (Maschinenparks und Rohstoffe) als auch die

subjektiven Bedingungen (Arbeitskräfte) sind verfügbar,

werden aber nicht in Bewegung gesetzt. Sie existieren als

unausgelastete Produktionskapazitäten auf der einen, ent­

lassene Arbeitskräfte auf der anderen Seite. J. Krise ist

vielmehr umgekehrt ein Konjunkturzustand, in dem zu vi el

Reichtum produziert wurde. In jeder Form ist Reichtum im

Überfluß vorhanden - es gibt unverkäufliche Warenberge, un­

ausgelastete und stillgelegte Produktionsanlagen und einen

Überfluß an Geldkapital, das keine lohnende Anlage findet.

Und ebenso existiert ein Überschuß an Arbeitskräften in

Gestalt einer unbeschäftigten Arbeiterbevölkerung.165

)

Wenn die periodischen Stockungen des kapitalistischen Ak­

kumulationsprozesses weder durch einen Mangel an Reichtum

Page 42: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

-----~-----------------------------~---~-~~-~-

83

verursacht werden noch daher rühren, daß zuviel Reichtum

schlechthin produziert vmrde, dann heißt Krise - so die

Aussage von Marx - nichts anderes als Übe r pro du k-

tion von Kapital: Es ist zu vi el Reichtum

angehäuft worden in Be zug auf den Zweck seiner . 166) wei teren Ver me h run g . Gemessen am Zweck der Pro-

duktion, der um den Profit vergrößerten Rückkehr einer

vorgeschossenen Geldsumme, erweisen sich die Mittel der

Produktion, die in Maschinerie und Arbeitskräften inkor­

porierten Produktivkräfte, als Schranke. Diese Gesetz­

mäßigkeit kapitalistischen Wachstums hat Marx in der

"Formel" vom Widerspruch zwischen Produktivkräften und

Produktionsverhältnissen in abstrakter Form zusammen­

gefaßt:

"Der Widerspruch, ganz allgemein ausgedrückt, besteht darin, daß die kapitalistische Produktionsweise eine Tendenz einschließt nach absoluter Entwicklung der Pro­duktivkräfte, abgesehn vom Wert und dem in ihm einge­schloßnen Mehrwert, auch abgesehn von den gesellschaft­lichen Verhältnissen, innerhalb deren die kapitalisti­sche Produktion stattfindet; während sie andrerseits die Erhaltung des existierenden Kapitalwerts und seine Verwertung im höchsten Maß Cd. h. stets beschleunigten Anwachs dieses Werts) zum Ziel hat. Ihr spezifischer Charakter ist auf den vorhandnen Kapitalwert als Mittel zur größtmöglichen Verwertung dieses Werts gerichtet. Die Methoden, wodurch sie dies erreicht, schließen ein: Abnahme der Profitrate, Entwertung des vorhandnen Ka­pitals und Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit auf Kosten der schon produzierten Produktivkräfte." 167)

Wenden wir uns nun der zweiten Frage zu: Führt die von Offe

vorgenommene "Übersetzung" zu einer bloß formell unter­

schiedenen "Sprechweise", die den sachlichen Gehalt der

Marxschen Aussage unverändert läßt, so wie dies bei einer

Übersetzung des "Kapital" ins Englische der Fall wäre?

Oder dient nicht vielmehr die "Übersetzung" der ~larxschen

"Kategorien" in die andere Sprechweise der Systemtheorie

der Einführung einer anderen Sichtweise der ökonomischen

Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft?

In die systemtheoretische Sprache moderner Soziologie über­

setzt, soll Marx die kapitalistische Produktionsweise als

ein "sozial ökonomisches System" betrachtet haben, das auf

der einen Seite "Systemprobleme" erzeugt, auf der anderen

Sei te über Mechanismen zur "Problemverarbeitung" verfügt.

Und den periodisch in der Krise eklatierenden Antagonis­

mus von Produktivkräften und kapitalistischen Produktions­

verhäl tnissen soll tllarx als Beispiel für das "Auseinan­

derklaffen " von erzeugten Problemen einersei ts und Struk­

turen der Problemverarbeitung andererseits untersucht ha­

ben, das zu "selbstdestruktiven Tendenzen" führt und den

Bestand des Systems gefährdet. Die von Offe vorgenommene

"Übersetzung" zeichnet sich durch den Willen zur radika­

len Abstraktion aus. Die systemtheoretische "Sprechweise"

entkleidet die Marxsche Kapitalismusanalyse ihres sachli­

chen und kritischen Gehal ts. Ein Vergleich bei der "Sprech­

weisen" verdeutlicht dies:

1. vlie oben gezeigt, bestimmt ~larx die "Erhaltung des Ka-~

pitalwerts und seine Verwertung im höchsten Maße" als Zweck

der kapitalistischen Gesellschaft. Damj~t ist ausgesagt:

Der Zweck des Kapitals hat den bestimmten Inhalt: Vermeh­

rung des Werts oder abstrakten Reichtums. Er hat ein spe­

zifisches Maß: die Profitrate gibt den Grad der Verwertung

an, sie mißt ihren Erfolg. Und das Kapital ist der maßgeb­

liche gesellschaftliche Zweck: es hat sich die gesamte ge­

sellschaftliche Produktion und Konsumtion als sein Mittel

subsumiert. Die systemtheoretische "Übersetzung" von Marx

kennt keinen spezifischen, inhaltlich bestimmten gesell­

schaftlichen Zweck mehr: Der Inhalt des kapitalistischen

Systems ist es, ein System zu sein und ein System zu blei­

ben, also den ganz inhaltsleeren Zweck der "Selbstperpe­

tUierUng,,168) zu verfolgen. Das Maß des Systemszwecks ist

der Erhalt der schieren Existenz durch die Verhinderung

der Systemdestruktion, also das vollkommen leere Kriterium

gelingender "Selbstadaption,,169) des Systems. Und das Sy-

Page 43: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

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es

stem kennt keine anderen eigenst~ndigen gesellschaftlichen

Zwecke mehr außer dem einen Universalzweck eines absoluten

Selbstverh~ltnisses des Systems, sich als System zu erhal-170)

ten.

Die Aussagen ~jarxscher Kapi talismusanalyse sind in ihrer

systemtheoretischen "Übersetzung" ins Gegenteil verkehrt:

In dem ersten Schritt der "Übersetzung" wird von dem maß­

geblichen Zweck, dem bestimmten Inhalt und den besonderen

Gesetzen der kapitalistischen Gesellschaft abgesehen zu­

gunsten des inhaltsleeren Modells des gesellschaftlichen

"Systems" und der Probleme seiner "Selbstperpetuie-

rung". In einem zweiten Schri tt wird aus dieser Absicht

von der Sache die wesentliche Hinsicht, unter der sie zu

betrachten sei: die leeren Bestimmungen eines "Systems"

werden zu dem maßgeblichen Inhalt und den eigentlichen Ge­

setzm~ßigkei ten der kapi talistischen Produktio:1sweise er­

kl~rt.171) Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus erschei

nen in systemtheoretischer Sichtweise dann nicht mehr als

qualitativ unterschiedene Gesellschaften, sondern als nur

graduell verschiedene "Lösungsversuche" des allen gleicher-

-maßen gestellten "Problems", die "Selbstperpetuierung" als

soziales System zu bewerkstelligen.

2. Marx bestimmt den Grund der Krise darin, daß "das ~1i ttel

- unbedingte Entwicklung der Produktivkr~fte in fort­

w~hrenden Konflikt mi t dem beschr~nkten Zweck, der Verwer­

tung des vorhandnen KaPitals,,172) ger~t. 'irlenn Krise heißt,

daß zuviel Heichtum in Bezug auf den Zweck seiner Vermeh­

rung aufgeh~uft wurde, dann geschieht die Überwindung die­

ser Schranke erfolgreicher Healisierung des Verwertungs­

zwecks durch die Destruktion der überakkumulierten Mittel,

der Produktivkr~fte (Vernichtung und Entwertung ~on Kapi­

tal; Entlassung und Verbilligung von Arbeitskr~ften). Die

Krise ist Stockung der Verwertung und zugleich die

SeI b s t re i n i gun g des Kapitals, alle Kapitalbestand-

ec,

teile zu entwerten und dadurch die Bedingungen erneuerter

und expandierender Verwertung bereitzustellen.173

)

In Systemtheorie übersetzt, stellt sich derselbe Sachver­

halt in ganz anderem Licht dar: Die periodische Selbstrei­

nigung des Kapitals erscheint als permanente "S el b s t-

des t r u k t ion" des Systems. Krise ist nicht mehr tiber-

akkumulation von Kapital, also eine Phase des zu erfolg­

reichen Wachstum3prozesses des Kapitals, in der der Ver­

we,tungszweck auf selbsterzeugte Schranken trifft und diese

zugleich überwindet. Krise in syste~theoretischer Deutung

ist der Index für ein schlecht funktionierendes "selbstde­

struktives" System: es erzeugt mehr ".3ystemprobleme" als

seine "inst1 tutionalisierten Programme zur ProblemveraC'­

beitung" zu lösen vermögen.

3. Die Marxsche Kritik richtet sich gegen eine Produktions­

weise, in der "die Produktion nur Produktion für das Kapi-

tal ist und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße

Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Le­

bensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind.,,17i+)

Die Marxsche Theorie kritisiert den herrschenden Zweck des

kapitalistischen Systems, weil der Erfolg der Verwertung

auf der kontinuierlichen "Enteignung und Verarmung der gro­

ßen r'\asse der Produzenten,,17S) beruht, sowie auf der per1.o­

disehen Vernichtung von Reichtum.

Die systemtheoretische "Übersetzung" verändert die Perspek­

tive der Marxschen Kapi talismuskri tik um 1800

. Die Kri tik

des praktisch herrschenden Verwertungszwecks und seiner de-

struktiven Wirkungen auf die Pro duz e nt e n ist ersetzt

durch die kritische Sichtung der kapitalistischen Gesell­

schaft als mehr oder minder schlecht funktionierendes Sy­

stem mit "selbstdestruktiven Tendenzen", die das Überleben

des S y s te m s infragestellen. Die Einsch~tzung der Er-

folgsaussichten des Systems tritt an die Stelle der

Marxschen Kri tik der (Profi t-)Ifi aß s t ~ b e des kapitalisti-

schen Erfolgs. Systemtheoretische Kritik ist identisch mit

Page 44: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

der "Notwendigkeit ... , Prozeß und Grenzen der Adaptivi tät

des Gesamtsystems systemtheoreb"sch zu untersuchen. ,,176)

Die Analysen der Systemtheorie teilen theoretisch den

Sta,ndpunkt d s Funktioni"erens und messen

das kapitalitische System am idealen ~1aßstab seines Ge­

lingens als "System". Und wo die Ideale des Systemerfolgs

den Maßstab der Kritik abgeben, wird umgekehrt mit der er­

folgreichen "Selbtperpetuierung" des Kapitalismus jede Kri­

tik an ihm obsolet.

Das Igemeine Ergebnis der vergleichenden GegenUberstel-

1ung von r~arxscher Kapi talismusanalyse und ihrer system­

theoretischen "Übersetzung" durch Offe sei noch ei"nmal zu­

sammengefaßt: Die Rede von der "Übersetzung" der Kapitalis­

mustheorie von l~arx in die "andere Sprechwei"se" der Sy­

stemtheorie ist ein Euphemismus. Offe interpretiert damit

Marx als Vorläufer moderner systemtheoretischer Betrach­

tung der kapitalistischen Gesellschaft. Er instrumentali­

siert die Marxsche Kritik am Kapitalismus fUr eine Sicht­

weise, die sich in allgemeinster \'leise der Voraussetzungen

und Bedingungen des Funktionierens des Kapitalismus als so­

ziales System annimmt. In der "Sprechweise" von den "System­

problemen" einer Gesellschaft und den Mechanismen der "Pro­

blemverarbeitung" verwandelt Offe die Marxsche Kapitalis­

muskritik in die unkritische Begutachtung des Systemerfolgs.

Mit der gelungenen Subsumtion der Marxschen "Kritik der po­

litischen Ökonomie" unter die Sichtweise der Systemtheorie

sieht Offe die erste und wesentliche methodische Voraus­

setzung zur erfolgreichen Etablierung eines umfassenden

Spätkapitalismusbegriffs erfUllt. 177 ) Im folgenden sollen

noch die weiteren Bedingungen erörtert werden, die Offe

als methodische Erfordernisse einer Spätkapi talismustheo­

rie angibt.

Als z w e i te Bedingung eines erfolgreichen Spätkapita­

lismusbegriffs fUhrt Offe eine Konsequenz aus der system­

theoretischen Interpetation der 14arxschen Theorie ein: Die

Gesetze des Erhalts der kapitalistischen Gesellschaft sei­

en im wesentlichen als Gesetzmäßigkeiten ihrer Auflösung

zu konstruieren:

"Entscheidend fUr den lilarxschen Kapitalismus-Begriff ist also ... die Unausweichlichkeit der im 'privaten' Pro­duktionsprozeß verankerten selbstnegatorischen Tenden­zen, welche sowohl die Kontinuität der Entwicklung eines gegebenen kapitalistischen Systems wie dessen ÜberfUh­rung in eine postkapitalistische Formation determinie­ren und vorantreiben." 178)

Mi t der EinfUhrung der d r i t t e n Bedingung fUr di e er­

folgreiche Etablierung des "Spätkapitalismusbegriffs" re­

flektiert Offe auf ein "Problem" seiner bisherigen Kon­

struktion und gibt ihm zugleich eine produktive Wendung:

Wenn di e unaus wei c hli ehen lOs el bs tn egatori sc hen Tendenz en"

des kapitalistischen Systems empirisch nicht zu konstatie­

ren sind, dann müsse eben zwischen einer selbstnegatori­

sehen "Entwicklungslogik" und ihrer systemstabilen "14anl"­

festationsform" unterschieden werden. So bleibe die "An­

wendbarkeit des KaPitalismusbegriffs,,179) auf eine ihm wi­

dersprechende kapi talistische Empirie erhalten:

"Aber nur die Verwechslung der Manifestationsform mit der zugrundeliegenden Entwicklungslogik des Kapitals und des von ihm getragenen und limitierten Institutio­nensystems erlaubt Schlußfolgerungen wie die der eta­blierten liberalen Sozialwissenschaft: daß der anta­gonistische Charakter der kapitalistischen Entwicklung Uberwunden sei." 180)

Es gilt also, zwischen einer per definitionem selbstde­

struktiv wirkenden "Entwicklungslogik" und ihrer die

Selbstnegation verbergenden "1-1anifestationsform" zu diffe-

renzieren, und als' v i er te Bedingung des "Spätkapi ta-

lismusbegriffs ein Schema von "Auffang-~1echanismen" zu

entwerfen. Es soll aus "drei brei ten Kategorien von Auf-181)

fang-Mechanismen'" bestehen,

"mit deren sukzessiver Institutionalisierung die selbst­negatorischen Tendenzen der kapi talistischen Grundstruk­tur jeweils abgefangen, gepuffert oder umgeleitet, je­denfalls an der krisenhaften Manifestation gehindert

Page 45: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

worden sind; ihre nen jeweils neuen erschließen." 182)

89

tion ist es, auf diese Weise ei­erlebensspielraum für das System zu

Mit Hilfe dieses Schemas wird es möglich, die Einrichtungen

der "hochindustrialisierten westlichen Gesellschaften" "als

Lösungsversuche für Probleme und Widersprüche zu interpre-t· ,, 1 83) D . . ~ leren. amlt lSe affe zufolge nicht nur der eindeu-

tige Beweis für den im zuvor entwickelten Spätkapitalismus­

begriff behaupteten "selbstdestruktiven" und "antagonisti­

schen" Charakter moderner Gesellschaftssysteme erbracht.

Darüber hinaus sieht affe durch die erwiesene universelle

"Anwendbarkei t des Kapitalismusbegriffs " die Überl egenhei t

des eigenen methodischen Konzepts über die Ansätze der

etablierten Sozialwissenschaft verbürgt:

"Kein alternativer Interpretationsrahmen vermag die Phä­nomene des im Kapitalismus sich vollziehenden institu­tionellen Wandels in gleicher Breite zu entschlüsseln und es dürfte andererseits schwerfallen, Phänomene zu' benennen, denen. dieser Interpetationsrahmen prinzipiell rncht gerecht wlrd. Selbst die beiden konventionellen Kriterien für die Wahl sozialwissenschaftlicher Theo­rien~ Allgemeinheit und Inklusivität, verbürgen also dle Uberlegenheit eines solchen Ansatzes über die kon­kurrierenden Vorschläge der liberalen Sozialwissen­schaft ... " 184)

Al sIe t z t e methodische Vorgabe über die Bedingungen

der Möglichkei t eines erfolgreichen Spät-Kapi talismus­

Begriffs gibt Offe allerdings das Folgende zu bedenken:

der endgültige und unwidersprechliche Beweis sei.ner me­

thodischen "Anwendbarkeit" und wissenschaftlichen "Über­

legenheit" erfolge in der Sphäre der gesellschaftlichen

Praxis:

" ... allein die Überwindung der Logik kapi talistischer E~twicklung ist deshalb der Testfall dafür, ob eine So­zlalstruktur als kapi talistisch begriffen werden kann oder nicht." 185)

An dieser abschließenden methodischen Richtlinie von affe

ist zweierlei bemerkenswert: 1. Die praktische "Überwin­

dung der Logik kapi. talistischer Entwicklung" vermag das

90

erwartete Testergebnis nicht zu erbringen. Denn die Gül­

tigkei t einer Aussage über den kapi talistischen Charak­

ter der Sozialstruktur einer Gesellschaft kann sich un­

möglich an einem Zustand erweisen, i.n dem die kapitali­

stische "Logik" überwunden ist und die kapitalistische

Sozialstruktur nicht mehr existiert. 2. Die von affe der

gesellschaftlichen Praxis einers ei ts, ihrer begrj.fflichen

Erarbeitung andererseits zugeschriebenen Rollen stellen

das Verhältnis beider auf den Kopf: Die sich auf Marx be­

rufende Kapi talismusanalyse kri tischer Sozialwissenschaft

wird nicht (mehr) als theoretische Voraussetzung be-

gründeter gesellschaftsverändernder Praxis verstan-

den; vielmehr soll umgekehrt eine marxistische Krisen­

theorie die politische Praxis als das Mittel ihrer theore-

tischen Begründung interpretieren:

"Das bedeutet allerdings, daß politische Praxis und Klassenauseinandersetzungen in ihrer mäeutischen, er­kenntnisfördernden Funktion nun nicht ihrerseits wie­der durch objektivierende Erkenntnis programmiert und angeleitet werden können ... Revolutionäre 'Theorie', die den Klassencharakter eines bestehenden Herrschafts­systems zu breehen beansprucht, kann deshalb immer nur als Selbstexplikation einer bereits im Vollzug befind­lichen praktischen Bewegung - und nicht als deren Aus­löser - konstruiert werden." 186)

Offe iufolge hat eine marxistische Krisen- und Staatstheo­

rie die "Klassenauseinandersetzungen" als Mittel für sich

zu interpretieren: als empirischen "Testfall" für die Halt­

barkeit des eigenen theoretischen "Ansatzes". Der politi­

schen Praxis weist Offe damit die Rolle des letztlich aus­

schlaggebenden Entscheidungskriteriums innerhalb der Kon­

kurrenz von kritischer und etablierter Sozialwissenschaft

zu: am praktischen (rhß-)Erfolg der "Klassenausei.nander­

setzungen" entscheide sich auch die (Un-)Gültigkeit der

eigenen Kapi talismusanalyse . r~an merkt, wie in dieser me­

thodischen Vorgabe des praktischen Erfolgs eines poli tischen

Interesses als Instanz der wissenschaftlichen Gültigkeit

einer theoretischen Analyse die zehn ,Jahre später "ausge-

Page 46: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

91

broche" "Krise des t"iarxismus" ihre Wurzeln hat. Im Jahre

1971 ,jedoch hat Offe mi t der Konstrukti on der methodischen

Bedingungen einer erfolgreichen Spätkapitalismustheorie

ein er si c h auf 14 arx b eru f enden Sozi al wi s sense haft zu ihr er

"Approbation" innerhalb des akademischen Pluralismus ver­

holfen: Wird den von Offe angegebenen systemtheoretischen

Gesichtspunkten Rechnung getragen, dann ist linke Gesell­

schaftstheorie berechtigt, die gegenwärtige "Gesellschafts­

formati on" in Opposi ti on zur "Sprechweise" der etablierten

Sozialwissenschaft als "Spätkapitalismus" zu charakteri-

sieren. Sie ist dann legitimiert, diesen "Begriff" als

erkannten "Ansatz" in die wissenschaftliche Diskussi on

einzuführen :,

an-

"Dieser Zustand, in dem das Paradigma sämtlicher selbst­adaptiver r"iechanismen gesetzt und immanent nur noch sei­ne kombinatorische Ausformulierung zu erwarten ist, er­laubt uns, in einem nicht bloß losen Sprachgebrauch den Begriff Spätkapi talismus einzuführen." 187)

b) Der wissenschaftliche Ertrag eines möglichen

Spätkapitalismusbegriffs

Der Beitrag von Offe zur Rekonstruktion der 14arxschen Theo­

rie hat den "Terminus Kapitalismus" in die etablierte For­

schungspraxis eingeführt. Er hat mi t dem "Kapi talismus-Be­

gri ff" eine neue "A bs trakti ons eb en e" sozi al wis sense haftl i­

eher Analyse "gewählt", die i~arxschen "Kategorien" in den

Begrifflichkei ten der "Systemtheorie" konstruiert, die

"Anwendbarkeit des Kapitalismusbegriffs auf die hochindu­

strialisierten Gesellschaftssysteme Westeuropas und des

n ordamerikani sc hen Kon tin en ts" 1 88) geprü ft und einen "Rah­

men" für die "funktionale Analyse" des Spätkapitalismus

"vorgeschlagen". Was also kann als wissenschaftlicher Er­

trag der von Offe etablierten politischen Soziologie des

Spätkapitalismus resümiert werden? Einen Fortschritt sach-

92

licher Analyse hat das methodologische Konzept, wi eine

mögliche Theorj e des Spätkapi talismus vorzugehen h ä t­

te und welche Kategorien und Hypothesen bei einer mög­

lichen Theorie des spätkapitalistischen Staates 1 ) zu

berücksichtigen w;j, ren, weder erbracht ncch intendi ert.

Der Fortschritt liegt auf einer anderen "Ebene". Innerhalb

der Konkurrenz des Pluralismus der Sozialwissenschaften

hat Offe der Marxschen Theorie zu akademischer "A P pro

bation" verholfen - allerdings um den Preis ihrer sy-

stemtheoretischen Rekonstruktion als alternative ethodo­

logie, die den ursprünglichen sachlichen Gehalt der Marx­

sehen "Kritik der politischen Ökonomie" in sein Gegenteil

verkehrt. In Zukunft darf sich eine politische Soziolo­

gie, die sich auf arx beruft, als legitimiert betrachten,

auf der einen Seite der etablierten liberalen Soz:Lalwis­

sensehaft den Vorwurf zu machen, sie hänge der unrealisti­

schen Auffassung an "der antagonistische Charakter der ka­

pitalistischen Entwicklung sei überwunden.,,190) Auf der

anderen Seite muß sie gegenüber linken Krisentheorien die

methodische Warnung aussprechen,

"die Frage nach dem Zusammenbruch des Kapitalismus (nicht) in naiver Weise zu stellen. Denn diese Frage kann heute nicht mehr nach dem Vorbild der Theorien beantwortet werden, die die krisenhaften und selbstzer­störerischen Kräfte, die von der kapitalistisch orga­nisierten gesellschaftlichen Produktion freigesetzt werden, bis zu dem Punkt extrapolieren, an dem der Zu­s ammenbruc hund di e aus ihm f 01 gen de Tr ans f orma ti on des Gesamtsystems unvermeidlich werden, sondern nur durch eine Analyse der Grenzen und systematischen Un­zulängli c hkei ten seI bs tk orr ekti ver 101 ec hani smen; Wo in früheren Phasen der kapitalistischen Entwicklung die Frage nach den Grenzen des Systems gestellt wvrde, ergibt sich heute die zusätzliche Frage nach den Mög­lichkeiten des Systems, seine Grenzen selbstadaptiv hinauszusc hi eb en ." 191)

Die Warnung Offes bezieht sich nicht auf den Fehler von

Theorien, die die Marxsche Analyse der periodischen Krise

des Kapitals in eine Prognose des Zusammenbruchs des Kapi­

talismus verwandeln .192) Er erachtet die "Frage nach dem

Page 47: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

9

Zusammenbruch" des Systems nicht für eine auf vorwissen­

schaftlichen revolutionären Erwartungen beruhende Problem­

stellung. Offe will vi elmehr den marxistischen Krisen­

theoretikern die methodischen Bedingungen vorgeben, wj.e

dieselbe Frage reflektiert zu stellen und ergän~end zu

beantViorten wäre:

"Unter diesen Bedingungen wäre eine Krisentheorie nur dann überzeugend, wenn sie als eine Theorie über die Grenzen politischen und ökonomischen Krisenmanagements au fträge _ .. " 193)

Die sachliche Unhaltbarkeit von Krj.senthecrien, die "dem

Kapitalismus eine graue Zukunft prophezej.e(n),,19/-+) bildet

also geradezu die Grundlage, anf der das methodologische

Konzept von Offe beruht. In ihm entwickel umgekehrt Offe

unabhängig vom sachlichen Gehalt der Krj.sentheorien die

methodischen Maßstäbe und systemtheoretischen Kriterien,

wann ihre Begutachtung der Überlebenschancen des kapitali­

stischen Systems als gelungen angesehen werden darf.

Den Er f 01 g einer kritischen SozialVlissenschaft, die

sich auf die Marxsche Kapj.talismusanalyse beruft, sieht

Offe dabei zuallererst in der "Wahl" des überlegenen me­

thodischen "Rahmens" verkörpert und durch i1m garantiert.

Zugleich allerdings gilt Offe vcn Anfang an der "l~arxsche

Kapitalismus-Begriff" als "Wahl" eines bloß möglichen "An­

satzes", jederzeit vergleichbar, ergänzbar und kombinierbar

mit ebenso möglichen systemtheoretischen Entwürfen. Indem

der politische Soziologe Offe schon 1971 das Problem auf-

warf,

"ob und inwiefern systemtheoretische Konzepte dem Be­zugsrahmen der Marxschen politischen Ökonomie legiti­merweise integriert werden können" 195),

hat er bereits in der Phase der Rekonstruktion der Marx­

schen Theorie deren Relativierung betrieben. Insofern hat

Off e di e R e I a t i v i t ä t der r4arxschen Kapi talismuskri-

tik je schon behauptet zehn Jahre vor der "Krise des

Harxismus" .

94

3. Die Rekonstruktion der I~arxschen Theorie als "Produkt"

der Produktionsverhältnisse (Joachim Bischof!)

Joachim Bischoffs Beiträge zur "Rekonstruktion des wissen-196) d' D' k-' h schaftlichen Sozialismus" entstan en lm lS USSlonsra -

men des "Projekt Klassencillalyse". Seine Arbeit "Gesell­

schaftliche Arbeit als Systembegriff" grenzt sich entschie--'K ·t 1,,,197) b den von anderen "Interpretationen zum ,apl'a a

und beansprucht, dem "Verflachungsprozeß des w:Lssenschaftli-10 8) 'TI-- h d - r' ehen Sozialismus 11 J, entgegenzuw1rKcn. !'Ia .ren andere ,el-

träge zur "Re-·Konstruktion" des Marxschen Herks mit die--

sem programmatischen Obertitel zugleich implizi,t die Diffe­

renz zur Berufungsinstanz der eigenen Theoriebil dung zum

Ausdruck bringen und in der Tat - wie gesehen - di Ivlarx­

sehe "Kritik der politischen Ökonomie" als erkenntnistheore-'

tisches und methodologisches Konzept neu k 0 s ru i e-

ren, legt Bischoff vlert auf einen strj.kt textimmanen-

ten Nachvollzug :

"Angesichts des Problems auf der einen Seite den von f-larx und Engels formulie~ten Gedankengang nachzudenken, auf der anderen Seite von diesem Gedankengang die vielen Systemchen abzug~enzen, die bisher von den s~)genann~en Vollendern oder Uberwindern des w:lssenschaf1;J.lchen ,)0-

zialismus produziert worden sind, ist der Akzent auf ei­ne, an den f-iarxschen und Engelsehen Texten abgesi.cherte Ar gumen tati on gel egt wor den." 1 99)

Im folgenden soll die von Bischoff geleistete Rezeption de'3

von r,jarx und Engels dargelegten Verhältnisses von Sein und

Bewußtsein ihrerseits "nachgedacht" werden, Es Geht also

nicht um die Behandlung der Arbeit von Bischoff in ihrer

Ganzen Breite, sondern um die exemplarische Auseinanderset­

zung mit einer Aussage des wissenschaftlichen Sozialismus

beziehungsweise ihrer Rezeption, der zentrale Bedeutung in­

nerhalb der "Rekonstruktion" der Marxschen Theorie zukam.

Page 48: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

95

21) Theorie als "Ausdruck" der gesellE:chaftlichen Praxis

Seine Arbei t "Gesellschaftliche firbei tals Ciystembegriff -

Über wissenschaftliche Dialektik" versteht Bischoff als ei-

nen Beitrag zur RekonstrukU.on des wissenschaftlichen So­

ismus, der "aus der Struktur der bürgerlichen Gesell­

schaft die Bedingungen für die positive vii sensehaft an­

zugeben,,200) beansprucht. Dabei stützt sich Bischoff auf

die A-ussagen der ItKlassiker" üb das Verhäl tnis von Ge-

sel schaft1ichem Sein und Bewußtsein. Sie gelten ihm als

der theoretische Schlüssc] um di.e soziale "Genesi.s der

theoretische:fl Abc;traktion" ) sowohl der bürgerli.ehen

Theorien aIs auch des wi.ssenschaftlichen Sozialismus zu

untersuchen:

"',~s ist nicht das Bewußtsei.n der r~enschen, das ihr Sei.n, sondern ehrt ihr ellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein estimmt'. ese These stellt die Quintessenz und damit ein eindeuU.ges Erkennungsmerkmal der von Marx und s erstmals begründeten Geschichtsauffassung des dialek sehen filaterialismus dar. r'h t dieser so oft miß­verstandenen und häufi bekämpften Kurzformel soll aus-gedrückt werden, daß e verschiedenen Momente des ge-sellschaftlichen Zusammen in bestimmter Weise mit-einander verm:i.ttelt sind, un daß daher jede wissenschaft-iche Erkenntnis an den systematischen Nachvollzug die­

ses Vermi ttlungsprozesses gebunden ist." 202)

Der von t4arx im "Vorwort zur KriU.k der politischen Ökono­

mie,,203) gegebenen Zusammenfassung eines abstrakten Resul­

tats der von ihm durchgeführten Analyse der bürgerlichen Ge­

sellschaft entnimmt Bischoff eine generelle Orientierung,

wie eine "positive" Wissenschaft von den geistigen Phäno­

menen zu verfahren habe: Sie hat durch den "systematischen

Nachvollzug" des gesellschaftlichen "Vermittlungsprozes­

ses" den "inneren Zusammenhang von Natur, Gesellschaft und

Denken,,20LI) darzustellen - eine in der Tat lohnende, wenn

aue hi er von Bi sc hof f zunäc hs t nur abs tr akt angedeu tete

theoretische Aufgabe für eine materialistische vIissen­

sehaft .

96

Zwei Fragen sollen deshalb im folgenden erörter werden. 205 )

\-Jas hieße in conoreto "Nachvollzug des Vermittlungspro­

zesses " von gesellschaftlicher Praxis und Denken? Welche

impliziten Aussagen über das gesellschaftliche ~)ein auf

der einen, das Bewußtsein auf der anderen Seite, sowie

über ihren inneren Zusammenhang können der von Bischoff

gegebenen Orientierung, den gesellschaftlichen "Vermitt­

lungsprozeß" beider fliomente nachzuvollziehen, entnommen

werden?

So unbestimmt zunächst die Aussage über ein Denken er­

scheint, das mit der gesellschaftlichen Praxis "vermit­

telt" ist, so läßt sie andererseits durchaus Rückschlüs­

se auf die nähere Bestimmung der beiden Pole sowie der

"Vermi ttlung" selbst zu. Dem Diktum vom "Vermi ttlungs­

prozeß" isi; über die Seite des Denkens zum einen zu eni;­

nehmen, daß es durch eine gesellschaftlj.che Praxis her­

vorgebracht wird, die ihrerseits selbst nicht auf wis­

senschaftlicher Erkenntnis und bewußter Planung beruht,

vielmehr erst post fesi;um mit Wissenschaft "vermittelt"

wird. Zum anderen ist mit "Vermittlung" ausgedrückt, daß

das Denken nicht im Sinne einer passiven Widerspiegelung

aufzufassen sei, sondern als von der gesellschaftlichen

Praxis hervorgebrachtes zugleich eine selbständige

intellektuelle Leistung darstellt. Über die Seite des ge­

sellschaftlichen Seins ist zu ersehen, daß es Resultat

einer unbegriffenen Praxis ist, die getrennt und unab­

hängig von Erkenntnis und bewußter Planung stattfindet.

Ihre nachträgliche "Vermittlung" mit Wissenschaft ist

identisch mit der affirmativen Festlegung

des Denkens auf eine ihm vorausgesetzte unbegrif-

fe n e Praxis.

Ein "systematischer Nachvollzug dieses Vermittlungspro­

zesses " von gesellschaftlichem Sein und ihm entsprechen­

dem Bewußtsein hätte also in concreto zweierlei zu lei­

sten: Methodisch ausgedrückt hätte er das Denken selbstän-

Page 49: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

97

dig zu untersuchen und anhand der dabei entdeckten Cha­

rakteristika seine notwendige "Vermittlung", seinen "in­

neren Zusammenhang" mi t der gesellschaftlichen Praxis

nachzuweisen. Umgekehrt hätte die ebenso selbständig

durchzuführende Analyse der gesellschaftlichen Praxis

"aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhäl tnissen ihre

verhimmel ten Formen zu entwickeln. ,,206) Dies bezeichnet

Marx als die "einzig materialistische und daher wissen­

schaftliche r~ethode. ,,207) Inhaltlich formuliert wiirde

der "systematische Nachvollzug dieses Vermittlungspro­

zesses" zum einen die Kritik der unbegriffe-

nen Praxis der bürgerlichen Gesellschaft beinhal-

ten. in der die Indj.viduen "im Prozeß ihrer Lebensrepro­

duktion bisher gesellschaftliche Verhaltnisse eingegan-

gen (sind), über die ihr Bewußtsein keine Kontrolle hatte.

Sie sind in Verhältnisse gesetzt, die ihr Bewußtsein be­

stimmen, ohne daß ihnen die Bestimmtheit bewußt würde.,,208)

Zum anderen wäre der "Nachvollzug dieses Vermittlungspro­

zesses" gleichbedeutend mit einer Kritik des not­

wen d i g fa 1 sc he n Be w u ß t sei n s in der bürger­

lichen Gesellschaft, das "alle Bestimmungen der spezifisch

historischen Form der Heproduktion als Naturverhaltnisse,,209)

auffaßt und in dem "die Ausdrücke der wirklichen Verhalt-. '11 . h Ch kt t ,,210) nisse mehr oder mlnder l usorlSC en ,ara er ragen.

Diese immanenten Konsequenzen, die aus seinem eigenen Aus­

gangspunkt z,u ziehen sind, teilt Bischoff jedoch nicht.

Obwohl Verweise auf die unbegriffenen "stummen Zwange der

ökonomischen VerhaI tnisse" in der bürgerlichen Gesell­

schaft einerseits, auf das diesen Verhaltnissen zugehö­

rige falsche Bewußtsein andererseits der Darstellung von

Bischoff - wie oben gesehen - durchaus zu entnehmen sind,

will Bischoff sein Diktum von der vermittelten Gebunden­

heit des Denkens an das gesellschaftliche Sein nicht

als spezifische Notwendigkeit der bürgerlichen Gesell-

schaft, sondern als allgemeines Gesetz j e der Gesell-·

98

schaft und j e des Denkens verstanden wj.ssen. Wo Harx

in der von Bischoff zitierten "Quintessenz" eine Gesell­

schaft kritisiert, die gleichsam wie Natur die Individuen

zwingt, sich ihren unbegriffenen Gesetzen zu unterwerfen,

und den Kapitalismus der "Vorgeschichte der menschlichen

Gesellschaft,,211) zurechnet, der durch bevrußte Hegie des

gesellschaftlichen Seins abzulösen sei, rekonstruiert Bi­

schoff die r4arxsche Kapitalismuskritik als erkennt­

ni s t h e 0 re t i s ehe s Pos tu 1 at .212) I-Iahrend arx

die verkehrten Gedanken, mit denen sich die Menschen auf

die Notwendigkei ten der kapi talistischen Klassengesell-

schaft einrichten, als Folge von tischer Not und In-

teressen darlegt und kritisiert21

entnimmt Bischoff

der Harxschen Aussage ein epistemologisches Gesetz der

Unselbständigkeit allen Denkens. Damit wird die arx­

sehe Kritik des notwendig falschen Bewußtseins ihres

sachlichen, auf die kapitalistische Gesellschaft bezo­

genen Gehalts entkleidet und in ein inhaltsleeres metho­

disches Postulat von der "Abhängigkeit,,21il) jed­

weden Denkens von der gesellschaftlichen Basis verwan--

deI t.

Bischoff rekonstruiert die [·larxsche Kapitalismuskritik als

eine generelle Methodologie einer Wissenschaft von den gei­

stigen Phanomenen:

"Das Verhältnis von Denken und Sein, von Ideenformation und materieller Praxis ist also in der materialistischen Gesichtsauffassung gerade umgekehrt als in der oben skiz-zierten Konzeption. Alle geistigen Vorstell , wie Bewußöseinsfermen, Illusionen, religiöse werden als Produkt des u~mlttelbaren Produkti ses des Lebens und damit der gesellschaftlichen ens-verhältnisse gefaflt."21S) "Die These, dafl'l'.le poli.ti­sehen, religiösen, philosophischen etc. Bevrußtseinsfor­men die naheren oder entfernteren Abkömmlinge der in ei ner gegebenen Gesellschaft herrschenden ökonomischen Verhältnisse sind, laßt sich also im Hinblick auf die Abhangigkeit des wissenschaftlichen Bewußtseins auch 0

ausdrücken: die Entwicklung der Wissenschaft hängt mi t der wirklichen der Gesellschaft zusammen und ist 1 etztlich nur oretische Ausdruck der real en Entwicklung." 216)

Page 50: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

99

Einmal abgesehen davon, daß Marx den gesellschaftlichen

Grund der geistigen Phänomene nicht im "unmittelbaren Pro-

duktionsprozeß des Leb e n s " nachgewiesen hat, son-

dern in seiner bestimmten historischen, eben kapitalisti­

schen Form, die ebenfalls nicht die Produktion des Lebens,

sondern die Reproduktion des Ka pi tal verhäl tnisses be-

inhaltet, sollen an dieser Stelle noch einmal ausführlich

die Implikationen und Konsequenzen der von Bischoff rekon­

struierten "dialektischen Methode,,217) erörtert werden.

Welche impliziten und expliziten Aussagen über das Verhält­

nis von gesellschaftlichem Sein und Bewußtsein, von ökono­

mischer Praxis und Theorie enthält eine Methode, die zu un-

tersuchende Bewußtseinsformen als "Ausdruck von ... ",

"Reflex von ... " oder "Produkt des unmittelbaren Produktions­

prozesses" begreift?

E r s t e n s unterstellt die methodische Vorgabe, die Wis-

sensehaft als "theoretischen Ausdruck" des unmittelbaren

Produktionsprozesses zu untersuchen, die erkennende Tätig­

keit des Wissenschaftlers, die sich in Theorien realisiert,

implizit als ein vom praktischen Umgang der Produzenten

mi t natürlichen und gesellschaftlichen Gegenständen u n-

t e r s chi e den e s Tun. Allerdings nimmt Bischoff die-

se implizite Unterscheidung nicht zum Anlaß, zunächst auch

explizit zwischen den realen ökonomischen Verhältnissen

und ihrem ideellen "theoretischen Ausdruck" zu unterschei­

den. Dies hieße, die gedanklichen Leistungen der vorfind­

lichen Wissenschaft selbständig zu analysieren. Die für

sich vorgenommene Untersuchung eines Denkens, das den

"Schein" beinhaltet, "als wären die Verhältnisse selbst

nur Konkretionen der Idee,,218) hätte an diesen seinen selb­

ständigen Bestimmungen seine Unselbständigkeit und Zugehö­

rigkeit zur bürgerlichen Gesellschaft nachzuweisen. Bi­

schoff hingegen identifiziert von vorneherein die vorfind-

liehe Wissenschaft damit, "nur der theoretische Aus-

druck der realen Entwicklung" zu sein. Daraus ergeben sich

100

eine inhal tliche und eine methodische Konsequenz: 1. Die

Unselbständigkeit des bürgerlichen Denkens - es

ist nichts als ein "Reflex", "Produkt" und "Ausdruck" der

materiellen Verhältnisse - wird zu seiner einzigen selb­

ständigen und es charakterisierenden Bestimmung erhoben.

2. Die Aussage über die Unselbständigkeit des bürgerlichen

Denkens kommt über den Status eines bloßen methodischen

Postulats nicht hinaus. Die Erkenntnisvorgabe der re-

konstruierten "dialektischen r-lethode", je schon die gei­

stigen Phänomene "als" der materiellen Basis verhaftet zu

betrachten, erachtet nämlich den Nachweis für obsolet,

inwiefern die bürgerlichen Geistesprodukte den ökonomischen

Verhältnissen verhaftet sind.

Zweitens enthält die von Bischoff rekonstruierte Denk-

anweisung implizit eine radikale Kr i ti k der vorfind-

lichen Wissenschaft. Die geistigen Phänomene und wissen­

schaftlichen Theoriegebäude als "Ausdruck" der materiellen

Praxis zu bestimmen, heißt nämlich de facto, daß sie einem

Denken geschuldet sind, das dem unbegriffenen "stummen

Zwang der ökonomischen Verhäl tnisse" verhaftet ist. Ei.n

solches Denken stellt einen Widerspruch zur Wissenschaft

dar. Denn wissenschaftliches Denken ist seinem Begriff nach

ne g a ti v e Stellung zur existenten Praxis. Ein Indivi­

duum, das sich erkennend zur Welt stellt, tritt zurück vom

gewohnten praktischen Umgang mit den natürlichen und ge­

sellschaftlichen Gegenständen und verhält sich explizit

kritisch gegenüber seinen bisherigen Gedanken, die sein ge­

wohntes Tun begleiten und leiten. 219 ) Der Entschluß zur

wissenschaftlichen ~eschäftigung mit der Welt ist eine

Quittung, die man dem bisherigen praktischen Handeln und

Denken ausstellt, sozusagen ein "Ausdruck" der eigenen Un­

zufriedenheit mit der Praxis. Für notwendig wird Wissen­

schaft befunden aufgrund der Probleme, die sich im prakti­

schen Umgang mit den Gegenständen in Natur und Gesellschaft

einstellen, wenn der Mensch diese entsprechend sei ne n

Page 51: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

101

Zwecken verändern will und dabei wegen der Unkenntnis Uber

der e n immanente Gesetze scheitert. So erfordert der

praktische, verändernde Umgang mit der Objektivität die

theoretische Erkenntnis der inneren Gesetze von Natur und

Gesel schaft. 220 ) Das erarbeitete Wissen um die objektiven

Gesetzmäßigkeiten ermöglicht es, die bisherige Praxis zu

kritisieren und den praktischen Umgang mit den natUrlichen

und gesellschaftlichen Gegenständen so einzurichten, das

er ihren Gesetzmäßigkeiten folgt und sie darUber zum Ma­

terial seiner Zwecke macht.

Wissenschaft ist also das Mittel bewußter Regie des un-

mittelbaren Produktionsprozesses - und nicht dessen be­

wußtloser ideeller "RefIex". Ist umgekehrt eine Wissen­

schaft als "theoretischer Ausdruck der realen Entwicklung"

zu bezeichnen, wird ihr damit ein vernichtendes Urteil aus­

gestell t: Anstatt Uber die inneren Gesetze der Praxis auf­

zuklären, bleibt sie den unbegriffenen praktischen Notwen­

digkeiten verhaftet. Die bUrgerlichen Theoriegebäude, die

in der Tat nur theoretische "AusdrUcke" der bestehenden

gesellschaftlichen Verhältnisse darstellen, sind die Pro­

dukte eines falschen Denkens, das die Einrichtungen der

bUrgerlichen Gesellschaft mit dem Schein der BegrUndetheit

und Naturnotwendigkeit versieht. Als Kritik der vorfind­

lichen Wissenschaft allerdings will Bischoff die von ihm

rekonstruierte "dialektische t1ethode" nicht verstanden

wissen. Ihm gilt vielmehr unterschiedslos als notwendige

Eigenschaft jeden Denkens schlechthin, "nur der theoreti­

sche Ausdruck der realen Entwicklung" zu sein.

D r i t t e n s. rht der methodischen Denkanweisung, a I I e

geistigen Phänomene als "Ausdruck", "Produkt" oder "Re­

flex" ihrer gesellschaftlichen Bedingungen zu bestimmen,

geht die Unterscheidung und der Gegensatz verloren zwischen

der bürgerlichen Wissenschaft auf der einen und dem wis­

senschaftlichen Sozialismus auf der anderen Seite, zwischen

einem Denken, das den bestehenden Verhältnissen verhaftet

102

bleibt und einer Wissenschaft, die auf unverstellte Er­

kenntnis der Gesellschaft drängt. Obwohl auch Bischoff

einerseits unter Berufung auf Marx vom notwendig falschen

Bewußtsein der Individuen in der bUrgerlichen Gesell­

schaft, von der "notwendigen VerkehrUng,,221) spricht, re-

lativiert er doch andererseits die Benennung der Falsch-

heit durch die Verabsolutierung der Notwendigkeit des

bUrgerlichen Bewußtseins. Als unselbständiger und abhän­

giger "Ausdruck" des "sozialen Lebensprozesses" werden

bUrgerliche Theorie und materialistische Wissenschaft so-

gar explizit einander "gleiChgestellt".222) Die Beurtei-

lung wissenschaftlicher Theorien wird in der von Bischoff

rekonstruierten "dialektischen Methode" unter ein neues

Kriterium gestellt: Über ihre GUltigkeit entscheidet nicht

mehr die Frage, ob sie "wirkliche, positive Wü;senschaft,,2~)J) ist, weil sie Kenntnis über die immanenten Bestimmungen

und inneren Gesetze ihres Gegenstandes besitzt. Die Be­

urteilung der GUltigkeit eines Theoriegebäudes ist ersetzt

durch die Begutachtung, ob es dem historischen Stand der

realen Entwicklung angemessen ist. Die Geltung, die

eine Theorie beanspruchen darf, beruht nicht mehr auf dem

s~chlichen Gehalt und der logischen Stimmigkei ihrer Ur­

teile und Argumente, sondern auf dem Verhältni zu dem

Entwicklungsstand des "sozialen Lebensprozesses". Der von

Bischoff rekonstruierte "wissenschaftliche Soz alismus

räumt grUndU.ch auf mit dem Wahrheitsbegriff bisheriger

Wissenschaft,,224), indem er die Idee einer re I at i v e n

weil sozial bedingten Gültigkeit wissenschaftlicher Theo­

rie als "dialektische r,lethode" verankert - allerdings um

den Preis, die "Vlahrheit" der l~arxschen Theorie von dem

sachlichen Gehalt ihrer Kapitalismusanalyse getrennt zu

haben.

~1it der Etablierung der "Ableitung der eigenen Genesis aus

dem sozialen Lebensprozeß,,22S) als dem l'laßstab der Gel tung,

die eine Theorie beanspruchen darf, sind die folgenden

Page 52: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

103

immanenten Konsequenzen verbunden: Zum einen beinhaltet

das von Bischoff konstruierte genetische Ableitungsverfah­

ren die pauschale Re c h t f e r t i gun g der bürgerli

ehen Theorien, denen als historisch notwendigen theoreti­

schen Ausdrücken der realen Entwicklung Geltung zuerkannt

werden muß. Zum anderen schließt es die ebenso pauschale

Kritik der bürgerlichen Thecriegeb~ude als historisch

überlebte ideelle Ausdrücke ein. Beide Konsequenzen fin­

den sich in der programmatischen Aussage Bischoffs zur

"Genesis der theoretischen Abstraktionen,,226):

"In der folgenden Darstellung ist schliefllich heraus­zuarbeiten, daß die dem wissenschaftlichen Sozialismus vorhergehenden theoretischen Anschauungsweisen die Struk­tur der bürgerlichen Gesellschaft nur unzureichend er­fassen, daß sie aber bis zu einer bestimmten Entwicklungs­stufe der bürgerlichen Produktionsweise notwendige theo­retische Reflexe dieser bestimmten gesellschaftlichen Verh~l tnisse sind." ;227)

Bedingte Affirmation und ebenso bedingte Ablehnung der bür­

gerlichen Theoriegeb~ude fassen sich im unbedingten Selbst-

bewußtsein der methodischen Übe r 1 e gen h e i t des rc-

konstruierten wissenschaftlichen Sozialismus zusammen, als

ad~quater "theoretischer Ausdruck" auf der Höhe der realen

gesel schaftlichen Entwicklung zu sein.

b) Die /·larxsche Theorie als der ad~quate "Ausdruck" der

gesellschaftlichen Praxis

In der Interpretation der Marxschen Theorie als "höchste

Form des Denkens,,228) trifft sich Bischoff mit der schon

behandelten Marxrezeption durch Reichelt. Beide sehen ge­

trennt von ihrem materialen Inhalt die Überlegenheit der

I1arxschen "Kritik der politischen Ökonomie" über die dem

"Fetischismus,,229) der bürgerlichen Gesellschaft verhaf­

tete "metaphysische Denkweise,,230) durch die dialektische

1I1ethode garantiert. Diese wird bei Reichelt als "Entfal-

tung eines marxistischen Totali t~tsbegriffs, den vlir al , ·f ,,231) t .)-

Totalit~t der entfremdeten Formen begrel en en Wl,-

kelt, bei Bischoff als ein genetisches Ableitungsverfah­

ren konstruiert, um "aus der Struktur der bürgerlichen

Gesellschaft die Bedingungen für die positive Wissenschaft

anzugeben".23 2 ) Die Differenz und der immanente Fortschritt

der Arbeit von Bischoff gegenüber den Beitr~gen von Rei

chelt besteht darin, daß Bischoff sich nicht darauf be­

schr~nkt, aus der r~arxschen Theorie ein Verfahren zur De­

chiffrierung der bürgerlichen Bewußtseinsformen als ideelle

Ausdrücke der gesellschaftlichen Verh~ltnisse zu eytrapo­

lieren. Er wendet dieses aus der I1arxschen Theorie rekon­

struierte methodische Verfahren auf die l1arxsche "Kritik

der politischen Ökonomie" selbst wiederum an und dechiff-

l' i er t sie al s TI 0 t wen d i gen un d h ö c h sen "A u s­

druck" der ökonomischen Verh~l tnisse der kapi. talistischen

Gesellschaft:

"Wird die These von der Bestimmtheit alles iJenkens durch den Prozeß der gesellschaftlichen Anei der Natur dagegen auf die Genesis dieser theoretisc Abstrak-tion selbst noch angewandt, erscheint die Ausarbeltung des wissenschaftlichen Sozialismus nicht mehr als zu-f~llige Entdeckung eines alen Kopfes, sondern. als notwendiger theoretischer ex der bestimmten okono-mischen Verh~ltnisse." 233)

Zum einen handelt es sich bei dieser "Anwendung" der dia­

lektischen Methode auf die l,jarxsche Theorie selbst um die

konsequente Fortführung des von Bischoff rekonstruierten

h ,,234). d 11 Ph~no generellen "Begründungszusammen angs 1 ee er ' -

mene: Wenn die Bestimmung einer Theorie als "Ausdruck"

gesellschaftlicher ~erh~ltnisse nicht als Kritik einer un­

begriffenen gesellschaftlichen Zwängen verhafteten Wissen-­

schaft, sondern als universelle Notwendigkei tal I e n

Denkens verstanden wird, dann ist es nur konsequent, auch

die Marxsche Theorie als "theoretischen Ausdruck" der öko­

nomischen Verh~ltnisse zu begreifen. Auf der anderen Seite

beinhaltet die scheinbar logische Fortsetzung des Gedan-

Page 53: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

kens zugleich einen unmittelbaren Widerspruch: In bezug

auf die bürgerlichen Bewußtseinsformen hieß deren Bestim­

mung als ideelle Produkte und Ausdrücke der sozialen Le­

bensbedingungen zugleich, "daß die bewußten Ausdrücke der

wirklichen Verhältnisse mehr oder minder i 1 ly s 0 r i -

sc he n Charakter tragen. ,,235) In bezug auf die Marx­

sehe Theorie soll jetzt ihre Qualität als "theoretischer

Reflex der bestimmten ökonomischen Verhältnisse" der kapi­

talistischen Produktionsweise das strikte Gegenteil ver­

bürgen, nämlich 0 b j e k ti v e "positive Wissenschaft"

zu sein. Der wissenschaftliche Sozialismus soll gerade die

ideclogische Befangenheit in den bürgerlichen Verhältnis­

sen verlieren, weil und insofern er ein "ideeller Reflex"

der ökonomischen Bedingungen ist - die doch bislang für

den ideologischen Charakter der bürgerlichen Theoriege­

bäude verantwortlich zeichneten.

Eine Frage bleibt noch zu erörtern: Was ist der Ertrag die­

ser unmittelbar widersprüchlichen Bestimmung der Marxschen

Theorie? Die Antwort ist der zusammenfassenden Charakteri­

sierung des wissenschaftlichen Sozialismus durch Bischoff

zu entnehmen:

"Der wissenschaftliche Sozialismus ist Ausdruck und Produkt einer wirklichen Bewegung. Die wissenschaftliche Kritik der bürgerlichen Gesellschaft ist keineswegs das Resultat einer Anwendung eines bestimmten theoretischen Prinzips oder einer bestimmten Methode. Sozialistische und kommunistische Anschauungen sind der theoretische Ausdruck der praktischen Bewegung, und zwar ist dieser Ausdruck mehr oder minder utopisch und doktrinär, je nachdem, ob er einer weniger oder mehr entwickelten Phase der wirklichen BewegunG anGehört." 236)

Das Verfahren, die r,larxsche "Kritik der politischen Ökono­

mie" als "Ausdruck", "Produkt" oder "Reflex" der ökonomi­

schen Verhältnisse beZiehunGsweise der in ihnen stattfin­

denden praktischen BewegunG zu interpretieren, ist einem

vorwissenschaftlichen Interesse geschuldet. Damit soll ei

ne Garantie der theoretischen GültiGkeit und kriti-

sehen Wirksamkeit des wissenschaftlichen Sozialismus jen

seits und unabhängig von sachlichem Gehalt und logischer

Stimmigkeit seiner wissenschaftlichen Urteile und Argu­

mente gefunden sein. Die Auffassung von Marx, daß die

theoretische DarstellunG des Kapitalismus zugleich seine

begründete Kritik ist -

"Die Arbeit ... ist zugleich Darstellung des Systems ("der bürgerlichen Ökonomie", d. Verf.) und durch dle Darstellung Kritik desselben." 237)

gilt Bischoff als unzureichend. 238 ) Er erachtet es für un­

abdingbar, die Begründung der Kritik aus der begrifflichen

Darstellung der kapitalistischen Gesellschaft durch eine

Extra-Begründung aus der Sphäre der ökonomischen und poli­

tischen Praxis zu ergänzen. Damit wird von Bischoff - wie

auch schon bei Offe ZU sehen - der pr akt i s c he Er­

f 01 g einer poli tischen Bewegung zum Maßstab der der 1<1arxschen Theo-theoretischen GültiGkeit

rie erklärt.

Die Identifikation der theoretischen Geltung des wissen­

schaftlichen Sozialismus mit der erfolgreichen praktisch

politischen Durchsetzung einer kommunistischen BeweGung,

die sich wissenschaftliche beGründet, hat folgenschwere

Konsequenzen: Auf der einen Sei te wj.rd dami t das prakti­

sche Erfolgskriterium der als Ideologie kritisierten bür­

gerlichen Sozialwissenschaften übernommen, denenowissen-" m ." 1 t 23 --,) -

schaftliehe Urteile al graue lheorle ge_ en , so

lange sie nicht die gesellschaftlichen "Fakten" auf :Lhrer

Sei te haben. Aus einer ursprünglich ge gen die etablier­

ten Geistes- und Sozialwissenschaften gerichteten Rekon­

struktion der arxschen Theorie wird ein Konkurrenzverhäl.t­

nis von Reichelt, Offe, Bischoff und anderen mi t der

"bürgerlichen" Wissenschaft, welche Theorierichtung über

den adäquaten "theoretischen Ausdruck" der bestehenden Pra-

xis verfügt.

Page 54: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

107

Dami t ist auf der anderen Sei te der Umschlag der Gel tung

der Marxschen Theorie in die Infragestellung ih­

rer theoretischen Gültigkeit immer schon in nuce ange­

legt. Die methodische Vorgabe des praktischen Erfolgs ei­

ner politischen Bewegung als Instanz der wissenschaftli­

chen Gültigkeit der theoretischen Kapitalismuskritik

zieht im Falle des praktischen Mißerfolgs die prinzipiel­

le Skepsis nach sich, ob die Marxsche Theorie nicht ein

inadäquater und unzei tgemäßer "Ausdruck" der wirklichen

Verhältnisse sei.

108

Exkurs: Sein & Bewußtsein im wissenschaftlichen Sozialismus

Joachim Bischoff rekonstruiert diel<larxsche Theorie als

Methodologie des Verhältnisses von Sein und Bewußtsein.

Die Anweisung, das Bewußtsein als "Ausdruck" des gesell-··

schaftlichen Seins zu untersuchen, gilt Bischoff dabei

als das "eindeutige Erkennungsmerkmal ,,240) der materia­

listischen Methode:

"Das Verhäl tnis von Denken und Sein, von I deenforma­tion und materieller Praxis ist also in der materiali­stischen Geschichtsauffassung gerade umgekehrt als in der oben skizzierten Konzeption. Alle geistigen Vor­stellungen, wie Bewußtseinsformen, Illusj.onen, reli­giöse Auffassungen werden als Produkt des unmittelba­ren Produktionsprozesses des Lebens und damit der sellschaftlichen Lebensverhältnisse gefaßt. I Diese e­schichtsauffassung beruht also darauf, den wirklichen Produktionsprozeß, und zwar von der materiellen Produk­tion des unmittelbaren J,ebens ausgehend, zu entwickeln und die mit dieser Produktionsweise zusammenhängende und von ihr erzeugte Verkehrsform .,. wi die sämtli­chen theoretischen Erzeugnisse und Formen des Bewußt­seins, Religion, Philosophie, ~loral etc. etc. aus i.hr zu erklären und ihren Entstehungsprozeß aus ihnen zu verfolgen, wo dann natürlich auch die Sache in ihrer Totalität (und darum auch die Wechselwirkung dieser verschiedenen Seiten aufeinander) dargestellt werden kann. '" 241)

Die von Bischoff rekonstruierte methodologische Maxime,

geistige Vorstellungen als Produkte der materiellen Pra­

xis zu betrachten, kann sich durchaus zu Recht - wie in

obigem Zitat geschehen - auf die von Marx und Engels in

der "Deutschen Ideologie" vertretene materialistische Ge­

schichtsauffassung stützen. Solche Be ruf u n g auf

di e A u tor i t ä t der Klassiker des wissenschaftlichen

Sozialismus ersetzt hier allerdings einen unvoreingenom­

menen Nachvollzug der in dieser "Frühschrift" niederge­

legten Argumente. Aus diesem Grunde sollen im folgenden

die in der "Deutschen Ideologie" getätigten Aussagen zum

Verhäl tnis von Sein und Bewußtsein auf ihren tatsächlichen

Erkenntnisgehalt hin überprüft werden.

Page 55: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

109

Die von Marx und Engels als Streitschrift gegen die jung­

hegelianische Philosophie abgefaßte "Deutsche Ideologie"

konterkariert die von den Junghegelianern praktizierte phi­

losophische Geschichtsdeutung:

"Die Produktion der Ideen, Vorstellungen des Bewußt­seins ist zunächst unmittelbar verflocht~n in die ma­terielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Men­schen, Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen Denken, der geistige Verkehr der r'lenschen erscheinen' hler noch als direkter Ausfluß ihres materiellen Ver­haltens. Von der geistigen Produktion, wie sie in der Sprache ~er Politik, der Gesetze, der r~oral, der Re­Ilglon, Letaphyslk usw. elnes Volkes sich darstellt, ~ll t dasselbe ... Ganz im Gegensatz zur deutsche:~ Phi­losophle, welche v~m Himmel auf die Erde herabstei.gt, wlrd hler von der Erde zum Himmel gestiegen." 2 Lj2)

Als erstes fällt auf, daß Marx und Engels hier sehr metho­

disch argumentieren, d. h. sie verbreiten weniger materia­

le Erkenntnis über das Verhältnis von gesellschaftlichem

Sein und Bewußtsein denn allgemeine Grundsätze seiner po­

tentiellen Erkenntnis. Behauptet die deutsche Philosophie,

daß sich der "Geist" die ihm zugehörige Welt kreiert, so

produziert bei r'larx und Engels umgekehrt die "materielle

Tätigkei t" das ihr eigene Bewußtsein. Untauglich zur Wider­

legung der junghegelianischen "Ideologie" ist diese "Be-tr h+ . ,,243). f ac oungswelse lnsoern, als die Begründer des ~jate-

rialismus in Opposition gegen eine falsche Bedingungs- und

Wirkungslogik einfach deren Umkehrung als methodologische

Maxime postulieren. So berechtigt einersei ts das von Marx

und Engels verfolgte Anliegen ist, gegenüber einer ideali­

stischen Anschauung, derzufolge sich sämtliche Umwälzun­

gen und Revolutionen "im reinen Gedanken zugetragen ha-

b ,,244) ..

en , zu betonen, daß der ideologische Uberbau in den

Produktionsverhältnissen als seine gesellschaftliche Ba­

sis gründet, so wenig ist andererseits mit der schieren

Behauptung des Bewußtsein als "ein gesellschaftliches Pd' t,,2 45) . 1'0 ·UK gewonnen, wenn nlcht zugleich an den je be-

stimmten Belorußsteinsinhalten der Nachweis geführt i t,

wi e sie durch die gesellschaftlichen Umstände bestimmt

sin .

11 0

Mit der Charakterisierung von Bewußtseinsinhalten als

"S u bl i m at e" der materi.el1.en Praxis :Lst ,iedenfalls

weder eine hinreichende Kritik der "deutschen deologie"

geleistet 246 ) noch eine zutreffende Darstellung des Ver­

hältnisses von gesellschaftlichem Sein und notwendig fal

schern Bewußtsein in der bürgerlichen Gesellschaft:

"Auch die Nebelbildungen im Gehirn der Menschen sind notwendige Sublimate ihres materi.ellen, empirisch kon-statierbaren und an materielle Voraussetzun geknüpf-ten Lebensprozesses ." 2 LO)

Marx und Engels verwandeln in dieser Aussage d}.e theore­

tische Anpassung an praktische Zwänge, wie sie al gesell

schaftliche Notwendigkeit für dic Individuen innerhalb der

kapi talistischen Produktionsweise hervorgerufen wird, un­

ter vollkommener Absehung von ihren Voraussetzungen in ei­

ne epistemologische Notwendigkej.t dei; Bewui3tse~i.ns übe r·-

haupt. Ganz sc, al lief3e der Hmaterielle Lebenspro-

zeß" den Individuen keine andere öglichkei

wußtsein voller "Nebelbildungen"; ganz so,

sein Be-

wUrde der

"materielle Lebensprozeß" den Gese11schaft:;mitgliedern

unausweichlich vorschreiben, welches Be\'iuStscin i:her ihn

man alleine haben könne, identifizieren rfrarx ldlO }~~geJ.s

hier Bewußtsein mi t l' als ehe m Bewußtsein. ihren

eigenen Aussagen, die sie ja gegenüber den Ideen der t-

sehen Philosophie als \oJahrheit behaupten, hätte hnen ei

gentlieh der vliderspruch auffallen müssen, di "Nebelbil-

dungen" des bürgerlichen Denkens als unverme:Ldliche Hir-

kungen der ge seI 1 sc ha f tl ich e n Natur des Denken"

sc hl ec hthin au fzu f as s en :

"VJenn in der ganzen Ideologie die 11enschen und ihre Ver­hältnisse wie in einer Carnera obscura auf den Kopf ge­stellt erscheinen, so geht dies Phänomen ebensosehr aus ihrem historischen Lebensprozeß hervor, wie die Umdre­hung der Gegenstände aus ihrem unmittelbar physischen."

248)

Page 56: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

111

Der von Marx und Engels gewählte Vergleich mit der Natur­

gesetzmäßigkeit der \Viderspiegelung physischer Gegenstände

in einer Camera obscura ist ein Bild, welches die Bestim­

mungen des bürgerlichen Bewußtseins sowie seinen gesell

schaftlichen Grund mehr verrätseIt, statt sie begreifen

zu helfen. Denn das Bewußtsein von einem Gegenstand - ob

aus dem Bereich der natürlichen oder gesellschaftlichen

Welt ist hierbei gleichgültig - ist erstens ein Reflexions-

eI' tni.s, i.n welchem ein bev:ußtes Subjekt sich ven einem

Objekt (das es identifiziert) unterscheidet - und keine

quasi bewußtlose Wirkung eines Objekts. Und zweitens sind

die ideologischen Vorstellungen des bürgerlichen Bewußt­

sei~,s, mittels derer die Individuen ihre Unterordnung un­

ter und Versö]mung mi t den Zwangsverhältnissen der kapi ta­

listischen KonkuI're~1Z bewerkstelligen, mit Vokabeln wie

"Sublimat", "Produkt" oder "ideeller Ausdruck,,249) gerade

nicht begriffen. Bei der Festlegung des Bewußtseins über

die kapitalistische lVirklichkeit durch eben diese lVirklich­

kei kann es sich nicht um eine Notwendigkeit im Sinne ei­

nes epistemologischen Determinismus handeln; denn dagegen

ist die Exi tenz der von Marx ausgearbeiteten Kapitalis­

muskritik noch immer das eindeutigste Indiz. Und ebenso

handelt es sich bei. Ideologien nicht um eine Notwendig­

keit des "hi.storischen 1ebensprozesses" schlechthin, son­

dern um Gedanken, mit denen sich die Menschen auf die

praktischen Notwendigkeiten der Klassengesellschaft ein­

richten, also um eine Folge kapitalistisch festgelegter

Interessen.

Marx und Engels scheinen seinerzeit allerdings auch weni­

ger eine ausführliche Analyse des notwendig falschen Be­

wußtseins in der kapitalistischen Gesellschaft bezweckt zu

haben, denn den Nachweis der Unselbständigkeit

allen Denkens:

112

"Die ~loraJ., HeU. hysik und sonstige Ideologie un d di e i. hn en Bewußts eins orncn b ehal ten hiermit nicht länger den Schein der Selbstän~igkei_, Sie haben keine Geschichte, sie haben kel~e~ntwlch~ung, sondern die ihre materielle Produktion und 1hren mate~lel­len Verkehr entwickelnden Menschen ändern mlt ~lese~ 1h­rer Wirklichkeit auch ihr Denken und dle ProduKte ln-res Denkens. Nicht das Bewußtsein beshmmt das Leben, sondern das loeben bestimmt das BeviUßtsein." 250)

Dementsprechend gilt den Autoren der "Deutschen Ideologie"

die Abschaffung der bestehenden materiellen Verhältnisse,

die den Individuen unvermeidlich "Nebel" in die Köpfe bla­

sen, als identisch mit der Widerlegung des falschen Be-

wußtseins:

"Die wirkliche, praktische Auflösung dieser Phrasen, ,die Besei tigung dieser Vorstel aus dem Bewußtseln d~:: r'~enschen wird, wie [ochon ges durch veranderte Umst,m~ de, nicht durch theoretische tionen bewerkstelllgt.

251)

Die zutreffende Aussage, daß dem falschen Bev:ußtsein der

bürgerlichen Gesellschaft durch deren Revolutionierung die

Basis entzogen wird, so daß seine Notwendigkeit entfällt,

trägt sich hier bei den Begründern des wissenschaftlichen

Sozialismus jedoch zugl eich als grundlose Sicherhei t dar­

über vor, daß diese Veränderung der Umstände über kurz oder

lang stattfinden wird. Und aus der Kritik der idealisti­

schen deutschen Philosophie, die ihre Interpretationen der

Welt mit dem Anschein ihrer Veränderung versahen, ist hier

unterderhand ein Gegensatz geworden zur Erkenntnis der "Um­

stände", die zu ihrer Veränderung doch nicht überflüssig

sein kann. Zur Zeit der Abfassung der "Deutschen Ideologie"

hingen Marx und Engels offensichtlich noch dem trügerischen

historischen Optimi'smus an, daß ganz jenseits der von ilmen . h "Ph " beständig angestrengten Kritik der ideolog1sc en rasen

die Geschichte selbst durch veränderte Umstände das fal­

sche Bewußtsein der bürgerlichen Gesellschaft praktisch auf­

lösen wUrde. Die Arbeiterklasse jedenfalls glaubten sie

ohnehin schon desillusioniert durch die wirkliche Bewegung:

Page 57: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

113

"Für die Masse der Menschen, d. h. das Proletariat, existieren diese theoretischen Vorstellungen nicht, brauchen also für sie auch nicht aufgelöst zu werden, und wenn diese Masse je einige theoretische Vorstel­lungen, z. B. Religion hatte, so sind diese jetzt schon längst durch die Umstände aufgelöst." 252)

Kein Wunder also, daß Marx und Engels später ~icht bereu­

ten, "das M anuskrip t der nagenden Kri tik der Mäus e" 25 3)

überlassen zu haben. Im "Kapital" jedenfalls beging Marx

nicht mehr den Fehler, die unvermeidliche "Auflösung" der

Religion zu prognostizieren, Er weist darin nicht nur den

Protestantismus als die dem Kapitalismus adäquate Reli­

gionsform nach, die mit seiner Entwicklung ihren Auf­

schwung nimmt, anstatt ihrem Untergang geweiht zu sein:

"Für eine Gesellschaft von Warenproduzenten, deren all­gemein gesellschaftliches Produktionsverhältnis darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waren, also als Werten, zu verhalten und in dieser sachlichen Form ih­rer Privatarbeiten aufeinander zu beziehen als gleiche menschliche Arbeit, ist das Christentum mit seinem Kul­tus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bür­gerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus usw., die entsprechendste Religionsform. " 254)

Er überwindet auch den Mangel solch abstrakter Formulierun­

gen wie der jenigen vom Bewußtsein als 'gesellschaftliches

Produkt', indem er di e notwendig fa 1 s c he n Bewußt-

seins i n haI t e

abI ei tet:

aus den Z w ä n gen des Kap i tal s

"Man begreift daher die entscheidende Wichtigkei t der Verwandlung von Wert und Preis der Arbei tskraft in die Form des Arbeitslohns oder in Wert und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und grade sein Gegenteil zeigt, beruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle ~lystifikationen der kapitalisti­schen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie." 255)

Aus diesem Grunde ist es kein Zufall, daß sich Arbeiten,

welche bestrebt sind, die [·larxsche Theorie als eine gene­

relle Methodologie von den geistigen Phänomenen zu rekon­

struieren, dabei weniger auf die "Kritik der politischen

114

Id 1 ' " sowie die zahl-Ökonomie" denn auf die "Deutsche eo ogle

reichen Äußerungen von Engels stützen. So bestimmt Engels

fast durchgängig das Bewußtsein als "histor)isches Pro-

25 6) . k,,257 d als "Ge-dukt" , als "theoretischen AusClruc c er

k fl ,,258) der ökonomischen Gegensätze. Selbst der dan enre ex wissenschaftliche Sozialismus, seinem Inhalt nach Kritik

sämtlicher falscher Auffassungen über Ökonomie und Staat

der bürgerlichen Gesellschaft, gilt ihm als ureigenste ,

Wirkung der kapitalistischen Gegensätze - ganz ebenso, wIe

die kritisierten Ideologien eine Wirkung derselben sind:

, 't 'cht e ~s der Ge-"Der moderne Sozialismus lSt wel er nl , ". ". , dankenreflex dieses tatsächlich~n Konfll~ts~ts~~~eKlas_ ideelle Rückspiegelung ln den Kop~en ~u~ac~~rklasse." 259) se, die direkt unter lhm leldet, er r el

, 't 'st daß der wissenschaftliche So-So richtig es elnersel s 1 ,

"tat"a"chll' ehen Konflikte" zum egenstand hat zialismus die -

Wenig ist andererseits die Leistung z. B. und erklärt, :30

1 de r POIl' tl' schen Ökonomie" gefaßt, wenn man sie der "Kri ti ( -, "d als "Reflex" oder "ideelle Rück-al s "ni c hts wel t er enn

, " 't 260) Solche von Engels vorgenommene splegelung bestlmm , , , Selbstcharakterisierung des vJissenschaftlichen Sozlallsmus

au ßerwissensehaftlichen Interesse: Sie entspringt einem b eabsi c hti gt di e S e1 bs tv ers i c herung der pr akti sc hen Wir~-

. 'd 'die Kritik der bur-samkeit der eigenen Theorle, In em Sle Verhäl tnisse als deren ureigenstes vlerk und als

der kapi talisti-gerlichen unabweisbare geschichtliche Notwendigkeit

schen Verhältnisse imaginiert.

Page 58: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

115

4. Die notwendigen Konsequenzen der Rekonstruktion des

Marxismus als Methode

Abschließend sollen noch einmal die gemeinsamen Grundlinien

zusammengefaßt werden, die sich aus der Analyse der ver­

schiedenen Arbeiten von Reichelt, Offe und Bischoff her­

auskristallj.siert haben.

1. Die Projekte zur Rekonstruktion der Marxschen Theorie

stützen sich zwar allesamt auf die "Kritik der politischen

Ökonomie" als ihre Berufungsinstanz, verfolgen aber ein

von ihr durchaus unterschiedenes Anliegen. Wenn Reichelt

,die I4arxsche Theorie als "Entfaltung eines marxistischen

Totalitätsbegriffs, den wir als Totalität der entfremdeten

F b . f ,,261 ) t· k 1 ormen egrel en, en WlC e t, wenn Offe die r~arxsche

Kapi tal i smuskri tik al s "Logik ein es En twi ckl ungs mus ters" 262)

entwirft und in die "Sprechweise,,263) systemtheoretischer

Konz ep te üb ers etz t, wenn Bi sc hof f un ter Berufung au f r~ arx

ein genetisches Ableitungsverfahren konzipiert, um "aus der

Struktur der bürgerlichen Gesellschaft die Bedingungen für

die positive Wissenschaft anzugeben,,264), - dann konstruie­

ren sie unter dem Signum der "Rekonstruktion" die Marxsche

Theorie neu. Die "neue Auseinandersetzung mit dem r~arx­

schen Herk,,265) besteht in dem Projekt, aus den inhaltlichen

Analysen der "Kritik der politischen Ökonomie" eine dauer­

hafte dialektische Met ho d e zu isolieren, die getrennt

von den materialen Aussagen als Garant der Überlegenheit

materialistischer Gesellschaftstheorie fungieren soll. Die

Rek ons trukti on der ~larxs c hen The ori e als Methode schI i eßt

dabei von Anfang an die Distanz zu und Kritik an den von

Marx im "Kapital" niedergelegten sachlichen Urteilen über

die ökonomischen Zwangsgesetze der kapitalistischen Pro­

duktionsweise ein. 266)

2. "Rekonstruktion" der "Kritik der politischen Ökonomie"

ist der Titel einer theoretischen Herausforderung, die von

Marx dargestellten Resultate materialer Erkenntnis in me-

! [ f !

I I

116

thodologische Grundsätze zukünftiger Erkenntnis zu verwan­

deln. Das von Reichelt, Offe und Bischoff auf unterschied­

liche Weise durchgeführte Projekt, 'aus der Darstellung der

ökonomischen Sache eine 14ethode ihrer Darstellung abzuson­

dern und si e al s' univers eIl e Vorb edingung - al s "einz i g

möglichen Einstieg in die theoretische Verarbeitung der

gesamten bürgerlichen Gesellschaft,,267), als "Rahmen für

die funktionale Analyse historischer Transformationen in­

nerhalb kapitalistischer Systeme,,268) oder als methodische

Angabe der "Bedingungen für die positive Ihssenschaft,,269)

- für die Analyse und Darstellung kapitalistischer Reali­

tät zu konstruieren, zieht zwei unmittelbare Konsequenzen

nach sich: Zum einen werden die von r~arx im "Kapi tal" nie­

dergelegten materialen Urteile über die Zwecke, Bestim­

mungen und Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Gegen­

stände in bloße Hy pot he sen verwandelt. Die sachli­

chen Aussagen über so harte ökonomische Tatsachen wie Wa­

re und Geld, Kapital und Lohnarbeit werden zunächst in

bloße "Abstraktionen" und "reine Begriffe" verflüchtigt,

die selbst noch nicht wirkliche Erkenntnis darstellen, son­

dern nur "AnWeiSUngscharakter,,270) für zukünftige Erkennt­

nis besi tzen. Zum anderen muß der so konstruierten dialek­

tischen 14ethode jeder in dem sachlichen Wissen über die Ge­

genstände liegende Anhaltspunkt verlorengehen. Die ursprüng­

liche Behauptung, die Marxsche Verfahrensweise sei eine

"unendlich fruchtbare Methode,,271), wird notwendig ergänzt

durch die skeptische Frage nach ihrer tatsächlichen "E i g­

nung für die Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus".272)

3. Das unmittelbar€ Ergebnis der von Rosdolsky, Reichelt,

Offe und Bischoff durchgeführten Arbeiten zur Rekonstruk-

tion der Marxschen Theorie sind neue Pro b 1 e m e - und

zwar keine praktischer Natur, die sich aus dem Anliegen er­

geben hätten, die wiederangeeignete Marxsche Kapitalismus­

kritik jetzt politisch wirksam werden zu lassen. Die Schwie­

rigkeiten sind methodologischer Art, nicht solche mit der

Page 59: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

117

kapi talistischen Realität der Bundesrepublik zu Beginn der

70er Jahre, sondern solche mit der Marxschen Theorie. Die

neue Auseinandersetzung mi t der "Kritik der poli tischen

Ökonomie" sieht sich mit einer erneuten theoretischen Her­

ausforderung konfronti ert: einersei ts gilt es, den Reali­

tätsgehal t der Marxschen Begriffe und Abstrakti onen erst

noch zu beweisen, andererseits die postulierte Eignung der

materialistischen Methode definitiv zu bestätigen:

"Im Grunde hat Marx nur einen geringen Teil realisiert, die Darstellung der Anatomie dieser bürgerlichen Ge­sellschaft, aber auch hier ist er nicht bis zur 'wirkli ehen Darstellung' durchgedrungen, der genauen Entwick­lung der 'wirklichen Konkurrenz', sondern hat fast aus­schließlich den 'allgemeinen Begriff des Kapitals' ent­faltet, also selbst noch einmal eine Art Anweisung zum Studium des wirklichen Kapitalismus in seinen verschie­denen nationalen Ausprägungen." 273)

I\1arx selbst ging davon aus, mit dem "Kapital" die entschei­

denden wissenschaftlichen Fragen der politischen Ökonomie

beantwortet zu haben und damit über die unerläßlichen Ein­

sichten für eine theoretisch begründete pr akt i s ehe

Kr i i k der kapi talistischen Gesellschaft zu verfügen. 274)

Er bezeichnete das "Kapital" als das "sicher furchtbarste

missile, das den Bürgern (Grundeigentümern eingeschlossen)

noch an den Kopf geschleudert worden ist. ,,275) Bei Reprä­

sentanten der bundesdeutschen Rekonstruktion des wissen­

schaftlichen Sozialismus wie Rosdolsky, Reichelt, Offe,

Bischoff u. a. wird aus der 1~arxschen "Kritik der politi­

schen Ökonomie" ein Gegenstand fortgesetzter met h 0 d 0-

I 0 i s ehe r SeI b s t b e s c h ä f t i gun g. Es wi r d fü r

notwendig befunden, die Rekonstruktion der r·\arxschen Theo­

rie als Methode um ein von Altvater u. a. dann als "Real­

analyse" bezeichnetes "Studium des wirklichen Kapitalis-

mus" zu ergänzen. Dadurch erst soll es möglich werden,

"wirkliches" Wissen über den gegenwärtigen Kapitalismus zu

gewinnen und damit zugleich d:Le überlegene "Eignung" der

aus dem "Kapital" extrapolierten ?:larxschen [0ethode "für die

Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus,,276) zu verihzie-

118

ren. Die im folgenden zu behandelnden Arbei ten zur "Real­

analyse" und "Krisentheorie" haben sich dieser methodo­

logischen Herausforderung gestell t, den in der r·\arxschen

Kapitalismusanalyse dargestellten ökonomischen Gesetzen

in einem zweiten 'realanalytischen' Schritt erst noch

zu real ökonomischem Inhal t und empirischer Gül tigkei t

zu verhelfen.

Page 60: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

119

Anmerkungen: Die Rekonstruktion des Marxismus - seine

Verwandlung in Erkenntnistheorie und Methode

1) Stellvertretend und beispielhaft für die Vielzahl an­erkannter Marx-Widerlegungen sei zitiert, was Karl Mar­tin Bolte, ein Repräsentant der etablierten bundesre­

ikanischen Sozialwissenschaften, über "Grundgedan-cn der ~larxschen Klassentheorie" referiert:

Es ffist zu erkennen, daß die arxsche Klassentheo-rie zwar für die ellschaftliche Wirklichkeit Deutschlands Hälfte des 19. Jahrhun-derts den An wesentlichen zutref-fende Dars der Entwi tendenzen erheben konnte daß sie aber die arxschen Prognosen hinsic ich einer zunehmenden Polarisierung und Extremisierung der Klassen zunächst nicht weiter erfül ten. Die tatsächliche Entwicklung war wesentlich diffe renzierter und zum Teil deutlich anders als K. [\larx vermutet hatte." (Karl "lartin Bolte. Deutsche Ge­sellschaft im Wandel, Opladen 1967,' S. 282)

"Nicht nur di.e Entwicklungen des 'alten' und des 'neu­en' Mittelstands wiesen Tendenzen auf, die den Marx­schen Vorhersagen zuwiderliefen ... " (a.a.O., S. 280)

Die Marxsche Darstellung des Gegensatzes von Lohnar-beit und tal interpretiert Bolte als Prognose ei-ner voransc tenden Zweiteilung der Gesellschaft. Zwar hat r~arx weder eine angeblich zunehmende "Po­larisierung und Extremisierung" der bürgerlichen Ge­sellschaft abgewartet, noch sie überhaupt prophe­zeit. Er hat vielmehr in seiner "Klassentheorie" aus­führlich begründet, wie der wachsende Reichtum auf seiten der Klasse der-Kapitalisten vermehrten Aus­schluß der Lohnarbeiter von dem Reichtum bedeutet. den sie schaffen. Bolte als Anhänger der Theorie des "Sozialen Wandels" hingegen unterstellt der flJarxschen Erklärung und Kritik der bürgerlichen Gesellschaft das prognostische Anliegen moderner empirischer So­zialforschung, um dann Marx vorzuhalten, er habe ge­sellschaftliche "Entwicklungstendenzen" falsch vor­ausgesagt, seine Prognosen hätten sich nicht bewahr­heitet. Bolte unterschiebt Marx die allgemeine Über­einstimmung moderner empirischer Sozialwissenschaft, sie habe statt Erklärungen Einschätzungen Über mög­liche Entwicklungen zu liefern und sie mit theoreti sehen Konstrukten zu interpretieren. Statt einer Widerlegung von Argumenten der Marxschen Klassen-theorie legt die rische Sozialforschung damit nur ihr eigenes Ideal fen, das Comte so klassisch unkri-tisch formulierte: "savoir pour prevoir". Die Verwandlung des Wissenschaftlichen Sozialismus in eine Pr eiung gilt auch in der Politologie als anerkannte Über die riJarxsche Theorie. 1,aut Kurt Leo She11 "untermauerte" r~arx "prophetische Ver­heißung mit wissenschaft1icher Argumentation". (Shell

120

Kurt 1,eo, Stichwort smus, in: Handlexikon zur Politikwissenschaft, .) Axel Görlitz, Reinbeck bei Hamburg 1973, S. 2L,1 Ist erst einmal das "Kapi­tal" in ein "eindrucksvolles, in gängiger Sprache ge­haI tenes Bild der unvermeidlichen, 'wissenschaftlich' vorauszusagenden proletarischen Revolution den Kapitalismus" (a.a.O.) umgedeutet, ist nie eich-ter, als dieses am Gang der Geschichte sich blamie-ren zu lassen:

"Die Entwicklung hatte den riJarxismus als unfähig erwiesen". "da die kapitalistische Wirtschaft der Industrieiänder nicht die erwartete Krisenentwick­lung nahm, die Polarisierung der Klassenstruktur nicht eintrat, die erwartete revolutionäre Bewußt­seinsbildung des Proletariats ausblieb und die Ar­beiterklasse vielfach begann, das Instrument des Staatsapparates zu j.hren Gunsten zu benutzen." (a.a.O., S. 243)

Der Protagonist des Kritischen Rationalismus, Karl Popper, gibt einem en Abschn~tt seines s wider die "Feinde der e" die Uberschrift arxens Prophezeiung" und widerlegt die angebliche "Verkün­digung des Sozi.alismus" (Karl R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2, MÜnchen 1975, s. 167) damit, daß sich "keine der anspruchsvolleren historizistischen Schlußfolgerungen Marxens, keines seiner 'unerbittlichen Entwicklungsgesetze' und keines seiner 'historizistischen Stadien, die nicht über­sprungen werden können', je als eine erfolgreiche Pro­phezeiung erwiesen (hat). Marx war erfolgreich nur insoferne, als er Institutionen und ihre Funktionen analysierte." (a.a.O., S. 240) Der Marxschen Analyse von Kapital und bürgerlichem Staat wird eingestande­nermaßen kein Fehler nachgewiesen. Popper erkennt lhr sogar auf diesem Gebiet das Prädikat "erfolgreich" ~u, "nur" um klarzustellen, daß an einer stimmlgen Erkla­rung sich der Erfolg einer Theorie nie und nimmer be­mißt. Dann schon eher an einer "erfolgreichen Prophe­zeiung", fÜr die Marx nur ein "sehr schlechtes Rüst~ zeug" besaß: "ff]an muß einsehen, daß eines der Prlnzl­pien einer vorurteilsfreien Beurteilung der Politik in dem Grundsatz besteht, daß in menschllchen Dlngen alles möglich ist; und insbesondere, daß man keine vorstellbare Entwicklung ausschließen kann ... " (a.a.O S. 241) . Im Unterschied zum fhflerfolg "sozial technologischer Voraussagen" der etablierten Sozialwissenschaften ist dieser im Falle Marx ein vernichtendes Argument gegen seine Theorie. Daß Marx seine (angeblichen) Prognosen als bestimmte und nicht bloß "mögliche" verstanden ha­be, trägt ihm die Gegnerschaft des kritischen Ratio­nalisten Popper ein, der darin zu erkennen gib~1 woran er in Marx den "Feind der offenen Gesellschaft er­kennt: an dessen als 'Dogmatismus' tituliertem Un­willen, seine Erklärung und Kritik der bürgerlichen Gesellschaft als bloß "mögliche" Auffassung 7.U rela-tivieren.

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121

Wo sich die moderne Sozialwissenschaft mit dem Wis­sensehaftsideal der Prognose als realistisches Mit­tel vorstellt, um mögliche gesellschaftliche Gescheh­nisse zu kalkulieren, ist die Marxsche Theorie von vorneherein ins wissenschaftliche Abseits gestellt. Dient ihr doch Wissen nicht dazu, sich auf Unvermeid­liches einzurichten, sondern gilt ihr als Bedingung begründeter gesellschaftsverändernder Praxis. Das von Comte erstmals für die Sozilogie postulierte Wissen­schaftsideal hingegen empfiehlt das Verfahren der Prognose, das in der Metereologie seine Berechtigung hat, da sich das Wetter als Naturereignis dem mensch­lichen Einwirken entzieht, ungeachtet dieses Unter­schieds auch für die Stellung zur eigenen Gesell­schaft. Die Einrichtungen der bürgerlichen Welt wer­den hierbei so dogmatisch als selbstverständliche Voraussetzung und Chance gesellschaftlichen HandeIns begriffen, daß nicht sie mehr zur Hinterfragung, son­dern nur noch von ihner:lausgehende mögliche Wirkungen und Entwicklungen zur Kalkulation anstehen. Obwohl der SOZiologe Bolte, der Politologe Shell und der Wissenschaftstheoretiker Popper an anderer Stelle nicht müde werden zu betonen, ihre Gegenstände seien als "gesellschaftlich produzierte" zu betrachten, er lassen sie mit obigem Ideal sozialwissenschaftlichen Verfahrens die Vorschrift, analog zur Wetterkunde die gesellschaftlichen Gegenstände quasi als Natur zu nehmen. Das klassische "Miß"verständnis der bürger­lichen Geistes- und Sozialwissenschaften, die [~arx­sehe Erklärung der kapitalistischen Gesellschaft als eine Prophezeiung ihres zu verste-hen, um ihr dann anges i c hts wei ter er 00 Jahr e Ka­pitalismus zu attestieren, sie habe sich nicht er­füllt, bringt nur eines zur Anschauung: an r"iarx und im Gegensatz zu ihm will diese Abteilung moderner Gesellschaftswissenschaft ihre Entschlossenheit demonstrieren, statt nach Gründen für den täglichen Gang der bürgerlichen Gesellschaft zu fragen, theo­retische Mittel für ihre Kontrolle bereitzustellen.

2) Iring Fetscher, Vorwort, in: Helmut Reichelt, Zur lo­gischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx, Frankfurt am r~ain 1970, S. 7 ff

3) Kritik der politischen Ökonomie heute - 100 Jahre 'Ka­pital', Referate und Diskussionen vom Frankfurter Collo­quium 1967, Walter Euchner/Alfred Schmidt (Hrsg.), Frankfurt Olm [,jain 1972

Bemerkungen über die Methode 4) Roman Rosdolsky, Eini des Marxschen 'Kapi tige Marxforschung, mie heute, S. 21

, und ihre Bedeutung für die heu­in: Kritik der politischen Ökono-

I 1

122

6) Rosdolsky, Einige Bemerkungen, S. 21

7) a.a.O., S. 9 . h n Struktur des Kapitalbe--

8) Helmut Re~chelt'l/a~~,l~~~~~f~~t am Main 1970 griffs be~ Kar1

, .' - kt Klassenanalyse, Bemerkungen zu: 9) Vgl. h~erzu. ProJe _ n Struktur des Kapitalbe··

Helmut Reichel t, Zur 1 ogls~he_ . 1i5tische Politik Nr. 11, griffs bei Karl r\~arx, in: OZla ' 1971, S. 94 - 102

10) Fetscher, Vorwort, S. 11

11) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 14 .. d· kritische Bilanz der Redaktion

12) Vgl. _ hle~zGu ~lel h f't" der Reichel t angehörte: schr~ft ese sc a., - J h 19~9

'lt was H Grossmann ~m a re - < wie vor. g~ D' nbef~iedi~ende Zustand d~r. bis ben hat. er u 1<' darauf zurückz,uluhren, ~~arxf?rschung 1st m. hU

• F . schungsmethode nj.cht nur sich uber dIe Marxsc e or k -- d-g das erscheinen mag,

1 ondern so mer wur ~ .- 1 t ne karen, S -, - ht '" (Helmut Heiche~t e . überhaupt keine Gedanken l~ac 1ft _ Beiträge zur ßlarx-al Editorial, ln: Gese ,sc la;, - 74 S 8)

., Th -. 1 Frankfurt am !<Ienn 19_, . sehen eor~e , -St '.l- c; 17

13) Reichelt, Zur logischen .. rUKcur, c·

14) a. a. 0 ., S. 18 (0 t) Bd. 1, in: MEW 23, Berlin

15) Karl [,larx, Das Kapital, 1971, S. 27

16) Reichelt, a.a.O., S. 75

16a)

17)

a.a.O., S. 15 e der phil 0-

Zusatz I, Georg Wilhelm Friedrich Hegel: sophischen Wissenschaften, ~n. Frankfurt am lfJain 1970, S. 114 "

_ . d· ausführliche Auseinanderseczung 18) Vergle~che hlkerzu -~eder HegeIschen Dialektik und ih-

von Peter Dec er m~ Philos e und Sozial-rer Rezeption in.d;rtmOd~:~~~r Die ethodol e kriti­wissenschaft, ~n. e er b.ld d'e Konzeptionen dornos

S - he - System 1 en 0 1"('2 scher ~nnsuc _ h T di tj on Erlangen 'j.i., im Lichte der philosoph~sc en ra - , S.110ff . n

'k Bd 1 in· W\v 5. rrank-19) Hegel, Wissenschaft der Log~ , ~O· , . .

furt am ~lain 1969, Vorrede, S. __ R de beim Antritt des ph~losoph~-

20) Hegel, Konzept der eU- -tät Berlin in: WW 10, schen Lehramtes an d;,r n]_v~r;~ , Frankfurt Olm Main 1970, S. +1.

L . k Bd 1, S. 23 21) Hegel, Wissenschaft der Ogl, .

G - t in· \'IH 3, Frankfurt 22) Hegel, Phänomenologie des e~s es, .

am ,,1 ai n 1 97 0, S. 1 4

23) Hegel GrundlInIen der Philos '7 'Frankfurt a~ Main 1970, WW ,

e des Rechts, 31, S. 8~

in:

Page 62: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

'j r:!..j

24) I~arx, Das Kapital, Bd. 3, in: MEI-I 25, Berlin (Ost) 1975, S. 628 f

25) /-Iarx, Das Kapital, Bd. 1, S. 49

26) lliarx, ~andglossen zu A. \-1agners 'Lehrbuch der pollti­sehen Okonomie', in: 1,IEW 19, Berlln (Ost) 1973, S. 369

27) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 126 ff Vgl. hierzu auch die Beiträge von Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen 'Kapital', Bd. 1 und 2, Frankfurt am Main 1968; Jindrich Zeleny Die Wissenschaftslcgik bei Marx und 'Das Kapital', ' Frankfurt am Main 1970; Alfred Schmidt (Hrsg.), Bei­trage zur marxistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt am lliain 1969; Vlalter Euchner/Alfred Schmidt (Hrsg.), Kritik der politischen Okonomie heute - 100 Jahre 'Kapi tal', Frankfurt am Main 1972

28) I.larx, Das Kapital, Bd. 1, S. 741

29) Marx, Zur Kritik der HegeIschen Rechtsphilosophie, in: lliEl-1 1, Berlin (Ost) 1974, S. 216

30) Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin (Ost) 1974, S. 364 f

31) a. a .0 ., S. 1 89

32) Marx, Brief an Engels um den 16. ,Januar 1858, in: MEVI 29, Berlin (Ost) 1970, S. 260

33) In der kritischen Bemerkung über eine Arbeit Lasalle's -"Ich sehe aus d;Leser einen Note, daß der Kerl vorhat, die politische Okonomie hegelsch vorzutragen ... Er wlrd zu selnem Schaden kennenlernen, daß es ein ganz andres Ding ist, durch Kritik eine VIissenschaft erst auf den Punkt bringen, um sie dialektisch darstellen zu können, oder ein abstraktes, fertiges System der Logik auf Ahnungen eben eines solchen Systems anzuwenden." (rliarx, Brief an Engels vom 1. Februar 1858, in: MEVl29, S. 275)-

betont Marx zum einen, daß die dialektische Darstel lung die umfassende und korrekte Erarbeitung einer Sa­che voraussetzt, andernfalls ist die Dialektik dem Gegenstand äußerlich und kommt einer 'Vergewaltigung' des Stoffs gleich. Zum anderen ist der Bemerkung von Marx zu entnehmen, daß alleine aus der dialektischen Form der Darstellung nicht auf den Vlahrheitsgehalt der dargestellten Urteile geschlossen werden kann. Denn es ist durchaus möglich, unbegriffenen Sachver­halten die Form einer dialektischen Darstellung zu geben. Allein die Prüfung der dargestellten Urteile vermag zu erweisen, ob hier "eine Wissenschaft auf den Punkt" gebracht wurde, oder die Anwendung eines "ab­strakten, fertigen Systems der Logik auf Ahnungen eben eines solchen Systems" vorliegt.

34)

35)

36)

37)

38)

39)

40)

41)

42)

43)

44)

45)

46)

47 )

48)

49)

50)

51)

1 2~

Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 134

Rosdolsky, Einige Bemerkungen, S. 21

Auf die Spitze eben ist die Tr etho-de und durc hrter Wissenschaft bei s: "Denn angenommen .,. die neuere Forschung hätte die sachli­che Unrichtigkeit sämtlicher einzelnen Aussagen von I,larx einwandfre1 nachgewiesen, so könnte ;ieder ernst­hafte 'orthodoxe' Marxist alle diese neuen Resultate bedingungslos anerkennen, sämtliche einzelne Thesen.von lliarx verwerfen - ohne für eine l·linute seine marxJ.stl­sehe Orthodoxie aufgeben zu müssen ... Orthodoxie in Fragen des I~arxismus bezieht sich vielmehr ausschließ­lich auf die Methode." (Georg Luk2LCs, Geschichte und . Klassenbev.'Ußtsein, Neuwied und Berlin (l'Iest) 1970, S. 58

Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 81

a.a.O.

a.a.O. , S. 265

a.a.O.

a.a.O. , S. 75

a.a.O. , S. 81

a.a.O. , S. 75

a.a.O. , S. 15

a.a.O. , S. 75

a.a.O. , S. 15

a.a.O. , S. 18

a.a.O.

a.a.O. , S. 81

a.a.O. , S. 18 Marx, Brief an Lasalle vom 22. Februar 1858, in: über 'Das Kapital', Berlin (Ost) 1954, S. 80

Briefe

52)

53)

54)

Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 265

a.a.O. Reichelt, Ansätze zu einer materialistischen Interpreta­tion der Rechts'philosophie von Hegel, in: Hegel, Grund­linien der Philosophie des Rechts, herausgegeben und eingeleitet von Helmut Reichelt, Frankfurt - Berlln -Wien 1972, S. XIII f

55) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 140

56) a.a.O.

57) a.a.O., S. 140 ff

Page 63: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

125

58) a.a.O., S. 88 ff

59) a.a.O., S. 140

60) Reichelt, Ansätze, S. XVI

61) a.a.O., S. XV

62) An dieser Stelle wird noch einmal deutlich welche Konsequenzen die Suche nach einem arclümecl:lschen Punkt der Marxschen Theorie zeitigt. Reichelt be-lS~bt sich,in Widerspruch zu seinem eigenen Wissen ueer dle barxsche "Methode, die sich durch ein we­sentliches Verhältnis von Darstellung und Dargestell­tem auszeichnet" (Zur logischen Struktur, S. 155), und nJ.mmtml t der Suche nach einem Verfahren, das den "ein-Zlg mogllchen Einsti in die theoretische Verarbei-tung" (a.a.O., S. 1 eröffnet, unweigerlich eine er-k::,nntnlstheoretische Position ein, auf die die damalige Kantkrltlk Hegels glelchermaßen zutrifft, weil hier das Erkennen slch vorgestellt wird als "ein Instru­ment, die Art und Weise, wie wir uns der vlahrheit be­mächtigen wollen." (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, in: vlW 20 Frankfurt am Main 1975, S. 334) , .

63) S. XI V Reichelt, Ansätze,

64)

65)

66)

67)

68)

69 )

?~arx; Das

a.a.O. , c' 0.

a.a.O. , S.

a.a.O. , S.

a.a.O. , S.

a.a.O. , S.

Kapi tal, Bd. 1, S. 86

107

89

95 f

87

'+9

70) Marx, Theorien über den Mehrwert, Bd. 3 in: [<lEW 26.3, Berlin (Ost) 1968, S. 163 '

71) Sie~ehier~u die Aussage im Kapital, Bd. 1, S. 88: Dle.spate wlssenschaftliche Entdeckung, daß die

Arbel.tsprodukte, soweit sie Werte, bloß sachliche Ausdrucke der in ihrer Produkti on verausgabten menschlichen Arbeit sind, macht Epoche in der Ent­wicklungsgeschichte der Menschhei t, aber verscheucht kelneswegs den gegenständlichen Schein der gesell­schaftllchen Charaktere der Arbeit. Was nur für die­se besondre Produktionsform, die Warenproduktion gültig ist, daß nämlich der spezifisch gesellsch~ft-11che Charakter der voneinander unabhängigen Pri­vatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Ar­beit besteht und die Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte annimmt, erscheint, vor wie nach Jener Entdeckung, den in den Verhältnissen der Wa­renproduktion Befangenen ebenso endgültig, als daß

126

die wissenschaftliche Zersetzung der Luft in ihre Elemente die Luftform als eine physikalische Kör­perform fortbestehn läßt."

72) Vergleiche hierzu die Darlegung ',on Marx zum vlarenfe­tisch, a.a.O., S. 88:

"Das Gehirn der Privatproduzenten spiegelt diesen

73)

doppelten gesellschaftlichen Charakter ihrer Pri­vatarbeiten nur wider in den Formen, welche im prak­tischen Verkehr, im Produktenaustausch erscheinen _ den gesellschaftlich nützlichen Charakter ihrer Privatarbeiten also in der Form, daß das Arbeits­produkt nützlich sein muß, und zwar für andre - den gesellschaftlichen Charakter der GI eichhei t der ver-schiedenarti Arbeiten in der Form des gemeinsa-men Wertcha.r ters dieser materiell verschiednen Dinge, der Arb ei tspr odukte."

Siehe hierzu auch d:i.e folgenden Abschn:i.tte meiner Ar­

bei t: II.3. Die Rekonstruktion der r·larxschen Theorie als "Pro­

dukt" der Produktionsverhältnisse (Joachim Bj.-

schoff) Exkurs: Sein und Bewußtsein im wissenschaftli-chen Sozialismus

74) Marx, Das Kapi tal, Bd. 1, s. 95 PI'

75) Marx, in: Briefe über 'Das Kapi tal', S. '1

76) Marx, Theorien über den ~lehrwert, Bd. 3, s. L~45

77)

78)

79)

Diese auch von Reichel t vertretene Auffassung, erst die Dechiffrierung der Verdopplung der v/ar eröffne den Einstieg in die theoretische Verarbeitung der Ge-setze der bürgerlichen Gesellschaft (Zur I ehen Struk-tur, S. 140 f), wird unter anderem auch durc den Gang der wissenschaftlichen Arbei t von 14arx als unhal tb ar erwiesen: Narx veröffentlichte schon grundlegende Er­kenntnisse über die ökonomischen Gesetze des Verhält­nisses von "Lohnarbeit und Kapital" im Jahre 1849 (in: MEW 6, Berlin (Ost) 1973, s. 397 ff), wie sie sich dann auch im "Kapital" wiederfinden (in: !,IEW 23, S. 181 ff, 755 ff) - lange bevor er das Geheimnis des Dcppelcha­rakters der Ware und der in ihr vergegenständlichten Arbei t vollständig auf den Begriff gebracht hatte.

Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 140

Siehe hierzu die Äußerung von Engels in dem Brief an Marx vom 24. Juni 1867 (in: Briefe über 'Das Kapital',

S.138): "Die Entwicklung der Wertform ist allerdings das An-Sich der ganzen bürgerlichen Schmiere, die revo­lutionäre Konsequenz tritt aber noch nj.cht so her­vor, und die Leute können sich an diesen abstrakten Sachen leichter vorbeidrücken und Phrasen machen."

Page 64: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

127

80) eiche hierzu auch die Au Reichelt über den tell enwert der Vlaren- und e für di e Be-urteilung des ganzen l'fiarxschen Werks, folge "nur der Naclwoll der theoretischen Ableitung der Geld-form aus der enform als Kriterium einer aten Rez ti on der l'larxschen Theori egel ten kann." Zur 1 0-

g:Lsc Struktur, S. 139)

81) a. a. 0 ., S. 1 6

82) a.a.O., S. 1/+0

(3) Reichelt, Ansätze, S. I,XXII

(4) a. a.O .

85) a. a.O . Vergleiche hierzu die e das Problem umreißende Pas sage von Reichelt, a.a .,

IIWir haben oben darauf hingewiesen, daß die r,Tarxsche Theorie fast ausschließlich in Form programmatischer Erklärungen und Abstrakticnen vorli , denen nach seinen eigenen Worten die wirkliche teIlung zu fol hat. Eine solche Dars finden wir nur ion Kritik der politif;chen onomie, wo Marx, unter der Gestalt der dialektischen Darstellung der

en, dem Anspruc h s ein er ei en Methode ge-rec wird: In der theoretischen hzeichnung der Geldform zei er gleichsam als Einlösung der vier-~en Feuerbac e auf der Ebene der politischen Okonomie - wie aus der immanenten vJidersprüchlich­keit der Basis diese Form herauswächst, in welcher deren Vlidersprüche aufgehoben werden. Hinsichtlich der /jblei dec; bürgerlichen Rechts, der Form des olitischen taates usw. sind wir auf diese Ablei-

struktur als methodisches Vorbild verwiesen. Aus dieser Darstellungsform ist zu extrapolieren., in welcher Weise die Konstruktion der Genesis ande­rer Formbestimmtheiten der bürgerlichen Vlelt zu er­folgen hat. Die Beantwortung dieser methodisch-ka­tegorialen Fragen ist identisch mit der Entfaltung eines marxistischen Totalitätsbegri.ffs, den wir als Totalität der entfremdeten Formen begreifen, unter denen sich die Menschen reproduzieren."

86) a.a.O.

87) a.a.O.

88) a.a.O.

89) Marx, Theorien über den Mehrwert, Bd. 3, in: MEVI 26.3, s. 163

90) Reichelt, Ansätze, S. XIII

91) a. a .0 ., S. XI

12S

92) a.a.O., S. LXXII

93) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 1 i+0

94) Reichelt, Ansätze, S. LXXIV

95) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 88 ff

96)

97)

98)

99)

100)

a.a.O. ,

a.a.O. ,

a.a.O. ,

S.

S.

S.

140

e8

89

Reichelt, Ansätze, S. LXXII

Obwohl Reichelt in seiner Arbeit "Zur 1 sehen Struk­tur des Kapitalbegriffs bei Karl !4arx" au die zentrale bedeutung der Analyse des Arbeitslohns hinweist (a.a.O., S. 88) findet sich bei ihm keine Nachzeichnung der von !.Iarx d~rchgeführten Untersuchung der "Irrationalität dieser Form selbst" (a.a.O., S. 89), die Aufschluß da.r­über gibt wie sich an der irrationellen Form "Preis der Arbeit"-cfäs "Verhältnios von vlesen und Erscheinung" (a.a.O.) manifestiert. Er beschränkt sich auf eine kom­mentierende Hiedergabe von Zitaten aus dem 'Kapital', in denen l~arx entweder in allgemeiner Form auf die Be­deutung hinweist, die der Kritik der Ideologie vom Preis der Arbeit zukommt (a.a.O., S. 88), oder ln denen er das Resultat der Analyse in der abstrakten Aussage zusammenfaßt, daß "im Ausdruck Preis oder Hert der Ar­beit ... der Hertbegriff nicht nur völlig ausgelöscht, sondern in sein Gegenteil verkehrt" (a.a.O., S. 90) i.st.

101) !4arx, Das Kapital, Bd. 1, S. 557

102) a.a.O., S. 558

103) a.a.O., S. 563

104)

1 05)

106)

107)

108)

109 )

110)

Siehe hierzu a.a.O., S. 564: "Zudem zeigt die wirkliche Bewegung des Arbeitslohns Ph~nomene, die zu beweisen scheinen, daß nicht der Hert der Arbeitskraft bezahlt wird, sondern der Wert ihrer Punktion, der Arbeit selbst ., . Erstens: l'Iech­seI des Arb ei tsl ohns mi t wec hs elnder Länge des Ar-beitstags ... Zweitens: Der individuelle Unter-schied in den Arbeitslöhnen verschiedner Arbeiter, welche diessel'be Funktion verrichten."

a. a.O., S. 559

a.a.O. , S. 562

Reichel t, Zur logisohen Struktur, S. 139

a.a.O. , S. 140

a.a.O. ,

a.a.O. , S. 88 ff

Page 65: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

129

111) a.a.O., S. 89

112) a.a.O., S. 1.39

113) r.larx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 80

114) Reichelt, a.a.O., S. 90

115) a.a.O., S. 140

116) Nur wenn man die Kenntnis der Bestimmtheit des Ar­bei.tslohns und der ihn charakterisierenden Verkeh­~ung besitzt, verfügt man auch über die theoretischen iforauss zur praktischen Aufklärung des not-wen~l falsc Bewußtseins in der bürgerlichen Ge-sellsc Denn auf der Erschei.nungsform des Ar-beitslohns "beruhn alle Rechtsvorstellungen des Ar-~elters wie des talisten, alle Mystifikationen ~er kapitalistisc Produktionsweise, alle ihre Frei-neltsllluslonen, alle apologetischen Flausen der Vul­§iärÖkonom"Le." (Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 562). ßntgegen der kritischen Intention von Reichelt vermag ~llerdings das Bewußtsein über das pure Faktum des yetlschlsmus getrennt von seinem spezifischen Inhalt keinen Beitrag zur praktischen Aufklärung zu leisten damit die Ivlenschen "die r4öglichkeit haben, sich, wen~ schon nlcht von dieser Form der Subsumtion unmittelbar zu emanzipieren, so doch in wissenschaftlicher \-Ieise Klarhei t über dieselbe zu verschaffen." (Reichel t Zur logischen Struktur, S. 18) ,

117) Reichelt, a.a.O., S. 77

118) a.a.O., S. 18

419) a.a.O.

120) Reichelt, Ansätze, S. XXI

121) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 81

122) jjiarx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 80

123) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18

124) a.a.O., S. 16

125) Reichelt, Ansätze, S. XL

126) Vergleiche hierzu Fußnote 1)

127) Reichelt, Ansätze, S. XL

128) a.a.O., S. Xf

129) Siehe hierzu auch .a.O., S. X: "Die 'wirkliche Darstel 'hat zu zeigen, daß es konstitutiv für die Form p losophischen Bewußt­seins ist: daß der Denker über die Voraussetzungen selner subst als Philosoph im unklaren ist; daß

1 30

es zur Philosophie als einer Form 'reiner Theorie' wie r,larx sie ironisch bezeichnet, wesentlich h"Ln­zugehört, daß sich der Denker über die Form losophischer Reflexion nicht (!) mehr inn dieser Form selbst verständigen kann."

Ebenso a.a.O., S. XII: "Die bürgerliche Wissenschaft, die als bürgerliche eben dadurch bestimmt ist, daß sie die (entfrem­dete) Form nicht (!) bewußt zu macht, st vorweg präformiert:

tand , di e

di es er auf. 1I

Totali t der entfremdeten Form, nötigt Wissenschaft selbst eine bestimmte Form

130) a.a.O., S. LXXIV

131) Vergleiche hierzu auch: Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 96:

"Das ökonomische System mit der abschließenden Unter-suchung der Konstitution des empirischen Scheins ist Ideol ekritik in abstrakter Form, insofern es erst die schen Mittel einer konkreten Kritik der bür ger 11 ehen The ori eber ei ts tell t, d:i e dann allerdings - jedoch nur im Hinblick auf die klas siche Theorie - die Form 'immanenter Kritik' an­nehmen kann ... [·larx knüpft als 0 kei.nes mittelbar an die Aporien der bürgerlichen orie an, sondern diese lassen sich nur vor dem Hinter­grund einer Theorie entwickeln, die das Wesen des Gesamtprozesses ' ositiv' erkannt hat. Vor di.eser Folie werden die suche der Klassik, das Wesen mit Kategorien zu erfassen, die gleichsam stump sind und-'nicht dazu taugen, eben jenes zu erfas sen, dessen ei er Ausdruck sie sind, als Unter-fangen dechi ert, das notwendig i.n Aporien en-den muß. 11

Wenn es sich bei den Bestimmungen Urteilen und Schlüs-sen der bürgerlichen Theorie um orien" handelt, warum sollten diese nicht für sic erkannt und "im­manent" kri tisiert werden können? v/enn man umgekehrt erst das Wesen des ökonomischen Systems positiv er­faßt haben muß, um über di.e "methodischen 1(; i ttel" oder eine "Folie" zur Kri Hk der bürgerlichen Theorien zu verfügen, wie konnte Marx dann das ökonomische Sy­stem erfolgreich analysieren, wo er docb erklärter-maßen "sein ei es System in enger Auseinanderset-zung mit der assischen Theorie entwickelt" (a.a.O.)'7 In der Rezeption von Reichelt wird auf der einen Sei-te die Entst der I\jarxschen "Kritik der pol i tischen Ökonomie" in ein seI verwandelt; auf der anderen Seite wird Ideologiekritik zu einem Subsumtionsver­fahren. Daß eine solche Rezeption der ;·larx'ichen Ka-Di talismuskri tik e1 ich unhal tbar i t und einen theoretischen Zirk einschließt, deutet Reichelt selbst an, allerdings nur, um zugleich diesen Ein-

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1 31

wan~ mit einer erneuten Tautologie zurückzuweisen: Ohn; dle Vorarbeiten eines Smi th. und Ricardo wäre

dle ~arxsche. d~e bürgerlich-historische Beschränkung der Lrk.enntnls uberspringende Kritik der politi­schen.Okonomie kaum denkbar gewesen, zugleich aber lSt Sle selbst wieder vorausgesetzt, um ihre ei­genen Voraussetzungen als beschränkte zu kritisie­ren, ein Sachverhal t, der nur dann als zirkel-haft (!) anzusehen wäre, wenn die entscheidende im weltgeschichtlichen Prozeß selbst verankerte' ~heoretische vlendung, die bewußte Betrachtung der okonomlschen Formbestimmtheit, nicht als eines der substantiellen I-Iomente der Marxschen Theorie wahrgenommen würde." (Ansätze, S. LXXIII)

132) Marx, Grundrisse, S. 22

133) Reichelt, Ansätze, S. XX

134) r4arx, Theorien über den r4ehrwert Bd. 2, in: MEW 26.2, Berlin (Ost) 1974, S. 112 ' Sehr ausführlich wird von r~arx im 2 .. Band des "Kapital" ln der kritischen Darstellung der "Theorien über fi­xes und zirkulierendes Kapital" (Das Kapital Bd. 2 ln: MEW 24, Berlin (Ost) 1973, S. 189 - 230)'der si~h lm Denkenbetätigende praktische Standpunkt, jede Sa­chemlt nutzlichen Wirkungen oder Funktionen zu iden­tlflzlere~, ,!-ls Grund für falsche Theoriegebäude be­stlmmt .. Dle Übernahme des praktischen Standpunkts des Kapltallsten - für ihn macht sich in der unterschied­lichen Umschlagsdauer von fixem und zirkulierendem Ka­pltal eine Schranke für die Verwertung seines Kapitals geltend - als Leitlinie ihrer theoretischen Analyse fuhrt klasslsche Politökonomen wie Smith und Ricardo zur. Bestimmung des Formunterschieds von fixem und zir­kullerendem Kapital in Bezug auf deren Wirkung auf den Proflt. Ihr prinzipieller Fehler ist die Identi­fizierung der verschiedenen Kapitalteile mit ihrer Nützlichkeit für den Kapitalzweck, wodurch der Form­unterschied innerhalb des zirkulierenden Kapitals zwi­schen wertschaffender Arbeitskraft und wertübertra­genden R ohs tof f en, al so z wisc hen v ari abI em und k on­stantem Kapital, ausgelöscht und damit die Quelle des Profits mystifiziert wird.

135) Zur Darstellung des Instrumentalismus bürgerlicher Gelstes:- und Sozialwissenschaften und ihres gesell­schaftllchen Grundes siehe: Karl Held, Kommunikations­forschung - Wissenschaft oder Ideologie?, München 1973, S. 164 ff; Peter Decker, Die Methodologie kriti­scher Sinnsuche, Erlangen 1982, S. 61 ff

136) R . h 1 elC e t, Zum Wissenschaftsbegriff bei Karl Marx, in: I\larx und ~Iarxismus heute, Breitenbürger/Schnitzler (Hrsg.), Hamburg 1974, S. 39

~f .. ~ 132

137) Reichelt, Ansätze, S. XX

138) Die neben Reichelt wegweisenden Arbeiten zur "Re­konstruktion" des "Kapital" fas'sen sich ebenfalls in der Idee einer sehr prinzipiellen Beschränkung jegli-' cher in einer kapitalistischen Gesellschaft prakizier­ten Erkenntnis zusammen. Die in der Arbeit von Hans­Jürgen Krahl - "Zur vlesenslogik der Marxschen Haren­analyse" - vorgenommene "Rekonstruktion" des "\hssen­sc hafts b egri ff es des hi s tori sc hen I·j ateri al ismus" en­det bei folgendem Urteil:

"Die in sich ambivalente Gegenstandswelt der bür­gerlichen Gesellschaft erschwert ihre adäquate Er kenntnis insofern, als sie das Problem der objek­tiven Struktur gegenständlicher Produkte unter zwei einander konfundierten Aspekten stell t, je nach­dem sich die Produktenwelt unter ihre1 nützlichen Gebrauchswerteip;enschaften oder als Tauschwert dar­stellt." (Hans-Jürgen Krahl, Zur Hesenslogik der ["larxschen Warenanalyse, in: ders., KO:lstitution und Klassenkampf - Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revo­lution, Frankfurt am [\lain 1971, S. 50)

Auch Krahl begeht das IUßverständnis, die Fehler der bürgerlichen 1tlissenschaft zu einer Wirkung ihres Er­kenntnisobjekts zu erklären. Der Kardinalfehler bür­gerlicher Ökonomie, die beiden Seiten der Ware, Ge­brauchswert und Hert, gleichermaßen zu Natureigen­schaften der ~Jare zu erklären. kann nie und nimmer aus dem bloßen Faktum ihres Doppeicharakters resultieren _ dazu ist schon das Interesse des Denkers vonnöten, die kapitalistische Produktionsweise zur natürlichen und ewigen Form menschlichen \hrtschaftens zu stili sieren . Auch das Werk von Jindrich Zeleny - "Die \hssenschafts-logik bei t4arx und 'Das Kapital''' - schließt mit dem Postulat der notwendigen Relativität dec; vüssenschaft­lichen Denkens. Zelenys Arbeit, in seinen eigenen Wor­ten "ein Stück Marxinterpretation" zum Zwecke "vor­läufiger Bestimmungen" über eine "neue Konzeption des Logischen und Historischen im Marxschen Werke" (Jind­fich Zelent, Die Wissenschaftslogi~ bei Marx und 'Das Kapital', Frankfurt am Main 1970, S. 11 f) kommt zu folgendem Resümee:

"Zusammenfassend und verallgemeinernd könnte man die Relativierung der Denkformen, die r4arx auf der Grundlage des dialektisch-materi.alistischen [·jo­nismus durchführt, so charakteri.sieren, ... daß es sich um eine Relativierung der Denkformen han­delt 1. in der Bedeutung historischer Vergänglich­keit; ... 4. in der Bedeutung der Zerstörung der absoluten Gültigkeit. _. 5. in der Bedeutung der Er­fassung der Abhängigkeit der logischen Kategorien

Page 67: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

133

und Formen von den sich geschichtlich entwickeln­den Existenzformen der menschlichen Gesellschaft." (a.a.O., 3. 50)

Das kritische Anli marxistischer \hssenschaftler, der bürgerlichen orie ihre Ungültigkeit so radikal vorzuwerfen, daß sie deren "Unwahrhafti eit" in einer sehr prinzipiellen Determinierthej.t durc die "\'Iaren­gesellschaft" metaphysisch behauptet, hat' der Philo­soph Alfred Sohn-Rethel so weit fortgeführt, daß er

ogar in den allgemeinen Formbestimmungen jedweden wissenschaftlichen Denkens, das sich im Abstrahieren Schließen, Urteilen USlv. betätigt, seinen speZifisch' bürgerlichen Charakter nachzuweisen bestrebt ist. Die auf dieser Ver'wechslung beruhende tun ~geheimen Identität von Warenform und (Al-lred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit. Frankfurt am Main 1970, 3. 12) gibt Sohn-Rethel dar­über hinaus als das innere Wesen der Naturwissenschaft aus: "Die reine Mathematik ist eine auf die Tauschab­straktion und ihre RefleXion gegründete freie Kreie­rung." (a.a.O., S. 102) Die Naturwissenschaften, die mit ihrer erfol eichen Anwendung Zeugnis davon abI , daß ihre orien die Objektivität ihres G erkannt haben müssen, stellen 30hn-Bethel zu eine mit der "Tauschab-s tr ak ti on" vers c hwin d en de dar. Daß sowohl natür-iche als auch gesellschaftliche G tände

tativ bestimmt sind, fol ich die sensehaft von der reinen antität sehr wohl einen ob-jektiven Gegenstand hat, n ert Sohn-Rethel. Ihm gilt die vIissenschaft von Gesetzmäßi eiten der reinen Quantität als bloßes Hirngespinst Warenge-sellschaft - ebenso relativ und vergängU.ch wie diese.

Das Anli von Roichelt, Krahl, Zeleny und Sohn-Hethel, e Notwendi eit und Berechti sb.schen Gese11sc theorie aus dem s der "Erkenntnisrestriktion" und "gesellschaftlichen Prä-

ormierung" bürgerlicher Theoriegebäude zu begründen, endet so mit einem paradoxen Hesultat: in der erkennt­nistheoretischen Idee der notwendigen Helativität von Theorie treffen sie sich mit der von ihnen kritisier­ten bUrgerlichen Wissenschaft.

139) Heichelt, Ansätze, S. XX 140)

141)

.a.O .. 3. XI I l'

. a . 0 ., 3. XI V 1~2) !1eichelt, Zum 'Ilissenschaftsbegriff be:i Karl arx. S. 38

143) Heichelt et. ., Editorial, S. 9 Dem von Reichelt mitverfaßten ;~ditorial der 101'.1/197 11

eier Schriftenreihe "Gesellschaft" i t zu entnehmen daß es sich bei der itierten oblemstellunß der

konstrukti on der r~arxschen Theori e nioht um eine isolierte Position handelt, sondern um eine für di neue Besohäftigung mi t dem !4arxschen Werk repräsen­tative und maßgebliche theoretische Richtung.

144) Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 577

145) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 75

146) a.a.O., S. 18

147) a.a.O., S. 1~O

148) a.a.O., S. 225 Al sIll us trati on für di e b ehaup tete VerVian dl ung der im "Kapital" enthaltenen saohlichen Urteile über die existierenden ökonomischen Gegenstände j.n "reine Be­griffe", denen zunächst einmal kein Wirk~ichkei tsge­halt zukomme, sei die Naohzeichnung der lilarxschen Geldtheorie duroh Reichelt zitiert:

"Die I'larxsche Geldtheorie endet mit er Entwick­lung einer Form, die in der Darstellung der ide­ellen und wirklichen Verdopplung in der Werttheo­rie gleichsam im Medium des reinen Begriffs ent­wickelt wurde. Sobald wir zur Konkretlslerung übergingen, und die Lehre von de~ Preis form als Pendant der zuvor entwiokelten 1.C1eellen Verdopp­lung erkannten, wurden wir durch diese ~orm die mit der Entwicklung des Geldnamens abscnlle mit der oxistierenden ichen Gesellsc konfrontiert." (Reichelt, logischen Struktur, S. 225 f)

Die von tclarx als Elementarform des ellsohaftlichen Reichtums und einfachstes ökonomisc Konkretum be-zeiclmete v/are, die Bestimmung ihrer zvlei Faktoren Gebrauchswert und Vlert und die Darstellung der Er.­soheinungsform des Werts als \1ertverhältnis von \vare und Geld interpretiert Reiohelt al "gleichsam im !.\edium des reinen Begriffs entwickelt." Das Urtei von r.larx. der Wert der v/are muß als Tauschwert er--scheinen - ,

"Erinnern wir uns jedoch, daß die Waren nur H~r,c-gegenständlichkeit besitzen, sofern sie Ausdr,:,c~e derselben gesellschaftlichen Einheit, menscnllcner Arbeit, sind, daß ihre I'Jertgegenständliohkeit. also rein gesellschaftlich ist, so versteht 81 h auch von selbst, daß sie nur im ellsohaftli,chen Verhältnis von Vlare zu Hare ersc en kann. 'inr gingen in der Tat vom Tauschwert oder Austausch-, verhältnis der Waren aus, um ihrem o.ar1n verstecr:­ten vlert auf die Spur zu kommen. viiI' müssen Jetzt zu dieser Erscheinungsform des vlert5 zurUckkehren." (Das Kapital, Bd. 1, S. 62) - , ..

rezipiert Reichelt nicht als die ideell I' OOUZlerte Konsequenz eines existenten ökonomischen arnrnen-

Page 68: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

135

. Dieser besteht darin, daß \oIaren nur produziert wer en um ihres lverts, i.hrer Gleichs und Aus-tauschbarkei.t mit anderen l'laren willen. der \oIert eln.reln gesellschaftliches Verhältni der Arbeiten zU81nander ist, dann ist mit der Produkhon der Ware allein noch gar nicht entschieden, ob und in welchem ff;aße die verausgabte Arbei t wertbildend war. Erst in Gem Austausch mit anderer Vlare oder - entwickelt -mlt Geld bewährt sich die oduzierte Ware als Vlert und der "in der Ware Ite innere G atz v~n Gebrau<;hswert und Vlert wird also dar tel t durch e1nen außeren Gegensatz, d. h. durc das Verhältnis zwele~ Waren, worin die eine Ware, deren \Vert ausge­drucke werden soll, unmittelbar nur als Gebrauchs-wert, d:le andre \Vare hin , worin Vlert ausgedrückt ~lrd~ unmlttelb~r nur als chwert It. Die einfache wertform elner ~ar ist also die ein he Erschei-nungsform des in ihr enthaltenen G atzes von Ge-brauchswert und lrlert." (a.a.O., S. f). Den von

arx in der "vle~ttheorie" analysierten und dargestell ~en eXlstenten Zwanrr,szusammenhanG der kapitalisti.schen Froduktlonswelse, Wle er als NotwendiGkeit der Ver­dopplunG der lVare in Ware und Geld "erscheint", rezi­piert Reichelt als bloß ideelle NotwendiGkeit einer zunächs reln gedanKllchen Bestimmung von v/are und Gel d. Dabei beruft sich diese Rezephon auf Formulierun­gen von f.larx, die auf den ersten Blick idealistisch erscheinen mögen. Ungeachtet des einleitenden Hinwei­ses von ;1;arx, er "kokettierte sogar hier und da im Kapi.talüber die Vlerttheori.e mit der ihm ) ei

tumlJ.chen Ausdrucksweise" (Das Kanital orwort, S. 27), wi.rd di.e an manchen"Stell.en zu kon­

~tatierende Verwendung einer hegelschen-methodischen I\usdrucksweise zur Darstellung eines realen ökonomi­schen Zusammenhangs zum Beleg der Behauptung genom­men, dle HegeIsche Ausdrucksweise sei "integraler Be­standtei:l der fljarxschen Kritik" (Reichelt, Zur logi­schen Sl:ruktur, S. 15) und "die r~arxsche Darstellung (habe) wei t mehr mi t Hegels abs olutem Begri ff gemein­sam ... , als eine \Vissenschaft wahrhaben möchte die sich handfest materialishsch gebärdet." (0. a 0' S 77) , ... , .

Bei r·larx sei ein ökonomischer Sachverhalt gleichsam als bloß ideeller, "reiner Begriff" entwickelt der für sich noch gar nicht einen elementaren GeGe~stand der existenten bürgerlichen Gesellschaft begreift, sondern erst auf dem Vlege der "Konkretisierung" zur Konfrontation mit der existenten bürgerlichen Gesell­schaft führe. ~lenn es sich bei der Marxschen Analyse des tverts allerdings um einen "reinen Begriff" oder ein bloß gedankliches Verhältnis handelt - so ist ge­gen dlese Interpretation der Marxschen Vlert- und Geld-

136

theorie einzuwenden -, wie soll daraus dle Ableitung des Tauschwerts möglich sein, dem sehr materiellen und handgreiflichen \Vertverhältnis der v/are in ihrer Gleichsetzung mit Geld? Neben diesem logischen Ein­wand ist noch auf das Marxsche Selbstver;3tändnis hin­zuweisen, wovon der Gang der Darstellung im "Kapi­tal" seinen Ausgang ni.mmt:

"All.es das sind 'Faseleien'. De prime abord gehe eh nicht aus von' Begriffen', also auch nicht vom 'Wertbegriff' , und habe diesen daher auch in kei.­ner \\leise 'einzuteilen'. Vlovon ich ausgehe, ist die einfachste gesellschaftliche Form, worin sich das Arbeitsprodukt in der jetzigen Gesellschaft darstell t, und das ist die 'Hare'. Sie analysiere ich ... " (r4arx, Randglossen zu Adolf Vlagners 'Lehrbuch der politischen Ökonomie', S. 368 f)

Auch auf dem schon mehrfach erwähnten 1967 veran­stalteten Kolloquium zur "Kritik der Politischen Öko-nomie heute" wurde über das Verhältnis von ff und Realität im tal" diskutiert. Oskar zum Beispiel egte den tbegriff in zwei AbteilunGen auseinander, in erstens ein von der Realität getrenn­tes abstraktes Urteil, das dann zwei tens auf die Reali­tät erst noch bezogen werden muß:

"Begriff und Realität. viie sieht es damit aus? ... \Vas heißt das nun, wenn wir immer sagen, daß dies Begriffe sich auf selber begrifflich vermittelte Objekte beziehen? 'Arbeit sans phrase', wie f.1arx saGt, heißt Abstraktion von allen einzelnen Be-stimmungen der von Arbeitskraft. Hert selber ist als \\Iert Erfindung der Ökonomen. Vlie ist das aber, wenn wir von 'Arbeit sans phrase' nicht mehr im ~larxschen Sinne sprechen können, welche erkenntnistheore­tischen FolGen hat das für die Bestimmung dessen, was 'Begriff' bei Warx ist? Ich möchte diese Fra-ge hier nur stellen, weil mir hier wiederum ein schlechter Objektivismus hineinzuspielen scheint, der darin besteht, daß die erkenntnis­theoretische Reflexion von 14arx nicht so weit geht, auf die Bedingung der f,löglichkeit des Begriffs oder des Begreifens des Begriffs noch seiner Be­ziehung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit zu re­flektieren ... Ich kann diese Fragen nicht lösen, halte sie aber für sehr wichtiG." (Koreferat von Oskar Negt zu Alfred Schmidt, Zum Erkenntnisbegriff der Kritik der politischen Ökonomie, in: Kritik der politischen Ökonomie heute, S. 46 f)

Oskar NeGt, der die Vorstellung der "r,löglichkeit", daß "Arbeit sans phrase" einmal nicht mehr existie­ren könnte, mobilisiert, um die im VlertbeGriff ge­leistete Erkenntnis der Realität abstrakter Arbeit zu problematisieren, gibt zugleich zu erkennen, wozu

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137

solches Verfahren taugt: nicht dazu, Fragen zu "lö­sen", sondern sie zu "stellen". \hssenschaft reali­siert sich Negts Auffassung zufolge nicht darin, Un­klarheit durch Wissen - und damit Gewißheit - zu er­setzen, sondern Ungewißheit produktiv werden zu las­sen - durch die prinzipiell unabschließbare Proble­matisierung der Bedingungen der 14öglichkeit des Be­griffs und seiner Beziehung zur Realität .' Im Unterschied zu Oskar Negt vertrat Alfred Schmidt die Position, daß Begriff und Realität bei Marx über­einstimmen:

'''Begriffsrealismus' ist bei ihm nichts, was einer am Schreibtisch ersinnt, sondern in ihm reflektie­ren sich die verselbständigten Verhältnisse der Menschen." (Schmidt Alfred, a.a.O., S. 52)

Auf ein Dementi, die Marxschen Erklärungen seien nicht "am Schreibtisch ers onnen", "s ondern" Ausdruck der "verselbständigten Verhäl tnisse", verfäll t man nur dann, wenn man ebenfalls "Begriffen" gegenüber zu­nächst den Zweifel hegt, ob sie nicht bloße, von der Realität getrennte, in der Studierstube eines Intel­lektuellen ausgesponnene subjektive Behauptung seien, um sodann die inhaltsleere Skepsis durch die grund­lose Gewißheit zu ersetzen, im Unterschied zu "am Schreibtisch ersonnenen" gewöhnlichen Begriffserfin­dungen reflektiere "sich" in den Marxschen Begriffen die Realität selbst. r·1arx selbst hielt die erkenntnistheoretische Proble­matisierung des Verhältnisses von Theorie und Empi rie, Begriff und Realität für einen Widerspruch zur Wissenschaft:

"Das Geschwatz über die Notwendigkeit, den Wertbe­griff zu beweisen, beruht nur auf vollständigster Unwissenheit, sowohl über die Sache, um die es sich handelt, als die ~lethode der Wissenschaft." (r~arx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 184 f)

149) Reichelt, Ansätze, S. IX Zur Erörterung des hier von Reichelt angesprochenen Verhältnisses von Darstellung des "allgemeinen Be­griffs des Kapitals" und Entwicklung der "wirklichen Konkurrenz" siehe Abschnitt 111 meiner Dissertation, "Realanalyse, Krisentheorie und Krisenprognose" .

150) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18

151) Reichelt, Ansätze, S. LXXII

152) Reichelt, Editorial, S. 9

153) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18

154) Claus Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates Aufsätze zur politischen Soziologie, Frank-furt am Main 1972

155) Offe, Spätkapitalismus - Versuch einer mung, in: ders., Strukturprobleme

ffsbestim­isti-

156)

157)

158)

159)

160)

161)

162)

163)

164)

165 )

166)

sehen Staates, S. 8

a.a.O. , S. 7

a.a.O. , S. 7 f

a.a.O. , S. 9 ff

a .a.O., S. 21 ff

a.a.O. , S. 12

a.a.O.

a.a.O., S. 9 f

Marx, Das Kapital, Bd. 3, S. 251 ff

a.a.O., S. 259 f: . "Die periodische Entwertung des vorhandnen.Kapltals, die ein der kapitalistischen Produktlonswelse lm­manentes rHttel ist, den Fall der Profitrate auf­zuhalten und die Akkumulation von Kapitalwert durch Bildung von Neukapital zu beschleunigen,. stört die gegeb'1en Verhältnisse, worin sich der ZIrkulatIons­und Reproduktionsprozeß des Kapltals vollZIeht, und ist daher begleitet von plötzlichen Stockungen und Krisen des Produktionsprozesses ."

a.a.O., S. 261 . "Diese Plethora des Kapitals erwächst aus denseIDen Umständen, die eine relative Überbevölkerung h~r­vorrufen, und ist daher eine diese letztre ergan­zende Erscheinung, obgleich beide auf entgegenge­setzten Polen stehn. unbeschäftigtes Kapital auf der einen und unbeschäftigte Arbeiterbevtilkerung auf der andren Sei te."

a.a.O., S. 268 "Es wird nicht zuviel Reichtum produziert. Aber ':8 wird periodisch zuviel Reichtum in seinen ka~ltall­stischen, gegensätzlichen Formen prodUZIert.

167) a.a.O., S. 259

168) Offe, Spätkapitalismus, S. 2 Lj

.1 69) a. a .0 ., S. 1 7

17 0) Vergleiche in diesem Zusammenhang die in der Soziolo­gie gegebenen Begriffsdefinitionen eines sozialen Sy sterns:

"Das vorrangige Integrationsproblem eines Handlungs­systems ist die Koordination seiner Teileinheiten ... Daher schreiben wir dem sozialen stern haupt-sächlich Integrationsfunktj.on zu." ( . cot,tPar­sons, Das System moderner Gesellschaf't;en, ,,1unche'1 1972, S. 12)

Page 70: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

139

"Als soziale Systeme müssen Gesellschaften vor allem zwei Probleme lösen: das Problem der Ord­nung und das Problem der Stabilität." (Horst Rei­mann, Basale Soziologie, München 1975, S. 159)

Ins Leere ginge die Nachfrage, wer dem "sozialen Sy­stem" denn eigentlich diese ihm vorgeblich vorausge­setzten und zugrundeliegenden "Probleme" stellt. Sie sind deduziert aus einern "Rückschluß" von dem, was die Systemtheorie für das wesentliche Merkmal von einern System erachtet, nämlich ein System zu sein, auf ein vorgegebenes grundsätzliches "Problem", als dessen "Lösung" besagtes Merkmal zu fassen sei. Ein wirklicher Rückschluß ist diese Folgerung nicht. Sie expliziert nur den Entschluß der Systemtheorie, die Existenz des Systems tautologisch als dessen Leistung aufzufassen. Die Leistung des sozialen Systems hat dabei die vollkommen inhaltsleere Bestimmung, die eigene Selbsterhaltung als System zu bewerkstelligen. Die im folgenden ausgeführten näheren Bestimmungen der Leistung sind Scheinkonkretionen . Ohne auch nur im geringsten an Inhalt zu gewinnen, wird die leere Vorstellung der Selbsterhaltung bei Reimann in zwei Bestimmungen auseinandergelegt: die Leistung des Sy sterns, es selbst zu sein, also das "Problem" der "Ordnung" zu lösen; und die Leistung des Systems, es selbst zu bleiben, also das "Problem" der "Stabi­li tät" zu bewäl tigen. Die "Anwendung" dieser Begriffsdefinitionen des "so­zialen Systems" auf wirkliche Gegenstände wie die kapitalistische Produktionsweise besteht dann in dem tautologischen Bezug aller wirklichen 110mente der Sache auf die "Lösung" eines vorgestellten grundsätz­lichen "Bestandsproblems" des "sozialen Systems". Nicht die Kenntnisnahme der Sache ist das Resultat ihrer systemtheoretischen "Beleuchtung". Vielmehr is t die Sache bloßes Material für die zirkuläre Repro­duktion der vorweg schon definierten Vorstellung über si e .

171) Bei Marx findet sich eine Kritik des "Geheimnisses der spekulativen Konstruktion", die auch auf das Ab­straktionsverfahren der modernen systemtheoretischen Methode zutrifft: Die heilige Familie, in: MEW 2, Berlin (Ost) 1972, S. 59 ff

172) Marx, Das Kapital, Bd. 3, S. 260

173) a.a.O., S. 265: "Die eingetretne Stockung der Produktion hätte eine spätere Erweiterung der Produktion - inner­halb der kapitalistischen Grenzen - vorbereitet. Und so würde der Zirkel von neuem durchlaufen. Ein Teil des Kapitals, das durch Funktionsstok­kung entwertet war, würde seinen alten Wert wie-

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140

dergewinnen . Im übrigen hürde mi t erwei tert~n Pro­duktionsbedingungen, mlt elnem erwelterten Harkt und mit erhöhter Produktivkraft derselbe fe~ler­hafte Kreislauf wieder durchgemacht werden.

174) a.a.O., S. 260

175) a.a.O.

176) Offe, Spätkapitalismus, S. 14

177)

178)

179)

180)

181)

182)

183)

184)

185 )

In diesem Zusammenhang muß auf die.Arbei:en von Jür­gen Habermas hingewiesen werden, dle Slcn ebenfal~s einer "Übersetzung" der Marxschen Kapl tallsmuskrl vlk in die "Sprechweise" systemtheo~,etischer Konstruktlo­nen annehmen. In seiner Arbei t Zur Rekonstruktlon des Historischen Materialismus" interpret].er~ Haber­mas die Kapitalakkumulation als ein widerspruchllches "Mus tel' der Kompl exi tä ts s tei gerung ... ln dem Slnne, daß das ökonomische System auf jeder neuen Stufe _~er Problemlösung neue und vermehrte Probleme erzeugt (Jürgen Habermas, Was heißt heute Krlse? - Legltlma­tionsprobleme im Spätkapitalisn;us, ln:. ders., ,Zur Re-

k

konstrukti on des Historischen ~iaterlallsmus, Frankfur c

am Main 1967, S. 305), um dann ausgehe~d ;on onem "M d 11 der wichtigsten strukturellen Merl,male s:[,'at­ka~i ~alistischer Gesellschaften" (Ci·a.O., S. 306) nicht den Spätkapitalismus zu erklaren, sondern dle Bedingungen der Möglichkeit einer erfolgrelchen Be­antwortung seiner Problemstellung zu konstruleren, . "ob auch noch der Spätkapitalismus demselben oder el­nem ähnlich selbstdestruktiven Entwlcklungsmuster fol t wie der klassische, der Konkurrenzkapl ~allsmus. Ode~ hat sich das Organisationsprlnzlp des Spatka­pitalismus so geändert, daß der Akkumulat:Lonspro~~ß keine bestandsgefährdenden Probleme mehr erzeugt.

(a.a.O.). "O"k . h Be-Vgl. ebenfalls die Ausführungen zur o~omls~ en_ gründung der \'ielt als Krisenzusamrnenhan g " ln. Ha bermas, Theori e und Praxis, Frankfurt am !.~aln 1971, S. 253 1')

Offe, Spätkapitalismus , S. 11

a.a.O. , S. 17

a.a.O. , S. 18

a.a.O. , S. 21

a.a.O.

a.a.O. , S. 23

a.a.O.

a.a.O. , S. 9

Page 71: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

186) Offe, Klassenherrschaft und politisches System. Zur Selektivität politischer Institutionen, in: ders., Strukturprobleme des kapi talistischen Staates, S. 90

1 87) a. a. 0 ., S. 24

188) a.a.O., S. 17

189) Das methodische Interesse an den Bedingungen und Vor­aussetzungen einer erfolgreichen marxistis-chen Staats­theorie charakterisiert ebenfalls Offes Arbeiten über den "Begriff" des "Klassencharakters des Staates". In seinem Aufsatz "Klassenherrschaft und Politisches Sy­stem. Zur Selektivität politischer Institutionen" (in: Strukturprobl eme des kapi talistischen Staates, S. 65 fn untersucht Offe "einige analytische und me­thodische Probleme, die mit dem Versuch einer marxi­stischen Staatstheorie verbunden sind" (a.a.O. S. 65). Auch hier analysiert Offe nicht den bürgerlic Staat, sondern postuliert Richtlinien, was zu tun wäre, wenn man den Staat "als kapitalistischen" erfolgreich be-gr ei f en wi 11 :

"Ausgangspunkt ist das Problem des Klassencharak­ters des Staates, oder genauer: die Auflösung der zumindest scheinbaren Inkonsistenz, dennoch als kapi­obwohl n:i.cht selbst Kapitalist, dennoch als kapi­talistischer Staat - und nicht etwa nur als 'Staat in der kapitalistischen Gesellschaft' aufgefaßt werden muß." (a.a.O., S. 65 f)

Das Resultat des Aufsatzes: Wenn man über die von Offe entworfene Theorie der "Selektivität politischer In­stitutionen" verfügt, dann besitzt man das Instrumen­tarium zur "Auflösung der zumindest scheinbaren Inkon­sistenz" und vermag den Staat "als kapitalistischen" zu begreifen, obwohl er kein Kapitalist ist. Dasselbe meta-methodische Forschungsinteresse liegt dem 1976 erschienenen Aufsatz "Thesen zur Begründung des Kon­zepts des kapitalistischen Staates und zur materiali stischen Politikforschung" (in: Altvater/Basso/Mat­tick/Offe u. a., Rahmenbedingungen und Schranken staat­lichen HandeIns - Zehn Thesen, Frankfurt am r·lain 1976) zugrunde.

190) Offe, Spätkapitalismus, S. 18

191) a.a.O., S. 25

192) Siehe dazu die in meiner Arbeit dargestellten Krisen-theorien. Vergleiche dazu ebenso die Krisentheorien von Joachim Hirsch (Elemente einer materialistischen Staatstheorie, in: Braunmühl/Funken/Cogoy/Hirsch, Probleme einer ma­terialistischen Staatstheorie, Ffm 1973, S. 217 ff) und Elmar Al tvater (Zur Kon junkturl der BRD An-

1970, in: Sozialistische Poli Nr. 5, 1970, S. ff)

142

1 93) 0 f f e, a. 21 .0 ., S. 25

191+) Paul Sweezy, Die Zukunft des talismus und ande-re Aufsätze zur politischen onomie, Frankfurt 21m Main 1970, S. 7 Sweezy konstatiert in seiner Studie über die "Zu­kunft des Kapitalismus", daß "der Kapi tali.smus ... freilich viele Mutmaßungen über seine Zukunft über­lebt (hat) und ... auch weiterhin viele überleben (wird)." (a.a.O.) Dies ist ihm jedoch nicht Anlaß, die Praktizierung des Marxismus als Kalkulation der "Zu kunftsaussichten" (a.a.O., S. 22) des kapitalisti­schen Systems ad aota zu 1 egen, vielmehr Bewoggrund, sich dem "analytischen Problem der Diagnosti.zierung seiner Zukunft" (a.a.O., S. 7) zuzuwenden:

"Mit dieser Studie über die Zukunft des Kapitalis­mus habe ich nicht so sehr bestimmte Aussagen über sein künftiges Schicksal im Sinn, als vielmehr die Ermittlung der Methode, die für die Analyse der Zukunft am geej.gnetsten ist. Für den, der auch nur halbwegs vertraut ist mit dem, was ich geschrieben habe, ist es kein Geheimnis, daß ich dem Kapitalis­mus eine graue Zukunft prophezeie." (a.a.O.)

195) Offe, a.a.O., S. 12

196) Projekt Klassenanalyse, Zur Taktik der proletarischen Partei - Marxsche Klassenanalyse Frankreichs 1848 1871, Berlin (West) 1972, S. 10

197) Titel der Reihe, unter der im Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung (Westberlin) die Arbeiten zum 'Kapital' erschienen.

198) Joachim Bischoff. Gesellschaftliche Arbeit als Sy­stembegriff - Über wissenschaftliche Dialektik, Ber-1in (West) 1973, S. 22

199)

200)

201)

202)

a.a.O.

a.a.O .,

a.a.O. ,

a.a.O. ,

S. 139

S. 135

S. 27

203) r~arx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, in: [vlEW 13, S. 9

204) Bischoff, 21.21.0., S. 49

205) Zur Auseinandersetzung mit dem Marxschen Diktum selbst siehe den folgenden Exkurs der vorliegenden Arbeit: Sein und Bewußtsein im wissenschaftlichen Sozialis­mus

206) Marx, Das Kapi tal, Bd. 1, S. 393

207) a. 21.0.

Page 72: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

208) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 31 f

209) a.a.O. , S 31

210) a.a.O , S J2 211) Marx Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort,

in: 13, S. 9

212) In diesem Zusammen ist auf die Position von Al-fred Schmidt innerhai der Diskussion um die adäqua-te Rezeption der Marxschen "Kritik der politischen Öko­nomie" zu verweisen. Er ist einer der wenigen, die sich gegen eine Interpretation des Marxschen Diktums vom gesellschaftlichen Sein, das das Bewußtsein bestimmt, im Sinne einer epistemologischen Notwendigkeit wen­den. Alfred Schmidt verlangt zurecht, man solle das Marxsche Diktum nicht als erkenntnistheoretisches Po­stulat, sondern als Kritik der bürgerlichen Gesell-ehaft lesen, die die Menschen zwingt. sich den von hnen produzierten ökonomischen Verhältnissen wie Na­urgesetzen zu unterwerfen:

"Die 'Objektivität' dieser Gesetze wird ja bei r~arx gerade kritisiert. Solange si.e nämlich ... unab­hängig von unserem Bewußtsein sich durchsetzen, sind wir ziemlich schlecht dran. Immerhin hat Marx sehr deutlich gesagt, daß er unter Kommunismus ei­nen Zustand versteht, in dem es keine Verhältnis-se und r'!ächte gibt, die von den Menschen unabhän­gig existieren. Man darf nicht zur wissenschaftli­chen Norm erheben, sozusagen zur Tugend eines er­kenntnistheoretischen Realismus machen, was die Not des von r,larx kritisierten Zustands war. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Es hat gar kei­nen Sinn, in der Theorie noch einmal zu fetischi­sieren, was in der Wirklichkeit schon fetischisiert ist. Je 'objektiver' diese Gesetze sind, desto schlimmer für uns. Engels hat früh bereits den klas­sischen Ökonomen, die sich viel zugute hielten auf die 'Naturgesetze' der kapitalistischen Produktion, entgegnet: Worauf beruhen diese Naturgesetze? Auf der Bewußtl osigkei t der Beteiligten - und das scheint mir überhaupt der Sinn des Sozialismus bei Marx zu sein, daß man nicht bei der bloßen Konsta­tierung stehenbleibt (man geniert sich fast, das zu wiederholen), daß das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt - endlich soll das Bewußt­sein übers Sein gebieten. Es ist doch der Zweck der Ökonomie, wie sie Marx vorgeschwebt hat. daß die Men­schen bevmßt ihre Verhäl tnisse gestal ten und durch keine zweite Natur gefesselt werden, die viel ge­walttätiger ist als die erste ... " (Alfred Schmidt, Diskussionsbeitrag, in: Kritik der politischen Ökonomie heute - 100 Jahre 'Kapital', S. 56 f)

213) Vergleiche hierzu die Ausführungen zum Fetischeha­raktel' der Ware und zum Arbeitslohn im 11. Abschnitt meiner Arbeit: "11.1. Die llekonstruktion der r,larx­sehen Theorie als "logische Struktur des Kapitalbe­griffs " (Helmut Reichel t)"

214) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 77

215 )

216)

217)

218)

a.a.O. ,

a.a.O. ,

a.a.O. ,

a.a.O. ,

S.

S.

S.

S.

29

77

76

39

219) In Abgrenzung zu dem gemeinen Iilenschenverstand, der das praktische Handeln der Individuen begleitet und den ökonomischen Verhältnissen verhaftet ist, be­tont Marx die Notwendigkeit des erkennenden Bewußt­seins, das seiner Natur nach negativ zum gewohnten Denken steht:

"Di e Vermi ttl ungen der irrati onell en Formen, wor­in best:Lmmte ökonomische Verhältnisse erscheinen und sich prakt:Lsch zusammenfassen, gehn die prak-­tischen Träger dieser Verhältnisse in ihrem Han­del und Wandel jedoch nichts an; und da sie ge­wohnt sind, sich darin zu bewegen, findet ihr Ver­stand nicht im geringsten Anstoß daran. Ein voll kommner 1tliderspruch hat durchaus nichts Geheim­nisvolles für sie. In den dem innren Zusammen­hang entfremdeten und. für sich isoliert genom­men, abgeschmackten Erscheinungsformen fühlen sie sich ebenfalls so zu Haus wi.e ein Fisch im v/as­sel'. Es gilt hier, was Hegel mit Bezug auf gewis­se mathematische Formeln sagt, daß, was der gemei­ne r~enschenverstand irrationell Endet, das lla­tionelle, und sein Rat:Lonelles die Irrationali tät selbst ist."(Das KapitaJ, Bd. 3, S. 787)

220) Gegenüber der in der bürgerlichen Gesellschaft weit verbreiteten Wertschätzung des gesunden Menschenver­standes, die mit der Skepsis gegenüber einer vIissen­sehaft einhergeht, die auf Objektivität drängt, weist Marx zum einen auf die Selbstverständlichkeit hin, daß "alle \hssenschaft überflüssig wäre, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenEelen." (Das Kapital, Bd. 3, S. 825); zum anderen betont er die Bedeutung wirklicher Wissen­schaft für die praktische Veränderung der bürgerli­ehen Ver häl tni s se:

"Und dann glaubt der Vulgäre eine große Entdeckung zu machen, wenn er der Enthüllung des inneren Zu­sammenhangs gegenüber darauf pocht, daß die Sachen in der Erscheinung anders aussehn . In der Tat, er pocht drauf, daß er an dem Schein festhält und

Page 73: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

i~~ als letztes nimmt. Wozu dann überhaupt eine Wissenschaft? Aber die Sache hat hier noch einen andren Hintergrund. Mit der Einsicht in den Zu­sammenhang stürzt, vor dem praktischen Zusammen­sturz, aller theoretische Glauben in die perma­mente Notwendigkeit der bestehenden Zustände. Es ist hier also absolutes Interesse der. herrscben­den Klassen, die gedankenlose Konfusion zu ver­ewigen." (Briefe über 'Das Kapital', S. 185 f)

221) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 31

222) a.a.O., S. 53; Siehe hierzu:

223)

224)

225)

226)

227)

228)

"Für dieses, das gewöhnliche und bisherige wis­senschaftliche Bewußtsein überbietende Bewußt­sein, gilt derselbe Begründungszusammenhang, der für das Be\\'Ußtsein als solches, also jede Anschau­ungs- und Vorstellungsweise, entwickelt worden war: die Genesis dieser Bewußtseinsform, seine be­stimmte Form, ist aus dem spezifisch-historischen Charakter der gesellschaftlichen Arbeit abzulei­ten ... Es ist daher eine zentrale Bestimmung des wissenschaftlichen Sozialismus, daß an die Stelle irgendwelcher in der Wissenschaftswissenschaft üblichen erkenntnistheoreitschen Begründungen die Ableitung der eigenen Genesis aus dem sozialen Le­bensprozeß tritt. Jedwede Interpretation der von Marx und Engels begründeten materialistischen Ge­schichtsauffassung, in der der wissenschaftliche Sozi.alismus nicht allen anderen Bewußtseinsfor­men gleichgestellt und nicht als bestimmte Be­wußtseinsform aus der bürgerlichen Form des sozia­len Lebensprozesses abgeleitet wird, bleibt in den bürgerlichen Bewußtseinsformen befangen, ver­mag also die metaphysische Denkweise nicht zu überwinden." (a.a.O.)

a .a.O., S. 38

a .a.O., S. 77 f

a.a.O. , S. 53

a .a.O., S. H5

a .a.O.

a .a.O., S. 48

229) Reichelt, Ansätze, S. LXXIV

230) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 53

231) Reichelt, Ansätze, S. LXXII

232) Bischoff , Gesellschaftliche Arbeit, S. 139

233) a.a.O., S. 78 234) a.a.O .. S. 53

146

235) a.a.O., S. 32

236) a. a .0 ., S. 290

237) l1arx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 130

238) Auf die Verweise von Bischoff auf das Selbstverständ­nis von Marx und besonders von Engels, die zum Teil vor allem in den frühen Schriften den wissenschaft­lieben Sozialismus als ideellen "Ausdruck" und "Re­flex" der entwickelten kapitalistischen Bedj.ngungen vorstellten, wird eingegangen in dem folgenden Ex­kurs: Sej.n und Bewußtsein im wissenschaftlichen So­zialismus.

239) Die von Bischoff vorgegebene praktisch politische Pro­grammatik entspricht der relativierenden Betrachtung der theoretischen Bedeutung der /llarxschen Theori e:

"So sehr es nun richtig ist, daß die Intelligenz, will sie sich der proletarischen Bewegung anschlie­ßen, sich erst einmal die proletarische Anschau­ungsweise zu eigen machen muß, um ihr überhaupt Bildungselemente zuführen zu können, so falsch ist es, die für Intellektuelle kennzeichnende Form der Einsicht in das Kapi talverhäl tnis - das Studium der r~arxschen Theorie - zu verabsolutieren, j.ndem un­terstellt wird, daß Einsicht in die Bewegungsge­setze des Kapitalismus nur mit Hilfe des Denkens erlangt werden kann." (Bei träge zum wissenschaft­lichen Sozialismus Nr. 1, 1976, S. 1 1;7)

240) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 27

241) a.a.O., S. 29

242) Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, in: /.jEI-I 3, S. 26

243)

244)

245)

a.a.O. ,

a.a.O. ,

a.a.O. ,

S. 27

S. 17

S. 31

246) Die im folgenden geäußerte Kri tik an der von I\larx und Engels verfaßten "Deutschen Ideologie" bezieht sich nur auf das 1. Kapitel "Feuerbach - Gegensatz von ma­terialistischer und idealistischer Anschc.uung", und auch hier nur auf die wenigen Passagen, j.n denen die Verfasser die allgemeinen Grundsätze der materialisti sehen Betrachtungsweise "positiv" vorstellen. Im Un­terschied zu diesen methodischen Passagen wird in der darauf folgenden Kritik an den Repräsentanten der neu­en deutschen Philosophie, Feuerbach, Bauer und Stir­ner, streng und treffend argumentiert.

247) a.a.O., S. 26

248) a.a.O. 249) a.a.O., S. 46

Page 74: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

147

250) a.a.O., S. 26 f

251) a.a.O., S. 40

252) a. a.O .

253) r.rarx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, in: MEW 13, S. 10

254) 1<1arx, Das Kapi tal, Bd. 1, S. 93

255) a.a.O., S. 562 256) Engels; Dialektik der Natur, in: MEW 20, Berlin (Ost)

1972, S. 330 257) Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Uto­

pie zur Wissenschaft, in: MEW 19, Berlin (Ost) 1973, S. 228

258) Engels, Anti-Dühring - Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, in: MEW 20, Berlin (Ost) 1972, S. 250

259) a.a.O.

260) Engels hat damit die von Marx im "Kapital" geleistete Erklärung des bestimmten Verhältnisses von materiel­ler Basis und ideologischem Überbau in der bürgerli­chen Gesellschaft ersetzt durch die Frage nach dem "primus agens" (Engels, Brief an Conrad Schmidt vom 5. August 1890, in: MEW 37, Berlin (Ost) 1974, S. 436) im Verhäl tnis von Sein und Bewußtsein schI echthin . Um diese Frage entscheiden zu können, müßte man sich al­lerdingsden Inhalt beider Seiten für sich betrach­ten so daß an ihm sich klärt, welcher Pol Grund und wel~her Folge ist. Weil Engels diese Klärung nicht leistet, landet er bei der ebenso inhaltsleeren wie widersprüchlichen Charakterisierung des Verhältnisses von Sein und Bewußtsein als "Wechselwirkung", die "in I etzter Instanz" durch das Sein bestimmt wird:

"Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirk­lichen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je be­hauptet. Wenn nun jemand das dahin verdreht, das öko­nomische Moment sei das einzig bestimmende, so verwan­delt er jenen Satz in eine nichtssagende, abstrakte, absurde Phrase. Die ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen Momente des Überbaus - politische Formen des Klassenkampfs und seine Resultate - Ver­fassungen, nach gewonnener Schlacht durch die sie­gende Klasse festgestellt usw. - Rechtsformen, und nun gar die Reflexe aller dieser wirklichen Kämpfe im Gehirn der Beteiligten, politische, juristische, philosophische Theorien, religiöse Anschauungen und deren viei teren twi ckl ung zu Dogmensys ternen, üb en auch ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschicht­lichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen

148

vorwiegend deren Form. Es ist eine Wechselwirkung aller dieser Momente, worin schließlich durch alle die unendliche Menge von Zufälligkeiten ... als Notwendiges die ökonomische Bewegung sich durch­setzt." (Engels, Brief an Joseph Bloch vom 21./22. September 1890, in: MEW 37, S. 463)

Ironischerweise hat ausgerechnet der Idealist Hegel solch formelle Betrachtungsweise von Sein und Bewußt­sein kritisiert, welche ein generelles Urteil über ihren Zusammenhang zu fällen bestrebt is , ohne zu­nächst beide Seiten für sich analysiert zu haben:

"So wird z. B. bei geschichtlichen Betrachtungen zunächst die Frage verhandelt, ob der Charakter und die Sitten eines Volkes die Ursache seiner Ver­fassung und seiner Gesetze oder ob dieselben um­gekehrt deren Wirkung seien, und es wird dann dazu fortgeschritten, diese beiden, Charakter und Sitten einerseits und Verfassung und Gesetze ande­rerseits, unter dem Gesichtspunkt der Wechselwir­kung aufzufassen ... Betrachten wir z. B. die Sit­ten des spartanischen Volkes als die Wirkung sei­ner Verfassung und so umgekehrt diese als die Wir­kung seiner Sitten, so mag diese Betrachtung im­merhin richtig sein, allein diese Auffassung ge-währt um deswillen keine letzte Befri , wei durch dieselbe in der Tat weder die noch die Sitten dieses Volkes begriffen welches nur dadurch geschieht, daß jene beiden und ebenso alle übrigen besonderen Seiten, wel-che das Leb~n und die Geschichte des spartanischen Volkes zeigen, als' in diesem Begriff begründet er-kannt werden." (Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, in: WW 8, Frankfurt am Main 1970, S. 301 f)

261) Reichelt, Ansätze, S. LXXII

262) Offe, Spätkapitalismus, S. 9 f

263) a.a.O.

264) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 139 265) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18

266) Daß die Rekonstruktion der Marxschen Theorie als dia­lektische Methode durchaus eine Kritik an den mate­rialen Aussagen von Marx zur "Kritik der politi­schen Ökonomie" einschluß, dessen war man sich be­wußt, wie die Ausführungen von Rosdolsky auf dem Frankfurter Kolloquium 1967 zum Ausdruck bringen, "daß wi r di e r·lethode des 'Kapi tal' für das wertv 011-ste und dauerhafteste Stück des Lehrgebäudes von Marx halten und daher im Studium und in der Anwen­dung dieser Methode die Zentral aufgabe der marxisti­schen Forschung von heute erblicken." (Rolsdolsky,

Page 75: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

149

Einige Bemerkungen über die Methode des Marxschen 'Kapital' und ihre Bedeutung für die heutige Marx­forschung, in: Kritik der politischen Ökonomie heute, S. 15)

Siehe hierzu auch die programmatischen Äußerungen von Alfred Schmidt auf dem Frankfurter Kolloquium:

"Jede Marx-Exegese hat in zwei Etappen vorzugehen. Sie muß feststellen, was in den Texten wirklich steht ... Darüber hinaus - und das wäre in einem zweiten Arbeitsgang zu leisten gibt es Probleme, die als solche nur sichtbar werden, wenn die In­terpretation 'konstruierend' über die Unmittelbar­keit der Texte hinausgeht." (A. Schmidt, Zum Er­kenntnisbegriff der Kritik der politischen Öko­nomie, in: Kritik der politischen Ökonomie heute, S. 32 f)

Die so aufgefundenen "Probleme" verdanken dann aller­dings ihre Herkunft weniger dem Marxschen Werk denn den erkenntnistheoretischen Konstruktionen des mate­rialistischen Interpreten, auch wenn A. Schmidt, der hier ganz in der Tradition hermeneutischen Textver­ständnisses argumentiert, diese Entfernung vom Marx­sehen Gedankengang für das Gütesiegel seiner wirk-ich adäquaten Rezeption erachtet.

267) Feichelt, Zur logischen Struktur, S. 140

268) Offe, Spätkapitalismus, S. 21

269) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 139

270) Feichelt, Zum Wissenschaftsbegriff, S. 31

271) Fosdolsky, Einige Bemerkungen, S. 21

272) Feichelt. Zur logischen Struktur, S. 18

273) Feichelt, Ansätze, S. IX

274) Es soll hier nicht die Notwendigkeit gel et wer-den, die von Marx nicht mehr ausgeführte teIlung der "Konkurrenz" noch zu leisten. Die theoretische Erarbeitung der Konkurrenz der Lohnarbeiter und Ka­pitalisten ist jedoch etwas anderes, als das Verhält­nis von "allgemeinem Begriff" und "wirklicher Ober­fIäche" zu oblematisieren. Siehe hierzu im 111. Abschnitt eser Arbeit: 111.1. Was heißt Analyse der Konkurrenz';

275) >larx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 133

276) eichelt, Zur logischen Struktur, S. 18

I

111. Die empirische Verifikation des als Methode rekon-

struierten Marxismus Fealanalyse. Krisentheorie

und Krisenprognose

1. Realanalyse (Elmar Al tvater)

Eine ganze Abteilung marxistischer Gesellschaftstheorie -

zusammengefaßt im Diskussionsrahmen der Zeitschrift "Pro·­

bleme des Klassenkampfs" - beschäftigt sich seit Anfang der

siebziger Jahre mit dem wissenschaftlichen Projekt einer

"Realanalyse".1) So betont zum Beispiel das Redaktionskol­

lektiv "Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus"

(dessen Mitglieder sämtlich dem HerausgeberkreiS der Zeit­

schrift "Probleme des Klassenkampfs" angehören) die Not­

wendigkeit, die "Realentwicklung" zu untersuchen, um damit

dem Mangel einer auf die Erarbeitung des allgemeinen Kapi­

talbegriffs beschränkten Fekonstruktion der Narxschen Theo­

rie abzuhelfen:

"Ihr verb daher nicht unsere Unzufri edenhei t der augenblic ich bestehenden Di zwischen en or-hand Arbeiten über die Marxsc Kritik der iti-

onomie und wei fehlenden systematischen exen Aussagen er die Realentwicklung. Wj.r be-

tonen och. daß diese LUcken der marxistischen wi sen-schaf iehen Arbeit nicht nur Ausdruck der durch den Stand der Ausbildung und Erfahrung gesetzten Grenzen dieser Arbeit sind, sondern daß sie auch auf ein be­wußtes methodisches Verfahren hinweisen: Wir sind der Ansicht, daß es für jede Untersuchung de~ wirklichen

der Konkurrenz der realen tale und somi jede zeitgeschichtliche e der Entwick-

stufe kapitalistischer Produktion grundsätzliche ist. den Zu zwischen der inneren

Natur der kapitalistischen Pr cnsweise und ihrer erscheinenden zu b ses Zusammenhangs gi tuns zung. der erscheinenden nicht aufzusitzen. umso mehr, als gerade in den zu tisie~enden Arbeiten dieser Umschlag von Narxscher Theorie in marxistisc [fJethode verloren gegangen zu sein schein·:; ... " 2)

Auch Elmar Al tvater erachtet es für unabdingbar, "die in­

tensive Beschäftigung mit der Narxschen Theorie, ihre ge-

j ---------------_ .... _-----_ ......... _...-.......;;;===-"-, .. , .. ,,.

Page 76: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

Einige Bemerkungen über die Methode des Marxschen 'Kapital' und ihre Bedeutung für die h~utige Marx­forschung, in: Kritik der politischen Okonomie heute, S. 15) ,_

Siehe hierzu auch die programmatischen Außerungen von Alfred Schmidt auf dem Frankfurter Kolloquium:

"Jede Marx-Exegese hat in zwei Etappen vorzugehen. Sie muß feststellen, was in den TexteR wirklich steht ... Darüber hinaus und das wäre in einem zweiten Arbeitsgang zu leisten - gibt es Probleme, die als solche nur sichtbar werden, wenn die In­terpretation 'konstruieren~ über die Unmittelbar­keit der Texte hinausgeht." (A. Schmidt, ZUm Er­kenntnisbegriff der Kritik der pol~tischen Oko­nomie, in: Kritik der politischen Okonomie heute, S. J2 f)

Die so aufgefundenen "Probleme" verdanken dann aller­dings ihre Herkunft weniger dem Marxschen Werk denn den erkenntnistheoretischen Konstruktionen des mate­rialistischen Interpreten, auch wenn A. Schmidt, der hier ganz in der Tradition hermeneutischen Textver­ständnisses argumentiert, diese Entfernung vom Marx­sehen Gedankengang für das Gütesiegel seiner wirk­lich adäquaten Rezeption erachtet.

267) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 140

268) Offe, Spätkapitalismus, S. 21

269) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 139

270) Reichelt, Zum Wissenschaftsbegriff, S. 31

271) Rosdolsky, Einige Bemerkungen, S. 21

272) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18

273) Reichelt, Ansätze, S. IX

274) Es soll hier nicht die Notwendigkeit gel et wer-den, die von Marx nicht mehr ausgeführte teIlung der "Konkurrenz" noch zu leisten. Die theoretlsche Erarbeitung der Konkurrenz der Lohnarbeiter und K~­pitalisten ist jedoch etwas anderes, als das Verhalt­nis von "allgemeinem Begriff" und "w rklicher Ober­fläche" zu oblematisieren. Siehe herzu im 111. Abschnitt eser Arbeit: III .1. Has eißt Analyse der Konkurrenz?

275) I.larx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 133

276) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18

111. Die empirische Verifikation des als Methode rekon­

struierten Marxismus - Realanalyse. Krisentheorie

und Krisenprognose

1. Realanalyse (Elmar Altvater)

Eine ganze Abteilung marxistischer Gesellschaftstheorie

zusammengefaßt im Diskussionsrahmen der Zeitc,chrift "Pro'­

bleme des Klassenkampfs" - beschäftigt sich seit Anfang der

siebziger Jahre mit dem wissenschaftlichen Projekt einer

"Realanalyse".1) So betont zum Beispiel das Hedaktionskol­

lektiv "Theorie des staatsmonopoli,stischen Kapitalismus"

(dessen Mitglieder sämtlich dem Herausgeberkreis der Zeit­

schrift "Probleme des Klassenkampfs" angehören) die Not­

wendigkei t, dIe "Healentwicklung" zu untersuchen, um damit

dem Mangel einer auf die Erarbeitung des allgemeinen Kapi­

talbegriffs beschränkten Rekonstruktion der ~arxschen Theo­

rie abzuhelfen:

"Wir verbergen daher nicht unsere Unzufriedenheit an der augenblicklich bestehenden Di zwi ehen den vor-hand Arbeiten über die Marxsc Kriti~ der Poli schen onomie und wei fehlenden systematischen und komplexen Aussagen die Realentwiekl Wi be-tonen edoeh, daß diese Lücken der marxistisc wi sen-schaf iehen Arbeit nicht nur Ausdruck der durch den Stand der Ausbildung und Erfahrung gesetzten Grenzen dieser Arbeit sind, sendern daß sie auch auf ein be­wußtes methodisches Verfahren hinweisen: Wir sind d Ansicht, daß es fUr jede Untersuchung der wirklichen Bewegung der Konkurrenz der realen tale und somit auch für jede zeitgeschichtliche se der Entwic lungsstufe kapitalistischer Produktion grundsätzliche Bedingung ist, den Zu zwischen der inneren Natur der kapitalistischen cnswei e und ihrer erscheinenden fen. Die Aneignung die-ses Zusammenhangs gil uns s methodische Vorausset-zung. der erscheinenden nicht aufzusitzen, umso mehr, als gerade in den zu tisierenden Arbe ten dieser Umschlag von Marxscher Theorie in marxistische r.jethode verloren gegangen zu sein scheint ... " 2)

Auch Elmar Al tvater erachtet es für unabdingbar, "die in­

tensive Beschäftigung mit der Marxschen Theorie, ihre ge-

Page 77: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

151

nau Aneignung und ekonstrukti on" , durch realanaly­

tische Untersuchungen zu ergänzen. Er plädiert dafür,

"daß die vielfältigen und k izierten Erscheinungs-formen des hochentwickelten talismus selbst Gegen-

tand der Untersuchung sein müssen und ede matische Beschränkung auf die Marxsche des Kapitalbegriffs sich eines Resul das selbst nur als Resultat eines Prozesses der kenntnis, als Resultat eines umfassenden Forse

ozesses, richtig verstanden werden kann. Dieser isprozeß im Sinne eines durchaus arbeitsteilig,

d. h. kollektiv, zu organisierenden theoretischen Ar­bei die

muß sich als Forschungsarbeit auch auf des hochentwickelten Kapitalismus nicht dadurch abgekürzt werden, daß

die 'ferti allgemeine Theorie des Kapitals', d. h. die Marxsc Darstellung des Kapital ffs, übernom-men, in ihren Verästelungen angeeign wird." I~)

Das Verhältnis von "Marxscher Darstellung des Kapitalbe­

griffs" und Interpretation der "empirischen Oberfläche"S),

aus dem heraus Altvater die methodische Notwendigkeit ei­

ner "Healanalyse" begründet, charakteri.siert er nüher wie

folgt:

";.Jarx selbst hat in einer FUlJe von Artikeln, Erklärun­, Reden, Adressen permanent zu aktuellen politischen

Stellung bezogen ohne jeweils im einzelnen auf den 'Kapital ff im 1gemeinen' zu rekurrieren ... Insofern ist e An der Marxschen Theorie unbe­dingt notwendig, aber nie als ein Instrument, das

der Auseinandersetzung mit Problemen der wirklichen und Theorien gelernt sein muß, und auch nicht

als ein das nur noch 'ex cathedra' auslege-bedürftig sei, sondern als begriffliche Abstraktion der wirklichen des Kapitalverhältnisses, die mit der historischen cklung des Kapitalismus auch neue Fragen aufwirft, die nicht das Wesen dieser Ge­sellschaft, die Form ihrer Widersprüchlichkeit, wohl aber die Erscheinungsformen des Kapitalverhältnisses berühren. Und die 'Realanalyse' umschließt sowohl die Analyse des Wesens als auch der Erscheinungen (sowohl in ihrer systematischen begrifflichen Herleitung als auch ihren konkreten historischen Verlaufsformen). Die Beto-

des 'doppeIgleisigen' Vorgehens - Aneignung der von dargestellten logischen Struktur des Kapital-begriffs und Analyse historischer Erscheinungsformen des Kapitalismus - darf allerdings keinesfalls als me­thodisches Postulat verstanden werden. Allerdings gibt

152

es auch kelnen Konlgsweg vom allgemeInen K"lpItalbegrl f zur Oberflache des Kapltalverhaltnlsses und den h1sto­rischen Verlaufsformen einer konkreten Gesellschaft." 6)

Ohne die zitierten programmatischen Äußerungen in allen

Einzelheiten kommentieren zu wollen, soll hier zunächst

einmal soviel tiber das Projekt einer Realanalyse festge­

haI ten werden:

Erstens. Die hier vorgetragenen Begründungen fUr die Not­

wendigkeit einer Realanalyse berufen sich alle auf die

von r~arx selbst hervorgehobene D i f f er endes all­

gemeinen Begriffs des Kapitals und den Gesetzen seiner

Durchsetzung, auf den Unterschied der "inneren Natur des

Kapi tals" von der "Art und Weise, wie die immanenten Ge­

setze der kapitalistischen Produktion in der äußern Be-

. h'" 7 ) wegung der KapItale ersc e1nen.

Zweitens. Dabei wird allerdings diese Differenz so thema­

tisiert, als handle es sich bei dem von Marx im 'Kapital'

dargestellten allgemeinen Begriff des Kapitals noch nicht

um materiales Wissen über die kapitalistische Realität,

sondern um eine für sich bloß "begriffliche .~ b s t r a k -

ti 0 n der wirklichen Bewegung". Umgekehrt wird die (von

Marx nicht mehr geleistete, aber im ursprünglichen Auf- 8)

bauplan des 'Kapital' vorgesehene) Analyse der Konkurrenz

damit identifiziert, den Mangel einer im 'Kapital' darge­

stellten bloß "logischen Struktur" zugunsten der Darstel­

lung m a te r i h 1 e n Wissens über die "empirische Ober­

fläche" und "Realentwlcklung" zu überwinden.

Drittens. Dem Projekt einer Realanalyse liegt damit die

schon von Reichelt her bekannte Rekonstruktion der Marx­

sehen Theorie als "logische Struktur des Kapitalbegriffs"

zugrunde: während die genaue Aneignung des 'Kapj. tal' zu

d K t . ,,9)

bloß formellem Wissen über die "Logik er a egorle

führe, sei die Analyse der Konkurrenz hingegen identisch

mt tinhaI tlicher Kenntnisnahme der "wirklichen Konkurrenz

Page 78: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

153

der realen Kapitale" und der "empirischen Oberfläche". Die

Realanalyse ist also die Konsequenz aus einer methodischen

(Selbst-)Kritik an den bisherj.gen Arbeiten zur Rekonstruk­

tion der Marxschen "Kritik der politischen Ökonomie". So

vernichtend diese kri b.sche Zwischenbilanz bislang gelei­

steter Rekonstruktion einerseits ihrem Inhalt'nach ist

sie behauptet ja, daß die kapitalistische Realität durch

die rekonstruierte "logische Struktur des Kapitalbegriffs "

nicht erklärt ist -, so konstruktiv ist sie andererseits

für den weiteren Forschungsprozeß: mittels Realanalyse

soll jetzt die "empirische Oberfläche" analytisch durch­

drungen und damit zugleich die in der "logischen Struktur"

formulierten Gesetze des Kapitals als wirklich existent

bewiesen werden.

Insofern sich die realanalytischen Untersuchungen auf die

von Marx für notwendig erachtete Aufgabe berufen, der Er­

klärungsbedürftigkeit der "Oberfläche" der bürgerlichen

Ges Ischaft durch die Analyse der "Konkurrenz" abzuhel­

fen. soll in diesem Zusammenhang untersucht werden, ob

das von Altvater programmatisch vorgeschlagene Projekt der

Realanalyse dazu einen Beitrag zu liefern vermag. Zur Be­

urteilung der Realanalyse sind also in einem ersten Schritt

zwei Fragen zu klären: 1. Was heißt Analyse der Konkurrenz

bei Marx? 2. Ist das Verhältnis von allgemeinem Kapitalbe­

griff und Oberfläche des Kapitalverhältnisses identisch

mit dem Verhältnis von Theorie und Empirie, von abstraktem

Begriff und empirischer Realität? In einem zweiten Schritt

sollen dann die immanenten Bestimmungen realanalytischer

Untersuchungen über den tendenziellen Fall der Profitrate

dargestellt werden.

a) Was heißt Analyse der Konkurrenz?

Anläßlich der Fertigstellung des Manuskripts, das als Fort­

setzung der Schrift "Zur Kritik der politischen Ökonomie"

veröffentlicht werden und den "Produktionsprozefl des Ka-

pitals, Zirkulationsprozeß des Kapi

K . 1 d') f·t Z' ,,10 den oder apl ta un 1 r 0 l', lns

schrieb Marx an Kugelmann:

s, Einheit von bei

behandeln sollte,

"Es umfaßt in der Tat nur, was das dri tte Kapi tel der ersten Abteilung bilden sollte, nämlich 'das Kapital im allgemeinen'. Es ist also nicht darin eingeschlos­sen die Konkurrenz der Kapitalien und das Kreditwesen. Was der Engländer 'the principles 01' political econo­my' nennt, ist in diesem Band enthalten. Es ist die Quintessenz (zusammen mit dem ersten Teil), und die Entwicklung des Folgenden (mit Ausnahme etwa des Ver­hältnisses der verschiedenen Staatsformen zu den ver­schiedenen ökonomischen Strukturen der Gesellschaft) würde auch von anderen auf Grundlage des G eli eferten leicht auszuführen sein ... " 11)

Iht der "Entwicklung des Folgenden" ist die wisc,enschaft-·

liehe Analyse der Konkurrenz und des Staates gemeint.1

)

Drei Fragen sollen im folgenden erörtert werden: Warum

eigentlich wird die Analyse der Konkurrenz der Kapitali

sten und der Lohnarbeiter notwendig? Was ist ihr Gegen­

stand? Worauf beruht die Sicherheit von arx, die Bücher

zur Konkurrenz seien "auf Grundlage des Gelieferten leicht

auszufü hren "?

Um mit der letzten Frage zu beginnen: arx war überzeugt.

das Restprogramm wissenschaftlicher Erforschung der kapi­

talistischen Produktionsweise wäre im Vergleich zur Erar­

beitung des "Kapital" "leicht auszuführen". Jenn mit der

in den 3 B3.nden "Kapital" durchgeführten DarCltellunl.O; der

"principles of political economy" i.st in der Tat die prin­

zipielle Erklärung der allgemeinen Gesetze der kapitali­

stischen Ökonomie, des Produktions- und Zirkulationspro­

zesses des Kapitals sowie des GesamtprozesseCl kapitali ti-

scher Produktion, abgeschlossen. Einige Sti.ch-

punkte seien in Erinnerung gerufen: Das Waren- und Geld­

kapitel erklärt das Phänomen der Unterordnung des produ­

zierten konkreten Reichtums unter die abstra~te, von den

Produzenten getrennte und gegen sie verselbständigte Wert­

form des Produkts; in den Mehrwertkapiteln ist das Ge-

Page 79: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

155

heimnis der kapi talistischen Plusmacherei gel öst und es

sind die Gesetzmäßigkeiten der Produktion des Mehrwerts

dargestellt, denen .iedes "reale" Kapital notwendig un­

terworfen ist; mit der Analyse der Profitrate ist das Maß

der Verwertung bestimmt, das in der Tat Uber Ausdehnung

und Einschränkung der Produktion, Uber Ein- und Ausstel

lung von Arbeitern praktisch entscheidet; mit der Analyse

der Revenuen und ihrer Quellen schließlich sind die öko­

nomischen Formen behandelt, wie sie den Individuen als

sachliche Voraussetzungen ihres willentlichen HandeIns

gegenUbertreten.

Daß im "Kapital" (Band 1 - J) die Gesetze des "Kapi

tal im allgemeinen" dargestellt werden, tan-

giert ihre theoretische GU tigkeit und praktische Geltung

in keiner Weise. Es sind eben die allgemeinen Gesetze je­

des besonderen Kapitals, und "das Verhältnis der vi e-

1 en wird vielmehr sich erklären, nachdem das, was alle

gemein haben, Kapital zu sein, betrachtet ist.,,1J) Daß

es diese allgemeinen Gesetze in der Tat nur als "Zwangs­

gesetze der Konkurrenz,,1Ij) der einzelnen Kapitale gibt,

bestätigt ja eindeutig ihre unabweisbare Geltung und be­

legt nicht etwa ihren bloß relativen Status:

"Die Konkurrenz exequiert di.e innren Gesetze des Kapi­tals; macht sie zu Zwangsgesetzen dem einzelnen Kapi­tal gegenUber, aber sie erfi·ndet sie nicht. Sie reali.­siert sie." 15)

Ivenn die Konkurrenz ihrem Begriff nach "nichts als die

innre Na t ur des Kap i tal s (ist), seine wesent­

liche Bestimmung, erscheinend und realisiert als Wechsel

wirkung der vielen Kapi.talien aufeinander, die innre Ten­

denz als äußerliche Notwendigkei t,,1 6), dann ist zunächst

einmal soviel Uber die im "Kapital" abgehandelten Gesetze

seiner inneren Natur festzuhalten: Ein Phänomen der Kon­

kurrenz, zum Beispiel die Rationalisierungsmaßnahme eines

Kap:Ltalisten, ist mit den Gesetzen der Profitrate und den

zu ihrer Steigerung ins Werk gesetzten Methoden der ab-

156

soluten und relativen Mehrwertproduktion in seinem objek­

tiven Grund und seinen bestimmten Verlaufsformen erklärt.

Einerseits ist mit der im "Kapital" geleisteten Darstel­

lung der allgemeinen Gesetze die Realität der kapi talisti-'

sehen Produkticnsweise theoretisch "durchdrungen" - ein

Mangel in dem Sinne, daß die dort systematisch abgehandel

ten Gesetze des "Kapital im allgemeinen" nur unzureichend

mi t der Reali tät vec,ni ttel t oder gar praktisch Uberha'J.pt

nicht maßgeblich, eben bloß "begriffliche Abstraktionen der

wirklichen Bewegung" wären, existiert nicht. Andererseits

gibt es schon eine noch zu lösende wissenschaftliche Auf­

gabe, auf die Marx zum Beispiel anläßlich der Darstellung

des "Begriffs de3 relativen I~ehrwert" hinweis

"Die Art und Weise, wie die immanenten Gesetze der kapi­talistischen Produktion in der äußern Bewegung der Kapi­tale erscheinen, sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und daher als treibende Motive dem in­dividuellen Kapi talisten zum Bewußtsein kommen, ist jetzt nicht zu betrachten, aber soviel erhellt von vorn­herein: Wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz ist nur möglich, sobald die innere Natur des Kapitals begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem verständlich, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehmbare Bewegung kennt." 17)

Aus den im "Kapital H analysierten allgemeinen Gesetzen der

kapitalistischen Produktionsweise folgt selbst noch, daß

die Subjekte, seien es Kapitalisten, Grundeigentümer oder

Lohnarbeiter, kein Bewußtsein von deren objektivem Inhalt

und Notwendigkeit haben und gleichwohl in ihrem ökonomischen 18)

Handeln den Kapitalgesetzen zur Durchsetzung verhelfen.

Daß die Individuen in ihren ökonomischen Handlungen die

allgemeinen Notwendigkeiten des Kapital exekutieren, ist

keine Frage mehr; wie sich den Subjekten die immanen-

ten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise in ihrem

ökonomischen Handeln als Zwangsgesetze gel tend machen und

daher "als treibende r,lotive zum Bewußtsein

kommen", ist die in der Analyse der Konkurrenz noch zu lö­

sende wissenschaftliche Frage.

Page 80: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

157

Das mit der Analyse der Konkurrenz zu lösende theoretische

Problem sei noch einmal von einer anderen Seite her ver­

deutlicht: Mit dem Marxschen "Kapital" konfrontiert, wird

der mit dem praktischen Zurechtkommen in den 'wirtschaft­

lichen Sachzwängen' befaßte sogenannte gesunde Menschen­

verstand wohl kaum diese Darstellung der allgemeinen Ge­

setze der kapitalistischen Produktionsweise als die zu­

treffende Aufklärung über die objektiven Gründe seines

ökonomischen HandeIns akzeptieren, weil e I' ganz andere

Beweggründe für sein praktisches Tun kennt: Daß er nichts

als die "abhängige Vartable,,19) des Akkumulationsprozes

ses des Kapitals ist, nur lebt, um zu arbeiten und Mehr­

wert zu produzieren. läßt kein Arbeiter als den Begriff

seines Lohnarbeitsdaseins gelten. Er geht schließlich arbei­

ten, um seinen gerechten Anteil an einem mehr oder minder

guten Leben zu erwerben. Und gibt ihm in seiner Auffas­

sung nicht die Erfahrung recht, daß von der eigenen Qua­

lifikation und Leistung durchaus die Lohnhöhe abhängt? Daß

die Lohnarbeit die einzige Quelle von Wert und er der "Aus­

pumper von Mehrarbeit,,20) ist, erkennt kein Kapitalist als

den objektiven Grund seines Reichtums an. Er steigert schließ­

lich seinen Gewinn durch die Rationalisierung seines Pro­

diktionsprozesses, also gerade durch vermehrten Einsatz

von Maschinerie bei verminderter Anwendung von Arbeitern.

Und bestätigt ihn in seiner Auffassung nicht ebenso die

eigene Erfahrung, daß mit seinem Geschick bei Kauf und

Verkauf sowie Kreditbeschaffung ebenfalls die Größe seines

Profits zunimmt?

Die beiden Beispiele mögen als nochmalige Illustration

genügen, daß die immanenten Gesetze des Kapitals nicht be­

wußter Zweck und Willensinhalt der Subjekte in der bürger­

lichen Gesellschaft sind. Der allgemeine GI' und ihres

ökonomischen HandeIns ist nicht ihr treibendes Motiv.

Die wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz hat also zu

klären, wie die Individuen aus ihrem Interesse an Einkom­

men "zwecks Befriedigung ihrer Bedürfnisse überhaupt,

158

physischer, sozialer etc.,,21) den Gesetzen des kapitalisti-­

sehen Reichtums zur Durchsetzung verhelfen und sich im Um­

gang mi t den ihren Interessen vorausgesetzten ökonomischen

Gegenständen - entgegen andersgearteter sub jektiver Auf­

fassung - ganz als Charaktermasken des Produkt:l.onsverhält­

nisses von Lohnarbeit und Kapital betätigen. Di.e Analyse

der Konkurrenz der Kapitalisten und Lohnarbeiter ist dabei

kein akademischer Luxus. Vor allem letztere ist die unab­

dingbare theoretische Voraussetzung für die praktische Ver·­

änderung des falschen Bewußtseins des Lohnarbeiters, indem

sie an seinen Konkurrenzhandlungen den Nachweis führt, wj.e

alle Bemühungen, die Lohnarbeit als Lebensmittel für sich

zu handhaben, ihn doch wiederum nur als Ausbeutungsobjekt

des Kapitals reproduzieren.22

)

Nach dieser Erörterung über Notwendigkei t und Gegenstand

der von Marx geplanten Darstellung der Konkurrenz soll im

folgenden noch skizziert werden, welchen Gang eine solche

Analyse zu nehmen hätte. Einen Hinweis auf die ökonomischen

Kategorien, von denen eine systematische Darstellung der

Konkurrenz ihren Ausgangspunkt zu nehmen hat, ist der von

l~arx vorweggenommenen abstrakten Zusammenfassung der Ent­

wicklung im 3. Band des "Kapital" zu entnehmen:

"Die Gestaltungen des Kapitals, wie wir sie in diesem Buch entwickeln, nähern sich also schrittweis der Form, worin sie auf der Oberfläche der Gesellschaft, in der Aktion der verschiedenen Kapitale aufeinander, der Kon­kurrenz, und im gewöhnlichen Bewußtsein der Produktions­agenten selbst auftreten." 23)

24) Erst mit der Abhandlung der Revenuequelle hat die Dar-

stellung im "Kapital" die ökonomischen Formen zum Gegen­

stand, die den Individuen in der kapitalistischen Gesell­

schaft als sachliche Voraussetzung ihres bewußten HandeIns

gegenübertreten. Die "Oberfläche der Gesellschaft" ist da­

bei durch das folgende gesellschaftliche Verhältnis cha­

rakterisiert: Die Individuen treten sich mit dem Anspruch

auf Bedürfnisbefriedigung gegenüber. Dabei sind j.hnen die

Page 81: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

159

gesel schaftlichen Verhäl tni.sse als äußerliche Sachnot­

wendigkej.ten vorausgesetzt. Zur Realisierung ihrer phy­

sischen, geistigen und sozialen Bedürfnisse benötigen

si e Gel d , müssen sich also ein Einkommen verschaf-

fen und sind dabei auf die ihnen zur Verfügung stehenden

Einkommensquellen angewiesen. Welcher Revenue-

quelle sich die Individuen bedienen dürfen bzw. müssen,

unterscheidet sie auf der Oberfläche der bürgerlichen

Gesellschaft:

"Dem Kapi talisten erscheint sein Kapi tal, dem Grundei­tümer sein Boden und dem Arbeiter seine Arbeits-

aft oder vielmehr seine Arbeit selbs ... so als drei verschiedne Quellen ihrer ezifischcn Revenuen, des Profits, der Grundrente un des Arbeitslohns. Sie sind es in der Tat Ü1 dem Sinne, daß das Kapital für den

talisten eine erennierende Pumpmaschine von 14ehr-eit, der Boden den Grundeigentümer ein peren-

nierender 14agnet zur Anziehung eines Teils des vom Ka­pital ausgepumpten 1'lehrwerts und endlich die Arbeit die beständig sich erneuernde Bedingung und das stets sich erneuernde Mittel ist, um einen Teil des vom Arbeiter geschaffnen Werts und daher einen durch diesen Wertteil gemeßnen Teil des gesellschaftlichen Produkts, die not­wendigen Lebensmittel, unter dem Titel des Arbeitslohns zu erwerben." 25)

Bei der praktischen Bewäl tigung des Lebens sind die in

der Volkswirtschaftslehre "Produkti onsfaktoren" genannten

RevenuequeLLen Kapital - Boden - Arbeit die unabweisbare

materielle Grundlage, mit der ein jeder zwecks Erfüllung

seiner individuellen Ansprüche zurechtzukommen hat. Ei­

nerseits gilt dabei einem Kapitalisten, Grundbesitzer oder

Arbeiter seine Revenuequelle als ein bloßes Einkommens-

mittel für seinen privaten Zweck des Konsums; ande-

rerseits verlangen die Revenuequellen Kapital, Boden und

Arbeit von ihrem Besitzer, sich nach den immanenten Ge­

setzmäßigkei.ten seines ökonomischen Mit tel s zu rich­

ten. Eine Analyse der Konkurrenz hätte sOmit zu verfolgen,

wie sich der Kapi talist oder Lohnarbeiter bei der freien

Verfolgung seiner individuellen Bedürfnisse den ökonomi­

schen Notwendigkeiten ihrer Revenuequelle Kapital oder Ar-

160

beit unterordnet. Die Untersuchung der Konkurrenz der

pi tale bestünde darin, aus dem Zweck der individuell en

Reproduktion und der dem industriellen Kapitalisten dabei

zur Verfügung stehenden Revenuequelle (nämlich Geld, mit

dem zum Zwecke der Gewinnerzielung Produktienselemente

gekauft werden) eine Systematik der sich daraus ergebenden

ökonomischen Handlungen abzuleiten. In der Analyse der \'J:i.­

dersprüchlichen Bedingungen, mit denen er als Einkäufer,

Produzent und Verkäufer von Waren konfrontiert ist, 80wi

der von ihm ergriffenen Produktions- und Kredittechniken

zur Überwindung der in der Konkurrenz produzierten arkt­

schranken wäre die innere Notwendigkeit seiner Konkurrenz­

handlungen aufzufinden. Eine gelungene Untersuchung der

Konkurrenz hätte dann in der "VIechselwirkung der vielen

Kapi talien aufeinander" die Durchsetzung der "innren Na-

tur des Kapitals" aufgezeigt oder - umgekehrt aus t

- die "innre Tendenz als äußerliche Notwendigkeit" zur

Darstellung gebracht.

Zum Abschluß dieser Erörterung sei die hier behauptete in­

haltliche Identität der allgemeinen Gesetze des Kapitals

mit den Konkurrenzformen ihrer Durchsetzung sowie ihre Un­

terschiedenheit der Form nach am Beispiel der Produktion

des relativen Mehrwerts demonstriert. Die im 4. Abschnitt

des 1. Bandes des "Kapital" darges tell ten Gesetze der "Pro­

duktion des relativen r~ehrwerts,,27) erklären ein allgemei­

nes Phänomen der kapitalistischen Produktionsweise - die

von allen Kapitalen praktizierte 'Rationalisierung' der

Produktion. Den allgemeinen Grund der von den einzelnen

Kapitalisten beständig vorgenommenen Veränderung der tech­

nischen und gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitspro­

zesses, welche die Produktivkraft der Arbeit erhöhen, hat

Marx in den Bestimmungen der Mehrwertrate gefunden: Bei

festgesetztem Arbeitstag kann die Mehrwertrate, die im

Produktionsprozeß als das Verhältnis der Mehrarbeit zur

notwendigen Arbeit existiert und das Maß der Selbstverwer-

Page 82: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

161

tung des Kapitals ist, nur durch Reduzierung der notwen­

digen Arbei tszei t gesteigert werden. 28) Aus den Schranken

für die externe Veränderung der Mehrwertrate begründet

14arx die Not wen d i g k ei t ihrer internen Änderung,

die das Kapital in der 'Rationalisierung' der Produktion

praktizj. ert 29 ) :

"Es muß die technischen und gesellschaftlichen Bedin­des Arbeitsprozesses, also die Produktionsweise

t umwälzen, um die Produktivkraft der Arbeit zu er­höhn. durch die Erhöhung der Produktivkraft der Ar­beit den Wert der Arbeitskraft zu senken und so den zur Reproduktion dieses Werts notwendigen Teil des Arbeits­tags zu verkürzen. Durch Verlängrung des Arbeitstags oduzierten Mehrwert nenne ich absoluten Mehrwert; den ehrwert dagegen, der aus der Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit und ent­sDrechender Verändrung im Größenverhältnis der beiden B~s tand tei 1 e des Arb ei ts tags en tspringt - I' el ati v en r,jehrwert." 30)

Zugleich enthält der von j,larx dargestellte "Begriff des

relativen f<1ehrwerts" selbst die notwendige Schlußfolgerung

auf die Differenz zwischen dem allgemeinen Gesetz des Ka­

pitals zur Produktion des relativen Mehrwerts und den Ge­

setzmäßigkeiten seiner Durchsetzung in der Konkurrenz. Aus

der notwendigen Bedingung zur Verwohlfeilerung der Ware

Arbeitskraft -

"Um den Wert der Arbeitskraft zu senken, muß die Steige­rung der Produktivkraft Industriezweige ergreifen, de­ren Produkte den Wert der Arbeitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis der gewohnheitsmäßigen Lebensmit­tel angehören oder sie ersetzen können ... In Produk­tionszweigen dagegen, die weder notwendige Lebensmittel liefern noeh Produktionsmittel zu ihrer Herstellung, läßt die erhöhte Produktivkraft den Wert der Arbeits­kraft unberührt." 31) -

sowie aus der beschränkten unmittelbaren Wirkung der Pro­

duktivitätssteigerung -

"Die verwohlfeilerte Hare senkt natürlich den Ivert der Arbeitskraft nur pro tanto, d. h. nur im Verhältnis, worin sie in die Reproduktion der Arbeitskraft eingeht." 32

I

I I I

1

162

ist auf den Unterschied der "allgemeinen und notwendigen

Tendenzen des Kapitals ... von ihren Erscheinungsformen,,:J:J)

als treibende Motive der Prcduktionsagenten zu schließen:

Denn wenn die Rationalisierung der Produktion als Mittel

zur Steigerung der r~ehrwertrate nicht unmittelbar mit der

Verbilligung der Arbei tskraft zusammenfäll t, dann wird sl.e

vom Kapitalisten auch nicht mit der Kalkulation vorgenom­

men, das variable Kap:i.tal zu senken und dami d:i.e interne

Steigerung der Mehrwertrate zu produzieren. Die Differenz

zwischen der inneren Nctwendigkeit des Kapitals und ihr

Durchsetzungsform in der Konkurrenz ändert hierbei aller­

dings nichts an der inhaltlichen Identität beider, weswe­

gen Marx dies allgemeine Resultat der relativen Mehrwert­

produktion hier so behandelt,

"als wäre es unmittelbares Resultat und unmittelbarer Zweck in jedem einzelnen Fall. Wenn ein e:Lnzelner Kapi. talist durcL Stei der Produktivkraf:: der Arbeit z. B. Hemden v feilert, schwebt ihm eines rlot-wendig der Zweck ver, den Hert der Arbeitskraft un da­her die notwendi Arbeitszeit pro tanto zu senken, aber nur soweit er sc ießlich zu diesem Resultat bei , trägt er bei zur Erhöhung der all sn Rate des ehr-werts. Die allgeme:i.nen und n Tendenzen des Kapitals sind zu unterscheiden von en Erscheinungs formen." 3 Ij.)

Die Notwendigkeit der Rationalisierung eines kapitalisti--

sehen Unternehmens, ihr allgemeiner Grund und Zweek, t

mit dem "Begriff des relativen l'·lehrwerts" dargestellt. Im

Unterschied dazu hat die wissenschaftliche Analyse der

"Oberfläche" eHe Erscheinungsformen zu unterc~uchen, ,'iie

sich die Notwendigkeit des Kapitals zur Senkung der not­

wendigen Arbeit zwecks Erhöhung der Rate des Mehrwerts als

treibendes r·lotiv im Bewllßtsein und Handeln der Produktions

agenten geltend macht. 3S ) Die allgemeine Notwendigkeit zur

Produktion des relativen ehrwerts teilt sich Kapitalist

und Lohnarbeiter als Zwangsgesetz der Konkurr'enz mit, Di

für sie aufgrund der Abhängigkeit von ihrer Hevenuequelle

Page 83: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

Kapi tal bzw. Arbeit maßgebenden "treibenden riiotive" seien

kurz angedeutet: Der einzelne Kap i tal ist , der zur

Rationalisierung seiner Produktion schreitet, reflektiert

in seiner Kalkulation nicht im mindesten auf den relativen

Mehrwert - von der Kenntnis seines "Begriffs" ganz zu

schweigen. Für ihn stellt sich die Notwendigkeit zur Ver­

änderung der technischen und gesellschaftlichen Bedingun-

gen des Arbeitsprozesses als ein 'Sachzwang' der Konkur-

renz dar. Zum einen setzt der Kredit, dessen sich der

einzelne Kapitalist bei seinem Geschäft bedient, neue Maß­

stäbe der Rentabilität: der erwirtschaftete Uberschuß muß

hinreichen zur Fortführung und Erweiterung seines Unterneh­

mens sowie zum Bedienen des Kredits, also den Unternehmer­

gewinn (Revenue inbegriffen) und Zins erbringen. Zum ande­

ren birgt die Konkurrenz auf dem Markt das Risiko, die

Realisierung des produzierten Warenangebots zu den kalku­

lierten Preisen und in entsprechendem Umfang könne auf die

Schranke der Nachfrage stoßen. Die Notwendigkeit des Kamp­

fes um Marktan~eile und der Zwang zum Erfolg an den Maß­

stäben des Kredits sind die treibenden Motive für den Ka­

pitalisten, seine Produktion qualitativ zu ändern. Er muß

eine Senkung der Produktionskosten erreichen, die ihm ge­

stattet, die Preise seiner Waren unter die seiner Konkur­

renten zu drücken, ohne dabei Abstriche von seinem Gewinn

machen zu müssen. Seine kalkulatorischen Bemühungen richten

sich dabei auf die Veränderung des Verhältnisses von Inve­

stition und Ertrag; dasselbe auf die einzelne Ware, die er

verkauft, bezogen heißt, daß die Reduzierung der Stückko­

sten sein Motiv ist. Um sie zu senken, setzt der indi­

viduelle Kapitalist die Methoden der relativen Mehrwert­

produktion ins Werk. Er rationalisiert, d. h. verändert

durch den Einsatz neuer Maschinerie den Produktionsprozeß

qualitativ dergestalt, daß in derselben Zeit mehr Produkte

erzeugt und die vermehrten Kosten für neue Maschinerie

durch die absolute Verringerung der Lohnkosten bei ihrer

zugleich intensiveren Nutzung mehr als wettgemacht werden.36

)

164

So wird der Kapitalist von seinem praktischen Konkurrenz­

standpunkt der Stückkostensenkung zwecks Ext,'aprofi tauf

den Unterschied von konstantem und variablem Kapital so­

wie die Mehrwertrate gestoßen: den fixen Kosten für neue

Maschinerie stehen Lohnkosten gegenüber, die sich durch­

aus variabel gestalten lassen. 3?) Die Wahrheit des Ar­

beitslohns, keine feste Geldsumme, sondern ein veränder­

bares Verhältnis von bezahlter und unbezahlter Arbeit zu

sein, wird vom Kapitalisten bei der Stückkostensenkung

'entdeckt' und benutzt. Er ersetzt variables Kapital durch

konstantes, um das variable Kapital effektiver zu machen,

sprich das Verhältnis von Lohn und Leistung zu seinen Gun­

sten zu verändern. Ganz ohne Kenntnis der Mehrwertrate

ergreift so der Kapitalist aus den Zwangsgesetzen der Kon­

kurrenz heraus die Methoden ihrer Steigerung, möglichst

viel Arbeit in Bewegung zu setzen, dabei aber sparsam mit

dem Kostenfaktor Arbeit umzugehen. 38 ) Gerade indem der in­

dividuelle Kapitalist nur das Verhältnis von Produktions­

kosten und Uberschuß kalkuliert, ist er gezwungen, die Me­

thoden zur Steigerung der Mehrwertrate zu ergreifen. Er

kommt so praktisch, ganz ohne Kenntnis des Narxschen "Ka­

pital" und ungeachtet aller "Nystifikationen der Konkur­

renz" zum 'Wissen' um die Identität von Mehrwert und Pro­

fit als bloß verschiedne Formen unbezahlter Arbeit. 39 )

Auch der einzelne Lohnarbeiter, der mit dem ver-

änderten Lohn-Leistungsverhältnis der rationalisierten

Produktion konfrontiert ist (sofern sein Arbeitsplatz

nicht für überflüssig erklärt wurde), hat kein Bewußt­

sein von den Gesetzen des relativen Mehrwerts, die an sei­

nem Arbeitsplatz exekutiert werden. Der mit der Rationali­

sierung vom Kapital gesetzte Zwang zur Intensivierung der

Arbeit - eine originäre Nethode zur Produktion des rela­

tiven Mehrwerts 40 ) - stellt sich für den Besitzer der Re­

venuequelle Arbeit als Angebot an sein Interesse dar: der

Leistungslohn bietet ihm die Chance, in der gleichen Zeit

mphT' GRl cl 7.1) verdienen, wenn er schneller arbeitet. Die

Page 84: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

165

verschiedenen Gestalten des Leistungslohns - sei es die

kl sische Gestalt des Stück- bzw. Akkordlohns41

), seien

es die modernen Formen analytischer Arbeitsplatzbewertung

cder die synthetische Einrichtung einer ganzen betriebli­

chen Arbeitsplatz- und Lohnhierarchie - stelIen allesamt

vom Kapitalisten eingerichtete Hinsichten für den Mate­

rialismus seiner Belegschaft dar, größere individuelle

Leistung auch besser entlohnt zu bekommen, sei es durch

aktuell höheren Lohn oder in Aussicht gestellten Aufstieg

in eine höhere Lohngruppe. Und der "stumme Zwang der öko­

nom:ischen Verhältnisse", beschränkter Verdienst ebenso-

ehr wie die Existenz einer durch Rationalisierungen pro­

duzierten industriellen Reservearmee, sorgt dafür, daß

kein Lohnarbeiter die Freiheit besitzt, dieses Angebot

auszuschlagen. S 0 macht der Lohnarbeiter aus seinem

Interesse heraus, die Revenuequelle Arbeit für ihn ein­

träglicher zu gestalten, die Intensivierung der Arbeit

zum Gesetz seines Arbeitstages. Das treibende Motiv des

Arbeiters "Arbeiten, um zu leben" erweist sich als Durch­

setzung des gegenteiligen Zwecks "Leben, um zu arbeiten" .1+2

)

Indem der Arbei ter sei.ne Anstrengungen alleine darauf

richtet, seine Arbeit als sein Lebensmittel zu handhaben,

macht er sich zum effektiven Exploitationsmittel der re­

lativen Mehrwertproduktion, die der Kapitalist zur Erzie­

hung von Extraprofit betreibt. 43 )

an sieht, die (hier bloß angedeutete) Darstellung der

treibenden Konkurrenzmotive der Revenuequellenbesitzer

fördert keine neuen allgemeinen Gesetze der kapitalisti

sehen Produktionsweise zutage, sondern zeigt, wie den Kon-

kurrenzsubjekten von ihrem jeweils speZifischen Standpunkt

aus die allgemeinen Gesetze des Kapitals als Notwendig­

keiTen des Umgangs mit ihrer Revenuequelle erscheinen.

Das Verhältnis vom "Kapital im allgemeinen" und der "Ober­

fläche" der kapitalisti.schen Gesellschaft. wie es in der

vorangegangenen Erörterung nachgezeichnet wurde, kann un-

166

ter Hinblick auf die Beurteilung der "Realanalyse" wie

folgt zusammengefaßt werden:

1. Ausgangspunkt jeder wissenschaftlichen Analyse der

"Ob erfläc he" s t di e mi t der im "Kapi tal" gel ei steten

Darstellung der allgemeinen Gesetze des Kapitals ex:L­

stierende Gewißheit, daß "begrifflich ... die

Konkurrenz nichts als die innre Natur de

Kap i tal s (ist), seine wesentl:i.che Bestimmung, er­

scheinend und realisiert als Wechselwirkung der vielen

Kapitalien aufeinander, die innre Tendenz als äußerli­

che Notwendigkeit. "ljJ+) Analyse der Konkurrenz kann also

nicht heißen, daß die im "Kapital" dargestellten Gesetze

einer inhaltlich korrigierenden Ergänzung bedürften oder

in ihrem Erklärungsgehalt erst noch nachträglich bestä­

tigt werden müßten.

2. Eine wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz hat v el­

mehr zu untersuchen, wie sich die Gesetze des Kapi­

tals in den verwandelten Formen der Oberfläche und in den

Handlungen der Privatsubjekte durchsetzen. Ihr Gegenstand

ist die Untersuchung, wie die Konkurrenzsubjekte in der

Handhabung ihrer Einkommensquellen Kapital oder Arbeit als

Mittel ihrer Bedürfnisbefriedigung den allgemeinen Ge­

setzmäßigkeiten des Kapitals zur Durchsetzung verhelfen

und sich so als Charaktermasken des Produktionsverhält­

nisses von Lohnarbeit und Kapital erweisen.

3. Ist die Analyse der Konkurrenz mit Erfol durchgeführt,

dann ist mit der Darstellung der Zwangsgesetze der Kon­

kurrenz gezeigt, wie die verkehrten Formen der Oberfläche

nichts als die Durchsetzung der inneren Natur des Kapi

tals sind. 45 ) Es kann also durchaus von einem 'Königs­

weg' von der "fertigen Gestal t der ökonomischen Verhäl t­

nisse, wie sie sich auf der Oberfläche zeigt, in ihrer

realen Existenz, und daher auch in den Vorstellungen,

worin die Träger und Agenten dieser Verhältnisse sich

über diesel ben klarzuwerden suchen" hin zu "ihrer innern,

Page 85: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

167

vJcsentlichen, aber verh~511 ten Kerngestal t und dem ihr cnt-14 ,) ')

sprechenden Begriff" '/ gesprochen werden.

I+. Bei dem Verhäl tnis von Cim !'larxschen "Kapi. tal" schon

dargestellten) allgemeinen Gesetzen der kapitalistischen

Produktionsweise und den (in der wissenschaftlichen Ana­

lysc der Konkurrenz noch zu untersuchenden) Formen ihrer

Vurchsetzung in der Oberflächenbcwegung der Konkurrcnz

handelt es sich nicht um ein Problem von Theorie und Rea­

lität, von abstrakten Begriffen einerseits und konkreter

Empirie andererseits. In den - oben zitierten - BegrUn­

dungen der methodischen Notwendi.gkeit einer Realanalyse

allerdings wird auf der einen Seite die Darstellung im

"Kapital" mit einer bloß "logischen Struktur

des Kapitalbegriffs" gleichgesetzt, auf der anderen Sei­

te die Untersuchung der Konkurrenz mit der Analyse des

"w:irklichen Kapitalismus" idenb.fiziert.

Die Realanalyse, von Altvater u. a. unter Berufung auf

arx als DurchfUhrung der Analyse der Oberfläche und Kon­

kurrenz darges tell t, erweist sich i.:1J'0rn sachlich0n Ge-

haI 'lach als das Gegent0il: "Analyse der Konkurrenz" ist

hier das Synonym fUr ein Pro;jekt, das durch die "reale"

Untersuchung des "wirklichen" Kapitalismus die theoretische

GUltigkeit und praktische Geltung der im "Kapital" darge­

stellten Gesetze erst noch beweisen soll. Aus dem immanen­

ten Zusammenhang von allgemeinen Gesetzen des Kapitals und

den Konkurrenzformen ihrer Durchsetzung wird so in der Real

analyse ein wissenschaftstheoretisches Verhältnis zwischen

einern "abstrakten Kapitalbegriff" auf der einen und seiner

als "Realentwicklung" und "Oberfläche" bezeichneten empi­

rischen Geltungsinstanz auf der anderen Seite.

168

b) Realanalytische Berechnung der Profitrate

In den VorUberlegungen zu ihrer empirischen Studie Uber

die "Entwicklungsphasen und -tendenzen des Kapitalismus

in Westdeutschland·J+7) heben Altvater, Hoffmann, Schöller

und Semmler nochmals explizit die erkenntnis eitende Ab­

sicht der Realanalyse sowie das von ihr zu erbringende

Erkenntnisresultat hervor:

"Wir werden im folgenden zunächst einige methodische Probleme anreißen und dabei versuchen, die wichtigsten Faktoren von Wertbildung, Kapitalverwertung und Wachs­tum des Kapitals herauszuarbeiten. Dazu bedurfte es 211 lerdings einer grundsätzlichen der verschiede-nen Ebenen der Untersuchung und der ichkeit der Verwendung von Indikatoren, die der bUrgerlichen Sta­tistik entnommen werden. Zum Zweck der Untersuchung der histori hen Entwicklung des Kapitals werden wir dann einige erlegungen zur Analyse von Vlertbildungs­prozeß und Akkumulationsprozeß des Kapitals systema­tisieren und sie in eine Form bringen, die es uns im weiteren erlauben wird, die in der bUrgerlichen Sta-· tistik vorgefundenen Größen zumindest in ihrer Verän­derung in der Zeit benutzen und daraus SchlUsse in bezug auf die inneren Tendenzen in der Entwicklung des Kapitals ziehen zu können." 48)

Es soll also der realanalytische Versuch unternommen wer­

den,

"fUr Wertbegriffe analoge 111arktpreisbegriffe auf der empirisch-statistischen Oberfläche zu finden, um aus der Bewegung dieser empirischen Größen umgekehrt SchlUs­se auf die Wertbewegung ziehen zu können. Drittens i.st es uns auf dieser empirischen Basis daher möglich, für die Bundesrepublik nachzuweisen, daß der Fall der Pro­fitrate zumindest fUr den Zeitraum von 1960 bis 1970 aus den statistischen Daten zu belegen ist ... " 49)

Die Realanalyse bezeichnet ein Forschungsprojekt, dem we­

niger die von Marx geplante wissenschaftliche Analyse der

Konkurrenz denn die Verifikationsverfahren moderner empi­

rischer Sozialwissenschaft Pate gestanden haben.50

) "Ober­

fläche" meint hier nicht die Zwangsgesetze der Konkurrenz,

sondern das empirische Datenmaterial der bUrgerlichen Sta­

tistik. Das von Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler

Page 86: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

169

mi t der Realanalyse verfolgte wissenschaftliche Anliegen

besteht nun darin, die von Marx im "Kapi tal" dargestell­

ten Gesetzmäßigkeiten der Profitrate sowie das Gesetz ih­

res tendenziellen Falls in ein Verhältnis zu den in der

volkswirtschaftlichen Statistik vorgefundenen Größen zu

setzen. Dadurch soll einerseits ex post die theoretische

Gültigkeit des Marxschen Gesetzes empirisch nachgewiesen,

andererseits ex ante das methodische Instrumentarium ei­

ner empirisch fundierten Einschätzung der inneren Ent­

wicklungstendenzen des bundesdeutschen Kapitalismus bereit­

gestellt werden. Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler

erheben so ausgerechnet das erklärungs- und kritikbedürf­

tige ideologische r~aterial der "bürgerlichen Statistik"

in den Rang einer wissenschaftli.chen Prüfungsinstanz für

die theoretische Gül tigkei t der I\1arxschen "Kritik der po­

li tischen Ökonomie". Da[j sich die in der Statistik vorge­

fundenen Größen "i.n der Zeit" verändern, ist zwar unbe­

streitbar. Kritikabel allerdings ist das realanalytische

Verfahren, aus dem in "mystifizierenden" und "doppelt un­

genauen Kategorien ,,51) zusammengefaßten Datenmaterial so­

zialwissenschaftlicher und volkswirtschaftlicher Statisti

ken Rückschlüsse auf die Geltung des Gesetzes vom tenden­

ziellen Fall der Profitrate ziehen zu wollen. 52 ) Denn wie

sollte die von Altvater selbst konstatierte HaI tl o-

si g k ei t der empirischen Daten der angestrebte An­

haI t s p unk t für die zu eruierende Bewegung von Mehr­

wert- und Profitrate sein können!

Das Be~lßtsein des Gegensatzes der in der Form der bürger­

lichen Statistik geleisteten affirmativen Besichtigung

der Konkurrenz zur wissenschaftlichen Analyse und Kritik

der kapi talistischen Produkti onsweise im "Kapital" liegt

zwar sämtlichen von Altvater, Hoffmann, Schöller und Semm­

leI' angestellten methodischen Vorüberlegungen zur Profit­

ratenberechnung zugrunde. Allerdings führt dies nicht da­

zu, das Projekt selbst fallenzulassen. Vielmehr werden

170

einers ei ts die Schwieri.gkei ten und der "hohe Kompliziert­

heitSgrad,,53) einer Realanalyse thematisiert, anderer­

seits die Bedingungen eruiert, unter denen si möglich

wird. Als erstes und entscheidendes Problem für eine er­

folgreiche rcalanalystische Untersuchung erörtert Al tva­

tel' die Tatsache, daß die volkswirtschaftlichen Stati­

stiken weder die Kategorie der Profitrate kennen noch Da­

ten über ihren aktuellen Stand enthalten:

"Denn getreu dem Fetischismus, dem die bürgerliche Ökonomie seit ihrem Bestehen notwendig unterworfen ist,bereitet ihre Statistik nur Material der Erschei­nungsformen auf, ohne die zugrundeliegenden Zusammen­hänge und Widersprüche recht wahrzunehmen. So kommt es, daß es auf der Basis des von der Statistik bereitge-stellten Materials kaum ich ist, die Bewegungen der Profitrate zu verfolgen erst recht Schwierigkeiten entstehen, die I\lehrwertrate festzustell en." 5 Lf)

Die Probleme, die sich notwendig bei seinem Anliegen

einstellen müssen, die Bewegung der Profitrate mittels des

von der Statistik bereitgestellten Materials verfolgen

zu wollen, interpretiert Altvater als 0 b je k ti v e ,

dem "Fetischismus" seines Untersuchungsgegenstandes ge­

schuldete Schwierigkeiten. Die vollkommene Inkommensura­

bilitdt zwischen der Marxschen Analyse von Mehrwert-und

Profitrate mit den konjunkturkurventrächtigen Tabellen

volkswirtschaftlicher Begutachtung der Konkurrenz gelten

Altvater nicht als Hinweis auf die Unlösbarkeit der Auf­

gabe, die er sich mit der Realanalyse gestel1t hat. Viel­

mehr thematisiert er die innere Natur des Kapitals als

hinderliche Bedingung für die Lösung der real analytischen

Aufgabe, weil sowohl das Wertgesetz wie die ehrwert- und

Profitrate "nicht unmittelbar an der Oberfldche der bür-

f h . ,,53)

gerlichen Gesellscha t ersc. e1nen.

Die Real.analyse hat "sich der Verkehrungen. in denen die innere Organisation der Gesellschaft erscheint, zu ver-gewissern. Dabei ist zu berücksie , daß zwischen grundlegenden Kategorien (z. B. dem ) und erschei nenden Kategorien (z. B. dem Preis) kein einfaches Ver­hältnis der Transformation besteht. Denn da Vierte nicht

Page 87: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

171

erscheinen, und quantitativ meßbar nur das ist, was er­schelnt, slnd Werte statistisch prinzipiell nicht meß­bar und nur ihre Erscheinungsform als Preis ist faß­bar." 56)

Anstelle des mit der Marxschen Analyse des Wertes gef~ll­

ten harten Urteils über den Zweck kapi talistischer Ökono­

mie - Inhalt der gesellschaftlichen Produktion ist nicht

die Herstellung nützlicher Gegenst~nde zum Zwecke der Be­

dürfnisbefriedigung, vielmehr werden Güter nur produziert

um des Tauschwerts willen - mißf~llt Altvater - um es ein­

mal polemisch zu formulieren - die Tatsache, daß er nicht

hinter jedem Warenpreis in Klammern den Wert bezeichnet

vorfindet. Ganz ungeachtet des Faktums, daß der Preis einer

l'Jare ihr l'Jertausdruck ist, daß darüber hinaus t~glich

millionenfach die Wertgröße der Waron in Gel d roali­

siert wird und mit diesem gesellschaftlich gültigen und

verbindlichen Maßstab sehr praktisch über Reichtum und Ar­

mut in der bürgerlichen Gesellschaft entschieden ist, wen­

den sich Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler dem un­

lösbaren Problem zu, wie man die nach eigenem Bekunden

"statistisch pri.nzipiell nicht meßbare" Wert-"Kategorie"

trotz alledem statistisch in den Griff bekommen könne:

"Die ~ußerliche Kategorie des f1arktpreises liegt somit den statistischen Daten, mit denen wir es in der histo­rischen Analyse zu tun haben, zugrunde. Der Marktpreis und seine Bewegung allein ist meßbar, nicht jedoch die Kategorien, die seine Bewegung letztlich regulieren. Es geht also nicht nur darum, daß die Werte nicht meßbar sind, sondern auch darum, daß nicht einmal der Produk­tionspreis, in den der l'Jert unter kapitalistischen Ver­h~ltnissen 'transformiert' wird, als solcher in den sta­tistischen Datensammlungen erscheint. Von den Marktprei­sen, deren Tendenz und aktuelle Höhe einer Vielzahl von je besonderen Bedingungen geschuldet sind, kann daher nur unter der Annahme auf die zugrundeliegende Wertbe­wegung rückgeschlossen werden, daß über eine bestimmte Zei tspanne kalkuliert deren Tendenzen von der Bewegung des l'Jertes bzw. des Produktionspreises reguliert wird und daher sich in den Marktpreisen die Produktionsprei­se reflektieren. In dieser Annahme sind natürlich eine ganze Reihe von Problemen eingeschlossen. Denn nun wird bei der statistischen Illustration von historischen Ten­denzen genau umgekehrt vorgegangen als in der logischen

172

Analyse: W~hrend in der b fflichen Explikabon die ~ußerlichsten orien ' eitet' werden und s erscheinende Ober he aus er Struktur des Kapital resultieren, werden in der historischen Analy e di ~ußerlichsten Kategorien, in diesem Fall dj.e arkt­preise, 'benutzt', um Entwicklungstendenzen der Re­produktionsstruktur des Kapitals z,u dokumenberen." 57)

Die von I~arx im "Kapital" geleistete Ableitung des not­

wendigen Zusammenhanges der ökonomischen Gegenstände der

kapitalistischen Produkbonsweise etzen Altvater et al-·

teri in ,~nführungszeichen. Ihnen gilt dj.e systemabsche

Darstellung des Begriffs der bürgerlichen Ökonomie als

reine "b griffliehe Explikati on", b der d:L e

"~ußerlichsten Kategorien" - ganz ohne die kapitalisti­

sche j.Jirklichkeit zu benötigen - mittels "logischer Ana­

lyse" aus einer dahinterliegenden "Struktur des Kapi.ti'ils"

gewonnen werden. 58) Der Auffassung von Altvater, Hoff­

mann, Schöller und Semmler zufolge kann die Analyse ni.cht

von Marktpreis und Produktionspreis als Formen der Durch­

setzung des Werts zum \vert selbst vorstoßen. Die von 1,1arx

vorgenommene Analyse der Durchsetzungsformen des Wertge-

setzes ersetzen sie durch die Annahme, daß "übor

eine gewisse Zeitspanne kalkulj.ert" di.e Bewegung der ~!jarkt­

preise durch die Bewegung des Werts reguliert wird. Nach­

dem Altvater et alteri so in einem erCiten Schritt das Vlert­

ges etz in ein e Hyp othes e v erwan del t hab en, s oll nun in dem

zweiten Schritt der "statistischen Illustration" dem so-·

eben relativierten Wertgesetz zu empirischer Gültigkeit

verholfen werden.

Zwar unterstellen die "statistischen Illustrationen" ei­

nerseits die praktische Existenz sowohl des Wertgesetzes

wie des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate,

wenn sie sich der Berechnung der quantitativen Größe von

Marktpreis und Profitrate zuwenden. Andererseits aber be­

ruht die eigene Gewißheit über die von Marx analysierten

Gesetze auf der von Altvater et alteri apriori gemach­

ten Annahme, daß sich in den Tendenzen der Marktpreise

Page 88: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

173

die Bewegungen der Vierte und Produktionspreise "reflektie­

ren". Die Gewißhei t ist insofern eine relative und paart

sich notwendig mi t der Skepsis, ob sich der "logiseh" de­

duzierte Fall der Profitrate auch "empirisch" zeigt. Al t­

vater et alteri ziehen also zunächst einmal die Gültig­

keit des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate

in Zweifel und wenden sich dann zum Zwecke seiner Verifi­

kati on der Suche nach "empirischen Indj.katoren für Vlert­

veränderung und Kapitalverwertung,,59) zu. Den von Altvater,

Hoffmann, Schöller und Semmler dabei gewußten vi i der-

spruch zwischen der ideologischen "AnschauungsweJ.t

bürgerlicher Geschichtsschreibung", "den Datensammlungen

der Statistik" sowie "empirischen Untersuchungen der So­

zialforschung,,60) einersei ts und der I~arxschen "Kri til{ der

politischen Ökonomie" andererseits

"Die filarxsche Theorie ist ja gerade Kritik di esel' Vlis senschaft, insbesondere der bürgerlichen Ökcnomie." 61)

thematisieren sie als Problem des "b es chI' ä n k te n

Aussagewerts ,,62) der bürgerlichen Statistik. Obwehl ihnen

eingestandenermaßen die empirisehen Indikatoren der Pro­

.fitrate als "doppelt ungenaue Kategorien,,63) gelten -

" ... sie sind notwendigerweise Verkehrungen der vlesens­kategorien und als Verkehrungen noch der definieren­den gesellschaftlichen Konvention verdankt." 6/{) -,

sind sich AJ.tvater et alteri andererseits sicher, "die wi

dersprüchlichen Tendenzen im Akkumulationsprozeß des Ka­

pitals" ausgerechnet "in den verfügbaren I,laterj.alien der

bürgerlichen Statistik aufspüren zu können. ,,65) Möglich

wird diese Realanalyse, indern Altvater, Hoffmann, Schöller

und Semmler ihre methodischen Bedenken zurückstelJ.en und

"für die auf dj.e Profitrate einwirkenden Komponenten 'korresDondierende' Kategorien in der bürgerlichen Sta­tistik ·finden." 66)

Die Auflistung der "korrespondierenden Begriffe,,67) aus

dem Bereich der "mystifizierenden KategOrien,,68) soll es

nun ermöglichen, den von Marx dargestellten Begriff der

Profi trate si.chtbar zu machen:

"In beiden Schreibweisen stoßen wir aber auf die Schwie­rigkeit, daß sich Vierte auf der Oberfläche der bürger­lichen Gesellschaft nicht als solche darstellen, son­dern notwendig die Form des (zufälligen) I4arktpreises annehmen. Die bürgerliche Statistik drückt daher auch nur Aggregate des Gesamtprozesses aus, die in r~arkt­preisen bewertet sind. Hier geht es nun darum. sowohl für die Profitrate als auch für ihre bestimmenden Kom­ponenten Indikatoren in der bürgerlichen Statistik aufzufinden, die die jeweiligen Faktoren und ihre Ver­änderung in der Zeit sichtbar machen, ohne diesen exakt entsprechen zu müssen." 69)

Altvater. Hoffmann, Schöller und Semmler formen nun die

von Marx bestimmte Formel der Profitrate

"(1a) p' m v

v c+v " 70)

mittels der von l.hnen ausgewählten "den I~arxschen Begriffen

analogen Kategorien" der "bürgerlichen Statistj.k,,71) \4ie

folgt um:

I. Der Mehrwertmasse m "korrespondiert" die Profitmasse

P, welche sich &U5 der Differenz von Nettoprodukt Y und

Lohnsumme VI errechnet, so daß man folgende "analoge" For­

meln erhält:

" (2) m m v

v (2') P ~ Y - v/" 72)

Die Formel (2') wird von Altvater et alteri mit Hilfe der

Einführung der Lohnquote 1'1 ~ zusätzlich wie folgt um­

geformt (ohne allerdings mehr darzustellen als eine bloß

andere Schreibweise):

"( 2') P

(2') P

Y

Y

vi (1 - w)" 73)

11. Der Kostpreis c + v "korrespondiert" dem Kapitalstock

K, auch wenn K eingestandenermaßen nur einen Teil von

c + v, nämlich das konstante fixe Kapital c fix umfaßt. a~so

Page 89: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

17'5

!lvon vornherein der gesamte zirkulierende Te:i.l des VOT-

zuschießenden tals (= czirk

+ v) aus der Betrachtung )

heraus(fäll )."

I I. Altvater et alteri erhalten so die

"analoge" KapitaJrentabilität"

"(4)p'= m v

v c+v

( I{ , ) 1f

der Profitrate

y . (1-w) " K 75)

Dieselbe Formel. (Li') der Kapitalrentabilität 'ii läßt sich

Ubersichtlicher auch wie folgt ausdrUcken:

~ c+v

(LI' )

Man sieht, daß Altvater et alteri nach vier Seiten defi­

nitiver Umformungen kein anderer Erkenntnisfortschritt

gelungen ist, als die Formel der Profitrate in de facto

"bGrgerlicher Schreibweise" zu formulieren.76

)

V. Auf fUnf weiteren Seiten mathematischer "Ableitung"

versuchen A tvater et alteri, die Kapitalrentabilität

durch die Einarbeitung der organischen Zusammensetzung

+, indiziert durch die "Arbeitsproduktivität t" und die

~K~Pi talintensi tät f,,7'!) fortzuentwickeln. Als Formel mit

ej.nem "höheren" (und zum damaligen Zeitpunkt höchstem)

"AuSSagewert,,78) erhält man:

"(7) p' m'

1~ v

(7' ) 'iT = t (1-w)

K I

79)

Man sieht, wie sämtliche von Altvater, Hoffmann, Schöller

und Semmler angestrengten Umformungen der Profitrate re­

spektive Kapitalrentabilitätsformel keinen Erkenntnisfort­

schritt erbracht haben. Statt vorgeblich den "Aussage­

wert" zu erhöhen, handelt es sich bei sämtlichen Opera­

tionen um bloß tau t 01 0 gis c he Umformungen der Aus-y-w

gangsformel Ir --y. Dies sei an der fortentwickelsten

176

und relativ exaktesten Formel (7') demonstriert: Zunächst

fäll tauf, daß "Kapi talintensi tät" und "Arbei tsprodukti­

vität", welche in ihrem Verhältnis ~ie organische Zusam­

mensetzung anzeigen sollen, Uberhaupt keine Rolle spielen,

da sich der Faktor L herauskUrzen läßt. Man erhält so wie­

der die Formel (4'):

" (1+' ) y . (1 -w) " K

80)

Setzt man nun statt der Lohnquote w das sie ausmachende

Verhältnis ~ ein, so erhält man in bloß d I' e i Schrit­

ten die Ausgangsformel :

w y . (1-y)

K

y_y . vi y K

y-w --y

Die von Altvater konzipierte, der Profitrate entsprechen­

de Formel der Kapitalrentabilität ist also das Verhältnis

aus Nettoprodukt und Lohnsumme zum Kapitalstock. Formu­

liert man nun wieder die "bUrgerliche Schreibweise" in

"Marxsche Kategorien" zurUck, ergibt sich allerdings ein

überraschendes Resultat:

T y-w

Y --y ~ m+v W .", v K ... c fix

p' m+v-v m anstelle p' m

c fix von

c fix cfix+czirk+v

Gemäß der von Al tvater "abgeleiteten" Formel ist die Kapi­

talrentabilität - und ungefähr parallel dazu die Profit­

rate - umso größer, je größer die r4ehrwertmasse im Verhält­

nis zum konstanten fixen Kapitalbestandteil. Dies stellt

den von Marx in der Profitrate analysierten Zusammenhang

der kapitalistischen Produktionsweise auf den Kopf: Aus dem

Kapi tal al s s ich seI b s t ver wer t end e r Wer t ,

Page 90: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

177

dessen Überschuß auf der durch die t4ehrwertrate gemesse­

nen Exploitation unbezahlter Arbeit beruht und in der Pro­

fitrate an der insgesamt aufgewendeten Kapitalsumme sei­

nen 14aßstab findet, ist mi t Al tvaters Rentabilitätsformel

eine kapitalistische Unmöglichkeit geworden. penn hier ist

nicht nur die Größe der Profitrate direkt proportional der

Ersparnis an Kosten für fixes Kapital - ein Zusammen­

hang, welcher der wirklichen Kalkulation des Kapitals wi­

derspricht, denn für dieses ist nicht Sparsamkeit an fi

xem Kapi tal, sondern umgekehrt seine ver m ehr t e Aus­

lag e als ~1i ttel effektiverer Anwendung der Arbei tskraft

das Gebot der Konkurrenz. Darüber hinaus ist in der Renta­

bilitätsformel der Ursprung des Überschusses in ein voll­

kommenes Rätsel verwandelt, weil in ihr das variable Kapi­

tal, also die Mehrarbeit leistende Arbeitskraft, als Größe

nicht mehr vorkommt.

Ungeachtet der Tatsache, daß die von ihnen erarbeitete For­

mel der "Kapitalrentabilität als Ausdruck der Profitrate

in ihren inneren Tendenzen,,81) das Kapitalverhältnis, al­

so das Kapital als sich selbst setzenden \>Iert, in eine

durch seine Auslagen an fixem Kapital unvermeidlich be­

schränkte und automatisch zum Scheitern verurteilte Sache

verwandelt, gehen Altvater, Hoffmann, Schöller und Semm­

leI' nun zur rechnerischen Anwendung der von ihnen kon­

zipierten Rentabilitätsformel über. Sie setzen die sta­

tistischen Daten von 1960 bis 1971 ein und erhalten fol

gendes Ergebnis:

"Es geht aus der Tabelle eindeutig der tendenzielle Fall der 'Profitrate'« der westdeutschen Industrie in den 60er Jahren hervor. \>Iir wollen an dieser Stelle nicht auf die darin eingeschlossenen Probleme hinsichtlich der Entwicklungsbedingungen des westdeutschen Kapita­lismus eingehen; dies ist den ausführlichen Ausführun­gen unten vorbehalten. Hier geht es lediglich um die methodische Dimension des Problems. Die 'Profitrate' r , wie sie in der Tabelle dokumentiert ist, ist nicht iden­tisch mi t der Profitrate p', wie sie r~arx bestimmt hat, sondern ist die Kapitalrentabilität. In ihrer Verände­rung aber dürfte sie ungefähr die Veränderung der Pro-

178

fi tra te angeb en. Denn wenn p' un d 11" aue h ungl ei c h sind, so besteht zwischen beiden doch eine Bezi die sich als Parallelität der Bewegung ausdrückt. deshalb ist es möglich, Ir als Indikator und Illustra­tion für die Veränderung der Profitrate p' zu verwen­den und Schlußfolgerungen hinsichtlich der Akkumula­tionsbedingungen des Kapitals und der Kapitalanlage zu ziehen. 1I 82)

Zwar wissen A1tvater, Hoffmann, Schöller und Semmler ei­

nerseits darum, daß die (von ihnen anfangs noch j.n An­

führungszeichen gesetzte) "Profitrate Ir " nicht identisch

mit der im "Kapital" analysierten Profitrate p' ist. An··

der ers ei ts brj,ngen sie im Ver lau f ihr es Bewei s gangs den

Gegensatz beider Raten zum Verschwinden: Obwohl die Prc­

fitrate 7r" nicht mit der tatsächlichen Profitrate p' über­

einstimmt, dürfte den Autoren zufolge ihre Veränderung

"ungefähr" di Veränderung der Profi trate p' anzeigen.

Der "eindeutige" Nachweis des tendenziellen Falls der Pro­

fitrate beruht allerdings auf der grundlosen Annahme ei­

ner "Parallelität der Bewegung" beider Baten - grundlo:3,

weil die wirkliche Bichtung, in die sich eine Rate be­

wegt, von den in ihr jeweils ins Verhältnis gesetzten

Größen abhängt. Und darin unterscheiden sich ?r und p'

nicht unwesentlich, fehlen doch bei ersterer Rate die

Größen des variablen und z:irkulierenden konstanten Kapj"­

tals (v+czirk

), Aus diesem Grunde müssen die Veränderun­

gen von Fund p' notwendig differieren und eine Paralle­

lität der Bewegungen kann bestenfalls zufällig sein.

Die von Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler in um­

fangreicher Darlegung der "methodischen Dimension des Pro­

blems" nachgewiesene objektive f"!öglichkeit, die Kapital

rentabilität F als Indikator und Illustration für die

Veränderung der Profitrate p' zu verwenden, beruht alse

allein auf dem subjektiven Beweisinteresse, Jie "Profit­

rate" "iT als empirisches nerkmal der im "Kapi tal" ana­

lysierten Profitrate p' interpretieren zu wollen:

Page 91: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

179

"Mi t dem empirischen Nachweis, daß die Kapi talrentabi­lität in Westdeutschland seit Mitte der 50er Jahre ten­denziell gefallen ist, ist keineswegs die Marxsche Theo­rie vom tendenziellen Fall der Profitrate empirisch be­wiesen. Darum geht es uns auch gar nicht. Nur ist. es auf diese Weise der empirischen Untersuchung von Entwlck­lungsprozessen in einem kapitalistischen Land in einem konkreten Zeitabschnitt möglich, die Entwicklungsten­denzen und ihre Widersprüche in den Marxschen Kategorien auf den Begriff zu bringen." 83)

Einmal abgesehen davon, daß mit der Formel der Kapitalren­

tabili tät 7r ökonomische Entwicklungstendenzen in West­

deutschland nicht in "~larxschen Kategorien", sondern besten­

falls in solchen der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre

"auf den Begriff zu bringen" sind; ebenfalls abgesehen da­

von, daß' der Nachweis gesunkener Kapi talrentabili tät als

Indikator der Profitrate gelten und - entgegen obigem De­

menti - in der Tat die empirische Geltung des Gesetzes ih­

res Falls beweisen soll, muß das von Altvater, Hoffmann,

Schöller und Semmler mit Hilfe der realanalytischen Be­

rechnung der Profitrate erreichte materiale Forschungsre­

sultat als äußerst dürftig angesehen werden. Es besteht dar­

in, ein Fa k turn di e fall ende Tendenz der Kapi talren­

tabilität, empirisch nachgewiesen zu haben­

ein Faktum, das noch nicht einmal von den bundesdeutschen

Unternehmerverbänden und ihren Wirtschaftsinstituten be­

stritten wird. Schließlich führen sie selbst den Fall der

Kapitalrentabilität als Kampfparole in Tarifverhandlungen

an, weil ihnen das Faktum gesunkener Rentabilität als sach­

verständiges Argument gegen das gewerkschaftliche Interes­

se an Lohnerhöhungen oder Arbeitszeitverkürzungen gilt.

Der empirische Nachweis einer von Unternehmerorganisationen,

Regierung und Gewerkschaften ohnehin nicht in Frage gestell­

ten Rentabilitätstendenz muß als ein überflüssiges wissen­

schaftliches Anliegen erscheinen, so daß am Endpunkt durch­

geführter Realanalyse die Frage nach ihrer Leistung im Rah­

men der Rekonstruktion Marxscher Theorie noch einmal gestellt

und rückblickend beantwortet werden soll.

180

Erstens. lh t der Durchführung der Realanalyse verbinden

Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler erklärtermaßen

die Erwartung, sie solle die von Marx analysierten und

dargestell ten allgemeinen Gesetze des Kapitals "sicht­

bar machen". 84) Durch die Instrumentalisierung von Be­

grifflichkeiten der "bürgerlichen Statistik" versuchen

sie, Wertgesetz, Mehrwert- und Profitrate zu "illustrie­

ren ,,85) und dadurch nachzuweisen, "daß allgemeine kapi­

talistische Entwicklungsgesetze auch heute ncch gel·-

ten .,,86) Die Skepsis gegenüber der praktischen Gel tung

des von Marx dargestellten Gesetzes vom tendenziellen

Fall der Profitrate - es gilt Altvater zunächst als blo­

ßes Denkresultat "der begrifflichen Explikation der 1,0-

gik des Kapitals,,87) - führt Altvater et alteri dazu,

die bloß "logische" Analyse durch die "empirisch-histori­

sche" Realanalyse zu ergänzen. Sie soll den allgemeinen

Gesetzen des "Kapi tals" zu real ökonomischem Inhal t und

empirischer Gültigkeit verhelfen. Da aber die von Altva­

ter, Hoffmann, Schöller und Semmler dokumentierten Ent­

wicklungstendenzen der Profitrate auf der unbegründeten

An nah me ihrer Parallelität mi t der Kapi talrentabili­

tät beruhen, bleibt selbst bei erfolgreicher Auswertung

des Datenmaterials sozi al wissenschaftlicher und volks­

wirtschaftlicher Statistiken die Skepsis bestehen, ob die

"illustrierten" allgemeinen Gesetze des Kapitals auch

wirklich re ale und die "dokumentierten Entwicklungs­

tendenzen " der Profi trate tatsächlich da u er ha f t e

sind. Der in der Zeitschrift "Probleme des Klassenkampfs"

postulierten und praktizierten Realanalyse ist so die Un­

sicherheit über die Marxsche "Kritik der politischen Öko­

nomie" zum Programm geworden. 88)

Zweitens. Nichts muß sowohl vom theoretisch-wissenschaft­

lichen wie praktisch-politischen Standpunkt aus uninteres­

santer erscheinen als das Interesse, die Größe der Pro-

fi trate berechnen zu wollen. Denn das ökonomische Phäno-

Krise ist ein Resultat der Uberakkumulation

Page 92: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

181

von Kcepital, also für sich schon ein eindeutiger "Nachweis"

der "empirischen" Geltung des Gesetzes vom tendenziellen

Fall der Profitrate. 89 ) Das in der Krise offenkundige

akt um des Falls der Profitrate nochmals rechnerisch

bewej.sen zu wollen, ist überflüssig. Zudem fallen die real-

analytischen Versuohe zur Berechnung der quantitati-

v e n Größe der Profitrate hinter die von [Ilarx geleistete

Analyse der Qua 1 i t ä t des Gesetzes vom tendenziellen

Fall der Profitrate zurück. Während r4arx untersucht hat,

wie die vom Kapital zur Steigerung der Profitrate ins Werk

gesetzten Produktionsmethoden des relativen ~lehrwerts zu­

gleich notwendig ihren tendenziellen Fall bewirken, wel

ehe Folgen die Krise für Kapitalisten einerseits und 10hn­

arbe:Lter andererseits hat und wie das Kapital sie wieder

überwindet90 ), ist das Resul tat der Realanalyse das bloße

Datum, daß die Profttrate von 1960 - 1970 in West-

deutschland gesunken ist.

Drittens. Die Kenntnisnahme dieses Faktums wird dabei von

Altvater, Hoffmann, Sohöller und Semmler als die empiri-

sc he Daten b as i s für "Sc hl u ßf 01 gerungen hins ichtU. c h der

Akkumulationsbedingungen des Kapitals und der Kapitalanla­

ge,,9 1 ) angesehen. Den Berechnungen der Profitrate liegt so­

mit noch ein zusätzliches, über den empirischen Realitäts­

beweis des Profttratenfalls hinausgehendes Interesse an der

Einschätzung der Erfolgsaussichten der Kapi talakkumulation

zugrunde, nämlich

"die Klärung der Frage, welches die Entwi und -tendenzen des westdeutschen

nächsten ,Jahren sein werden." 92)

edin-

Nicht die wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz und ih-

rer Verlaufsformen , vielmehr die Prognose ihrer mög-

lichen zukünftigen Entwicklungen ist das Anliegen der Real­

analyse. Die im "Kapital" geleistete Darstellung und Kri­

tik der allgemeinen Gesetze der kapi talistischen Produk­

tionsweise wird dabei reduziert auf ein methodisches 1n-

182

strumentarium, um "Fragestellungen zu entwickeln, die den

an historischen Erscheinungen ausgerichteten Forschungspro-ß I' -I- •• ,,93) w ze zu eleen vermogen. ie mit der Erstellung von Kri-

senprognosen ein weiterer entscheidender Schritt in Rich­

tung "Krise des r~arxismus" getan wird, soll im nächsten

Kapitel nachgezeichnet werden.

Page 93: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

183

2. Krisentheorie und Krisenprognose (ElmaI' Altvater und

Zeitschrift "Probleme des Klassenkampfs")

a) Krisentheorie: die Legitimation marxistischer Gesell­

schaftskritik aus den Verwertungsschwierigkeiten

des Kapi tals

Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler zufolge "umschl:Leßt"

die Realanalyse nicht nur die Berechnung der Profitrate,

sondern auch und gerade die "Momente und Erscheinungsfor-

men der Krise im Reproduktionsprozeß des KaPitals.,,94) Daß

sich die auf l\jarx berufenden Kapi talismuskri tiker schwer-

g um die Ausarbeitung einer Kr i s en theorie be­

mühen, resultierte allerdings weder aus der Entdeckung von

Unstimmigkeiten in der von lliarx geleisteten Analyse des

Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate noch aus

dem Wü~sen darum, daß die im 3. Band des "Kapital" enthal­

tene Darstellung des allgemeinen Grundes der Krise noch

um die Analyse ihrer Durchsetzungsformen in der Konkurrenz

der Kapi tal e, im Kredi tüberba'.l und der staatlichen Wirt­

schaftspolitik zu ergänzen ist. 95 ) Für Altvater ist Kri­

sentheorie gleichbedeutend mit Krisenprognose. Sie soll

der "Beschaffung von konkreten Analysen der Entwicklungs­

möglichkeiten und -erwartungen des Kapitalismus,,96) die­

nen und dabei vor allem die Entwicklungstendenzen zur Kri­

se einschätzen. Denn diese Phase des Konjunkturzyklus gil t

Al tvater als das I~oment der kapitalistischen Produk­

tionsweise. an dem sich die BeI' e c h t i gun g marxisti­

scher Gesellschaftskritik erweist. Umgekehrt soll gerade

das bis zur ersten Rezession 1967 erfolgreiche und krisen­

freie Wachstum der bundesdeutschen Wirtschaft es marxisti­

schen Kritikern schwer gemacht, wenn nicht gar verunmög­

lich haben. erfolgreich Argumente gegen die Wirklichkeit

der westdeutschen Marktwirtschaft ins Feld zu führen:

18~

"Der Kapitalismus hat noch nie so gut funktioniert wj.e in den vergangenen zwanzig Jahren. Hohe wirtschaftli­che Wachstumsraten sicherten eine stetig steigende Wa­renfülle; Krisen größeren Ausmaßes erschütterten bis­her seine Wirtschaft nicht; sozialrevolutionäre Bewe­gungen haben bisher die Herrschaft des Kapitals in kei nem hochindustrialjsierten kapitalistischen Lande be­seitigen können; und die bürgerliche Wirtschaftstheo-rie behauptet, das 'moderne wirtschaft itische In-strumentarium' entwickelt zu haben, mit auch in Zukunft die kapitalistische Entwicklung krisenfrei ma­nipuliert werden könne." 97)

Durch die bundesdeutsche Krise 1967 ebenso wie die Welt­

währungskrise Ende der 6üer Jahre sieht Altvater den Glau­

ben an die Möglichkeiten zur krisenfreien Manipulation

des kapitalistischen Wirtschaftswachstums erschüttert und

die eigene Kapitalismuskritik bestätigt. Wenn er allerdings

die Tatsache, daß "die Wirklichkeit der Kapitalentwicklung

auch in der Bundesrepublik die Krise wieder auf die Tages­

ordnung gesetzt,,98) hat, als wesentlich und entscheidend

für Geltung und Erfolg seiner Kapitalismuskritik erachtet,

dann ist dem zumindest soviel über deren Kriterien und

Maßstäbe zu entnehmen: Altvater teilt den Erfolgsrnaßstab

volkswirtschaftlicher Konjunkturbegutachtungen. Das Kri­

terium seiner Kritik ist die Fun k ti 0 n s t ü c h t i g_.

k ei t des Kapitalismus , wobei als positives Indiz "hohe

wirtschaftliche Wachstumsraten" und "stetig steigende Ha­

renfülle", als negatives das "Ausbleiben von Krisen grö­

ßeren Ausmaßes" und "sozialrevolutionäre Bewegungen" an­

geführt werden. Obwohl doch hohe wirtschaftliche Wachs­

tumsraten ein eindeutiger Hinweis auf die erfolgreiche Ex­

ploitation der Arbeiterschaft sind und steigende Haren­

fülle keineswegs identisch mit ebensolchem Ansteigen der

Kaufkraft der Bevölkerung ist, beide Phänomene also hin­

reichende Gründe für Kritik am 'deutschen Wirtschaftswun­

der' darstellen, sollen erst die in der Krise zutage tre­

tenden Verwertungs schwierigkeiten übererfolgreicher Akku­

mulation das Argument der Kapi talismuskri tik sein.

Page 94: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

185

Altvater ersetzt hiermit die Kritik der Gesetzmäßigkeiten

funktionierender kapitalistischer Reichtumsproduktion in

Aufschwung, Boom und Krise samt ihrer in jeder Konjunk­

turphase schädigenden Wirkungen auf die lohnarbeitenden

Produzenten durch die kritische Beurteilung dey Ökonomie

und ihrer staatlichen Verwaltung vom Standpunkt

ihr e s Er f 01 g s, um Staat und Kapi tal mi t dem Deu-

ten auf die Krise ihr unausweichliches S ehe i t ern vorzurechnen:

"Die Politik der ÜberWindung der ökonomischen Rezes­sion hat die WidersprUche, die in der Rezeasion ihre krisenhafte partielle Lösung fanden, lediglich exter­nalisiert, nach außen geschafft ... Daraus ergibt sich aber, daß die Politik des Krisenmanagements noch nicht einmal ihren immanenten AnsprUche genUgt, Krisenmana­gement erfolgreich betreiben zu können." 99)

Eine marxistische Krisentheorie hat also die Bedingungen

der Kapitalakkumulation zu beobachten und die Erfolgsaus­

sichten staatlichen Krisenmanagements einzuschätzen. Der

prognostizierte Mißerfolg kapitalistischen Wirtschafts­

wachsturns sowie seines politischen "Managements" gilt

Altvater umgekehrt als der Berechtigungsmaßstab marxisti­

scher Kapitalismuskritik. Die Etablierung des praktischen

Erfolgs des Kapitalismus als theoretisches Geltungskri­

terium seiner Kritik enthält allerdings immer schon eine

immanente Ko~sequenz: Denn funktionierte der Kapitalismus

und hätte er Erfolg, dann blamierte sich die Kritik an

ihre~ eigenen Maßstäben, besäße keine Berechtigung mehr

und mUßte konsequent sie h selbst anstelle des west­

deutschen Kapitalismus in der Krise sehen. Man wird ver­

folgen können, wie Altvater u. a. diese im Konjunktiv for­

mulierte Bedingung im Verlauf von zehn Jahren in einen

Indikativ Ubersetzt haben. Zu Beginn der Rekonstruktion

des Marxismus in der Bundesrepublik allerdings rekla~ier­

ten sie den Erfolg ihrer Kapitalismuskritik, weil sie die

Krise des Kapitals als Ausdr~ck des Mißerfolgs des Kapi­

talismus interpretierten:

1135

Die Wel twährungskrise "ist eine der Erscheinungsforrr.l;:,n, in der sich dj.e kapitalistischen Krisen heu~e ausdr~K­ken. Sie ist vielleicht der Ausgangspunkt fur elne dll-

. e Krl· se des Wel tkapi talismus , die dann allerdlngs gemeln . ' . "100) nicht nur Wirtschaftskrlse seln wlrd.

Insofern Al tvater unter Berufung auf die l"arxsche "Kritik

der politischen Ökonomie" die Krise mit mangelhaftem Funk­

tionieren der Kapitalakkumulation gleichsetzt und die pro­

gnostizierten Wirtschaftskrisen mit dem mögl ehen Beginn

einer allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems iden­

tifiziert, soll zunächst in einem Exkurs die "Krisentheo·­

rie" von Marx behandel t werden. Der Exkurs soll unter an-­

derem die Frage erörtern, ob die Krise ein Ausdruck ge­

scheiterten kapitalistischen Wirtschaftswachstums ist, und

einen Beitrag zur Klärung des Problems leisten, ob ~arx im

"KaDital" eine Prognose des unvermeidlichen Untergangs des

Kap~talismus aufgestellt hat. Da~ach werden die Fortschrit­

te materialistischer Krisenprognosen von zunächst optimi­

stischen hin zu zuletzt desillusionierten Einschätzungen

der Entwicklungstendenzen des westdeutschen Kapitalismus

nac hgez ei c hn et .

Page 95: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

187

Exkurs: Der allgemeine Grund und die Verlaufsformen der Krise

Marx beatimmt den Grund der Krise darin, daß die Kapitale

in dem Bestreben, sich in der Konkurrenz durchzusetzen,

ohne Rücksicht auf die vorhandenen Schranken des Markts

oder der zahlungsfähigen Bedürfnisse produzieren. Die von

ihoen vollzogene Entwicklung der Pro d u k t ion gerät

in Gegensatz zu dem Zweck, den sie verfolgen. nämlich die

Vermehrung hres Kap i tal s

"Das Mittel - unbedingte Entwicklung der gesellschaft­lichen Produktivkräfte - gerät in fo~twährenden Kon­flikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandenen Kapi tals." 1 01)

Das Kreditwesen, der Hebel für die Akkumulation des pri-

vaten Reichtums, ist zugleich der Hebel für die

produktion. Es gestattet den Unternehmern,

Über­

die Ent-

wicklung ihrer Betriebe so durchzuführen, als wären sie

dabei unabhängig von der Realisierung ihrer Gewinne auf

dem Markt. Die Bedingungen des Markts behandeln sie als

ihre Voraussetzung, indem sie sich - aufgrund des Zwangs,

sich unter diesen Bedingungen gegen andere zu behaupten

- im Geschäft des unmittelbaren Produktions- und Exploita­

tionsprozesses so verhalten, als wäre mit diesem Geschäft

ihre Akkumulation gesichert. Weil die Marktoperationen ih­

res Umsatzprozesses praktisch von dem Fortschritt der in­

dustriellen Erweiterung ge t ren nt als eigenes Unter­

nehmen konkurrierender Waren- und Geldkapitalisten voll­

zogen werden, und weil jeder der an dieser Konkurrenz be­

teiligten Kapitalisten seinen Vorteil aus der Fiktion

schlägt, "die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation

und die ihrer Realisation,,102) seien i den t i s eh,

wirken sie alle miteinander auf den Nachweis des Gegen­

teils hin, den die Krise erbringt:

"Die einen sind nur beschränkt durch die Produktivkraft der Gesellschaft, die andren durch die Proportionali­tät der verschiednen Produktionszweige und durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft ... Je mehr sich aber

188

die Produktivkraft entwickelt, um so mehr gerät sie in Widerstreit mit der engen Basis, worauf dj.e Konsumb.ons verhäl enisse beruhen." 1 03)

Der Grund der kapitalistischen Krisen besteht also in der

Überakkumulation von Kapi tal: es ist erfolgreich

zu viel Reichtum in Bezug auf den Zweck seiner wei eren

profitlichen Vermehrung angehäuft worden. Mit dem

Grund der Krise sind auch zugleich ihre notwendigen Ver­

laufsformen sowie der Weg ihrer Bewältigung vorgegeben.

Denn wenn die Verwandlung von Gewinn in neues Kapital in

solchem Maße den Reichtum der Kapitalistenklasse vermehrt

hat, daß die Bedingungen für seine weitere profitable Ver­

wendung in der Gesellschaft fehlen, dann eröffnet die Kon­

kurrenz der über Markt und Kredit voneinander abhängigen

Geschäftsleute nicht die "allgemeine Krise des Kapitalis

mus,,104) und den endgültigen Zusammenbruch der freien Markt­

wirtschaft, sondern die einzelnen Kapitalisten bemühen sich

nach Kräften, gegen die anderen ihre Akkumulationsbedin­

gungen zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Der Begriff

der Krise besteht ja gerade darin, daß dem Kapital das

fehlt, worauf es ihm einzig ankommt, der Profit - so daß

es einzig darum geht, das Vermögen, welches keinen Gewinn

abwirft und somi t kein Kapi tal darstellt, aus der Konkur­

renz auszuschalten oder so zuzurichten, daß es wieder Ge-

winne macht. Die

r.\1 ttel dafür:

Entwertung von Kapital ist das

"Die periodische Entwertung des vorhandnen Kapitals ... (ist) ein der kapitalistischen Produktionsweise imma­nentes Mittel ... , den Fall der Profitrate aufzuhalten und die Akkumulation von Kapitalwert durch Bildung von Neukapital zu beschleunigen ... " 105)

Die Entwertung betrifft alle Formen und Bestandteile des

Kapi tals:

1. Insofern sich die Überproduktion von Kapital an der Un-

verkäuflichkeit von Waren zu Preisen zeigt, die einen

Gewinn erbringen, vollzieht sich die Entwertung von Kapi·-

Page 96: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

189

tal in Form von Preissenkungen, wenn nicht sogar im Lie­

genbleiben und Verrotten von Waren:

"Ein Teil der auf dem Markt befindlichen Waren kann seinen Zirkulations- und Reproduktionsprozeß nur voll­~iehn durch ungeheure Kontraktion seiner Preise, also durch Entwertung des Kapitals, das er darstellt." 106)

2. Die Stockung des Verkaufs der Waren bringt die von der

spärlichen Nachfrage betroffenen Kapitalisten in Zahlungs-

schwierigkeiten. Gel d wird Mangelware und das Ver-

trauen, das mancher Unternehmer in Gestalt von Krediten

aller Art in Anspruch genommen hat, erweist sich als

grundlos:

n ... in allgemeiner Krise der Überproduktion j.st der Widerspruch nicht zwischen den verschiednen Arten des produktiven Kapitals, sondern zwischen dem industriel­len und loanable Kapital. .- zwischen dem Kapital, wie es als ln den Produktionsprozeß direkt involviert und wie es als Geld selbständig (relativement) außer demselben erscheint. n 107)

3. Die positive Abhängigkeit, in die sich die Kapitalisten

durch den Kredit voneinander begeben haben, ver all ge­

me i n er t die Krise. Die Zahlungsunfähigkeit des einen

Kapitalisten zieht die des anderen nach sich:

nDiese Störung und Stockung paralysiert die mit der Entwicklung des Kapitals gleichzeitig e, auf je­nen vorausgesetzten Preisverhältnissen eruhende Funk­tion des Geldes als Zahlungsmittel, unterbricht an hundert Stellen die Kette der Zahlungsobligationen an bestimmten Terminen, wird noch verschärft durch das damit gegebnen Zusammenbrechen des gleichzeitig mit dem Kapital entwickelten Kreditsystems und führt so zu heftigen akuten Krisen, plötzlichen gewaltsamen Ent­wertungen und wirklicher Stockung und Störung des Re­produktionsprozesses und damit zu wirklicher Abnahme der Reproduktion." 1 08)

4. Ein teilweiser oder völliger S t i 1 1 s t a n d der

Produktion ist geboten, wenn sich die Aufwendungen

für Umlaufvermögen aller Art als von vorneherein unren­

table Ausgaben erweisen:

190

"Unter allen Umständen aber würde sich das Gleichge­wicht herstellen durch Brachlegung und selbst Vernich­tung von Kapital in größrem oder geringrem Umfang. Dies würde sich erstrecken zum Teil auf die materielle Ka­pitalsubstanz; d. h. ein Teil der Produktionsmittel. fixes und zirkulierendes Kapital, wUrde nicht fungi~­ren, nicht als Kapital wirken; ein Teil begonnener Pro­duktionsbetriebe würde stillgesetzt werden. n 109)

Die Reduktion der Produktion, die sich diejenigen Betrie­

be leisten können, die aufgrund der partiellen Absetzbar­

keit ihrer Waren nicht mit der Illiquidität zu kämpfen

haben, ist jedoch nur das praktizierte Einverständnis,

daß es an Gewinnen fehlt. Das ist für sich keineswegs aus­

reichend, um sich als Kapitalist zu behaupten. Die roten

Zahlen lassen sich nur beseitigen, wenn dieselben Metho­

den, die ein Unternehmer zur Produktion seines Überschus­

ses praktiziert, in den schwierigen Zeiten der Krise ganz

besonders sorgfältig angewandt werden: es muß rationali­

siert werden, ohne daß die für die kostspieligen Investi­

tionen erforderlichen Gewinne zur Verfügung stehen. Der

Reaktion auf die Krise, die unter den Lohnarbeitern zu

Entlassungen führt. folgt also in den Betrieben, die re-

aktionsfähig sind, die Bewältigung der IIrise:

"Die Stockung der Produktion hätte einen Teil der Ar­beiterklasse brachgelegt und dadurch den beschäftig-ten Teil in Verhältnisse gesetzt, worin er sich eine Senkung des Arbeitslohns, selbst unter den Durchschnitt, gefallen lassen müßte; eine eration, die für das Ka-pital ganz dieselbe Wirkung . als wenn beim Durch-schnittslohn der absolute oder relative Mehrwert er­höht worden wäre." 110)

Der erste Teil der Krisenbewältigung besteht in der Stei­

gerung der Leistung der verbliebenen Beschäftigten. die

im zweiten Teil die mit Hilfe von Arbeitslosigkeit und

Sonderleistungen erwirtschafteten Gewinne ermöglichen.

Die Bewältigung der Krise geschieht also durch ern e u _.

ten Vollzug all der Maßnahmen, die das Geschäft

von Kapitalisten auszeichnen und aufgrund der diversen

Page 97: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

191

Formen von Entwertung wieder Erfolg bringen:

"Die eingetretne St der Produktion hätte eine spätere Erweiterung oduktion innerhalb der ka-

talistischen Grenzen - vorbereitet. Und so würde der von neuem durchlaufen. Ein Teil des Kapitals,

das durch Funktionsstockung entwertet war, würde sei­nen alten Wert wiedergewinnen. Im übrigen würde mit erweiterten Produktionsbedingungen, mit einem erweiter­ten Markt und mit erhöhter Produktivkraft derselbe feh­lerhafte Kreislauf wieder durchgemacht werden." 111)

Der wieder in Gang gebrachte Erfolg des Geschäfts beruht

allerdings neben den in der Krisenkonkurrenz fälligen Kon­

kursen und Entwertungen vor allem darauf, daß die "Arbeit­

geber" eine "Arbeitnehmerschaft" vorfinden, die der Kri­

senbewältigung durch gesteigerte Leistung und gesenkte

Ansprüche keinen 1:Iiderstand entgegensetzt. Nur dann läßt

sich ein konsolidierter Markt für wieder steigende Gewin­

ne und diese für die Neubelebung und Ausdehnung des Mark­

tes einsetzen.

Das Besondere an der Konkurrenz in der Krisenphase des

Zyklus liegt also darin, daß die Kapitalisten die fehlen­

den Gewinne zum Anlaß nehmen, die mit ihrem Geschäft ver-

bundenen Gegensätze so auszutragen, daß andere für

die Wiederherstellung der durch zuviel Akkumulation ge­

störten Akkumulationsbedingungen einzustehen haben. Man

sieht, weit entfernt davon, Beleg des Mißerfolgs kapita­

listischer Produktion und damit "Ausgangspunkt für eine

allgemeine Krise des 1:IeltkaPitalismus,,112) zu sein, ist

die Krise ein Resultat zu erfolgreicher Exploitation.

Die Entwertung des Kapitals, die in der Krise praktizier­

te Vernichtung des materiellen Reichtums zugunsten seiner

Wertform, ist die dem Kapitalismus funktionale Weise, um

dem "Konflikt der widerstreitenden Agentien (periodisch)

LUft,,113) zu machen und so neuer und auf gewaltigerem

Maßstab vonstatten gehender Akkumulation den Weg zu be­

reiten. Wenn Marx diesen Sachverhalt zugleich als die

"wahre Schranke,,114) des Kapitalismus bezeichnet, dann be-

192

stimmt er damit den in der Krise zur Anscha~ung gebrach-

ten Widerspruch einer Produktionsweise. die den ma-

t e r i eIl e n Reichtum in einem in früheren Gesellsc

ten unvorstellbaren Ausmaß steigert, aber n~r als ~ittel

und zum Zweck seiner Vermehrung in abstrakter. im Gegen­

satz zur BedUrfnisbefriedigung seiner })rodu enten ste­

hender 1:1 e rtf 0 r !Ti :

"Es wird nicht zuviel Heichtum produziert. Aber es wi.rd periodisch zuviel Heichtum in seinen italistisc . gegensätz ichen Formen produziert. Die hranke der kapitalistischen Produktionsweise tritt hervor: 1. Darin, daß die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit im Fall der Profitrate ein Gesetz erz ihrer en Entwicklung auf einem gewi sen feindlic ertritt und daher beständig durch Krisen üb en werden muß. 2. Darin, daß ... eine gewisse Höhe der Profitrate über Ausdehnung oder Beschränkung der Produktion ent­scheidet statt des Verhältnisses der Produktion zu den gesellsc iehen Bedürfnissen, zu den Bedürfnissen gesellschaftlich entwickelter Menschen. Es treten da­her Schranken für sie ein schon auf einem Ausdehnungs­grad der Produktion, der umgekehrt unter der andren' Voraussetzung weitaus ungenügend erschiene. Sie kommt zum Stillstand, nicht wo die Befri der Bedürf-nisse, sondern wo die Produktion und isierung von Profit diesen Stillstand gebietet." 115)

"Es zeigt sich hier in rein ökonomischer vleise ... ih­re Schranke, ihre Helativität, daß sie keine absolute sondern nur eine historische, einer gewi sen besc ten Entwicklungsepoche der materiellen Produktionsbe­dingungen entsprechende Produktionsweise ist." 116)

tUt der Rede von der "historischen Schranke" und der "[1e­

lativität" des Kapitalismus polemi.siert Marx gegen den

"Bourgeoisstandpunkt ", der die kapi taU stis(;he Produk­

tionsweise zur rationellen und absoluten Form des Wirt­

schaftens schlech~hin verklärt. Der Widerspruch kapita­

listischer Reichtumsproduktion, mit jedem Akkumulations­

erfolg zugleich neue Akkumulationsschranken zu produzie­

ren, ist allerdings nicht umgekehrt so zu verstehen, als

seien die Bewegungsgesetze des Kapitals zugleich Gesetze

des historischen Untergangs des Kapitalverhältnisses. Denn

in der Zusammenfassung des immanenten Widerspruchs kapi-

Page 98: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

193

talistischer Reichtumsproduktion -

"Die kapitalistische Produktion strebt beständig, diese ihr immanenten Schranken zu überwinden, aber sie über­windet sie nur durch rhttel, die ihr diese Schranken aufs neue und auf gewaltigerm Maßstab entgegenstel­len." 117) -

charakterisiert Marx das Gesetz des gegensätzlichen Er -

haI t s kapitalistischer Ökonomie. Die Vernichtung und

Entwertung von Kapital in der Krise ist nicht gleichbe­

deutend mit der Eröffnung einer Existenzkrise des kapi­

talistischen Systems. Die Krise ist vielmehr eine notwen­

dige Phase im Akkumulationsproz ß des Kapitals, die ge­

waltsam den Weg frei macht für eine vergrößerte und be­

schleunigte Akkumulation in Aufschwung und Boom bis hin

zur nächsten Krise usw.:

"Und dies nomie das die reale aller Wi

ist bei der Betrac der bürgerlichen Öko-Wichtigste. Die Wel tkrisen müssen als Zusammenfassung und gewal Ausgleichung

ehe der bürgerlichen onomie gefaßt

plan sieht, die im "Kapital" geleistete Analyse des Geset­

zes vom tendenziellen Fall der Profitrate und die Darstel-

lung seiner inneren Widersprüche stellen keine Pr ogn 0

s e des unvermeidlichen Scheiterns und automatischen Un­

tergangs des Kapitalismus dar. Die wissenschaftliche Dar-

stellung der Krise ist die Kritik einer Produktions-

weise, in der das Wertgesetz die Konsumtion bestimmt -

also einer Produktionsweise. die zwar die materiellen Mittel

allseitiger Befriedigung der Bedürfnisse produziert, diese aber

zugleich der Produktion und Realisierung des Profits opfert:

"Das Wort overproducti on führt an sich in Irrtum. So-l die dringendsten Bedürfnisse eines oßen Teils der esellschaft nicht befriedigt sind nur seine unmittelbarsten Bedürfnisse, kann natürlich von einer Überproduktion von Produkten - in dem Sinn, daß die ~as­se der Produkte überflüssig wäre im Verhältnis zu den Bedürfnissen für sie - absolut nicht die Rede sein. Es muß umgekehrt werden daß auf Grundl der kapi-talistischen on in esern Sinn bes g unter-oroduziert wird. Die Schranke der ProdClktion ist der Pro­fit der Kapitalisten, keineswegs das Bedürfnis der Produ-

zenten." 119)

b) Krisenprognose: das Beweisverfahren der (Un-)GUltigkeit

des Marxismus

Krisentheori und Krisenprognose sollen der "Beschaffung

von konkreten Analysen der Entwicklungsmöglichkeiten und

-erwartungen des Kapitalismus,,120) dienen. Die Ergänzung

der Rekonstruktion der Marxschen Theorie durch marxis

sehe Konjunkturanalysen, die Stand, Erfolgsbedingungen

und Entwicklungstendenzen des Kapitalverhältnisses beob­

achten und prognostisch interpretieren, gilt Altvater als

die Voraussetzung begründeter sozialistischer Politik:

"Es wäre ZVJar vöJl verfehlt. im Warten auf die öko-nomische Krise des talismus sich zu beschränken; aber die konträre von der Bedeutungsl keit der ökonomi chen Lage die revolutionären öv-lichkeiten, d. h. die Verabsolutierung des 'subjekti~en Faktors', ist ebenso verfehlt. Einersei ts ist revol u­tionäre Praxis nicht rigide an ökonomische Bedi zu kntipfen, wodurch die sozialistische Linke si Sklaven der autonomen Bewegungen des machen wUrde, andererseits aber müssen die ökonomi-schen Bedingungen in die Strategie zu reflektierter Praxis mit e . Unter diesem Aspekt hat ein Pro-gnose 11 sc tlicher Entwicklungen immer einen dop-pelten harakter: Sie ist einmal Prognose von sozialen Gesetzmäßigkeiten im Sinne von histo;ischen die bei uns durch die Verwertungszu pitals beherrscht sind und als äußerliche in jede Strategie aufzunehmen sind; sie ist zum andern Prognose. die nur dann wahr wird, wenn das osti zierende Subjekt sich nicht als außerhalb er nge Clnd Abläufe stehender Beobachter ft, der nicht nur die objektiven der ität interpreti sondern sie auch v 121)

Es muß verwundern, daß Altvater die ErstellClng von Kon­

junkturprognosen als eine. wenn nicht gar die wesentl ehe

Bedingung "revolutionärer Praxis" angibt. Dem von ihm the­

matisierten "doppelten Charakter" marxistischer Prognosen

ist nämlich ein eindeutiger Hinweis auf ihren immanenten

Widerspruch zu entnehmen: Einerseits unterstellt Altv er

mit der Prognose gesellschaftlicher Entwicklungen ein

autonome Bewegung und historische Tendenz des Kapital . die

Sozia1isten aus n tz e n können. Die "ckonomi ehe Kri

-------------_ ...... _--------'-~-'"

Page 99: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

195

se des Kapitalismus " (auf die es sich zu "warten" lohnt,

aue wenn die revolutionäre Praxis sich darauf nicht "be­

schränken" darf) wird dabei als eine solche günstige "äu­

ßerliche Bedingung" für die eigenen "revolutionären l'iög­

lichkei ten" angesehen. Anderersei ts dementiert Al tvater

zugleich di seinen Prognosen zugrundeliegende Vorstel­

lung von den für Sozialisten ausnutzbaren Chancen und

Möglichkeiten der Kapitalbewegung. Das Plädoyer, die ob­

jektiven Bedingungen der Realität nicht zur zu interpre­

tieren, sondern auch durch die Praxis der "sozialistischen

Linken fI zu verändern, ist das faktische Eingeständ-

nis, daß "revolutionäre Möglichkeiten" nicht von der auto­

nomen Bewegung des Kapitals selbst bereitgestellt werden,

vielmehr gegen sie durchgesetzt werden müssen.

Wenn Altvater jetzt allerdings in Konjunkturanalysen die

Entwicklungstendenzen von Kapitalbewegung und Klassen­

kampf beobachtet, um sich auf beide als "äußerliche Be-

dingungen" e. ins tel I e n zu können, dann handelt es

sich dabei um das Gegenteil einer wissenschaftlich be-

gründeten Praxis, die den Klassenkampf macht. Denn

eine Prognose verfolgt nicht das Anliegen, eine Sache

theoretisch zu klären, um sie praktisch zu verändern, son­

dern verdankt sich dem Interesse, gegenwärtige Tendenzen

und zukünftige Gegebenheiten zu kalkulieren, um sich nach

ihnen richten zu können. 122 ) Auch marxistische Prognosen

sind ihrer Natur nach ein wissenschaftliches Instrumenta­

rium zur Einstellung auf Tendenzen, die es unabhängig von

dem eigenen politischen Interesse und dem eigenen prak­

tischen Eingreifen gibt. Und das "prognostizierende Sub­

jekt" ist insofern immer ein "außerhalb der Dinge und Ab­

läufe stehender Beobachter", der die Tendenzen der öko­

nomischen Bewegung und die Entwicklungsbedingungen des

Klassenkampfs interpretiert und kalkuliert. Das Verhältnis

von Theorie und Praxis ist so in der von Altvater aufge-. 123)

stell ten "Methodik für KonJunkturanalysen " auf den

196

iopf gestellt: Aus der materialistischen Analyse von kapi­

talistischer Ökonomie und bürgerlichem Staat zum Zwecke

der wissenschaftlich begründeten Pr akt i z i er u n g

des Klassenkampfs wird die prognostische Extrapolation

wahrscheinlicher kapitalistischer Entwicklungstendenzen,

um die Bedingungen der Möglichkeit von Klassen-

kampf zu taxieren. Und über die theoretische Gültigkei

der Kapitalismuskri.tik entscheidet nicht mehr die Stim­

migkeit ihrer Urteile und Argumente, sondern das Eintre­

ten oder Ausbleiben der in der Krisenprognose erwarteten

Fakten und Tendenzen. "Wahr" wird Altvater zufolge

die Krisenprognose durch den Ausbruch der ökonomischen

Krise des Kapitalismus und den Aufschwung der Klassen-­

kämpfe in ihrem Gefolge. Damit wird der praktische (l'iiß-)­

Erfolg der gesellschaftlichen Interessen von Kapital und

Staat auf der einen und der Arbeiterklasse auf der ande­

ren Sei te zum entscheidenden 11aßstab der theoretischen

Gültigkeit der Marxschen Kapitalismuskritik erhoben. Daß

die Fortschri tte der bundesdeutschen "Kräfteverhäl tnis­

se" auch die "Hahrheit" des 14arxismus tangieren, ist di.e

immanente Konsequenz der um Krisenprognose und Konjunk­

turanalyse ergänzten "Kritik der politischen Ökonomie".

Die Konjunkturen der Krisenprognose - Optimismus

Es verwundert daher nicht, daß nicht nur das Vlirtschafts­

wachstum der vergangenen 12 Jahre, sondern ebenso die

marxistischen Konjunkturanalysen ihre eigenen Konjunkturen

hatten. Die ersten Krisenprognosen, nach Erfahrung der

Rezession 1966/67 und der Septemberstreiks 1969 zu Be-

ginn der 70er Jahre erstellt, waren geprägt vom Opti

mi s mus, daß der Kapitalismus bei der "Lösung" seiner

Widersprüche notwendig scheitern -

Page 100: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

197

talismus wird mi t dieser' Fehlentwi ist die "kapitalistische Tendenz zur erpro-

on"), die aber notwendi Ergebnis kapitalisti-scher Dynamik ist, im Wel tab noch weni fertig werden als auf nati cnalstaatlicher Ebene."

und der Klas"enkampf sei.nen Aufschwung nehmen müsse:

"Die Annahme isolierter \ürtschaftskrisen, die nicht zugleich auch politische und soziale Krisen sind, i.st immer unhj.storisch und abstrahiert von der Vielfal t der Erscheinungsformen einer Gesellschaft. Die Weltwirt­schaftskrise der 20er ,Jahre war zugleich eine politische und soziale Krise dN; Kapitalismus; die Krise der Kapj.­talismen heute hat ihre sozialen und politischen Aus­drucksformen . Das wurde sinnlich erfahrbar , als im Mai 196B in Frankreich Arbeiter und Studenten am

das autoritäre System des französisc ismus revoltierten. 1I 125)

Zu Anfang der 70er ,Jahre sah Al tvater den arxismus durch

die Dynamik der kapitalistischen Realität lielbst als de­

ren "wahren" theoretischen Ausdruck "sinnlich erfahrbar"

bestätigt. Er glaubte, die "Kriük der pol tischen Ökono­

mie" wäre durch die Entwicklung ihres Gegenstandes defi­

ni tiv als die "bürgerlicher Wirtschaftstheorie" überlegene

!"vissenschaft ausgewiesen:

"Nun ist es aber nicht einfach "0, daß ViiI' uns willkür­U.ch aussuchen können, für welche dieser Positionen -der Kapitalismus lasse sich krisenfrei mit der 'moder­nen Wirtschaftspolitik' manipulieren einerseits und der Kapi talismus bringt immer wieder Krisen hervor anderer­seits - wir Partei ergreifen. Vielmehr müssen wir mit theoretisch-analytischen Anstrengungen versuchen, die richtige Theorie zu entwickeln, um uns in der Realität

echend unseren Interessen orientieren und die Mög-lic ten in dieser Gesellschaft praktisch entfalten zu können. Dabei hilft uns die kapitalistische Entwick­Lmg selbst weiter." 126)

In er Gewißheit, durch die kapitalistische Entwicklung

selbst gegenüber den "Neokeynesianern" ins Recht gesetzt

zu sein. kommen Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler

in j.hrer realanalytischen Studie über d:Le "Entwj.cklungs­

tende~zen des Kapitalismus in Westdeutschland" im Ja.hre

197 folgender eptirni tischer Prognos

19B

"Wenn unsere Analyse stimmt, daß in den 70er Jahren kei-ne M ichkeiten für das westdeutsche Kapital bestehen, ohne talintensivi die Arbeitsproduktivität zu steigern, und auch di. e tückkosten nicht in dem Ausmaß zu senken sind, dann ist es nur wahrsc lieh, daß periodische Krisen entstehen. Nun ist ei.n ökonomische Krise nicht einfach eine Episode im AbL~uf der Kapitalakkumulation, sondern ein ti eifender Einschni tt nicht nur im Prozeß der Kapi erwer sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen und ziehungen. Die Erhöhung der Arbeitsproduktivität is nicht nur eine ökonomische Formel, sondern ein realer Prozeß, der in die Arbeits- und Produkt:lonsbedingungen hart eift. Die Senkung der Lolmstückkosten ist kein sac icher Vorgang der Kostensenkung, sondern be­inhaltet eine Veränderung des Teilungsverhältnisses des produzi erten Iver odukts zugunsten des Kapital" und zu Lasten der arbei t. Di es kann daher nicht ohne sozi.ale Auseinandersetzungen und Kämpfe abgehen." 127

Enttäuschter Optimismus

Im Oktober 1975 veröffentlicht das Redaktionskollektiv

"Gewerkschaften" der Zeitschrift "Probleme des Klassen­

kampfs" eine wesentlich zurückhaltendere realanalytische

Studi e:

"Liefert die gegenwärtige Entwi nen Weltmarktkrise den empirischen s für tigkeit der arxschen Akkumulation- und Krisenanalyse, so scheint andererseits die politische ~;ntwicklung der Arbeiterklasse in Westdeutschland den von :,larx postulier­ten Zusammenhang von ökonomischer und Klassenb zu widerl . Denn schließlich kann keine Rede sein, daß e Erfahrung des antagonisti chen Interessen-gegensatzes die westdeutschen Lohnabhängigen in den

f da" Kapi tal gegen wär ti g man allenthalben auf die Ansic , Re-

signation, privater RU Aufgabe fo::,tschrittlicher Positionen seien das wesen iche Resulcat der kapj.ta­listischen Krise." 12B)

Das Redaktionskollektiv "Gewerkschaften" muß konstaüe-

ren, daß tr 0 t z Zunahme der Verwertungsschwierigkei

ten des Kapjtals die prognostizierten "schcirferen Formen

Page 101: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

199

der Klassenk8.mpfel1129) a:ui' sich warten lassen. vJährend

Pedaktionskol1.cktiv einerseits die I·1arxsche Krisen-

analyc:e durch die eingetretene Vleltmarktkrise 197/~/75

als empirisch bewiesen ansieht, interpretiert es anderer-

zelts das faktische Ausbleiben der von ihm erwarte-

e n Klassenkämpfe auch in der BRD als eine mögliche

Schwachstelle der arxschen Theorie. Die Autoren gehen

unter Berufung auf 1,Jarx von einem zwangsläufigen "Zusam­

menhang von ökonomischer und Klassenbewegung", von Krise

des Kapitals und Aufschwung des Klassenkampfs aus, den

arx 0 nicht "postuliert" 3 0 ), und extrapolieren dar-

aus, die westdeutschen Lohnarbeiter angesichts der

praktischen "Erfahrung" des antagonistischen Interessen-

gegensatzes in der Kris eigentlich kämpfen müß-

ten. Die Diskrepanz von prognostizierter und tatsächli­

cher Entwicklung führt das Redaktionskollektiv zu der Fra­

ge, ob man bei den auf Basj.s des postulierten Zusammen­

hal1gs von Krise und Klassenkampf erstellten Prognosen

nicht einen wesentlichen Faktor unberücksichtigt gelas-

sen hab e - di e Bedingungen

Arbei tel' 21m Kämpfen hindern,

nämlich, welche die

obwohl die Krise sie

eigentlich in den Klassenkampf "zwingen" müßte.

Die Autoren nehmen ihre durch die bundesrepublikanische

Realentwicklung enttäuschten Erwartungen als Anstoß, die

Prognose der objektiven Entwicklungstendenzen der Kapital­

akkumulation um die Kalkulation der subjektiven Bedin­

gungen des Klassenkampfs zu ergänzen, die seine eigentli­

che Aufschwungtendenz bislang noch verhindern:

"Die Schranken der Analyse des zukünftigen Prozesses liegen darin, daß die sich entwic~elnde Stagnations­und Krisenphase die Herausbildung und das Handeln der tohnabhängÜ;en als Klasse gegen das Kapi tal notwendig macht, wj.ll die Arbei terschaft nicht ohnmächtiges Ob­jekt bleiben. Dieses Handeln existiert in der Bundes­republik aber nur in ersten Ansätzen. Die Schranke ei­ner Analyse des notwendigen HandeIns, der Verbindung von Theorie und Praxis liegt also in der Realität selbst! Zwar ist die Klassenorganisation Resultat der

Erfahrungen der Arbeiter im talismus, aber en gen der quasi naturVlÜchsigen acht des Kapitals is sie zugleich eben Resultat eines bewußter:, von den Produzenten selbst in die· Hand ommenen Entwicklungs-prozesses ... In dem [,laDe, in so die Klassen nisation Ausdruck des bewußten HandeIns das pital wird, kann die Analyse auch nicht nur die Bewegung des Kapitals zum G tand haben, sondern muß auch den Prozeß bewußten einbeziehen, der der Entscheidungsfähigkeit der Subjekte, d. h. auch möglicher Irrtümer, falscher Vlege etc., 1mterliegt." 1 31)

Sollten die von Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler

angestellten Berechnungen des ProHtratenfalls und Pro­

gnosen wahrscheinlicher Kr1.sentendenzen begründen, wann

die westdeutschen Arbeiter aufgrund der objekb.ven Be-

dingungen kämpfen müssen, so interpretiert das Pe-

daktionskollektiv nun umgekehrt den thf.1erfolg der vorlie­

genden "Analyse des zukünftigen Prozesses" a.ls Resultat der

subjektiven Bedingungen, die verhindern, daß die Arbeiter

kämpfen können. Der den bisherigen Krisenprognosen

zugrundeliegende und praktisch Vi:Lderlegte Determinismus,

Klassenbwußtsein und Kampfeswillen der Arbeiter zu einem

zwangsläufigen "Resul tat der Erfahrungen im Kapi talismus "

zu erklären, wird von dem Redaktionskollektiv durch den

komplementären Fehler "korrigiert", jetzt zugleich den

"subjektiven Faktor" als eine determinierende

positive oder negative Bedingung für die "Herausbildung

und das Handeln der tohnabhängigen als Klasse gegen das

Kapital" zu kalkulieren. Durch die Analyse der "subjek­

tiven Schranken des Widerstands in der Krise,,132

) sol

der Vliderspruch zwischen dem, was die westdeutschen Arbeiter

faktisch tun, und dem, was sie gemäß der Krisenprognose tun

müßten, aufgelöst und eine realistischere Kalkulation zu­

künftiger Entwicklungstendenzen des Klassenkampfs ermöglicht

werden.

So nennen zum Beispiel Altvater, Brandes und Hoffmann in

einem Handbuch, das die Perspektiven des Kapitalismus an­

hand der Entwicklungstendenzen von Inflation, Akkumula~i­

on und Krise beobachten und einschätzen will, die fol-

Page 102: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

201

genden sub j ekti v en Schrank en von KI as s enb ewu ßts ein Ü1

viestdeutschland:

"Der Prozeß der Herausbildung von Klassenbevmßtsein und organisiertem Handeln ist außerordentlich komplex und wi dersprüc hl ich. A bges ehen von der grundsätz I i c hen Befangenheit des Arbeiters als ein ~1itglied der formal freien und gleichen bürgerlichen Gesellschaft, ist für die BRD bez,eichnend, daß die Arbeiterklasse nach dem 2. Weltkrieg entweder keine Krisenerfahrungen angesichts der langandauernden Prosperi tät machen mußte oder aber die Krise eher als einen durch entschlossenes staatli­ches Handeln und kurzfristigen Lohnverzicht schnell und vergleichsweise schmerzlos zu behebenden 'Betriebs­unfall des Systems' erfuhr ... So wurde systemkonfor mes Bev.'Ußtsein z. T. eher bestärkt als zerstört, und es ist kein Wunder, wenn dies auch heute noch nach­wirkt, obgleich die Krise Mitte der siebziger Jahre we:Lt schwerer, länger und auch auswegloser ist." 133)

Die aufgelisteten negativen subjektiven Bedingungen für

die Herausbildung von Klassenbevmßtsein in der Bundesre­

publik wägen Altvater, Brandes und Reiche mit den sich

entwickelnden positiven objektiven Bedingungen der Mög­

lichkeit von Klassenkampf ab:

"Da die gegenwärtige Krise keineswegs mehr als bloßer Betriebsunfall interpretierbar ist, werden ihr auch an-dere Vera.rbei ter entsprechen als nach der Re-zession von 19 ." 13 1+)

Es "hat sich seit Ausbruch der Krise in den objektiven wie subjektiven Existenzbedingungen der Arbeiterklasse Entscheidendes verändert." 135)

Trotz der zunächst einmal enttäuschten Erwartung des "Aus­

bruchs" sozialer Auseinandersetzungen im unmittelbaren

Gefolge der ökonomischen Krise gehen Altvater, Brandes

und Reiche nach Abwägung aller Faktoren weiterhin von ei

nem unausweichlichen Aufschvmng des Klassenkampfs aus:

"Die Arbeiterklasse ist nicht mehr nur in erster Linie von der Gefahr der Reallehnsenkung durch die Infaltion bedroht; in wachsendem Ausmaß wird si e mi t der Verschär­fung der Krise auch durch Arbeitslosi eit, Kurzarbeit, Senkung der Effektivverdienste und staatlicher Sozialleistungen gefährdet. Der Hiderstand muß sich deshalb heute nicht nur auf brei terer Ebene entfal ten. Er trifft auch auf einen weniger konzessionsbereiten

202

und -fähigen Gegner. In der ilrbeiterklas e aber hat einerseits die Angst vor Vliderstand chts des größer gewordenen Risikos (verstärkte efahr des Ar­beitsplatzverlustes und anderer repressiver Sanktio­nen) zugenommen. Andererseits greifen Desorientierung und Desillusionierung um sich, die 'Gemeinwohl'-Ideo­logien der Vergangenheit beginnen an Integrations­kraft zu verlieren, ohne daß bereits eine Alternative entwickelt worden wäre; ein Gefühl resignativer Vlut breitet s eh aus. Mit anhaltender Krise aber rückt auch der Zeitpunkt näher, an dem der Arbeiterklasse kein anderer Ausweg mehr bleibt, als auf die Offensive des Kapi tals offensiv zu antworten." 136)

Desillusi oni erung

Die Krise des Kapitals werde zwangsläufig eLnen Aufschwung

der Klassenkämpfe auch in der BundesrepublL{ "auf die Ta­

gesordnung" "etzen, lautete di.e Quintessenz der von Alt­

vater u. a. seit AnfanG der 70er ,Jahre erstellten Kon-­

junktur- und Krisenprognosen . 10 Ja]o,re später beschließt

Altvater die von ihm und anderen praktizierte Begutach­

tung der Entwicklungsbedingungen, -möglichkeiten und -ten­

denzen des bundesrepublikanischen Kapi talisrnus mi t dem

desillusionierten Resümee, daß die westdeut:3che

"Arbeiterbewegung mit ihren sationen, den Ge-werkschaften und den tradition len Arbet arteien in eine Kri.se aten ist ... r1anche (!) en b tet, mit der onomischen Krise. mit der Situation wachsenden Arbeitslosigkeit mit'Lohnminderungen, mi.t zunehmender Arbeitshetze würde auch ein Aufschwung re­volutionären Bevmßtseins einhergehen, die Leute wür­den dann, um es etwas burschikos auszudr'icken, gleich sauer werden und das System anrennen. um es ber den Haufen zu wer Dies ist offensichtlich nicht so!" 137)

Glaubte man zu Beginn der 70er Jahre, en ißerfolg

von kapitalistischer Akkumulation und taatlicher 'liir

schaftspolitik konstatieren und daher den arxismus als

theoretisch Gültige der keynesianischen Wirtschaftstheo-

rie überlegene und praktisch erf01 rei.che The ori e

Page 103: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

203

interpretieren zu können -

" ... es darf füglich bezweifelt werden, ob der Staat als Institution auf der Grundlage der bestehenden Gesell­schaft, mit Funktionen ausgestattet, die selbst das Re­sultat eklatierender Widersprüche sind. in der Lage ist, diesen Widersprüchen beizukommen. Mehr noch: der Staat ist, wie schon eigt wurde, selbst in den Widersprü­chen dieser Ges Ischaft befangen, wie soll er sie dann wirksam regulieren können? Aus der Form der kapitalisti­schen Gesellschaft und ihres Staates folgt daher die prinzipielle Unfähigkeit zur Regulierung der gesell­schaftlichen Widersprüche ... (Es läßt) sich hier sehr schön zeigen ... , wie der Staat als 'Krisenmanager' nicht nur voll versagt, sondern auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise, befangen in deren Wi­dersprüchen, die Stagflation als spezifische Erscheinungs­form der Krise roduziert indem er ke nesianisches Kri­senmanagement betreibt." 13

so führt an der Wende zu den 80er Jahren das Eingeständnis

des Erfolgs bundes deutscher Ökonomie und staatlicher

Wirtschaftspolitik zur Kr i s e marxistischer Krisenpro-

gnose:

"Gerade die ökonomische Krise ist ein 110ment der Herr­schaft der bürgerlichen Klasse, der Stabilisierung des herrschenden Blocks Das 'Modell Deutschland', von dem die Sozialdemokratie spricht, ist ein relativ gut funktionierendes ökonomisch-politisches Herrschaftsmo­dell ... " 139)

Die beständige praktische Widerlegung des in den Krisen­

prognosen erwarteten Zusammenhangs von Krise des Kapitals

und Aufsch~~ng des Klassenkampfs macht Altvater zum Argu­

ment für eine pauschale Infragestellung der bislang für

gültig befundenen marxistischen Krisentheorie, die über

eine kritische Überprüfung einzelner Urtei.le und behaup­

teter Zusammenhänge auf ihre Stimmigkeit längst hinaus ist.

Altvater äußert den Generalzweifel, ob er nicht in seiner

bisherigen Theorie das Funktionieren dea bundesrepublika­

nischen Kapitalismus und die Stabilität seiner Herrschaft

unterschätzt habe, ob also seiner bisherigen Kri-

tik nicht angesichts des Erfolgs des 'r,jodell Deutschland'

der Boden unter 'den Füßen weggezogen sei .140)

Die "Krise des r,jarxirömus" besteht somit darin, daß marxi­

stische Theoretiker Abstand nehmen von ihren früheren

Krisentheorien und Krisenprognosen, indem sie den prakti-

schen

schen

Erfolg des Kapi talismus zu einem theoreti

Argument gegen s ich machen:

"Die vielberedete 'Krise' der Linken rührt zu einem guten Teil daher, daß ein er Traditionsbestand an politi'3chen Analysen, onzepten und Strategien 0-zialrevolutionärer Veränderung fragwürdi ja, von der Entwicklung nachhaltig dementiert wor ist." 141)

Page 104: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

205

Anmerkungen: Die empirische Verifikation des als Methode

rekonstruierten Marxismus - Realanalyse, Krisentheorie

und Krisenpro&nose

1) Elmar Altvater, Zu einigen Problemen des Staatsin­terventionismus, in: Probleme des Klassenkampfs -Zeitschrift für olitische Ökonomie und iozialisti­sehe Politik Nr. , 1972, S. 2

2) Redakh.onskollektiv "Theorie des staatsmonopolisti­schen Kapitalismus", Revolutionäre ?aktik? in: Pro­bleme des Klassenkampfs Nr. 1, 1971, S. 1

3) Altvater, Zu einigen Problemen, S. 2

1+) a.a.O.

5) a.a.O., S. 3

6) a.a.O.

7) I~arx. Das Kapi tal, Bd. 1, S. 335

8) Marx, Grundrisse, S. 175

9) Altvater, Zu einigen Problemen, S. 4

10) Marx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 87 Es handelt sich hierbei um die Inhaltsangabe des "drit­ten Kapitels", das von I,larx im folgenden Zitat sprochen ist. Dieses "dri tte Kapi tel", das Kapi im allgemeinen, stellt offensichtlich den snäteren In­halt von "Kapital Bd. 1, Lr. Kap." bj.s "Kapital Bd. 3" einschließlich dar.

11) :4arx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 113

12) Siehe hierzu den von Marx in den "Grundrissen zur Kri tik der politischen Ökonomie" gegebenen ursprünglichen Aufbauplan : Grundrisse, S. 175, 186 Siehe auch: Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Y'larxschen 'Kapital', Bd. 1, S. 77 f

13) Marx, Grundrisse, S. 416

14) Y1arX, Das Kapi tal, Bd. 1, S. 335 15) Marx, Grundrisse, S. 638 16) a.a.O., S. 317

17) Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 335

18) "Ihre ei e gesellschaftliche besitzt für sie die einer Bewegung von Sac , unter deren Kontrolle sie stehen statt ie zu kontrollieren." (tllarx, Das Kapital, .1, S. 89)

19) 20)

21)

206

"Was soll man von einem Gesetze denken, das sich nur durch periodische Revolutionen durchsetzen kann? Es ist eben ein Naturgesetz, das auf der Bewußtlosi t der Beteil beruht." (Engels, zitiert nach: Das Kapi , Bd. 1, S. 89 (Fußnote»

Vergleiche hierzu auch die Ausführungen zum Fetisch­charakter der Ware in der vorliegenden Arbeit: 11. 1. c) Die "Kritik der'politischen Ökonomie": die Ent­faltung eines Totalitätsbegriffs der entfremdeten Formen.

Marx, Das Kapital, Bd. 1 , S. 6/+8

r4arx, Das Kapital, Bd. 3, S. 835 Iv1arx, Grundrisse, S. 195

22) Die Analyse der Konkurrenzhandlungen der Arbeiter weist zum Beispiel die mit dem Arbeitslohn Chancen Verdienstes und seiner S prämien, erstundenzusc ,Prämien I'

arbeit und gesundheitssc iche Arbeitsbelas etc.) als notwendige Verlaufsformen des mit der arbeit eingerichteten Ausschlusses vom produzierten gesellschaftlichen Reichtum nach und destruiert so den Schein der Freiheit dieses Produktionsverhält­nisses. Auf die entscheidende Bedeutung der Analyse des Arbeitslohns für die Kritik falschen Bewußtseins weist ~1arx im "Kapital" hin, denn "auf dieser Ers hei­nungsform ... beruhn alle Mystifikationen der kapita­listischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillu­sionen." (Das Kapital, Bd. 1, S. 562) D:ie Untersu­chung der verschiedenen Formen des Arbeitslohns gib t>\arx ausdrücklich als eine der Aufgaben an, die eine Analyse der Konkurrenz der Lohnarbeiter zu leisten hätte: "Der Arbeitslohn nimmt selbst wieder sehr man­nigfaltige Formen an, ein Umstand nicht erkennbar aus den ökonomischen Kompendien, e in ihrer bruta-len Interessiertheit für den Stoff jeden Formunter­schied vernachlässigen. Eine Darstellung aller die­ser Formen gehört jedoch in die spezielle Lehre von der Lohnarbeit .. ,Ir (a.a.O., S. 565)

23) Marx, Das Kapital, Bd. 3, S 33

24) a.a.O., S. 822 ff

25) a.a.O., S. 830

26) Marx, Grundrisse, S. 317 27) r4arx, Das Kapital, Bd. 1, S. 331 ff

28) "Der Verlängrung der r~ehrarbei t entspräche die Ver­kürzung der notwendigen Arbeit, oder ein Teil der A -beitszeit, die der Arbeiter bisher in der Tat für s eh selbst verbraucht, verwandelt sich in Arbeitszeit f r den Kapitalisten. Was verändert, wäre nicht die Länge

Page 105: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

07

des Arbeitstags, sondern seine Tei rbeit und ]IJehrarbeit. ll (a.a.O., S.

in notwendige f)

29) "Eine solche Senkung des Werts der Arbeitskraft um 1/10 bedingt aber ihrerseits, daß dieselbe Masse Le­

ensmi ttel, d1 früher im 10, ,jetzt in 9 Stunden pro­duziert wird. Dies ist jedoch unmöglich ohne eine Er der Produktivkraft der Arbeit. Mit en itteln ein Schuster z. B. ein Paar Stie

einem Arbeitstag von 12 Stunden machen. Soll er in derselben Zeit zwei Paar Stiefel machen, so muß sich

1e Produktivkraft seiner Arbeit v eIn, und sie kann sich nicht verdoppeln ohne eine in sei-

en Arbeitsmitteln oder seiner Arbeitsmethode oder bei­muß daher eine Revolution in den Pro­

seiner Arbeit eintreten, d. h. in einer Pr tionsweise und daher im Arbeitsprozeß elbst. Unter Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit

verstehn wir hier überhaupt eine Veränderung im Ar­beitsprozeß, wodurch die zur Produktion einer Ware gesellschaftlich erheischte Arbeitszeit verkürzt wird, ein kleinres Quantum Arbeit also die Kraft erwirbt, e1.n ößres Quantum Gebrauchswert zu produzieren." (a.a . . , S.333)

30) n.a.O., S. 334

31) .a.O.

32) a .. 0.

33) a.O., S. 335

3 L,) • a.O.

35) Der Auffassung von Rosdolsky, der in den Verweisen auf die Mechanismen der Konkurrenz, die Marx bei der Dar­stellung des Begriffs des relativen Mehrwerts gibt, einen "radikalen Bruch mit dem alten Einteilungssche­ma des Buches vom Kapital" (Zur Entstehungsgeschich­te, Bd. 1, s. 26) und die Hereinnahme wesentlicher Teile der Konkurrenz in die Darstellung des "Kapital im allgemeinen" sieht, ist nicht zuz,ustimmen. Daß

arx in dem Abschnitt über die Produktion des relati­ven Mehrwerts die Gestaltungen der Konkurrenz nicht zum Gegenstand macht, wird nicht nur daran deutlich, daß er ausdrücklich bemerkt, die "Art und Weise, wie die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion in der äußern Bewegung der Kapitale erscheinen, sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und daher als treibende r·lotive dem individuellen Kapita­listen zum Bewußtsein kommen, ist jetzt nicht zu be­trachten ... " (r'larx, Das Kapital, Bd. 1, s. 335) Die von Marx im folgenden vorgetragene Erklärung des Vorteils einer Produktivitäts steigerung für den Ein­zelkapitalisten erfolgt expressis verbis "auf der

208

Grundl der bereits gewonnenen Resultate" (a.a.O.) und b ent.sich der Kategorien individueller und ge-sellschaftllcher Wert und Extramehrwer , bei des öko­nomische Formen, in denen sich. die Konkurrenz nicht abspielt, die aber hinreichen, um das Vorhandensein eines einzelkapitalistischen Interesses an der Ra­tionalisierung des Produktionsprozesses zu demonstrie­ren (a.a.O., s. 335 ff). Unabhängig von der in die wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz fallenden Untersuchung, wie in der Kalkulation des individuel­len Kapitalisten die Rationalisierung als ein Mittel der Profitsteigerung erscheint. kann Marx so in der Darstellung des Begriffs des r~lativen Mehrwerts be­gründen, daß es für den Einzelkapitalisten - ganz ohne Reflexion auf die (ihm selbst unbekannte) Mehr­wertrate - ein Interesse an der Senkung der notwendi­gen Arbeitszeit gibt, weil ihm diese Maßnahme über den Vergleich der Waren auf dem Markt einen als "Ex­tramehrwert" bezeichneten Vorteil einbringt.

Vergleiche hierzu auch die Darstellung in den "Resul­taten des unmittelbaren Produktionsprozesses":

"Produktivität der Arbeit überhaupt = [;laximum von Produkt mit Minimum von Arbeit, daher möglichst Verwohlfeilerung der Waren. Dies wird zum Gesetz unabhängig vom Willen der einzelnen Kapitalisten: ln der kapitalistischen Produkticnsweise ... Ihr Zweck, daß das einzelne Produkt etc. möglichst viel unbezahlte Arbeit enthalte, und dies nur er­reicht durch die Produktion um der Produktion wil­len. Es tritt dies einerseits als Gesetz auf, so­weit der Kapitalist, der auf zu kleiner Stufenlei­ter produziert, mehr als das gesellschaftlich not­wendige Quantum Arbeit in den Produkten verkörpern würde. Es tritt also als adäquate Ausführung des Wertgesetzes auf, das sich erst vollständig ent­wickel t auf der Grundlage der kapi talistischen Pro­duktionsweise. Aber es tritt andererseits als Trieb des einzelnen Kapitalisten auf, der, um dies Ge­setz zu durchbrechen, oder es zu seinem eignen Vor­teil zu überlisten, den individuellen Wert seiner Ware unter ihren gesellschaftlich bestimmten Wert zu senken sucht." (r4arx, Resultate des unmi tteJba­ren Produkti onsprozesses, Frankfurt am ~lain 1969 s. 63 f) . '

36) Die Rechnung, die zur Entscheidung führt, neue Maschi­nen anzuschaffen (dasselbe gilt für Umstellung in der betrieblichen Organisation mit nur geringer techni scher Umrüstung), besteht in einem Vergleich zwischen Maschinenkosten und Lohnkosten: die Kosten, die mit der neuen Maschinereie entstehen, müssen unter den Kosten der eingesparten Arbeitskräfte liegen:

Page 106: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

209

"Ausschließlich als Mittel zur Verwohlfeilerung des Produkts betrachtet. ist die Grenze fUr den Gebrauch von Maschinerie darin gegeben, daß ihre eigne Pro­duktion weniger Arbeit kostet, als ihre Anwendung Arbeit ersetzt. Für das Kapital jedoch drückt sich diese Grenze enger aus. Da es nicht die angewandte Arbeit zahlt, sondern den Wert der angewandten Ar­beitskraft, wird ihm der Maschinengebrauch begrenzt durch die Differenz zwischen Maschinenwert und Wert der von ihr ersetzten Arbeitskraft. Da die Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbei und Mehrarbeit in verschiednen Ländern verschieden ist, ebenso in demselben Lande zu verschiednen Perioden oder wäh­rend derselben Periode in verschiednen Geschäfts­zweigen; da ferner der wirkliche Lohn des Arbeiters bald unter den Wert seiner Arbeitskraft sinkt bald über ihn steigt kann die Differenz zwischen Preise der Masc e und dem Preise der von ihr zu ersetzenden Arbeitskraft sehr variieren, wenn auch die Differenz zwischen dem zur Produktion der Maschine nötigen Arbeitsquantum und dem Gesamtquan­tum der von ihr ersetzten Arbeit dieselbe bleibt. Es ist aber nur die erstere Differenz, welche die Pro­duktionskosten der Ware fUr den Kapitalisten selbst bestimmt und ihn durch die Zwangsgesetze der Konkur­renz beeinflußt." (Marx, Das Kapital, Bd. 1. S. 414)

37) Vergleiche hierzu die Aussagen der Betriebswirtschafts­lehre. die als Hilfswissenschaft für die unternehmerische Praxis bemUht ist, alle Maßnahmen des Unternehmers zur Bewährung in der Konkurrenz aufzuführen und die alter­nativen Entscheidungen des Unternehmers bezüglich ih-rer Wirkungen auf den Geschäftserfolg abzuwägen: "Fixe oder feste Kosten sind der Teil der Gesamtkosten, der von Änderungen des Beschäftigungsgrades grundsätzlich unbeeinflußt bleibt. Die fixen Kosten entstehen also aus der Bereitschaft zur Produktion, aus der vorhand-nen Kapazität ... Variable oder veränderliche Kosten sind der Teil der Gesamtkosten, dessen Höhe vom Be­schäftigungsgrad des Betriebes abhängig ist, z. B. Fer­tigungslöhne, Rohstoffkosten usw ... " (Löffelholz, Re­petitorium der Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 1967 (2. Auflage), S. 376 f)

38) Vergleiche hierzu: "Es wird auch von der r.Jaschinerie agt. daß sie Arbeit spart; das bloße Sparen der Ar­t ist indes ... nicht das Charakteristische ... Das

Suaren der notwendigen Arbeit und das Schaffen der Surplusarbei t ist das Charakteristische." O"larx, Grund­risse, S. 292)

39) Siehe auch die Äußerungen von Marx zum Verhältnis von [.lehrwert und Profi t im 3. Band des "Kapital":

210

"In der Tat ist der Profit die Ersc Mehrwerts, welcher letztre erst durch aus der erstern herausgeschäl t werden muß. Im wert ist das Verhältnis zwischen Kapital und Ar­bei t bIosgelegt ; im Verhäl tnis von Kapi tal und Pro­fit, d. h. von Kapital und dem Mehrwert, wie er ei­~erseits als im Zirkulationsprozeß realisierter Uberschuß über den Kostpreis der Ware, andrerseits als ein durch sein Verhältnis zum Gesamtkapital nä­her bestimmter Uberschuß erscheint, erscheint das Kapital als Verhältnis zu sich selbst. ein Verhält­nis, wodurch es sich als ursprUngliche Wertsumme von einem, von ihm selbst gesetzten Neuwert unter­scheidet. Daß es diesen Neuwert während seiner Be­wegung durch den Produktionsprozeß und den Zirku­lationsprozeß erzeugt, dies ist im Bewußtsein. Aber wie dies geschieht, das ist nun mystifiziert und scheint von ihm selbst zukommenden, verborgnen Qualitäten herzustammen. Je weiter wir den Verwer­tungsprozeß des Kapitals verfolgen, um so mehr wird sich das Kapitalverhältnis mystifizieren so weniger das Geheimnis seines inneren mus offenlegen." (Marx, Das Kapital, Bd. ,

Diese Mystifikationen des Kapitalverhältnisses wären allerdings nicht korrekt erfaßt, verstände man sie im Sinne eines epistemologischen Determinismus. Wie die mystifizierten Formen der Oberfläche an sich selbst auf die inneren allgemeinen Gesetze des Kapitals ver­weisen, ist oben demonstriert worden. Siehe hierzu auch die durchgeführte "Dechiffrierung" des P,rbeits­lohns als verwandelte Form des Werts der Arbeitskraft im zweiten Abschnitt der vorliegenden Arbeit: 11. 1. c) Die "Kritik der politischen Ökonomie": die Entfal­tung eines Totalitätsbegriffs der entfremdeten For­men.

40) Siehe hierzu: "Gleichzeitig tritt eine Änderung in dem Charakter des relativen Mehrwerts ein. Im allgemeinen besteht die Produktionsmethode des relativen Mehrwerts darin, durch gesteigerte Produktivkraft der Arbeit den Arbeiter zu befähigen, mit derselben Arbei be in derselben Zeit mehr zu produzieren. Dieselbe beitszeit setzt nach wie vor dem Gesamtprodukt den­selben Wert zu, obgleich dieser unveränderte Tausch­wert sich jetzt in mehr Gebrauchswerten darstellt und daher der Wert der einzelnen Ware sinkt. Anders jedoch, sobald die gewaltsame Verkürzung des Arbeitstags mit dem ungeheuren Anstoß, sie der Entwicklung der Produktivkraft und der onomisierung der Produktions­bedingungen gibt, zugleich vergrößerte Arbeitsausga­be in derselben Zeit, erhöhte Anspannung der Arbeits­kraft, dichtere Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit, d. h. Kondensation der Arbeit dem Arbeiter zu einem

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211

Grad aufzwingt, der nur innerhalb des verkürzten Ar­beitstags erreichbar ist. Diese Zusammenpressung einer größren Masse Arbeit in eine gegebne Zeitperiode zählt jetzt als was sie ist, als größres Arbeitsquantum. Ne­ben das Maß der Arbei tszei tals 'ausgedehnte Größe' tri tt jetzt das Maß ihres Verdichtungsgrads ." cr~arx, Das Kapital, Bd. 1, s. 432)

1~1) [\jarx, Das Kapital, Bd. 1, S. 571~ ff

42) Siehe hierzu: "Indem der Arbei tgeber über die Beschäf­tigungsmittel kommandiert, kommandiert er über die Lebensmittel des Arbeiters, d. h. sein Leben hängt von ihm ab; wie der Arbeiter selbst seine Lebenstätigkeit zum bloßen Mittel seiner Existenz herabsetzt." (Marx, Arbeitslohn, in: MEW 6, Berlin (Ost) 1973, s. 542)

43) Der Leistungslohn erweist sich so als das adäquate Mit­tel relativer Mehrwertproduktion : "Den Stücklohn gege­ben, ist es natürlich das persönliche Interesse des Arbeiters, seine Arbeitskraft möglichst intensiv anzu­spannen, was dem Kapitalisten eine Erhöhung des Nor­malgrads der Intensität erleichtert." (Harx, Das Kapi­tal, Bd. 1, s. 577)

"Der Arbeiter sucht die 14asse seines Arbeitslohns zu behaupten, indem er mehr arbeitet, sei es, daß er mehr Stunden arbeitet, sei es, daß er mehr in der Stunde liefert. Durch die Not getrieben, vermehrt er also noch die unheilvollen Wirkungen der Teilung der Ar­beit. Das Resultat ist: Je mehr er arbeitet, um so we­niger Lehn erhält er. und zwar aus dem einfachen Grun­de. weil er in demselben MaB seinen Hitarbeitern Kon­kurrenz macht, sich daher ebensoviel Konkurrenten aus seinen Mitarbeitern macht. die sich zu ebenso schlech­ten Bedingungen anbieten wie er selbst, weil er also in letzter Instanz sich selbst Konkurrenz macht, sich selbst als lU tglied der Arbeiterklasse." (lilarx, Lohnarbeit und Kapital, in: MEW 6, S. 420 f)

44) Marx, Grundrisse, S. 317

45) Vergleiche hierzu die unter Punkt 11. 1. c) der vor­liegenden Arbeit erörterte "Dechi.ffrierung" der Ober­flächenform des Arbeitslohns.

46) Marx, Das Kapital, Bd. 3, S. 219

47) Altvater/Hoffmann/Schöller/Semmler, Entwicklungspha­sen und -tendenzen des Kapitalismus in Westdeutsch­land (1. Teil), in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 13, 1974, S. 101 ff .

48) a.a.O., S. 102

49) a.a.O.

212

50) In der Realanalyse bedienen sich Altvater u. a. der gängigen Verfahren empirischer Sozialwissenschaften deren Kategorien ihnen an anderer Stelle als Reflex~ der "verkehrten, äußerlichsten Form der Oberfläche" (Altvater u. a., Entwicklungsphasen (Teil 1) S.105) gel ten. "Transformationsverfahren ", "Illustr~ti onsver­fahren", "Indikationsverfahren ", "Modifikati onsverfah­ren" und "Approximati onen" (Al tvater/Hoffmann/Semm­ler, Zum Problem der Profitratenberechnung, in: Pro­bleme des Klassenkampfs Nr. 24, 1976, S. 191 ff) be­trachten sie allesamt als gangbare 'Königswege' zwi­schen allgemeinem Kapitalbegriff und Oberfläche. Die Wahl des Verfahrens wird dabei von Altvater, Hoffmann und Semmler nach explizit instrumentellen Gesichts­punkten getroffen. Verwendung findet die empirische Methode, die geeignet erscheint, den im "Kapital" dar­gestellten ökonomischen Gesetzen zu realökonomischem Inhal t und empirischer Gül tigkei t zu verhel fen: "Uns scheint jedoch - und darin bestätigt uns die Kritik angesichts ihrer forschungsstrategischen PersDektiv­losigkeit - die Methode der Indikation der ei~zige Weg zu sein, um nicht die r,larxsche Theorie auf die Kernstruktur (Strukturgeschichte) einzuschränken und ihr demzufolge für die konkreten historischen Entwick­lungen in jeweils besonderen Perioden und Ländern (Er­eignisgeschichte) Geltung abzusprechen." (a.a.O., S. 196)

51) Altvater u. a., Entwicklungsphasen (Teil 1), S. 107

52) Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler besitzen durchaus ein Bewußtsein von der Problematik realanaly­tischer Bezugnahme auf die Kategorien sozial wissen­schaftlicher und volkswirtschaftlicher Statistik: "Wegen dieses Charakters bürgerlicher Gesellschaft­lichkeit und dieser Form, in der sich ihre Entwick­lung darstellt, verbietet es sich, die Entwicklungs­tendenzen der westdeutschen Gesellschaft einfach ohne weitere Vorüberlegungen anhand der gängigen Kategorien, ln denen sich scheinbar deren Entwicklung reflektiert, darzustellen. Denn in diesen Kategorien - Sozialpro­dukt, Produktivität usw. - wird nicht die Wirklichkeit kapitalistischer Entwicklung ideell reproduziert, son­dern nur deren verkehrte, äußerlichste Formen der Ober­fläche reflektiert. Empirisch-historische Analyse zu betreiben, kann ·demzufolge auch nicht heißen, das die­sen Kategorien zukommende Material (in der Regel quan­titative, zahlenmäßige Ausdrücke) sozusagen 'gegen den Strich' zu interpretieren mit dem Interesse, den kri­tischen Gehalt hervorzukehren." (Altvater u. a., Ent­wicklungsphasen (Teil 1), s. 105). Die angesproche-nen "Vorüberlegungen" bestehen allerdj.ngs nicht in der Kritik solcher Kategorien wie der des "Sozialprodukts", sondern (wie im folgenden gezeigt wird) in dem Versuch,

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213

den ~larxschen "Kategorien" 'korrespondi.erende' bürger­liche Begrifflichkeiten gegenüberzustellen.

53) Altvater u. a., EntvJicklungsphasen (Teil 1), S. 105

54) Altvater, Zur Konjunkturlage der BRD Anfang 1970 - Ver­such einer !,Iethodik für Konjunkturanalysen, in: So­zialistische Politik Nr. 5, 1970, S. 8

55) Altvater u. a., Entwicklungsphasen (Teil 1); S. 103 f

56) a. a .0 ., S. 1 07

57) a. a .0 ., S. 1 07 f

58) Entgegen gängigem ~lißverständnis handelt es sich bei einer Ableitung nicht um die idealistische Konstruk­tion eines Begriffs, sondern um eine Form der Darstel lung, die dem Inhalt gefundener Erklärungen der Gegen­stände entsprechend die Urteile und Argumente ordnet. Wenn !4arx z. B. den Begriff des ivarenwerts formuliert, dann hat der Begriff als gedankliches Resultat seiner Bemühungen die Objektivität des Herts, also etwas au­ßerhalb des Gedankens selbständig Existentes zum In­halt. Wenn nun die Begriffsbestimmungen einer Sache im viiderspruch zueinander stehen, so impliziert das, daß auch die Sache selbst eine widersprüchliche ist. Die logi.schen Konsequenzen des Begriffs bezeichnen so­mit eine Notwendigkeit, der ebenfalls Objektivität zu­kommt. Ableitungen verdanken si.ch also keineswegs der Anwendung einer (dialektischen) r~ethode, sondern stel len die ideell vollzogenen Konsequenzen eines realen Zusammenhanges dar: Die Erkenntnis einer Sache, die als bestimmt existente am Anfang der theoretischen Darstellung aufgenommen wird, zeigt, daß sie aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit auf eine bestimmte andere Sa­che notwendig verweist. Die einzelnen Momente des er­klärten Gegenstandes erscheinen als Grund füreinander, und jede Bestimmung nimmt im Gang der Ableitung die­jenige Stelle vor der folgenden ein, weil und inso­fern sie diese notwendig macht. Auf das Ihßverständnis der ableitungsmäßigen Erklärung einer Sache als rein "logische Analyse" und "begriffliche Explikation" hat Marx im "Kapital" hingewiesen: "Allerdings mull sich die Darstellung formell von der Forschungsweise unterschei­den. Die Forschung hat sich den Stoff im Detail anzu­eignen, seine verschiednen Erscheinungsformen zu ana­lysieren und deren innre3 Band aufzuspüren. Erst nach­dem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewe­gung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehn, als habe man es mit einer Konstruk­tion apriori zu tun." (Ivlarx, Nachwort zur zweiten AuflaGe, in: Das Kapital,Bd. 1, S. 27)

59)

60)

61)

62)

63)

64)

65 )

66)

67)

68)

21 1,

Siehe hierzu auch Gli ]0 'ßt 1 t 111.1. a) Was .el' . ogische Analyse des talbegriffs?

Altvater u. a., Entwicklungsphasen (Teil 1), S. 113

a.a.O. (Teil 1). S. 106

Al tv a ter /Hof fmann/Sc höll er /S emml er, En twi ckl ungs ten­de~z~~ des Kapltahsmus in lVestdeutschland (2. Teil), ln. ~,.obleme des Klassenkampfs Nr. 16,1974, S. 57 f

a.a.O. (Teil 1), S. 113

a.a.O. (Teil 1), S. 107

a.a.O. (Teil 1), S. 107

a.a.O. (Teil 1), S. 116

a.a.O. (Teil 2), S. 57

a.a.O. (Teil 2), S. 57

a.a.O. (Tei I n, S. 107

69) a.a.O. (Teil 1), S. 118 Von dem methodis~hen Verfahren der Volkswirtschafts­lehre her lSt beKannt,. daß sie mit r:1athematischen Be­rechnungen nlcht nur slch mit dem Scheine der Exakt­h:lt ve:-slehi;, sondern zugleich so tut, als folgte die burgerllche Okonomie berechenbaren Gesetzmäßigkeiten Als Be7,s p lel sei die Berechnung des "Arbeitsarwebots;' elnes Haushaltes" zitiert: ' "Aus C3 .30), C3 .31) und C3 .34) läßt "ich bei gegebe­nem Loh~satz und g~gebenen Güterprei"en P. die nac fragte ["enge an Aroei t errechnen fall g ,.' zi erte N t fIt· ' ~ elne speL,l "" . u zen .. unK J.on unterstellt werden kann und da-mlt dl: G~enznutze~ errechenbar sind." (Holler/A­brecht, De,s sozlalokonomische Ontimur:1. ;'iünchen 1078 S. 69) ~ . . J ,

Die Erklärung des "Arbeitsangebots" ersetzt die olks­wlrtschaftslehre hier durch das Versprechen. mit ih­rer Hllfe lleße es sich berechnen, wenn man' davon aus gehen kann, daß es sich berechrlen ließe. Es muß ver­wu~dern, daß der marxistische Okonom Altvater, an­~thtt s~lche Berechnungen zu kritisieren, die~es Ver-

a ren auf dle Spltze treibt: obwohl eingestandener­m~ßen dle stahshschen Indikatoren der Profitrate n.Lcht entsprechen, geht Al tvater davon aus, daß sich ~e~ Stand kap.tabstischer Akkumulation mit ihror l~fe berechnen läßt wenn man nur annimmt Q"aOj~ die sta.L· ,. h ,. ,., jj zwar

. .Cl: else en nicht der Prcfitrate selbst aber nlchcsdestotrotz ihrer "Veränderun[7 in de Z· t" entsprechen. ., r oel

70) a.a.O. (Teil n, S. 116

71) a.a.O. 72) .a.O.

1 1), S. 118 1 n, S. 118

Page 109: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

73)

(4)

(5)

a.a.O.

.0.

a.a.O.

(Teil 1),

(Teil 1),

(Teil 1),

215

S. 118

S. 118 f

S. 119

(6) Einmal abgesehen von der generellen Kri tik1!JÜrdi ei t des Projekts einer Profitratenberechnung sind e zu

77)

78)

79 )

80)

diesem Zweck von Altva.ter, Hoffmann, Schöller und Semmler geleisteten mathematischen Gleichungsumfor­mungen äußerst unrationell, wie folgendes Beispiel illustrieren mag:

" (2) m = m v

. v (2') P

wobei P

oder: P

Y (1-w)

Profi tmasse

Y-VI

Wir können, um die Mehrwertrate m in bUrgerlicher v Schreibweise (!) darzustellen, nunmehr die Gleichung

(2') die Profi tquote P Y wie folgt (!) schreiben:

p I .1;1 Vi --Y- und erhalten so (!) die umgeformte Lohn-

\~ quote: y

I . III 1 - VI ! Die i>lehrwertrate

-Y-

III P kann

- löst man die Gleichung fUr die Lohnquote nach

folgendermaßen geschrieben werden:

201 so (!)

P W auf,

0) m' = fl! v

0' ) P = 1_ 1 " W VI (a.a.O. (Teil 1),

S. 118)

Dem "hohen Kompliziertheitsgrad der Realanalyse" (a.a.O. (Teil 1), S. 106) oder gar objektiven mathematischen Schwierigkeiten sind diese Umformungen nicht geschul­det. Um obige Formel der Mehrwertmasse zur Mehrwert­rate umzuformen, ist keine andere Operati on erforder­lich als die eine mathematische Rechnung, nämlich die Formel (2) resp. (2') durch v resp. III zu dividie-

ren: (2) m m. v ( 2' ) P Y 1tI v

0) rn' rn 0' ) P Y 1 W W -v

a.a.O. (Teil 1), S. 124

a.a.O. (Teil 1), S. 123

a.a.O. (Teil 1), S. 1 2Lf

a.a.O. (Teil 1), S. 119

81)

82)

216

c.La.O. (Teil 1), S. 126

a.a.O. (Teil 1), S. 122 f

Jahr y

w l-w K 11

1960 0,312 0,333 0,667 0,5416 1961 0,791 0,355 0,645 0,5102 1962 0,757 0,378 0,622 0,4709 1963 0,727 0,389 0,611 0,4442 1964 0,746 0,391 0,609 0,4543 1965 0,741 0,413 0,587 0,4350 1966 0,706 0,433 0,567 0,4003 1967 0,653 0,430 0,570 0,3722 1968 0,700 0,418 0,582 0,4074 1969 0,754 0,428 0,572 0,431,3 1970 0,755 0,483 0,517 0,3903 1971 0,729 0,520 0,480 0,3499

Quelle: Eigene Berechnungen, Daten vom DlW, Produktionsvolumen und -poten· tial, Produktionsfaktoren der Industrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, Statistische Kennziffern, 12. Folge, Berlin, September 1972

83) a.a.O. (Teil 2), S. 58 f

84) a.a.O. (Teil 1), S. 118

85) Altvater u. a., Zum Problem der Profitratenberech-nung, S. 193

86) a.a.O.

87) a.a.O. (Teil 1), S. 106

88) Zur Illustration der Dialektik von Skepsis und Gewiß­heit in der Realanalyse siehe auch di folgende Stelle zu Problemen der Profitratenberechnung:

"Marx selbst verwendet im 'Kapital', insbesondere im ersten Band, den er als 'artifizielles Ganzes' noch selbst ausgearbeitet hat, eine ~jas e von empirischem Material zur Illustration von allgemeinen Entwick­lungsgesetzen des Kapitals ... Solche Illustratio-nen finden sich auch an vielen anderen Stellen des Marxschen Werkes, und es ist zu fragen, ob mi t Hil fe solcher Illustrationen das Problem der empirischen Untersuchung zu lösen ist. Zur Beantwortung dieser Frage muß der Status der Illustrat:lonen im ~jarx-sehen Werk geklärt werden. Ihr Illert besteht keines­wegs darin, Aussagen Uber die allgemeinen Gesetz­mäßigkeiten des Kapitals machen zu können. Sie sol­len diese schließlich nur illustrieren. Daher kommt dem historisch-empirischen r·laterial auch keine be­sondere Bedeutung zu, es ist lediglich Beiwerk der Darstellung allgemeiner Gesetze, es ist nicht konsti­tutiv fUr die Darstellung des Kapitalbegriffs im all­gemeinen. Infolgedessen ist die Illustration auch relativ beliebig innerhalb der Gesamtdarstellung,

Page 110: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

217

und sie hat eher darzulegen, daß die Logik des Ka­pitals, die allgemeinen Entwicklungsgesetze, kei­neswegs irgendwelche I~odellbasteleien sind, sondern ideelle Reproduktionen der gesellschaftlichen Wirk­lichkeit des Kapitalismus darstellen. Solche Illu­strationen mit geeignetem I·laterial können sehr sinn­voll sein, da auf diese Weise nachgezeichnet wer­den kann, daß allgemeine kapitalistische Entwick­lungsgesetze auch heute noch gelten. Da'allerdings solche Illustrationen kein Eigengewicht haben kön­nen, können mit ihnen auch nicht ... theoretische Sätze überprüft werden." (Al tvater/Hoffmann/Semm­ler, Zum Problem der Profitratenberechnung, S. 193)

Illustrati onen am empirischen 14aterial gestatten zwar "keineswegs" "Aussagen über die allgemeinen Gesetz­mäßigkeiten des Kapitals", aber sie sagen aus, daß "die allgemeinen Entwicklungsgesetze keineswegs ir­gendwelche ~lodellbasteleien sind". Zwar können mi t Illustrationen "nicht theoretische Sätze überprüft werden", aber sie können überprüfen, daß die von Marx analysierten "kapitalistischen Entwicklungsgesetze auch heute noch gelten". Zwar besitzen Illustrationen "keine besondere Bedeutung", aber sie sind "sehr sinn­voll" . Vergleiche hierzu auch die drei folgenden unmittelbar widersprüchlichen Aussagen über Beweisabsicht und -in­haI t der Real an aly se:

"Dabei geht es uns also in erster Li.nie nicht dar­um, z. B. zu 'beweisen', daß die Profitrate fällt, sondern darum, anhand der Entwicklung des Verwer­tungsgrades des tals und der darin sichtbaren inneren Tendenzen etwa zur Überakkumulation) die Rolle der dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenwirkenden Momente darzustellen und insge­samt die Bewegungsform der Konflikte im Akkumula­tionsprozeß mit der Lage der Arbeiterklasse und den Bedingungen der Klassenauseinandersetzungen aufzuzeigen." (Altvater u. a., Entwicklungsphasen (Teil 1), S. 116 }'uß:lote) "Dri ttens ist es uns auf dieser empirischen Basis daher möglich, für die Bundesrepublik nachzuwei­sen, daß der Fall der Profitrate zumindest für den Zeitraum von 1960 bis 1970 aus statistischen Daten zu belegen ist ... " (a.a.O. (Teil 1), S. 102) "~1it dem empirischen Nachweis, daß die Kapitalren­tabilität in Westdeutschland seit Ihtte der 50er Jahre tendenziell gefallen ist, ist keineswegs die ~larxsche Theorie vom tendenziellen Fall der Profit­rate empirisch bewiesen." (a.a.O. (Teil 2), S. 58)

89) S:iehe hierzu den "Exkurs zur Krise" im 111. Abschnitt der vorliegenden Arbeit.

90) Marx, Das Kapital, Bd. 3, S. 221 ff

218

91) Altvater u. EL., Entwicklungsphasen (Teil 1), S. 123

92) a.a.O. (Teil 1), S. 101

93) Altvater, Zu einigen Problemen, S. 3

94) Al tvater u. 21., Entwicklungsphasen (Teil 1), S. 106 Vgl. hierzu auch das' sämtliche Ebenen der Realana­lyse darstellende Schema, a.a.O.

95) Siehe hierzu den Hinweis von 14arx in den Theorien über den Mehrwert: " ... die reale Krisis kann nur aus der realen Bewegung der kapitalistischen Produktion, Kon­kurrenz und Kredit, dargestellt werden ... " (Marx, Theorien über den 1olehrwert, Bd. 2, S. 513)

96) Al tvater, Zur Kon junkturlage, S. 3

97) Altvater, Die ~leltwährungskrise, Frankfurt am ain 1969, S. 5

98) Al tvater/l1lüller/Neusüß/Lehmann u. a., !~aterialien zur Kritik der bürgerlichen Ökonomie, Gießen 1971, S. 12

99) Altvater, Die Weltwährungskrise, S. 8

100) a.a.O.

1 01) ~larx, Das Kapi tal, Bd. 3, S. 260

1 02) a. a .0 ., S. 254

1 03) a. a. 0 ., S. 25 1; f

105) r'larx, Das Kapital, Bd. 3, S. 259 f

106) a.a.O., S. 264

1 07) ~larx, Grundrisse, S. 316

108) r1larx, Das Kapital, Bd. 3, S. 26 J-t f

1 09) a. 21 .0 ., S. 26'+

11 0)

111)

a.a.O., S. 265 Vergleiche hierzu: nDiese Entwer allgemeinen Krisen bis auf das leben gen selbst." (rolarx, Grundrisse, S. 35

a.a.O., S. 265

112) Altvater, Die Weltwährungskrise, S. 8

113) l~arx, Das Kapi tal, Bd. 3, S. 259

11 4)

115)

11 6)

117)

a .a.O.,

a.a.O. ,

a .21.0.,

a.a.O. ,

S.

S.

S.

S.

260

268 f

270

260

erstreckt sich in Arb ei tsv ermö-

118) [.larx, Theorien über den l·jehrwert, Be. 2, S. 510

119) a.a.O., S. 528

Page 111: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

219

120) Altvater, Zur onjunkturlage, S. 3

121) a. a. 0 .

122) Vergleiche hierzu die klassischen und modernen sozial­wissenschaftlichen Definitionen der Aufgaben und In­haI te von Prognosen: "So besteht der wahre positive Geist vor allem darin, zu sehen, um vorauszusehen, zu erforschen was ist, um daraus auf Grund des allgemeinen Lehrsatzes von der Unwandelbarkeit der Naturgesetze - das zu er­schließen, was sein wird." (Auguste Comte, Rede über den Geist des Positivismus, Hamburg 1956, S. 35)

"1'lan kann die mehr oder weniger systematisierten Aus­sagenzusammenhänge der viissensehaften als Instrumente der Weltorientierung ansehen, die zumindest teilwei­se dazu geeignet sind, bestimmte Grundlagen für das praktische Handeln zu liefern ... Die praktische Be­deutung informativer Theorien liegt vor allem darin, daß man mit ihrer Hilfe verhaltensrelevante Progno­sen gewinnen, also zukünftige Ereignisse vorhersa­gen kann, die für das Handeln irgendwelcher Personen bedeutsam sind. Soweit solche Prognosen an alterna­tive Handlungsmöglichkeiten dieser Personen anknüp­fen, können sie für die unmittelbare Kontrolle des Geschehens nutzbar gemacht werden, auf das sie sich beziehen." (Ha'1s Albert, Prognose, in: Wörterbuch der Soziologie, Bd. 3, hrsg. von Wilhelm Bernsdorf, Frankfurt am l~ain 1979, S. 644 f)

Der Erstellung von Prognosen liegt das Ideal von Ge­sellschaftswissenschaft als Sozial technologie zu­grunde. Die wissenschaftliche Vorhersage notwendiger oder wahrscheinlicher Geschehnisse soll es der Ge­sellschaft ermöglichen, sich auf die zukünftigen Fak­ten einzustellen und die Mittel zur Kontrolle progno­stizierter Tendenzen bereitzuhalten.

123) Altvater, Zur Konjunkturlage, S. 3

124) Altvater, Die Weltwährungskrise, S. 133

125) a.a.O., S. 8 (Fußnote) Die prognostischen Aussagen von Altvater werden von mir exemplarisch zitiert. Der optimistische Tenor bezüglich der Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals charakterisiert sämtliche Diskussionsbeiträge in dem Handbuch "Perspektiven des Kapitalismus ", dessen Veröffentlichung mi t dem Beginn der. Wirtschaftskrise 1974 zusammenfällt. Der gemeinsamen Fragestellung -"Hat der Kapi talismus noch eine Zukunft?" (Handbuch 1 - Perspektiven des Kapi talismus , hrsg. von Volk­hard Brandes, Frankfurt am 1-1ain 1974, S. 7) - gibt Volkhard Brandes im Vorwort die optimistische Wen­dung, daß

220

"die weltweite Inflation der Zusammenbruch des am Ende des Zweiten Wel eges errichteten in­ternationalen Währungssystems, niedrige Wachstums raten, die Verschärfung der Konkurrenz auf dem Weltmarkt und der Zerfall der in der Nachkriegs­zeit entstandenen politischen Blöcke ... entschei­dend dazu beigetragen (haben), den in der Rekon­struktiOnsperiode verbreiteten Glauben an die Sta­bilität und Krisenfesti eit des Kapi.talismus wei thin zu erschüttern. tere Prognosen treten zunehmend an die Stelle des Optimismus der '\hrt­schaftswunder,jahre'." (a.a.O.)

Paul l-lattick pr ostiziert in seinem Aufsatz, "Kri-se und gemischte rtschaft" den Mißerfolg staatli-cher Hirtschaftseingriffe, die die Krise nicht ver­meiden können:

"Zur Zeit sind alle Symptome einer sich vert:ie­fenden Krise vorhanden. Aber wie weit diese füh­ren wird, ist nicht im voraus festzufötellen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie einen katastro­phalen Charakter annehmen wird wi in der letzten großen Krise. Hahrscheinlicher erscheint jedoch ein langsamer Niedergang der vlirtschaft ... " (Paul Mattick, Krise und sehte Wirtschaft, in: Handbuch 1, S. 24

Christoph Deutschmann t ebenfaLLS vom unvermeid-lichen Scheitern der rtschaftspolitik aus, auch wenn es noch nicht offen zutage tritt:

"Die 'neue Vlirtschaftspolitik' der Nachkriegszeit - das beweist die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre - hat die grundlegenden Kris setze des kapitalistischen Systems nicht hoben, sondern nur aufgeschoben und vertagt. (Christoph Deutschmann, Inflation und Heltwäh­rungskrise, in: Handbuch 1, S. 88)

Auch Aike Blechschmidt prognostiziert zunehmende Schwierigkei ten der westdeutschen Akkumulati on auf­grund ihrer Heltmarktabhängigkeit:

"Gerade weil der Viel tmarkt in der Vergangenhei t die BRD vor Realisierungskrisen abschirmte, kann er heute zu einer Verschärfung des vJider­spruchs von entwickelter Produktion und gesell­schaftlich begrenzter Konsumti on bei tragen. Das Krisenventil der vergangenen fünf Zyklen könnte sich am Ende des sechsten Abschwungs als Krisen­katalys ator erwei s en ." (Ai ke BI ec hs c hmi d t, Pr 0-

fitentwicklung und Krise in der BRD-Industrie, in: Handbuch 1, S. 296)

Die wie die Arbeiten von Altvater zur "VJeltwährungs­krise" und zur "Konjunkturlage der BHD" ebenfalls zu Beginn der 70er Jahre erschienene Studie von Ernest Mandel über "Die deutsche Wirtschaftskrise" sieht

Page 112: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

221

die eigene Prognose über die "Krisenanfälligkeitdes Spätkapitalismus" durch die Rezession 1966/67 "aus­nahmslos durch die Tatsachen bestätigt" (Ernest 14an-deI, Die deutsche Wirtschaftskrise Lehren der Re-zession 1966/67, Frankfurt 21m r'\ain 1969, s. 9). Daran schließt er sogleich eine neue optimitische Prognose über die Perspektivlosigkeit des bundesdeutschen öko­nomischen und poli tischen Systems an:

"Die Wirtschaftsrezession der Jahre 1956 und 1967 hat auf die Bundesrepublik wie ein Schock gewirkt. Die gesellschafts- und innenpolitischen Auswirkun­gen werden noch jahrelang nachhallen .,. Eine Le­gende ist in diesen Jahren zusammengebrochen: jene der krisenfesten und einen steten Fortschritt des Lebensstandards gewährleistenden' sozialen 14arkt­wirtschaft' . lh t dieser Legende j.st auch die lang­fristige poli tische Stabilität der Bundesrepublik zum Tode verurteilt ... " (21.21.0., S. 5)

126) Altvater, Die 1rleltwährungskrise, S. 7

127) Altvater u. 21., Entwicklungstendenzen (Teil 2), S. 1'+2 Zu demselben prognostischen Resümee kommen die Autoren in dem ebenfalls 1974 erschienenen Aufsatz "Zur Ent­wicklung des Kapitalismus in ivestdeutschland":

"Daher sind mit den veränderten Bedingungen der Ka­pitalakkumulation nicht nur neue 'ökonomische' Probleme, sondern schärfere Formen des Klassenge­gensatzes und der Klassenkämpfe zwischen Lohnarbeit und Kapi tal aue h in der BRD auf der Tages ordnung." (Altvater/Hoffmann/Schöller/Semmler, Zur Entwick­lung des Kapitalismus in Westdeutschland, in: Hand­buch 1, S. 268)

i 28) Redaktionskollektiv "Gewerkschaften", Kapitalistische Krise, Arbeitslosigkeit und Krise der Gewerkschafts­politik in der Bundesrepublik, in: Probleme des Klas­senkampfs Nr. 19/20/21,1975, S. 3

129) Altvater u. 21., Zur Entwicklung des Kapitalismus, S. 268

130) Den vom Redaktionskollektiv "Gewerkschaften" postulier­ten "Zusammenhang von ökonomischer und Klassenbewe­gung", dem gemäß der Krise der Kapitalakkumulation zwangsläufig ein Aufschwung des Klassenkampfs folge, hat 14arx nicht behauptet. In der Analyse des allgemei­nen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation kam er zu dem Resultat, daß die Lage der Arbeiterklasse die "abhängige Variable" des Akkumulationsprozesses des Kapitals ist und die Krise keineswegs eine günstige Bedingung des Klassenkampfs darstellt. Sie gibt viel­mehr dem Kapital gewichtige Hebel ~ den Wider­stand der Arbeiter an die Hand:

"Die Überarbeit des beschäftigten Teils der Arbei­terklasse schwellt die Reihen ihrer Reserve, wäh­rend umgekehrt der vermehrte Druck, den die letz-

222

tere durch ihre Konkurrenz auf die erstere aus­übt, diese zur Überarbeit und Unterwerfung un­ter die Diktate des Kapitals zwingt." (r4arx, Das Kapital, Bd. 1, S. 665)

Siehe hierzu auch die Ausführungen im vierten Ab­schnitt der Arbeit: IV. 2. 21) Der traditionelle Pro­letariatsbegriff.

131) Redaktionskollektiv "Gewerkschaften", Kapi talisti sehe Krise, S. 4 f

132) 21.21.0., S. 7

133) Handbuch 3 Inflation, Akkumulation, Krise I, hrsg. von Elrnar AJ.tvater/Volkhard Brandes/Jochen Reiche, Frankfurt 21m ain Köln 1976, S. 1 e

134) 21.21.0.

135) 21.21.0., S. 19

136) Altvater/Brandes/Reiche, Rezession, Inflation und staatliche Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik, in: Handbuch L+ - Inflation, Akkumul ati. on , Krise 11, hrsg. von Altvater/Brandes/Reiche, Frankfurt 21m Main - Köln 1976, S. 97

137) Altvater, Es muß sich noch mehr ändern, als sich be­reits geändert hat!, in: Redaktionsgruppe Sozialisti­sche Konferenz (Hrsg.), Ökologie und Sm~ialismus, Hannover 1980, S. 12 f

138) Altvater, Zu einigen Problemen des Staatsinterven­tionismus, S. 29 f

139) Altvater, Es muß sich noch mehr ändern, S. 13

140) Die Konjunkturen marxistischer Krisentheorien und Kon junkturanalysen in der Bundesrepublik sei t Anfang der 70er Jahre sind exemplarisch anhand der von Al t­vater erarbeiteten Krisenprognosen dargestell t wor­den. Zur Illustration, daß es sich dabei nicht um ei­nen Einzelfall, sondern eine allgemeintypische Ent­wicklung handelt, seien beispielhaft noch die Fort­schritte der von Joachim Hirsch vertretenen Krisen­theorie zitiert. Hirsch interpretiert ebenso wie Altvater das von r4arx analysierte Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate als Beleg der Existenzunftlhigkeit des Ka­pitalismus, da mit ihm

"nachgewiesen werden kann, daß der kapitalistische Akkumulationsprozeß als Verwertungs- und Ausbeu­tungsprozeß notwendig krisenhaft st und sich sei­ne Krisentendenz im historischen Voranschrei ten der kapi talistischen Entwicklung ... verstärkt ... 11

(Joachim Hirsch, Staatsapparat und Reproduktion des Kapitals, Frankfurt 21m Main 1974, S. 232)

Daraus leitet Hirsch im Jahre 1974 folgenden progno-

Page 113: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

223

tischen Zus über die "Stabilität der bür-gerlichen Herrschaft ab:

"Stockung oder Zusammenbruch der lation und 'politische Krise' flie ineinander." (a.a.O., S. 2)L,)

talakkumu­zusehends

Noch im April 1979 - angesichts eines neuen \rIirt­schaftsaufschwungs und eines stabilen "140dell Deutsch­land" - findet Hirsch den von ihm aufgestell ten Zu­sammenhang empirisch bestätigt:

"Auch wenn keine große Dramatik zu verzeichnen war knirschte es also wieder einmal vernehmlich an ~erschiedenen Stellen der staatlichen und staats-tragenden ... " (Hirsch, Ein leises, aber vernehmlic Knirschen - Zur aktuellen wirtschafts-politischen :Situation, i,n: Links Nr. 109, 1979, S. 19)

Unter Berufung auf die Befunde der volkswirtschaft-I c'hen Begu tac htung der Kon junktur zur Zei t des ök 0-nomischen Aufschwungs 1978/79 - "lahmende Konjunktur", "Verschuldungspolitik der Regierung", "Wachstumskal-kül auf schwachen Füßen" (a.a.O.) etc prognostiziert Hirsch zunehmende Verwertungsschwierigkeiten des Ka­pi tals:

"Freilich steht dieses Kalkül ("unbedingtes Wachs­tum") auf einigermaßen schwachen Füßen: seit den fünziger und sechziger Jahren, als eine derartige Poli tik noch mi t dem erwarteten Erfolg rechnen konnte, haben si,ch die Bedingungen für die Kapital-verwertung egend verändert. Daß die Kapital-profite dura enzte gewerkschaftliche Zuge-ständnisse auf Sicht stabilisiert werden können, ist unwahrscheinlich geworden ... " (a.a.O., S. 20)

Im Jahre 1980 allerdings sieht Hirsch die auch von ihm zuvor vertretenen "traditionellen Vorstellungen" von ökonomischer Krise und Aufschwung des Klassen­kampfs "von der Entwicklung nachhaltig dementiert" (Hirsch, Der Sicherheitsstaat - Das Modell Deutsch­land, seine Krise und di'e neuen sozialen Bewegungen, Frankfurt am lliain 1980, s. 132):

"Die kapitalistische Gesellschaft hat sich in mehr­facher Weise als wandelbar und anpassungsfähig er­w1 es en ." (a. a .0 . )

Der Erfolg des "Modell Deutschland" ist für Hirsch gleichbedeutend mit einer Krise marxistischer Kapi­talismuskritik, weil ihr Gegenstand noch eXlstlert. Hirsch interpretiert also ebenfalls den Mißerfolg seiner Krisenprognosen als Indiz einer Krise des !,jarxismus.

11,1) Hirsch, Der Sicherheitsstaat, S. 132 Siehe hierzu auch die programmatischen Stellungnah­men der Redaktionsgruppe "Sozialistische Konferenz",

221,

an der Autoren aus dem Diskussionsrahmen der Zeit-schrift "Probleme des Klasscnk fs ll

, ~,litglieder der "Sozialistischen Studiengruppen (ehema.ls "Pro,jekt Klassenanalyse") der Zeitschrift "Kritik" und linke Einzelpersönlic eiten wie Bah~o u, a, beteil gt wa­ren:

"Die nüchterne Zurkenntnisnahme dieser Kr::' 8 hat nichts mit Pessimismus zu tun. Sie ist vi81mehr die erste Bedingung dafür, die Probleme, vor de­nen die linken Kräfte stehen, überhaupt zu können ... Dabei geht es auch darum, die Krise des Marxismus ernst nehmen - sie auf den 'Marxismus der anderen' eingrenzen und untersuchen, welche Grenzen und Schlacken in un­seren spezifischen marxistischen Traditionen uns gegenüber entscheidenden Stärken und Vcrteilen dieser spezifischen Gestalt bürgerlicher Klassen­herrschaft (des '1:10del1 Deutschland') kurzsichtig, wenn nicht sogar blind werden lassen." Redak-tionsgruppe "Sozialistische Konferenz" .), Der herrschende Block und die Alternativen der Linken, Materialien zur Sozialistischen Konferenz, Bd. 3, Hannover 1980, S. 21)

Page 114: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

IV. Die Demontage der rekonstruierten Marxschen Theorie -

die IIKrise des I~larxismus"

"Krise des l<larxismus" - eine Selbstverständnisdebatte

Im vorangegangenen Abschnitt war zu verfolgen, ~ie Realana­

lyse und Krisenprognose im Gegensatz zu ihrer Intention,

zur Erhärtung der rekonstruierten Marxschen Theorie beizu­

tragen, zum gegenteiligen Resultat führten. Denn während

die Krise und der in ihrem Gefolge erwartete Klassenkampf

marxistische Theorie in der Bundesrepublik verifizieren

sollte, blamierten sich Jie realanalytischen Studien und

Prognosen an der realen Entwicklung des westdeutschen Ka~

pitalismus in den 70er Jahren. Die Etappen der Krisentheo­

rie - angefangen von den optimistischen Prognosen, daß

"schärfere Formen des Klassengegensatzes und der Klassen··

kämpfe ... auch in der BRD auf der Tagesordnung" stündeni) ,

bis hin zu dem desj.llusionierten Resümee, "daß sich die

revolutionsstrategischen Erwartungen hinsichtlich der Kon­

stitution und Radikalisierung eines proletarischen Klassen­

bewu.Stseins ... keineswegs erfüll ten,,2) - bezeichnen den

.Gang eser Theorieentwicklung. An der Wende zu den 80er

Jahren zieht die ~ehrzahl der Protagonisten der seiner­

zeitigen Rekonstruktion der Marxschen Theorie die Konse­

quenzen aus der Enttäuschung ihrer Erwartungen. Unter der

programmatischen Überschrift "Was heißt Krise des Marxis­

mus?" plädieren sie für die "Notwendigkeit einer marxi­

stischen Grundsatzdebatte."J) Ihr Thema soll das eigene bis­

herige "Marxismusverständnis"/{), ihr Resultat die Klärung

der Frage sein, welches Ver h ä I t n i s man in Zukunft

zu seinen früher vertretenen Auffassungen einzunehmen habe.

Die zu führende Grundsatzdebatte über das zeitgemäße ~ar­

xismusverständnis oll sich erklärtermaßen nicht mit vermu-

teten oder entdeckten Unstimmigkeiten und Fehlern der re­

konstruierten marxistischen Theorie beschäftigen. sondern

226

dem selbstkritischen Eingeständnis der notwendigen

Feh 1 er ha f ti g k e i t des Marxismus dienen:

"Es geht auch nicht darum, enzyklopädisch die Feh­ler, Unklarheiten, blinden Flecken und toten Winkel zu diskutieren, mit denen dieser Marxismus unzwei felhaft belastet ist - wie sollte er es auch nicht sein, als Theorie der Klassenkämpfe inmitten der Klassenkämpfe, ohne metaphysische Garantien und oh­ne unfehlbare Methode?" 5)

Obgleich hier die Unstimmigkeiten und Idealismen des re­

konstruierten Marxismus als unumgängliche objektive Ei­

genschaft einer Klassenkampf theorie gedeutet werden, wis­

sen Altvater, Armanski, Blanke, Frieder O. Wolf u. a.

zugleich um den subjektiven Grund der "Krise des narxis-

mus 11:

"Entscheidend für die Krise des r~arxismus ist jedoch, daß sich die revolutionsstrategischen Erwartungen hin­sichtlich der Konstitution und Radikalisierung eines proletarischen Klassenbewußtseins, die fast alle Mar­xismen an die kapitalistische Krise knüpften, sich kei neswegs erfüllten ... Damit war der marxistisch oft angenommene Automatismus von Krise und Revolution, die ökonomische Zusammen bruchs theorie im Kern in Frage ge­stellt." 6)

Die Redaktionsmitglieder der Zeitschrift "Probleme des

Klassenkampfs" besitzen ein Selbstbewußtsein darüber, daß

die "aufgebrochene" Krise des r.jarxismus nicht der Tat­

sache geschuldet j.st, eine "Theorie der Klassenkämpfe in­

mitten der Klassenkämpfe" zu sein, sondern sich ihren

e nt t ä u s c h te n Hof f nun gen auf ein "Aufbrechen"

von Klassenkämpfen in der Bundesrepublik verdankt. Nüch­

tern betrachtet bezeichnet die "Krise des f-1arxismus also

alleine eine Blamage früherer "revolutionsstrategischer

Erwartungen" westdeutscher Linker, nicht aber eine er-

legung des Marxismus. Vom Standpunkt der an der Selbst­

verständnisdebatte über die "Krise des ;·larxismus" Betej.­

ligten stellt sieb dieser Sachverhalt allerdings genau

umgekehrt dar: Weil für sie die rekonstruierte :arx-

sehe Theorie von Anfang an weniger die theoretische Ana-

Page 115: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

227

lyse und wissenschaftliche Kritik der kapitalistischen

Verhältnisse leisten, sondern vor allem empirische Ein­

schätzungen zukünftiger Krisenentwicklungen und realana­

lytische Interpretationen möglicher Klassenkämpfe erstel­

len sollte, wird in ihren Augen der praktische Erfolg

des bundesdeutschen Kapitalismus in den 70er Jahren, die

Krisenbewältigung ohne merkliche Gegenwehr der von ihr

betroffenen Arbeiterklasse durchgesetzt zu haben, zu ei-

nem theoretischen Argument gegen den Marxismus.

Der Erfolg des Kritikgegenstandes macht so für Altvater,

Armanski, Blanke u. a. nicht etwa seine theoretische und

praktische Kritik nötiger denn je, sondern "beweist" ih­

nen die Ungültigkeit der marxistischen Kapitalismuskri­

tik:

"Jede Krise des Kapitalismus beweist natürlich auch ei­ne Krise der Linken, wenn diese nicht den in den Kri­sentheorien vermuteten Zusammenhang einlöst und we­nigstens zu Teilerfolgen gelangt ... Daß ein als kau­sal unterstellter Zusammenhang zwischen der Krise des Kapitalis~us und der des Marxismus besteht, besagt in Wirklichkeit ja: daß die sich als marxistisch verste­hende soziale Bewegung (soweit sie überhaupt besteht) einen unzureichenden oder falschen Begriff von der ka­nitalistischen Gesellschaft hat - also die Bewegung ~nd ihre Theoretiker praktisch und theoretisch nicht auf der Höhe der Zeit sind." 7)

Man sieht, in der Diskussion um die Krise des Marxismus

wird mit den Prinzipien seiner Rekonstruktion ernstge­

macht - allerdings jetzt in umgekehrter Richtung. Rekon­

struierten die "Theoretiker" den Marxismus als eine Theo­

rie, die allen bürgerlichen Auffassungen darin überle-

gen ist, der wir k I ich e "theoretische Ausdruck der

praktischen Bewegung,,8) zu sein und so "zur Beschleuni­

gung des Auflösungsprozesses der bürgerlichen Gesell­

sChaft,,9) beizutragen, so demontieren sie nun angesichts

der Stabilität der westdeutschen Gesellschaft den rekon­

struierten Marxismus mi t dem Vorwurf, einen i I 1 u s i 0 -

n ä ren "Ausdruck" der gesellschaftlichen Realität dar­

zustellen. vlieder "auf die Höhe der Zeit" kommen die west-

228

deutsche linke "Bewegung und ihre Theoretiker" - so die

Redaktionsgruppe "Sozialistische Konferenz" und das Mit­

glied des "Sozialistischen Büros", J.oachim Hirsch nur

durch die vorurteilslose Anerkennung der "entscheidenden

Stärken und Vorteile dieser spezifischen Gestalt bürger­

licher Klassenherrschaft des 'i,jodell Deutschland' ,,10) so­

wie über die radikale Infragestellung "tradi ti onel er Vor­

stellungen von Klassenkampf und sozialer Revolution. ,,11)

In der Diskussion um die "Krise des r~arxismus" steht er-

klärtermaßen nicht mehr die Kritik der kapi talisti

sehen Verhältnisse, sondern die SeI b s t k r i ti k im

Mittelpunkt, daß der eigene frühere "Traditionsbestand

an politischen Analysen, Konzepten und Strategien sozial­

revolutionärer Veränderung fragwürdig, ja, von der Ent­

wicklung nachhai tig dementiert worden ist" .12) Dieser in

der Grundsatzdebatte praktizierte radikale "Perspektiven­

wechsel,,13) gilt den Diskutanten als erster und entschei­

dender Schritt zur erfolgreichen Bewältigung der Krise des

Marxismus. Er beinhaltet zum einen das Gebot, sich in Zu-

kunft einer wirklich realistischen Einschätzung

der "Stabilitätsbedingungen und Bruchpunkte - der Ent­

wicklungspotentiale und möglichen Weichenstellungen" des

"Modell Deutschland,,14) zuzuwenden; zum anderen die Auf­

forderung, die frühere Überzeugung von dem bürgerlicher

Theorie schlechthin überlegenen r~arxismus zu re la ti -

vi er e n 15) und die "abstrakte Gegenüberstellung von

'marxistisch' und 'bürgerlich' ,,16) aufzugeben.

Die anschließende Auseinandersetzung mit den Schriften

von Andre Gorz, Rudolf Bahro, Joachim Hirsch und Wolfgang

Fritz Haug soll unter anderem der Erörterung der folgen­

den Fragen dienen: Ist die in der "Krise des Marxismus"

thematisierte Selbstkritik, einen "unzureichenden oder

falschen Begriff von der kapitalistischen Gesellschaft"

besessen zu haben, der Auftakt zur Eliminierung bemerkter

Unstimmigkeiten, Widersprüche und Illusionen der rekon-

Page 116: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

229

struierten Marxschen Theorie? Oder kündigt nicht vielmehr

das Postulat, sich wieder "auf die Höhe der Zeit" zu be­

geben, die Akkommodation linker Theorie und Praxis an die

zu konstatierende Tendenzwende in Politik und Wissen­

schaft der Bundesrepublik der 80er Jahre an? Bedeutet der

methodische Anspruch des "Realismus" die Kritik früherer

Idealismen, um in Zukunft gemäß der materialistischen An­

weisung eines Klassikers des wissenschaftlichen Sozialis­

mus "die wirkliche \'leI t ... so aufzufassen, wie sie sich

selbst einem jeden gibt, der ohne vorgefaßte idealisti­

sche Schrullen an sie herantri tt. "? 17) Oder ist das in

der "Krise des ~larxismus" erhobene Plädoyer für mehr

"Realismus" nicht vielmehr gleichbedeutend mit der Ver­

pflichtung linker Theorie auf neue, zum "Kräfteverhält­

nis " der 80er Jahre passende Idealismen?

230

2. Die Bewäl tigung der "Krise des l'larxismus" di Er­

setzung früherer Illusionen durch neue Idealismen

a) Der "traditionelle Proletariatsbegriff"

Seit der Rekonstruktion des Marxismus im Gefolge der Stu­

dentenbewegung stand das "Proletariat" im rhttelpunkt der

theoretischen Analysen. Krisentheorie und Konjunkturpro­

gnosen befaßten sich mit der Beobachtung und Einschätzung

von Bedingungen, Möglichkeiten und Entwicklungstendenzen

des Klassenkampfs in der Bundesrepublik. Die optimistischen

Erwartungen eines natru~Jchsigen Aufschwungs der proleta­

rischen Bewegung endeten in der desillusionierten Feststel­

lung, sich im "Proletariatsbegriff" getäuscht zu haben:

"Es geht schlicht um folgendes: Das revolutionäre Sub­jekt 'funktioniert' nicht so, wie es bei unserem bis­herigen Prol etariatsbegriff mi t dem ganzen dazugehöri­gen Umfeld zu erwarten wäre. Und wir schauen uns ver­gebens die Augen aus nach einer revolutionären Arbei­terklasse ... " 18)

Die früher sowohl von Bahro in "unserem bisherigen Prole­

tariatsbegriff" als auch von den Autoren der Zeitschrift

"Probleme des Klassenkampfs" in der Annahme des "Zusammen­

h"tngs von ökonomischer Krise und Klassenkampf" praktizierte

Berufung auf die Kapitalismusanalyse von Marx beinhaltet

allerdings ein klassisches Mißverständnis der Marxschen

"Kri tik der poli tischen Ökonomie". Denn Marx hat weder den

postulierten Automatismus von Krise und proletarischer

Bewegung angenommen noch mögliche Entwicklungstendenzen

des Klassenkampfs prognostiziert. Er hat im "Kapi tal"

die Gesetzmäßigkeiten dargestellt, die das Proletariat

zwingen, das Kapital als ihm feindliche Macht selbst zu

produzieren:

"Der Arbei ter selbst produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn be­herrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als sub-

Page 117: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

231

jektive, von ihren eigenen Vergegenständlichungs-und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter. Diese beständige Reproduktion oder Verewigung des Ar­beiters ist das sine qua non der kapitalistischen Produktion." 19)

Marx ging also davon aus, daß die kapitalistischen Ver­

hältnisse zwar beständig Gründe für ihre Revolutionierung

als auch die materiellen Bedingungen dafür produzieren,

zugleich aber solche sind, in denen die Arbeiterklasse

ihren Gegensatz zum Kapital noch nicht erkannt und reali­

siert hat. Mit der Untersuchung und Darstellung des Ar­

beitslohns, auf dem "alle Rechtsvorstellungen des Arbei­

ters wie des Kapitalisten, alle 14ystifikationen der kapi­

talistischen Produktionsweise. alle ihre Freiheitsillu­

sionen,,20) beruhen, begründet Marx die Kr i ti k des

notwendig falschen Bewußtseins der Lohnarbeiter als die

Voraussetzung für den Fortschritt des Proletariats von

einer "Klasse an sich" zu seiner Konstituierung "als Klas­

se für sich selbst.,,21) Anstatt die Lohnarbeiterexistenz

mit revolutionärer Tätigkeit zu identifizieren, dabei

selbst als "Theoretiker" die gesellschaftlichen Entwick­

lungstendenzen durch ihre Interpretation zu begleiten

und die eigenen Veränderungshoffnungen auf die Arbeiter­

klasse zu projizieren, hielt Marx zeit seines Lebens die

praktische Vermittl.ung von Klassenhewußtsein durch Kri­

tik falscher proletarischer Vorstellungen für eine poli­

tische Notwendigkeit. 22 )

Die Überzeugung, die ökonomische Krise des bundesrepu­

blikanisehen Kapi talismus vfÜrde die westdeutsche Arbei ter­

klasse naturw1ichsig in den Klassenkampf zwingen, war um-

gekehrt der Leitgedanke des als Krisentheorie und

Kon ;junkturprognose rekonstruierten 1fJarxismus. Die Kritik

des proletarischen Bewußtseins wurde durch die Be 0 b­

ach tun g seiner Entwicklungstendenzen ersetzt. Die

En Bchung der in dem traditionelJen "Proletariatsbe-

232

griff" formulierten Klassenkampferwartungen durch das

reale Proletariat nehmen Bahro ebensowohl wie die Redak­

tion der "Prokla" zum Anlaß für die von Skeptizismus

getragene Diskussion, ob der Arbeiterklasse überhaupt

die praktische Bedeutung für die Beseitigung des Kapi­

talismus zukomme, die man ihr unter Berufung auf l1arx

bislang beigemessen hat:

"Probleme mit dem Klassenkampf in einer Zeitschrift, die sich "Probleme des Klassenkampfs" nennt? Diese Spannung kann zumindest doppel t gedeutet werden. Es kann heißen, daß eine pol,itisch-wissenschaftliche Konzeption, die ursprünglich den Anspruch hatte, durch Analyse der empirischen Prozesse der Konstitution der Arbeiterklasse einen Beitrag zur Beschleunigung des Auflösungsprozesses der bürgerlichen Gesellschaft zu leisten - so noch in Prokla 6 -, daß diese Konzeption anläßlich der relativen Stagnation der traditionellen Arbeiterbewegung und des Aufschwungs der neuen sozia­len Bewegungen in die Krise geraten ist und einer Neu­bestimmung bedarf. Es kann auch heißen, daß diese Kon­zeption im Kern immer noch für richtig gehalten wird, die Arbeiterklasse der entscheidende Emanzipations träger ist, die neuen sozialen Be\'iegungen letztlich Teilelemente in dem Konstitutionsprozeß der Arbeiter­klasse darstellen, und deshalb diejenigen, die dies nicht sehen, ihre Probleme mit dem Klass f haben. Mag sein, daß es noch mehr Nuancen gibt. Der egensatz jedoch zwischen einer Emanzipationskonzeption, die Abschied vom Proletariat CA. Gorz) nimmt, und einer Emanzipationskonzeption, die ihr Zuhause beim Prole­tariat hat, durchzieht die meisten politischen Dis kussionen der Neuen Linken ... " 23)

vleil die von ~Iarx analysierten Gesetzmäßigkeiten der

Reproduktion der kapitalistisehen Produktions-

weise -

"Der kapitalistische Produktionsprozeß, im Zusammen­hang betrachtet oder als Reproduktionsprozeß, produ­ziert also nichi nur Ware, nicht nur Mehrwert, er pro­duziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst, auf der einen Sei te den Kapi talisten, auf der andren den Lohnarbei ter." 24) -

als "A u f 1 ö s u n g s pro z e ß" der bürgerlichen Ge­

sellschaft rekonstruiert wurden, dem e:in "Kons ti tu­

t ion s pro z e ß der A I' bei tel' k 1 ass e" natur-

Page 118: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

r

233

v.'Üchsig folgen vlÜrde, wurden di,e auf das Proletariat ge­

setzten Erwartungen der "Neuen Linken" um so zweifelhaf­

ter, je länger sie durch die Realität enttäuscht wurden.

Die Diskussion um "unseren Proletariatsbegriff" , also die

Frage, wie man in Zukunft das Proletariat einzu-

sc h ä t.z e n habe, kristallisierte sich an den von An-

dre Gorz im "Abschied vom Proletariat" aufgestellten The­

sen. Inwiefern der "Abschied vom Proletariat" einerseits

die Demontage alter Illusionen, anderersei,ts deren Trans­

formation in neue Idealismen beinhaltet, soll im folgen­

den erörtert werden.

b) Abschied vom Proletariat (Andre Gorz)

Die Krise des Proletariats

Die theoretische Streitschrift "Abschied vom Proletariat,,2S),

die

sen

mit

einer Spiegel-Rezension zufolge "in studentischen Krei­

zu einem Kul tbuch ausgerufen worden ist,,26), beginnt

einer radikalen Kritik des Marxismus. Die "marxisti-

sehe Theorie des Proletariat" - so Gorz - sei 'von "Ortho­

doxie, Dogmatismus, ReligiOsität,,27) geprägt, habe "kei­

ne andere Grundlage als die den Geist des Propheten er­

leuchtende Offenbarung,,28); sämtlichen das Proletariat

betreffenden prophetischen Voraussagen "widersprachen die

Fakten,,29), so daß der Abschied von dem "Proletariat nach

Sankt Marx,,30) längst überfällig sei:

"Der r~arxismus steckt in einer Krise, weil die Arbei­terbewegung von einer Krise erfaßt ist. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre zerriß das Band zwischen der Ent­wicklung der Produktivkräfte und der Entwicklung der Klassengegensätze, und zwar nicht deshalb, weil die in­neren Vlidersprüche des Kapitalismus sich nicht offen­bart hätten - nie zuvor waren sie ähnlich offenkundig wie heute. Niemals zuvor hat der Kapitalismus sich so we­nig fähig gezeigt, die von. ihm hervorgerufenen Proble-me zu lösen. Aber diese Unfähigkeit ist ihm nicht töd­lich. Er hat die kaum analysierte und nur unzulänglich

2 3/~

b ffene Kraft erworben, die Nichtlösung seiner Pr lerne zu beherrschen; er versteht es durchaus sein mangelhaftes Funktionieren zu überleben. Ja, er ~chöpft daraus sogar noch neue Impulse." 31)

Has sich hier als empirische Beobachtung der gesellschaft­

lichen Realität Ende der 70er Jahre vorträgt, ist de fac­

to eine interessegeleitete Interpretation dieser Realität.

Das schiere Faktum der fortdauernden Existenz des

Kapi talismus ist für G orz gleich in mehrfacher Hinsicht

ein Be w e i, s: Es i,st ihm erstens Beleg der eigentli

ehen Funktionsunfähigkeit und objektiven Uberlebtheit des

kapitalistischen Systems. zweitens aber gleichfalls Be­

weis seiner funkti onierenden VU'aft und unr;ebrochenen

Uberlebensfähigkeit. Drittens ist die daucrhafte Existenz

des Kapitalismus für Gorz Zeugnis der Unfähigkeit des Pro­

letariats zur Erfüllung seiner "historischen rhssion" und

beweist i,hm viertens die Ungültigkeit der r·larxschen Kapi,­

talismuskri tik:

"Tatsächlich gründet sich der r~arxismus auf einen Be­dingungszusammenhang, von dem wir heute wissen, daß er sich i,n der Zukunft ebensowenig herstellen wircr;-wie das in der Vergangenheit der Fall war. Es handelt sich um folgenden Zusammenhang: 1. Die Entwicklung der Produktivkräfte erzeugt die materielle Basis des So­zialismus ... Doch die \Virklichkeit sieht anders aus: 1. Die Entwicklung der Produktivkräfte ist funktional allein für die Logik und Bedürfnisse des K~italismus. Vleit davon entfernt, die materielle Basis des Sozialis­mus zu schaffen, behindert sie ihn." 32)

Zwei Kapitel später ist für Gorz dieselbe "Vlirklichkeit"

Zeugni s für di e di ametral en tgegenges etz te Deu tung:

"Die Logik des Kapitals hat uns an die Schwelle der Befreiung geführt." 33)

Den beiden Aussagen ist sowohl der prinzipielle Viider­

spruch von Gorz 1 Streitschrift zu entnehmen als auch eine

eindeutige Auskunft, worin die angesprochene "Logik des

Kapitals" besteht. ~lit ihr charakterisi,ert Gorz keine

wirkliche ökonomische Gesetzmäßigkei t der kapi talisti-

Page 119: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

..------_._._--- ._---_. __ .... _ ....... _ ...... _---------------------------------------------

235

sehen Produktionsweise, sondern thematisiert die Ver­

~nderungshoffnungen, zu denen der Kapitalismus heute noch

berechtige. Die Frage, wohin die kapitalistische Entwick­

lung führe, ob die "Logik des Kapitals" ihre eigene Ab­

schaffung befördere oder verhindere, bezeichnet die Pro­

blemstellung von Gorz. Und die beiden auf diese Frage

möglichen Antworten finden sich im "Abschied vom Proleta-

riat". Im ersten Teil der Arbeit verabschiedet

sich Gorz angesichts der ungebrochenen Existenz des Kapi­

talismus von der früher von ihm geteilten tr a d i t i o­

n e I I e n Zu k u n f t s hof f nun g, die sich in der Idee

vom Proletariat als dem per se revolution~ren "histori­

schen Subjekt" ausdrückte. Im zweiten Teil beg r ü ß t

Gorz eine neu e Zu ku n f t s per s p e k t i v e in Ge­

stal t der als "Neoproletariat,,31+) imaginierten "Wieder­

auferstehung des historischen SUbjekts.,,35)

Den "Abschied vom Proletariat" beginnt Gorz mit der Dar­

stellung seiner "Krise":

"Die Klasse selber befindet sich in einer Krise. Den­ncch betrifft die Krise weit mehr einen Mythos und ei­ne Ideologie als die reale Arbeiterklasse. Mehr als ein Jahrhundert hat die Idee des Proletariats dessen Irrealit~t zu verbergen gemocht. Diese Idee ist heute ebenso obsolet wie das Proletariat selbst ... " 36)

So sehr die Aussage zutrifft, daß die Krise des Proleta-

riats nichts mit des sen wirklichem Handeln und Be-

vmßtsein zu tun hat, sondern sich dem entt~uschten "My­

thos" linker Intellektueller verdankt, so unzutreffend

ist der Umkehrschluß, die Arbeiterklasse in Frankreich

oder Westdeutschland sei eine längst obsolete " I r -

realit~t". Solche Charakterisierung entspringt dem

Anliegen von Gorz, die eigene Abkehr vom Marxismus als

den selbstkritischen Entschluß vorzustellen, mit einer

frUher flegten "religiösen" "Philosophie hegelscher

Struktur" ) radikal zu brechen. Zu diesem Zweck inter­

pretiert Gorz die Marxsche Analyse der Lohnarbeit erst

236

noch in den Mythos vom selbstbewu en und allmhc gen

Proletariat um, als den er sie dann zu verabschieden be­

absichtigt:

"Der Kommunismus, Heraufkunft des Proletariats als uni versale Klasse, ist der Sinn der Geschichte. Man sieht den Parallelismus (zu Hegel; d. Verf.). An die teIle des Geistes tritt die Erz der Welt. Zun~chst sich selbst verb wird sie sic fortschreitend ihrer bewußt in dem , \üe die Produkhvkr~fte si ent-

ometheischen Selbstbekundung des Gesamtarbeiters s Urheber der Wel und seiner selbst in der Kooperahon aller mit allen.1< 3(3)

"Seine Proletarisierung, so dachte r':arx, wijrde i.hn (den "Handwerker") aus seiner beschr~nkten Indi.viduali.­t~t herauslösen. Seiner Werkzeuge und seines Berufs be­raubt, von seinem Produkt getrennt, unter dem Zwang eine vorher bestimmte Arbeitsmenge zu mi s banalisierter und sozialisierter, di.e Prole er aus-tauschbar machender Fertigkei ten, wUrde der Arbe:, ter sich seiner selbst als universaler und unverhüllter Macht abstrakter all ner Arbei t bewußt werden ... Anders ausgedrückt: e Proletarisierung sollte beson-dere und 'beschr~nkte' Produzenten durch die Klasse der allgemeinen Prcduzenten ersetzen, die sich unmit­telbar ihrer Macht über die ganze Welt, ihrer acht zu produzieren, die Welt und den Menschen neu zu erschaf­fen, bewußt w~re. Kurz: bei den Proletariern sollte ~ußerst objektlose Ohnmacht eine virtuelle Allmacht begründen." 39)

Solche Referierung der Marxschen Kapitalismusanalyse kann

sich nicht ihrer Lektüre verdanken. Denn Marx hat in sei

nen Schriften die "abstrakte Arbeit" als ein ökonomisches

Zwangsverh~l tnis kri tisiert. In der Lohnarbei t sah er die

Verausgabung von abstrakter Arbeit, die dem Zweck der Ka­

pitalverwertung dient und auf der Trennung des Arbeiters

von den ~li tteln der Arbei t beruht, den Lohnarbei ter zur le­

benslangen Funktion einer Arbeitskraft erniedrigt, die sich

den Konjunkturen des Kapitals entsprechend verschleißt

und ihre Selbsterhaltung ständig in Frage stellen lassen

muß. Aus diesem Grunde hat Marx davon gesprochen, "produk­

tiver Arbeiter zu sein ist daher kein Glück, sondern ein Pech.,,40)

Page 120: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

rl"-."....------------------------------------.. ~~···

237

Die r~arxsche Kritik der abstrakten Arbeit wird von

Gorz in ihr diametrales Gegenteil verwandelt, in eine von

Marx angeblich empfundene philosophisch-religiöse Be­

geisterung für die "universale Macht der Arbeit.,,41)

tiii t dem Verweis darauf, daß "in den Fakten nichts diesen

Gedanken stützt,,42), hat Gorz z'tlar nicht 111 ai- x kri

tisiert. 43 ) Aber er hat unter dem Schein, Marx zu kriti-

si eren, sei n e früheren Vorstellungen über das Prole-

tari.at zur "Ideologie" erklärt. Den eigenen ehemaligen

Revolutionsoptimismus, der aus der abstrakten Arbeit als

dem lüttel des Kapitals die "virtuelle Allmacht" des Pro­

letariats begründete, ersetzt Gcrz durch die desillusio­

nierte Feststellung, daß die Arbeit ja bloßes Mittel des

Kapitals und somit Beweis der "objektlosen Ohnmacht" der

Arbeiterklasse sei:

"Die Klasse. die kollektiv die Gesamtheit der Produk­tivkräfte entwickelt und anwendet, ist außerstande, sich diese Gesamtheit anzueignen, sie ihren eigenen Zielen unterzuordnen und si als Gesamtheit ihrer ei genen Mittel zu begreifen ... Der Grund dafür ist, daß der Gesa.mtarbeiter, von der kapitalistischen Arbei,ts­teilung strukturiert und den inneren Erfordernissen der von ihm bedienten Maschinerie , selbst nach {\rt eines Mechanismus funktionier ... " 44)

Da das reale Proletariat nicht der ihm von Gorz früher

idealiter zugeschriebenen Aufgabe nachkommt, sich als

"Quelle der Welt" gegen das Kapi tal zu betätigen, fällt

Gorz über es das Urteil, durch und durch kapitalistisch

"strukturiert" und einer Gegenwehr ;iberhaupt ni c h t

mehr fähig zu sein. Daß die französischen oder

westdeutschen Lohnarbeiter sich ihrer Be- und Vernutzung

durch das Kapital fügen und den "Klassenkampf von oben"

nicht durch das Austragen des Klassengegensatzes von un­

ten beantworten, ist für Gorz der Beweis, der Kapitalis-

mus habe heutzutage sämtliche Gründe für das Austrs.-

gen des Klassengegensatzes aus der Welt geschafft. Er ha­

be nicht nur den modernen Lohnarbeiter in eine bewußtlose "K d K . 1" 115) d ," t' h ~ t" , opie es aplta S UD elD symme :rl C es uegens UC]{

238

des Kapitals,,46) verwandelt, sondern darüber hinaus den

Arbeiter von seiner Arbeit getrennt:

"Der Trick ist gelungen: Die Arbeit befindet sich au­ßerhalb des Arbeiters, sie hat sich verdinglicht, sie ist ein anorganischer Prozeß geworden. Der Arbei tel' wohnt der Arbei t bei, die sich macht, er m,wht si.e nicht mehr." 47)

"Arbei t ist nicht mehr eine dem Arbei tel' eigentümli­che Tätigkeit." 48)

Die umfangreiche Ausmalung des Molochs Produktion, der­

zufolge der Lohnarbei tel' nichts anderes sei als ein wil­

lenloses Rädchen und ein bewußtloser r,Jechanismus im Ge­

triebe der Produktivkräfte, verkehrt Gorz jetzt in die

euphemistische Beschreibung der Lohnarbeit, die sich von

selbst mache. 49) Der Kenntnisnahme der in deutschen r-1an-

tarifverträgen als "Normalleistung" definierten Be-

anspruchung, "die von ausreichend geeigneten Arbeitneh-

mern bei voller und amlreichender Einarbei tung ohne

Gesundheitsschädigung auf di Dauer erreicht und erwartet

werden kann,,50), der empirischen Beobachtung der an Fließ­

bändern bei Opel oder Renault verlangten 1,1 ehr leistung

oder der Sichtung der in gewerkschaftlichen Statistiken

über Arbeitsbelastung und gesundheitlichen Verschleiß am

Arbeitsplatz dokumentierten Resultate der j'lehrarbeit ver­

dankt sich das eben gezeichnete Bild heutiger Fabrikar­

beit nicht. Es entspringt dem Beweisinteresse von Gorz,

die ruinösen Leistungsansprüche, die ein moderner Arbeits­

platz an den Lohnarbeiter stellt, als ein 'äußerliches'

Verhältnis von selbstätigem 'anorganischem' Arbeitspro­

zeß und ihm 'beiwohnenden' Arbeiter darzustellen, damit

den in der r'larxschen Theorie analysierten Klassengegen­

satz in der Produktion für obsolet zu erklären und so das

Proletariat als den potentiellen Hebel zur Beseitigung des

Kapi tal v erhäl tni ss es zu v erabsc hi eden.

Page 121: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

2

Wiedergewinnung einer Perspektive

r~an ieht, der Prozeß j.ntellektueller Des:illusionier)lng

fübrt zu neuen Idealismen. Der "r~ythos" vom firbei tel', der

einer "Arbeit beiwohnt, die sich macht", ist der Ausgangs­

punkt der neuen Zukunfh;perspektive, die Gerz dem "Ab­

schied vom Proletariat" abgewinnt. Zwar soll es dem Prole­

tariat einerseits heutzutage unmöglich sein, sich der All­

macht des Kapitals zu widersetzen. Andererseits aber erge­

be sich die Befreiung des Proletariats gleichsam von selbst,

indem das Kapital die Arbeiterklasse zunehmend aus seiner

Abhängigkeit entläßt:

"Die Umkehrung der tJiarxschen Idee des Proletariats ist damit komplett. Das neue nachindustrielle Proletariat findet in der Arbeit nicht aIlein keine Quelle mögli­cher Macht mehr, es erkennt darin vielmehr die Reali­tät der Apparatemacht und seine eigene Nicht-Macht ... Die teermol sehe Evolution verläuft in Richtung nicht einer ic Aneignung der gesellschaftlichen Pro-duktion h die Produzenten, sondern ... vielmehr einer Ausgrenzung der gesellschaftlichen Produzenten, einer Marginalisierung der gesellschaftlich notwendi­gen Arbei t." 51)

"Die Logik des Kapitals hat uns an die Schwelle der Befreiung geführt." 52)

Der steigenden Arbeitslosigkeit in den westlichen Natio­

nen entnimmt Gorz eine fortschreitende Befreiung der In­

di.viduen von den Zwängen der kapi talistischen Ökonomie.

Das Gesetz der Lohnarbeit, daß der Arbeiter nur über die

1httel zum Leben verfügt, wenn er arbeitet, daß also die

"Freisetzung" von Arbeit ihn in die Notlage versetzt, mit

einem Bruchteil seines früheren Einkommens auskommen und

Arb ei t zu jeder Bedingung ann ehmen zu müs s en, wird von

Gorz auf den Kopf gestellt. Seiner Auffassung zufolge

kann sich die "Nicht-Klasse" des "nachindustriellen Pro­

letariats,,53) erlauben, frei von ökonomischen Zwängen und

"aus der Gesellschaft ausgebürgert,,54), der kapitalisti­

schen Entwicklung "wie einem SchausPiel,,S5) beizuwohnen.

Die Unregelmäßigkeit und Unsicherheit eines auf un bs

di ge Arb t angewi es en en eins, bedeo.ltet.

"eine zunehmende) virtuell mehrheitl ehe Anza.hl "10;1

Leuten ihre 'Arbeit' rasch wechselt, nur zeitwei ig aus bte Berufe erlernt, ein StudiurCi ohne Berufsaus-sie und o]o.ne praktischen Nutzen absolviert, ein begonnenes Studium abbricht oder beim Abitur durch­fällt, 'vJeil das Reifezeugnis ohnehin sinnIos ist', als Anshilfe im Sommer bei der Post untersc ft, im Herbst bei der Vleinlese, als Verkiiufer in ember. als angelernter Arbeiter im Frühjahr die nötigen Gro­schen verdient U3W." 56),

bespricht Gorz euphemistisch als "ziemlich uneingeschränk­

te Entfaltung der individuellen EXistenz".57) In der in­

dustriellen Reservearmee aus Arbeitslosen, Gelegenheits

arbeitern und Arbeitern, die "irgend etwas" machen, "das

'irgendwer' an seiner Statt 'ebensogut machen' könn e,,58),

entdeckt Gorz die "Vliederauferstehung des historischen Sub­

jekts" als "Nicht-Klasse der nachrevolutionären Proleta­

rier".59) Ausgerechnet einer Gesellschaftsschicht, die

seiner eigenen Aussage zufolge eine " Ni c h t - Mac h t

ohne objektive soziale Bedeutung,,60) ist, da sie "an der

Produktion nicht teilnimmt,,61), schreib Gorz die

!4 ac ht zu, das Reich der Freiheit erstehen zu lassen. 62 )

Die Kritik an Marx, der Welt ein unrealistisches Ideal ent­

gegengehalten zu haben, ist für Gorz der Auftakt, der Vlelt

das eigene Ideal als schon realisiertes zugutezuhalten.

Das "Rei c h der

se es ge gen

längst

Freiheit", von dem 1,larx behauptet, man müs­

das Kapital erwirken 63 ), glaubt Gorz schon

den Zwängen der Arbei tswel t in den "Ni-neben

sehen" der Privatsphäre realisiert:

"Der Gedanke, daß die gesellschaftliche Arbei,t mit öko­nomischen Zielen die Sphäre individueller Autonomie er­weitern soll - das heißt Erweiterung der Freizeitakti­vi täten -, stand schon bei Marx im 141 ttelpunkt der Ar­gumentation ... Der Panökonomismus, die Unterordnung aller Tätigkeiten unter das Ökonomische, ist dagegen das Kennzeichen der kapitalistischen Entwicklung ...

Page 122: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

--------~~_. __ ._-----------------------------~------_ .. _~._~~ ... -

Die Umkehrung dieser Prioritäten bezeichnet das Ende der politischen Ökonomie und den Beginn eines 'nach-

dustriellen Sozialismus' das heißt: Kommunismus. Die bereits in der Reali enthaltene Umkehrung wi.rd, recht und schlecht, vom herrschenden System verschleiert." 6LJ)

Alle individuellen Betätigungen, die nicht im Produktions­

prozeß, sondern in der von ihm bestimmten Reprciduktions­

sphäre vollzogen werden, erscheinen dieser Sichtweise zu­

felge als Gründungsakte der Freiheit des ndividuums. Sie

umfassen

"das Familienleben, das Eigenheim, den Gemüse,o;arten, die Hobbywerkstatt, das Segelboot, das Landhaus, die Sammlung alter Gegenstände, Musik, Gastronomie, Sport, Liebe usw .... Kommunikation, Geschenk, ästhetische Kreativität und Vergnügung, Produktion und Reproduk-tion des Lebens, Zärtlichkeit, Entfaltung körperlicher, sinnlicher und geistiger Fähigkeiten, Schöpfung von Ge­brauchswerten ... ohne Handelswert ... kurz, ein Ensemble von Tätigkeiten, die die Substanz des Lebens bilden und daher wohlbegründet keinen nachgeordneten Platz,sondern Vorrang beanspruchen." 65)

Das falsche Bewußtsein bürgerlicher Individuen, denen die

Ausgestaltung ihrer Freizeit nicht als "nachgeordnete"

Reproduktion ihres Arbeitsvermögens, sondern als "vorran­

.gige" Betätigung ihrer Freiheit gilt, ist für Gorz der An­

haltspunkt, die in der Privatsphäre gepflegten Freizeit­

aktivitäten als den "Beginn eines 'nachindustriellen So­

zialismus', das heißt: des Kommunismus,,66) zu interpretie­

ren. In Umkehrung der in den 60er Jahren aufgebrachten kri­

tischen Theorie der Konsumgesellschaft, die in den Kompen­

sationen der Freizeit den Grund für das fehlende Klassen­

bewußtsein des westeuropäischen Proletariats sah, behaup­

tet Gorz nun die durch Reproduktionsnotwendigkeiten be­

stimmten, von der Größe des Einkommens beschränkten und

staatlich reglementierten Verhältnisse der bürgerlichen

Reproduktionssphäre als partielle Verwirklichung des

"Reichs der Freihei t".

An der im "Abschied vom Proletariat" vorgenommenen denti

fikation der kapitalistischen Reproduktlonsnotwendigkei

ten untergeordneten Freizeit mit einer Sphäre wirk-

licher Freiheit ist der von Gorz vollzogene affirma-

tive Fortschritt kenntlich, nicht mehr wie früher der Welt

ein Ideal gegenüberzustellen, das erst noch gegen sie

durchzusetzen sei, sondern sich künftig die bürger 1 ehe

Welt als mit seinem Ideal ver s ö hn t e vorzustellen. (7 )

Gorz' Abschied vom Marxismus ist identisch mit dem harmo­

nisierenden Postulat, das kapitalistische "Reich der Notwen­

digkeit" und das "Reich der Freiheit" n:i.cht mehr als sich

ausschließenden Gegensatz, sondern als weitgehend schon

realisierte "dualistische Konzeption,,68) zu denken.

Versöhnung mit der Nctwendigkeit des Staates

Die Gorzsche Interpretation der kapitali.st:Lschen Verhält­

nisse ziel t - wie gesehen - darauf, das "Reich der Frei

heit" genannte Ideal mit dem "Reich der Notwendigkeit" zu

harmonisieren. Der Fortgang der Argumentation von Gorz be­

steht nun darin zu betonen, daß es sich bei dem "Reich der

Freiheit" eben um das Ideal einer Welt von Notwendig

keiten

gil t:

handelt, die es letztlich anzuerkennen

"Die Trennung der Notwendigkeits- und Autonomiebereiche, die Objektivierung der Gesetzmäßigkeiten der sozialen . Funktionsweise in Gesetze, Verbote, Verpflichtungen, kurz, die Existenz eines von der Gewohnheit verschiede­nen Rechts, eines von der Gesellschaft verschiedenen Staa­tes sind die unerläßlichen Bedingungen dafür, daß eine Sphäre sich herausbilden kann, in der die Autonomie der Personen, die Freiheit ihrer Assoziation und era-tion Geltung haben - mit spezifischen Zielen." )

Gorz' Besprechung des Verhäl tnisses von Staat und Gesell

schaft ist zum einen zu entnehmen, daß er eine von den In­

dividuen getrennte Gewalt, die in Form des Rechts für alle

verbindliche "äußere Notwendigkei ten ,,70) kodifiziert, nicht

Page 123: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

r -----------------..----------~_. __ ... _.

243

als Gegensatz zum "Reich der Freiheit", sondern als wesent­

liche Bedingung seiner Ermöglichung und Geltung betrach­

tet. Zum anderen ist zu bemerken, daß der Abschied vom

Marxismus mit der Interpretation des Staates als einem

existentiellen Erfordernis jeder Gesellschaft schlecht-

hin einhergeht:

"Der Staat als Ort, an dem das Recht formuliert wird und die materiellen Erfordernisse des gesellschaftli­chen Funktionsprozesses in objektive, allgemein anwendbare, gekannte Vorschriften Ubertragen werden, entlastet die zivile Gesellschaft ebenso wie die In­dividuen von zahlreichen Aufgaben, die sie nicht ohne Schaden fUr die sozialen und individuellen Beziehungen zu erfüllen vermöchten. So befreien uns Geld und Preis­system vom Feilschen und vcn wechselseitigem Mißtrauen, die primitive Tauschformen, da ihnen ein gleichwerti­ges Messungssystem fehlt, begleiten. Die Polizei (de­ren Funktionen Ubrigens nicht als Vollzeit-Beruf aus­geUbt zu werden brauchten) erspart jedem, sein .. eigen~r 'Bulle' zu sein; die Verkehrsordnung macht es uberflus­sig, an jeder Kreuzung mit anderen Verkehrsteilnehmern zu verhandeln." 71)

Der "Realismus" von Gorz besteht in der Übernahme der

grundsätzlichen Idealismen bUrgerlicher Volkswirtschafts­

lehre, Soziologie und Politologie über die Vorteile und

Chancen, die ein Staatswesen seinen Gesellschaftsmitglie­

dern eröffne. So ist fUr Gorz, um nur eines der oben ge­

nannten Beispiele aufzugreifen, mit dem staatlich garan-

tierten Pr eis system nicht etwa der ökonomische

Zwang gesetzt, Uber ein Gel d einkommen verfügen zu

mUssen, um die als War e n vorliegenden lebensnotwen­

digen GUter kaufen zu können, was für die r,lehrzahl der

Gesellschaftsmitglieder ohne Lohnarbeit fUr frem-

den Reichtum nicht möglich ist. Preise gelten ihm viel­

mehr als sinnreiches "~lessungssystem", um den Individuen 72)

lästiges Feilschen und unnötigen Streit zu ersparen.

Der Staat kommt bei Gorz zuallererst als fUr die Indivi­

duen funktionale Institution zur Darstellung, die Probleme

"erspart" und von Aufgaben "befreit" oder "entlastet".

244

Diese logisch betrachtet rein negative Bestimmung staat­

licher "Leistungen" verdankt sich dem Interesse von Gorz,

die staatlich gesetzten Zwänge und Notwendigkeiten als

Eröffnung eines Spektrums von autonomen Möglichkeiten

und individuellen Freiheiten zu interpretieren. Nichts

ist der Auffassung von Gorz zufolge deshalb unstatthafter

als das von Marx und Engels verfolgte Anliegen, den Staat

als "besondere Existenz neben und außer der bUrgerlichen

Gesellschaft,,73) aufheben zu wollen:

"Jede Gesellschaft oder Ihkrogesellschaft, die den Staat - damit auch den Rechtsapparat - als eine spe­zifische, von ihr unterschiedene Instanz beseitigt, die Gesetzmäßigkeiten der Funktions- und ProduKtlons­weise in äußeren Gesetzen und Verpflichtungen objek­tiviert, beraubt sich zugleich der Möglichkeit, die materiellen Fundamente ihres Funktionierens zu kriti sieren ." 74)

Daß Gorz mit der "1-1öglichkeit" zur Kritik nicht mehr als

die distanzierte und freiwillige Unterordnung unter die 75' "praktisch-immanenten Erfordernisse der Gesellschaft" )

reklamiert, spricht er am Ende seines Buches als die Er­

f ahrung des j eni gen aus, der mi t den Jahren "wei se" gewor­

den ist:

"Der Anfang der Weisheit ist die Entdeckung von \üder­sprüchen, mit denen man in permanenter Spannung leben muß, ohne den Versuch zu unternehmen, sie lösen zu wollen; einer Realität mit unterschiedlichen Ebenen, die man in ihrer Besonderheit beachten muß, ohne sie auf einen I Durchschni tt I zu reduzieren." 76)

Seinen früheren Idealismus, die "Aktualität der Revolu­

tion,,77) durch die kapitalistische Entw:i.cklung selbst

verbUrgt zu sehen, hat Gorz durch ein desillusioniertes

Arrangement mit den existenten Verhältn:i.ssen ersetz ,

das als Realismus firmiert, aber wie gesehen - ohne

neue I lusionen über Staat und Ökonomie nicht zu

haben ist. Die Weisheit, der Gorz das Wort redet, fUgt

sich der bürgerlichen Definition der Vernunft, die Er-

kennen mit Anerkennen gleichsetzt und d:i.e Affirma-

Page 124: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

ion einer Realität samt ihren \Hdersprüchen, "mit

denen man leben muß", als den einzj.g sachgerechten Ge­

brauch des Verstandes postuliert. Insofern hat Gorz in

seinem "Abschied vom Proletariat" all den enigen Recht

gegeben, in deren I,ugen sich je schon die Marxsche Ka­

pi tal ismuskri Hk an der "l~acht des Faktischen" blamier­

te.

c) Hinwendung zur Menschheit (Rudolf Bahro)

Abschied vom "Proletariatsbegriff"

Die Beiträge, die Hudolf Bahro in die Diskussion um die

ltKri e des ~·1arxisrnus!f sowie do..s von ihm mitgetragene Pro­

jekt "Sozialistische Konferenz" eingebracht hat, plädie­

ren ebenso wie die Arbeit von Gorz für den "Abschied von

unserem Proletariatsbegriff". 78) Das Fa k tu meiner

westdeutschen Arbeiterschaft, die sich den "stummen Zwän­

gen" der Lohnarbeit beugt, gilt auch Bahro in zweifacher

Hinsicht als ein Argument: Nach der Seite marxi-

atischer Theorie beweist ihm ein Proletariat, das nicht

kämpft, sondern arbeitet, die Ungültigkeit von "unserem

bisherigen Proletariatsbegriff,,79), demzufolge man "posi

tiv auf das Austragen innerer Klassenkämpfe setzen kann,,80);

nach der Seite der Realität ist für Bahro das Ausbleiben

der erwarteten Klassenkämpfe Beleg der nicht mehr vorhan­

denen Betroffenheit der Arbeiter im unmittelbaren Produk­

tionsprozeß:

"Angesichts wirklichen materiellen Elends sollte die kapitaUstische Ausbeutung als solche. sollte der Wi derspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital unmittelbar den Aufbruch zum Sozj.alismus provozieren, weil die Ar­bei ter nichts als ihre Ketten zu verli eren hatten .. , Die Erfolge der Arbeiterbewegung im Verteilungskampf waren ebensoviele Schritte tiefer hinein in den Sy­stemzusammenhang der bürgerlichen Gesellschaft." 81)

Die praktische Widerlegung des j.n seinem "Proletariats

begriff" formulierten Automatismus von materiel

ler Betroffenheit und revolutionärem Klassenkampf mmt

Bahro zum Anlaß, an der Betroffenheit selb t zu

zweifeln: Wenn Ausbeutung unmittelbar zu revolutionärer

Gegenwehr führen müßte, muß dann nicht das Ausbleiben von

Klassenkampf als Beweis für die nicht mehr vorhandene Be­

troffenhei t der Arbei ter durch den kapi tal:lsti ehen Pro­

duktionsprozeß und als eindeutiger Hinweis auf ihre ge­

lungene Integration in den bürgerlichen Systemzusammen­

hang angesehen werden? Zwar könnte Bahro dem von ihm an­

gesprochenen gewerkschaftlichen Verteilungskampf die Halt­

losigkeit seines Zweifels entnehmen. Denn die einmal im

Jahr stattfindenden Tarifrunden beruhen auf der Notwen

digkei t zur Kompensation der ganz jährlich von Ka-

pital und Staat praktizierten Veränderung von I"ohn und

Leistung, Nominal- und Realeinkommen zuungunsten der Be­

schäftigten. Und die integrative Verrechtung des gewerk­

schaftlichen Verteilungskampfes müßte als überflüssig be­

trachtet werden, läge j.hr nicht der Gegensatz von Lohn­

und Profitinteresse als bestimmendes [;loment der Ökonomie

zugrun de. Bahr 0 hingegen gr ei ft di e "In tegr ati on" des ge­

werkschaftlichen Arbeitskampfs als Beleg für die 0 b so-

1 e t h e i t des Klassenkampfs aufgrund mangelnder Betrof­

fen hei tauf:

"Viele Gesetzmäßigkeiten die damals (im Konkurrenz­ka.pitalismus; d. Verf.) tioniert haben, funktio­nieren weiter. Deshalb ist es wunderschön, vom sehen Standpunkt aus, jetzt noch nachzuweisen, z. . die Ausbeutung ist größer denn je. Rechnerisch j , un-b ! Und trotzdem ist das nicht l1eh1' der Hebel, UI1

tnisse umzustürzen. Dies Rechenkünste und das Zusammenzählen der Streikenden und der Streikstun-den usw., das alles bringt nichts." :32)

Angesichts von "Verschwendungs- und \1eg\verfkonsum,,:3J), "of­

fensichtlichen Bequemlichkeits- und Zeitgewinnen,,84),

"marktdiktierten Hertorientierungen,,85) und kontinuierli­

cher "Steigerungen der Realeinkommen,,86) - eine "emp:lri-

Page 125: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

2 1;.)

sche" Bestandsaufnahme, dj.8 ich o[f~ns:i,chtlich nicht

durch den seit Uitte der 70er Jahre gefUhrten 'Klassen­

kamp von oben', staatliche 'Sparpolitik' und konzertier-

c lohnsenkungen b12~mieren läßt - gilt Bahro die "Aus-

beutun lt nur noch s eine praktisch unmaßgebliche I:Ee-

chengröße'I, das IIProletariat '! c.:,13 ein obsoleter "Begriff 11

d ~~cher arxi.:::;tcn und der I!Kl sengegensatz '1 von

Lohe elt und Kapital ein von arx entworfenes und

auf heutige :~~ ati on nicht übertragb

sb chos oeel1". (/) Hirklich be tr 0 f f

es ,; an tagoni­

n seien di.e

Arbel ni.cht mehr dureh ihre Funktion ,ü Lohnarbeiter,

andern in ihrer Eigenschaft al ensehen:

"D;'lS Prol etari.at war naeh unserer Deri.ni ti en keine Kl se der bUrgerlichen Gesellschaft d. h. die Ar-beiter wiesen in ihrer Ei chaft Klasse Uber den kapitalistischen Horizont s Dabei war der Me-chanismus der r~obilisierun

olle de facto ökonomistisc gefaßt; der antagonisti ehe Interessenkonflikt um die Verkaufsbedingungen der

Arbeitskraft sollte die e fUr die Spr des alten sozialen Zusammen iefern. Statt

oduziert sich das erhältnis und mit iche Gesellsc verhäl tnismäßig

esem Grundwiderspruch und die ,e über den tal i s ti s c hen s temzus ammen hin aus-vleisen, en ten sich sichtlich nicht entlang dieser Cl.l en Klassenlage, sondern um andere, ezifische-re löser, in denen die 1·1enschen weniger s Klas-

enzugehörige denn als konkrete Individuen betroffen ind ... Die ökologische Krise und ihre absolute Spit­

ze, die Gefahr ei.ner kurzfristigen Totalvernichtung durch den Atomkri liefern die grundlegende Heraus-forderung, von der e Energiemobili.sierung ausgeht." 88)

i>lit diesem Fortschri.tt von der früher behaupteten Betrof­

fenheit der Arbeiter als Arbeiter zu der ihnen jetzt zu­

geschriebenen existentiellen Betroffenheit als Menschen

ist ein entscheidender Perspektivenwechsel in

der Kapitalismuskritik getan. Während frUher Phänomene

wie Arbeit, Arbeitslosigkeit, Armut, Naturzerstörung, Hun

ger oder Krieg als Beweise f Ur die Notwendigkeit des

Kl senkampfs galten, werden heute dieselben Phänomene

als Argumente gegen ihn ins Feld geführt. ünd während ehe·-

mals das Proletariat als die gesellschaftliche Kl e be-

trachtet wurde, auf deren Benutzung der Reichtum des Kapi­

tals und die Macht des Staates beruhen, weswegen b de

auch durch den Klassenkampf zu "sprengen" seien, sollen

jetzt die nationalen und internationalen Resultate fort­

gesetzter Exploitation der Lohnarbeit in Gestalt von

Atomraketen und weltweitem Hunger die lüsterische Über­

holtheit der frUheren Klassenkampf theorien beweisen:

"Ausschlaggebende Tatsache der Gegenv,·art schein viel­mehr die eindeutige Dominanz der äußeren Uber die inne­ren Widersprüche der bUrgerlichen Gesellschaft. Der Ost-West- und vor allem der Nord Süd Gegensatz greifen Uber. Der innere Klassenkampf um den Reiülohn, um die Arbeits- und Lebensbedi zeigt die Tendenz, zu einer ünterfunktion der iehen Gesellschaft in ihren Konfrontationen mit der Zweiten, Dritten und Vierten \velt ,3U werden. in denen weit mehr als durch die inneren Auseinanders das künfti natio-nale wie internationale Schi al entschi wird. Unter solchen wäre es anachronistis hund gefährlich, weiter auf dem der Forcie-rung internationaler KlassenwidersprUc anzustreben."

"Seit es die Atombombe gibt, steht die dte antar;oni. stische Grundeinstellung zu sozialen \Vi hen al leI' Art, äußeren wi.e i.nneren, in Frage." 9

Der logische Fehler, dessen sich Bahro bei sei~er Argu-

mentation bedient, besteht darin, die Wirkungen

einer Sache gegen ihren G l' und auszuspielen. In ccn-

creto: Zwar unterscheidet die vlirkung ei.ner Atombomben­

explosion in der Tat nicht zwischen der Klassenzugehö­

rigkeit ihrer Opfer, und sie vermag - jedenfalls poten­

tiell - eine ganze Nation zu zerstören. Aber di.ese ver­

nichtende Wirkung kann weder ein Argument dagegen sein,

daß die Freiheit eines Staates zur (Atom-)KriegsfUhrung

auf einer erfolgreichen Exploitation im

Inneren gründet, noch eine Widerlegung der r·~arxschen Ana­

lyse darstellen, daß "mit dem Ge~ensatz der Klassen im

Innern der Nation ... die feindliche Stellung der Natio­

nen gegeneinander (fäll t) . ,,91) Für Bahro all erdings ist

89 )

Page 126: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

249

die universelle und existentielle Betroffenheit der Be­

völkerung einer Nation im Krieg das Argument, den die

westlichen Nati onen im Inneren bestimmenden und ihr Han­

deln nach außen begründenden Klassengegensatz für "ana­

chronistisch" zu erachten. So werden die weltweiten ~Iir-

kungen des Kapitalverhältnisses zu. ebenso-

vielen "empirischen Beweisen ll für eine neue Betrachtungs­

weise des Kapitalismus, die den Klassengegensatz von 10hn-

arbeit und Kapital für "überholt" erklärt und die

theoretische und praktische Notwendigkei t betont, daß "wir

über den r~arxschen Begriff springen und uns jedenfalls auf

ein allgemeineres Subjekt beziehen (müssen), als es die

westliche Arbeiterklasse heute ist.,,92)

Die enschheit al weltveränderndes Subjekt

Ist der von Bahro gegen die "beschränkte" Klassenorienti,e-

rung postulierte "allgemeinere" Bezugspunkt der Mensch-

he i t ein Kritikansatz, der "über den kapitalistischen

Systemzusammenhang hinausweist"? Oder muß der Übergang

,"von den Klassen- zu den 1ebensinteressen ,,93) nicht viel­

mehr als ein Kritikstandpunkt betrachtet Herden, der den

bürgerlichen Verhältnissen verhaftet bleibt? Handelt es

sich bei der Substi tuti on des "Frol etariatsbegriffs" durch

den Begriff der Menschheit um die längst überfällige Hin­

wendung zu einern "konkreten" Sub jekt der Veränderung? Oder

ist damit nicht umgekehrt die endgültige Abwendung von

allen konkreten gesellschaftlichen Bestimmungen der realen

Subjekte vollzogen? Die mit diesen Fragen umrissenen theo­

reti,schen wie praktischen Konsequenzen einer Kapitalismus­

kritik, die den Begriff des "Klasseninteresses" durch die

Kategorie des "GattungSinteresses,,94) ersetzt, sollen im

folgenden noch erörtert werden.

250

Als erstes ist die Frage zu klären, ob die von Bahro in

die Kapi talismuskri tik eingeführte Kategorie der IfJensch­

heit sich auf ein praktisch existentes Sclbjekt bezieht.

"Menschheit" ist bei Bahro als das universell und ex:Lsten-

tiell betroffene Subjekt der mit "ökologischer Kri e" .

d 'TI t lk t ' h ,,9» und Atombombe drohenden "Realgefahr er 10 a a as'trop e

gedacht. "~lenschhei t" enthält die Vorstellung der obal en

Gemeinschaft aller 11enschen, die aus ihrem "Gattungsin­

teresse" heraus der "Zerstörung der Naturgrundlage mensch­

licher Existenz überhaupt,,96) Widerstand leisten. Zugleich

jedoch beinhaltet diese Vorstellung ihre eigene Widerle-

gung. Denn die existenzbedrohenden Phäncmene weltwei-

ter Hunger, globale Naturzerstörung und atomare KriegfUh-

rung - si,nd ja unzweifelhaft Resultate menschl:Lcher Hand­

lungen. Sie entlarven das Bild von dem letztlich maßgeb­

lichen Gattungsinteresse der :!Jenschheit als Fiktion. Die

von Bahro postulierte Kategorie "I,lenschheit" löscht nicht

nur den abstrakten Gegensatz von Urhebern der Bedrohungen

und ihren Opfern aus; sie erklärt darüber hinaus alle

praktisch maßgebIi,chen Gegensätze zwischen Lohnarb tel'

und Unternehmer, Mieter und Grundeigentümer, Bürger und

Politiker. den Regierungen von NATO, \rlarschauer Fakt-

und Dritte-WeIt-Staaten für letztlich unmaßgeblich. Das

allgemeine Subjekt "r~enschheit" ist das Resultat einer

Abstraktion, die bestreitet, was sie zusammenzufassen vor­

gibt, nämlich die Gegensätze, welche die Individuen als Arbei­

ter, Steuerzahler, Soldat, Staatsbürger, Unternehmer, Po­

litiker usw. praktisch bestimmen. Stattclessen post,"liert

diese Kategorie eine universelle Gemeinschaft. die r.ur

als ideelle existiert. In deren Bestimm:ng zitier Bahro

eine Reihe von wirklichen Gegensätzen, l:.m sie als durch

die ideelle Identität gegenstandslos ger::achte hinzu teI-

len: die r·lenschheit soll bestehen aus der dentität "al-

ler r,lenschen aller Kontinente, aller Hautfarben und aller "01lc.,,97) sozialen Klassen und Schichten dieser Erde, als ein v •

Page 127: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

2')1

Darin erweist sich der Idealismus der Nenschheit als eine

Kategorie der Ver S ö b nun g im wahrsten Sinne des

Wortes. Denn Bahro weiß um die Existenz der nationalen

und internationalen Gegensätze. Er führt sie sogar expli-

zit an als Beweise für die NotwendigkeIt nicht ihrer

praktischen Besei tigung, sondern ihrer i d e eIl e n

Auf heb u n g in einem "historischen Kompromiß auf

brei tester Basis ,,98) :

"Ich denke, man muß aus unserem Herangehen an die so­zlale Frage, an den inneren Klassenkampf, das altesta­mentarlsche Auge-um-Auge, Zahn-um-Zahn ausklammern ... D1e Art und vleise, in der die inneren Klassenwider­sprüche hier funktionieren und ausgetragen werden, ist untre?nbar von dieser neuen Weltsituation. Widersprü­che muss~n ausgetragen werden, nach wie vor. Aber man muß. den l~odus und die neu überdenken. t4an muß 1n Zukunft im Gegner au olitisch wie innenpolitisch lmmer auch den Partner s . Man muß sich nicht we-nlger, sondern noch mehr auf ihn einlassen, man muß noch mehr mit ihm kämpfen ... Und man muß sich zu die­ser Auseinandersetzung auch zusammensetzen nämJ ich an einen Tisch; weil tatsächlich mi t all en' um eine Neuformuli der Probleme, um die es in unserer Ge-sellschaft , gerungen werden muß." 99)

In theoretischer Hinsicht beinhaltet die Substitution des

"Proletariatsbegriffs" durch den Begriff der "t,lenschheit"

di e AbI ösung der pol i tök on omi sehen Kl as s enanaly se zugun­

sten einer Theorie von den gesellschaftlichen "Blöcken';.

Der Klassen gegensatz von Lotmarbeit und Kapital

wird aufgelöst in einen durch den ideellen Bezugspunkt

des enschhei tsinteresses konstrui erten Du al i s mus

bestehend aus dem "Block der Beharrungskräfte" Gwf der

einen und dem "reformatorischen Block,,100) auf der ande­

ren Seite. In praktischer Hinsicht ist der "Abschied von

unserem Proletariatsbegriff" gleichbedeutend mit der Ver­

pflichtung, nicht mehr das K 1 ass e n interesse ge gen

kapitalistische Gesellschaft und bürgerlichen Staat in An­

schlag zu bringen, sondern ein Ga t tun g sinteresse

für die "Rettung unserer Zivilisation ,,101) zu mobili-

sieren:

l1Kurzum - wir müssen versuchen, all in einer Be-zusammenzufUhren, was in die Ric un eres

Zi s strebt, diese Zivilisahon und die tz.i·jili-sati on überhaupt zu retten ... " 1 02)

"Wir streben aus innerer wie aus äu[3erer Notwendi gefahr, die wi.r sehen, Komprorniß auf breitester len Kräften. die die unserer Zivilisation samt Viollen." 103)

J.JotViendigkei t unserer Z1.81e eit der realen Katastrophen-rechtzeitj his orischen

Basis an, d. Zv/i ehen 0,1-und Höherentwicklung

tzivilisation insge-

Man sieht, die Einführung der Kategorie des nG in-

teresses als grundlegender Bezugspunkt" de::: theor tischen

Analyse un praktischen Strategie verkehrt Inhalt und Zweck

marxistischer Kapitalismuskritik in ihr Gegenteil: Die po­

li tök on omi. sc he Bes timmung von Lohnarb ei ter, Kapi tali s t

und Staatsagent als gegensätzliche "Charaktermasken" der

kapitalistischen Verhältnisse wird aufgelöst in di.e keine

Gegensätze mehr kennende philosophische Abstraktion des

Universalsub jekts ~lensc hhei t; die "rücksichtslose Kritik

alles Bestehenden,,10~) ist ersetzt durch die konstruktive

Sorge um den Erhalt der (in die Kulturkategorie der "Zi , 0')

vilisation" überhöhten) bürgerlichen Verhältnisse! ) ;

und die praktische Kritik der objektiven gesel.lschaftli­

ehen Ver häl tni s s e wir d tr ans f ormi ert in ei n Pr ogr amm zur

Veränderung des Menschen:

"Die ökologische Krise ist unlösbar ohne Fortschritt in der menschlichen Emanzipation hier und jetzt, auch unter den Bedingungen, wo der Kapitalismus noch exi­stiert; sie ist unlösbar ohne die Erhebung zahlloser Individuen über ihre bloß unmittelbaren und kompensa­torischen Interessen ... Das bedeutet die Notwendigkeit einer psychologischen Revolution, also der Schaffung ihrer sozialen und ideologischen Voraussetzungen. Ich habe andernorts' schon zitiert: 'Ihr sollt Euch nicht Schätze sammeln auf Erden!'" 1 06)

Der von Bahro erhobene "kategorische Imperativ,,1 07), der

r~ensch solle zuallererst sie h anstelle der gesell-

schaftlichen Verhältnisse ändern, ist die immanente Kon­

sequenz einer Kapitalismuskritik, die sich der Kategorien

Page 128: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

253

der "f.lenschheit" und des "Gattungsinteresses" bedient.

Denn beide Kategorien bezeichnen keine realen Bestim­

mungen der gesellschaftlichen Individuen, werden aber zu­

gleich als die sie eigentlich und wesentU.ch charakteri­

sierenden Besti.mmungen behauptet. Das "Gattungsinteres-'

se" der "f.lenschheit" ist kein Ist-, sondern ein Sol

lensurteil, so daß mit ihm zugleich an jeden ei.n-

zelnen Menschen die Forderung gestellt ist, sich darauf-­

hin zu überprüfen, ob er in seiner realen Lebenspraxis

den idealen Menschheitsbestimmungen gerecht wird. Arbei­

ter, Angestellte und Unternehmer, CDU-, SPD- und DKP­

Mitglieder, deutsche, amerikanische und sowjetische

Staatsbürger sollen sich s el b s tkritisch auf die ih-

nen als Menschen eigentlich zukommende ideelle Gemein­

schaftlichkeit besinnen und ihre materiellen Klassenin­

teressen am antimaterialistischen Ideal des "Gattungsin­

teresses" relativieren1(8

):

"Die Gattung kann und wird ihre materielle Basis wei­ter qualifizieren, aber sie muß um ihres Fortbestands willen mit dem Größenwahn brechen ... Ich halte hier sogar den Ausdruck Demut für angebracht." 1(9)

"Offenbar gibt es einen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen der GrÖße der Gefahr und der r'lobilisierung des menschlichen Antriebs. Es ist eine Menschheits­erfahrung: Immer wenn für ein Zeitalter die Flammen­schrift an der \1and erscheint, ereignet sich auch ein Aufbruch. Die Wel t verändern aus einem Glauben. Auch Marx hat einen gehabt." 110)

Das Programm des r,larxismus, früher von Bahro als Durch­

setzung des Ideals der "allgemeinen Emanzipation des /.1en­

schenl/111 ) gegen die Welt gedacht, findet seine zeitge­

mäße Fortentwicklung in dem Ideal der Erneuerung der \Velt

durch die Idee. Die fromme Glei.chung, eine andere mo-

ra ische Stellung zu den kapitalistischen Ge-

gensätzen wäre gleichbedeutend mit deren Beseiti

gung, ist das Fundament, von dem aus Bahro die christ-

lichen Tugenden des Antimaterialismus und der Unterwer­

fung - "Maßhalten im Genießen,,112), Verzicht auf das

254

.. 11 J) "Schatzesammeln" , "im Gegner den P h

,,114) artnerse.en ,

"Demc:t" und "Glaube" - als den Schritt zur Emanzipa­

tion der Individuen von Unterdrückung, Gewalt und Krieg

postuliert. "Krise des Marxismus", "Abschied von unserem

Proletariatsbegriff" und Einwendung zur 14enschheit als

dem weltverändernden Subjekt bezeichnen so die "katego­

rischen Imperative", die einer moralphilosophischen und

antimaterialistischen Betrachtungsweise der bürgerli.chen

Verhältnisse anstelle ihrer materialistischen Anal.yse

und Kritik den Weg weisen.

Page 129: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

~-'----------------------'

2

Marxistische Theori in den SOer Jahren - methodische

Anweisungen und Perspektiven

!!Abschied vom Proletartat ll ist ein Synonym für die

Enttäuschung der in die Arbeiterklasse gesetzten Erwar­

tungen. Er bezeichnet keine trKrise" des wirklichen Pro­

letariats, sondern Probleme mit "unserem Proletariatsbe­

griff". Die von Gorz. Bahro, der Zeitschrift "Probleme

des Klassenkampfs!! und anderen ausgerufene "Krise des fJIar­

xismus" iE:t, wie gesehen, gleichbedeutend mit der Demon-

tage und Aktualis erung der eigenen Theorie in der ob-

jektiven Form der Widerlegung des Marxismus. Die ma-

terialen Fortschritte marxistischer Kapitalismuskri-

tik, die Substitution früherer Illusionen durch neue Ide­

alismen, sind anhand der Schriften von Gorz und Bahro

dargestellt worden. Abschließend sollen die methodi-

s ehe n Anweisungen betrachtet werden. die der "Krise

des Marxismus" entnommen und als Richtlinien materiali­

stischer Theorie in den 80er Jahren postuliert werden.

Die die "Krise des r~arxi.smus" begleitenden und ihr nach­

folgenden methodischen Reflexionen bestehen zunächst ein-

mal darin, die f r eie Entscheidung von Gorz, Bahro

und anderen, das Proletariat als eine Kategorie ihrer

Theorie- und Strategiebildung zu "verabschieden", als

not wen d i g e Reaktion auf die Entwicklung der Reali-

tät zu interpretieren:

"Es hat sich gezeigt, daß Bewegungsmechanismus und Entwicklungsdynamik des Kapitalismus eine quasi na­turwüchsige Ausbildung sozialistischer Formen nach­drücklich verhindern ... Strikt materialistisch ge­sehen: Wie und woraus sollen revolutionäres Bewußt­sein, revolutionäre Perspektiven und ein revolutio­näres (nicht nur revoltierendes) Subjekt entstehen. wenn dem kein materielles Substrat in den gesell­schaftlichen Produktions- und Verkehrsformen ent­spricht, wenn die herrschenden gesellschaftlichen Mechanismen die Entfaltung einer derartigen 'Alterna­tive' gerade unterbinden'?" 115)

256

Während der Phase der Rekonstruktion der Marxschen Theo­

rie wurde der Marxismus als überlegener "Ausdruck" der

Produktionsverhäl tnisse, höchstes "Produkt" der Arbei ter-­

bewegung und notwendiger "Heflex" des Klassenkampfs in­

terpretiert.116

) Die ehemalige Gleichung, den eigenen

Vorstellungen vom "revolutionären Subjekt" entspräche

ein "materielles Substrat in den gesellschaftlichen Pro­

duktions- und Verkehrsformen", gilt Hirsch nach der De­

batte um die "Krise des I:larxismus" als Ungleichung. näm­

lich als illusionäre Annahme eines "revolutionären Sub-

;jekts", dem k ein "materielles Substrat" entspricht.

Ex post wird der frühere "Realismus", der im l~arxj_smus

den adäquaten "Ausdruck" der kapitalistisch'en \'iidersprü­

ehe sah, als Idealismus kritisiert und umgekehrt der "Ab­

schied vom Proletariat" als "Realismus" legitimiert. Die­

ser "Vergangenheitsbewältigung" folgt in einem zweiten

Schritt die Diskussion der notwendigen methodischen Grund-

sätze zukünftiger marxistischer Theoriebildung.

Die Fragen. wie materialistische Theorie vorzugehen ha­

be, damit sie wieder zum adäquaten "Ausdruck" der ge­

sellschaftlichen Produktions- und Verkehrsformen werde,

welcher Kategorien sie sich zu entledigen bzw. zu bedie­

nen habe. um in Zukunft "realistisch" verfahren zu kön­

nen, und welchen Interessen sie um ihres kritischen Ge­

halts willen Rechnung tragen solle. sind das Thema der

zum Abschluß zu untersuchenden Beiträge von Michael Th.

Greven, Joachim Hirsch und Wolfgang Fritz Haug zur "Kri­

se des Marxismus".

a) Der "Konservatismusbegriff" als neue "Strukturkatego­

rie" materialistischer Theorie (rhchael Th. Greven)

Auf einem Symposium über "Konservativismus und Neokonser­

vativismus in komparativer Sicht" in Frankfurt am Main

im März 1982 haben sich Repräsentanten kritischer Wissen-

Page 130: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

r---.. - .... --... - .. -.-.-.... -..

257

schaft in der Bundesrepublik (unter anderem Agnoli. Ha­

bermas. Hennig. Negt und A. Schmidt) mit der "Tendenz­

wende" auseinandergesetzt. Den Erfolg konservativer Theo­

rie interpretiert Michael Th. Greven in dem dort vorge­

tragenen Referat 117 ) in derselben Weise. in der Hirsch

den ~Hßerfolg marxistischer Theorie deutet. namlich als

"Ausdruck" des heutigen Zustandes der gesellschaftlichen

Realität selbst:

"Wo sich :in der wirkU.chen geschichtlichen Situation der Gegenwart die offenkundigen Widersprüche und Kon­flikte eben nicht zur wirklichen Bewegung über den gegebenen Zustand hinaus verdichten. da kann Geschichts­theorie. die das angemessen reflektiert. gar nicht an­ders,als konservativ sein." 118)

Den Idealen und Zukunftserwartungen kritischer und mar­

xistischer Theorie attestiert Greven in der Vergangen­

heit Berechtigung als theoretische Ausdrücke der sich

"zur wirklichen Bewegung über den gegebenen Zustand hin­

aus" verdichtenden realen Widersprüche. Umgekehrt beur­

teilt er die gegenwärtige Abkehr von den früheren lin­

ken Fortschrittserwartungen als Notwendigkeit der "wirk­

lichen geschichtlichen Situation der Gegenwart". die es

ni.cht mehr erlaube. "anders als konservativ" zu sein. Die

von Greven vorgenommene Sichtung der affirmativen Fort­

schritte als Schritte. welche die "geschichtliche Situa-

ion der Gegenwart" der Kapitali.smuskritik vorschreibe.

verdankt sich allerdings einem Quidproquo. Denn so sehr

es zutrifft. daß Menschen gegen ihren Willen zu prakti­

schen und ihrem Interesse widerstreitenden Handlungen ge­

nötigt werden können. so wenig sind Wissenschaftler wie

Altvater. Gorz oder Bahro zum "Abschied vom Proletariat"

oder zu "konservativer" Reflexion gezwungen. Kenntnis,

nicht Zustimmung. ist der immanente Anspruch des wissen­

schaftlichen Denkens. Wenn umgekehrt die Erkenntnis und

Darstellung einer Sache gleichbedeutend mit der Anerken­

nung von ihr und dem Verständnis für sie wird. dann ist

258

dafür neben der Existenz der Sache das erkenntnisleiten­

de Interesse des Wissenschaftlers unterstellt. seinen

Gegenstand einer affirmativen Sichtweise zu subsumieren.

Letzteres allerdings begreift Greven nicht als einen Ge-

gensatz zur Wissenschaft. sondern als die von dem realen

"Ende der Geschichte,,119) der zeitgemäßen Wissenschaft

oktroyierte "angemessene" Betrachtungsweise. Und umge­

kehrt interpretiert er die Fortschritte der Kapitalis­

muskritik hin zu einer desillusionierten Einstellung zur

gesellschaftlichen Realität als die positive Bestimmung

und objektive Eigenschaft dieser Realität selbst:

"Der ursprünglich utopische Begriff. der mit der Vor­stellung eines Endes der Geschichte. dem 'Ende der Vorgeschichte' wie Marx sagte. verbunden war. ist da­mlt als Kategorie zur Bezeichnung der Gegenwart hi­storlsch.elngeholt worden. In dem Sinne, daß ihr nichts qualltatlv Neues mehr folgen wird. das wir uns den-ken oder vorstellen könnten, ist jede Utopie in die Geschlchte der Gegenwart eingebracht. Geschichte selbst. als ein Begriff, der ein Ende zu denken ver­mag. als Kategorie preisgegeben. Ginge es danach. wür­de es lmmer wo weitergehen." 120)

Wir k li c he Gegenstände. die Ökonomie. der Klassen-­

gegensatz. das Proletariat oder der demokratische Staat.

kommen in der von Greven gegebenen Zustandsbeschreibung

der bürgerlichen Welt nicht mehr vor. Das "Ende der Ge­

schichte". die Geschichte "als ein Begriff". die "Ent­

wicklung zur totalen Integration,,121). der "Übergang zur

verwalteten Welt,,122), die "Zukunfts- und Subjektlosig­

keit der gegenwärtigen Gesellschaft,,123) und die "Gegen-wa t I V h" . ,,124) ras er angnls bezeichnen keine realen Sach-

verhalte. sondern sind Synonyme für einen vorgestel ten

Gesellschaftszustand, dem "nichts qualitativ Neues mehr

folgen wird". Die Aussage, nichts ginge mehr, ist kein

objektives Urteil tiber die gesellschaft iche Realität.

sondern entspringt einer enttäuschten subjektiven Hoff­

nung, die man auf die gesellschaftliche Entwicklung setz­

te. War man Ende der 60er Jahre mit dem Impetus angetre-

Page 131: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

~--_._-_._-_ .. "--_._ .. _. __ . __ ._----------------------------

259

ten, die bürgerlichen Verhältnisse zu ver ä n der n ,

und berief man sich dabei auf das Proletariat als "hi­

storisches Subjekt", so konstatiert man an der ~lende zu

den 80er Jahren desillusioniert, die gesellschaftliche

Wirklichkeit verunmögliche ihre utopische Deutung und

erlaube nicht mehr, sie mit dem Ideal einer ihr innewoh-

nenden Zukunftsperspektive zu i n t e r p r e t i e ren :

"Der praktische Anspruch der Theorie bleibt ohne hi­storisches Subjekt konsequenz- und perspektivlos ... Die Kritik wird. ohne sich je affirmativ zum Beste­henden verhalten zu können. gleichwohl fest ans Ge­wordene und Bestehende gebunden. Darin liegt ihr kon­servatives Moment." 125)

Daß theoretische Kritik. die auf Revolutionierung der

bürgerlichen Verhältnisse dringt. p r akt i s c h zur

Wirkungslosigkeit verurteilt ist. wenn sie nicht von den

Subjekten angeeignet wird. die allein über die Macht zur

Veränderung verfügen, ist ein zutreffendes Urteil. Daß

sie dadurch auch t h e 0 r e ti s c h fest an das "Beste­

hende gebunden" und dieses darüber hinaus "ihr konserva­

tives Moment" würde, ist eine unzutreffende Schlußfolge­

rung. Denn die sachlichen Urteile einer theoretischen

Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse werden durch

den praktischen Mißerfolg, der ihr beschieden ist, weder

in ihrer Stimmigkeit tangiert noch konservativ modifi­

ziert. Umgekehrt: wenn die gesellschaftlichen Umstände,

unter denen eine Theorie existiert, ihrer Kritik ein

"konservatives Moment" beifügen sollen, dann unterstellt

das die Existenz eines theoretischen Opportunismus, der

die Inhalte der Theorie an eben diese gesellschaftlichen

Umstände akkommodiert. Allein dadurch kommt die von Gre-

ven konstatierte K 0 n ver gen z von kritischer und

konservativer Theorie zustande:

"Im geschichts- und gesellschaftstheoretischen Kon­text stellt sich angesichts der Diagnose, die die 'Dialektik der Aufklärung' und die 'Schwelle der Zei­ten' gemeinsam über die Zukunfts- und Subjektlosig-

260

keit der gegenwärtigen Gesellschaft abgeben, die Fra­ge, ob nicht traditionell 'linke' und 'rechte' Maß­stäbe gleichermaßen ihre perspektivische Relativität preisgegeben haben und im Gestus der Beschwörung der Gegenwart als Verhängnis endgültig konvergieren. Die perennierende Polemik zwischen ihnen wäre damit Ab­glanz einer wohl vergangenen Phase der Geschichte, als den wechselseitigen Suadas 'linker' und 'rechter' Geschichtsphilosophen noch die objektive Dialektik des Klassenkampfes in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, damit auch die Möglichkeit von deren Aufhebung in einer anderen Zukunft, entsprach." 126)

Die Konvergenz "linker" und "rechter" Gesellschaftswis­

senschaft - Greven zufolge eine naturwüchsige Konsequenz

der aktuellen Unmöglichkeit zur Aufhebung bürgerlicher

Verhältnisse - besteht allerdings nicht darin, daß sich

beide gleichsam auf 'neutraler Mitte' treffen, sondern

linke Theorie in der kulturpessimistischen Einschätzung

der "Gegenwart als Verhängnj.s" die r~aßstäbe konservati­

ver Wissenschaft als auch für sich methodisch maßgebli­

che Orientierung übernimmt:

"Der Konservatismusbegriff ... löst sich von seinem sozialgeschichtlichen Entstehungskontext ebenso wie von der damit verbundenen sozialen und interessenbe­dingten Basis und wird zur Strukturkategorie, in der der historisch neuartige Verlust der transzendieren­den Zukunftsperspektive ebenso wie der sie tragen­den sozialen und politischen Bewegung begriffen wird. Ausdruck einer historischen Situation, in der mit der zentralen Kategorie des 'Fortschritts' Zukunft le­diglich der Gegenwart immanent noch gedacht zu wer­den vermag, als deren Verlängerung und Wandel." 127)

Die steigende öffentliche Reputation konservativer Wis­

senschaft in der Bundesrepublik nimmt Greven zum Anlaß,

den von dieser verwendeten methodischen Instrumentarien,

Begriffen und Kategorien

zuerkennen, weil ihnen

S t ru k t ure ha r akt e r zu­

um mit Hirsch zu sprechen - ein

"materielles Substrat" entspreche. Kritisierte linke Theo­

rie früher die Begrifflichkeiten konservativer Wissen­

schaft als I deo log i e, so läßt s:Le ihnen jetzt die

Anerkennung zuteil werden, adäquater "Ausdruck"

Page 132: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

---------------------------------------- -----,-----

261

der historischen Situation zu sein.

Damit ist der Kreis nach 15 Jahren Rekonstruktion der

Marxschen Theorie geschlossen. Postulierten auf dem

1967 veranstalteten Frankfurter Kolloquium "Kritik der .. 00 J h 'K ·t 1,,,128) politischen Okonomie heute - 1 a re apl a

die Repräsentanten kritischer linker Wissenschaft die

r4arxsche Kapi talismuskri tik als den "bürgerlicher" Theo­

rie überlegenen "Ausdruck" der gesellschaftlichen Wi­

dersprüche, so macht die Mehrzahl der Teilnehmer am

Frankfurter Symposium über "Konservativismus und Neo­

konservativismus in komparativer Sicht" 1982 umgekehrt

ernst mit dem methodischen Leitgedanken der damaligen

Marxismusrekonstruktion: Sie erkennen den konservativen

Urteilen "bürgerlicher "Wissenschaft dj.e Berechtigung

zu, adäquate "Ausdrücke" der "wirklichen r;eschichtlichen

Situation der Gegenwart" darzustellen.

b) Plädoyer für die Fortentwicklung marxistischer Theorie

zu "plebejischem Wissen" (Joachim Hirsch)

Während Greven für die Aktualisierung materialistischer

Wissenschaft durch die Integration von "Strukturkatego­

rien" konservativer Theoriebildung plä­

diert, postuliert Hirsch als aktuelles Erfordernis mar­

xistischer Theorie ihre Fortentwicklung zu einem die Er­

fahrungen der Individuen integrierenden " pIe b e -

j i s c h e n W iss e n" . 129) Die Notwendigkeit einer

solchen prinZipiellen Umorientierung der Marxschen Theo­

rie stellt Hirsch als Schlußfolgerung aus der "Krise des

r~arxismus" vor:

"Viel bedeutsamer als an vielleicht korrekturbedürf­tigen Einzelaussagen (des Marxismus, d. Verf.) ist indessen die Kritik an einer spezifischen Struktur von Theorie .,. - Theorie als im Rahmen herrschaftli­cher Arbeitsteilung formulierte Auskunft über Sub-

262

jekte und deren Handeln, als Feststellung von mäßigkeiten und objektiven Zusammenhängen von als katalogisierende Typisierung und Ordnung, kurz: als Produktion von Wissen über gesellschaftliche In­dividuen, das diese verfügbar macht und das wenig zu tun hat mit praktischem Wissen der Handelnden von und über sich selbst. Diese Wissensform, die im Kern den 'bürgerlichen' Charakter von Wissenschaft ausmacht, prägt in eigentümlicher Weise und gegen ihren auch wesentliche Teile der sich auf Marx Theorie. Das beginnt in bestimmter Weise schon bei Marx selbst, dessen ökonomisches Spätwerk ... sich als 'Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft' auf die Analyse objektiver gesellschaftlicher Strukturzusam­menhänge und Bewegungsgesetze konzentriert." 130)

Mit dem Vorwurf an die Marxsche Theorie, ihre Argumente,

Urteile und Begriffe seien Auskünfte übe r Subjekte,

hat Hirsch entgegen seinem Selbstbewußtsein nicht den

"bürgerlichen Charakter" marxistischer \hssenschaft of-

fengelegt. Er hat vielmehr dem formellen Prin-

z i P von Wissenschaft schlechthin eine Absage erteilt,

welches darin besteht, daß das denkende Subjekt sj.ch ein

Erkenntnisobjekt gegenüberstellt und "von aUßen,,13 1 ) er-

kennt. In Ausgangspunkt und Inhalt

entdeckt Hirsch die zu kritisierende

Struktur" der Marxschen Theorie:

e der Erkenntnis

" s p e z i fis c h e

"In diesem Sinne ist Foucault beizupflichten, wenn er am 'Marxismus' vor allem kritisiert, daß er beansprucht, 'Wissenschaft' zu sein." 132)

Den formellen Gegensatz von erkenriendem Subjekt und zu

erkennendem Objekt hypostasiert Hirsch zur Unterdrückung

des Subjekts. Ihm gilt die von bürgerlicher Wissenschaft

und Marxismus gleichermaßen betriebene "Produktion von

Wissen übe r gesellschaftliche Individuen" ungeachtet

des sachlichen Gehalts ihrer jeweiligen Urteile als Herr-

schaftswissen, das die Subjekte "verfügbar l1 mache.

Die übersteigerte praktische Bedeutung, die Hirsch einer

bürgerlichen Wissenschaft beimißt, welche ihren verant­

wortlichen Beitrag für den Fortbestand der bürgerlichen

Verhältnisse dadurch leistet, daß sie den staatlich ab-

Page 133: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

263

gesicherten "stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse",

der die Individuen "verfügbar macht", mit dem Schein

der Begründetheit und Naturnotwendigkeit versieht, ist

der Auftakt dazu, die eigene Forderung nach einer dem

"praktj.schen Wissen der Handelnden" verpflichteten "ple­

bejischen" lVissensehaft als Gebot der Humanität darzustel­

len: Nur die methodische Umorientierung des Marxismus kön-

ne davor bewahren, die

Befreiung kämpfenden

entsubjektivieren,,1

um "ihre Selbstverwirklichung und

seIlschaftlichen Individuen zu

"NatürLlch ist der 'Ob.iekb.vismus' der r~arxschen Theo­rie ein Reflex auf den Objektivitätsüberhang der bür­gerlichen Gesellschaft, der die Individuen immer schon abstrakt macht, normalisiert und zurichtet, und hat darin seine nicht zu hintergehende Wahrheit. Aber das ist eben nur die eine Seite der Münze. Die andere Sei­te ist, daß die Individuen in der Objektivität der Strukturen und Verhältnisse eben nicht aufgehen daß sie Widerstand leisten, 'abweiche~trukturen' zu­gleich tragen und verändern ... Das bedeutet, daß theoretische Produktion tendenziell getrennt ist von denen, die als ihr Objekt erscheinen: was den immer wieder durchschlagenden 'Objektivismus' und die Ab­straktheit linker Theorie begünstigt. Theorie erscheint als Wissen über etwas, das den Theorieproduzenten äu­ßerlich und fremd ist ... , kaum als das Praxis-Wissen gesellschaft} ich handelnder Individuen." 134)

Die Fiktion einer Wissenschaft, die dem Subjekt Gewalt

antue, weil sie es überhaupt als "Objekt" zum Gegenstand

ihrer Betrachtung macht, verrät mit ihrer Polemik gegen

"Abstrakthei t", "Feststellung von außen", "Typisierung

und Ordnung" allein den Willen, sachliches "Wissen über

etwas" zugunsten von begriffslosem "Praxis-Wissen" zu

erse,tzen. Die von Hirsch ebenfalls übe r die Subjek-

te aufgestellte Behauptung, "in der Objektivität der Struk-

turen und Verhältnisse eben nie h t aufzugehen", ist

so auch nicht der Beginn einer Analyse der bürgerlichen

Individualität, die den realiter durchaus "normierten"

Wi len der modernen Subjektivität samt der von ihr ent­

wickelten Techniken untersucht, mit den Zwängen der bür­

gerlichen Welt zurechtzukommen. Die Subjektivität des

bürgerlichen Individuums hat bei Hirsch keinen po i iven

Inhalt, sondern allein den negativen, nie h t Ob ek-

tivität zu sein. Die Thematisierung des formellen Gegen­

satzes von Subjektivität und Objektivität jenseits ei­

nes spezifischen gesellschaftlichen Gehalts ist für Hirsch

der Auftakt zum Postulat einer Wissensform, die sich an

den unbegriffenen Erfahrungen des Alltagsverstands orien­

tieren soll:

"Wissenschaft darf sich somit nicht damit begnügen, in den Kategorien von Generalisierung. Gesetzmäßig-kei t, Normalität, Objektivität, von \Vissen über Ob­jekte zu operieren, also in Kategorien, die Herrschafts­und Verfügungswissen auszeichnen. Vielmehr hätte sie sich zu entwickeln auf der Basis dessen, was 'plebe­jisches Wissen' ausmacht: im Kontext lokaler und be­grenzter Wahrheiten, subjektiver Erfahrung, Individuali­tät. Besonderheit, von Wünschen und Phantasien, am Wis­sen der gesellschaftlichen Subjekte selber." 135)

Das Postulat, Wissensehaft künftig nicht mehr an der

"Wahrheit,,136), sondern an ihrer I.ebensnähe zu

messen, ist allerdings durch einen unmittelbaren Wider­

spruch charakterisiert. Denn es beruht darauf, di zuvor

durchaus negativ dargestellte Praxis der bürgerlichen In­

dividuen, die als bloße "Charaktermasken" und "bewußtlo­

se Agenten objektiver Prozesse,,137) handeln, ;jetzt j.n die

Verwirklichung positivster Subjektivität umzukehren. Der

praktische Alltagsverstand, der sich mit falschen Vorstel­

lungen in den Zwängen von Konkurrenz und Staat einrichtet,

wird von Hirsch zur Entfaltung von "plebejischem Wissen",

"Individuali tät", "Besonderheit", "Wünschen" und "Phan­

tasien" verklärt. Das sich unterordnende Bewußtsein fin­

det so seine Apotheose als Widerstand, und die falschen

Vorstellungen über die bürgerlichen Verhältnisse gelten

als Vorbild für materialistische Theorie138

):

"Nur so kann sie der Aufgabe gereeht werden, 'eine wis­senschaftliche Selbstver~tändigung revolutionärer Pra­xis zu ermöglichen' ." 139)

Page 134: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

265

Das sich mit falschen Vorstellungen den Notwendigkeiten

der Klassengesellschaft unterordnende praktische Handeln

der bürgerlichen Individuen wird von Hirsch zum Inbegriff

"revolutionärer Praxis" verkehrt. "Wissen

über Objekte", "Wahrheit" und Objektivität betrachtet

Hirsch umgekehrt als das Hindernis für wahrhaft ge-

seilschaftsveränderndes Handeln. Materialistische Wis­

senschaft soll nicht mehr die Kritik der früher einmal

als I deo log i e gewußten falschen Vorstellungen des

Alltagsbewußtseins beinhalten, sondern als "plebejisches

l~issen" die verkehrten Erfahrungen zum Maßstab ihrer

Theoriebildung nehmen. Das von Hirsch der "Krise des Mar­

xismus" entnommene Plädoyer fUr "plebejisches Wissen" er­

weist sich so als die methodische Anweisung an materiali­

stische Wissenschaft, die Marxsche Kapitalismuskritik

durch die Apotheose unbegriffener Praxis zu ersetzen.

c) r·larxi smus al s "Ökumene" aller denkbaren "Marxi smen"

(Wolfgang Fritz Haug)

Anl~ßlich des 100. Todestages von Karl Marx hat Wolfgang

Fritz Haug in einem Argument-Sonderband "Aktualisierung

l·larx'" zur Krise des f.larxismus Stellung genommen. 140)

Hährend Hirsch mit Beiträgen wie "Proletariat adieu,,141)

am "Ausbruch" der Krise des f-larxismus als Urheber mi twirk­

te und für einen definitiven Abschied vom wissenschaft­

lichen Sozialismus zugunsten "plebejischen Wissens" plä­

diert, interpretiert Haug ex post die Krise des Marxis-

mus als eine dem Marxismus immanente Dialektik seines Fort­

schritts. Haug zufolge sind Krisen des Marxismus so alt

wie der Marxismus selbst. Sie sollten deshalb als Tat­

sachen respektiert und als Herausforderung produktiv aus­

getragen werden:

266

"Die Analysen der bestehenden Verhältnisse und di Strategien ihrer Veränderungen sind nicht haltbarer als diese Verhältnisse selbst. Mit den historlsc~en Erfahrungen und der Entwicklung der allgemelnen w~s­senschaftlichen Denkmittel erhalten Analysen und ~tra­tegiefindung weitere Impulse zur Erneu?ru~~. Dles~r _ Entwicklungsprozeß kann nlcht anders alS wldersprueh lieh und kontrovers, mit Ris~ken belastet, zWlsc~en unterschiedlichen Optionen wahlend: verlaufen',Man

ß 'd' Prozeß 'ernen nicht nur dle elnze1ne mu auen J.esen .1. ~ ~ '. .).... • .

L h U d wir Marxisten haben dlesen Irobeß noch nlcht e re. n . 1 h 'ß n' Auf-genügend gelernt. Krise des Marxls~us. tann e~ e, .. _ .

ruf zu einem neuen Lernschub, marxlst~sche Se_bstkrl tik der vorhandenen Erkenntnisse, DenKmlttel und Ver­änderungsstrategien . In diesem Sinne g:i.bt es, "m~~0)s geben, Krisen des Marxismus, solange er lebt. L

Warum eigentlich - so ist hier einzuwenden - sollen die

theoretischen Analysen der gesellschaftlichen Verhältnis­

se sowie die aus ihnen begründeten politischen Strategien

durch die Veränderungen der existenten Verhältnisse selbst

'haltlos' werden? Denn entweder sind die bestehenden Ver-

hältnisse der bundesrepublikanischen Gesellschaft k

t . h und haben sich um dieses ihres ökono-p i tal i s 1 S c

d sel'ner E'.ffel(tivierung· willen verändert; mischen Zwecks un -

warum sollte dann ein Anlaß zur Revision der Marxschen

k . der daraus begrü~deten Klassen-Kapitalismuskriti - SOWle

kampfstrategie bestehen? Oder aber der Kapitalismus ist

den Veränderungen in der Bundesrepublik zum Opfer gefal­

len, womit sich jeder Marxismus, wissenschaftliche Sozia­

lismus oder wie immer man die wissenschaftliche Kritik

des Kapitalismus benennen mag, als im Wortsinne gegen­

standslos erübrigen würde. Haug denkt dieses Entweder­

Oder als Sowohl-AIs-auch. Der Marxismus, wie er ihn kennt.

soll sowohl durch Ver~nderung seines Gegenstandes hin-

d 1s auch theoretisch fortzuentwickeln sei~. fällig gewor en a. 0. ..,

Mit diesem Widerspruch deklariert Haug den Marxismus zu einem ge

J'edem sachlichen Urteil unabhängigen Pro­~uin methodischen, von

jekt. Die von Haug vorgenommene Diagnose der Krise s

'~arxismus resultiert denn auch nicht aus einem aus dem

d . 1 n marxistischen sachlichen Nachvollzug er elnze ne. !'Leh-

Page 135: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

,.......

267

ren" begründeten Urte:l1, i n wie f ern die in ihnen

analysierten kapitalisti ehen Gesetze keine theoreti-

sche Gültigkeit und praktische Geltung mehr beanspru-

chen dürfen. Sie verdankt sich vielmehr dem von Haug zur

Anwendung gebrachten erkenntnistheoretischen Vor u r­

te i 1, das weniger mit r,larxismus denn mit dem aus dem

bürgerlichen Methodenpluralismus her bekannten Wissen­

schaftsverständnis gemein hat, demzufolge Theorie zu­

allererst ein unabschließbarer "Prozeß" sei, weswegen

zweitens der "einzelnen J,ehre", weil nicht Prozeß, sondern

Resultat, mit pauschaler Skepsis begegnet werden müsse

und deshalb drittens Kritik vor allem die Bereitschaft

zur "Selbstkritik" bedeute. Aufgrund der von Haug a prio­

ri gesetzten prinzipiellen Unabgeschlossenheit, gesell­

schaftlichen Bedingtheit und historischen Relativität

der "vorhandenen Erkenntnisse, Denkmittel und Verände­

rungsstrategien" werden für ihn alle fa k t i s ehe n

Entwicklungen der gesellschaftlichen Verhältnisse im na­

tionalen und internationalen Maßstab zu ebensovielen

K r i sen b ewe i sen des T~arxismus:

"Krise also von Gewohnheiten, Haltungen, Erwartungen, Selbstverständlichkeiten ... Lassen wir noch einmal die großen, schwerverdaulichen Problembrocken Revue passieren: Monopolkapitalismus und imperialistische Weltkriege, Machtübernahme einer kommunistischen Par­tei in einem erst ansatzweise industriekapitalistisch entwickelten Land, Niederlage der Revolutionen im We­sten, ... neue Kräfteverhältnisse auf dem Weltmarkt, ... der totale Atomkrieg rückt in den Bereich der Möglichkeit ... ökologische Grenzen ... der American way of life (tritt) seinen Siegeszug an. Hier feiert die herrschende Ideologie des Kapitalismus ihre Trium­phe ... Die Arbeiterklasse wird zerstreut ... schwe­r'e Wirtschaftskrisen in kommunistisch regierten Län­dern ... die Militärdiktatur in Polen und die sowje­tische Intervention in Afghanistan ... das weltweite Scheitern sozialdemokratischer Politiken des Wohl­fahrtsstaats ... Arbeitslosigkeit ... Aber immer wie­der , .. flammt das revolutionäre Feuer irgendwo wie­der auf ... Die Fortschritte können in die Krise füh­ren. Die produktiv ausgetragene Krise des Marxismus kann seine nächsten Fortschritte einleiten. Aber die

260

Situation ist zunächst konfus. Das des Weltmarxismus unserer Zeit ist

Haug argumentiert nicht, er suggeriert. Einmal abgesehen

von dem Inhalt der angeführten Tatsachen, die zum einen

durch Gewalt entschiedene Niederlagen oder Erfolge prak­

tischer Interessen von kommunistischen Parteien, Kapital

oder Staat darstellen, zum anderen schon ideologisch ein­

gefärbte Fakten benennen, die wie die Rede von den 'öko­

logischen Grenzen' und der 'Zerstreuung der Arbeiterklas­

se' gemeinhin mit der Krise des Marxismus identifiziert

werden, und zum dritten auf den herrschenden Antikommu­

nismus anspielen wie die Hinweise auf Polen und Afghani­

stan, ist die r,1 e t h 0 d e des von Haug vorgenommenen

Krisenbeweises des Marxismus dem Verfahren christlicher

Weltanschauung kongenial. Wie dem gläubigen Menschen sämt­

liche weltlichen Phänomene von der Atombombe bis zur Ar­

beitslosigkeit Zeugnisse des Willens Gottes sind, so zeu­

gen dieselben Tatsachen für Haug von den Krisen des Mar­

xismus. Überzeugend ist solch ein Existenzbeweis aller­

dings alleine für denjenigen, der, wie Raug, den Stand­

punkt der Krise des Marxismus schon dogmatisch teilt. Nur

dann, dann aber schon, werden bloße Fakten zu einem Ar­

gument.

Kommen wir nun zur Erörterung der Frage, worin die oben

angesprochene produktive Austragung der Krise des Marxis­

mus bestehen soll, was Haug zufolge zu tun ist, um die

aktuelle Krise in eine historische Chance zu verwandeln.

Als ersten Schritt postuliert Haug die vorbehaltlose An­

erkennung der Krise des Marxismus als dialektisches Mo­

ment seines Fortschritts:

"Wir wollen ... unterstützen, daß die Marxiste ihre Widersprüche zur Kenntnis nehmen, statt nur ge agt in ihnen hin und her zu springen. Wir plädieren f r die Annahme der Dialektik des /'larxismus." 144)

Page 136: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

...-----"""----"-----""--------------------------------------.,..,....--------------------

269

Als zweiten und entscheidenden Schritt fordert Haug von

sämtlichen "Marxismen" die Bereitschaft zu radikaler

Selbstkritik der vorhandenen "Erkenntnisse, Denkmittel

und Veränderungsstrategien":

"Der zur Wissenschaft gewordene Sozialismus muß auch wie eine Wissenschaft behandelt werden. Ein 'Lehrgebäu­de, das einer bestimmten Zeit entstammt, unverändert festzuhalten und zur Theorie des Wissenschaftlichen Sozialismus zu erklären, geht nicht. Die ahistorisch festgehaltene Wissenschaft verendet in diesem Griff, hört auf, Wissenschaft zu sein. Der 'verewigter Stand von Einsichten und Orientierungen läßt diese eingehen in die ewigen Jagdgründe des Ideol chen. Die Wis-senschaft ist unabschließbarer Proze - wie der 'Wis­senschaft gewordne' Sozialismus. Dieser Prozeß ist not­wendig kontrovers, vielstimmig, vorangetrieben von Divergenzen, von Tendenzen, die gegeneinander selb­ständig bleiben müssen. Die Logik des wissenschaftli­chen Prozesses ist unvereinbar mit der Logik hierar­chischer Administration von einem Machtzentrum aus, unvereinbar mit der Subordination unter Logiken der polit schen Organisation. Oder wie Karl Marx es allen Sozialisten und Kommunisten ins Stammbuch geschrieben hat: 'Einen Menschen aber, der die vlissenschaft ei-nem nicht aus ihr selbst (wie irrtümlich sie immer sein mag), sondern von außen, ihr fremden, äußerlichen Interessen entlehnten Standpunkt zu akkommodieren sucht, nenne ich 'gemein'." 1 /+5)

Argumentlos bestreitet Haug alle Elemente, die einmal

Ausgangspunkt und Inhalt der auch von ihm mitgetragenen

Rekonstruktion des Marxismus waren. Dies betrifft sowohl

die Geltung der ehemals als universell überlegenes Denkver­

fahren rekonstruierten dialektischen Methode 146 ) als auch

die Gültigkeit der in der "Kritik der nolitischen Ökono­

mie" dargestellten materialen Analysen".147) All das, worin

der r~arxismus die wissenschaftliche "D ars tell u n g

des Systems" der kapitalistischen Ökonomie "und durch die

Darstellung Kr i t i k desselben,,148) wäre, wird von

Haug als der zu überwindende Mangel des wissenschaft­

lichen Sozialismus erachtet. Die von ihm zitierte Aussage

von Engels, "daß der Sozialismus, seitdem er eine Wissen­

schaft geworden, auch wie eine Wissenschaft betrieben,

d. h. studiert werden Will,,1/+9 ), nimmt Baug als Vorwand,

270

"Wissenschaft" gleich im Sinne des Anforderungskatalogs

des bürgerlichen Methodenpluralismus zu definieren. dem­

zufolge Erkenntnis nicht die "Reproduktion des Konkreten

im Weg des Denkens,,150), sondern ein "unabschließbarer

Prozeß" des Erkennens (von was eigentlich?) sei. Einmal

abgesehen von dem immanenten Widerspruch dieser Erkennt­

nisdefinj. tion, die ihre Polemik gegen den "verewigten

Stand von Einsichten und Orientierungen" ja ebenfalls als

eine "ewige" und "ahistorisch festgehaltene" Einsicht

über den allgemeinen Charakter von Wissenschaft behaup­

tet, redet Haug darin einem wissenschaftlichen Sozialis­

mus das Wort, dem man keine praktisch-pclitischen Kon­

sequenzen mehr entnehmen kann noch soll. Denn wenn der

immanente Zweck des wissenschaftlichen Sozialismus nicht

mehr die Aufklärung über die innere Natur der gesell­

schaftlichen Gegenstände, sondern der "Prozeß" des 3rken-

nens als solcher sein soll, dann kann die für eine be -

gründete gesellschaftsverändernde Praxis erforder-

liehe Sachkenntnis nicht mehr zustandekommen. Umgekehrt:

wenn Haug explizit den methodischen Selbstbezug, die per­

manente Selbstkritik und die unabschließbare Integration

der verschiedenen gegeneinander selbständig bleibenden

marxistischen "Tendenzen" als den immanenten Zweck

des "Wissenschaft gewordnen Sozialismus" postuliert, dann

soll offenbar der Marxismus auf die Sphäre selbstgenüg­

samer methodologischer Reflexionen festgelegt und be­

schränkt werden. Das von Haug geführte Plädoyer für ei-

l h f "-l' h S . 1" ,,151) nen "Projektcharakter des Vissensc a c ]"c en OZla" lsmus

ist gleichbedeutend mit der Warnung vor der 'Illusion'

marxistischer Organisationen, man könnte sich auf Wissen

verlassen und ein politisches Interesse begründet ver­

folgen. In diesem Zusammenhang zitiert Raug das Marxsche

Diktum gegen Parteilichkeit i m Denke~l als Argument für

die von ihm vorgenommene pauschale Entgegensetzung von

organi s i erter Pol i t ik und Denken. Di e von den Begrün­

dern des wissenschaftlichen Sozialismus gegenüber mora-

Page 137: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

~)71

11 eh-utopischen Weltveränderungsprogrammen hervorgeho­

bene Notwendigke ,"die wirkliche VJelt ... so aufzufas­

sen, wie sie sich selbst einem jeden gibt, der ohne vor-

faßte idealistische Schrullen an sie herantritt,,152),

we 1 die wirkliche Kenntnis der Gesetze und Bestimmungen

von kapitalistischer Ökonomie und bürgerlichem Staat die

Vor aus set z u n g und das Mit tel begründeter par­

teipolitisch organisierter Praxis sei, wird von Haug als

ein Postulat für die "Logik des wissenschaftli.chen

Prozesses" und ge gen die "Logiken der pol i tischen

Organisation" gelesen. 153 ) Und das Selbstbewußtsein einer

sieh auf Marx und Engels berufenden politischen Organisa­

tion davon, daß die Pflege eines Pluralismus von "Mar­

xismen" sowohl einen Widerspruch zur wissenschaftlichen

Analyse der kapitalistischen Verh~ltnisse darstellt als

auch eine wissenschaftlich begründete Praxis verunmög­

licht, hypostasiert Haug zur "hierarchischen Administra­

tion" und "Subordi.nation" des wissenschaftlichen Sozialis­

mus unter das "Machtzentrum" der Partei. I/Jan sieht, die

von Haug postulierte produktive Wendung der Krise des Mar­

xismus ist die Verpflichtung aller marxistischen Organi­

sationen auf die von politischer Praxis getrennte und zu

ihr in Gegensatz stehende methodologische Selbstbesch~f­

tigung mit den Voraussetzungen, Bedingungen, Wechselwir­

kungen, Instanzen, Problemen und Lösungsans~tzen des in

ein "Pro j.ekt" verwande 1 ten I~arxi smus . 1 54) Di e dabe i von

Haug angestrebte "Handlungsf~higkei teines r,larxismus von

morgen,,155) soll zum einen die pauschale Bereitschaft von

Marxisten zur selbstkritischen Annahme der prinzipiellen

Un~bgeschlossenheit und Widersprüchlichkeit ihrer Theo-

rien beinhalten, zum anderen auf der widerspruchslosen

Akzeptierung einer "marxistischen Ökumerte" der "unterschied­

lichen r4arxismen,,156) beruhen.

Abschließend bleibt noch eine Frage zu erörtern:

soll der von Haug behauptete, über di methodische

petenz hinausgehende Beitrag des soziali ischen

jekts zur praktisch-pol tischen Handlungsfähigkei be

stehen? Oder, anders formuliert: Was ist nun Haug zu:

ge der Marxismus seiner sachlich-kritischen Seite pacll

Worin soll die zeitgemäße Praxisrelevanz des Marxismus

bestehen, für die Haug plädiert?

"Wir pl für die Annahme der alektj.k :a.T-xismus. , von dem aus diese möglich ist: befindet Lehrgeb~ude, sondern im i-en, im der Exi tenznrobl welche chhelt zu' einer Uberlcbensfrage machen. Diese Notwendigkeiten haben sj.ch im eich zur Zeit von Marx verschärft, die Akzente . Die Fortexistenz des ebenso an ur-chischen wie ausbeuterischen kapitalistischen We systems bedroht die ~enschhei mit Weltwirtschafts-krisen, aber auch während der Konj en mit wachsender Verelendung großer Teile der ltbevöl

dazu mit omkrieg und Ökologischer Zerstörung. ökonomischen Not, zur Kri und zum

allmählichen der Flut der Itzerstö gesellt sich turelle Not. Aber diese eme und ihre ichen Lösungen sind miteinander vernetzt. Die er Fragen ist die nach der Vergesellschaf-

I!\vissenschaftlicher Sozialismus - das ist das borene Problem der Artikulation der Kräfte der der Wissenschaft und der Kultur in der Perspektiv ihrer solidarischen Vergesellschaftung und einer e-stal ihres Verhältnisses zur Natur in einer Weise, die igen Generationen einen bewohnbaren Planeten hinterliLlt." 15(3)

Wissenschaftlicher Sozialismus ist hier zum Generalt tel

für sämtliche möglichen Lösungen geworden, die sich um

die U bel' 1 e ben s fra end e l' e n eh he i t sor-

gen. Wie schon für Bahr01

) sind auch für Haug die für

die Mehrzahl der Individuen ruinösen l/iirkungen des "aus­

beuterischen kapitalistjschen Weltsystems" ökonomi ehe

Not und wachsendes Elend fUr große Teile der Weltbevölke­

rung, die Gefahr eines Atomkrieges und extensive Umwelt-

zerstörung Argumente für die längst Uberf~llige Sub-

Page 138: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

273

stituierung der Klassen durch die Menschheitsfrage. Wis­

senschaftlicher Sozialismus soll nicht mehr die theoreti-

sehe und praktische Kritik des kapitalistischen

"Reichs der Notwendigkeit" bezwecken, sondern das "Reich

der Notwendigkeit" gleichermaßen als Chance und Verpflich-

tung zur s idarischen S 0 r g e aller gesellschaftlichen

Kräfte um den Erhalt eines "bewohnbaren Planeten" begrei­

fen. Der von Haug eingenommene Standpunkt der Menschheit

ist nicht nur kritisch gegen jede Äußerung eines prole­

tarischen Klasseninteresses - dies gilt ihm als unsolida­

rischer, weil sich nicht um das "Ganze" sorgender "Ökono­

mismus" und "Klassenreduktionismus".160) Er tritt darüber

hinaus polemisch gegen eine Praxis auf, die "Sachzwänge"

nicht affirmiert, sondern kritisiert. So wird aus der

Marxschen Kapitalismuskritik, die einmal Marx zufolge die

"rücksichtslose Kritik" des "stummen Zwangs der ökonomi­

schen Verhältnisse" und ihrer politischen Absicherung sein

sollte, das Gebot eines "plurizentrischen Marxismus,,161),

der die kapitalistischen Bereiche der Ökonomie und Politik

"in ihrer je spezifischen Eigengesetzlichkeit zu

s p e k t i e ren" 162) habe.

re -

d) Zusammenfassung

Die oben dargestellten methodischen Reflexionen von Greven,

Hirsch und Haug über die Perspektiven materialistischer

Theorie in den SOer Jahren bezeichnen drei exemplarische

Reaktionen auf die Krise des Marxismus. Greven entnimmt

ihr die Anweisung, daß materialistische Wissenschaft, in­

sofern sie ihre traditionellen linken Ideale, Werte und

Zukunfts erwartungen als methodische Leitlinien der Theo­

riefindung relativiere und k 0 n s e r va ti v e n Struk­

turkategorien und Begrifflichkeiten Berechtigung zuerken-

ne, sich als anerkannte Wissenschaft erhalten

könne. Hirsch interpretiert die Krise des Marxismus als

Argument, das W iss e n s c h a f t 1 ich e der !'larxschen

Theorie zu eliminieren: die materialistische Wissen-

schaft bewahre sich als m a t e r i a I ist i s ehe ge·~

rade, indem sie sich von den unbegriffenen Erfahrungen

des Alltagsbewußtseins leiten lasse. Sowohl das Plädoyer

für den "Konservatismusbegriff" als neue "Strukturkate­

gorie" als auch das Postulat "plebejischen \Vissens" wei­

sen marxistischer Theorie und Praxis die Perspektive der

Akkommodation an akademischen Zeitgeist und Common Sense,

die doch einst von ihr als Ideologie gewußt waren und der

Kritik unterzogen werden sollten. Und Haug nimmt gegen­

über den Positionen von Greven und Hirsch sowie sämtli­

chen anderen realen oder denkbaren methodischen Ansätzen

den Standpunkt des ideellen Gesamtmethodologen ein, der

"eine produktive Konvergenz auch in der Divergenz der

unterschiedlichen !-larxismen,,163) einzuleiten bemüht ist.

Als "marxistische Ökumene" wäre der Erfolg des r~arxismus

in den SOer Jahren tatsächlich per se garantiert, eben

weil es ihm dann auf nichts anderes mehr praktisch an­

käme als auf das bloße Stattfinden des "unabschließbaren

Prozesses" breit angelegten methodologischen Diskutierens.

Page 139: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

275

Anmerkungen: Die Demontage der rekonstruierten Marxschen

Theorie - die Krise des Marxismus

1) Altvater u. a., Zur Entwicklung des Kapitalismus in Westdeutschland, in: Handbuch 1, S. 268

2) Hedaktion "Prokla", Editorial: Was heißt Krise des Marxismus?, in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 36, 1979, S. 6

3) a.a.O., S. 1

4) a.a.O.

5) Frieder o. Wolf, Auflösung oder Erneuerung des Marxis­mus?, in: Probleme des Klassenka~pfs Nr. 36, 1979, S. 25

6) Redaktion "Prokla", Editorial, S. 6 7) Bernhard Blanke/Gert Schäfer, Krise der Linken - Kri-

se des Marxismus, in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 36, 1979, S. 35 f

8) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 290

9) Redaktion "Prokla", Editorial: Probleme mit dem Klas­senkampf - Marxistische Theorie und soziale Bewegung, in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 43, 1981, S. 1

10) Redaktionsgruppe "Sozialistische Konferenz", Der herr­schende Block - und die Alternativen der Linken, in: Materialien zur Sozialistischen Konferenz, Bd. 3, Hannover 1980, S. 21

11) Hirsch, Der Sicherheitsstaat, S. 132

12) a.a.O. 13) Frieder O. Wolf, Auflösung oder Erneuerung des Marxis­

mus?, S. 34 14) Redaktionsgruppe "Sozialistische Konferenz", Der herr­

schende Block, S. 21

15) Bernhard Blanke, Krise der Linken - Krise des Marxis­mus, in: Die Linke im Rechtsstaat - Bedingungen so­zialistischer Politik 1965 bis heute, Bd. 2, hrsg. von Blanke/Delius/Fichter/Kadritzke/Rabehl/Schmidt/ Tornow, Berlin (West) 1979, S. 255 ,

16) Blanke/Schäfer, Krise der Linken - Krise des Marxis-mus, S. 44

17) Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassi­schen deutschen Philosophie, in: MEW 21, Berlin (Ost) 1973, S. 292

18) Rudolf Bahro, Abschied vom Kapitalismus - Abschied von unserem Proletariatsbegriff, in: Bahro, Elemente einer

276

neuen Politik - Zum Verhältnis von Ökologie und So­zialismus, Berlin (West) 1930, S. 77

19) Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 596

20) a.a.O., S. 562

21) Marx, Das Elend der Philosophie, in: MEW 4, Berlin (Ost) 1972, S. 181

22) Siehe hierzu programmatische Stellungnah~en schon in den "Frühschriften" wie die folgende:

"Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertig­werden für alle Zeiten nicht unsere Sache so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbrin­gen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, daß die Kritik sich nicht vor ihren Hesul­taten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mi t den vorhaYldenen tfJächten." (l-larx, Briefe aus den "Deutsch·-Französischen Jahrbüchern", in: MEW 1, Berlin (Ost) 1974, S. 344)

Siehe ebenso die späteren Artikel und Aufsätze, in denen Marx kontinuierlich unter aYlderem iie Konkur-renz der Lohnarbeiter kritisiert (Marx, Lohnarbeit und Kapital, in: MEW 6, S. 420 ff), falsche prole­tarische Vorstellungen über den Nutzen florierenden Wirtschaftswachstums widerlegt (Marx, Arbeitslohn, in: MEW 6, S. 535 ff) oder auf die Notwendigkeit, aber auch Beschränktheit, des bloß gewerkschaftlichen Kampfs der Arbeiterklasse hinweist (Marx, Lohn, Preis und Profit, in: r,lEW 16, S. 103 ff und 152).

23) Redaktion "Prokla", Editorial: Probleme mit dem Klas­senkampf, S. 1

24) Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 604

25) Andre Gorz, Abschied vom Proletariat, Frankfurt Main 1980

am

26) Harald Wieser, Ein Tempelschänder des Marxismus, in: Der Spiegel Nr. 16, 1931, S. 221

27) Gorz, Abschied vom Proletariat, S. 16

28) a.a.O.

29)

30)

31)

32)

33)

34)

35)

a·.a.O. ,

a.a.O. ,

a.a.O. ,

a.a.O.

a.a.O. ,

a.a.O. ,

a.a.O. ,

S.

S.

S.

S.

S.

S.

35

11

9

68

64

61

Page 140: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

36) 37) 38) 39)

a.a.O. ,

a.a.O.,

a. a. O. ,

a.a.O. ,

S.

S.

S.

S,

277

62 16

13 18

40) Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 532 41) Gorz, Abschied ~om Proletariat, S. 19 42) a.a.O., S. 20

43) Wenn Gorz die Marxschen Ausführungen wie folgt refe­riert - "Das Proletariat ist die sich selbst als Quel­le der Welt und Geschichte begreifende universale Nacht der Arbeit." (a.a.O., S. 19) , dann mag dies zwar durchaus zutreffend den Gothaer Programmentwurf für die vereinigte sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands wiedergeben -

"Die Arbeit ist die Quelle alles Beichtums ... " (zitiert nach: Marx, Kritik des Sothaer Programns, in: ~lEW 19, S. 1 5) ,

aber nicht die r,larxsche "Kritik der pol i tischen Ö.~o­nomie". r,Jarx pole,nisierte zeitlebens gegen solch "bür­gerlich'O Redensarten" (a.a.O.), die mit Stolz und B8-'dclnderung auf die angeblich "universale ['Jacht der Ar­beit" deuten und die Resultate der Lohnarbeit zu sol­chen der Arbeit schlechthin verklären:

"Die Bürger haben sehr gute Gründe der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anz~dichten; denn grade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt. daß der Mensch, der kein andres Eigentum besitzi als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts­und Kulturzuständen der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentünern der gegenständ­lichen Arbeitsbedingungen gemacht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ih­rer Erlaubnis leben." (a.a.ü.)

44) Gorz, Abschied vom Proletariat, S. 22 45)

46)

47)

48)

a.a.O.

a.a.O. ,

a. a. O ..

a.a.O.

S. 27 S. 29 S. 30 S. 62

49) Diesen "Trick" kapitalistischer Entwicklung des Pro­duktionsprozesses will Gorz der Lektüre der "Grundris­se der Kritik der politischen Ökonomie" entnommen ha­ben:

"11arx prophezeite schon 1857, daß die Zeit kommen werde, in der die Menschen nicht mehr die Arbeit tun werden, die von Maschinen übernommen werden kann und prophezeite, daß der Kapitalismus unauf­haltsam der Abschaffung der Arbeit zustrebe, wel-

278

ehe wiederum zu seinem Tod führen werde." (Gorz, Das Ende der Politik der Vol in: Technologie und Politik Nr. 15, 1980, . )

Dieser Referierung der Marxschen Theorie, derzufolge Rationalisierungen vom Kapital nicht zum Zwecke der Effektivierung der Arbeit, sondern zu ihrer Abschaf­fung unternommen werden und den Anfang vom Ende de~ Kapitalismus ankündigen, sei das Original hinzugefugt:

"Das Kapital wendet die ~Jaschine vielmehr nur an, soweit sie den Arbeiter befähigt einen größren Teil seiner Zeit für das Kapital zu arbeiten, zu einem größren Teil seiner Zeit als ihm nicht angehöriger sich zu ver­halten, länger für einen Andren zu arbeiten. Durch diesen Prozeß wird in der Tat das Quantum zur Prc­duktion eines gewissen Gegenstandes nötige Arbeit auf ein Ninimum reduziert, aber nur darJi t ein I~axi-mum an Arbeit in dem Maximum solcher Gegenstände verwertet werde." (Marx, Grundrisse, S. 589)

Bezüglich der Auffassung, kapitalistisch angewandte ~Jaschinen dienten der Erleichterung oder gar "Absche,f-­fung" der Arbeit, wies Marx auf das "ökonomische Para­doxon" hin, daß "das gewal tigste ~1i ttel zur Verkürzung der Arbeitszeit in das unfehlbarste Mittel umschlägt, alle Lebenszeit des Arbeiters und seiner Familie in disponible Arbeitszeit für die Verwertung des Kapitals zu verwandeln." (I~arx, Das Kapital Bd. 1, S. 430)

50) Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayrischen Netallindustrie vom 1.12.1973 in der Fassung vom 29.1.1979, § 19

51) Gorz, Abschied vom Proletariat, S. 66

52) a.a.O., S. 68 53) a.a.O., S. 67 54) a.a.O.

55) a.a.O.

56) a,a.O., S. 65

57) a,a.O., S. 67 58) a.a.O., S. 65

59) a.a.O., S. 61 60) a.a.O., S. 67 61) a.a.O.

62) Man vergleiche die Äußerungen von Gorz über die ge­seilschaftsverändernden Potenzen der "Nicht-Arbeiter" mit seiner früher durchaus zutreffenden Bestimmung die-ser Schicht:

"Kleinbauern in Randgebieten. Alte, Arbeitslose, r-beiter ohne Berufsausbildung usw. Diese Gruppen s nd nicht fähig sich zusammenzuschließen, um auf Staa

Page 141: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

und Gesellschaft einen C]1 scheidenden Druck aus­zullben. Sie haben zwar cemeinsame BedUrfni sc, aber keinen gemeinsamen Plan, wi e die Voraus-setzungen fUr di Befried ihrer BedUrfni se schaffen können." (Gorz,

im Neokapitalismus, am ~ain

63) Marx, Das Kapital, Bd. 3. S. 827 f

6~) Gorz, Abschied vom Proletariat. S. 75

(5) (6)

Ci.a.

a. a.

0

0

, S 7Lj

, " 75

(7) Vergleiche hierzu die 1964 erschienene Arbeit von Gorz zur "Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapi.­tal i smUf; 11 :

"Der um autonome Teilmacht und um~.:::-=...:::.,,...:.:..=_ Ubung s den I,lassen ermöglichen. den mus als eine Realit~t zu erleben, die schon be­

hat; eine Wirklichkeit, die auf freie Ent-tung drängt und den Kapitalismus von innen aus-

höhl Statt dichotomisch die Gegenwart der Zu-kunft stellen, wie das Böse dem Guten, die ickliche Ohnmacht der kUnftigen Macht, gilt es die Zukunft und die Macht schon spUrbar zu machen. en den Arbeitneh-mern ihre wirkliche , ihre Fähigkeit, sich mit der Macht des s zu messen und ihm ihren I;lillen aufzuzwi " (Gorz, Zur Strategie der Arbei ,17)

Im "Abschied vom etariat" zieht Gerz die Konse-quenzen aus dem Idealismus, die kapitalistischen Ver­h~ltnisse als welche zu interpretieren, in denen die soziali tische "Zukunft" schon "gegenwärt \~enn der Sozialj.smus eine "Realität" ist begonnen hat", dann .- so die Gorzsche - muß man ihn den Verh~ltnissen auch nicht die "Kraft" und "Akti.on" des Proletariats "aufzwin­~ sondern kann die sozialistische Zukunft schon als die Gegenviart des "Neoproletariats" "erleben".

68) Gorz, Abschied vom Proletariat, S. 89

69)

70)

71)

a.a.O. , a.a.O. ,

a.a.O. ,

S. 101

S. 83

S. 1 O~)

72) Siehe hierzu die Ausführungen zum Waren- und Geldfe­tisch im Gliederungspunkt II. 1. c) Di.e "Kritik der politischen Ökonomie": die Entfaltung eines Totali­t~tsbegriffs der entfremdeten Formen.

73) Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, S. 62

74) Gorz, Abschied vom Proletariat. S. 100

75) a. " . u. ,

76) a.a.O., 108

77) Gorz, Anhang: Die Aktualit~t der Revolu~ion, in: Zur Strategie der Arbeiterbewegung, S. 235 rf

78) Rudolf Bahro von unserem etariat einer neuen Politik - Zum s von Sozialismus, Berlin (West) 1980, S. 76

Elemen logio und

79) a.a.O.,

80)

.77

und Klassenkampf, in: Elemente einer S. 175

81)

82)

83)

88)

89)

90)

91 )

neuen Pol

Bahro, Abschied vom Kapitalismus, S. 78

Bahro, Warum wir unser gesamtes theoretisches Erbe ijber­prüfen miissen, in: Elemente einer neuen Polio tik, S. 7 Lj

Bahro, Ökologische Krise und sozialisti ehe Idee, in: Elemente einer neuen Politik, S. 90

0..3..0., ;3. E39

Bahro, Abschied vom Kapitalismus. S. 83

Bahro, Ökologische Krise und sozialisti ehe Idee. S. 89

Bahro. Warum wir unser gesamtes theoretisches Erbe über­prüfen müssen, S. 7 l+-

Bahro, Was nehmen wir uns vor? Gedanken liber Elemente einer neuen Politik. in: Elemente einer neuen Polit k, S. 212 f .

Bahro, Zur al promisse )

Theorie des historischen Kom­emente einer neuen Pol tik, S. 117 f

Bahro, Ökologische Krise und sozialistische Idee, S. 110 f

15, Manifest der kommunistischen Partei, in: . 1·179

92) Bahro, Abschied vom Kapitalismus, S. 80

93) Bahro, Was nehmen wir uns vor?, S. 207

94) Bahro, Abschied vom Kapitalismus, S. 81

95) a.a.O., S. 76

96) a.a.O.

97) Bahro, Ökologische Krise und sozialistische Idee, S. 109

98) Bahro, Zur allgemeinen Theorie des historischen Kompro­misses, in: Elemente einer neuen Politik, S. 118

99) Bahro, Ökologische Krise und sozialistische Idee, S. 111. Siehe hierzu auch die Stellungnahmen von Bahro, in de­nen er seine Idee eines historischen Kompromisses als durchaus reales Interesse nicht nur der ökologischen

Page 142: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

Bewegung, sondern auch der "bürgerlichen Klassen" interpretiert:

"So wie man in den 50er ,Jahren angesichts der Atombombendrohung zu begreifen begann, daß man auf dieser Ebene den Klassenkampf nicht ausfech­ten kann, so bringt die ökologische Krise, die Gesamtkrise unserer Zivilisation, heute auch Leu­te verschiedenster Klassenlage dazu, Lösungen jenseits spezifischer Klasseninteressen zu suchen, darunter auch Leute, die täglich acht Stunden an den Monopolschreibtischen sitzen und den Kapita­lismus exekutieren. Auch dort wächst die Bereit­schaft, das Gesamtproblem der Rettung unserer Zi­vilisation und damit der Überwindung des Kapitalis­mus, von dem alle Krisenprobleme der Menschheit abhängen, zu stellen. Wir haben heute ungeheure Möglichkeiten." (Bahro/Mandel/von Oertzen, Was da alles auf uns zukommt ... - Perspektiven der 80er Jahre, hrsg. von Ulf Wolter. Bd. 1. Berlin (West) 1980, s. 32)

Vergleiche auch: Bahro, Der Block an der Macht, der neue historische Block und das Organisationsproblem der Linken in unserem Land, in: Elemente einer neuen Politik, S. 128 ff

100) Bahro, Der Block an der Macht, S. 127 f

101) Bahro/Mandel/von Oertzen, Was da alles auf uns zu­kommt, S. 32

102) Bahro, Was vor der Zukunft zusammengehört, in: Ele­mente einer neuen Politik, S. 59

103) Bahro, Ökologische Krise und sozialistische Idee. S. 115

1 04) ~larx, Briefe aus den "Deutsch-Französischen Jahr­büchern", in: r·1E\v 1, S. 3~4

105) Bahro ist sich durchaus des konservativen Gehalts seiner Kapitalismuskritik bewußt, wie dem folgenden Vergleich zu entnehmen ist:

"Bisher war uns der angedrohte 'Untergang des Abendlandes' eine kulturpessimistische Perspek­tive erschreckter Bürger, die die allgemeine Kri­se des Kapitalismus mit der Apokalypse unserer Zivilisation selbst verwechselten. Jetzt müssen wir erkennen, der Kapitalismus kann tatsächlich das gesamte Fundament, auf dem wir stehen (und zwar nicht nur wir 'Abendländer'). mit in den Abgrund reißen, wenn keine massenhafte Gegenbe­wegung zurechtkommt, ihn abzufangen." (Bahro, Was nehmen wir uns vor? - Gedanken über Elemente einer neuen Politik, in: Elemente einer neuen Po­litik. s. 205)

Der reaktionären Zivilisationskritik eines Oswald Spengler attestiert Bahro, zwar zu dessen Lebzeiten

if}'

eine ideologische Betrachtungsweise zu sein. aber Wahrheitsgehalt zu sitzen. Tat-

sächli verhält es sich Bahro hat in der Ausmalung der "Realge der Totalkatastrophe" und des drohenden "Untergangs der Weltzivilisation" Elemente der kulturpessimistischen Ideologie über­nommen. so daß ihm die Spenglersehe Beschwörung des "Untergangs des Abendlandes" als zutreffender Aus·­druck der heutigen Wirklichkeit gilt. Daß Soziali-sten die wahren Konservativen sind. weil

sition zu den Verhältnissen nur aus . um die kapitalistisch geordnete

Welt vor ihrem Untergang zu retten. betont Bahro in der zustimmenden Referierung des "konservativ getön­ten Aphorismus" des sizilianischen Aristokraten Lam­pedusa: "Alles radikal umwälzen. damit alles so bleibt wie es ist." (Bahro. Der Block an der IfJacht. S. 128)

106) Bahro. Ökologische Krise und sozialistische Idee. S. 113

107) Bahro. vlas vor der Zukunft zusammengehbrt. S. 53

108) Die von Bahro führte Kri ti.k an der "materiellen Unersättlichkei . die uns der Kapi talil,mus anerzieht" (Bahro. Ökologische Krise und sozialistische Idee. S. 98) geht durchaus einher mit Verständnis für das politische Subjekt des Kapitalismus. wie an dem pro­gnostizierten "Dilemma" kenntlich wird:

"Wenn die Produktionsmaschine samt der von ihr abhängigen Güter- bzw. Bedürfnisstruktur nicht grundlegend umgebaut und zunächst ein immer grö-ßerer Teil der Bevöl für tiefgreifende Ver-änderungen motiviert . dann ist das Dilemma unentrinnbar. und wir werden die it sehen Kon-sequenzen in Gestalt autoritärer Bungen zu tragen haben." (Bahro. Der Block an der r·1acht. S. 124)

Die Sprachregelungen der demokratischen Öffentlich­keit. welche die staatlichen Maßnahmen als Resul­tat von Reaktion auf "Sachzwänge" besprechen. als Bewältigung einer Lage oder Krise. er deren "Ausbruch" die politischen Subjekte en. um dann für den Einsatz ihrer Macht zum der Krisenbereinigung zu plhdieren. ten Bahro als Belege für seine Auffassung. der srepubli-kanische Staat würde sich in puncto "litaterial" und "Energie" tatsächlich 1.n einer Zwangslage befinden. Wo keineswegs Energie knapp ist (wie an der gegen­wärtigen "Ölschwemme" zu ersehen ist). sondern sich Politiker um bill und Energie als Mitte des Wirtschaft die s e durch den Bau von bereitzustellen

Bahro sie mit einer."] IIDil emma l!

Page 143: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

~,

belastet. Energi und "psychologi Kri

Iten Bahro ~icht als itischen Herrschaft der

. sondern als Indizien des der Zivi.lisa'c on". angesi.chts dessen "autori täre"

itische Maßnahmen ~ sofern Bedürfnisverzicht der lkerung und eine alternative Bewegung sie nicht

überflüssig machen - unausweichlich werden: "Die Ge8cb.chte bietet bi.sher nur zwei ~lodeJ.].e an. Wid solcher Tiefe zu lö en: irgend-etwas Art von Platons Wächterstaat, heute eine sehe Diktatur. oder eine so-zial onäre Mass mit der Hoff-nung auf irgendeine Art (a.a.O .. S. 12'5)

',",enn Bahro erstens seine "AlternatIve" als Notwen-di der bisherigen Menschheitsge chlchte dar-ste lt und zweitens vergangene und gegenwärtige Staaten ganz ungeachtet ihrer je besonderen histori-schen Zwecke als "flodeJ.le" zur "1ö "von Wider-sprüchen heutiger "Tiefe" interpreti . dann hat er eine ichc Unterstellung getätigt: Herr-schaft ft Bahro als schichtliehe Notwendig-keit. Die von ihm ange "sozialrevolutionäre !.jassenbewegung" stellt er explizit als Ersatz für ei.ne Diktatur "in der Art von Platons Wächterstaat" vor, als unbürokratische Erzeugung desselben Resul­tats. die durch eine "Strategie des Verzichts" die (an sich nötige) gewaltsame Herrschaftsform über­flüssig machen soll. Der von l'.jarx geleistete Nach­weis. daß sich der bürgerliche Staat den ökonomi­schen Gegensätzen der Konkurrenz verdankt. mit de­ren Beseitigung auch dessen Notwendigkeit verschwin­de , ist von Bahro ersetzt durch das geschichtsphi-losophisch Postulat der Notwendigkeit von Herrschaft. e bestenfalls durch die Selbstbeschrän-kung der Bürger obsolet werden könnte. Den Begrün­dern des wissenschaftlichen Sozialismus wirft Bahro vor, daß ihre "Konzentration auf die Auseinander­setzung mit den bürgerlichen Zuständen .,. die euro­päische Arbeiterbewegung auf einen zu spezifischen Begriff des Staates gebracht (hat), der nur seine

,Herrschaftsfunktion. seine Beziehung zu den Sonder­interessen der ökonomisch herrschenden Klassen ins Blickfeld rückt. In der Geschichte ist diese Funk­tion, tektonisch gesehen. sekundär. Primär ist der Staat die Institution zur Zivilisierung ... " (Bahro, Die Alternative, S. 149)

109) Bahro. Ökologische Krise und sozialistische Idee. S. 96

110) Bahro. Die Welt verändern aus einem Glauben, S. 52

111) Bahro. Was vor der Zukunft zusammengehört, S. 53

112) a.a.O .. . 59

113) Bahro. hkologische Krise und sozi sehe I ce, S. 114

114) a.a.O .. S. 111

115) Hirsch. Der Slcherheitsstaat. S. 146

116) eiche hierzu den zweiten Abschnitt der vorlie-Arbeit: I. 3. Die Rekonstruktion der Narx­

sehen Theorie als "Produkt" der P"roduktionsverhäl nisse (~oachim Bischoff)

117) Michael Th. Greven, Konservative Kultur- und Zivilj-sationskritik in "Di.al. der Aufklärung" Ulod .

118)

119)

120)

121)

122)

"Schwelle der Zeiten" - einige Gel~ej.~~samkeiten bei aller Verschiedenheit. in: Konservatismus Eine Gefahr für die Freiheit? . von Eike Hennig und Richard Saage, München 1 , . 144 - ~57 ~ Der Abschnitt über den "Konservati . ff" als neue "Strukturkategorie" beansprucht ni e aus-führliche Darstellung und Erörterung der Arbe ten von Greven zu leisten. Im fo soll s viel-mehr um die arische Di si.on cl1arakteristi-scher , welche Richtung in methodischer Hinsicht tische und material.istische Theoriebil-dung zu nehmen hätte. lt wurde der Beitrag Grevens aufgrund seiner ementarität zu den thodischen Schlußfolgerungen. die Joachim Hirsch der "Krise des ffJarxismus" entnimmt. Obwohl Greven sich mi t einem "Vergleich der Kapitalismus .. und Kultur·· kritik der Kritischen Theorie und Hans Freyers" (a.a.O., S. 144) befaßt und nicht wie die Arbeiten von Hirsch und Haug explizit die "Krise des ~1a.rxis­mus" behandelt, dürfte die Hereinnahme dieses Bei.­trags aus systematischen Aspekten sein zumal Greven selbst seinem lieh paradigmatische Bedeutung für die Situation linker Theorie zuweist, "jeden ls dann, wenn unter dieser Bewältigung nicht nur Aufarbeitung oder gar Rechtfertigung von vergangener Geschichte als Vergangenem, sondern auch die theoretische und wie Adorno meinte 'pädagogische' Arbeit an der Er­schaffung von Zukunft, die nicht bloß und Projektion sein soll, verstanden wj.rd." (a.a. S. 14'+ f) .

Greven. tik, S.

a.a.O ..

a.a.O.

a.a.O. ,

a.a.O.

Konservative Kultur- und Zivilisationskri-156

S. 1'+8

S. 11,6

Page 144: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

123) 124)

125) 126)

127)

a.a.O. ,

a.a.O.

a. a. O. ,

a.a.O ..

a.a.O. ,

285

S. 156

S. 148

S. 156 S. 148

128) Vergleiche hierzu den zwe ten Absahni t d~r vorlie­genden Arbeit: 11. Die Rekonstruktion des Marxismus - seine Verwandlung in Erkenntnistheorie und Methode

129) Hirsch, Der Sicherheitsstaat, S. 139 130) a.a.O., S. 136

131) An dieser allgemeinen Bestimmung jeder Erkenntnis ~ndert auch der Sachverhalt nichts. wenn das hjekt

132)

133) 131+)

1

sich selbst zum Erkenntni nimmt. Dann stellt das Erkenntnissubj sich selbst als zu er-kennendes Objekt gegenüber, das es ebenfalls "von außen" begreift.

a.a.O. , S. 139 a.a.O. , S. 136 a.a.O. , S. 139 a.a.O.

136) Die Unmöglichkeit objektiver Erkenntnis leitet Hirsch aus dem Gegenstand der Theorie ab. n~mlich aus dem "komplexen Zusammenhang". "in dem Sub;jekte immer zu­gleich Produkt und Produzenten gesellschaftlicher Verh~ltnisse sind. Dabei muß nun allerdings ein spe­zifisch überhistorischer und übersubjektiver Wahr-heits- und Al inheitsanspruch aufgegeben wer-den ... " Ca. a .. , S. 138). Allerd i.st diese Be-gründung der Notwend t von bl "lokalen und begrenzten Wahrheiten durch den Widerspruch cha­rakterisiert, aus einer allgemeinen Aussage über das Handeln bürgerlicher Individuen die Verwerf­lichkeit allgemeiner Aussagen zu begründen.

137) a.a.O., S. 136

138) Vergleiche hierzu Oskar Negt. der ebenso wie Hirsch. allerdings schon 1972, die methodische Forderung stell te. "einen Rahmen für eine DIskussion zu set­zen, die die analytischen Begriffe der politischen Ökonomie nach unten. zu den wirklichen Erfahrungen der Nen ehen hin. öffnet." (Oskar lexander Kluge, fe tlichkeit und Erfahrung, am Hai.n 1972 .. 16). 1977 empfahl Negt die "Rehabili­tation utop sehen Denkens" zwecks "Erneuerung des Marxismus" :

286

"Wer geschlagen wird, reagiert spontan, und wer Gemeinheit und Unterdrückung erf~hrt. denkt uto­pisch und idealistisch, wenn er seinen Zustand, auch durch kollektive Aktionen, ver~ndern will. Er will diese reale Ver~nderung des Marxismus ... muß also Antworten auf die Frage geben, wie die aus ihrer Alltagserfahrung herauswachsenden Be­dürfnisse der Menschen zum sinnlichen Gegenstand der marxistischen Wissenschaft werden können, wie der sinnliche Reichtum der Marxschen Begrif­fe im wirklichen Lernen und Handeln entfaltet werden kann." COskar Interesse Par-tei Über Identit~t eme der deu Lin-ken, ein Gespräch mit Harald Wieser, in: Kurs­buch Nr. Lf8, 1977, S. 178)

Siehe hierzu ebenfalls: Oskar Negt/Alexander Kluge, Die Geschichte der lebendigen Arbeitskraft. in: Ästhetik und Kommunikation Nr. 48, 1982

139) Hirsch, Der Sicherheitsstaat, S. 139 140) Wolfgang Fritz Haug, Krise oder Dialekt k des Mar­

xismus?, in: Aktualisierung !0arx' ,Argument-Sonder­band AS 100, Berlin (West) 1983

141) Hirsch, Proletariat adieu?, in: Links Nr. 122. 1980

142) Haug, Krise oder Dialektik des Marxismus~, S. 8 f

143)

1 '+4)

145) 146)

a. a. O. , S. 9 f

a.a.O. , S. 29 a.a.O. S. 17 f

Vergleiche hierzu die beiden Zitate von Haug: "Diese Methode der entwickelnden Ableitung hat einen ganz handgreiflich materialistischen. re­volutionären Sinn ... Denn man kann diese Her­leitung, Ableitung, als 'reine' logische Wider­spiegelung dessen verstehen, was in der Gesell­schaft auch wirklich passiert. Diese Ableitung ist ja keine Erfindung des Theoretikers, sondern ist etwas t~glich aufs neue Passierendes ... Je-den Tag aufs neue wird das Hehrprodukt abgezweigt .. " (Haug. Vorlesungen zur Einführung ins 'Kapital' Köln 197 1+, S. 191 f)

W~hrend Haug in der Phase der Rekonstruktion der Marxschen Theorie die Identität von materialistischer Nethode und sachlicher Darstellung der kapitalisti­schen Produktionsweise betonte. trennt er in seiner Stellungnshme zur Krise des Marxismus nicht nur ex­plizit zwischen Marxscher Methode und deren. 'unzeit­gem~ßen' inhaltlichen Resultaten, sondern stellt auch die materialistische Methode selbst in Zweifel:

'" r'lethode' wird, im Gegensatz zu den resul tieren-­den Lehren, zum Losungswort für rationalere Ver-

Page 145: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

111·~1 )

suche, ein WB Untersche1 finden fiir Marxismus bei

sen' bestimmt Luk&cs so: e ist die revolutionäre Dialektik!. Untersuch"t ma~. wie er dieses unvergängJ.iche Kri scher Identität bestimmt. stö Gedanken. die ihre Vergänglichkei wiesen haben, daß sie zurecht der angehören: auf einen revolutionär

ianismus, der nicht zwischen ichkeit unterscheid und die '

Vorherrschaft der Totalität 1 fordert die Denkmittel und Methode, wie schon der lek auf Lukäc zeigen konnte, selber umstritten sind, daß sie sich vor lern im Zuge der all inen Wis-senschaftsentwic tiefgreifend verdndern, bleibt dabei si It , Krise oder Dialektik des Marxismu

Siehe auch d treffenden Peter zu den von Haug in "Krise ;',1arxismus?11 vertretenen sen:

"Die Abstraktion von den inhaltlichen Bezügen mar--xistischer Analyse veranlaßt . wissenschaft-lichen Sozialismus nur noch als enproblem und Denkstil zu wUrdigen. Dabei stUtzt er sich auf eine Theorietradition, die das Wesentliche des Marxismus in seiner di ektischen Methode sah. Aber er über die von ihm erwähnten Theo-retiker wie org Lukäc und Otto Bauer noch hin-aus, deren Betonung der Methode der Dialektik im Marxismus ihm nicht ra.dikal genug ist. Hatte zum Bei el Otto Bauer den schöpferi ehen Charakter der ehen Methode inhaltliche Dogmati-sierung des Werks von , so stellt Haug nun auch 'Denkmittel ' des Marxis-mus selbst zur Disposition." (Lothar Peter, Die Ideol e des "Argument " in der Kri.se. Anmerkun-gen zu . F. Haug: Krise oder Dialektik des Mar-iismus?, in: Marxismus - Ideologi Politik. Kri-se des I\1arxismus oder Krise des sl1,?, hrsg. von Hans Heinz Holz, Thomas scher, Jo-sef Schleifstein, Robert Steigerwald. Frankfurt am Main 1984, S. 64 f)

Die Überzeugung, daß Marx veraltet sei dament der Haugschen "Frage nach der I Marxismus":

"ltlie identi.fi.zieren wir den Marxismus? Die Erfah­rungen sind gemacht. Als Lehrgebäude wUrden wir den Marxismus nur identifizieren um den Preis, ihn nicht wiederzuerkennen. Das originale Gebäude von Marx können wir sorgfältig restaurieren und Besu­cher darin umherfUhren, wie es in seinem Geburts-

haus in Trier der Fall ist. Aber bewohnbar wäre es für uns nicht." (Haug. Krise oder Dialektik des Marxismus? S. 10)

148) Marx, Briefe über 'Das Kapital', S. 80

1 1+9) Engels, Ergänzung der Vorbemerkung von 1870 zu "Der deutsche Bauernkrieg", zitiert nach: Haug, Krise oder Dialektik des Marxismus?, S. 17

150) Marx, Grundrisse, S. 22

151) Haug, Krise oder Dialektik des Marxismus?, S. 20

152) Engels, Ludwig Feuerbach und der der klas-sischen deutschen Philosophie, in: 1, S. 292

153) Siehe hierzu auch die Kritik von Lothar Peter: "Haug will den Theori.ebildungsprozeß von jeder Verpflichtung gegenüber organisierter Praxis freihalten, indem er einen zwangsläufigen Anta­gonismus zwischen der Praxis der Organisation ("Apparat") und den Anforderungen marxistischer Theorieentwicklung unterstellt - es sei denn, daß sich die marxistische Organisation in Zirkel auflösen wUrde, in denen endlos über die jeweils in ffJode gekommenen Topoi (heute etwa "Anrufung" und "Diskurs") debattiert wird." (Lothar Peter, Die Ideologie des "Arguments" in der Krise, S. 60)

154) Siehe dazu auch die folgende programmatische Äußerung

155 )

156)

157)

158)

von Haug: " ... der Projektcharakter des Wissenschaftlichen Sozialismus und seine beständige Tendenz, wieder zurückzufallen in die bestehenden Formen. Was, so gesehen, am meisten not tut, ist eine Dialek­tik des Marxismus. Der beschwörende Name 'Wissen­schaftlicher Sozialismus' bietet als bloßer Name keinen Schutz gegen den Rückfall in Religionsför­migkeit und andere Formen des Ideologischen. Wir mUs sen die widersprüchliche Anlage des soziali­stischen Projekts studieren, die Wechselwirkung unterschiedlicher Instanzen und Logiken, was alles sich auf die Formel einer Dialektik der Vergesell­schaftung bringen läßt. Wir müssen diese Dialektik studieren, um uns nicht ihrem naturwüchsigen Gang auszuliefern und um nicht selber in den Widersprü­chen herumzuspringen." (Haug, Krise oder Dialektik des Marxismus?, S. 20)

a.a.O. , S. 31

a.a.O.

a.a.O. , s. 29

a.a.O. , S. 30

Page 146: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

289

159) Vergleiche hierzu die Darstellung und Kritik in der vorliegenden Arbeit: IV. 2. c) Hinwendung zur Mensch­heit (Rudolf Bahro)

160) Haug. Krise oder Dialektik des Marxismus?, S. 30. Siehe hierzu die treffenden "Gegen-Argumente" von Frank Deppe:

"In seinem Aufsatz 'Krise oder Dialektik des Mar­xismus?' (1983) hat WFH den 'wissenschaftlichen Sozialismus' folgendermaßen bestimmt: 'das ist das notgeborene Problem der Artikulation der Kräfte der Arbeit, der Wissenschaft und der Kultur in der Perspektive der solidarischen Vergesellschaftung und einer Gestaltung ihres Verhältnisses zur Natur in einer Weise, die künftigen Generationen einen bewohnbaren Planeten hinterläßt" (AS 100, S. 30). Hier schJ.ießt sich gl.eichsam der Kreis der Argu­mentation, die zu Beginn der 70er Jahre postuliert hatte, daß die Wissenschaft in dem Maße zu sich selbst komme, wie sie 'zur Arbeiterklasse' kommt ... Der 'Standpunktwechsel' , der hier deutlich wird. versteht sich als Übergang vom 'Partikularismus' (des Klassenstandpunktes, der stets ökonomistisch, vielleicht auch 'produktivistisch' beschränkt blei­ben muß) zu einem 'Universalismus', dem sich nun­mehr alle Kräfte, die sich durch die 'strukturelle Hegemonie' pluri- und multizentrisch artikulieren, zuordnen sollen, also nicht mehr durch das 'Na­delöhr' des Klassenstandpunktes zurückgehalten und abgestoßen werden." (Frank Deppe, Intellektuel­le, "Arbeiterklassenstandpunkt" und "strukturelle Hegemonie", in: Marxismus-Ideologie-Politik, S. 113 )

Gegenüber dem von Haug vollzogenen Standpunktwechsel von der "partikularistischen" Klassen- zur "univer­salistischen" Menschheitsfrage hebt Deppe die ent­scheidende Bedeutung der Marxschen Kritik des Ver­hältnisses von Lohnarbeit und Kapital hervor:

"Die Kritik der politischen Ökonomie ist der wis­senschaftliche Standpunkt der radikalsten Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Herrschaftsverhältnisse; denn er kritisiert diese Verhältnisse vom "Zentrum" aus, vom Anta­gonismus zwischen mehrwerterzeugender und -aneig­nender Tätigkeit. Indem sie die Notwendigkeit und Möglichkeit der Aufhebung dieser Klassengegensätze in der neuen, höheren EntwickJ.ungsstufe der so­zialistischen Gesellschaft aus den inneren, ge­schichtlichen Entwicklungstendenzen der Kapital­akkumulation und des Klassenantagonismus nachweist, verbindet die Kritik sich mit der sozialistischen Perspektive." Ca.a.O., S. 97)

290

161) Haug, Krise oder Dialektik des Marxismus?, S. 29

162) a.a.O., S. 31

163) a.a.O.

Page 147: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

291

V. Schluß

Eine zusammenfassende Formulierung der Entwicklung marxi­

stischer Theorie in der Bundesrepublik während der letz­

ten eineinhalb Dezennien kann mit dem zentralen Argument

begonnen werden, in dem alle an der Diskussion um die

"Krise des r>brxismus" beteiligten Wissenschaftler über­

einstimmen, nämlich dem Postulat, "daß wir die Krise des

Marxismus ernst nehmen ... und untersuchen, welche Gren­

zen und Schlacken in unseren spezifischen marxistischen

Traditionen uns gegenüber entscheidenden Stärken und Vor­

teilen dieser spezifischen Gestalt bürgerlicher Klassen­

herrschaft (des 'Modell Deutschland') kurzsichtig, wenn

nicht sogar blind haben werden lassen.,,1) Dieser zentrale

Einwand gegen die frühere Kapitalismuskritik führt kein

t h e 0 r e t i s c h e s Argument gegen die Marxsche Theorie

ins Feld, das sie der logischen Unhaltbarkeit und sach­

lichen Unstimmigkeit als Analyse des modernen Kapitalis­

mus überführe'n würde. Das in der "Krise des I-Iarxismus"

angeführte Argument gründet sich vielmehr auf den

pr akt i s c h e n Oliß-)Erfolg der Theorie, stellt sie

also unter das Kriterium der gelungenen Durchsetzung ge­

gen die kritisierte "bürgerliche" Wissenschaft einer­

seits, der Entsprechung ihrer Krisenprognosen mit dem

tatsächlichen Verlauf der Entwicklung in der Bundesre­

publik andererseits. Angesichts des gege~ Ende der 70er

Jahre offenbaren Erfolgs von etablierter Wissenschaft,

Staat und Gesellschaft, gegen die man die Rekonstruktion

des Marxismus betrieb, konstatieren Altvater, Bischoff

und ,Hirsch, um nur einige in Erinnerung zu rufen, den

Mißerfolg ihrer Bemühungen sowohl in theoretischer wie

in praktischer Hinsicht. Als Mißerfolg wird dabei in

theoretischer Hinsicht die "massive politische Entwertung

unserer Theorieproduktion durch die Diffamierung staat­

licher Instanzen und ihrer bereitwilligen Helfer in Wis­

senschaft und PUblizistik,,2) gewertet; die Tatsache also,

292

daß der Ende der 60er Jahre angestrengte Versuch der Be­

gründung der Gesellschaftswissenschaft aus der rekon­

struierten "Kritik der politischen Ökonomie" Ende der

70er Jahre nicht die überlegene, sondern nur eine Posi­

tion im Spektrum der sozialwissenschaftlichen Theorien

darstellt. In praktischer Hinsicht wird als Mißerfolg

gedeutet, daß sich der "angenommene Automatismus von Kri­

se und Revolution,,3), also die früheren prognostischen

Hoffnungen auf Gesellschaftsveränderung nicht bewahrhei­

tet haben. Dieser jetzt an die eigene Theorie angelegte

Erfolgsmaßstab hat dabei deren Entwicklung von Anfang an

begleitet. Nach eigener Aussage wollten Altvater, Bi­

schoff, Hirsch und andere mit der Rekonstruktion des Mar­

xismus eine absolute Theorie der Gesellschaft ermögli­

chen, die aller bürgerlichen Theorie darin überlegen

wäre, "Ausdruck und Produkt einer wirklichen Bewegung"I+)

zu sein. In diesem methodischen Ausgangspunkt war denn

auch schon die "\vende" von der Rekonstruktion der rliarx­

sehen Theorie in die Krise des Marxismus angelegt. Denn

wenn die vor theoretischen "Erwartungen" auf Gesell­

schaftsveränderung zum methodischen Leitgedanken der

T h e 0 r i e bildung erhoben werden, dann muß sich das Aus­

bleiben solcher Veränderung nicht nur als Niederlage des

praktischen Interesses an ihr, sondern auch als grund­

sätzliches Versagen der eigenen Theorie darstellen. Nur

dann erscheint die Stabilität des "Modell Deutschland"

nicht als Anlaß der theoretischen und praktischen Kr i -

ti k der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern als

Argument für eine längst überfällige SeI b s t k r i t i k

des Marxismus.

Page 148: Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus

293

Anmerkungen: Schluß

1) Redaktionsgruppe "Sozialistische Konferenz" (Hrsg.), Der herrschende Block - und die Alternativen der Lin­ken, S. 21

2) Bernhard Blanke, Krise der Linken - Krise d~s Marxis­mus, in: Die Linke im Rechtsstaat, Bd. 2, S. 260

3) Redaktion "Prokla", Editorial, in: Probleme des Klas­senkampfs Nr. 36, 1979, S. 6

4) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 290

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