Egbert Dozekal
Von der ,Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur ,Krise des Marxismus' Darstellung und Kritik eines Diskussionsprozesses in der Bundesrepublik von 1967 bis 1984
Köln 1985 Pahl-Rugenstein Verlag
Diese Arbeit hat dem Promotionsausschuß Dr. rer. pol. der Universität Bremen als Dissertation unter dem Titel "Von der ,Rekonstruktion' der Marxsehen Theorie zur ,Krise des Marxismus' - Darstellung und Kritik eines Diskussionsprozesses in der Bundesrepublik von 1967 - 1984" vorgelegen. An dem Promotionsverfahren haben Prof. Dr. Margaret Wirth (Bremen) und Prof. Dr. Lothar Peter (Bremen) als Gutachter mitgewirkt. Das Kolloquium hat am 24. Mai 1985 stattgefunden.
Bll
© 1985 by Pahl-Rugenstein Verlag GmbH, Gottesweg 54, D-5000 Köln 51. Alle Rechte vorbehalten. Herstellung: MVR Druck, Köln CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Dozeka!, Egbert:
Von der .,Rekonstruktion" der Marxsehen Theorie zur "Krise des Marxismus'·: Dars!. u. Kritik c. Diskussionsprozesses in der Bundesrepublik von 1967 bis 1984 / Egbert Dozekal. - Köln: Pahl-Rugenstein, 1985.
(Pahl-Rugenstein-Hoehsehulsehriften Gesellschaftsund Naturwissenschaften; 204: ISBN 3-7609-5204-6
INHALT
I. Einleitung
11. Die Rekonstruktion des ~larxismus - seine Verwand
lung in Erkenntnistheorie und Methode
1. Die Rekonstruktion der Marxschen Theorie als
"logische Struktur des Kapitalbegriffs"
(Helmut Reichelt)
a) Was heißt logische Analyse des Kapital
begriffs?
b) Die logische Struktur des Kapitalbegriffs:
das Wahrheits- und Geltungskriterium der
Marxschen Theorie
c) Die "Kritik der politischen Ökonomie":
die Entfaltung eines Totalitätsbegriffs
der entfremdeten Formen
d) Das "Kapital": eine Phänomenologie von Er
kenntnisrestringierungen der bürgerlichen
Theorie
e) Probleme der Gültigkeit der Marxschen
Theorie
2. Die Rekonstruktion der Marxschen Theorie als
"Versuch einer Begriffsbestimmung"
(Claus Offe)
a) Der Marxsche Kapitalismusbegriff: Bedingun
gen der Möglichkeit seiner erfolgreichen
Anwendung
9
19
23
23
31
40
70
b) Der wissenschaftliche Ertrag eines mög
lichen Spätkapitalismusbegriffs
3. Die Rekonstruktion der Marxschen Theorie als
"Produkt" der Produktionsverhältnisse
(Joachim Bischoff)
a) Theorie als "Ausdruck" der gesellschaft
lichen Praxis
b) Die Marxsche Theorie als der adäquate "Aus-
91
95
druck" der gesellschaftlichen Praxis 103
Exkurs: Sein und Bewußtsein im wissenschaft
lichen Sozialismus
4. Die notwendigen Konsequenzen der Rekonstruktion
des Marxismus als Methode
111. Die empirische Verifikation des als Methode rekon
struierten Marxismus - Realanalyse, Krisentheorie
und Krisenprognose
1. Realanalyse (Elmar Altvater)
a) Was heißt Analyse der Konkurrenz?
b) Realanalytische Berechnung der Profitrate
2. Krisentheorie und Krisenprognose (Elmar Altva
ter und Zeitschrift "Probleme des Klassen
kampfs")
a) Krisentheorie: die Legitimation marxistischer
Gesellschaftskritik aus den Verwertungs
schwierigkeiten des Kapitals
108
115
150
150
153
168
183
183
Exkurs: Der allgemeine Grund und die Verlaufs
formen der Krise
b) Krisenprognose: das Beweisverfahren der
(Un-)Gültigkeit des Marxismus
Die Konjunkturen der Krisenprognose -
Optimismus
Enttäuschter Optimismus
Desillusionierung
IV. Die Demontage der rekonstruierten Marxschen
Theorie - die "Krise des Marxismus"
1. "Krise des Marxismus" - eine Selbstverständ
nisdebatte
2. Die Bewältigung der "Krise des Marxismus" -
die Ersetzung früherer Illusionen durch
neue Idealismen
a) Der "traditionelle Proletariatsbegriff"
b) Abschied vom Proletariat (Andre Gorz)
Die Krise des Proletariats
Wiedergewinnung einer Perspektive
Versöhnung mit der Notwendigkeit des
Staates
c) Hinwendung zur Menschheit (Rudolf Bahro)
Abschied vom "Froletariatsbegriff"
Die Menschheit als weltveränderndes Subjekt
187
194
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230
233
233
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242
245
245
249
3. Marxistische Theorie in den 8üer Jahren -
methodische Anweisungen und Perspektiven
a) Der "Konservatismusbegriff" als neue
"Strukturkategorie" materialistischer
Theorie (Michael Th. Greven)
b) Pl~doyer für die Fortentwicklung marxisti
scher Theorie zu "plebejischem \-lissen"
(Joachim Hirsch)
c) Marxismus als "Ökumene" aller denkbaren
"~larxismen" (Wolfgang Fri tz Haug)
d) Zusammenfassung
V. Schluß
Literaturverzeichnis
256
261
26'5
273
291
Diese Arbeit hat dem Promotionsausschuß Dr. rer. pol. der
Universit~t Bremen als Dissertation unter dem Titel "Von
der 'Rekonstruktion' der Marxschen Theorie zur 'Krise des
Marxismus' - Darstellung und Kritik eines Diskussionspro
zesses in der Bundesrepublik von 1967 - 1984" vorgelegen.
An dem Promotionsverfahren haben Prof. Dr. Margaret Wirth
(Bremen) und Prof. Dr. Lothar Peter (Bremen) als Gutachter
mitgewirkt. Das Kolloquium hat am 24. Mai 1985 stattgefun
den.
Einleitung
Gegenstand dieser Arbeit ist der Versuch der Analyse einer
Theorieentwicklung, die während eineinhalb Dezennien nicht
nur die Selbstverständnisdiskussion der Sozialwissenschaften
nachhaltig beeinflußte, sondern auch im außeruniversitären
politischen Bereich wirksam war, Den historischen Ausgangs
])unkt der "Rekonstruktion" der Marxschen Theorie bildete
die Studentenbewegung Ende der 60er Jahre, Sie leitete ei
ne Selbstverständnisdebatte innerhalb der Sozialwissen
schaften ein, die mit den Stichworten "Positivismusstreit"
und "Rekonstruktion der Marxschen Kritik der politisohen
Ökonomie" umrissen werden kann. So wurde zum Beispiel auf
einem Kolloquium unter dem Titel "Kritik der politischen
Ökonomie heute - 100 Jahre 'Kapital''', das 1967 1n Frank
furt am fJIain veranstal tet wurde und an dem wichtige Reprä
sentanten kritischer Wissenschaft, unter ihnen Schüler
der "kritischen Theorie" wie die damaligen Frankfurter
Dozenten Alfred Schmidt und Oskar Negt und Wirtschafts-
und GesellschaftswissenschaftleI' wie Werner Hofmann. El
mar Altvater und Ernest Mandel. teilnahmen1
). sehr selbst
bewußt die Einbeziehung der Marxschen "Kritik der politi
schen Ökonomie" in die Sozialwissenschaft postuliert, An
ihr sollte sich künftig entscheiden, welche Theorie als
Ideologie zu kritisieren sei und welche als Wissenschaft
gelten dürfe, Die "Rekonstruktion" der i~arxschen Theorie
im Gefolge der Studentenbewegung wurde explizit in Oppo
sition zu und als Kritik an der etablierten "bürgerlichen"
Gesellschaftswissenschaft betrieben, von der Marx bislang
in theoretischer Hinsicht als "toter Hund" und in prakti
schem Betracht als Ziehvater der "totalitären Systeme im
Osten" behandelt worden war. Auf dem oben genannten Kol
loquium wurde die Il[arxsche Theorie als theoretische Be-
gründungsinstanz anerkannt, an der sich die gesamte So
zialwissenschaft zu messen habe; und zwar nicht mehr an
10
f d· "I' 'u"hschr' f+e"j" verkürzten ;.jarxreze])tion, einer au. le <I . ..< •• \.F.,J
sondern auf einem Gebiet, das auch jllarx als sej.n Hau])t-
anliegen und -werk bezeichnete, der "Kritik der ])oliti-
sehen Ökonomie",
t Rl'C}1 das umgekehrte Bild. Nicht 15 Jahre später biete -
bloß, daß die Diskussion um
der Wende zu den SO er Jahren zu "b h pt noch ge
mischen Debatte geworden ist, wenn sie u er au
die "Politische Ökonomie" an
einer weitgehend akade-
führt wird, Vielmehr haben eben die Protagonisten der sei-
"Rekonstruktion" der Marxschen Theorie selbst nerzeitigen _ und nicht etwa die damaligen "bürgerlichen" Kontrahen
Diskussion um die Richtung, ten in der wissenschaftlichen
ft zu nehmen hätte - die "Kriwelche die Sozialwissenscha '
" f So hat um vorab nur ein se des Marxismus ausgeru en, ,
, 'I Elmar Altvater der 1969 die fragl o-Belsple zu nennen, ., ,
"ber elner se Überlegenhei t der Marxschen Theorie gegenu
d' "b "bürgerlichen \1irtschaftstheorie" postulierte, le e-
hauptet, das moderne wirtschafts])oli tische lnstrumen t2l
rium entwickelt zu haben, mit dem auch in Zukunft dle ka-
Ent~icklung krisenfrei manipuliert werden pi talistische .. konne,,2), zehn Jahre später unter dem Titel "Krise des
. " d' kaler Selbstkritik "an überkommenen Marxlsmus zu 1'0. l Selbstverständlichkeiten, an politischen Identifikatio-
nen und an gewohnten theoretischen Begründungszusammen-
hängen,,3) aufgerufen.
von der "Hekonstruktion" der Diese Theorieentwicklung
d es (;larxismus" ist aber nj.cht l~arxschen Theorie zur "Krise
d ~hr noch von nur von wissenschaftshistorischen, son ern m~ wissenschaftspolitischen Interessen her besehen von Bedeu
tung, Denn rekonstruj.ert wurde die Marxsche Theorie nicht
nur mit dem Impetus, einen Beitrag zur Kritik der Ideolo
geme der etablierten Wissenschaft zu leisten, also dle
den positivistischen und systemtheoretischen sozlalwls
-überlegene Wissenschaft zu sein,
sensehaftlichen Theorien
11
ondern auch mi t dem An~pruc'l _. ~ k . - 0 J, ale )01' lärung und Kri-
tik der modernen kapitalistischen Verhältnisse darzustel len und ~o 'h V
o zu l rer eränderung beizutragen. Das mit der
"Hekonstruktion" der Marxschen Theorie verfolgte Anlie
gen war gerade nicht nur ein innertheoretisches, sondern
entsprang mehr noch einem erklärten Anspruch auf Gesell
schaftsanalyse in p lot· h T . • .' 0 l lSC emanzipatorischer Absicht.
".n der Dlskusslon um die "Krise des 1liarxismus" steht nicht
mehr die Kr i ti k von Wissenschaft und Gesellschaft sondern die S 1 ' e b s t kritik im Mittelpunkt, ob nicht der
eigene frühere "Tradi ti onsbestand an poli tischen Analysen,
Konzepten und Strategien ... von der Entwicklung nachhal-
tig dementiert worden i~"' "Li) D' .. , d . " . ,0C ••. lewanren undlmGefolge
der Krlse des arxismus" sta.ttfi.ndonden Theoriebildungs
und Diskussionsprozesse zeichnen sich in zunehmendem Maße
dadurc h aus daß angE'" i c ht ". 1 • _o·~0, s von angebotsorientierter" Krisenbewältigun" d 0 '~b --
, CO> , ,.m -- e eneJ.nander von Hirtschilftswachs
tum und Iliassenarbei tsl osigkei t dem "I'bb d S . ':) , - 1-\ au es 02 l al-
staats" US\>I. - "l~o oi .. ' V' J~'h] , () . ..:> nel le .L>d . von ner wissenschaftli
ehen Erhellung und praktische' K . tiJ, h~ . . r. rl ~, vrrender Phanomene
- das linke theoretische und politische Interesse sich in
gewisser Weise in den ehemals voller Emphase kritisierten
"Elfenbeinturm" zurUckzieht und ü'ber . t St . , wel e recken ml t
elgener Vergangenheitsbewältigung, wenn nicht gar Pflege
el.ner pauschalen Skepsis und Selbstrelativierung beschäftigt ist.
Die zu konstatierende mh . 1 eorleentwicklung von der "Rekon-
struktion" der ~~arxschen Theorie zur "Krl'se d 11 . es "arXlS-mu~" . ft ' P ,
,0 Wlr eln robJ.em auf, dem in dieser Arbeit nachge-
gangen werden soll: Sind die Postulate der "Krise des TfJar-xismus" d d "\.b . . un es j schleds vom Proletariat", die sich auf
den ersten Blick als unvermittelter Vliderspruch zu den ur
sprünglichen Intentionen der "Rekonstruktion" der iliarx
sehen Theorie darstellen, nicht vielmehr als immanente Kon
"Tliethode" und "Krisentheorie und Krisen-sequenz eines al
12
prognose" rekonstruierten Marxismus zu interpretie-
ren? Gibt es einen die Ansätze und Beiträge einzel-
ner Wissenschaftlersubjekte Ubergreifenden immanenten
theoretischen Entwicklungsprozeß, der einen nicht nur zu
fälligen oder von rein außerwissenschaftlichen Healitäten
besti,nmten Zusammenhang offenbart, wie der unzweifelhafte
seinerzeitige Erfolg marxistischer Theoriebildung notwen-
dig umschlagen mußte i.n ihren heutzutage allgemein konsta
tierten rHßerfolg? Eine olche s y s te m a t i s ehe Dar
stellung dieser Theorieentwicklung ist geeignet, sowohl
nach der Seite der theoretischen Bedeutung als auch nach
der Seite der praktisch politischen Helevanz hir, ei.nen Bei
trag zur kritischen Hinterfragung des zu konstatierenden
Dilemmas linker Theoriebildung und Diskussionsprozesse zu
leisten. tUt der j,rbeit ist somit auch der AnSprlJch ver
bunden, einen Baustein zur Lösung des Problems :0U iefern,
ob und inwiefern der mit der Selbstverständnisdebatte um
die "Krise des r,larxismus" eingeschlagene Vleg einen Fort
schritt im Sinne der Eliminierung bemerkter VIidersprUche
und Illusionen der rekonstruierten Marxschen Theorie be
deutet, oder ob di.eser Weg nicht insofern einen HUckschri
darstellt, als unter dem methodischen Anspruch des "Healis
mus" alle Illusionen durch neue Ideali2,men ersetzt werden
und er darin parallel geht mit der seit Anfang der 80er Jah
re zu konstatierenden Tendenzwende auch in der VIissenschaft.
Bevor wir uns dem methodischen Ausgangspunkt der "Rekonstruk
tion" der Illarxschen Theorie zuwenden, sollen einige wesent
liche forschungsstrategi.sche Implikationen und Pri'jmissen
noch vorab dargelegt und expliziert werden.
Ein Einwand gegen das Unterfangen ei.ner systema.tischen kri
tischen Darstellung linker Theoriebildung während der letz
ten eineinhalb Dezennien mag naheliegen: Sind die im fol
genden behandelten Arbeiten von Heichelt, Offe oder B1-
schoff nicht aus ganz unterschiedlichen Theorietrad1tionen
und D1skussionszusammenhängen heraus entstanden, geleitet
durch divergierende subjektive Fragestellungen? Haben dar
über hinaus die im Diskussionsrahmen der Zeitschrift "Pro-.
bleme des Klassenkampfs" entstandenen Realanalysen von
Altvater und anderen nicht ihr explizit selbständiges wis
senschaftliches Anliegen, das sich unterscheidet von den
methodischen Fragestellungen zum Beispiel Reichelts? Und
zuguterletzt, inwieweit sollen überhaupt die Beiträge von
Bahro, Gorz, Hirsch oder Negt zur "Kris des f.1arxj.smus",
die sich dabei nicht auf die methodologischen und erkennt
nistheoretischen Reflexionen von Reicheit oder Bischoff
beziehen oder berufen, doch nur den Prinzipien der "Re
konstruktion" der Marxschen Theorie nun gegen den Marxis
mus zur Durchsetzung verhelfen?
Diesen möglichen Einwendungen ist dreierlei zu bedenken
zu geben: Zunächst auf der forschungslogischen Ebene, daß
die notwendigen Verlaufsfermen einer Theorieentwicklung
nicht identisch sind mit den empirischen Arbeitsbeziehun-
gen und Problemstellungen der in ihr involvierten Wissen
schaftlersubjekte; oder etwas allgemeiner ausgedrückt, daß
die Darstellung des systematischen Zusammenhangs einer Sa
che nicht mit ihrem empirisch-historischen Auftreten zu
sammenfällt, wenngleich der Forschungsprozeß davon notwen
dig seinen Ausgang zu nehmen gezwungen 1st. 5) Wenn von
einer systematischen Darstellung die Rede ist, so impli-
zi ert di es einen log i s ehe n Ausgangspunkt und di e
Entwicklung vermittels einer Anzahl von Übergängen. Wenn
die Darstellung dieser Entwicklung gelingt, dann unter
scheidet sie sich dadurch von der historischen Darstellung
der empirischen Verhäl tnisse zwischen den Theorieexponen-
ten, daß sie diese in der geordneten Form ihrer inneren
Zusammenhänge präsentiert. Zum zlveiten ist gegen diesen
Einwand zu erwidern, daß ein unterschiedlicher wissenschafts
empirischer Ausgangspunkt und persönllciher Hintergrund ge
radezu als Bedingung für die Entfaltung der inneren Logik
anzusehen ist. Die wesentliche Gemeinsamkei teinmal unter-
14
stellt - Wissenschaftler, die sich um die "Rekonstruktion"
der :4arxschen Theorie gegenüber all denjenigen bemühen,
die t1arx für einen "toten Hund" halten - sind differie
rende forschungsstrategische Standpunkte geradezu die Be
dingung dafür, am "Stand" der marxistischen Thecrie Unzu
friedenhei t zu empfinden und sich daranzumachen, einen
konstatierten r,langel zu beheben: Nur so, durch das Selbst
bewußtsein einer bleibenden theoretischen Herausforderung,
die r~arx für die Gesellschaftswissenschaft darstellt,
kommt überhaupt eine Entfal tung der inneren Logik arx
rekonstruktiver Theoriebildung zustande, die hier nachge
zeichnet werden soll.
Zum dritten ist dem oben bezeichneten Einwand zu bedenken
zu geben, daß es ein unmögliches Unterfangen ist, gleich
sam schon im Vorgriff zu begründen. warum die Auswahl der
exemplarisch zu behandelnden Arbei ten auf die im folgen-
den dargestellten Repräsentanten linker Theoriebildung ge
fallen ist und inwiefern die an der "Rekonstruktion" der
r,jarxschen Theorie wie an der "Krise des r,larxismus" betei
ligten Theorien in methodischem Ausgangspunkt und Selbst
kritik im Prinzip identisch sind. Die begründete Entschei
dung darüber, ob und inwieweit die von mir behandelten Wis
senschaftler - wie mir das Studium des Materials hat ge-
raten erscheinen lassen tatsächlich am geeignetsten sind,
den systematischen Zusammenhang und die immanenten Ver
laufsformen der Entwicklung der "Rekonstruktion" der r·larx
sehen Theorie bis hin zu ihrer "Krise" auf den Begriff zu
bringen, muß der Nachvollzug der unten durchgeführten Ana
lyse entscheiden.
Die forschungsstrategische Absicht der vorliegenden Arbeit
sei jedoch hier nochmals betont. Durch die kritische Dar
stellung der Entfaltung der Entwicklungslogik von der "Re
k ons trukti on" des "wi ss ens c haftl i ehen Sozi al ismus" zur
"Krise des Marxismus" soll der Ansatz gefunden sein, um
die bloß additive \hedergabe linker Theorie- und Forschungs-
15
richtungen zu überwinden, ebenso wie eine nur historisch
verfahrende Aufzeichnung ihrer Fortschritte. Der durchaus
schon geleisteten Darstellung und Kritik diverser Arbei-
zur "Bekonstruktion" der Marxschen Theorie soll also
nicht eine weitere zur Seite gestellt werden. Es geht viel
mehr darum, in der exemplarischen Analyse und Kritik aus
gewähl tel' wissenschaftlicher Protagonisten des linken
theoretischen Diskussi onsprozesses während der letzten
eineinhalb Dezennien deren wis enschaftslogischen Zusam
menhang zur Ableitung und Darstellung zu bringen.
Zur Auswahl der behandelten Literatur ist noch soviel zu
bemeI'ken: Bei der Analyse der "Krise des arxismus 11 ist
di innerhalb der französischen und italienischen Linken
geführte Diskussi on von mir explizit ausgespart worden.
01;\'/0111 die Parole :Louis Althussers "Endlich ist die Krise
arxismus ausgebrochen 11 ihren AusGang auf einem von
'11 festa' im November 1977 in Venedig veranstalteten
Kongreß ), ist dieser Diskussionsprozeß bewußt im
Rahmen der vorliegenden Arbei t nicht behandel t worden.
Während nämlich in der italienischen und französischen
Linken unter dem Titel "Krise des I·larxismus" praktische
Uberlegungen zukünftiger politischer Strategie eingelei
tet \vlJrden, die weit entfernt davon waren, einen "Ab
schied" vom Marxismus zu bedeuten 7), bestand die bundes
deutsche Bezugnahme auf diese Diskussion fast ausschließ
lich 1.n der Ubernahme der Parole von der "aufgebrochenen
Krise des Marxismus" als Synonym für die Problemstellung,
\Vi e und ob überhaupt noch linke Theorie in der Bundesre
publik im Marxismus ihre wissenschaftlichen Problemstel-" f· d k·· 8) ~unGen 1n en onne.
Die Berücksichtigung der französischen und italienischen
Marxismusdiskussion müßte also nicht nur vom systematischen
Gesichtspunkt meiner Arbeit aus als problematisch erschei
nen, sondern würde darüber hinaus mit Sicherheit auf Grund
ihrer eigenen Thematik und gesellschaftspoli tischen Hin-
16
tergrtinde den Rahmen der hier vorGelecten A se c~pr
gen.
Eine Ausnahme wurde jedoch gemacht. Andr& Gorz 1
den "Abschied vom Prol
lyse und Kritik un
sehen Thesen i
D.t n 1:JJ.rd hrli'ch der n
cht n~J.r)
sion um die "Krise d
noch ist, daß in der Au~" II der:;; 8
im IiAbschied vom Proletari t l, vertreten
desdeutsche linke
blemstellungen derin
c haftl
teD, denen ich
sehe Theorieb.ildunc zuzuwenden babe.
Es versteht sich von selbst) daß
wesentlicher Teil marxisti eher Theori
publik ausgeklammert bleiben inU. e
1 di e ~}
eLen
in der Tradition realos i8t180hen arxi musv
nisses stehende historische und dialekti ehe ~
mus sowie die Theorie des staatsmonopolist schen
lismus nicht in die Diskussion um die "Krise des
bun
0-
yri ti-·
tiind
" . t·, ) '" f't eH mus" als deren Verfeeheer engaglcr, SJ.D ,J_(.-\. ,I
berechtigt erscheinen und gibt einen Hinwei.s darallf, daß
diese Richtung marxisti eher Theoriebildung die Weiter
entwicklung des arxismus unter gan:;:; eigenen Gesicht;)
punkten praktizier
Gleichsam parallel zur krj.tischen DarstelluDe: der zu be-
handelnden Versuche zur" ekonstruÄU.oYl" dec3 ar
eine ausführliche positi.ve Darstell;1l1g der xschen 1'heo-
ri0, einen eigenstE1.ndigen Interpretationsbei ~\ber sie
zu erarbeiten, ist aus systematischen GrUnden nie in-
tendiert und wiirde überdies den nahmen mej.ner bh::.ndlung
sprengen. Schließl eh versucht die vorliegende Arbeit,
nen Beitrag zu dem Nachweis zu liefern, da!J eh e an
der "Rekonstrukti on tf der arxschen Theorie e an der llK:::,i_
se des MarJ\ismus!l bete:LLieten His enscha.ftJ.er einer-
seits auf dj.e "Kr:i.·;:ik der politischen Ökonom:'e'; "
r 17
fungsinstanz ihrer Arbei ten stützten, daß aber die Verlaufs
formen der sich auf f,larx berufenden Diskussionsprozesse
nicht durch den Rückgriff auf Marx zu begreifen sind, son
dern nur durch die Analyse der methodischen Anliegen der
"Rekonstruktion" der ~jarxschen Theorie selbst dargestellt
werden können.
Andererseits ist es im Rahmen meiner Untersuchung, inwie
fern die Arbeiten zur "Rekonstruktion" der Marxschen Theo
rie fhßverständnisse derselben einschließen und sie da
durch sogar in Gegensatz zur Marxschen "Kri tik der poli ti
sehen Ökonomie" geraten, unabdingbar, einige im Brennpunkt
der "Rekonstruktion" und "Krise des ~larxismus" stehende
Aussagen von Marx eingehend zu behandeln. Dies betrifft
zum einen - auf die erkenntnistheoretisohe Diskussion be
zogen - die Theorie-Praxis-Problematik, thematisiert am
Marxschen Diktum vom gesellschaftlichen Sein, das das Be
wußtsein bestimmt, zum anderen die Marxsche Krisentheorie.
Ihr ist im Rahmen der Darstellung im Abschni tt 111. "Kri
sentheorie und Krisenprognose" ein eigener Gliederungspunkt
eingeräumt, um über die positive Darstellung des im "Kapi
tal" analysierten "Gesetzes vom tendenziellen Fall der Pro
fi trate" hinaus zugleich daran das "Problem der Prognose"
bei ['larx zu thematisieren. Ebenso ist in diesem Zusammenhang
ein Kapitel eingeschoben. in dem mittels eines Vergleichs
des methodischen Gangs der Darstellung im "Kapital" von
Band I nach Band 111 einers ei ts und dem Verfahren der "Re
alanalyse" andererseits untersucht wird, ob es sich bei
dem Pr 0 j ek t der Real analys e - wi e von ihren Ver tretern b e
hauptet wird - um die Fortführung des r4arxschen Anliegens
der Analyse der Konkurrenz handelt oder ob in ihm nicht
vielmehr ein grundsätzliches rUßverständnis der Marxschen
Kapitalismusanalyse eingeschlossen ist.
18
Anmerkungen: Einleitung
1) Kritik der politischen Ökonomie heute - 100 Jahre 'Kapi tal', Referate und Diskussi onen vom Frankfurter C 01 loquium 1967. Walter Euchner/Alfred Schmidt (Hrsg.). Frankfurt am 11ain 1972.
2) Elmar Altvater, Die vleltwährungskrise, Frankfurt am [\1 ai n 1 9 69, S. 5.
3) Al tvater/Armanski/Blanke et. al., Editorial: \'las heHlt Krise des Marxismus?, in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 36, 1979, s. 1.
4) Joachim Hirsch. Der Sicherheitsstaat - Das 'l,jodell Deutschland' ~eine Krise und die neuen sozialen Bevle-gungen, Fr t am Main 1980, S. 132.
5) "Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungs",eise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschied -nen Entwicklungsformen zu analysieren und deren inn res Band aufzuspüren. Erst nachdem di,ese Arbel t vollbracht, kann di,e wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider. so mag es aussehn. als habe man es mit einer Konstruktion 0. priori zu tun." (Karl Marx. Das Kapital. Bd. 1. in MEW 23. Berlin (Ost) 1971. s. 27),
6) Louis AlthusseI', zitiert nach: Frieder O. \\Iolf, Auflösung oder Erneuerung des ll]arxismus?, in: Probleme des Klassenkampfs NI'. 36, 1979, S. 26.
7) Vgl. hierzu die von Elmar Altvater und Otto Kallscheuer herausgegebene Sammlung von Bei trägen auf dem Kongreß von 'lI 1!ianifesto' in Venedig 1977: Altvater/Kallscheuer (Hrsg.), Den Staat diskutieren - Kontroverse über eine These von Althusser, Berlin (V/est) 1979.
8) Vgl. hierzu die unter dem Titel "Krise des t1arxismus?" in der Zeitschrift Probleme des Klassenkampfs NI'. 36, 1979, gesammelten Beiträge.
9) Vgl. hierzu die vom Institut für marxistische Studien und Forschung herausgegebenen r~aterialien zum 100. Todestag von Marx: l~arx ist Gegenwart - fllaterialien zum Karl Marx Jahr 1983, IMSF (Hrsg.), Frankfurt am 14ain 1983.
11. Die Rekonstruktion des Marxismus - seine Verwandlung
in Erkenntnistheorie und Methode
Bis Ni tte der 60er Jahre gal t I~arx innerhalb der etabl'ier
ten bundes deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften als
zu vernachlässigende Größe. sowohl unter wissenschaftlichem
wie auch politischem Aspekt als von der Realität restlos
überholt. Auseinandergesetzt wurde sich hierbei mit einem
mehr oder weniger selbstkonstruierten Bild der Marxschen
Theorie als Geschichtsteleologie und Zukunftsprognose, das
sich dann leicht an den Zuständen einer bundesrepublikani
schen Gesellschaft blamieren ließ. 1 ) Sofern überhaupt ein
positives Interesse an Narx zu konstatieren war, blieb die
ses auf den engen Kreis der "Frühschriften" beschränkt.2
)
Sowohl gegen die bürgerliche Widerlegung der Marxschen
Theorie als auch gegen ihre auf die "Frühschriften" ver
kürzte Rezeption richteten sich die im Zuge der Studenten
bewegung Ende der 60er Jahre an den bundesdeutschen Uni
versitäten entstehenden Ansätze zur "Rekonstruktion" der
"Kritik der politischen Ökonomie".
Über wissenschaftliches Interesse und AufgabensteIlung der
Wiederentdeckung des Marxismus unter Westdeutschlands In
tellektuellen vermag ein Kolloquium Auskunft zu geben, das
unter dem Titel "Kritik der politischen Ökonomie heute -
100 Jahre ' Kapi tal'" 1967 in Frankfurt am [;lain veranstal tet
wurde.)) Roman Rosdolsky stellt die "Situation" der :,jarx
sehen Theorie "heute" wie folgt dar:
"Gerade unerträglich aber wurde die schiefe Situation, von der wir sprachen (die darin besteht, "die richtigen, aber abstrakten Lehrsätze unmittelbar, d. h. ohne jegliche Vermittlungen, auf die ihnen prima facie widersprechenden Phänomene der Erscheinungswelt anwenden" zu wollen; d. Verf.), seit dem Ende des letzten Weltkrieges, seltdem der westliche Kapitalismus so gewaltige Wandlungen erfahren und seitdem es auch gilt, die im Osten neu entstandenen Gesellschaftsgebilde wissenschaftlich zu erfassen. Auch diesmal muß sich die Theorie um mit I'larx zu sprechen, 'im Dünger der Widersprüche' ' emporar-
20
beiten, wenn sie allem Neuen, das die konkrete Wirklichkeit d~rbietet, Rechnung tragen soll. Und unsere Theorie kann es, wenn sie sich von jedem Dogmatismus fernhält und wenn sie die unendlich fruchtbare Methode des 'Kapital' richtig anzuwenden weiß, d. h. wenn sie jene Vermittlungen aufzufinden vermag, die die abstrakten Theoreme dieses Werkes mit der konkreien Wirklichkeit von heute verbinden." 4)
Im Anliegen, die p,jarxsche "Kritik der politischen Ökono
mie" als die der "bürgerlichen" Gesellschaftswissenschaft
überlegene Theorie zu entwerfen, gab Rosdolsky (dessen
Referat die ungeteilte Zustimmung aus den Reihen der ver
sammelten Repräsentanten kritischer Wissenschaft fand, wie
den folgenden Diskussionsbeiträgen zu entnehmen ist 5 )) der
etablierten Sozialwissenschaft allerdings zunächst in ei
ner Hinsicht in deren Urteilen über die Marxsche Theorie
recht: m a te r i al i te r habe das "Kapital" "uns" nur
noch wenige Erkenntnisse zu bieten, bei seinen Erklärun
gen handele es sich weitgehend um bloß "abstrakte Theore
me", weil der Kapitalismus seit Marx und vor allem seit
dem letzten Weltkrieg "gewaltige Wandlungen" erfahren ha
be: aber nur, um in einer anderen Hinsicht um so nach
drü~klicher die Unentbehrlichkeit und Überlegenheit der
1-1arxschen "Kritik der poli tischen Ökonomie" zu unterstrei
chen: Nicht als Erkenntnis der modernen kapitalistischen
Produktionsweise genommen, sondern als Bedingung der Mög
lichkei t von Erkenntnissen über sie, also als Met h 0 d e
interpretiert, könne das "Kapital" "unendlich fruchtbare"
Verwendung innerhalb der Sozialwissenschaften finden -
so lautet das einhellig geteilte Resümee Rosdolskys.
Ohne die in der Aussage von Rosdolsky liegenden Probleme
in allen Einzelheiten kommentieren zu wollen, soll hier
zunächst einmal soviel über die Intention der angestreng
ten "Rekonstruktion" der ;\larxschen Theorie festgehalten
werden:
21
. Von den inhaltlichen Analysen der [',jarxschen "Kri-
der politischen Ökonomi,e" soll eine dauerhafte 11etho
de soliert werden, die ge t ren nt von den materialen
Aussagen als Garant der Überlegenheit materialistischer
Gellschaftstheorie fungieren soll.
Zweitens. Dabei ist man sich der Tatsache bewußt, daß das
Pro;:ekt einer "Rekonstruktion" der j',larxschen Theorie als
thode durchaus eine Kr i ti k an den materi,alen Aus
sagen von j"larx zur "Kritik der politischen Ökonomie" e1n
schließt. Ohne daß von Rosdolsky näher nachgewiesen und
expliziert w~rde, in wie f ern die f1arxsche Analyse
des Gegensatzes von Lohnarbeit und Kapital, der Akkumu
Ion, der Profitrate, der Krise oder des Kreditsystems
angesicllts der "so gewal tigen Handlungen" des Kapi talis
mus nach dem 2. Weltkrieg oder gar der Etablierung des
"realen Sozialismus" aIs gesicherte und zutreffende Er
kenntnis desavouiert sei, geht er von der Überzeugung aus,
d r;, die "konkrete \-Jirklichkeit von heute" eben eine
!!neue" sei und deshalb die inhaltlichen Analysen von arx
ZVJa..r !/richtigett, Etber !!abstrakte" und damit im materialen
e wertlose "1.ehrsätze" darstellten.
Drittens. Die Methode des "Kapital" soll ganz ungeachtet
einer inhaltlichen Überprüfung, ob die im "Kapital" dar
gelegte Analyse der l.ohnarbeit, der Krise oder des Kre
ditsystems auch die Verhältnisse der Lohnarbeit, Krise
oder des Kreditsystems im westlichen Kapitalismus anno
1967 noch zu erklären vermag, die Richtigkeit und Über
legenheit der Marxschen Theorie - euphemistisch als ihre
"unendliche Fruchtbarkeit" ausgedrückt - garantieren.
Viertens. Viiederaneignung der Marxschen Theorie heißt
also ihre Rekonstruktion als Methode. Dies wird von Ros
dolsky als "Zentralaufgabe der heutigen marxistischen
Ökcnornie,,6) benannt und programmatisch wie folgt ausge
drückt:
22
"Aus dem Gesagten erhellt. daß wir die Methode des" "Kapital" für das wertvollste und dauerhafteste Stuck des ökonomischen Lehrgebäudes von Marx halten und da~ her im Studium und in der Anwendung dieser Methode dle Zentralaufgabe der marxistischen Forschung von heute erblicken." 7)
23
1. e Rekonstruktion der ;'"arxschen Theorie als "logisc11e
Struktur des Kapitalbegriffs" (Helmut Heichelt)
a) Was heißt logische Analyse des Kapitalbegriffs?
Als einer der bedeutendsten und gründlichsten Beiträge
zu der auf besagtem Frankfurter Kolloquium formulierten
"Zentralaufgabe der marxistischen Forschung von heute"
gil t allgemei.n Helmut Reichel ts Arbeit "Zur logischen
S 1 d K l' f " b K I T,1 e'r ,',~ !I • 8) J".' h I' l' ." tru~tur es .apita begri.s ei ar .. _ _ •
die Anerkennung zuteil geworden,
Studien Wygodskis und Rosdolsky
über die "Kapi.tal H_
. 9) hinausgegangen zu Sln
und damit eine Hwesentliehe Voraus etzu~lg für eine ver-
ti e e und angemes en Interpr on der arx~3chen 'Kri-
tik .. 10) er politischen Okonomie' n darzu 1 en .
Reicnelt seJb t faßt den StCtna der !;Pe.kon:3truktionl! der
der poli tischen onomie!t kriti c e .c 01 /:'lJ-
sammen:
Interesse immer mehr dem ~arxsc]len Spätwerk doch der 81'hoff-
Klärung der methodischen ~eheint man kaum einen Schritt näher Gekommen zu sein. eh der von R dolsky verfaßte Kommentar hat daran nicht viel Geändert." 11)
Das Fazit aus di e~
:',1 a:r'):f 01' sc hun[; tl 1 ): Di
?heorie habe ihr Augenmerk
herigen
chäftigung mit der ehen
Ewf die "diidekti ehe Darstel
1 1 l( .·t '.," 1 ) . ung Qer A a egorlen 1 11Kapi ta.ll! zu richten, als UD-
c~bdinGbare Voraussetzung 1 urT: sich llabschlußhed't über di
~arxsche Methode und ihre Eignunc für die Analyse des
"t· TT '~1' ,,1!+)"(L .k"· gen'\,,ra.r 1gen f\.apl L.d. .. lsmus aUHlern Zl~ ,onnen.
Bevor die Argumentation von Reichelt und die in ihr ein
geschlossenen Probleme dargestellt werden. erscheint es
GrUnden der analytischen KJ.arheit angebracht, vorab
folgende Fr(,;1.gen zu dj.skutieren: 1. lilas hat maYl zum Gegen-
d. wenn man das Forschungsinteres a.uf die !!logische
Struktur des Kapi begriffs bei Karl Marx!lric 2. H:i.
hätte dement::-.;preche::1d eine .Llnalyse der "dial sehen
stellun der' Kategorien 11 iTn llKapi tal n cUl~,;zusehel1? :3. vIel
ohe Erkenntnislei.cstung dar rationellerweise von oiner 01-
ehen Nachzeichnung der l"ogik des
werden?
t('),lbcgriff::). erwaTtet
Beginnen wir mit der ersten Fr an ka.nn s eh die im
"Kapital" dargestellte Analyse der ökonomiscllen G
gen s t ä n cl e zum Gegenstand der wissenschaftli.chen Be
schäftigung nehmen. Dann i t zu untersuchen, ob die üher
die l'iare, die Lohnarbe:tt, die Akkumulation oder di Krise
1 4- 'J t'l i' [f' "ind, und der i.nhaltliche NC.ch-darGe egcen l r 'el e S J:l.m II ~
volJ,zug der [',Iarxscben Ar{;umente muß ergeben) ob diese Ge
gem;tände der kapitalistischen Ökonomi in 'i.hrer chaf
fenheit, ihren Gesetzen, Zwecken und ihrem Grund
und begriffen ind.
Selbstverständlich kann man ttd en ehenfalls d:tf'
"logische t r u tu r des Kapi ta.lbegri fs n 'lnter-
suchen. Solch eine Analyse ich darauf berufen, daß
arx von sj.ch selbst behauptet, der Tlegelschen l,ogik
!!' 1 +t· -l-1I1 S) zu h~l)en lJnd 1'betont. welch 1 großen Dienst I KOKe,-, ,1CrL.. .J;' (." J. ,
ihm die HegeIsche Logik in der 1 ethode des ci teDs'
geleistet habe. ,,16) Der GeGen t;;;;.nd ein solchen naJ.yse
sind dann niclyt di e im "Ko.1)i. tal !I darges 1 ten
Inhalte, sondern die allgemeinen und formel en
o 1/; i
on omi sc
o 1 gen des Denkens, Urteilens und Schließens
gemeinen Formbestimmungen der Darstellung
eher Einsichten als System.
wissenschaftli-
Reichelt wei.st in diesem Zusammenhang <i.uf die Bedeutung
hin, die der HeGeIschen I,oC;ik in B~z,ug auf eine Analyse
, jf "11 • 'f-f'"lI r .VOr-1!Yl.c:,'nie}lt der "logischen Struktur oes ",~pJ.Ta.L)e2,rl .LS /"u., ,,,''v' "
nur sei "die 1 schwer verständliche HegeIsche Ausdruc::s",ei.
set integraler Bestandteil der :,larxschen KritiklI, ondern
darüber hinaus zeiclme "eine an der HegeIschen I,oGj,k orj.en--~ 11 16(1 ) 1·'1' "l(~y . '<-~"ll! Oll tierte Form der Darste11ung OVJO L, GelS üpJ_ 1,(".. c"
25 26
auch vO.'!: allem die "Grundrisse der Kritik der politischen
Ökonomie" aus. Insofern erscheint es sinnvoll, in einem
ersten Schritt darzustellen, was laut Hegel die "Wissen
s c haft der Logik" zu un tersuc hen hat un d worin di e Lei
stungen und die Grenzen der "IJogik" zu sehen sind. Den
Gegenstand einer "Wissenschaft der Logik" bestimmt Hegel
wie folgt:
"Die Denkformen müssen an und für sich betrachtet werden; sie sind der Gegenstand und die Tätigkeit des Gegenstandes selbst; sie selbst untersuchen sich, müssen an ihnen selbst sich ihre Grenze bestimmen und ihren
aufzeigen. Dies ist dann diejenige Tätigkeit des ens, welche demnächst als Dialektik j.n besondere
Betrachtung gezogen werden wird und von welcher hier nur vorläufi zu bemerken ist, daß dieselbe nicht als von außen an e Denkbestimmungen gebracht, sondern vielmehr als denselben selbst innewohnend zu betracht en ist." 1 7)
Untersuchung der "Dialektik" oder, in Reichelts \vorten,
der "logischen Struktur" greift die ökonomischen Inhalte
des "Kapital" als bloßes Material auf, um die allgemeinen
Momente und Gesetze des Denkens zu bestimmen. Sie ist al-
sc sczusagen eine Erläuterung, was beim Denken und Erken
nen geschieht. Ihr Thema ist, um ein Beispiel zu nennen,
nicht die Warenanalyse, sondern die \varen analyse.
Si fragt nach der logischen Eigenart des 13 e g r i f .f s
der \'Jare; dieser selbst ist dabei als gültiger unterstellt.
Die logische Analyse untersucht also die allgemeinen und
formellen Gesetze des Gangs des Denkens, das - um dies hier
nur anzudeuten - zunächst die wahrgenommenen Teile, Un
terschiede, Eigenschaften und Homente einer Sache schei
det, dann nach der Sonderung der verschiedenen Seiten zur
Tätigkeit des Urteilens und Schließens weitergeht usw.
Es ist h1e1'bei in unserem Zusammenhang wichtig festzuhal
ten. daß die Logik das stattgehabte Denken untersucht,
also in unserem Falle die "logische Struktur" des von
Il\arx erarbeiteten "Kapitalbegriffs". Vom Stand
punkt der Erarbeitung von materialem Wissen über die po-
litische Ökonomie des Kapitalismus aus ist sie nutzlos,
weil sie ihm notwendig erst nachfolgt und zu seinem Er-. 1 8) 0 • t n·· dl' e folg nichts mehr bei tragen Kann. 00 ln eressa c .
wissenschaftliche Beschäftigung mi t der "logischen Struk
tur" sein mag, zum Gelingen einer Wissenschaft wie der po
litischen Ökonomie zum Beispiel vermag sie keinen Beitrag
zu leisten. Für seine geistige Arbeit benötigt der Mensch
die Wissenschaft der Logik nicht, weil er - wie Hegel be
merkt - ihre Gesetz längst betätigt, "so sehr natürlich
ist ihm das LogiSche".19) \~eil ein zwar wissenswertes,
aber nicht notwendiges Gebiet der Wissenschaft, bezeich-. '''s t d L~' ,,20). net Hegel die Logik zurechT als oen onn ag es coens ,
sie ist ein luxuriöses Betätigungsfeld des Gej.stes, denn
"das Bedürfnis, sich mit den reinen Gedanken zu beschäf
tigen, (setzt) einen weiten Gang voraus, den der Henschen
geist durchgemacht haben muß; es ist, konn man sagen, das
Bedürfnis des schon befriedigten Bedürfnisses der Notwen
digkei t. ,,21)
Dasselbe gilt, wenn sich die Untersuchung der "logischen
Struktur" nicht den Gesetzmäßigkeiten der Analyse, sondern
dem Formellen der Darstellung wissenschaftlicher Einsich
ten als System zuwendet. Nochmals sei Hegel zitiert, der
davon spricht, daß "die wahre Gestalt, in welcher die V/ahr
heit existiert, allein das wissenschaftliche System der
selben sein (kann),,22) und als dessen Prinzip festhält:
"Die Hethode, wie in der V/issenschaft der Begriff sich aus sich selbst entwickelt und nur ein immanentes Fortschreiten und Hervorbringen seiner Bestimmungen ist" -"heiße ich die Dialektik". "Diese Dialektik ist dann '" nicht äußeres Tun eines subjektiven Denkens, sondern elle eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre ZVJelge und Früchte hervortreibt." 23)
Gegenstand einer Analyse der "logischen Struktur" der Dar
stellungsform ist, um dies wiederum durch Unterstreichung
zu verdeutlichen, nicht der entfaltete Kap i t Cl 1 begriff,
sondern die Entfaltung des Kapital be gr i f f s. Auch
27
hier werden die materialen Inhalte der "K ·t'k cl . ~:_..:<:._ ,,"1 . t\ .. ' Tl. 1. .er poll-" . .L,~,cLen Ol{OnOmlE' Dur ,-. ",t;""t - 1 • " Lce. erJ,a genommen, die allgemei-
nen und formellen Bestimmungen eines "Systems" darzustel
len. Des:"en Charakterishk besteht de;,rl'n, " nur s ovi el ist
hier wichh.g anzudeuten, die l:lesh.mmungen einer Sache in
1 hr em not. wen di gen Zus ammen han g zur Dars teIlung zu bringen.
Ein System ist also nicht el'n Agg-lomer~t ,. ~ von richtigen Ur-
teilen übel' 3.einen Gegenstand, sondern diese Urteile sind
untereinander in ihrem i.nnere'l',' Z usammenhang dargestellt,
so daß nach jedem U t 'J d 'j l' el. er ;:angel dieser Bestimmung fest-
gelJaJ.ten wird, um ~o f 1 d ... " zur o. gen en reicheren Bestimmung
uberzugehen. Dies ist damit gemeint, wenn Hegel die Dia
lekt:Lk als ein "immanentes Fort~chrel' ten de,.s ~ Begriffs"
charakteri,siert. So sind i.m volleno'eten "'" t d ' . oys em er poli-
tischen Ökonomie" alle Momente der Sache . d' " " ln lesern Falle
iche Gegenstände, Einrichtungen und Bewegungen des
Produktions- und Reproduktionsprozesc,es ~ des Kapi tals in
ihrer not>vendigen Beziehung zu ihrem allgemeinen Zweck
dargestellt.
Ff.ir unseren Zusammenharlg, 't 11 ,18 vor a , em von Bedeutung zu
verstehen daß das T.'l' S" " 1 , vv ,,,en um CiJ.e algemeinen Bestimmun-
gen eines Systems zwar eine Hilfe sein mag als "r~ethode
des Bearb ei tens" "i e~ S t i'f ~ n Q ,o:s zum Zwecke seiner Darstel-
lung, wenn der Forschungsprozeß abgeschlossen ist. Ein
Kri terium für di e Iüchtigkei t der Urtel'l e über eine Sache
kann es aber schlechterdings nich-!-c sein. Zwar mag di e sy-
stematische Ordnung nur h .. sc wer und mit 'gewaltsamen' Über-
gangen herzustellen sein, wenn das Resul-!-at d D h c es l' orsc ungs-
prozesses falsche Urteile sind, richtiger oder falscher
aber werden sie nicht dadurch, daß sie in systematische
Form gebracht werden, So verhindert vhssen um die Gesetz
mäßigkeiten des Urteilens und Schließens sowie der syste
matischen Darstellung der so gewonnenen Resultate nicht
falsche und ideologische Erkenntni"se. D~~auf ~ = ~ weist Marx
in seiner Kritik &'1 der HegeIschen Ableitung des Privat-
28
eigentums aus dem freien Willen hin24
): rj,chhge Beshm
mungen der Dialektik in der "Logik" haben Hegel nicht da
von abgehalten, falsche Auffassungen über die Natur cles
Privateigentums zu vertreten. So kann umgekehrt di.e :',1'
klärung der Vlare bei !4arx auch nicht dadurch ri<;:hh
oder falscher werden, daß sie als "Elementarform" des
Reichtums und "einfachstes ökonomisches Konkretum,,26) den
Anfang der systematischen Ableitung bildet, die das inne
re Verhältnis der verschiedenen Formen des Reichtums (Vla
ren, Geld, Kredit, Aktien, Grundstücke) zur Darstellung
bringt.
Diese Überlegungen lassen sich noch präzisieren, wenn viiI'
uns der Erörterung der zweiten und dritten Frage zuwenden,
wie eine Analyse der "logischen Struktur des Kapitalbe
griffs bei Karl r,larx" auszusehen hätte und was eine sol
che Untersuchung zu leisten vermag. Dies soll anhand ei.
ner innerhalb der "Rekonstruktion" der r,\arxschen Theorie
extensiv diskutierten Fragestellung exemplarisch umrissen
werden: der Frage nach dem "Verhältnis von logj.scher und
historischer ~!ethode". 27) Oder in anderen Vlorten aW3ge
drückt': Warum gibt es im logischen Gang der Darstellung
des allgemeinen Kapitalbegriffs historische Ausführungen
und Exkurse, wann werden sie notwendig?
Marx selbst begründet im "Kapi tal ", warum er den Gang der
Darstellung des allgemeinen Begriffs des Kapitals nach der
Analyse des Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation un
terbricht und die Darstellung der geschichtlichen Heraus
bildung des Kapitalverhältnisses - die sogenannte ursprüng
liche Akkumulation - folgen läßt:
"~,lan hat gesehn. wie Geld in Kapital verwandel t. durch Kapital Mehrwert und aus Mehrwert mehr Kapital gemacht wird. Indes setzt die Akkumulation des Kapitals den Mehrwert. der Mehrwert die kapitalistische Produktion. diese aber das Vorhandensein größerer Massen von Kapital und Arbeitskraft in den Händen von Warenproduzenten voraus. Diese ganze Bewegung scheint sich also in einem fehlerhaften Kreislauf herumzudrehn. aus dem wir nur hinaus-
29
kommen, inden wir eine der kapitalistischen Akkumula-tion vorausgehende 'ursprüngliche' Akkumulation ('prevoius accumulation' bei Adam Smith) unterstellen, eine Akkumulation, welche nicht das Resultat der kapitalistsehen Produktionsweise ist, sondern ihr Ausgangspunkt," 28)
Es ist wichtig zu verstehen, daß sich der hj.er vorliegende
"Übergang" von der begrifflichen zur historischen Darstel
lung der "Logik der Sache,,29) verdankt, die hier noch ein
mal rekapituliert sei: Die Akkumulation des Kapitals setzt
die Trennung von Produktionsmitteln und Produzenten - die
Existenz von doppelt freien Lohnarbeitern auf der einen
Sei.te und von Produktions- und Lebensmitteln in ds:" Hand
von Geldbesitzern auf der anderen - ebensoselo_l' voraus, wie
sie beständi.g diese Trennung auf wachsender Stufenleiter
reproduziert. Wenn diese Trennung von Arbeitskraft und
Reichtum beständiger Ausgangs- und Endpunkt des kapi tali-
stischen Akkumulationsprozesses ist so schließt I'larx -
dann muß ihr eine ursprüngliche Trennung vorausgesetzt sein,
die nicht Resultat, sondern eben Ausgangspunkt ist. Die
Bestimmung des praktischen Zirkels der Kapitalbewegung ver
weist so auf ihren historischen Grund.
Diesen besonderen Gedankengang nimmt r~arx j.n den "Grundris
sen" zum Anlaß einer allgemeinen Bemerkung über den Zusam
menhang von "logischer und historischer r,lethode":
"Andrerseits ... zeigt unsre Methode die Punkte, wo die historische Betrachtung hereintreten muß, oder wo die bürgerliche Ökonomie als bloß historische Gestalt des Produktionsprozesses über sich hinausweist auf frühre historische Weisen der Produktion. Es ist daher nicht nötig, um die Gesetze der bürgerlichen Ökonomie zu entwickeln, die wirkliche Geschichte der Produktionsverhältni s s e zu sc hr ei ben .. Aber di e ri c hti ge Anse hauung und Deduktion derselben als selbst historisch gewordner Ver häl tnis s e fü hr t immer auf ers te GI ei c hungen - wi e di e empirischen Zahlen z. B. in der Naturwissenschaft -, die auf eine hinter diesem System liegende Vergangenheit hinweisen. Diese Andeutungen, zugleich mit der richtigen Fassung des Gegenwärtigen, bieten dann auch den Schlüssel für das Verständnis der Vergangenheit ... " 30)
30
Rekapi tul i eren wir, sich einer Untersuchung entnehmen
läßt, die ihr Augenmerk auf die "logische Struktur" rich
tet, in uns er em Bei spi. el auf den Fortgang der Dars tell ung
der allgemeinen Bestimmungen und Gesetze des Akkumulations
prozesses des Kapitals zu seinen historischen Voraussetzun
gen. Oder dasselbe etwas anders formuliert: v/as läßt sich
getrennt von der Analyse des besonderen Gedankengang," -
des Schlusses von der Akkumulation auf ihre historischen
Bedingungen - als allgemeine Bestimmungen dieses Ganges
f es thaI ten?
Der Übergang von der begrifflichen Darstellung des Akkumu-
1 ati onspr oz es s es zu sein en hi s tori sehen Vor aus setzungen
hat seinen Grund weder in einem subjektiven Einfall, einem
Interesse oder einer Vorliebe von I-larx, noch verdankt er
sich der Anwendung einer von ihm gewählten äußerlichen
lliethode. Vielmehr entpuppen sich die Notwendigkeiten des
Gangs der dialektischen Darstellung als nichts anderes
denn die Notwendigkeiten der dargestellten Sache. Der Ort
historischer Reflexionen im Eahmen der dialektischen Dar
stellung ist durch die Bestimmungen der Sache bezeichnet:
ihre Notwendigkeit, wo ,,31) . t zung ist ,verwels
"jedes Gesetzte zugleich Vor2.usset
auf die historischen Voraussetzun-
gen dieses "fehlerhaften Kreislaufes".
llian merkt, daß mit der Bestimmung des allgemeinsten Fort
schreitens aller möglichen besonderen Gedanken nur sehr
wenig mitgeteilt wird, so richtig die wenigen Bemerkungen
auch sein mögen. Darüber hi.naus ist das Folgende festzu
halten: Im Unterschied zum Studium der im "Kapital" dar
gestellten Urteile über die kapitalistische Produktions
weise, das im ideellen Festhalten von Bestimmungen, Be
ziehungen und Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen
Öko no mi e resultiert, ist das Erkenntnisresul tat der
Analyse der "logischen Struktur des Kapi talbegri ffs" \tJis-
sen über die formellen Bestimmungen von Hissenschaft
31
I,etz tel' durchaus e 1 fe sein, v/enn darum
oz über Sacli8 zum
sehe Ordnung zu
. \rlc:nn er von dC'nl !!Großen
cht, den ihm die I1by rnere accj.den 11 en
ei ten~) 11]
kte
ethode de'3 ge-
1 s tct hr.;tlJ . Aber) und darau kommt in unserem Zusum-
hang di es es s on üb er Formelle von Wissenschaft
1 t rC Ins "trlJElcn urn da,J') vor 2:mzuc:l.gnel1 wäre,
eie un If:':jrrüttel zur
J.: api tal i ben . Vi<21mehr setzt;j umGc--
ehrt di arb r:lmuilgen über dEl.:::; !!Verhäl t-
ni von 1 eher 1)11 bi tori eher cthodc!l im \'Kapital!j -
oben ne,chge'JJi cn c hon
de:, Akkumul cl
S ol:Jeni kann d 'vii s en bel'
3S8n tiber die Bestimmungen
K a,p i tal s v CI' au s. U n cl e b cn -
e 1110gi ehe S truJe tur!l des
talbeGrl.ffs Wahrhei tskri ter:Lum für cU e :t m Ka,pi tal-
ff zusammengefaßten , 33) ürteile fung:leren.
Henn man ß, daß "der sy he Ort der Behandlung
diese,; Prozesses (der ur3prünglichen Akkumulation; d. Verf.)
dUTe die immanent _I_li] 1-1) festg;elegt i v
Logi.
dann 1.s
fer:nell, di.ese Bemerkung i"it -,
er k lec;or:i.alen. Darstellung
d t - 0 richtig, wenn auch
chts darüber ausgesagt, ob
die m Abschnitt über die Gesetzmäßigkeiten der Akkumula
tion des Kapitals gegebenen Bestimmungen zutreffend sind,
noch ist darüber entschi,eden, eb in der Darstellung der
hi tori s c hen Vor 211) S s etzung der k api tal i s ti sehen Pr odukti ons
",eis die Rolle der Blutgesetzgebung, der Staatsschulden
edel' des Kolonialsystems richtig aufgefaßt ist.
b) e logische Struktur des Kapitalbegriffs : das Wahr-
heits- und Geltungskriterium der lilarxschen Theorie
Vor dem Hintergrund dieser Bemerkungen, die der Selbstver-
gung dienen oll ten, wa:3 der Gegenstand einer Ana-
32
ly se der "1 ogi s c hen S truk tur des Kapi tal b egr ; .:' .",;" ist
und was rationellerweise an Erkenntnl.sleistung von einer
solchen Analyse erwartet werden darf, wollen wir uns wie-
der den Arb ei ten zur "Rekonstruktion" der I-larxschen Theo-
ri e zuwenden.
Hi er ist zunäc hs t auf den Fortschritt der Bei träge Rei-
chelts gegenüber der zu BeGinn dieses Absclmitts zitierten
r,1 arx-Rez ep ti on Ros dol skys hinzu weis en .35) Ros dolsky ist
bemüht, durch die explizite Trennung von Gegenstand und
I:lethode die "Fruchtbarkeit" der r·larxschen Theorie, sofern
sl.e als t4ethode rekonstruiert wird, hervorzuheben. "Re
konstruktl.on" der l·larxschen Theorie heißt bel. ihm der
Versuch, getrennt von der Lo[;ik der Sache eine Sache der
l,o[;ik zu isolieren. ünabhän[;ig von den im "Kapital" dar
gestellten ürteilen über den Gegenst&'1d - die dort gege
bene Bestimmungen und Gesetzmäßigkeiten der kapitalisti
schen Produktionsweise gelten Rosdolsky angesichts der
Entwicklung der Realität als fragwürdig - soll ein me
thodisches Verfahren konstruiert werden, das gleichwohl
dem Gegenstand angemessene Erkenntnisse hervorzubringen
geeignet sein soll. Bei Rosdolsky wird Methode also gerade
im oben kritisierten Sl.nn verstanden, zum einen als ein
Instrument, das vor der Erkenntnis des modernen Kapi talis
mus als deren t'littel zu konzipieren sei, zum anderen als
Wahrheitskriterium, &'1 dem - und nicht an den inhaltli
chen ürteilen von :\larx - sich die Gültigkeit der l:iarx
sehen "Kritik der politischen Ökonomie" entscheide. Ge
gen solches Verständnis der Trennung von Methode und
, f 36) d ,- ' h R . h 1-1- Er durchgeführter \'ilssenscha twen ee SlC elC e e.
weist berechtiGterweise darauf hin, daß die Beschäftigung
mit der t4ethode oder "dialektischen Darstellung der Ka
tegorien" das Studium der dargestellten ökonomischen In
halte nicht ersetzen kann, sie vielmehr umgekel1rt gerade
den Nachvollzug und die Prüfung der ökonomj,schen Urteile
v orauss etz t:
33
"~4arx insistiert darauf - und darin zeigte er sich als ein echter Schüler von , daß über die r,lethode, abgelöst vom Inhalt, nie ausgesagt werden kann." 37)
Darüber hinaus macht Heichelt auf den Fehler aufmerksam,
die dialektische !liethode als ein Instrument zu verstehen
- oder sie gar als ein solches zu "rekonstruieren" -, das
vor der Erforschung der Gegenstände zu erlernen sei, um
dann auf si e angewendet zu werden:
"Irreführend ist daher vor allem die Hede von der 'Anwendung der dialektischen !ljethode', die den Eindru~ vermittelt, als ob es sich um eine erlernbare Verfahrensweise handle, die an verschiedene Inhalte von außen herangetragen werden könne." 38)
Solches falsches Verständnis der Dialektik verdanke sich
nämlich einem unkritischen Verhältnis zu den '~ethodendis
kussionen" der modernen Sozialwissenschaft, die "je schon
in einem Verhäl tnis wesentlicher Äußerlichkei t zum eigent
lichen Gegenstand stehen.,,39) Ihr hält Heichelt vor, daß
hier r~ethode identisch ist mi.t instrumentellem Verfahren,
das die Objektivität des Denkens ad acta gelegt hat, da
der "Gegenstand vorweg schon in ei.ne bestimmte Form ge
bracht wurde. ,,40)Gegenüber einer Wissenschaft, die der Sub
sumtion des Gegenstandes unter eine von außen an ihn heran
getragene Methode das \\Tort redet, betont Heichelt, "daß
abgelöst vom Nachvollzug seiner Darstellung (der des Gegen
standes; d. Verf.) so gut wie nichts über die Methode aus
zumachen ist.,,41), somit die Beschäftigung mit der Hethode
bzw. "logischen Struktur des Kapitalbegriffs" nichts an
deres sein kann als die Betrachtung des immanenten Fort
gangs der dargestell'ten Sache selbst.
So sehr einerseits dieser Kriti.k an Positionen zuzustim
men ist, die die "dialektische Methode" in Gegensatz zu
den politökonomischen Inhalten stellen und in ihr den
Schlüssel für die ganze Marxsche Theorie und ihre Brauch
barkeit für die Analyse des Kapitalismus sehen, so ist an
derersei ts bei Heichel t selbst ein Zurückgehen hinter sei-
34
ne eigene Kritik nicht zu übersehen. Denn neben dem Jr-
teil, "daß über die r"ethode, abgelöst vom Inhalt, nichts
ausgesagt werden kann ,,1+2) , findet sich bei Heichelt die
dem en tgegenges etz te Behaup tung, ger ade di e "F orm der Dar
stellung" eröffne "erst den Zugang zu den eigentlichen Ge
halten der Harxschen Ökonomiekritik.,,43) So sehr Heichelt
einerseits betont, daß die Sache der Dialektik identisch ist
mit der Dialektik der Sache, so kündigt sich in der letz
ten Formul i erung ander ers ei ts di e dem wi derspr ec hen d e Auf-
fassung an, die Sache der Dialektik sei doch mehr als
die Dialektik der Sache. Als Beleg und Bestätigung dafür
gilt ihm der Hohentwurf des "Kapital", die "Grundrisse zur
Kritik der politischen Ökonomie":
"Die Verflechtung von Sachverhalten, die traditionellerweise der ökonomischen Wissenschaft zugerecrlllet werden, und eine an der Hegelschen Logik orientierte Form der Darstellung dieser Sachverhalte ist hier so eng, daß das eine abgelöst vom andern gar nicht mehr zu erörtern ist. Die Gesamtdarstellung des ökonomischen Systems weist ein Höchstmaß an subtilen methodischen und systematischen Überlegungen auf, doch ist es unmöglich, auch nur einige Gedanken abzutrennen und gesondert vorzutragen, ohne sie in ihrer Substanz zu verletzen oder ihnen die Form von Dogmen zu geben." 44)
Warum so ist hier zu fragen - soll die separate Erörterung
eines einzelnen Gedankens, Urteils oder Schlusses diese "in
ihrer Substanz verletzen" oder ihnen gar "die Form von Dog
men geben"? Was soll sich an der Objektivität der "geson
der ten" Bes ti mmung der \\Tar e al sEin hei t von G ebr aue hs wer t
und Wert oder an der Wertbestimmung als Vergegenständlichung
abstrakter Arbeit 'substantiell' dadurch ändern, daß oder
daß nicht - zugleich über· das Geld, das Kapital oder die
Akkumulati on und deren notwendigen Zusammenhang zur Ware
geurteilt wird? Wie am Beispiel des Übergangs von der Dar
stellung der Gesetze des kapitalistischen Produktionsprozes
ses zur Betrachtung seiner historischen Voraussetzungen in
der sogenannten ursprünglichen Akkumulation sowohl im "Ka
pital" als auch in den "Grundrissen" von mir gezeigt, setzt
die Darstellung des immanenten Zusammenhangs die substan-
35
tielle Bestimmung der einzelnen Gegenstände voraus, an
statt sie umgekehrt in ihrer Substanz erst noch zu be
stimmen. Die Objektivität der Urteile sowohl Uber das im
Abschni tt zur Akkumulati on dargestell te Gesetz der pro
gressiven Produktion einer industriellen Reservearmee als
auch Uber die Rolle von Expropriation, Wucherkapital oder
Staatsschulden im Prozeß der ursprUnglichen Akkumulation
wird nicht im mindesten dadurch tangiert, wenn sie in ih
rem notwendigen Verhältnis zueinander - dem der histori
schen Voraussetzung - dargestell t werden. Denn es ist kein
von den Urteilen Uber die einzelnen ökonomischen Gegen-
stände getrennter Zusammenhang, der im "Kapital"
oder den "Grundrissen" zur Darstellung kommt, sondern
ihr Zusammenhang, der sich eben aus den Bestimmungen
und Gesetzmäßigkeiten der einzelnen Gegenstände selbst
ergibt.
Wenn Reichelt dagegen der "Gesamtdarstellung des ökonomi
schen Systems" die Funktion beimißt, die einzelnen Gedan
ken, Urteile und SchlUsse in ihrer Substanz oder Objekti
vität wesentlich zu modifizieren, dann trennt er nicht nur
entgegen seiner eigenen Warnung, die "Form der Darstellung"
au f kein en Fall von den ök on omi sc hen S ac hv er haI ten 'abzu
lösen', die r~ethode der Darstellung von ihrem ökonomischen
Inhalt. Er hebt darUber hinaus die "Form der Darstellung"
in den Rang, mehr zu sein als die systematische Darstel
lung der einzelnen Urteile Uber die ökonomischen Gegen
stände in ihrem notwendigen Zusammenhang. Seinem Verständ
nis zufolge ist es erst die "Gesamtdarstellung des öko
nomischen Systems", die den 'gesonderten' Gedanken ihre
sub s t an t i eIl e W a h r h e i t zu geb en vermag bz w.
die "erst den Zugang zu den eigentlichen Gehalten der
Marxschen Ökonomiekri tik,,45) eröffnet. Die Gel tung des
r'larxschen Systems der politischen Ökonomie soll dieser In
terpretation zufolge nicht in der GUltigkeit der einzel
nen ökonomischen Urteile bestehen, sondern umgekehrt soll
sich die GUltigkeit der einzelnen Urteile aus der IVahr-
36
heit der Gesamtdarstellung des ökonomischen Systems erge
ben. Nur - so muß sich Reichelt an dieser Stelle fraGen
lassen - woran bemißt sich dann die Geltung des Systems?!
Reichelt fällt damit auf eine Position der "~lethodendis
kussionen" zurUck, die er selbst Uberwunden zu haben be
ansprucht - das Postulat des Systems, das als Ganzes mehr
sei als der Zusammenhang seiner Teile, was den von ihm
kritisierten Gedanken der "Äußerlichkeit der Form geGen
Uber dem Inhalt,,46) notwendiG einschließt. Über die Teile
des Systems - die einzelnen GeGenstände bzw. die einzel
nen Urteile Uber sie - wird diesem erkenntnistheoreti
schen Diktum zufolGe behauptet, sie seien fUr sich ge-
nommen unvollständig und mangelhaft, da bIo ß die Tei-
le eines umfassenden Systems. UmGekehrt wird sich das
System als eines vorgestellt, das mehr sei als der
Zusammenhang der Teile selbst und den für sich mangelhaf
ten Teilen bzw. Urteilen erst zu ihrer wahren ';)ubstanz'
oder ihrem 'eigentlichen Geh,üt' verhelfe. Der \üderspruch
dieser erkenntnistheoretischen Idee des Verhältnisses von
System und Teilen besteht darin, einen von den Teilen Ge
trennten Gesamtzusammenhang zu behaupten, der gleichwohl
der 'substantielle' Zusammenhang der Teile sein soll. Oder
dasselbe von den Teilen her formuliert: die Teile sollen
einerseits den ZusammenhanG des Systems konstituieren. der
andererseits erst den wahren Zusammenha"lg der Teile stif
ten soll. Auf die Darstellung wissenschaftlicher Einsich
ten als System angewendet führt diese widersprüchliche
Vorstellung über das Verhältnis vom Zusammenhang und sei
nen Teilen zu dem methodischen Pcstulat, daß die analy
tischen Urteile Uber eine Sache ungeachtet ihres 'sub
stantiellen' Inhalts als prinzipiell mangelhaft aufzu
fassen seien. Denn sie sollen ihre 'substantielle' ViaJo,r
heit ja erst und alleine in dem von ihnen getrennten Zu
sammenhang oder Gesamtsystem besitzen. \\fenn Reichelt in
diesem Kontext davor warnt, es sei unmöglich, einzelne
~-------------------------------------------CJ1it"'j; ~_._._. __ .. _---_ ... -
37
Gedanken der Gesamtdarstellung der "Kritik der politi
sehen Ökonomie" "abzutrennen und gesondert vorzutragen",
ohne ihnen "die Form von Dogmen zu geben", so ist aller
ding", umgekehrt ihm zu bedenken zu geben, ob die Gefahr
d~~ Dogmatisierung hier nicht auf Seiten desjenigen liegt,
der vor ihr warnt. Wenn sich nur vom Standpunkt des Sy
stems die Stimmigkei t der einzelnen im "Kapi tal" oder den
"Grundrissen" dargelegten Urteile prüfen lassen soll,
worin besteht dann die Stimmigkeit des Systems':' Vlenn die
Objektivität des Systems der "Kritik der politischen Öko
nomie" nicht ihren [VJaßstab in der Stimmigkeit der einzel
nen ökonomischen Urteile hat, muß sie dann nicht quasi
"dogmatisch" vorausgesetzt werden, anstatt 'sub-
stantiell' begründet zu sein? Macht Reichelt da-
durch die tclarxsche Theorie - so muß weiter gefragt wer-
den - entgegen seinem Anliegen, zur Rekonstruktion und
Erhärtung des "Kapital" als die den bürgerlichen Theorien
überlegene, da objektive VIissenschaft beizutragen, nicht
verv.'Undbar gegenüber den Kritiken der etablierten Sozial
wissenschaft, die die Urteile von arx über das Geld, die
Ausbeutung oder die Krise als falsch, ideologisch oder
veraltet ansehen? Muß nicht am Ende gar bei Reichelt selbst
ein Moment von Skepsis gegenüber den einzelnen politöko
nomischen Urteilen von ~jarx zurückbleiben, deren Objekti
vität er dooh gerade nachzuweisen bemüht ist?
Diese Fragestellungen umreißen nochmals die Konsequenzen,
die mit der Übernahme der metaphysischen Fassung des Ver
hältnisses von System und einzelnem Urteil notwendig ver
bunden sind und das Projekt einer "Rekonstrukti on" der
Iliarxschen Theorie, wie Reichelt dies beabsj.chtigt, nicht
unberührt lassen: 1. Für die Seite der sachlichen Aussa
gen vcn Iliarx über die ökonomischen Gegenstände zieht dies
ihre Verwandlung in Hy pot h e sen nach sich. Denn die
'Substanz', Objektivität und Gewißheit der sachlichen Ur
teile verbürgen nicht sie selbst, sondern alleine die "Ge-
38
samtdarstellung des ökonomischen Systems", also die von
ihnen getrennte dialektische t·"lethode ihrer Darstellung.
2. Für die Seite der dialektischen Methode ist die not-
wendige Konsequenz der Ver 1 u s t jedes in dem Gegen-
stand liegenden Anhal tspunkts Denn ihren Halt
kann die Methode nicht aus den sachlichen Urteilen über
die ökonomischen Gegenstände beziehen, wenn sie als deren
Fundament fungieren soll.
Beide Konsequenzen bezeichnen das Dilemma, in das der Ver
such führt, eine "logische Struktur des Kapitalbegriffs"
von den im Kapitalbegriff in ihrem systematischen Zusam
menhang dargestellten ökonomischen Urteilen abzutrennen,
um erstere als den Schlüssel für und Objektivitätskrite
rium von letzteren zu rekonstruieren: statt - wie von Rei
chelt beabsichtigt - zur Gewißheit über die sachlichen
Aussagen einerseits und die dialektische r·jethode ihrer
Darstellung andererseits beizutragen, wird so aus der
Marxschen Theorie ein erst noch zu bewältigendes Pro
bl e m :
"Erst wenn über den Sinn dieser Unterscheidung ("zwi schen der Darstellung des 'allgemeinen Begriff des Ka-pitals' und der ... Darstel der \·Jirklichen Konkur-renz, des existierenden Kapi ismus also"; d. Verf.), der nur auf dem Wege einer detaillierten Nachzej.chnung der dialektischen Darstellung der Kategorien und Erörterung der Implikationen dieser Darstellun form zu er-schließen ist, Klarheit besteht, wird es ich sein, sich abschlußhaft über die ffJarxsche l-1ethode und ihre Eignung für die Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus zu äußern." 47)
An dieser programmatischen Äußerung über die "Aufgabe zu
künftiger Forschung,,48) ist zweierlei aufschlußreich: zum
einen die explj.zit instrumentelle Bestimmung der ;,larx
sehen Methode als Voraussetzung und l-littel "für die Ana-
lyse des gegenwärtigen Kapitalismus" eine Sichtweise von
tfJethode, die zu kritisieren Reichelt gerade bestreb war;
zum anderen die Aufgabe, die einer Untersuchung der von
~larx geleisteten "Darstellung des allgemeinen Begriffs
39
des KE:tpital 11 zugewiesen wird, nämlicI) ennt von und
'''01' der "Analyse des gegenwärtigen Kapitalismu~.;l1 die "Eig
nung" der :!;arxschen etrlode für diese zu prüfen - ebenfalls
eine ?osition, die Peichelt an anderer Ste11e zurecht als
"irre,. hrend" kritisiert, da sie "den Eindruck vermittelt,
211 ob es sich um eine erlernbare VerfahrensvJeis0 hElndle,
di e an verschi edene Inhal te von außen hero.'1L;etragen wer-
den 1c 'inn e "Li9) ;<'~ 'J' ,,"t "<l' C h"'l' g ,~\.. • .LIp.0 yv >.v. _~ zu verstehen, daß eichelt
dan;j"t der ItAuseinandersetzung mit dem arxscben hTer;-;:rt50)
einen neuen nllalt gegeben hat: die Besch;j .. ftiEjUng mit dem
i:n OKapi ~:aJ!l dar tell ten "Sy tem der bU ichen Öko-
:1 omi ';~'l~~ l1durch die Da.r t81J.un;~ zugleich Kri-
i t, vJIrd ersetzt durch die erkenntnis-
der axu~l:! ti ~)C hen T i c hk ci t der
arxs('hen ethodc.
eh thode? ~ns verbUrß~ ihre Ancemes an den zu
lU'lC ieht
In diesem Zusammen
1tAufgabe zukünftiger orschung" an.
g mißt er der "detiül ierten Nach-
;; ei c ti:3 he:n tellun en 11 _
tell der Erkenntnisrs;:)uJ vollzo e-
e der bkonoITli ehen Gegensttindc' W0I
L0hn, Kr t ".in hrem:imrna,n ten
tscheidende Eedci)tung bei, närnlic eüz.:; :i.ttel~
Tauglichkei der ethode für die noch Z,U er tel
1 en d e !\nalyse des ex:Lstiere:1den Kapita]j.;;mus, zu erwei
sen. v\lie aber, so st hier einzuwenden, so11en die im "Ka-
pital" dargestellten sachlichen Urteile di e Entscheiduncs
hilfe leisten? Denn entweder h"ndelt es sich bei den darge
legten ökonomischen Katecorien um Wissen über den existieren
den Kc.pitali,';mus; dann ist allerdings die Bestimmung einer
geeiS'11eten ethode, dieses \1issen hervorzubringen, nicht
mehr nötig. Oder die im "Kapital" dargestellten Kategorie:1
sind keine objektiven Bestimmungen des existierenden gegen
wärtigen' Kapitalismus; dann können sie auch schlechterdi:1gs
nicht als 1;laßstab oder Prüfstein für die Tauglichkej.t der
1!0
Methode zu seiner Analyse dienen; denn vermöge von Kate
gorien, die dem gegenwärtligen Kapitalismus unangemessen
sind, über die Angemes,,,enhei t einer l~ethode zur Analyse
des ge{;enwärtigen Kapitalismu" entscheiden zu wollen, ist
eine contradictio in adjecto. Diesen Aporien ist zu e:1t
nehmen, daß es sich bei der von Heichelt angegangenen
llAufgabe zukünftiger Ferse hung l1 um eine im trengen Sinn
unlösbeJ,re Problemstellung ha.ndelt. Sie besteht darin)
gleichsam nach einem archimedischen Punkt zu suchen, der
der l<larxschen I~ethode Halt zu geben vermaß und darüber
hinaus den !fmethodi ehen Anspruch rechtfertj.gen!t kann, !ldie
kapitalistische esellschaft :Ln einer Heise begrifflich
verELrbeiten zu können, vor der sich die Fragestel1unEen
der gegenwärtigen sozialwizsenscha.ftlichen ethedend:i.~)kl)
sion nicht nur als unzulänglich erweisen. sondern selb
noch als Ausdruck einer - in 11egels Worten SteJ.lun des
Gedankens zur Objektivit~.it: e arx in der ka:tc[jori cn .. . ,,52)
Darstellung je cho{J uber;~pr;lJ1gen ha.t.
c) Die "Kritik der }Ioh,tischen Ökonomie": ie En
eines Totali tätsbeßri ffs entfremdeten Formen
Heichelt geht es hei der von j.hrn angestrebten "neuen AU[3-
einandersetzunß mit dem arxschen \verk" also zum einen
darum aus den sachlichen lJrteil en der Kri tik der poli ti , .. . ". '. ". ,,53) 1 ~ • _ sehen Okonomle den Schnltt;punKt; zu KO<.10truleren, der
erlaubt, von der r.lar'xschen Theorie als positiver Wissen
schaft zu sprechen, die zurecht gegenüber der "bürgerli
chen Wissenschaft" für sich in Anspruch nehmen darf,
"zum ersten Male in der Entwicklungsgeschichte der r'!ensch
heit ... die gesellschaftliche Struktur in all ihrenEr-. "f b . k" ,,';4. scheinungsformen auf den Begrl" rlngen zu onnen. ,
zum anderen soll damit zugleich der "Prüfstein,,55) aus dem
"Kapi tal" herauskristalisi ert werden, der es umgekehrt
41
ermöglicht, vorweg "die Kritik an seinem IVerk und die ver
schiedenen Formen der Rezeption als unzulänglich zu de
chiffrieren, als Kritik und Rezepti 0:1 , die sich einem
Standpunkt verdankt, den er je schon überwunden hat: dem
des bürgerlichen SUbjekts.,,56) Und Reichelt hat damit nicht
nur das Problem der zukünftigen Forschung umrissen, sondern
ist sich gewiß, auch über die angemessene Lssung zu verfü
gen: Den "Schnittpunkt" und "Prüfstein", der der Marxschen
Theorie objektive Gültigkeit und "je schon" tiberlegenheit
über die bürgerliche lVissenschaft verbürgen soll, hat er
in einem methodischen Verfahren gefunden, das
er aus den sachlichen Urteilen der Marxschen Vierttheorie57 )
und der Theorie des Arbeitslo11ns 58) konstruiert:
"IVenn wir von derselben Struktur ausgehen, die wir als grundlegendes Problem des Frühwerks kennengelernt haben, der Struktur der Verdopplung, und uns an die spezifischen Merkmale der bürgerlichen Theorie erinnern, so können wir auch in diesem Falle, bei der Verdopplung der Ware in Ware und Geld, bestimmte 101otive der Kritik vorwegnehmend formulieren. Was für die Verkehrung der gesellschaftlichen Form der entfesselten Individualität zur Naturform und den daraus entspringenden Konse'1uenzen hinsichtlich der begrifflichen Verarbeitung der Form des politischen Staates und der verschiedenen Formen des ideologischen Bewußtseins gilt, gilt auch im Falle der Verdopplung der Ware in Ware und Geld. Das darf jedoch nicht nur im Sinne einer Analogie aufgefaßt werden. Rekurs auf die Basis heißt ja zugleich, daß die Wurzel der Verkehrung im bürgerlichen Denken in der Verkehrung der Warenform zur Naturform des Produkts zu suchen ist. daß es sich also bei der Dechiffrierung dieser Verdopplung für Marx um die Eröffnung des einzig möglichen Einstiegs in die theoretische Verarbeitung der gesamten bürgerlichen Gesellschaft handelt." 59)
Insofern bei I~arx der "Verkehrungsprozeß selber Gegenstand
der Theorie wird,,60), sei es berechtigt, im Unterschied
zur "bürgerlichen \Vissenschaft" der f.larxschen Theorie den
Anspruch zuzuerkennen, nicht nur die bürgerliche Gesell
schaft auf den Begriff gebracht zu haben, sondern darüber
hin aus auc h
42
"die Struktur der aufenen Geschichte einschließ-lich ihrer ideologis Formen. unverstellt durch ei-ne selbst noch diesem angehörende Präformierung des Bewußtseins, zu ifen. Sie schmiegt sich in ihrer 'wirklichen Darstellung' menschlicher EntWicklungsgeschichte der Struktur dieses Prozesses an, sie begreift ihren Gegenstand als einheitlichen, nämlich als Konsti tutionsprozeß derf'lenschhei t unter ei-ner Totalität entfremdeter Formen." 61)
Zunächst einmal ist zu konstatieren, daß das von Reichelt
aus der Beschäftigung mit der "dialektischen Darstellung
der Kategorien" tm "Kapital" konstruierte methodische Ver
fahren der "Dechi.ffrj.erung", welches lViarx bei der begriff
lichen "Verarbeitung" eler kapitalisti.schen Gesellschaft
praktiziert habe, einen theoretischen Zirkel darstellt:
Einersei ts entnimmt Rei.chel t den in den "Grundrissen"
und im "Kapital" dargestellten Resul taten der von
~Iar x durc hgefii hr ten An alys e der kap i tali s b. sc hen Pr oduk
tionsweise zwei sachliche Urteile, elie ihm als objektives
Wissen gelten: zum einen die Aussage über die bürgerliche
Gesellschaft, elie durch di.e "Verkehrung der vlarenform zur
Naturform des Produkts" bestimmt ist, und zum andern die
Bestimmung des biirgerlichen Denkens, das ebenfalls eine
"Verkehrung" aufweist und in der "Verkehrung der \'larenform
zur Naturform" gründet. Andererseits soll das schon erar
beitete Viissen um diese "Verkehrungen" die unabdingbare
Voraussetzung zur Erarbeitung "unversteJ.lten" Ihs
sens darstellen, den "einzig möglichen Einstieg i.n die
theoretische Verarbeitung der gesamten bürgerlichen Ge
seIlschaft". Das methodische Verfahren namens "Rekurs auf
die Basis" und "Dechiffrierung", das die er f 01 gr ei c he
sachliche Bestimmung der kapi talistischen Produkti onswei-
se samt des ihr zugehsrigen Be,mßtseins voraussetzt - denn
es wird ja gleichsam als Essenz aus ihr extrahiert -, soll
zugleich erst der Gar an t erfolgre:i.cher Analyse der ka-
pitalistischen esellschaft sein.
In unserem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß Rei
chel das von ihm kcnstruierte Verfahren, welches - um
es nochmals in allgemeiner Form auszudrUcken das Wis-
sen vom Wissen trennt und es als Vorbedingung fUr sich
selbst ), als Re-Konstruktion der von Marx
praktizierten wissenschaftlichen Verfahrensweise begreift.
Insofern sich Reichelt auf Marx beruft, erscheint es sinn
voll. im folgenden in einem ersten Schritt zu untersuchen,
was bei t'Jarx "Verkehrung der Vlarenform zur Naturform"
heißt. In einem zweiten Schritt ist dann zu diskutieren,
ob die von ReicheIt rekonstruierte Verfahrensweise der
"Dee ffrierung" des Gegenstandes "al Konst:ituti.onspro
zeß der Menschheit unter einer Totalität entfremdeter
Fcrr~en" den Anspruch einzul en vermag, den Heichelt mit
ihr verbindet: die Rechtfertigung des Anspruchs auf Wis
senschaftlichkeit und Objektivität der Marxschen Theorie.
Heichelt reklamiert gerade gegenUber der modernen bUrger
lichen Sozial und Vlirtschaftswissenschaft Marx als den
ers-:;en Theoretiker, der sich mit der "Dechiffrierung der
Verkehrung der vJarenform zur Na,turform l1 llüber das gesam-
te sehe Bewußtsein vergangener Zeiten hinweggesetzt,,6J)
habe. und beruft sich dabei vor allem auf den ersten Ab-
schrütt "Ware und Geld" des "Kapital". Was al.so ist von
Marx ausgesagt, wenn er in dem vielzitierten Kapitel über
den F'etischcharakter der Ware das "Geheimnisvolle der Wa
ren form" damit bestimmt,
"daß sie den l~enschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurUckspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen," 64)
Marx hat bei der Analyse von Ware und Geld entdeckt, daß
in diesen auf den ersten Blick so selbstverständlichen
und trivialen Dingen ein ganzes gesellschaftliches Pro
duktionsverhältnis eingeschlossen ist, welches nicht nur
44
das Handeln der Individuen in der bUrgerlichen Gesellschaft
bestimmt, sondern darUber hinaus auch deren Bewußtsein, das
von ihm als notwendig falsches Bewußtsein charakterisiert
wird. An der Leistung des Geldes, Waren zu kaufen, zum Bei
spiel hat Marx den Widerspruch dieses bkonomischen Sachver
halts bemerkt. Wie - so lautete seine Frage - kann denn
Gold die Leistung vollbringen, ihrer natUrlichen Beschaf
fenheit nach so vollkommen unvergleichbare Dinge wie Brot,
Häuser oder Maschinen untereinander zu vergleichen und ge-
geneinander auszutauschen? Mehr noch wie kann denn Gold,
selbst ein Ding, das seiner natUrlichen Beschaffenheit nach
zum Ausstopfen hohler Zähne oder als Material fUr Luxusar
tikel dient, die wahrhaft mysteribse Leistung bewerkstel
ligen, daß nicht nur untereinander, sondern auch mit ihm
vbllig inkommensurable Dinge ungeachtet dieser ihrer natUr
lichen Unvergleichbarkeit verglichen, verkauft und gekauft
werden? Die Beantwortung dieser Frage hat die gewbhnliche
Vorstellung über diesen bkonomischen Sachverhalt, es sei
eben die Leistung und der lobenswerte Dienst des Geldes,
die verschiedensten Gegenstände der menschlichen Produktion
und Konsumtion erst vergleichbar und damit austauschbar
zu machen, als "falschen Schein,,65) kritisiert: Denn - so
lautete der Schluß von Marx - wie sollen von ihrer natUrli
ehen Beschaffenheit her so inkommensurable Dinge Uber das
Geld verglichen und ausgetauscht werden kbnnen, wenn sie
nicht schon vergleichbar sind; nur weil ihnen getrennt von
ihren natUrlichen Eigenschaften eine gleiche Qualität in
newohnt, die rein gesellschaftlich ist und von Marx als
Wertgegenständlichkeit bestimmt wird, sind Brot, Häuser oder
Maschinen Uberhaupt austauschbar, kbnnen sie in Geld bemes
sen, verkauft und gekauft werden. Als erstes Resultat sei
ner Analyse von Ware und Geld konnte r4arx also festhaI ten:
Entgegen dem gesunden Menschenverstand, dem Geld als nUtz
liches Hilfsmittel fUr den Austausch von Waren gilt, macht
Geld nicht die Dinge der Produktion und Konsumtion ver
gleichbar, sondern setzt vielmehr deren Vergleichbarkeit
1;5
längst voraus; Geld kann gar nichts anderes ein als die
den Waren selbst als ihre gesellschaftliche Eigenschaft
innewohnende Wertgegenständlichkeit, di 1m Gold zugleich
selbständige Existenz und handgreifliche Form erhalten
hat und ihnen als Ding gegenübertritt.
Damit ist ein zweiter Widerspruch der talistischen Pro-
duktionsweise ausgesprochen, der theoreti eh geklärt sein
will - und über den hinwegzusehen nur dem sogenannten ge
sunden Menschenverstand kein Problem bereitet: Wenn ein
Ding es ist, das sämtliche Gegenstände der Produktion und
Konsumtion einer Gesellschaft aufeinander bezieht und ge
geneinander austauscht, was läßt dies über das gesellschaft
liche Verhältnis der Produzenten erkennen~ Ware und Geld -
so die Schlußfolgerung von Marx - setzen einerseits den
gesellschaftlichen Zusammenhang der einzelnen Produzenten
voraus, die sich s Glieder der gesellschaftlichen Ge-
samtarbeit betätigen; derorseits exi tiert der gese11-
schaftliehe Zusammenhang ihrer Arbeiten nicht in diesen
selbst, sondern getrennt von ihnen und verselbständigt in
einer S ac he. Wenn der Zusammenhang der gesellschaft-
lichen Arbeiten in einem Ding existiert, dann - so die
Analyse von Marx - ist das allerdings das Gegenteil ein~r
blo;'3 technischen Operation, gleichsam einer unsichtbaren
Hand, die eine fehlende bewußte Planung der gesellschaft
lichen Gesamtarbeit ersetzt. Das Geld ist vielmeh! ein
materiell gewordenes D:L k tat an die Produzenten, ein
gesellschaftliches Subjekt, das getrennt von und rück
sichtslos gegen die Bedürfnisse, Interessen, rHttel und
Fähigkeiten der produzierenden Individuen über die Re
sultate ihrer Arbeit entscheidet. Denn di Gleichsetzung
ihrer produzierten Ware mit Geld ist das Maß, ob überhaupt
und - wenn ja - wieviel des ebenfalls als Ware existie
renden gesellschaftlichen Reichtums der Produzent sich
kaufen kann; was umgekehrt bedeutet, daß es das Geld ist,
welches den Anteil des Produzenten an den Resultaten der
1,6
Gesamtarbeit beschränkt. In der sachlichen Gestalt des Gel
des hat Marx das matert le Substrat der 0 b j e k ti v e n
Verkehrung bestimmt, welche die bUrgerliehe Gesel -
schaft charakterisiert: Ware und Geld sind ökonomische For
men einer Produktionswei e, die einerseits au der Beherr
schung der Natur durch die gesellschaftliche Produktion
der Individuen berur.t; andererseits unterwerfen sich eii
Menschen einem ihnen als Sache gegenübertretenden gesell
schaftlichen Zwangs am:nenhang, den ie doch el.bst pro-
duzieren und der ihnen vJ:Le ein Natur[;es
gen ihres HandeIns vorschreibt:
di e
"Ihre eigne gesellschaftl ehe Bevicgung besi.tz,t für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrolli.eren." 66)
Ist erst einmal di in Ware und Geld objektive Verkehrung
der kapitalistischen Produktionsweise begri f , dann stellt
- so Marx - die dritte 'Verrücktheit' der bürgerli.cben ·3e
seIlschaft kein R~tsel mehr da: Warum den Individuen im Ka
pitalismus entgegen allem Augenschein und aller Logik "For
meln, denen es auf der Stirn geschrieben stebt, daß s
einer Gesellschaftsformation angehör J worin der Produk-
tionsprozeß die Menschen, der ensch noch nicht den Pro-
duktionsprozeß bemeistert, für ebenso selbstverständ-
liche Naturnotwendigkeit als die produktive Arbeit selbst,,67)
gel ten. Den in Ware und Gel d inkorporierten sachlichen Zwang
bestimmt Marx als den gesellschaftlichen Grund dieser sub-
jektiven Verkehrung,
wußtseins:
des notwendig falschen Be-
"Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Pri.vatarbeiten als das, was sie sind, d. h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhäl tnisse der Sachen." 68)
Marx weist an dieser Stelle darauf hin, daß unter Verhiilt
nissen, in denen eine ganze Gesellschaft auf v/are und Geld
beruht und in der sämtl che ökonomischen Operationen der
Prod"ktion und Kon8umtioo eh Vorfügung ü er Geld voraus-
setzen und auf die Verfügung üb Geld ausgerichtet sind,
di Lodividuen gar nicht umhin können, das Geld il1 selbst
verständlich gegebene Voraussetzung ihres HandeIns, als
"natürlichen Gegenstand" prakti ch zu behandeln und auch
the etisen so zu betra,ehten. Denn kaum verspürt das In
dividuum ein Bedürfni "nd kaum regt ich bei ihm ein In
ter se, ist e~) auf di VerfUgung Uber G d praktisch an-
en. rgerl:Lehe Sub,~j besitzt keine andere
Wahl; si h des Gel s seines Lebensmittels zu be-
di \v'enn für ohne Geld chts, aber mit Geld vieles
geht, 'vJe11 der Re':' htum der" Gesel schaft s I'ungeheure \
arnmlung ll ) existiert, o&.nn ist es zwar ej.ll "fal
sch'2r Schein", da;" Geld ale,; sinnvolle Eiorichtung für
eh und BedUrfnisbefriedigung anzusehen, aber ein durch
di gesel schaf tl ehen Umstände. unter dl das Individuum
eugt j_st, praktisch erzvrungener "falscher chein!!:
eselben (von dem m:Lnd unabhän gen, ol)c1eich auf ihn enden) Umstiinde. die die Pr eotecn z , ihre
?rodukte als Waren ~u verkaufen - IJmst~nde, eine Form der Produktion von der andren unterscheiden
en i.hren Produkt (auch für ihren mind) einen vom ebrauchswert unabhzi.n gen Tauschwert. Ihr 'mind' , ihr
durc nicht wissen, für es ma.g nicht h in fact der Wert ihrer Waren oder
estimmt sind. Sie sind in Vertnisse gesetzt, die j.hren mj.nd bes mmen, ohne daß
si.e es zu wissen brauchen. Jeder kann Geld als Geld brauchen, ohne zu wi sen, was Geld ist. Die ökonomi-schen spiegeln sich im Bewußts n sehr ver-
Marx legt Wert auf die Feststellung, daß der Fetisch der
Haren- und Geldform mißverstanden wäre, hielte man i.hn ~ PI"" . h' . -, 1 t· 71 ) für ej.n blojjes .1'oh. em von l~lnSlC 'C und .bY'<::cnn -nlS.
No '~'endig falsches Bewußtsein ist die Auffassung des
Geldes als natUrliches Mittel der BedUrfnisbefriedigung.
weil jedermann in der bürgerlichen Gesell chaft - ob er
wil oder nicht - praktisch darauf angewiesen ist, zum
Zwecke seines Lebensunterhalts "Geld zu brauchen". Den
1!8
Produktionsagenten 1 sen eIl chaftlichen "UmstEtn-
deli gar keine andere vI a.!) 1 , als sich instrumentell zu dC'D
ökonomischen Gegemötänd zu stellen 7 ) und dilS Geld als
Mittel der Befriedigung ihrer Bedürfnis e zu gebrauchen,
aue h wenn das Gel d di es ittel gar nicht ist - und dies
sogar dann, wenn ie darum wUßten, " was Geld'l wirklich
Genauso mißverstanden a.llerdings wäre die Darstellung es
Fetischs im 1!Kapital!1~ vJenn man dj.8 Notwendigkeit des al
sehen Bewußtseins in der bürgerlichen Gesellschaft zu (;1-
ner historischen Unumgänglichkeit erklären und im Sinn e1-
n es Determinismus verstehen .,ijrd ) welche di.e Kritik
der falschen Bewußtseinsinhal te verunmöglichte. Denn
da.ß die "ökonomischen Kategorien sich im Be\-JUfltsein sehr
verkehrt abspiegeln" und die Inc3titution des Geldes sich
ganz anderen Zwecken verdankt s demjenigen universaler
Bedürfnisbefriedigung, wird nicht nur dem größten Teil
der Produkti onsagenten handgrei flieh vor Augen geführt,
wenn ihnen ihre begrenzte Verfiicung über Geld die Beschrän
kung ihrer Bedürfnisbefriedigung aufnötigt. Doch nicht nur
die Widersprüchlichen praktischen Erfahrungen widerlegen die
Vorstellung von einer unausweichlichen Befangenheit im VJa
ren- oder Geldfetisch. Henn tatsächlich ein Determinismus
herrschte und das notwendig falsche Bewußtsein ein bloDer
Reflex der ökonomi.schen Kategorien wäre, dann v/äre eben die
se selbstbevJUßte Eins:i.cht von I!iarx über das bürgerliche Be
wußtsein, dem "die Wertform des Arbeitsprodukts" "für die
ewige Naturform der Produkti on ,,71,) gil t, ein Ding der Un
möglichkei t.
Zum Abschluß dieser Nachzeichnung des Gedankengangs im
"Kapital" soll noch ein Problem diskutiert werden, das
dann zugleich überleitet zu der von Rei.chelt rekonstruier
ten Verfahrensweise der "Dechiffrierung" der "Verkehrung
der Warenform zur Naturform": nämlich welcher Stellenwert
der Erkenntnis von VJare und Geld und des ihnen immanenten
ihllv. iibliofh@k I.h~$!~kl
Fetischcharakters beizumessen ist. r~arx selbst hat mehrfach
auf die grundlegende Bedeutung der Analyse von Ware und
Geld für das Verst~ndnis des die bürgerliche Gesellschaft
charakterisierenden Kapitalverh~ltnisses hingewiesen, so
zum Beispiel in einem Brief an Engels:
"Außerdem ist die Sache zu entscheidend für das ganze Buch. Die Herrn Ökonomen haben bj.sher das höchst Einfache übersehn, daß die Form 20 Ellen Leinwand = 1 Rock nur die unentwickelte Basis von 20 Ellen Leinwand = 2 Pfund Sterling, daß also die einfachste Warenform, worin ihr Wert noch nicht als Verh~ltnis zu allen andern Waren, sondern nur als Unterschiednes vcn ihrer eignen Naturalform ausgedrückt ist, das ganze Geheimnis der Geldform und damit, in nuce, aller bürgerlichen Formen des Arbeitsprodukts enth~lt." 75)
r,jarx legt Hert auf die Feststellung, daß mit der Bestim
mung der Ware und der Darstellung ihres Werts in der "ein··
fachsten IVarenform" schon über den spezifischen Charakter
der kapitalistischen Produktionsweise entschieden ist -
wenn auch erst "i.n nuce", in allgemeiner und abstrakter
Form. Denn die Harenanalyse charakterisiert diese Ökonomie
als eine, in der nützliche Gegenst~nde allein um ihres
Tauschwerts willen produziert vJerden. Arbeitsprodukte sind
Reichtum nicht ob ihrer konkreten Gebrauchseigenschaften,
sondern ob ihrer Gleichgeltung mit anderen Arbeitsprodukten
respektive mit Geld. IVenn Zweck und Inhalt der Produktion
von IVaren der von der Bedürfnisbefriedigung emanzipierte,
eben abstrakte Reichtum in Gestalt des Vlerts ist, dann - so
ist sich ~jarx gewiß - werden sich auch s~mtliche anderen
"bürgerlichen Formen des Arbeitsprodukts" wie Geld, Kapi
tal, Kredit und Zins, Aktien oder Grundeigentum als be-
sondere Existenz1tJeisen und funktionelle Ges ten des V/erts
erweisen. Es ist aber in unserem Zusammenhang wichtig zu
verstehen, daß diese Gewißheit den Theoretiker nicht der
Aufgabe entheben kann, die anderen Gestaltungen des ab
strakten Reichtums für sie h zu analysieren. Denn
we::1n man wei ß, daß Kredit und Zins besondere Formen des
Werts sind, dann besitzt man eben noch keine Kenntnisse
50
darüber, wie sie das sind, wodurch die Höhe des Zinse"'
bestimmt ist, warum sich das zi,nstragende Kapital als der
"vollständigste Fetisch,,76) darstellt, wie das Verh~l tnis
des zinstragenden zum produkti.ven Kapital aussieht, was
die Gesetze der fiktiven Akkumulation im Unterschied zur
wirklichen sind, usw. usf. Eine gelungene, weil stimmige
Analyse der Ware, j.hrer Verdopplung in IVare und Geld ~;o
wie ihres Fetischcharakters mag eine Orientierung für die
Untersuchung anderer Formen des Werts an d1 e Hand geben,
aber weder ist sie als eine notwendige und unabdingbare
Voraussetzung für letztere anzusehen"17) noch kann sie eine
selbst~ndige Erforschung der besonderen Gestalten des bür
gerlichen Arbeitsprodukts ersetzen oder gar quasi apriori
deren Erkenntniserfolg garantieren. Die Frage, ob I-lan,.-
wie er für sich reklamiert eine stimmige Erkl~rung nicht
nur von \'Iare und Geld, sondern auch des Arbeitslohns oder
Kredits samt der diese ökonomi chen Formen charakterisie
I' enden Verkehrungen un d Mys ti fi ka ti on en gegeb en hat, ~ ßt
sich nicht getrennt und unabh~ngig von der Beurteilung des
sachliohen Gehalts der t4arxschen Urteile über diese öko
nomischen Gegenstände durch einen Rekurs auf die \vert
theorie quasi vorab entscheiden. Diesem QUj,dproquo al 01'
dings scheint Rej.chelt zu erliegen, wenn er - wie oben ge--
sehen - die IVerttheorie als den "Prüfstein" der ökono-
mischen Theorie von t~arx interpretiert, "um die Kritik an
seinem \'Ierk und die verschiedenen Formen seiner Hezeption
als unzulänglich zu dechiffrieren. ,,78) Die entscheidende
Bedeutung der \'Ierttheorie sieht Reichelt weniger in den
kritischen Aufschlüssen, die sie über die Natur der kapi
talistischen Produktionsweise zu geben v ), als viel
mehr in dem Stellenwert, der ihr zukomme, um die Streitfra
ge über die Gültigkeit der r~arxschen Kapitalismustheorie
eindeutig beantworten zu können. Anhand der Analyse von
lvare und lvert soll es möglich sein, je schon und ganz prin
zipiell, also noch vor einer fluseinanderse-tzung mit den
einzelnen sachlichen Urteilen über die verschiedenen im
51
"Kapi tal" im folgenden dargestell ten ökonomischen Gegen
stände, die Marxsche Kapitalismusanalyse als die überlegene
Gesellschaftstheorie zu erweisen 80); und genauso prinzi
piell und unabhängig von einem Nachweis der ökonomischen
Fehlurteile und logischen Widersprüche der bürgerlichen
Vol ks wirts c haftsl ehr e und etabl i erten Sozi al wi s sense haf
ten soll die "Dechiffrierung" der Verdopplung der Ware in
Ware und Geld es erlauben, die bürgerliche Rezeption und
Kri tik an Marx "vorweg schon als unzulänglich zurückzu
weisen ... , als Kritik nämlich, die sich je schon einem
Standpunkt verdankt, den die Marxsche Theorie immer schon
übersprungen hat. ,,81)
Dami t sind wir bei der schon oben angegebenen zwei ten Fra
ge angelangt: Kann der "Rekurs auf die Basis", dessen
Quintessenz Reichel t als "Verkehrung der Warenform zur Na
turform des Produkts,,82) zusammenfaßt, den Anspruch einlö
sen, quasi den Kristallisationspunkt darzustellen, in dem
sich die Wissenschaftlichkeit der r4arxschen Theorie und
ihre Überlegenheit über die "bürgerliche" Wissenschaft
verdichten? Oder dasselbe Problem etwas anders ausgedrückt:
Wenn man aus der "theoretischen Nachzeichnung der Geldform,,83)
einen "marxistischen Totalitätsbegriff" gewinnt, "den wir
als Totalität der entfremdeten Formen begreifen, unter de-
nen sich die Menschen reproduzieren,,84), verfügt man dann
über ein universell zu handhabendes "methodisches Vorbild,,85)
für die wissenschaftliche Erkenntnis der ihrer endgültigen
Aufklärung noch harrenden Phänomene der bürgerlichen Ge
sellschaft?
Zur Beantwortung dieser "methodisch-kategorialen Fragen,,86)
müssen wir unser Augenmerk auf den sachlichen Gehalt des
"marxistischen Totalitätsbegriffs" richten, den Reichelt
aus dem Nachvollzug der Marxschen Darstellung von Ware und
Geld extrapoliert. Wo Narx - wie oben gezeigt - analysiert,
wie schon in den elementaren ökonomischen Gegenständen
52
Ware und Geld die objektive Verkehrung der gesellschaft
lichen Verhältnisse der Individuen in gesellschaftliche
Verhäl tnisse von Sachen enthal ten ist, unter deren Kon
trolle die Menschen stehen statt sie zu kontrollieren,
konstruiert Reichelt daraus das "methodische Vorbild",
daß die ökonomischen, sozialen und poli tischen Ein
richtungen der bürgerlichen Gesellschaft als "Verkehrun
gen" oder "entfremdete Formen" zu bestimmen seien. Und
wo ~larx nachweist, wie der praktische Zwang, den das
Geld für die Individuen in der bürgerlichen Gesellschaft
bedeutet, zugleich das notwendig falsche Bewußtsein übcr
das Geld erzeugt, es sei ein natürliches und nützliches
Instrument für Austausch und Bedürfnisbefriedigung, ex
trapoliert Reichelt daraus die "AbleitungSstruktur,,87),
daß die Wurzel der subjektiven "Verkehrung im bürgerli-
chen Denken" im "Rekurs auf die Basis" zu suchen sei. Aus
den in den "Grundrissen" und im "Kapital" dargelegten
sachlichen Resultaten der abgeschlossenen Analyse, in der
~larx die jeweils besondere Form, den spezifischen Inhalt
und den bestimmten Grund der die verschiedenen ökonomi
schen Gegenstände (Ware, Geld, Kapital, Arbeitslohn usw.)
charakterisierenden Verkehrung theoretisch erarbeitet hat,
extrahiert Reichelt die ganz allgemeine, unspezifische
und formelle Bestimmung der Verkehrt he i t des bürgcr-
lic hen Bewußts eins un d s ein es Grundes in der "i mman en ten
Widersprüchlich k ei t der Basis". 88)
·Dieses Abstraktionsverfahren kann für sich genommen nicht
kritikabel sein. Es darf sich soweit auf r4arx berufen, der
selbst gelegentlich neben der Darstellung des Warenfe
tischs, der Verkehrungen der Geldform oder der Nystifika
tionen des Arbeitslohns noch einmal das daraus zu entneh
mende, zusammenfassende und allgemeine Urteil über die
kapitalistische Produktionsweise explizit macht, so zum
Beispiel mit dem folgenden schon zitierten Diktum: "Die
ökonomischen Kategorien spiegeln sich im Bewußtsein sehr
verkehrt ab. ,,89) Allerdings ist es in unserem Zusammen
hang von Bedeutung zu verstehen, daß von r~arx mit solchen
Formulierungen ein abstraktes Ergebnis durchgeführter
Analyse des Waren-, Geld- und Lohnfetischs angegeben
wird: der ganz allgemeine Begriff des Scheins von Natur
und Sachnotwendigkeit, den die gesellschaftlich produ
zierten Verhäl tnisse im Kapi talismus annehmen. Kri tikabel
wird daher das von Reichelt praktizierte Abstraktionsver
fahren an dem Punkt, wenn er dazu übergeht, die Aussage,
daß sich im Kapitalismus dem bürgerlichen Bewußtsein "die
gesellschaftliche Form zur Naturform verkehrt,,90), nicht
mehr all eine als abstraktes Resul tat der von r·larx durch
geführten Analyse von Hare, Geld und Arbeitslohn zu be
greifen, sondern zugleich als notwendige methodische Vor
aus etzung und unabdingbaren Garanten erfolgreicher Ana
lyse der bürgerlichen Gesellschaft zu reklamieren. Denn
die Extrapolation eines "marxistischen Totalitätsbegriffs"
"1ie bürgerliche Reproduktionsform steIlt sich insgeamt als eine Gesamtheit verschiedener omente dar, die
ihrer ezifischen Formbestimmtheit aus einer zen-tralen an der Basis abzuleiten sind. Tota-
anderes als die Totalität der entfremdeten Form." 91) -
vermag den Anspruch ni.cht einzulösen, den Heichelt mit
ihm verbindet: weder kann er als universell zu handhaben-" h~' h " b'" ",,92) f" ~. D b' t g von IN')' s des met OulSC es vor l.LU .ur ule l'.lrar el"Un" . -
sen
seIl
bel' die diversen Gegenstände der bürgerlichen Ge-
chaft och "Prüfstein,,93) der Gü tigkeit des er-
arbeiteten Wissens fungieren. Denn wenn ein Gesellschafts
wissenschaftler um das bloße Faktum einer Verkehrung weiß,
welche Hilfestellung vermag ihm dies für die Untersuchung
und Bestimmung des spezifischen Inhalts und der besonde
ren Form der Verkehrung zu leisten? Entgegen der implizi
ten Annahme des von Reichelt konstruierten methodischen
Verfahrens ist es nicht mögli.oh, aus dem viissen um die "n . h' ,,94) . b schiere Existenz des retlsc lsmus selne e-
sondere Qual t abzu1 si ten .
Ein Beispiel, mit dem sich auch Heichelt eingehend ausein
andersetzt95 ), mag dies erläutern: Es gilt, die politöko
nomische Kategorie des Arbeitslohns zu analysieren, also
die Summe Geld, die ein bestimmtes Quantum Arbeit kauft.
Angenommen, der Wissenschaftler beginnt nun die Untersu
chung des Arbeitslohns gemäß dem aus dem Nachvollzug der
Werttheorie konstruierten "einzig möglichen Einsheg i:1
die theoretische Verarbeitung der gesamten bürgerlichen
Gesellschaft,,96), nämlich den zu analysierenden Gegenstand
al s Verkehrung, rcjystifikation und objektiven Schein er
fassen zu wollen. Sofor sieht er sich mit einem Problem
konfrontiert: Welche Eigenschaften und Bestimmungen wei
sen den Arbeitslohn selbst als "Verkehrung" aus? Denn ei
seiner "DechiffrierUng,,97) als "entfremdete Form" soll es
sich gerade nicht um eine von anderen Zusammenhängen her
gewußte und von au[Jen an den zu analysierenden Gegenstand
herangetragene Vermutung handeln, sondern um die ihn
wesentlich auszeichnende Bestimmung. Zur Lösung di.eses Pro
blems ist der Wis~,enschaftler daher wieder ganz auf die
theoretische Beschäfti.gung mit dem Gegenstand selbst ver
wiesen. Alleine die "Irrati.onalität der Form selbst,,98),
nicht eine aus der "Nachzei.chnung der Geld.form" "me
thodisches Vorbild" extrapolierte "Ableitungsstruktur,,99),
vermag der Analyse des Arbeits olms ihren theoreh.schen
Gang zu weisen. t·1ehr noch, die methodische Behau[itung ;iber
den Arbeitslohn, er sei al s Verkehrung zu dechiffrieren,
muß solang als bloße Hypothese gelten l solange nicht d:ie
"Irrationalität der Form selbst" nachgewiesen und besb_mmt
ist. Erst die erfelgreich durchgeführte Analyse des Ar·
beitslohns vermag die anfangs geäußerte Vermutung seiner
fetischhaften Natur in Gewißheit zu überführen, als daß
umgekehrt die herangetragene Vermutung gleichsam als Prüf
stein die Gewißheit der Analyse verbürgen könnte.
Als zusätzliche Illustration, daß das Diktum von der Ver
kehrtheit der ökonorniE;chen Kategorien keine Richtschnu:' für
den Forschungsprozeß abzugeben vermag, soll der sachliche
GehaIt der von r,jarx durchgeführten Analyc;e des Arbeitslohns
in gebotener Kürze nachgezeichnet werden. 1 00) Der Arbei ts
lohn stellt sich dem lVissenschaftler zunächst nicht anders
dar als den Produktionsagenten, die praktj.sch mit j.hm be
faßt sind: als eine Summe Gel.des, womit ei.n "Arbeitgeber"
Arbei für eine bestimmte Zeitdauer einkauft, oder umge
kehr, als das Geldquantum, das ein "Arbeitnehmer" für die
Ableistung seiner Arbeit während einer bestimmten Dauer von
seinem Anwender bezahlt bekommt.
"Auf der OberfItiche der bürgerlichen Gesellschaft er scheint der Lohn des Arbeiters als Preis der Arbeit, ein bestimmtes Quantum Geld, das für ein bestimmtes Quantum Arbeit gezahlt wird. t,lan spricht hier vom Wert der Arbeit und nennt seinen Geldausdruck ihren notwendigen oder natürlichen Preü;." 1 01)
So sehr einerseits der sogenannte gesunde r~enschenverstand
die für ihn im Arbeits- und Geschäftsleben praktisch gül-
tige GI eichung je nach Standpunkt des "Arbej.tnehmers"
oder "Arbeitgebers" verkauft er ein Quantum Arbeit gegen
ein Quantum Geld oder kauft mit einem Geldguantum eine Ar
beitsmenge - auch als selbstverständliche und gültige Auf
fassung über den Arbeitslohn begreift, so sehr muß er sich
andererseits blind stellen gegen die sich mit der Vorstel
lung vorn Arbeitslohn als Preis der Arbeit unmittelbar auf
drängenden Widersprüche und theoretischen Fragen. Wenn der
Arbeitslohn die abgeleistete Arbeit bezahlt - so fragt
Harx -, wie sollte dann ein Uberschuß für den Geldbesitzer
zustande kommen, denn "in diesem Fall produzierte" der Ar
beiter "keinen r,lehrwert für den Käufer seiner Arbeit,,1 02)?
Desweiteren: Zwar ist einerseits nicht zu bestreiten, daß
vom Standpunkt des Arbeiters aus "für ihn in der Tat seine
zwölfstündige Arbeit das Kaufmittel der 3 sh,,103) ist, er
also mit einem in der Zeit oder Anzahl gefertigter Stücke
bemessenen Quantum Arbeit eine vertraglich hxierte Geld-
summe kauft. Aber so muß anderers ei ts gefragt werden -
is die Gleiehung, die für den Arbej.ter raktische
'f!r!!
Gültigkeit besitzt die öße seines Lohns rj.chtet sich , b . t 1 OLl) ,. t h ' nach dem Quantum gele:Lstete:r Hr el' -, aam).· aue SCllon
die gültige t h e 01' e ti s c he Aussage über den Arbeits
lohn? Denn ein Widerspruch 21m Arbeitslohn ist nicht zu
übersehen: vlas auf den ersten Blick als fix e GI eiehung
eines Quantums Arbeit mit einem Geldquantum erscheint,
stell t sich beim zweiten Hinschauen auf einer Sei te als
durc haus v 21 I' i. 21 bel dar. Der Geldbesitzer kauft närr:-
lieh keine fertige Vlare Arbei t, sondern die Ver füg u n
über den Arbeiter. Hit dem Arbeitsvertrag ist entschieden,
daß der "Arbeitgeber" für :3 sh Geld Ansprueh l' Ableistung
von Arbei t während 12 Stunden sowie den Heehtsti tel auf
das materielle Hesultat der Arbeit besitzt. Wie er die Be
dingungen der zu leistenden Arbeit gestaltet, ist ganz An
gelegenheit seiner gesch'iftlichen Kalkulation. Er besitzt
di e 1" I' e i h e i t zur Variation der mit dem ArbeitspliJ,tz
an den Arbeiter gestellten Anforderungen, sowohl was die
profi tliche Ausgestal tung der Arbei tszei t innerhalb der
vertraglich gesetzten Grenzen des Arbei tstages als auch die
gewinnbringende Veränderung der Intensität der zu leisten
den Arbeit betrifft. Umgekehrt stellt der Arbeitslohn P ür
den Arbeiter die Verpflichtung dar, für die ver
traglich fixierte Geldsumme den veränderten Leistungsan
forderungen nachzukommen. Als erstes Ergebnis der Analyse
kann r~arx somit die Verkehrung festha1ten, die im Arbeits
lohn als "Preis der Arbeit" steckt: die Geldsumme bezahlt
nicht die Arbeit selbst, sondern die Verfügung über Ar
beit, also die Arbeitskraft:
"Was dem Geldbesitzer auf dem Vlarenmarkt direkt gegenübertritt, ist in der Tat nieht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was letztrer verkauft, ist seine Arbeitskraft. Sobald seine Arbeit wirklieh beginnt, hat sie bereits aufgehört, ihm zu gehören, kann also nicht mehr von ihm verkauft werden. Die Arbeit ist die Substanz und das immanente Haß der Werte, aber sie selbst hat keinen Vlert. Im Ausdruck: 'vlert der Arbeit' ist der vlertbegriff nicht nur völlig ausgelöscht, sondern in sein Gegenteil verkehrt." 105)
57
Dami hat die Analyse aber den Arbej,tslohn nicht nur "als"
Verkehrung "dechiffriert", sondern zugleich den bestimmten
Grund und spezifischen Inhalt dieser besonderen Verkeh
rung bezeichnet. Die Verwandlung des Werts der Arbeits
kraft in den Preis der Arbeit - so schließt r-larx - ist
durch den praktischen Zwang bewirkt, den die ökonomische
Kategorie Arbeitslohn darstellt: Der Geldbesitzer bindet
die Zahlung der Geldsumme an die Ableistung eines Arbeits
quantums , das notwendige und f>1ehrarbei t einschli eßt.
Nur wenn und weil der Arbeiter die Arbeitsmenge eines gan
zen P.rbeitstags abliefert, bekommt er mit dem Lohn das
Geldäquivalent für die notwenchge Arbeit. So verschwindet
durch die Form der Bezahlung des v/erts der Ware Arbeits
kraft als Preis der Arbeit jede offensichtliche Teilung
des Arbeitstages in bezahlte und unbezahlte Arbeit und es
entsteht notwendig der verkehrte Schein, als würde dj,e ge
samte Arbei t bezahl t:
"I,}an sieht ferner: Der Wert von J sh., viOrj,n sich der bezahlte Teil des Arbeits , d. h. sechsstündige Ar-elt darstellt, erscheint s Wert oder Preis des Ge-
samtarbei ts von 12 Stunden welcher 6 unbezalü te Stunden t. Di e Form des ei tsl o~h.ns 1 öscht also jede Spur der Teilung des Arbeits in otwendi Ar-beit und 1'.Jehrarbeit, in bezahlte un unbezahlte eit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbej,-t." 106)
An dieser Stelle soll die Nachzeichnung der Analyse des
Arbel tsl ohns abgebrochen werden, um di e Hi,nwelse zu re
sümieren, die ihr für unsere Fragestellung zu entnehmen
sind.
Als ein wesentliches Resultat hat ich ergeben, daß die
wissenschaftliche Analyse des Arbeitslohns nicht auf eine
aus anderen theoretischen Zusammenhängen konstruierte
I,eitlinie angewiesen ist. Das aus dem "Nachvollzug der
th t '" AbI '''- d ~ ldf ',ier \"~~,enform,,107) 'L 00re lSCIlen 81l-Ung er l1e ,\,. orm aus "'- 'Vu.._
extrapolierte methodische Bewußtsein von der "Verkehrung
der Vlarenform zur Naturform des Produkts,,10(3) kann so
zutreffend es als Aus über Ware und Geld auch sein mag
- die ihm von Reichelt zugedachte universelle Rolle als
"Eröffnung des einzig möglichen Einstiegs in die theoreti
sche Verarbeitung der gesamten bürgerlichen Gesellschaft"109
)
nicht spieleh. Denn die Beh3~ptung, daß die anderen zur Un
tersuchung anstehenden Gegenstände der bürgerlichen Gesell
schaft (in unserem Beispiel die ökonomische Kategorie des
Arbeitslohns) eigentlich eine "Verkehrung" darstellen und
"als" Verkehr:-ung zu "dechiffrieren" seien, muß notwendig
ein den Gegenständen äußerlicher und leerer Verdacht blei
ben, solange nicht an ihnen selb t die widersprJchlichen
Bestimmungen herausgefunden sind, die sie - wie am Gang der
Marxschen Analyse des Arbeitslohns gezeigt - als Verkehrung
ausweisen und auf ihre wirkl ehe Natur schließen lassen.
Der obigen Nachzeichnung der Marxschen Analyse des Arbeits
lohns ist damit zugleich ein zweiter allgemeinerer Hinweis
zu entnehmen. Die von Reichel vorgenommene Charakterisie
rung der von Marx prak-ti ierten Forschungs- und Darstel-110\
lungsweise als "Declü frieruYlg" J vermittelt ein falsches
Bild. Denn die Dechiffrierung einer Sache stellt eine rein
technische Operation dar. Si,e besteht dar:in. eine verschlüs
selte und deshalb scheinbar bedeutungslose Botschaft mi:
Hilfe eines vorher vereinbarten oder erst noch herauszufin-
denden Codes zu entschlüs n. Hierin liegt auch schon die
Inkommensurabilität von in er eifre und dem !lverkehrten
Schein" der ökonomischen Gegens de, von einer Dechiff-
rierung und einer wissenschaftlichen Analyse, Eine Chiffre
macht tatsächlich die AYlwendung eines äußeren Schlüssel
nötig, weil in den geheinen Zeichen jeder inn~re Zusammen
hang zum bezeichneten Inhalt zielgerichtet ausgelöscht ist.
Die ökonomischen Kategorien Ware. Geld, Arbeitslohn, Kre
dit usw. hingegen sind keine Geheimzeichen fUr einen von
ihnen getrennten und ~ußerlichen Inhalt. Auf diesen we
sentlichen Unterschied weist einerseits Reichelt selbst
hin, wenn er davon spricht. daß sich arn Arbeitslohn "das
59
Verhältnis von Wesen und Erscheinung an der Form selbst,,111)
manifestiert. Andererseits legt er mit der Charakterisie
rung der Analyse von Ware, Geld und Arbeitslohn als "De
chiffrierur1g" die unzutreffende Vorstellung nahe, an den
ökonomischen Kategorien selbst sei ihre Verkehrung nicht
mehr aufzufinden, wenn man nicht Uber einen SchlUssel und
damit erst Uber die Bedingung der Möglichkeit verfUge, sie
als Verkehrung zu dechiffrieren.
Was hier auf den ersten Blick als philologische Randfrage
erscheinen mag die Redeweise von der "Dechiffrierung"
erweist sich allerdings in der Tat als wesentliches Pro
blem einer "adäquaten Rezeption der Marxschen Theorie.,,112)
Die von Reichelt angestrebte neue Auseinandersetzung mit
dem lVlarxschen Werk legt ihr Augenmerk weniger auf den sach
lichen Nachvollzug und die PrUfung der Stimmigkeit der von
r~arx im "Kapital" dargestell ten harten ökonomischen Urteile
Uber die kapitalistische Produktionsweise, also auf das,
was Marx selbst fUr die entscheidende Leistung seines Bu
ches hielt, nämlich die "Kritik der ökonomischen Katego
rien oder, if jou like, das System der bUrgerlichen Öko
nomie kritisch dargestellt. Es ist zugleich Darstellung
des Systems und durch die Darstellung Kritik desselben.,,113)
Vielmehr begreift Reichelt als wesentliche Aufgabe der neu
en Marxforschung die Nachzeichnung der sachlichen Darstel
lung der ökonomischen Gegenstände unter dem erkenntnis-
theoretischen Gesichtspunkt, wo in der Marxschen Kritik
der politischen Ökonomie der SchlUssel zu suchen sei, der
es ermöglicht, die Verkehrungen der bUrgerlichen Gesell
schaft als Verkehrungen zu dechiffrieren und ihren Feti
schismus als Fetischismus zu durchdringen.
Insofern sich Reichelt dabei auf Marx beruft, erscheint um
gekehrt der kritische Einwand gegen die von Reichelt prak
tizierte Beschäftigung mit dem Marxschen Werk gerechtfer
tigt, es nicht nach seinem wesentlichen Gehalt rezipiert
60
zu haben. Wo nämlich Marx im "Kapital" die konkreten Be
stimmungen der ökonomischen Kategorien entfaltet und zum
Beispiel am Arbeitslohn darstellt, wie er den Wert
der Arbeitskraft in den Preis der Arbeit verkehrt, wie
er das Ausbeutungsverhältnis auslöscht, wie er vom Stand
punkt des Lohnarbeiters und Kapitalisten praktisch und
theoretisch behandelt wird, welche Formen der Arbeitslohn
(Zeitlohn, StUcklohn) annimmt usw., reduziert Reichelt die
Marxsche Analyse auf die dUnne Abstraktion, daß "in
dem Ausdruck 'Preis der Arbeit' die Lohnarbeit nicht als
bestimmte gesellschaftliche Form der Arbeit erscheint. 1111 i
sondern alle Arbeit ihrer Natur nach als Lohnarbei t." .'
Und wo Marx anhand der Verdopplung der Ware in Ware und
Geld nachweist, wie sich das gesellschaftliche Ver
hältnis der Produzenten in ein gesellschaftliches Ver
hältnis der Sachen verkehrt, wie der im Geld als Sache
vergegenständlichte gesellschaftliche Zwangszusammen
hang mit einem praktischen Handeln der Produktionsagen
ten zugleich auch ihr Bewußtsein bestimmt usw., entnimmt
Reichelt der Nachzeichnung der Waren- und Geldanalyse die
formelle Aussage, daß r~arx die "Verkehrung der Waren
form zur Naturform des Produkts" analysiert habe und daß
die "Wurzel der Verkehrung im bUrgerlichen Bewußtsein"
im "Rekurs auf die Basis ,,115) zu suchen sei.
Wenn die dialektische Darstellung der ökonomischen Kate
gorien im "Kapital" den bestimmten Inhalt, die besondere
Form und den spezifischen Grund der Verkehrung der ver
schiedenen Gegenstände der kapitalistischen Produktions
weise "auf dem Begriff gebracht" hat, dann muß die von
Reichelt fUr wesentlich erachtete Erkenntnis der Marx
sehen "Kritik der politischen Ökonomie", daß es sich
bei Ware und Geld, Kapital und Arbeitslohn, Kredit und
Zins, Profit und Grundrente usw. um eine Verkehrung der
gesellschaftlichen Form zur Naturform handelt, sowohl vom .. ,11 6) .
theoretlschen Wle auch vom praktlschen Standpunkt aus
als das unwesentlichste Ergebnis der Analyse angesehen
61
werden. Der Reicheltschen Rezeption der Marxschen Theorie
verkehrt sich die unspezifische, weil auf Ware, Geld, Ka
pital und Arbeitslohn gleichermaßen zutreffende und sie
als besondere Gegenstände gerade nicht bestimmende Aus
sage zu der die ökonomischen Gegenstände spezifisch cha
rakterisierenden Bestimmung. Die Verkehrung der von Rei
chel t vorgenommenen Rezeption des "Kapital" ist darin zu
sehen, gerade der formellen und von ökonomischem Inhalt
gereinigten Aussage, das "Geheimnis der bürgerlichen Ge
sellschaft" hestünde in der "Verkehrung ej,nes EntsDrun-
g en en z 1" E t " 11 7) d' . '. ~ elnem rs en ,.1e entscheidende Bedeutung
für die Gültigkeit der Marxschen "Kritik der politischen
Ökonomie" beizumessen: sie soll gegenüber den Pos
selbst undurchsichtigen Posi tivi~;mus ,,11
onen
des "sich
gleichsam den methodischen Schnittpunkt und Prüfstein
darstellen, der den Anspruch der Marxschen Theorie zu
verbürgen vermag, "die erste wirkliche posi tive vlissen
schaft des Kapitalismus im Sinne einer zum ersten ale
unverstellten Erkenntnis desselben,,119) zu sein.
Diesem Anliegen ist aber nicht nur - wie oben gezeigt -
zu bedenken zu geben, daß die Suche nach einem apriori
sowohl die Wissenschaftlichkeit als auch die Geltung der
Marxschen Theorj,e garantierenden Schni ttpunkt eine Über
forderung der Marxschen "Kritik der politischen Ökonomie"
darstellt, ihre Konfrontation mit einem methodischen Ab
solutheitsanspruch, den diese notwendig nicht einzulösen
vermag. Dieses methodische Anliegen führt darüber hin-
aus dazu, einen wesentlichen Teil der in den "Grundrissen"
und im "Kapital" dargelegten materialen Urteile als un-
wesentlich anzusehen. Denn das kr i ti sc he
der 1,1arxschen "Kritik der politischen Ökonomie" wird nicht
mehr mit den sachlichen Analysen identifiziert, angefan
gen von der Darstellung der Ware bis hin zur trinitari
sehen Formel der Revenuequel1en. Es wird vielmehr in ei
ner davon getrennten methodIschen Anweisung gesehen, wie
62
Gesellschaftstheorie zu verfahren hätte, will sie nicht
dem "Fetischismus" der bürgerlichen Gesel schaft verhaf-
tet bleiben. Marx s 0 nicht rezipiert zu haben, wirft
Reichelt der sozialistischen Theorie nach Marx bis in
die neueste Zeit hineIn vor, die
"bei der Rezeption des l~arxschen Werkes diesem Fetischismus (des Kapitalismus ; d. Verf.) aufsitzt dann als blindes Noment in die Rez tion das kritische Moment der t~arxschen Fachökonomische transzendierende Durc tischismus , nicht tive wahrni ." 120)
I~arx adäquat zu rezipj.c,ren, heißt Reichel t zufolge, aus
der Kri ti k der pol i t i s ehe n Öko n 0 m i e
Kritik der poIl, tischen Ökonomie als ein die
lung der ökonomischen Inhalte überschreitendes
eine
Darstel-
Denkver-
fahren namens "Durchdringung des Fetiscbi~~mus" zu rekon
struieren. Damit begibt sich Reichelt nicht nur endgül
tig in Widerspruch zu seiner eigenen Prämisse, derzufcl
ge bei I\larx "über die r,jethcde, abgelöst vom IYlhalt, nichts
t d k ,,121) d D - ~h ' l'~''"''' ausgesag- wer en ann , son "rn auv, ln exp l,~lven '"e-
gens atz zum oben zitierten Selbstverständnis von Marx.
seine Darstellung der ökonomischen Inhalte sei ideYltisch
mit der Methode ihrer Kritik. 122 ) Bei Reichelt ist "Fe
tischismus" nicht mehr wje bei r~arx der Name für einen
ökonomischen Sachverhalt, der dargestellt und kritisiert
ist, sondern die Bezeichnung für ein Denk- und Kritik-
prinzip, das erst die Darstellung und Kritik einer Sa-
che ermöglicht. Die Analyse des Waren-, Geld-
oder 10 h n fetischs der kapi talistischen Prcduktionswei
se wird so in das von sachlichem Gehalt gereinigte Po-
stulat des Fe t i s chi s mus der bürgerlichen Gesell-
schaft verkehrt.
Als vorläufiges Resümee unserer Nachzeichnung der ange
strebten "neuen Auseinandersetzung mi t dem r,jarxschen
Werk,,12J) ist somi t eine zentrale Verkehrung in der Re
zeption der "Kritik der politischen Ökonomie" festzuhal-
6
: aus der I'la.rxßchen Darstel ung und Kri tik der kapi-
talistischen Produ~ti weise wird eine von ihrem sach-
lichen Gehalt getrennte, universell zu handhabende 50-
zialwissenschaftliche enkmet'hode, um vorab jeden
ökonomischen Gegenstand der bürgerlichen Gesellschaft als
Fetischismus und vorweg die Ergebnisse bürgerlicher Wis
senschaft als dem Fetischismus verhaftet zu kritisieren.
Für die uns vordringlich interessierende Frage nach dem
inneren Zusammen]10ng von der onstruk rJIarx-
sc terer Kri (; des r:1;:u'xismus ist
es wichtig zu verstehen,
struierten Marxschen
einer al Methode rekon-
di e du::"c
der ökonomj.schen Gegenständ verbUrgte
timmungen
ßhei t ihrer
wi enschaftlichen Ur hwind . Ihren Halt b itzt
si alleine im 'Ion der ~~ he getrennten Bts ein der
Überlegenhei ihr methodi c hen S tan dpun k der es ihr
erlauben soll, e:Lnen "Teil der Kri k, die an de.s
~1a:txsche t1erk heretngetrE'l.c;cn vd
länglich zurtickzuweisen
je schon einem StandpurtJ.: ver
rie irn;T,eI' hcn tiberspr;;.ngen
, vorweg schon als unzu-
03 Kritik nämlich, d:i_e sich
ankt, den ,,124 )
e r~arxsche Theo-
t ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit
der etablierten bürgerl hen Ökonomie und Sozialwissen
schaft um die Gültigkeit der arxschen Theorie auf di.e
Ebene einer filethodendiskussion verlagert, die gar nicht
anders als apodiktisch verlaufen kann. Zur Illllstrati_on
der in dieser Methodendiskussion eingeschlossenen Apo-
r1en soll das Augenmerk im folgenden noch auf zwei Pro
blemfelder gerichtet werden: zum einen auf die in der Re
konstruktion des rqarxismus als der bürgerlicher Wissen
schaft überl egenen Methode enthal tene Gefahr des D 0 g
m a t 1_ s mus eines Standpunkts, der sich seiner Unangreif
barkeit "inmer schon" gewiß ist; zum anderen der im Selbst
bewußtsein der methodischen Überlegenheit des Marxismus
ebenso eingeschlossene pauschale S k e pt i z i sm u s ge-
genüber den materialen Aussagen der r.1arxschen Kritik der
politischen Ökonomie.
cl) Das "Kapital" - eine Phänomenologie von Erkenntnis
restringierungen 125 ) der bürgerlichen Theorie
Die Arbeiten zur "Rekonstruktion" der li]arxschen Theorie
sahen sich mi t der bürger]i_chen Kri tik am t1arxismus kon
frontiert. Die etablierten Geistes- und Gesellschafts
wissenschaften wie Volkswirtschaftslehre, Soziologie,
Politologie oder Philosophie erachteten dabei für ihre
!ljarx-VJiderlegung eine immanente Prüfung der Stimmigkeit
der in der "Kritik der politi_schen Ökonomie" dargelegten
Urteile und Gesetze über die bürgerliche Produktionswei
se weitgehend für obsolet. Sie verglichen diese schlicht
mit dem methodischen Stand der eigenen Disziplin und den
in ihr thematisi erten Problemen und befanden daran ge
messen das "Kapital" je schon für zu unreflektiert, weit-
gehend veraltet und längst überholt. 126) Mit der Rekon
struktion der r.1arxschen Theorie als universelle Denk-
und Kritikmethode beansprucht Reichelt - wie oben gezeigt
- umgekehrt gegenüber der bürgerlichen Wissenschaft, sie
gleichsam auf ihrem eigenen methodischen Terrain schlagen
zu können und über das überlegene methodische Verfahren
zu verfügen, das je schon ermöglicht, die Erkenntnisbe
schränkungen der bürgerlichen Theorien aufzudecken und
zugleich deren Marxismuskri tik für unhal tbar zu erklären:
"Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie erweist sich unter diesem Aspekt als eine Phänomenologie von Erkenntnisrestringierungen, innerhalb deren sich das bürgerliche Subjekt in seinen theoretischen Äußerungen bewegt." 127)
In diesem Abschnitt sollen nun die folgenden Fragen dis
kutiert werden: Welchen Aufschluß erhäl t man über die bür
gerlichen Theorien, wenn man sie als dem Fetischismus der
bürgerlichen Gesellschaft verhaftete Erkenntnisbeschrän-
kungen ableitet? Wie erscheinen bürgerliche Ökonomie oder
Philosophie im Lichte eines methodischen Verfahrens, das
sie als Verkehrungen dechiffriert?
In den "Ansätzen zu einer materialistischen Interpreta
tion der Rechtsphilosophie von HegeI" gibt uns Reichelt
folgende Antwort:
"Ableitung dieser Formen heißt aber auch zugleich, sie als notwendig falsches Bewußtsein zu begreifen, also a~ch die Philosophie ihrer Form nach als Ausdruck bestimmter Lebensv tnisse zu entwi. , die sich in diesen Formen des Bewußtsei.ns reflektieren und zwar in einer Weise die dem Philosophen, dem Theoretiker nicht mehr ich ist. Die Form der Philosophie ist an ihr selbst oment einer Welt, die sich - in einer dem Denker s t undurchsichtigen Gestalt - bis in die Form sei-
erl hinein fortpflanzt ... Der zentrale, für den Begri der Ideol e als notwendig falsches Bewußtsein' wesentliche Asp t darf dabei nicht unter-schI werden Zum 1 reinen Theoretiker', der sich aus-sohlie ich im erbau' herumtreibt', wird der Denker dann, wenn er die bestimmte weltliche Grundl. nicht in ihrer Formbestimmtheit erkennt, sondern VI mehr dIese zur Naturform verkehrt ... Grundsätzl h häl t r,larx daran fest. daß die amte bürgerliche onomie als bürgerliehe gerade h charakterisi.ert i :' daß sie die wirkliche Verkehrung an der Basis ebenfalls nIcht durchschaut." 1 28)
Zunächst einmal soll die hier vorgeschlagene Methode der
kritischen Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Wissen
schaft, Philosophie und Ökcnomie, betrachtet werden. Was
ist von der Charakterisierung zu halten, der bürgerliche
Denker erkenne die weltliche Grundlage nie h t in i.h
rer Formbestimmtheit? Wie ist die Kritik zu beurteilen,
moderne Volkswirtschaftslehre sei darin "bürgerliche Öko-
nomie", daß sie ebenfalls ni c h t die Verkehrung an der
Basis durchschaut? Hier wird ein vom bürgerlichen Wissen
schaftspluralismus her bekanntes Argumentationsmuster von
ei~em seiner Gegner übernommen und gegen ihn vorgebracht:
Philosophie und Ökono~i wird die Mißachtung eines metho
dolegischen Grund~;atzes vorgehalten, den man selbst für
unerläßlich und entscheidend erachtet. Das Argumentations-
-;" r 00
verfahren ist bei der wis enschaftlichen Klärung von
Sachfragen so wenig hilfreich wie etwa die Kritik am Ka
pi talismus , er sei kein Kommunismus. Denn was di e bUr
gerliche Philosophie und CJkonomie positiv charakterisier:;,
ist nicht im mindesten bestimmt, wenn man ihnen vorhält,
was sie nicht tun. Die logische Form der Argumentation
ist das l,lessen der zu kritisierenden Sache an ei.nem auf
sie nicht zutreffenden, ihr äußerlichen j·]aßsta.b. Das Er
gebnis dieser Kritik b teht zunächst einmal in nichts
anderem als in der Konstatierung einer Abweichung vom ei
genen Maßstab und damit der tautologischen Bestätigung
des eigenen methodischen Verfahrens, wirkliche Hissen-
schaft habe die wirkliche Verkehrung an der
durchschauen.
i8 zu
Das Augenmerk ist im weiteren auf den sachlichen Gehalt
der Reicheltschen Auseinandersetzung mit der bUrgerli
ehen Wissenschaft zu richten. Philosophie und Ökcnomie
werden dabei als Formen notwendig falschen Bewußtseins
charakterisiert, so daß zwei Fragen zu diskutieren sind:
Vielehe Fehler rechnet Reichelt den bürgerlichen Wissen
schaften Philosophie und Ökonomie vor? Und worin sieht
er die Notwendigkeit der falschen und ideologischen Lei
stungen bürgerlicher Wissenschaft begründet?
Zunächst einmal ist zu konstatieren, daß die von Reichel
vorgeschlagene Ableitung der wissenschaftlichen Formen des
notwendig fa 1 s ehe n Bewußtseins in der bürgerlichen
Gesellschaft auf den Nachweis verzichtet, wie die bUrger
lichen Geistes und Gesellschaftswissenschaften ihre Ge
genstände falsch erklären, welcher allgemeinen Argumenta
t10nsmuster und Gedankentechniken sie sich dabei bedienen
und was die für jede Wissenschaft spezifi.schen 'erkennt
nisleitenden Interessen' sind, womit sie ihre Gegenstände
auf mehr oder weniger ideologische Absichten bezieht und
darüber zu Behauptungen über die gesellschaftlichen Gegen
stände gelangt, die mit deren tatsächlicher 8eschaffen-
67
heit, ihren Bestimmungen, Zweck~n und Gründen nichts mehr
gemein haben. Der Nachweis von Fehlern ist in obigem Ab
lei tungsv er fahr en ers etz t durc h den Vorwur f der Fehl er
haftigkeit, daß die bürgerliche Wissenschaft es versäumt,
gesellschaftliche Formbestimmungen als gesellsqhaftliche
Formbestimmungen zu begreifen und sie stattdessen "zur
Naturform verkehrt". Sämtliche 1 Fehler' von Ökonomie und
Philosophie, die Reichelt aufführt, bezeichnen nicht
wirklich praktizierte Erkenntnisleistungen, sondern an-1 29) D "E td k " r geblich unterlassene. eren n ec ung ve-
dankt sich einzig dem Vergleich mit dem eigenen für gül
tig erachteten methodischen Verfahren. Ein Einwand gegen
das von Reichelt postulierte Kritikverfahren allerdings
liegt nahe: vlenn die sich auf lfl.arx berufende 14ethode das
wissenschaftlich überlegene Verfahren ist, dann dürfte es
ihr keine Schwierigkeit bereiten, an den bürgerlichen Theo
rien selbst deren Verstöße gegen ihren eigenen wissen
schaftlichen Anspruch zu entdecken. Solange es allerdings
nicht gelingt (oder gar darauf verzichtet wird), an den
Argumentationssträngen der Philosophie zum Beispiel nach
zuweisen, was die Fehler der Ableitung des Privateigentums
aus dem Begriff des freien Willens bei Hegel sind, solange
muß die Behauptung ihrer Falschheit eine bloße Hypothese
bleiben. Dann gerinnt der Vorwurf an die bürgerlichen Wis
senschaften, dem "Fetischismus" und "objektiven Schein"
der bürgerlichen Gesellschaft verhaftet zu sein, zur un
begründeten S k e psi s und die Behauptung ihres bürger
lieh-ideologischen Gehal ts wird zum Vor ur te i 1. Un
ter Berufung auf ~larx und im methodischen Selbstbewußt
sein, über eine "Phänomenologie von Erkenntnisbeschrän
kungen ,,130) zu verfügen, wird dann der wissenschaftliche
Nachweis fehlerhafter Theorie substituiert durch die kei
nes Nachweises mehr bedürfende leere Gewißheit einer pau-, . 131)
schalen Erkenntnisbeschränkung bürgerlicher Wlssenschaft.
68
Schreiten wir nun fort zur Diskussion der zweiten Frage,
worin Reichelt das not wen d i g falsche Bewußtsein
des bürgerlichen Theoretikers begründet sieht. In obigem
Zitat spricht Reichelt davon, daß "sich" die "bestimm
ten Lebensverhältnisse" im Bewußtsein des bürgerlichen
Denkers "reflektieren" und "sich" die "weltliche Grund
lage" "in einer dem Denker selbst undurchsichtigen Ge
stalt bis in die Form seiner Überlegungen hinein fort
pflanzt." Als erstes ist zu konstatieren, daß Reichelt
hier die gesellschaftliche Notwendigkeit im Sinne eines
Determinismus oder Automatismus interpretiert:
Das notwendig falsche Bewußtsein sei die passive Wirkung
der bürgerlichen Gesellschaft, die umgekehrt als die agie
rende Ursache zu bestimmen sei. Die Erkenntnistätigkeit
eines Philosophen oder politischen Ökonomen ist allerdings
nicht begriffen, wenn man sie als Reflex ihres Erkenntnis
gegenstands bestimmt. Denn zum einen ist den Ausführungen
von Reichelt selbst zu entnehmen er spricht von einer
aktiven Leistung des "reinen Theoretikers", der die "welt
liche Grundlage" "zur Naturform verkehrt" -, daß die wis
senschaftliche Tätigkeit die theoretische Praxis eines
selbstbewußten Subjekts ist, die Welt für sich "als ein
geistig Konkretes zu reproduzieren. ,,132) Auch wäre die
Gewißheit des notwendig falschen Bewußtseins und die Ein
si c ht in "Erkenn tni sr es tr ingi erungen" ein Ding der Unmög
lichkeit, wenn die Bewußtseinsinhalte unausweichlich ge
prägt wären. Wenn "sich" die Welt in "undurchsichtiger
Gestalt" in die "Überlegungen hinein fortpflanzt", wie
soll te man dann davon Kenntnis oder gar ein Selbstbewußt
sein von den ideologischen Bewußtseinsinhalten gewinnen
können? Oder umgekehrt ausgedrückt: Die distanzierte und
selbstbewußte Einsicht von Reichelt in die Determiniert
heit theoretischer Tätigkeit in der bürgerlichen Gesell
schaft widerlegt praktisch die behauptete Distanz- und
Bewußtl osigkei t der Erkenntnispraxis .
69
Wenn ein bürgerlicher Ökonom, um ein Beispiel zu nennen,
die gesellschaftlichen Einrichtungen "zur Naturform ver
kehrt", das Geld als Erfordernis einer jeden arbeitstei
ligen Gesellschaft bespricht und damit eine Institution
der kapitalistischen Gesellschaft mit dem Schein der Na
turnotwendigkeit und Begründetheit versieht, 'dann handelt
es sich hierbei nicht um eine "welthistorisch nicht zu
vermeidende Erkenntnisrestriktion,,133), sondern um ein
Beispiel instrumentellen Denkens, das Marx in
nen bürgerlicher Theoretiker identifiziert,
dem Ansin-
"die Wissenschaft einem nicht aus ihr selbst, .. , sondern von außen ihr fremden, äußerlichen Interessen entl~hnten Standpunkt zu akkomodieren." 134)
-'- I' 135) Reiehelt hingegen interpretiert den Instrumenca lsmus
der bürgerlichen Geistes und Gesellschaftswissenschaften
'm c" nne einer "wel tgeschichtlichen Notwendigkei t", die .L."'~ 136) .. nicht der "Schuld der Theoretiker" anzulasten sel.
"Doch diese Borniertheit der Theoriebildung wird ,:on Marx, wie wir gesehen haben, ebenfalls noch als elne . substantielle begriffen, als eine welthlstorlsch nlcht zu vermeidende Erkenntnisrestriktion ... " 137)
Die im Vorwurf des "Fetischismus" enthaltene pauschale
Ablehnung bürgerlicher Theorien wird hier um die pauscha
le Anerkennung der ideologischen Theoriegebäude als welt
geschichtli.ch unvermeidliche "Erkenntnisrestrikti on" er
gänzt. Den bürgerlichen Geistes- und Gesellschaftswissen
schaften w:Lrd konzediert, zu keinen anderen Gedanken
fä hi g zu sein als zu denen, die sie hab en. Die
kritische Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Wissen-
scharten als Formen notwendig falschen Bewußtseins nimmt
die Verlaufsform an, ihnen einerseits vorweg mit dem un
begründeten kritischen Vorbehalt geGenüberzutreten, ,ie
schon dem "Fetischismus" verhaftet zu sein, ihnen anderer
seits zugleich die ebenso grundlose LeGitimation zuzuer
kennen. dem "Fetischismus" unentrinnbar verhaftet zu sein
jedenfalls solange seine "DechiffrierunG" historisch
70
noch nicht möglich war:
"Einblick in die verkehrte Form ist erst ich, wenn sie als solche weltgeschichtlich überholt is wenn sich also die Produktivkräfte soweit entwickelt haben. daß sich die Produktionsverhältnisse als Fessel bemerkbar machen und sich ulll-liderstehlich ins BevroJHsej.n drängen." 139)
Das zu Beginn dieses Abschnitts aufgeworfene Problem, wie
sich das notwendig falsche Bewußtsein von Philosophie und
Ökonomie im Lichte eines methodischen Verfahrens darstellt,
das es als Verkehrung dechiffriert, kann nun resümierend
wie folgt beantwortet werden: "Fetischismus" wird hierbej.
zur Formel für die pauschale Ablehnung aller nichtmarxi
stischen Theorien, "Erkenntnisrestriktion" zum Argument
pauschalen Verständnisses des Mangels bürgerlicher \'iis
senschaft als unumgänglich. Generelle S k e psi sund
universelle An er k e n nun EI definieren das wissen-
schaftspolitische Verhältnis gegenüber den bürgerlichen
Theoriegebäuden . Beide fassen sich im apodiktischen Be-
wußtsein der Übe l' 1 e gen he i t der eigenen, sich auf
Marx berufenden Theoriebildung zusammen, im Gegensatz zu
den im bür ger 1 i ehen Vii s sens c haftspl ur al ismus etabl i er ten
Geistes und Sozialwissenschaften "unwiderstehlich" auf
der Höhe der Zeit und in Übereinstimmung mit den weltge
schichtlichen Tendenzen der Realität zu sein.
e) Probleme der Gültigkeit der r~arxschen Theorie
Dieser Abschnitt soll eine letzte noch offene Frage erör
tern: Reichelt entwickelt - wie gesehen das "r.lethodische
Vorbild", wie Gesellschaftstheorie zu verfahren hätte, un
ter Berufung auf Narx. Hat die Rekonstruktion der r·larxschen
Kritik der politischen Ökonomie als Methode Rückwirkungen
auf das Verhältnis Reichelts zur arxschen Theorie als sei
ner wi s s ensc haftl i c hen Beru fungsins tanz? Er geb en si c haus
......
der Hezeption des "Kapi " unter methocli ehern Aspekt
Konsequenzen fUr die weitere Beschäftigung mit dem ~arx-
sehen \·Jerk?
Der vorangegangenen Darstellung war zu entnehmen, daß
Heiche1t die !\Useinandersetzung mit den etabJj.erten bür
gerlichen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften um die
'Aktuali.tat' der Harxschen Theorie im Selbstbewußtsein der
frag;} os cn ült gkeit und methodischen Überlegenheit
der I\larxschen "Kritik der politischen Ökonomie" führt. Sie
gilt ihm als positive Wissenschaft schlechthin in dem Sinn,
lIdaß sie zum ersten l'.'iale in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit mit dem Anspruch auftreten kann, eich-
unverstellt durch eine selbst noch gesellsc tlich Präformierung der Erkenntnis die eIl schaft-
truktur in allen ihren Erscheinungs ormen auf den Begriff bringen zu können." 1 /+0) ..
Auf der anderen Seite ist zu konstatieren, daß die Gewiß
heit der theoretü;chen Uberlegenheit von '·larx, dem weltge
schichtlj.ch der 'Fetischismus' und 'objektj.v Schein' des
Kapita1:i.smus "zum ersten aIe durchschaubar geworden
sind,,1 L,1), bei ReicheIt zugleich den Keim des Zvl e i fe 1 s
an der Geltung in sich trägt, welche der Harxschen Theorie
heute zugesprochen werden darf:
"Wie kommen wir der Formuli
dazu, heute, mehr als hundert Jahre nach dieser Theorie, sie als eine der weiteichen Entwicklung enthobene Wahrheit
erst einmal entdeckt, weiterhin Güldarf?" 1 112)
ren gesell sc hinzuste1len, die tigkeit beanspruc
Der Verdacht, ob Marx letztlich nicht doch zu einern gewis
sen Grad den gesel.lschaftlichen Verhältni.ssen verhaftet
blieb, die er durchdrang, gibt Heichelt
"Anlaß zu fr ... das Marxsche 'Kapital' auch in der abstrakt alen Darstellungslogik nicht sei-nerseits durch den damali historischen Entwicklungs-stand des Kapitals beein Bt sein könnte. tUt anderen Worten: Wäre das' tal' heute anders zu schreiben oder auf theoretischer ene weiterzuschreiben, damit man sich den zum tigen Kapitalismus nicht durch eine orisc begrenzte Darstellungsform ver-sperrt?" 14J)
Zur theoretischen Erhellung der Heicheltschen Problemstel
lung erscheint es sinnvoll, selbst umgekehrt die folgenden
Fragen zu diskutieren: Worin besteht die hier vorgetragene
Problematisierung der Geltung der lliarxschen Theorie? Wo
her rührt der zu konstatierende Umschlag von fragloser
Gültigkeit des "Kapital" in seine erst noch zu überprüfen
de Geltung? Kann die Problematisierung der Gültigkeit sich
auf einen sachlichen Anhal tspunkt am l-1arxschen Herk selbst
berufen?
Die Problematisierung des "Kapital" besteht in der Frage
nach seiner 'Aktualitat', ob nicht angesichts von 100 ,Jah
ren gesellschaftlicher Entwicklung nach der Formulierung
dieser Theorie sowohl der sachliche Gehalt als auch die
"abstrakt kategorial e Darstellungslogik" gJ. eichsam histo
risch 'überholt' sein könnten. Oder anders formuliert, ob
der aus dem "Kapital" extrapolierten ethode zurecht die
behauptete universelle Gültigkeit zuerkannt werden darf
oder sie nicht vielmehr als historisch bedingte und damit
relative eingeschätzt Herden muß, die aktu
schreiben" sei. Das hier s 0 au fgewor fen e Problem be-
zeichnet eine im strengen Sinne unlösbare theoretische
Aufgabe. Denn einmal unterstellt, man hat den Verdacht,
das "Kapital" sei möglicherweise hl.storisch beeinflußt,
wie will man anders zu einer begründeten Entscheidung über
diese Vermutung kommen al durch die Erörterung des sach·
lichen Gehalts der im "Kapital" dargestellten ökonomischen
Kategorien und Gesetze. So könnte, um dies hier nur anzu
deuten, zum Beispiel der Nachvollzug der von 11arx gegebe
nen Darstellung des. Akkordlohns - "Den Stücklohn gegeben,
ist es natürlich das persönliche Interesse des Arbei ters,
seine Arbeitskraft möglichst intensiv anzuspannen, was dem
Kapi tal i s ten ein e Er höhung des Normal gr ads der In tens i ta t
erleichtert,,144) - erweisen, daß dieser Zusammenhang durch
die Realität moderner Fabrikarbeit 100 Jahre nach Erschei
nen des "Kapital" insofern 'überholt' ist, als die durchge
setzte Intensitat heutigen Bandakkords diesen Spielraum
freier individueller I,eistungssteigerung gar nicht mehr zu
läßt und die Erhöhung des Intensitätsgrads der Arbeit eman
zipiert von der aktuellen Leistung des Arbeiters mit Hilfe
von Methoden der analytischen Arbeitsplatzbewertung fest
gel egt wird.
Mit der oben bezeichneten Problemstelung allerdings ver-
sucht Reichel t, getrennt von der s. ach I ich e n Darstel-
lung im "Kapital" über die Aktuali tät der r~arxschen Darstel
lungs log i k zu entscheiden. Damit setzt er sich nicht
nur in Widerspruch zu seiner eigenen Auffassung, "daß ab
gelöst vom Nachvollzug seiner Darstellung (der des Gegen
standes, d. Verf.) so gut wie nichts über die Methode aus-
zumachen l·s,-.,,145) Der R . h 1"'" v von elC e. v angegebenen Beschäfti-
gung mit der "abstrakt kategorialen Darstellungslogik"
muß darüber hinaus jeder aus dem Inhal t der Sache sich er
gebende Halt schwinden. Die Problematisierung der Gültig
keit der Marxschen Theorie bezeichnet so die immanente Kon
sequenz einer Rezeption des "Kapital", die auf der Tren
nung der Sache von der Methode ihrer Darstellung beruht.
Der Verlust begründeter Gewißheit ist ebenso der zweiten
Hälfte der oben zitierten programmatischen Fragestellung
Reichelts zu entnehmen, ob nämlich das "Kapital" heute
"anders" oder "auf theoretischer Ebene wei. terzuschreiben"
wäre, um einen adäquaten, durch keine "historisch begrenz
te Darstellungsform" versperrten "Zugang zum gegenwärtigen
Kapi.talismus" zu ermöglichen. Hier ist der logische Zirkel
zur Anschauung gebracht, in den sich eine Rekonstruktion
der /Ilarxschen Theorie begibt, welche versucht, unabhängi.g
von und vor einer praktizierten s ac hli c hen Ana-
lyse des gegenwärtigen Kapi talismus Las "Kapi tal" auf ei
ner "theoretischen Ebene weiterzuschreiben", um damit ei-
nen angemessenen "Zugang" für die sachliche Analy-
se des gegenwärtigen Kapi talismus zu eröffnen.
Unserer bisherigen Erörterung ist zu entnehmen, daß Rei
chelt über keinen sachlichen Anhaltspunkt am Marxschen
Werk selbst verfügt, wenn er das Problem aufwirft, ob nicht
die "Darstellungsform" der im "Kapital" analysierten öko
nomischen Gegenstände "historisch begrenzt" sein könnte.
Die kritische Auseinandersetzung mit der "Marxschen Me
thode und ihre(r) Eignung für die Analyse des gegenwärti
gen Kapitalismus,,146) ist nicht das Ergebnis der Aufdek
kung von Unstimmigke:iten in der Darstellung der ökonomi-.
sehen Gegenstände oder das Resultat der Entdeckung von
ökonomischen Sachverhal ten, die l~arx nicht analysiert hat
oder noch nicht analysieren konnte. Die Problematisi.erung
der Gültigkeit der Marxschen Theorie bezeichnet die im
manente Konsequenz einer Rezeption der "Kritik der poli
tischen Ökonomie", die darauf ausgerichtet :ist, von der
Darstellung der ökonomischen Sache eine ~lethode i.hrer Dar·
stellung abzutrennen und sie als Vorbedingung - als "ein
zig möglichen Einstieg in die theoretische Verarbeitung
der gesamten bürgerlichen Gesellschaft" und zugleich als
ihr "Prüfstein,,147) - für die Analyse und Darstellung der
ökonomischen Sache zu behaupten. Damit werden die im "Ka
pital" dargelegten Urteile, angefangen von der Analyse der
Elementarformen Ware und Geld über die Darstellung der Ver
wandlung des vlerts der v/are Arbei tskraft in den Arbei tsl ohn
bis hin zu den Bestimmungen und Gesetzen der Profitrate, zu
bloßen Hypothesen und Denkanweisungen verkehrt, die
gleichsam "im ~Iedium des reinen Begriffs entwickel t,,11+8)
wurden.
Für den von uns zu analYSierenden Zusammenhang von der
"Rekonstruktion" der ~lar:'xschen Theorie und der "Krise des
Marxismus" ist von Bedeutung, daß mit der Rezeption ökono
mischer Analysen als "reine Begriffe" den sich auf r,larx
berufenden Arbei ten der sachliche HaI t schViinden und um
gekehrt die Gefahr inhaltsleerer Problemahsierung der Gül
tigkeit der Marxschen Theorie zunehmen muß. Ebenso ist es
75
von Bedeutung für unsere Darstellung, die unmittelbaren
immanenten Konsequenzen der Rekonstruktion der r,jarxschen
Theorie als Methode festzuhal ten: Die im "Kapi tal" darge
stellten Urteile gelten nicht als Resultate vollzogener
Analyse der Gegenstände und Gesetzmäßigkeiten der "wirk
lichen" kapitalj.stischen Produktionsweise, sondern als vor
weg erlassene Denkanweisungen für eine erst noch zu voll
ziehende Analyse des "wirklichen Kapitalismus":
"Im Grunde hat 1JIarx nur einen geringen Teil realisiert, die Darstellung der Anatomie dieser bürgerlichen Gesellschaft, aber auch hier ist er nicht bis zur 'wirklichen Darstellung' durchgedrungen, der genauen Entwicklung der 'wirklichen Konkurrenz', sondern hat fast ausschließlich den' allgemeinen Begriff des Kapi tals' entfaltet, also selbst noch einmal eine Art Anweisung zum Studium des wirklichen Kapitalismus in seinen verschiedenen nationalen Ausprägungen." 149)
11'] i dieser Diagnose ist zugleich der immanente Fortgang
der "Rekonstruktion" der r,jarxschen Theorie bezeichnet. Die
"Kri tik der poli tischen Ökonomie" stell t Reichel t zufolge
eine doppel te theoretische Herausforderung dar: Auf der ei
nen Seite hat sich die Hezeption des "Kapital" weiterhin
mit Problemen der ~lethode bei 1~arx, "der dia
lektischen Darstellung der Kategorien und Erörterung dieser
Dars tell ungs form" 150), der Extr ap 01 a ti on ein er "AbI ei tungs
struktur als methodisches Vorbild 151), der möglichen hi
storischen Beeinflussung der "abstrakt kategorialen Dar
stellungsform,,152) usw. im Bewußtsein zu befassen, daß es
nur so "möglich wird, sich abschlußhaft über die Marxsche
f4ethode und ihre Eignung für die Analyse des gegenwärtigen
Kapitalismus zu äUßern.,,153) Auf der anderen Seite ist die
methodische Selbstbeschäftigung mit dem "Kapital" durch
ein spä ter al s "Realanalyse" bezeichnetes "Stu-
dium des wirklichen Kapi talismus " im Bewußtsein zu ergän
zen, erst dadurch "wirkliches" \rlissen über den gegenwär
tigen Kapitalismus zu erarbeiten und damit zugleich die
"Eignung" der aus dem "Kapital" extrapolierten 1JIarxschen
Methode zu verifizieren.
76
Bevor wir uns den Projekten einer "Real analyse" des bundes
republikanischen Kapitalismus zuwenden, soll die Erörterung
der immanenten Bestimmungen, Prinzipien und Konsequenzen
der "Rekonstruktion" der Marxschen Theorie mit der Analyse
der Arbeiten zweier Wissenschaftler fortgesetzt werden,
die anerkanntermaßen einen wesentlichen Beitrag zu der
neuen methodischen Auseinandersetzung mit dem l~arxschen
Werk leisteten.
T7
2. Die Rekonstruktion der Marxschen Theorie als "Versuch
ej.ner Begriffsbestimmung" (CI aus Offe)
a) Der I\jarxsche Kapi talismusbegriff : Bedingungen der
I~öglichkei t seiner erfolgreichen Anwendung,
1-1ie die erkenntnistheoretischen Arbeiten zur "logischen
Struktur des Kapitalbegriffs" bei Reichelt gehen auch die . 1') 1"\
"Aufsätze zur politischen Soziologie" . J von Offe von ei
nem allgemeinen Scheitern sämtli.cher Varianten bisheriger
Gesellschaftstheorie aus:
"Ebensovienig wie der ff auf die r~arxsche An,dyse des zeitgenössischen ismus alle Phänomene der
italistischen' ormationen zu entschlüs eIn auch nur theoretisch einzuordnen v
ehrt die heute etablierten Sozialwissensc , ins-esondere die Politikwissenschaft, in der (oder bes-
seI': sie sehen fast ausnahmslos und methodisc davon ab), die Marxsche frage nach den Bewegungsgesetzen des Kapitals un von se:Lner bestimmten So-zialstruktur zu stellen, geschweige zu beantwor ten." 155)
Die in der kritischen Bestandsaufnc.hme geäußerten VorwUr
fe verraten mehr ü!Jer das Interesse dessen, der sie macht.
211 über die Fehler derjenigen, denen sie gelten. Den bis
herigen sich auf ;~arx berufenden Theorien des modernen
Kapi tal i s mu s wir ft 0 f f eden "Ililck gri ff au f di e 1,1 ar xsc he
Analyse des zeitgenössischen Kapitalismus" vor, gibt also
zu erkennen, daß er der Auffassung ist, die Darstellung
und Kritik der kapitalistischen'Produktionswei,se im "Ka
pital" sei für sich (alleine) ein ungenügendes Instrumen
tarium zur "Entschlüsselung" der "spätkap:italistischen"
Gesellschaften. Den etablierten Sozialwissenschaften hält
Offe umgekehrt vor, die von ihm unter Berufung auf t4arx
für unabdingbar erachtete "Ausg2~'lgsfrage nach den Bewe
gungsgesetzen des Kapitals" in ihren Staats- und Gesell
schaftsanalysen nicht gestellt zu haben und dieses Ver
säumnis darüber hinaus noch rücht einmal für ein überhaupt
78
ernstzunehmendes Problem zu erachten:
"Eine politische Sozlol e des Spätkapitalismus ver langt schon als Anspruc nach einer Rechtferti . Der Versuch nämlich, unter dem Begriff des Spätkapi s-mus jene Fragestellungen exemplarisch zu beleuchten, di in den etablierten Sozialwissenschaften entweder überhaupt nicht, oder unter den wi lkürlichen Vergleichs chts-punkten der comparative poli, tics, oder inner Serie von Einzelstudien nationaler Entwi behandelt werden, ist ei,n Unternehmen. das sie auf approbierte akademi.sche Tradi t.i on nicht berufen kann. Die Beiträge,' die die akademische oziolo[(ie und Politikwissenschaft heute zur der gesellschaftlichen Entwicklun v egen, sind von einer theorie-politischen Situation !J8stimmt, in der der Terminus Kapitalismu:o keine Rolle ielt. e eh stinktive Kraft dieses Konzepts muß eine etablierte Forsc s behauptet wer Abstraktionsebene talismus-Begriffs in einer ven zwei Hinsichten verfehlt, Diese Abstraktionsebene wird entweder unterboten von Studien, deren Untersuchungs einhei tein nati onalstaatliches System und seine G e-schichte ist; oder s e wird überschritten in Rich-tung auf eine' Theori i.ndustrieller Gesellschaften' , .. " 156)
Offe rechnet der etablierten Ökonomie, Soziologie und
litikwissenschaft die lhßachtung der eigenen, sich auf
Narx berufenden methodologi ehen Grundsätze vor. Folgen-
de Fragen sind also zu erörtern: Wo ist Off es itrag zur
Rekonstruktion der r1arxschen Theorie und ihrer !lApproba-
tion" innerhalb der tablie::,ten Sozialwi.ssenschaft' Horin
besteht Offes Bezugnahme auf die Narxsche Kapitalismus
analyse'? Zunächst einmal i t den Vorwürfen gegen dj.e eta
blierte Sozialwissenschaft soviel !Jer das eigene positive
Anliegen einer "politischen Soziologie des Spätkapitalis
mus" zu entnehmen: Offe will ei,n neues "Konzept" in die
etablierte Forschungspraxis einführen. Es soll eine neue
"Abstraktionsebene" eröffnen. bisher vernachlässigte "Fra
gestellung" "beleuchten" und damit eine "theorie-politische
Situation" überwinden, in der "der Terminus Kapitalismus
keine Rolle spielt." "Kapitalismus" ist bei Offe nicht di.e
Bezeichnung für einen ökonomischen Sachverhalt, den Marx
mehr oder weniger ich analys ert und dargestellt
er i h auf Marx berufenden me-hat, sor:d.ern der Ti tel
sehen VerfahrensVJei e, um "Tendenzen d.er gesellschaft-
lichen Entwicklung!! al kapitalistisch interpretieren zu
können. Dj.e Darlegung des !!Kapitalismus-Begriffs!! im "Ka-
pi 11 erscheint bei Offe nicht als Aussage über ej.ne exi-
stente S ach e , sondern als methodische Be d i n gun g
für ftige Aussagen über sie. t dem "Begriff des Spät
Resultat durchge-kapi iSffii.1S JI präsentiert O.1.'fe nicht e
fühT Analyse de Spätkapitalismus, sondern ein metho-
dol ches Konzept, was zu tlln , wol te man eine Ge-
seIl c t Unterschied zu den etablierten Ansätzen der
Sozi wiss chaft nicht al !!Industriege ellschaft", son-
dern 2'11 IlS pätkapi talismlJs If betrachten.
Cf Beitrag zur Rekonstruktion der Marxschen Kapitalis-
musanalyse esteht also in der exemplarischen Demonstra-
t1 in es met h 0 d 0 1 0 gis ehe n I1Konzeptsll,
wie wissenschaftl eh zu verfahren wäre, wenn man mit dem
Erkenntnisinteres c, die modernen Gesellschaften und ihre
Sta.atsformen als HSpätkapitalismus!! zu interpretieren,
folgreich sein VJi
er-
1I1)1'ei Fragen s:ind et·) unmittelbar auftau-chen, VJenn hier die
für die wes icher' G seI c systeme in
men VJird. Erstens: Aufgrund VJelcher tände sind ~ie nach VJie vor kapitalistisch zu nennen'? ZVJeite~s: ~as bedeutet die Qualifizi. 'spätkapitalistisch'C, Jrlttens: Wle wlrd dle beide e implizierte Zurück-VJeisung alternativer typisierender Oberbegriffe gerechtfertigt, VJie sie insbesondere in der angelSächSischen J"iteratur (z. B. 'postindustrial society', 'post modern society', 'technotronic society', 'neVJ industrial state', 'modern talism' etc.) so Vielfältig aufge-kommen sind." 157
Die Problemstellung von Offe ist durch die explizit in
strumentelle Best:Lmmung der "Kategorie des Spätkapitalis
mus" charakterisiert. Diese sol unabhängig von und vor
der Kenntnisnahme des Untersuchungs gegenstandes als "Be-
zugspunkt" entVJorfen und dabei so konZipiert werden, daß
sie als universell zu handhabende Verfahrensweis gemäß
der Erkenntnisabsicht taugt, "industrielle" Gesellschaf
ten als "kapi talistisch" zu identi.fizieren. Allerdings
unterscheidet sich das von Offe vorgeschlagene methodo
logische "Konzept" in einer Hinsicht wesentlich von ande
ren "Versuchen" einer Begriffsbesb.mmung des Spätkapita
lismus. Offe beabsichtigt mi t seinem Entwurf einer "po
litischen Soziologie de" Spätkapitalismus" nicht, in ei
nem ersten Schritt mit aus dem "Kapital" isob.erten Be·
grifflichkei ten die "Kategorie des Spätkapi talj.smus" zu
konstruieren, um in einem zVJeiten Schritt zu ihrer AnVJen
dung zu schreiten und die gesellschaftliche Wirklichkeit
unter die getrennt von ihr entVJorfenen Begriffsmuster und
Kategorienraster zu subsumieren. Offe behandelt Marx nicht
in methodischer, sondern in met 2'1 - met h 0 dis ehe I'
Hinsicht. Er entwirft nicht. die "Kategorie des Spätkapi
talismus", sondern problematisiert die Bedingungen der
Möglichkeit ihres erfolgreichen EntVJurfs. Seine Frage-
und Problemstellung läßt sich VJie folgt umreißen: "Wenn"
sich ein SozialVJissenschaft.ler entscheidet, die "Abstrak
tionsebene des Kapitalismus-Begriffs" zu VJählen, welches
sind dann die Bedingungen der Möglichkeit der erfolgrei
chen Anwendung dieses "Konzepts"'?
Die Bearbeitung dieses Problems teilt Offe in zwei Ab
teilungen auf. Zuerst führt er auf dem Wege einer "Über
setzung" der Marxschen Kapi. talismusanalyse in die Begriff
lichkeiten moderner Soziologie den NachVJeis, daß eine Ka
pitalismustheorie die richtige "Abstraktionsebene" nur
einhalte, VJenn sie als systemtheoretische Konstruktion
konzipiert sei .158) Dann etabliert er den "Rahmen", der
es erlauben soll, die "hochindustrialisierten "lestlichen
Gesellschaftssysteme" als genau so "spätkapitalistisch"
zu interpretieren, wie sich dies auf die Marxsche Kapi
talismusanalyse berufende SozialVJissenschaftler immer
31
vorgestellt hätten. 159 )
Als er s te Bedingung einer erfolgversprechenden Spät
kapitalismustheorie gibt Offe di.e Etablierung des "Marx
sehen Kapitalismus-Be.griffs" selbst an. Die Rekonstruk
tion des "Marxschen KategOrienapparates,,160) hat dabei im
Lichte der Problemstellung zu erfolgen, "ob und wie weit
systemtheoretische Konzepte dem Bezugsrahmen der Marx
sehen politischen Ökonomie legitimerweise integriert wer
den können,,161), und resultiert in der folgenden Begriffs
definition:
"Der Marxsche Kapitalismus·-Begriff ... bezeichnet die Logik eines Entwicklungsmusters einer historischen und sozialökonomischen Formation in ihrer Gesamtheit ... Diese Entwicklungslogik wird nun bei Marx unter den allgemeinen (und wechselseitig nahezu austauschbaren) Formeln von dem Widerspruch zwischen wachsender 'Vergesellschaftung der Produktion' und ihrer 'privaten Aneignung' einerseits, von dem der 'Produktivkräfte' und 'Produktionsverhältnisse' andererseits gefaßt. In eine andere Sprechweise übersetzt, lassen sich diese allgemeinsten Bestimmungen als Antwort auf die Frage interpretieren, welchen Typus von Systemproblemen ein sozialökonomisches System typischerweise und objektiv erzeugt, und welche Mechanismen ihm strukturell zur Verarbeitung dieser Probleme zur Verfügung stehen. Der antagonistische Charakter eines Systems besteht in den selbstdestrukti.ven Tendenzen, die sich aus dem Auseinanderklaffen von institutionalisierten Programmen der Problemverarbeitung und jenen Mechanismen ergeben, die Probleme oder Widersprüche hervorbringen." 162)
Zwei Fragen sollen im folgenden erörtert werden: 1. Was
besagt das Marxsche Diktum über den Widerspruch von Pro
.duktivkräften und Produktionsverhältnissen? 2. Worin be
steht die von Offe vorgenommene "Übersetzung" in eine "an
dere Sprechweise"?
Offe zufolge stellt der Widerspruch von Produktivkräften
und Produktionsverhältnissen eine von Marx konzipierte
"Formel" dar, ein Begriffsinstrumentarium, um die "Ent
wicklungslogik" einer "historischen und sozioökonomischen
Formation in ihrer Gesamtheit" analytisch "fassen" zu kön
nen. Der Darstellung im "Kapital" im Kontext der Analyse
82
des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate16J ) is
allerdings zu entnehmen, daß es sich bei dieser "Formel"
weder um die Definition eines universellen "Entwicklungs
musters" als methodische Vorbedingung einer erst noch
durchzuführenden Analyse der kapitalistischen Gesellschaft
handel t noch um die anhand des Kapitalismus durchgeführte
exemplarische Beschreibung der "Entwicklungslogik" einer
problematischen Gesellschaft. Marx formuliert mit dem Wi
derspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnis-
sen ein abstraktes Res u 1 tat der von ihm durchgeführ-
ten Analyse der kap i tal ist i s ehe n Produktions-
weise. Bei der Untersuchung der Krise hat Marx die folgen
den widersprüchlichen ökonomischen Phänomene konstatiert:
1. Das vi ach s tu m des Kapitals ist charakterisiert
durch periodisch eintretende Stockungen des Zirkulations
und Reproduktionsprozesses des Kapitals. Diese gehen ein
her mit der En twertung von KaPita1.164
) 2. Die pe
riodischen Stockungen des Wachstumsprozesses des Kapitals
bedeuten nicht, es wären zu wen i g ~littel für die
kontinuierliche Fortführung und Ausdehnung der Produktion
vorhanden. Sowohl die objektiven Bestandteile des Produk
tionsprozesses (Maschinenparks und Rohstoffe) als auch die
subjektiven Bedingungen (Arbeitskräfte) sind verfügbar,
werden aber nicht in Bewegung gesetzt. Sie existieren als
unausgelastete Produktionskapazitäten auf der einen, ent
lassene Arbeitskräfte auf der anderen Seite. J. Krise ist
vielmehr umgekehrt ein Konjunkturzustand, in dem zu vi el
Reichtum produziert wurde. In jeder Form ist Reichtum im
Überfluß vorhanden - es gibt unverkäufliche Warenberge, un
ausgelastete und stillgelegte Produktionsanlagen und einen
Überfluß an Geldkapital, das keine lohnende Anlage findet.
Und ebenso existiert ein Überschuß an Arbeitskräften in
Gestalt einer unbeschäftigten Arbeiterbevölkerung.165
)
Wenn die periodischen Stockungen des kapitalistischen Ak
kumulationsprozesses weder durch einen Mangel an Reichtum
-----~-----------------------------~---~-~~-~-
83
verursacht werden noch daher rühren, daß zuviel Reichtum
schlechthin produziert vmrde, dann heißt Krise - so die
Aussage von Marx - nichts anderes als Übe r pro du k-
tion von Kapital: Es ist zu vi el Reichtum
angehäuft worden in Be zug auf den Zweck seiner . 166) wei teren Ver me h run g . Gemessen am Zweck der Pro-
duktion, der um den Profit vergrößerten Rückkehr einer
vorgeschossenen Geldsumme, erweisen sich die Mittel der
Produktion, die in Maschinerie und Arbeitskräften inkor
porierten Produktivkräfte, als Schranke. Diese Gesetz
mäßigkeit kapitalistischen Wachstums hat Marx in der
"Formel" vom Widerspruch zwischen Produktivkräften und
Produktionsverhältnissen in abstrakter Form zusammen
gefaßt:
"Der Widerspruch, ganz allgemein ausgedrückt, besteht darin, daß die kapitalistische Produktionsweise eine Tendenz einschließt nach absoluter Entwicklung der Produktivkräfte, abgesehn vom Wert und dem in ihm eingeschloßnen Mehrwert, auch abgesehn von den gesellschaftlichen Verhältnissen, innerhalb deren die kapitalistische Produktion stattfindet; während sie andrerseits die Erhaltung des existierenden Kapitalwerts und seine Verwertung im höchsten Maß Cd. h. stets beschleunigten Anwachs dieses Werts) zum Ziel hat. Ihr spezifischer Charakter ist auf den vorhandnen Kapitalwert als Mittel zur größtmöglichen Verwertung dieses Werts gerichtet. Die Methoden, wodurch sie dies erreicht, schließen ein: Abnahme der Profitrate, Entwertung des vorhandnen Kapitals und Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit auf Kosten der schon produzierten Produktivkräfte." 167)
Wenden wir uns nun der zweiten Frage zu: Führt die von Offe
vorgenommene "Übersetzung" zu einer bloß formell unter
schiedenen "Sprechweise", die den sachlichen Gehalt der
Marxschen Aussage unverändert läßt, so wie dies bei einer
Übersetzung des "Kapital" ins Englische der Fall wäre?
Oder dient nicht vielmehr die "Übersetzung" der ~larxschen
"Kategorien" in die andere Sprechweise der Systemtheorie
der Einführung einer anderen Sichtweise der ökonomischen
Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft?
In die systemtheoretische Sprache moderner Soziologie über
setzt, soll Marx die kapitalistische Produktionsweise als
ein "sozial ökonomisches System" betrachtet haben, das auf
der einen Seite "Systemprobleme" erzeugt, auf der anderen
Sei te über Mechanismen zur "Problemverarbeitung" verfügt.
Und den periodisch in der Krise eklatierenden Antagonis
mus von Produktivkräften und kapitalistischen Produktions
verhäl tnissen soll tllarx als Beispiel für das "Auseinan
derklaffen " von erzeugten Problemen einersei ts und Struk
turen der Problemverarbeitung andererseits untersucht ha
ben, das zu "selbstdestruktiven Tendenzen" führt und den
Bestand des Systems gefährdet. Die von Offe vorgenommene
"Übersetzung" zeichnet sich durch den Willen zur radika
len Abstraktion aus. Die systemtheoretische "Sprechweise"
entkleidet die Marxsche Kapitalismusanalyse ihres sachli
chen und kritischen Gehal ts. Ein Vergleich bei der "Sprech
weisen" verdeutlicht dies:
1. vlie oben gezeigt, bestimmt ~larx die "Erhaltung des Ka-~
pitalwerts und seine Verwertung im höchsten Maße" als Zweck
der kapitalistischen Gesellschaft. Damj~t ist ausgesagt:
Der Zweck des Kapitals hat den bestimmten Inhalt: Vermeh
rung des Werts oder abstrakten Reichtums. Er hat ein spe
zifisches Maß: die Profitrate gibt den Grad der Verwertung
an, sie mißt ihren Erfolg. Und das Kapital ist der maßgeb
liche gesellschaftliche Zweck: es hat sich die gesamte ge
sellschaftliche Produktion und Konsumtion als sein Mittel
subsumiert. Die systemtheoretische "Übersetzung" von Marx
kennt keinen spezifischen, inhaltlich bestimmten gesell
schaftlichen Zweck mehr: Der Inhalt des kapitalistischen
Systems ist es, ein System zu sein und ein System zu blei
ben, also den ganz inhaltsleeren Zweck der "Selbstperpe
tUierUng,,168) zu verfolgen. Das Maß des Systemszwecks ist
der Erhalt der schieren Existenz durch die Verhinderung
der Systemdestruktion, also das vollkommen leere Kriterium
gelingender "Selbstadaption,,169) des Systems. Und das Sy-
-----------------------------------------
es
stem kennt keine anderen eigenst~ndigen gesellschaftlichen
Zwecke mehr außer dem einen Universalzweck eines absoluten
Selbstverh~ltnisses des Systems, sich als System zu erhal-170)
ten.
Die Aussagen ~jarxscher Kapi talismusanalyse sind in ihrer
systemtheoretischen "Übersetzung" ins Gegenteil verkehrt:
In dem ersten Schritt der "Übersetzung" wird von dem maß
geblichen Zweck, dem bestimmten Inhalt und den besonderen
Gesetzen der kapitalistischen Gesellschaft abgesehen zu
gunsten des inhaltsleeren Modells des gesellschaftlichen
"Systems" und der Probleme seiner "Selbstperpetuie-
rung". In einem zweiten Schri tt wird aus dieser Absicht
von der Sache die wesentliche Hinsicht, unter der sie zu
betrachten sei: die leeren Bestimmungen eines "Systems"
werden zu dem maßgeblichen Inhalt und den eigentlichen Ge
setzm~ßigkei ten der kapi talistischen Produktio:1sweise er
kl~rt.171) Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus erschei
nen in systemtheoretischer Sichtweise dann nicht mehr als
qualitativ unterschiedene Gesellschaften, sondern als nur
graduell verschiedene "Lösungsversuche" des allen gleicher-
-maßen gestellten "Problems", die "Selbstperpetuierung" als
soziales System zu bewerkstelligen.
2. Marx bestimmt den Grund der Krise darin, daß "das ~1i ttel
- unbedingte Entwicklung der Produktivkr~fte in fort
w~hrenden Konflikt mi t dem beschr~nkten Zweck, der Verwer
tung des vorhandnen KaPitals,,172) ger~t. 'irlenn Krise heißt,
daß zuviel Heichtum in Bezug auf den Zweck seiner Vermeh
rung aufgeh~uft wurde, dann geschieht die Überwindung die
ser Schranke erfolgreicher Healisierung des Verwertungs
zwecks durch die Destruktion der überakkumulierten Mittel,
der Produktivkr~fte (Vernichtung und Entwertung ~on Kapi
tal; Entlassung und Verbilligung von Arbeitskr~ften). Die
Krise ist Stockung der Verwertung und zugleich die
SeI b s t re i n i gun g des Kapitals, alle Kapitalbestand-
ec,
teile zu entwerten und dadurch die Bedingungen erneuerter
und expandierender Verwertung bereitzustellen.173
)
In Systemtheorie übersetzt, stellt sich derselbe Sachver
halt in ganz anderem Licht dar: Die periodische Selbstrei
nigung des Kapitals erscheint als permanente "S el b s t-
des t r u k t ion" des Systems. Krise ist nicht mehr tiber-
akkumulation von Kapital, also eine Phase des zu erfolg
reichen Wachstum3prozesses des Kapitals, in der der Ver
we,tungszweck auf selbsterzeugte Schranken trifft und diese
zugleich überwindet. Krise in syste~theoretischer Deutung
ist der Index für ein schlecht funktionierendes "selbstde
struktives" System: es erzeugt mehr ".3ystemprobleme" als
seine "inst1 tutionalisierten Programme zur ProblemveraC'
beitung" zu lösen vermögen.
3. Die Marxsche Kritik richtet sich gegen eine Produktions
weise, in der "die Produktion nur Produktion für das Kapi-
tal ist und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße
Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Le
bensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind.,,17i+)
Die Marxsche Theorie kritisiert den herrschenden Zweck des
kapitalistischen Systems, weil der Erfolg der Verwertung
auf der kontinuierlichen "Enteignung und Verarmung der gro
ßen r'\asse der Produzenten,,17S) beruht, sowie auf der per1.o
disehen Vernichtung von Reichtum.
Die systemtheoretische "Übersetzung" verändert die Perspek
tive der Marxschen Kapi talismuskri tik um 1800
. Die Kri tik
des praktisch herrschenden Verwertungszwecks und seiner de-
struktiven Wirkungen auf die Pro duz e nt e n ist ersetzt
durch die kritische Sichtung der kapitalistischen Gesell
schaft als mehr oder minder schlecht funktionierendes Sy
stem mit "selbstdestruktiven Tendenzen", die das Überleben
des S y s te m s infragestellen. Die Einsch~tzung der Er-
folgsaussichten des Systems tritt an die Stelle der
Marxschen Kri tik der (Profi t-)Ifi aß s t ~ b e des kapitalisti-
schen Erfolgs. Systemtheoretische Kritik ist identisch mit
der "Notwendigkeit ... , Prozeß und Grenzen der Adaptivi tät
des Gesamtsystems systemtheoreb"sch zu untersuchen. ,,176)
Die Analysen der Systemtheorie teilen theoretisch den
Sta,ndpunkt d s Funktioni"erens und messen
das kapitalitische System am idealen ~1aßstab seines Ge
lingens als "System". Und wo die Ideale des Systemerfolgs
den Maßstab der Kritik abgeben, wird umgekehrt mit der er
folgreichen "Selbtperpetuierung" des Kapitalismus jede Kri
tik an ihm obsolet.
Das Igemeine Ergebnis der vergleichenden GegenUberstel-
1ung von r~arxscher Kapi talismusanalyse und ihrer system
theoretischen "Übersetzung" durch Offe sei noch ei"nmal zu
sammengefaßt: Die Rede von der "Übersetzung" der Kapitalis
mustheorie von l~arx in die "andere Sprechwei"se" der Sy
stemtheorie ist ein Euphemismus. Offe interpretiert damit
Marx als Vorläufer moderner systemtheoretischer Betrach
tung der kapitalistischen Gesellschaft. Er instrumentali
siert die Marxsche Kritik am Kapitalismus fUr eine Sicht
weise, die sich in allgemeinster \'leise der Voraussetzungen
und Bedingungen des Funktionierens des Kapitalismus als so
ziales System annimmt. In der "Sprechweise" von den "System
problemen" einer Gesellschaft und den Mechanismen der "Pro
blemverarbeitung" verwandelt Offe die Marxsche Kapitalis
muskritik in die unkritische Begutachtung des Systemerfolgs.
Mit der gelungenen Subsumtion der Marxschen "Kritik der po
litischen Ökonomie" unter die Sichtweise der Systemtheorie
sieht Offe die erste und wesentliche methodische Voraus
setzung zur erfolgreichen Etablierung eines umfassenden
Spätkapitalismusbegriffs erfUllt. 177 ) Im folgenden sollen
noch die weiteren Bedingungen erörtert werden, die Offe
als methodische Erfordernisse einer Spätkapi talismustheo
rie angibt.
Als z w e i te Bedingung eines erfolgreichen Spätkapita
lismusbegriffs fUhrt Offe eine Konsequenz aus der system
theoretischen Interpetation der 14arxschen Theorie ein: Die
Gesetze des Erhalts der kapitalistischen Gesellschaft sei
en im wesentlichen als Gesetzmäßigkeiten ihrer Auflösung
zu konstruieren:
"Entscheidend fUr den lilarxschen Kapitalismus-Begriff ist also ... die Unausweichlichkeit der im 'privaten' Produktionsprozeß verankerten selbstnegatorischen Tendenzen, welche sowohl die Kontinuität der Entwicklung eines gegebenen kapitalistischen Systems wie dessen ÜberfUhrung in eine postkapitalistische Formation determinieren und vorantreiben." 178)
Mi t der EinfUhrung der d r i t t e n Bedingung fUr di e er
folgreiche Etablierung des "Spätkapitalismusbegriffs" re
flektiert Offe auf ein "Problem" seiner bisherigen Kon
struktion und gibt ihm zugleich eine produktive Wendung:
Wenn di e unaus wei c hli ehen lOs el bs tn egatori sc hen Tendenz en"
des kapitalistischen Systems empirisch nicht zu konstatie
ren sind, dann müsse eben zwischen einer selbstnegatori
sehen "Entwicklungslogik" und ihrer systemstabilen "14anl"
festationsform" unterschieden werden. So bleibe die "An
wendbarkeit des KaPitalismusbegriffs,,179) auf eine ihm wi
dersprechende kapi talistische Empirie erhalten:
"Aber nur die Verwechslung der Manifestationsform mit der zugrundeliegenden Entwicklungslogik des Kapitals und des von ihm getragenen und limitierten Institutionensystems erlaubt Schlußfolgerungen wie die der etablierten liberalen Sozialwissenschaft: daß der antagonistische Charakter der kapitalistischen Entwicklung Uberwunden sei." 180)
Es gilt also, zwischen einer per definitionem selbstde
struktiv wirkenden "Entwicklungslogik" und ihrer die
Selbstnegation verbergenden "1-1anifestationsform" zu diffe-
renzieren, und als' v i er te Bedingung des "Spätkapi ta-
lismusbegriffs ein Schema von "Auffang-~1echanismen" zu
entwerfen. Es soll aus "drei brei ten Kategorien von Auf-181)
fang-Mechanismen'" bestehen,
"mit deren sukzessiver Institutionalisierung die selbstnegatorischen Tendenzen der kapi talistischen Grundstruktur jeweils abgefangen, gepuffert oder umgeleitet, jedenfalls an der krisenhaften Manifestation gehindert
worden sind; ihre nen jeweils neuen erschließen." 182)
89
tion ist es, auf diese Weise eierlebensspielraum für das System zu
Mit Hilfe dieses Schemas wird es möglich, die Einrichtungen
der "hochindustrialisierten westlichen Gesellschaften" "als
Lösungsversuche für Probleme und Widersprüche zu interpre-t· ,, 1 83) D . . ~ leren. amlt lSe affe zufolge nicht nur der eindeu-
tige Beweis für den im zuvor entwickelten Spätkapitalismus
begriff behaupteten "selbstdestruktiven" und "antagonisti
schen" Charakter moderner Gesellschaftssysteme erbracht.
Darüber hinaus sieht affe durch die erwiesene universelle
"Anwendbarkei t des Kapitalismusbegriffs " die Überl egenhei t
des eigenen methodischen Konzepts über die Ansätze der
etablierten Sozialwissenschaft verbürgt:
"Kein alternativer Interpretationsrahmen vermag die Phänomene des im Kapitalismus sich vollziehenden institutionellen Wandels in gleicher Breite zu entschlüsseln und es dürfte andererseits schwerfallen, Phänomene zu' benennen, denen. dieser Interpetationsrahmen prinzipiell rncht gerecht wlrd. Selbst die beiden konventionellen Kriterien für die Wahl sozialwissenschaftlicher Theorien~ Allgemeinheit und Inklusivität, verbürgen also dle Uberlegenheit eines solchen Ansatzes über die konkurrierenden Vorschläge der liberalen Sozialwissenschaft ... " 184)
Al sIe t z t e methodische Vorgabe über die Bedingungen
der Möglichkei t eines erfolgreichen Spät-Kapi talismus
Begriffs gibt Offe allerdings das Folgende zu bedenken:
der endgültige und unwidersprechliche Beweis sei.ner me
thodischen "Anwendbarkeit" und wissenschaftlichen "Über
legenheit" erfolge in der Sphäre der gesellschaftlichen
Praxis:
" ... allein die Überwindung der Logik kapi talistischer E~twicklung ist deshalb der Testfall dafür, ob eine Sozlalstruktur als kapi talistisch begriffen werden kann oder nicht." 185)
An dieser abschließenden methodischen Richtlinie von affe
ist zweierlei bemerkenswert: 1. Die praktische "Überwin
dung der Logik kapi. talistischer Entwicklung" vermag das
90
erwartete Testergebnis nicht zu erbringen. Denn die Gül
tigkei t einer Aussage über den kapi talistischen Charak
ter der Sozialstruktur einer Gesellschaft kann sich un
möglich an einem Zustand erweisen, i.n dem die kapitali
stische "Logik" überwunden ist und die kapitalistische
Sozialstruktur nicht mehr existiert. 2. Die von affe der
gesellschaftlichen Praxis einers ei ts, ihrer begrj.fflichen
Erarbeitung andererseits zugeschriebenen Rollen stellen
das Verhältnis beider auf den Kopf: Die sich auf Marx be
rufende Kapi talismusanalyse kri tischer Sozialwissenschaft
wird nicht (mehr) als theoretische Voraussetzung be-
gründeter gesellschaftsverändernder Praxis verstan-
den; vielmehr soll umgekehrt eine marxistische Krisen
theorie die politische Praxis als das Mittel ihrer theore-
tischen Begründung interpretieren:
"Das bedeutet allerdings, daß politische Praxis und Klassenauseinandersetzungen in ihrer mäeutischen, erkenntnisfördernden Funktion nun nicht ihrerseits wieder durch objektivierende Erkenntnis programmiert und angeleitet werden können ... Revolutionäre 'Theorie', die den Klassencharakter eines bestehenden Herrschaftssystems zu breehen beansprucht, kann deshalb immer nur als Selbstexplikation einer bereits im Vollzug befindlichen praktischen Bewegung - und nicht als deren Auslöser - konstruiert werden." 186)
Offe iufolge hat eine marxistische Krisen- und Staatstheo
rie die "Klassenauseinandersetzungen" als Mittel für sich
zu interpretieren: als empirischen "Testfall" für die Halt
barkeit des eigenen theoretischen "Ansatzes". Der politi
schen Praxis weist Offe damit die Rolle des letztlich aus
schlaggebenden Entscheidungskriteriums innerhalb der Kon
kurrenz von kritischer und etablierter Sozialwissenschaft
zu: am praktischen (rhß-)Erfolg der "Klassenausei.nander
setzungen" entscheide sich auch die (Un-)Gültigkeit der
eigenen Kapi talismusanalyse . r~an merkt, wie in dieser me
thodischen Vorgabe des praktischen Erfolgs eines poli tischen
Interesses als Instanz der wissenschaftlichen Gültigkeit
einer theoretischen Analyse die zehn ,Jahre später "ausge-
91
broche" "Krise des t"iarxismus" ihre Wurzeln hat. Im Jahre
1971 ,jedoch hat Offe mi t der Konstrukti on der methodischen
Bedingungen einer erfolgreichen Spätkapitalismustheorie
ein er si c h auf 14 arx b eru f enden Sozi al wi s sense haft zu ihr er
"Approbation" innerhalb des akademischen Pluralismus ver
holfen: Wird den von Offe angegebenen systemtheoretischen
Gesichtspunkten Rechnung getragen, dann ist linke Gesell
schaftstheorie berechtigt, die gegenwärtige "Gesellschafts
formati on" in Opposi ti on zur "Sprechweise" der etablierten
Sozialwissenschaft als "Spätkapitalismus" zu charakteri-
sieren. Sie ist dann legitimiert, diesen "Begriff" als
erkannten "Ansatz" in die wissenschaftliche Diskussi on
einzuführen :,
an-
"Dieser Zustand, in dem das Paradigma sämtlicher selbstadaptiver r"iechanismen gesetzt und immanent nur noch seine kombinatorische Ausformulierung zu erwarten ist, erlaubt uns, in einem nicht bloß losen Sprachgebrauch den Begriff Spätkapi talismus einzuführen." 187)
b) Der wissenschaftliche Ertrag eines möglichen
Spätkapitalismusbegriffs
Der Beitrag von Offe zur Rekonstruktion der 14arxschen Theo
rie hat den "Terminus Kapitalismus" in die etablierte For
schungspraxis eingeführt. Er hat mi t dem "Kapi talismus-Be
gri ff" eine neue "A bs trakti ons eb en e" sozi al wis sense haftl i
eher Analyse "gewählt", die i~arxschen "Kategorien" in den
Begrifflichkei ten der "Systemtheorie" konstruiert, die
"Anwendbarkeit des Kapitalismusbegriffs auf die hochindu
strialisierten Gesellschaftssysteme Westeuropas und des
n ordamerikani sc hen Kon tin en ts" 1 88) geprü ft und einen "Rah
men" für die "funktionale Analyse" des Spätkapitalismus
"vorgeschlagen". Was also kann als wissenschaftlicher Er
trag der von Offe etablierten politischen Soziologie des
Spätkapitalismus resümiert werden? Einen Fortschritt sach-
92
licher Analyse hat das methodologische Konzept, wi eine
mögliche Theorj e des Spätkapi talismus vorzugehen h ä t
te und welche Kategorien und Hypothesen bei einer mög
lichen Theorie des spätkapitalistischen Staates 1 ) zu
berücksichtigen w;j, ren, weder erbracht ncch intendi ert.
Der Fortschritt liegt auf einer anderen "Ebene". Innerhalb
der Konkurrenz des Pluralismus der Sozialwissenschaften
hat Offe der Marxschen Theorie zu akademischer "A P pro
bation" verholfen - allerdings um den Preis ihrer sy-
stemtheoretischen Rekonstruktion als alternative ethodo
logie, die den ursprünglichen sachlichen Gehalt der Marx
sehen "Kritik der politischen Ökonomie" in sein Gegenteil
verkehrt. In Zukunft darf sich eine politische Soziolo
gie, die sich auf arx beruft, als legitimiert betrachten,
auf der einen Seite der etablierten liberalen Soz:Lalwis
sensehaft den Vorwurf zu machen, sie hänge der unrealisti
schen Auffassung an "der antagonistische Charakter der ka
pitalistischen Entwicklung sei überwunden.,,190) Auf der
anderen Seite muß sie gegenüber linken Krisentheorien die
methodische Warnung aussprechen,
"die Frage nach dem Zusammenbruch des Kapitalismus (nicht) in naiver Weise zu stellen. Denn diese Frage kann heute nicht mehr nach dem Vorbild der Theorien beantwortet werden, die die krisenhaften und selbstzerstörerischen Kräfte, die von der kapitalistisch organisierten gesellschaftlichen Produktion freigesetzt werden, bis zu dem Punkt extrapolieren, an dem der Zus ammenbruc hund di e aus ihm f 01 gen de Tr ans f orma ti on des Gesamtsystems unvermeidlich werden, sondern nur durch eine Analyse der Grenzen und systematischen Unzulängli c hkei ten seI bs tk orr ekti ver 101 ec hani smen; Wo in früheren Phasen der kapitalistischen Entwicklung die Frage nach den Grenzen des Systems gestellt wvrde, ergibt sich heute die zusätzliche Frage nach den Möglichkeiten des Systems, seine Grenzen selbstadaptiv hinauszusc hi eb en ." 191)
Die Warnung Offes bezieht sich nicht auf den Fehler von
Theorien, die die Marxsche Analyse der periodischen Krise
des Kapitals in eine Prognose des Zusammenbruchs des Kapi
talismus verwandeln .192) Er erachtet die "Frage nach dem
9
Zusammenbruch" des Systems nicht für eine auf vorwissen
schaftlichen revolutionären Erwartungen beruhende Problem
stellung. Offe will vi elmehr den marxistischen Krisen
theoretikern die methodischen Bedingungen vorgeben, wj.e
dieselbe Frage reflektiert zu stellen und ergän~end zu
beantViorten wäre:
"Unter diesen Bedingungen wäre eine Krisentheorie nur dann überzeugend, wenn sie als eine Theorie über die Grenzen politischen und ökonomischen Krisenmanagements au fträge _ .. " 193)
Die sachliche Unhaltbarkeit von Krj.senthecrien, die "dem
Kapitalismus eine graue Zukunft prophezej.e(n),,19/-+) bildet
also geradezu die Grundlage, anf der das methodologische
Konzept von Offe beruht. In ihm entwickel umgekehrt Offe
unabhängig vom sachlichen Gehalt der Krj.sentheorien die
methodischen Maßstäbe und systemtheoretischen Kriterien,
wann ihre Begutachtung der Überlebenschancen des kapitali
stischen Systems als gelungen angesehen werden darf.
Den Er f 01 g einer kritischen SozialVlissenschaft, die
sich auf die Marxsche Kapj.talismusanalyse beruft, sieht
Offe dabei zuallererst in der "Wahl" des überlegenen me
thodischen "Rahmens" verkörpert und durch i1m garantiert.
Zugleich allerdings gilt Offe vcn Anfang an der "l~arxsche
Kapitalismus-Begriff" als "Wahl" eines bloß möglichen "An
satzes", jederzeit vergleichbar, ergänzbar und kombinierbar
mit ebenso möglichen systemtheoretischen Entwürfen. Indem
der politische Soziologe Offe schon 1971 das Problem auf-
warf,
"ob und inwiefern systemtheoretische Konzepte dem Bezugsrahmen der Marxschen politischen Ökonomie legitimerweise integriert werden können" 195),
hat er bereits in der Phase der Rekonstruktion der Marx
schen Theorie deren Relativierung betrieben. Insofern hat
Off e di e R e I a t i v i t ä t der r4arxschen Kapi talismuskri-
tik je schon behauptet zehn Jahre vor der "Krise des
Harxismus" .
94
3. Die Rekonstruktion der I~arxschen Theorie als "Produkt"
der Produktionsverhältnisse (Joachim Bischof!)
Joachim Bischoffs Beiträge zur "Rekonstruktion des wissen-196) d' D' k-' h schaftlichen Sozialismus" entstan en lm lS USSlonsra -
men des "Projekt Klassencillalyse". Seine Arbeit "Gesell
schaftliche Arbeit als Systembegriff" grenzt sich entschie--'K ·t 1,,,197) b den von anderen "Interpretationen zum ,apl'a a
und beansprucht, dem "Verflachungsprozeß des w:Lssenschaftli-10 8) 'TI-- h d - r' ehen Sozialismus 11 J, entgegenzuw1rKcn. !'Ia .ren andere ,el-
träge zur "Re-·Konstruktion" des Marxschen Herks mit die--
sem programmatischen Obertitel zugleich implizi,t die Diffe
renz zur Berufungsinstanz der eigenen Theoriebil dung zum
Ausdruck bringen und in der Tat - wie gesehen - di Ivlarx
sehe "Kritik der politischen Ökonomie" als erkenntnistheore-'
tisches und methodologisches Konzept neu k 0 s ru i e-
ren, legt Bischoff vlert auf einen strj.kt textimmanen-
ten Nachvollzug :
"Angesichts des Problems auf der einen Seite den von f-larx und Engels formulie~ten Gedankengang nachzudenken, auf der anderen Seite von diesem Gedankengang die vielen Systemchen abzug~enzen, die bisher von den s~)genann~en Vollendern oder Uberwindern des w:lssenschaf1;J.lchen ,)0-
zialismus produziert worden sind, ist der Akzent auf eine, an den f-iarxschen und Engelsehen Texten abgesi.cherte Ar gumen tati on gel egt wor den." 1 99)
Im folgenden soll die von Bischoff geleistete Rezeption de'3
von r,jarx und Engels dargelegten Verhältnisses von Sein und
Bewußtsein ihrerseits "nachgedacht" werden, Es Geht also
nicht um die Behandlung der Arbeit von Bischoff in ihrer
Ganzen Breite, sondern um die exemplarische Auseinanderset
zung mit einer Aussage des wissenschaftlichen Sozialismus
beziehungsweise ihrer Rezeption, der zentrale Bedeutung in
nerhalb der "Rekonstruktion" der Marxschen Theorie zukam.
95
21) Theorie als "Ausdruck" der gesellE:chaftlichen Praxis
Seine Arbei t "Gesellschaftliche firbei tals Ciystembegriff -
Über wissenschaftliche Dialektik" versteht Bischoff als ei-
nen Beitrag zur RekonstrukU.on des wissenschaftlichen So
ismus, der "aus der Struktur der bürgerlichen Gesell
schaft die Bedingungen für die positive vii sensehaft an
zugeben,,200) beansprucht. Dabei stützt sich Bischoff auf
die A-ussagen der ItKlassiker" üb das Verhäl tnis von Ge-
sel schaft1ichem Sein und Bewußtsein. Sie gelten ihm als
der theoretische Schlüssc] um di.e soziale "Genesi.s der
theoretische:fl Abc;traktion" ) sowohl der bürgerli.ehen
Theorien aIs auch des wi.ssenschaftlichen Sozialismus zu
untersuchen:
"',~s ist nicht das Bewußtsei.n der r~enschen, das ihr Sei.n, sondern ehrt ihr ellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein estimmt'. ese These stellt die Quintessenz und damit ein eindeuU.ges Erkennungsmerkmal der von Marx und s erstmals begründeten Geschichtsauffassung des dialek sehen filaterialismus dar. r'h t dieser so oft mißverstandenen und häufi bekämpften Kurzformel soll aus-gedrückt werden, daß e verschiedenen Momente des ge-sellschaftlichen Zusammen in bestimmter Weise mit-einander verm:i.ttelt sind, un daß daher jede wissenschaft-iche Erkenntnis an den systematischen Nachvollzug die
ses Vermi ttlungsprozesses gebunden ist." 202)
Der von t4arx im "Vorwort zur KriU.k der politischen Ökono
mie,,203) gegebenen Zusammenfassung eines abstrakten Resul
tats der von ihm durchgeführten Analyse der bürgerlichen Ge
sellschaft entnimmt Bischoff eine generelle Orientierung,
wie eine "positive" Wissenschaft von den geistigen Phäno
menen zu verfahren habe: Sie hat durch den "systematischen
Nachvollzug" des gesellschaftlichen "Vermittlungsprozes
ses" den "inneren Zusammenhang von Natur, Gesellschaft und
Denken,,20LI) darzustellen - eine in der Tat lohnende, wenn
aue hi er von Bi sc hof f zunäc hs t nur abs tr akt angedeu tete
theoretische Aufgabe für eine materialistische vIissen
sehaft .
96
Zwei Fragen sollen deshalb im folgenden erörter werden. 205 )
\-Jas hieße in conoreto "Nachvollzug des Vermittlungspro
zesses " von gesellschaftlicher Praxis und Denken? Welche
impliziten Aussagen über das gesellschaftliche ~)ein auf
der einen, das Bewußtsein auf der anderen Seite, sowie
über ihren inneren Zusammenhang können der von Bischoff
gegebenen Orientierung, den gesellschaftlichen "Vermitt
lungsprozeß" beider fliomente nachzuvollziehen, entnommen
werden?
So unbestimmt zunächst die Aussage über ein Denken er
scheint, das mit der gesellschaftlichen Praxis "vermit
telt" ist, so läßt sie andererseits durchaus Rückschlüs
se auf die nähere Bestimmung der beiden Pole sowie der
"Vermi ttlung" selbst zu. Dem Diktum vom "Vermi ttlungs
prozeß" isi; über die Seite des Denkens zum einen zu eni;
nehmen, daß es durch eine gesellschaftlj.che Praxis her
vorgebracht wird, die ihrerseits selbst nicht auf wis
senschaftlicher Erkenntnis und bewußter Planung beruht,
vielmehr erst post fesi;um mit Wissenschaft "vermittelt"
wird. Zum anderen ist mit "Vermittlung" ausgedrückt, daß
das Denken nicht im Sinne einer passiven Widerspiegelung
aufzufassen sei, sondern als von der gesellschaftlichen
Praxis hervorgebrachtes zugleich eine selbständige
intellektuelle Leistung darstellt. Über die Seite des ge
sellschaftlichen Seins ist zu ersehen, daß es Resultat
einer unbegriffenen Praxis ist, die getrennt und unab
hängig von Erkenntnis und bewußter Planung stattfindet.
Ihre nachträgliche "Vermittlung" mit Wissenschaft ist
identisch mit der affirmativen Festlegung
des Denkens auf eine ihm vorausgesetzte unbegrif-
fe n e Praxis.
Ein "systematischer Nachvollzug dieses Vermittlungspro
zesses " von gesellschaftlichem Sein und ihm entsprechen
dem Bewußtsein hätte also in concreto zweierlei zu lei
sten: Methodisch ausgedrückt hätte er das Denken selbstän-
97
dig zu untersuchen und anhand der dabei entdeckten Cha
rakteristika seine notwendige "Vermittlung", seinen "in
neren Zusammenhang" mi t der gesellschaftlichen Praxis
nachzuweisen. Umgekehrt hätte die ebenso selbständig
durchzuführende Analyse der gesellschaftlichen Praxis
"aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhäl tnissen ihre
verhimmel ten Formen zu entwickeln. ,,206) Dies bezeichnet
Marx als die "einzig materialistische und daher wissen
schaftliche r~ethode. ,,207) Inhaltlich formuliert wiirde
der "systematische Nachvollzug dieses Vermittlungspro
zesses" zum einen die Kritik der unbegriffe-
nen Praxis der bürgerlichen Gesellschaft beinhal-
ten. in der die Indj.viduen "im Prozeß ihrer Lebensrepro
duktion bisher gesellschaftliche Verhaltnisse eingegan-
gen (sind), über die ihr Bewußtsein keine Kontrolle hatte.
Sie sind in Verhältnisse gesetzt, die ihr Bewußtsein be
stimmen, ohne daß ihnen die Bestimmtheit bewußt würde.,,208)
Zum anderen wäre der "Nachvollzug dieses Vermittlungspro
zesses" gleichbedeutend mit einer Kritik des not
wen d i g fa 1 sc he n Be w u ß t sei n s in der bürger
lichen Gesellschaft, das "alle Bestimmungen der spezifisch
historischen Form der Heproduktion als Naturverhaltnisse,,209)
auffaßt und in dem "die Ausdrücke der wirklichen Verhalt-. '11 . h Ch kt t ,,210) nisse mehr oder mlnder l usorlSC en ,ara er ragen.
Diese immanenten Konsequenzen, die aus seinem eigenen Aus
gangspunkt z,u ziehen sind, teilt Bischoff jedoch nicht.
Obwohl Verweise auf die unbegriffenen "stummen Zwange der
ökonomischen VerhaI tnisse" in der bürgerlichen Gesell
schaft einerseits, auf das diesen Verhaltnissen zugehö
rige falsche Bewußtsein andererseits der Darstellung von
Bischoff - wie oben gesehen - durchaus zu entnehmen sind,
will Bischoff sein Diktum von der vermittelten Gebunden
heit des Denkens an das gesellschaftliche Sein nicht
als spezifische Notwendigkeit der bürgerlichen Gesell-
schaft, sondern als allgemeines Gesetz j e der Gesell-·
98
schaft und j e des Denkens verstanden wj.ssen. Wo Harx
in der von Bischoff zitierten "Quintessenz" eine Gesell
schaft kritisiert, die gleichsam wie Natur die Individuen
zwingt, sich ihren unbegriffenen Gesetzen zu unterwerfen,
und den Kapitalismus der "Vorgeschichte der menschlichen
Gesellschaft,,211) zurechnet, der durch bevrußte Hegie des
gesellschaftlichen Seins abzulösen sei, rekonstruiert Bi
schoff die r4arxsche Kapitalismuskritik als erkennt
ni s t h e 0 re t i s ehe s Pos tu 1 at .212) I-Iahrend arx
die verkehrten Gedanken, mit denen sich die Menschen auf
die Notwendigkei ten der kapi talistischen Klassengesell-
schaft einrichten, als Folge von tischer Not und In-
teressen darlegt und kritisiert21
entnimmt Bischoff
der Harxschen Aussage ein epistemologisches Gesetz der
Unselbständigkeit allen Denkens. Damit wird die arx
sehe Kritik des notwendig falschen Bewußtseins ihres
sachlichen, auf die kapitalistische Gesellschaft bezo
genen Gehalts entkleidet und in ein inhaltsleeres metho
disches Postulat von der "Abhängigkeit,,21il) jed
weden Denkens von der gesellschaftlichen Basis verwan--
deI t.
Bischoff rekonstruiert die [·larxsche Kapitalismuskritik als
eine generelle Methodologie einer Wissenschaft von den gei
stigen Phanomenen:
"Das Verhältnis von Denken und Sein, von Ideenformation und materieller Praxis ist also in der materialistischen Gesichtsauffassung gerade umgekehrt als in der oben skiz-zierten Konzeption. Alle geistigen Vorstell , wie Bewußöseinsfermen, Illusionen, religiöse werden als Produkt des u~mlttelbaren Produkti ses des Lebens und damit der gesellschaftlichen ens-verhältnisse gefaflt."21S) "Die These, dafl'l'.le poli.tisehen, religiösen, philosophischen etc. Bevrußtseinsformen die naheren oder entfernteren Abkömmlinge der in ei ner gegebenen Gesellschaft herrschenden ökonomischen Verhältnisse sind, laßt sich also im Hinblick auf die Abhangigkeit des wissenschaftlichen Bewußtseins auch 0
ausdrücken: die Entwicklung der Wissenschaft hängt mi t der wirklichen der Gesellschaft zusammen und ist 1 etztlich nur oretische Ausdruck der real en Entwicklung." 216)
99
Einmal abgesehen davon, daß Marx den gesellschaftlichen
Grund der geistigen Phänomene nicht im "unmittelbaren Pro-
duktionsprozeß des Leb e n s " nachgewiesen hat, son-
dern in seiner bestimmten historischen, eben kapitalisti
schen Form, die ebenfalls nicht die Produktion des Lebens,
sondern die Reproduktion des Ka pi tal verhäl tnisses be-
inhaltet, sollen an dieser Stelle noch einmal ausführlich
die Implikationen und Konsequenzen der von Bischoff rekon
struierten "dialektischen Methode,,217) erörtert werden.
Welche impliziten und expliziten Aussagen über das Verhält
nis von gesellschaftlichem Sein und Bewußtsein, von ökono
mischer Praxis und Theorie enthält eine Methode, die zu un-
tersuchende Bewußtseinsformen als "Ausdruck von ... ",
"Reflex von ... " oder "Produkt des unmittelbaren Produktions
prozesses" begreift?
E r s t e n s unterstellt die methodische Vorgabe, die Wis-
sensehaft als "theoretischen Ausdruck" des unmittelbaren
Produktionsprozesses zu untersuchen, die erkennende Tätig
keit des Wissenschaftlers, die sich in Theorien realisiert,
implizit als ein vom praktischen Umgang der Produzenten
mi t natürlichen und gesellschaftlichen Gegenständen u n-
t e r s chi e den e s Tun. Allerdings nimmt Bischoff die-
se implizite Unterscheidung nicht zum Anlaß, zunächst auch
explizit zwischen den realen ökonomischen Verhältnissen
und ihrem ideellen "theoretischen Ausdruck" zu unterschei
den. Dies hieße, die gedanklichen Leistungen der vorfind
lichen Wissenschaft selbständig zu analysieren. Die für
sich vorgenommene Untersuchung eines Denkens, das den
"Schein" beinhaltet, "als wären die Verhältnisse selbst
nur Konkretionen der Idee,,218) hätte an diesen seinen selb
ständigen Bestimmungen seine Unselbständigkeit und Zugehö
rigkeit zur bürgerlichen Gesellschaft nachzuweisen. Bi
schoff hingegen identifiziert von vorneherein die vorfind-
liehe Wissenschaft damit, "nur der theoretische Aus-
druck der realen Entwicklung" zu sein. Daraus ergeben sich
100
eine inhal tliche und eine methodische Konsequenz: 1. Die
Unselbständigkeit des bürgerlichen Denkens - es
ist nichts als ein "Reflex", "Produkt" und "Ausdruck" der
materiellen Verhältnisse - wird zu seiner einzigen selb
ständigen und es charakterisierenden Bestimmung erhoben.
2. Die Aussage über die Unselbständigkeit des bürgerlichen
Denkens kommt über den Status eines bloßen methodischen
Postulats nicht hinaus. Die Erkenntnisvorgabe der re-
konstruierten "dialektischen r-lethode", je schon die gei
stigen Phänomene "als" der materiellen Basis verhaftet zu
betrachten, erachtet nämlich den Nachweis für obsolet,
inwiefern die bürgerlichen Geistesprodukte den ökonomischen
Verhältnissen verhaftet sind.
Zweitens enthält die von Bischoff rekonstruierte Denk-
anweisung implizit eine radikale Kr i ti k der vorfind-
lichen Wissenschaft. Die geistigen Phänomene und wissen
schaftlichen Theoriegebäude als "Ausdruck" der materiellen
Praxis zu bestimmen, heißt nämlich de facto, daß sie einem
Denken geschuldet sind, das dem unbegriffenen "stummen
Zwang der ökonomischen Verhäl tnisse" verhaftet ist. Ei.n
solches Denken stellt einen Widerspruch zur Wissenschaft
dar. Denn wissenschaftliches Denken ist seinem Begriff nach
ne g a ti v e Stellung zur existenten Praxis. Ein Indivi
duum, das sich erkennend zur Welt stellt, tritt zurück vom
gewohnten praktischen Umgang mit den natürlichen und ge
sellschaftlichen Gegenständen und verhält sich explizit
kritisch gegenüber seinen bisherigen Gedanken, die sein ge
wohntes Tun begleiten und leiten. 219 ) Der Entschluß zur
wissenschaftlichen ~eschäftigung mit der Welt ist eine
Quittung, die man dem bisherigen praktischen Handeln und
Denken ausstellt, sozusagen ein "Ausdruck" der eigenen Un
zufriedenheit mit der Praxis. Für notwendig wird Wissen
schaft befunden aufgrund der Probleme, die sich im prakti
schen Umgang mit den Gegenständen in Natur und Gesellschaft
einstellen, wenn der Mensch diese entsprechend sei ne n
101
Zwecken verändern will und dabei wegen der Unkenntnis Uber
der e n immanente Gesetze scheitert. So erfordert der
praktische, verändernde Umgang mit der Objektivität die
theoretische Erkenntnis der inneren Gesetze von Natur und
Gesel schaft. 220 ) Das erarbeitete Wissen um die objektiven
Gesetzmäßigkeiten ermöglicht es, die bisherige Praxis zu
kritisieren und den praktischen Umgang mit den natUrlichen
und gesellschaftlichen Gegenständen so einzurichten, das
er ihren Gesetzmäßigkeiten folgt und sie darUber zum Ma
terial seiner Zwecke macht.
Wissenschaft ist also das Mittel bewußter Regie des un-
mittelbaren Produktionsprozesses - und nicht dessen be
wußtloser ideeller "RefIex". Ist umgekehrt eine Wissen
schaft als "theoretischer Ausdruck der realen Entwicklung"
zu bezeichnen, wird ihr damit ein vernichtendes Urteil aus
gestell t: Anstatt Uber die inneren Gesetze der Praxis auf
zuklären, bleibt sie den unbegriffenen praktischen Notwen
digkeiten verhaftet. Die bUrgerlichen Theoriegebäude, die
in der Tat nur theoretische "AusdrUcke" der bestehenden
gesellschaftlichen Verhältnisse darstellen, sind die Pro
dukte eines falschen Denkens, das die Einrichtungen der
bUrgerlichen Gesellschaft mit dem Schein der BegrUndetheit
und Naturnotwendigkeit versieht. Als Kritik der vorfind
lichen Wissenschaft allerdings will Bischoff die von ihm
rekonstruierte "dialektische t1ethode" nicht verstanden
wissen. Ihm gilt vielmehr unterschiedslos als notwendige
Eigenschaft jeden Denkens schlechthin, "nur der theoreti
sche Ausdruck der realen Entwicklung" zu sein.
D r i t t e n s. rht der methodischen Denkanweisung, a I I e
geistigen Phänomene als "Ausdruck", "Produkt" oder "Re
flex" ihrer gesellschaftlichen Bedingungen zu bestimmen,
geht die Unterscheidung und der Gegensatz verloren zwischen
der bürgerlichen Wissenschaft auf der einen und dem wis
senschaftlichen Sozialismus auf der anderen Seite, zwischen
einem Denken, das den bestehenden Verhältnissen verhaftet
102
bleibt und einer Wissenschaft, die auf unverstellte Er
kenntnis der Gesellschaft drängt. Obwohl auch Bischoff
einerseits unter Berufung auf Marx vom notwendig falschen
Bewußtsein der Individuen in der bUrgerlichen Gesell
schaft, von der "notwendigen VerkehrUng,,221) spricht, re-
lativiert er doch andererseits die Benennung der Falsch-
heit durch die Verabsolutierung der Notwendigkeit des
bUrgerlichen Bewußtseins. Als unselbständiger und abhän
giger "Ausdruck" des "sozialen Lebensprozesses" werden
bUrgerliche Theorie und materialistische Wissenschaft so-
gar explizit einander "gleiChgestellt".222) Die Beurtei-
lung wissenschaftlicher Theorien wird in der von Bischoff
rekonstruierten "dialektischen Methode" unter ein neues
Kriterium gestellt: Über ihre GUltigkeit entscheidet nicht
mehr die Frage, ob sie "wirkliche, positive Wü;senschaft,,2~)J) ist, weil sie Kenntnis über die immanenten Bestimmungen
und inneren Gesetze ihres Gegenstandes besitzt. Die Be
urteilung der GUltigkeit eines Theoriegebäudes ist ersetzt
durch die Begutachtung, ob es dem historischen Stand der
realen Entwicklung angemessen ist. Die Geltung, die
eine Theorie beanspruchen darf, beruht nicht mehr auf dem
s~chlichen Gehalt und der logischen Stimmigkei ihrer Ur
teile und Argumente, sondern auf dem Verhältni zu dem
Entwicklungsstand des "sozialen Lebensprozesses". Der von
Bischoff rekonstruierte "wissenschaftliche Soz alismus
räumt grUndU.ch auf mit dem Wahrheitsbegriff bisheriger
Wissenschaft,,224), indem er die Idee einer re I at i v e n
weil sozial bedingten Gültigkeit wissenschaftlicher Theo
rie als "dialektische r,lethode" verankert - allerdings um
den Preis, die "Vlahrheit" der l~arxschen Theorie von dem
sachlichen Gehalt ihrer Kapitalismusanalyse getrennt zu
haben.
~1it der Etablierung der "Ableitung der eigenen Genesis aus
dem sozialen Lebensprozeß,,22S) als dem l'laßstab der Gel tung,
die eine Theorie beanspruchen darf, sind die folgenden
103
immanenten Konsequenzen verbunden: Zum einen beinhaltet
das von Bischoff konstruierte genetische Ableitungsverfah
ren die pauschale Re c h t f e r t i gun g der bürgerli
ehen Theorien, denen als historisch notwendigen theoreti
schen Ausdrücken der realen Entwicklung Geltung zuerkannt
werden muß. Zum anderen schließt es die ebenso pauschale
Kritik der bürgerlichen Thecriegeb~ude als historisch
überlebte ideelle Ausdrücke ein. Beide Konsequenzen fin
den sich in der programmatischen Aussage Bischoffs zur
"Genesis der theoretischen Abstraktionen,,226):
"In der folgenden Darstellung ist schliefllich herauszuarbeiten, daß die dem wissenschaftlichen Sozialismus vorhergehenden theoretischen Anschauungsweisen die Struktur der bürgerlichen Gesellschaft nur unzureichend erfassen, daß sie aber bis zu einer bestimmten Entwicklungsstufe der bürgerlichen Produktionsweise notwendige theoretische Reflexe dieser bestimmten gesellschaftlichen Verh~l tnisse sind." ;227)
Bedingte Affirmation und ebenso bedingte Ablehnung der bür
gerlichen Theoriegeb~ude fassen sich im unbedingten Selbst-
bewußtsein der methodischen Übe r 1 e gen h e i t des rc-
konstruierten wissenschaftlichen Sozialismus zusammen, als
ad~quater "theoretischer Ausdruck" auf der Höhe der realen
gesel schaftlichen Entwicklung zu sein.
b) Die /·larxsche Theorie als der ad~quate "Ausdruck" der
gesellschaftlichen Praxis
In der Interpretation der Marxschen Theorie als "höchste
Form des Denkens,,228) trifft sich Bischoff mit der schon
behandelten Marxrezeption durch Reichelt. Beide sehen ge
trennt von ihrem materialen Inhalt die Überlegenheit der
I1arxschen "Kritik der politischen Ökonomie" über die dem
"Fetischismus,,229) der bürgerlichen Gesellschaft verhaf
tete "metaphysische Denkweise,,230) durch die dialektische
1I1ethode garantiert. Diese wird bei Reichelt als "Entfal-
tung eines marxistischen Totali t~tsbegriffs, den vlir al , ·f ,,231) t .)-
Totalit~t der entfremdeten Formen begrel en en Wl,-
kelt, bei Bischoff als ein genetisches Ableitungsverfah
ren konstruiert, um "aus der Struktur der bürgerlichen
Gesellschaft die Bedingungen für die positive Wissenschaft
anzugeben".23 2 ) Die Differenz und der immanente Fortschritt
der Arbeit von Bischoff gegenüber den Beitr~gen von Rei
chelt besteht darin, daß Bischoff sich nicht darauf be
schr~nkt, aus der r~arxschen Theorie ein Verfahren zur De
chiffrierung der bürgerlichen Bewußtseinsformen als ideelle
Ausdrücke der gesellschaftlichen Verh~ltnisse zu eytrapo
lieren. Er wendet dieses aus der I1arxschen Theorie rekon
struierte methodische Verfahren auf die l1arxsche "Kritik
der politischen Ökonomie" selbst wiederum an und dechiff-
l' i er t sie al s TI 0 t wen d i gen un d h ö c h sen "A u s
druck" der ökonomischen Verh~l tnisse der kapi. talistischen
Gesellschaft:
"Wird die These von der Bestimmtheit alles iJenkens durch den Prozeß der gesellschaftlichen Anei der Natur dagegen auf die Genesis dieser theoretisc Abstrak-tion selbst noch angewandt, erscheint die Ausarbeltung des wissenschaftlichen Sozialismus nicht mehr als zu-f~llige Entdeckung eines alen Kopfes, sondern. als notwendiger theoretischer ex der bestimmten okono-mischen Verh~ltnisse." 233)
Zum einen handelt es sich bei dieser "Anwendung" der dia
lektischen Methode auf die l,jarxsche Theorie selbst um die
konsequente Fortführung des von Bischoff rekonstruierten
h ,,234). d 11 Ph~no generellen "Begründungszusammen angs 1 ee er ' -
mene: Wenn die Bestimmung einer Theorie als "Ausdruck"
gesellschaftlicher ~erh~ltnisse nicht als Kritik einer un
begriffenen gesellschaftlichen Zwängen verhafteten Wissen-
schaft, sondern als universelle Notwendigkei tal I e n
Denkens verstanden wird, dann ist es nur konsequent, auch
die Marxsche Theorie als "theoretischen Ausdruck" der öko
nomischen Verh~ltnisse zu begreifen. Auf der anderen Seite
beinhaltet die scheinbar logische Fortsetzung des Gedan-
kens zugleich einen unmittelbaren Widerspruch: In bezug
auf die bürgerlichen Bewußtseinsformen hieß deren Bestim
mung als ideelle Produkte und Ausdrücke der sozialen Le
bensbedingungen zugleich, "daß die bewußten Ausdrücke der
wirklichen Verhältnisse mehr oder minder i 1 ly s 0 r i -
sc he n Charakter tragen. ,,235) In bezug auf die Marx
sehe Theorie soll jetzt ihre Qualität als "theoretischer
Reflex der bestimmten ökonomischen Verhältnisse" der kapi
talistischen Produktionsweise das strikte Gegenteil ver
bürgen, nämlich 0 b j e k ti v e "positive Wissenschaft"
zu sein. Der wissenschaftliche Sozialismus soll gerade die
ideclogische Befangenheit in den bürgerlichen Verhältnis
sen verlieren, weil und insofern er ein "ideeller Reflex"
der ökonomischen Bedingungen ist - die doch bislang für
den ideologischen Charakter der bürgerlichen Theoriege
bäude verantwortlich zeichneten.
Eine Frage bleibt noch zu erörtern: Was ist der Ertrag die
ser unmittelbar widersprüchlichen Bestimmung der Marxschen
Theorie? Die Antwort ist der zusammenfassenden Charakteri
sierung des wissenschaftlichen Sozialismus durch Bischoff
zu entnehmen:
"Der wissenschaftliche Sozialismus ist Ausdruck und Produkt einer wirklichen Bewegung. Die wissenschaftliche Kritik der bürgerlichen Gesellschaft ist keineswegs das Resultat einer Anwendung eines bestimmten theoretischen Prinzips oder einer bestimmten Methode. Sozialistische und kommunistische Anschauungen sind der theoretische Ausdruck der praktischen Bewegung, und zwar ist dieser Ausdruck mehr oder minder utopisch und doktrinär, je nachdem, ob er einer weniger oder mehr entwickelten Phase der wirklichen BewegunG anGehört." 236)
Das Verfahren, die r,larxsche "Kritik der politischen Ökono
mie" als "Ausdruck", "Produkt" oder "Reflex" der ökonomi
schen Verhältnisse beZiehunGsweise der in ihnen stattfin
denden praktischen BewegunG zu interpretieren, ist einem
vorwissenschaftlichen Interesse geschuldet. Damit soll ei
ne Garantie der theoretischen GültiGkeit und kriti-
sehen Wirksamkeit des wissenschaftlichen Sozialismus jen
seits und unabhängig von sachlichem Gehalt und logischer
Stimmigkeit seiner wissenschaftlichen Urteile und Argu
mente gefunden sein. Die Auffassung von Marx, daß die
theoretische DarstellunG des Kapitalismus zugleich seine
begründete Kritik ist -
"Die Arbeit ... ist zugleich Darstellung des Systems ("der bürgerlichen Ökonomie", d. Verf.) und durch dle Darstellung Kritik desselben." 237)
gilt Bischoff als unzureichend. 238 ) Er erachtet es für un
abdingbar, die Begründung der Kritik aus der begrifflichen
Darstellung der kapitalistischen Gesellschaft durch eine
Extra-Begründung aus der Sphäre der ökonomischen und poli
tischen Praxis zu ergänzen. Damit wird von Bischoff - wie
auch schon bei Offe ZU sehen - der pr akt i s c he Er
f 01 g einer poli tischen Bewegung zum Maßstab der der 1<1arxschen Theo-theoretischen GültiGkeit
rie erklärt.
Die Identifikation der theoretischen Geltung des wissen
schaftlichen Sozialismus mit der erfolgreichen praktisch
politischen Durchsetzung einer kommunistischen BeweGung,
die sich wissenschaftliche beGründet, hat folgenschwere
Konsequenzen: Auf der einen Sei te wj.rd dami t das prakti
sche Erfolgskriterium der als Ideologie kritisierten bür
gerlichen Sozialwissenschaften übernommen, denenowissen-" m ." 1 t 23 --,) -
schaftliehe Urteile al graue lheorle ge_ en , so
lange sie nicht die gesellschaftlichen "Fakten" auf :Lhrer
Sei te haben. Aus einer ursprünglich ge gen die etablier
ten Geistes- und Sozialwissenschaften gerichteten Rekon
struktion der arxschen Theorie wird ein Konkurrenzverhäl.t
nis von Reichelt, Offe, Bischoff und anderen mi t der
"bürgerlichen" Wissenschaft, welche Theorierichtung über
den adäquaten "theoretischen Ausdruck" der bestehenden Pra-
xis verfügt.
107
Dami t ist auf der anderen Sei te der Umschlag der Gel tung
der Marxschen Theorie in die Infragestellung ih
rer theoretischen Gültigkeit immer schon in nuce ange
legt. Die methodische Vorgabe des praktischen Erfolgs ei
ner politischen Bewegung als Instanz der wissenschaftli
chen Gültigkeit der theoretischen Kapitalismuskritik
zieht im Falle des praktischen Mißerfolgs die prinzipiel
le Skepsis nach sich, ob die Marxsche Theorie nicht ein
inadäquater und unzei tgemäßer "Ausdruck" der wirklichen
Verhältnisse sei.
108
Exkurs: Sein & Bewußtsein im wissenschaftlichen Sozialismus
Joachim Bischoff rekonstruiert diel<larxsche Theorie als
Methodologie des Verhältnisses von Sein und Bewußtsein.
Die Anweisung, das Bewußtsein als "Ausdruck" des gesell-··
schaftlichen Seins zu untersuchen, gilt Bischoff dabei
als das "eindeutige Erkennungsmerkmal ,,240) der materia
listischen Methode:
"Das Verhäl tnis von Denken und Sein, von I deenformation und materieller Praxis ist also in der materialistischen Geschichtsauffassung gerade umgekehrt als in der oben skizzierten Konzeption. Alle geistigen Vorstellungen, wie Bewußtseinsformen, Illusj.onen, religiöse Auffassungen werden als Produkt des unmittelbaren Produktionsprozesses des Lebens und damit der sellschaftlichen Lebensverhältnisse gefaßt. I Diese eschichtsauffassung beruht also darauf, den wirklichen Produktionsprozeß, und zwar von der materiellen Produktion des unmittelbaren J,ebens ausgehend, zu entwickeln und die mit dieser Produktionsweise zusammenhängende und von ihr erzeugte Verkehrsform .,. wi die sämtlichen theoretischen Erzeugnisse und Formen des Bewußtseins, Religion, Philosophie, ~loral etc. etc. aus i.hr zu erklären und ihren Entstehungsprozeß aus ihnen zu verfolgen, wo dann natürlich auch die Sache in ihrer Totalität (und darum auch die Wechselwirkung dieser verschiedenen Seiten aufeinander) dargestellt werden kann. '" 241)
Die von Bischoff rekonstruierte methodologische Maxime,
geistige Vorstellungen als Produkte der materiellen Pra
xis zu betrachten, kann sich durchaus zu Recht - wie in
obigem Zitat geschehen - auf die von Marx und Engels in
der "Deutschen Ideologie" vertretene materialistische Ge
schichtsauffassung stützen. Solche Be ruf u n g auf
di e A u tor i t ä t der Klassiker des wissenschaftlichen
Sozialismus ersetzt hier allerdings einen unvoreingenom
menen Nachvollzug der in dieser "Frühschrift" niederge
legten Argumente. Aus diesem Grunde sollen im folgenden
die in der "Deutschen Ideologie" getätigten Aussagen zum
Verhäl tnis von Sein und Bewußtsein auf ihren tatsächlichen
Erkenntnisgehalt hin überprüft werden.
109
Die von Marx und Engels als Streitschrift gegen die jung
hegelianische Philosophie abgefaßte "Deutsche Ideologie"
konterkariert die von den Junghegelianern praktizierte phi
losophische Geschichtsdeutung:
"Die Produktion der Ideen, Vorstellungen des Bewußtseins ist zunächst unmittelbar verflocht~n in die materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Menschen, Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen Denken, der geistige Verkehr der r'lenschen erscheinen' hler noch als direkter Ausfluß ihres materiellen Verhaltens. Von der geistigen Produktion, wie sie in der Sprache ~er Politik, der Gesetze, der r~oral, der ReIlglon, Letaphyslk usw. elnes Volkes sich darstellt, ~ll t dasselbe ... Ganz im Gegensatz zur deutsche:~ Philosophle, welche v~m Himmel auf die Erde herabstei.gt, wlrd hler von der Erde zum Himmel gestiegen." 2 Lj2)
Als erstes fällt auf, daß Marx und Engels hier sehr metho
disch argumentieren, d. h. sie verbreiten weniger materia
le Erkenntnis über das Verhältnis von gesellschaftlichem
Sein und Bewußtsein denn allgemeine Grundsätze seiner po
tentiellen Erkenntnis. Behauptet die deutsche Philosophie,
daß sich der "Geist" die ihm zugehörige Welt kreiert, so
produziert bei r'larx und Engels umgekehrt die "materielle
Tätigkei t" das ihr eigene Bewußtsein. Untauglich zur Wider
legung der junghegelianischen "Ideologie" ist diese "Be-tr h+ . ,,243). f ac oungswelse lnsoern, als die Begründer des ~jate-
rialismus in Opposition gegen eine falsche Bedingungs- und
Wirkungslogik einfach deren Umkehrung als methodologische
Maxime postulieren. So berechtigt einersei ts das von Marx
und Engels verfolgte Anliegen ist, gegenüber einer ideali
stischen Anschauung, derzufolge sich sämtliche Umwälzun
gen und Revolutionen "im reinen Gedanken zugetragen ha-
b ,,244) ..
en , zu betonen, daß der ideologische Uberbau in den
Produktionsverhältnissen als seine gesellschaftliche Ba
sis gründet, so wenig ist andererseits mit der schieren
Behauptung des Bewußtsein als "ein gesellschaftliches Pd' t,,2 45) . 1'0 ·UK gewonnen, wenn nlcht zugleich an den je be-
stimmten Belorußsteinsinhalten der Nachweis geführt i t,
wi e sie durch die gesellschaftlichen Umstände bestimmt
sin .
11 0
Mit der Charakterisierung von Bewußtseinsinhalten als
"S u bl i m at e" der materi.el1.en Praxis :Lst ,iedenfalls
weder eine hinreichende Kritik der "deutschen deologie"
geleistet 246 ) noch eine zutreffende Darstellung des Ver
hältnisses von gesellschaftlichem Sein und notwendig fal
schern Bewußtsein in der bürgerlichen Gesellschaft:
"Auch die Nebelbildungen im Gehirn der Menschen sind notwendige Sublimate ihres materi.ellen, empirisch kon-statierbaren und an materielle Voraussetzun geknüpf-ten Lebensprozesses ." 2 LO)
Marx und Engels verwandeln in dieser Aussage d}.e theore
tische Anpassung an praktische Zwänge, wie sie al gesell
schaftliche Notwendigkeit für dic Individuen innerhalb der
kapi talistischen Produktionsweise hervorgerufen wird, un
ter vollkommener Absehung von ihren Voraussetzungen in ei
ne epistemologische Notwendigkej.t dei; Bewui3tse~i.ns übe r·-
haupt. Ganz sc, al lief3e der Hmaterielle Lebenspro-
zeß" den Individuen keine andere öglichkei
wußtsein voller "Nebelbildungen"; ganz so,
sein Be-
wUrde der
"materielle Lebensprozeß" den Gese11schaft:;mitgliedern
unausweichlich vorschreiben, welches Be\'iuStscin i:her ihn
man alleine haben könne, identifizieren rfrarx ldlO }~~geJ.s
hier Bewußtsein mi t l' als ehe m Bewußtsein. ihren
eigenen Aussagen, die sie ja gegenüber den Ideen der t-
sehen Philosophie als \oJahrheit behaupten, hätte hnen ei
gentlieh der vliderspruch auffallen müssen, di "Nebelbil-
dungen" des bürgerlichen Denkens als unverme:Ldliche Hir-
kungen der ge seI 1 sc ha f tl ich e n Natur des Denken"
sc hl ec hthin au fzu f as s en :
"VJenn in der ganzen Ideologie die 11enschen und ihre Verhältnisse wie in einer Carnera obscura auf den Kopf gestellt erscheinen, so geht dies Phänomen ebensosehr aus ihrem historischen Lebensprozeß hervor, wie die Umdrehung der Gegenstände aus ihrem unmittelbar physischen."
248)
111
Der von Marx und Engels gewählte Vergleich mit der Natur
gesetzmäßigkeit der \Viderspiegelung physischer Gegenstände
in einer Camera obscura ist ein Bild, welches die Bestim
mungen des bürgerlichen Bewußtseins sowie seinen gesell
schaftlichen Grund mehr verrätseIt, statt sie begreifen
zu helfen. Denn das Bewußtsein von einem Gegenstand - ob
aus dem Bereich der natürlichen oder gesellschaftlichen
Welt ist hierbei gleichgültig - ist erstens ein Reflexions-
eI' tni.s, i.n welchem ein bev:ußtes Subjekt sich ven einem
Objekt (das es identifiziert) unterscheidet - und keine
quasi bewußtlose Wirkung eines Objekts. Und zweitens sind
die ideologischen Vorstellungen des bürgerlichen Bewußt
sei~,s, mittels derer die Individuen ihre Unterordnung un
ter und Versö]mung mi t den Zwangsverhältnissen der kapi ta
listischen KonkuI're~1Z bewerkstelligen, mit Vokabeln wie
"Sublimat", "Produkt" oder "ideeller Ausdruck,,249) gerade
nicht begriffen. Bei der Festlegung des Bewußtseins über
die kapitalistische lVirklichkeit durch eben diese lVirklich
kei kann es sich nicht um eine Notwendigkeit im Sinne ei
nes epistemologischen Determinismus handeln; denn dagegen
ist die Exi tenz der von Marx ausgearbeiteten Kapitalis
muskritik noch immer das eindeutigste Indiz. Und ebenso
handelt es sich bei. Ideologien nicht um eine Notwendig
keit des "hi.storischen 1ebensprozesses" schlechthin, son
dern um Gedanken, mit denen sich die Menschen auf die
praktischen Notwendigkeiten der Klassengesellschaft ein
richten, also um eine Folge kapitalistisch festgelegter
Interessen.
Marx und Engels scheinen seinerzeit allerdings auch weni
ger eine ausführliche Analyse des notwendig falschen Be
wußtseins in der kapitalistischen Gesellschaft bezweckt zu
haben, denn den Nachweis der Unselbständigkeit
allen Denkens:
112
"Die ~loraJ., HeU. hysik und sonstige Ideologie un d di e i. hn en Bewußts eins orncn b ehal ten hiermit nicht länger den Schein der Selbstän~igkei_, Sie haben keine Geschichte, sie haben kel~e~ntwlch~ung, sondern die ihre materielle Produktion und 1hren mate~lellen Verkehr entwickelnden Menschen ändern mlt ~lese~ 1hrer Wirklichkeit auch ihr Denken und dle ProduKte ln-res Denkens. Nicht das Bewußtsein beshmmt das Leben, sondern das loeben bestimmt das BeviUßtsein." 250)
Dementsprechend gilt den Autoren der "Deutschen Ideologie"
die Abschaffung der bestehenden materiellen Verhältnisse,
die den Individuen unvermeidlich "Nebel" in die Köpfe bla
sen, als identisch mit der Widerlegung des falschen Be-
wußtseins:
"Die wirkliche, praktische Auflösung dieser Phrasen, ,die Besei tigung dieser Vorstel aus dem Bewußtseln d~:: r'~enschen wird, wie [ochon ges durch veranderte Umst,m~ de, nicht durch theoretische tionen bewerkstelllgt.
251)
Die zutreffende Aussage, daß dem falschen Bev:ußtsein der
bürgerlichen Gesellschaft durch deren Revolutionierung die
Basis entzogen wird, so daß seine Notwendigkeit entfällt,
trägt sich hier bei den Begründern des wissenschaftlichen
Sozialismus jedoch zugl eich als grundlose Sicherhei t dar
über vor, daß diese Veränderung der Umstände über kurz oder
lang stattfinden wird. Und aus der Kritik der idealisti
schen deutschen Philosophie, die ihre Interpretationen der
Welt mit dem Anschein ihrer Veränderung versahen, ist hier
unterderhand ein Gegensatz geworden zur Erkenntnis der "Um
stände", die zu ihrer Veränderung doch nicht überflüssig
sein kann. Zur Zeit der Abfassung der "Deutschen Ideologie"
hingen Marx und Engels offensichtlich noch dem trügerischen
historischen Optimi'smus an, daß ganz jenseits der von ilmen . h "Ph " beständig angestrengten Kritik der ideolog1sc en rasen
die Geschichte selbst durch veränderte Umstände das fal
sche Bewußtsein der bürgerlichen Gesellschaft praktisch auf
lösen wUrde. Die Arbeiterklasse jedenfalls glaubten sie
ohnehin schon desillusioniert durch die wirkliche Bewegung:
113
"Für die Masse der Menschen, d. h. das Proletariat, existieren diese theoretischen Vorstellungen nicht, brauchen also für sie auch nicht aufgelöst zu werden, und wenn diese Masse je einige theoretische Vorstellungen, z. B. Religion hatte, so sind diese jetzt schon längst durch die Umstände aufgelöst." 252)
Kein Wunder also, daß Marx und Engels später ~icht bereu
ten, "das M anuskrip t der nagenden Kri tik der Mäus e" 25 3)
überlassen zu haben. Im "Kapital" jedenfalls beging Marx
nicht mehr den Fehler, die unvermeidliche "Auflösung" der
Religion zu prognostizieren, Er weist darin nicht nur den
Protestantismus als die dem Kapitalismus adäquate Reli
gionsform nach, die mit seiner Entwicklung ihren Auf
schwung nimmt, anstatt ihrem Untergang geweiht zu sein:
"Für eine Gesellschaft von Warenproduzenten, deren allgemein gesellschaftliches Produktionsverhältnis darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waren, also als Werten, zu verhalten und in dieser sachlichen Form ihrer Privatarbeiten aufeinander zu beziehen als gleiche menschliche Arbeit, ist das Christentum mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus usw., die entsprechendste Religionsform. " 254)
Er überwindet auch den Mangel solch abstrakter Formulierun
gen wie der jenigen vom Bewußtsein als 'gesellschaftliches
Produkt', indem er di e notwendig fa 1 s c he n Bewußt-
seins i n haI t e
abI ei tet:
aus den Z w ä n gen des Kap i tal s
"Man begreift daher die entscheidende Wichtigkei t der Verwandlung von Wert und Preis der Arbei tskraft in die Form des Arbeitslohns oder in Wert und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und grade sein Gegenteil zeigt, beruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle ~lystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie." 255)
Aus diesem Grunde ist es kein Zufall, daß sich Arbeiten,
welche bestrebt sind, die [·larxsche Theorie als eine gene
relle Methodologie von den geistigen Phänomenen zu rekon
struieren, dabei weniger auf die "Kritik der politischen
114
Id 1 ' " sowie die zahl-Ökonomie" denn auf die "Deutsche eo ogle
reichen Äußerungen von Engels stützen. So bestimmt Engels
fast durchgängig das Bewußtsein als "histor)isches Pro-
25 6) . k,,257 d als "Ge-dukt" , als "theoretischen AusClruc c er
k fl ,,258) der ökonomischen Gegensätze. Selbst der dan enre ex wissenschaftliche Sozialismus, seinem Inhalt nach Kritik
sämtlicher falscher Auffassungen über Ökonomie und Staat
der bürgerlichen Gesellschaft, gilt ihm als ureigenste ,
Wirkung der kapitalistischen Gegensätze - ganz ebenso, wIe
die kritisierten Ideologien eine Wirkung derselben sind:
, 't 'cht e ~s der Ge-"Der moderne Sozialismus lSt wel er nl , ". ". , dankenreflex dieses tatsächlich~n Konfll~ts~ts~~~eKlas_ ideelle Rückspiegelung ln den Kop~en ~u~ac~~rklasse." 259) se, die direkt unter lhm leldet, er r el
, 't 'st daß der wissenschaftliche So-So richtig es elnersel s 1 ,
"tat"a"chll' ehen Konflikte" zum egenstand hat zialismus die -
Wenig ist andererseits die Leistung z. B. und erklärt, :30
1 de r POIl' tl' schen Ökonomie" gefaßt, wenn man sie der "Kri ti ( -, "d als "Reflex" oder "ideelle Rück-al s "ni c hts wel t er enn
, " 't 260) Solche von Engels vorgenommene splegelung bestlmm , , , Selbstcharakterisierung des vJissenschaftlichen Sozlallsmus
au ßerwissensehaftlichen Interesse: Sie entspringt einem b eabsi c hti gt di e S e1 bs tv ers i c herung der pr akti sc hen Wir~-
. 'd 'die Kritik der bur-samkeit der eigenen Theorle, In em Sle Verhäl tnisse als deren ureigenstes vlerk und als
der kapi talisti-gerlichen unabweisbare geschichtliche Notwendigkeit
schen Verhältnisse imaginiert.
115
4. Die notwendigen Konsequenzen der Rekonstruktion des
Marxismus als Methode
Abschließend sollen noch einmal die gemeinsamen Grundlinien
zusammengefaßt werden, die sich aus der Analyse der ver
schiedenen Arbeiten von Reichelt, Offe und Bischoff her
auskristallj.siert haben.
1. Die Projekte zur Rekonstruktion der Marxschen Theorie
stützen sich zwar allesamt auf die "Kritik der politischen
Ökonomie" als ihre Berufungsinstanz, verfolgen aber ein
von ihr durchaus unterschiedenes Anliegen. Wenn Reichelt
,die I4arxsche Theorie als "Entfaltung eines marxistischen
Totalitätsbegriffs, den wir als Totalität der entfremdeten
F b . f ,,261 ) t· k 1 ormen egrel en, en WlC e t, wenn Offe die r~arxsche
Kapi tal i smuskri tik al s "Logik ein es En twi ckl ungs mus ters" 262)
entwirft und in die "Sprechweise,,263) systemtheoretischer
Konz ep te üb ers etz t, wenn Bi sc hof f un ter Berufung au f r~ arx
ein genetisches Ableitungsverfahren konzipiert, um "aus der
Struktur der bürgerlichen Gesellschaft die Bedingungen für
die positive Wissenschaft anzugeben,,264), - dann konstruie
ren sie unter dem Signum der "Rekonstruktion" die Marxsche
Theorie neu. Die "neue Auseinandersetzung mit dem r~arx
schen Herk,,265) besteht in dem Projekt, aus den inhaltlichen
Analysen der "Kritik der politischen Ökonomie" eine dauer
hafte dialektische Met ho d e zu isolieren, die getrennt
von den materialen Aussagen als Garant der Überlegenheit
materialistischer Gesellschaftstheorie fungieren soll. Die
Rek ons trukti on der ~larxs c hen The ori e als Methode schI i eßt
dabei von Anfang an die Distanz zu und Kritik an den von
Marx im "Kapital" niedergelegten sachlichen Urteilen über
die ökonomischen Zwangsgesetze der kapitalistischen Pro
duktionsweise ein. 266)
2. "Rekonstruktion" der "Kritik der politischen Ökonomie"
ist der Titel einer theoretischen Herausforderung, die von
Marx dargestellten Resultate materialer Erkenntnis in me-
! [ f !
I I
116
thodologische Grundsätze zukünftiger Erkenntnis zu verwan
deln. Das von Reichelt, Offe und Bischoff auf unterschied
liche Weise durchgeführte Projekt, 'aus der Darstellung der
ökonomischen Sache eine 14ethode ihrer Darstellung abzuson
dern und si e al s' univers eIl e Vorb edingung - al s "einz i g
möglichen Einstieg in die theoretische Verarbeitung der
gesamten bürgerlichen Gesellschaft,,267), als "Rahmen für
die funktionale Analyse historischer Transformationen in
nerhalb kapitalistischer Systeme,,268) oder als methodische
Angabe der "Bedingungen für die positive Ihssenschaft,,269)
- für die Analyse und Darstellung kapitalistischer Reali
tät zu konstruieren, zieht zwei unmittelbare Konsequenzen
nach sich: Zum einen werden die von r~arx im "Kapi tal" nie
dergelegten materialen Urteile über die Zwecke, Bestim
mungen und Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Gegen
stände in bloße Hy pot he sen verwandelt. Die sachli
chen Aussagen über so harte ökonomische Tatsachen wie Wa
re und Geld, Kapital und Lohnarbeit werden zunächst in
bloße "Abstraktionen" und "reine Begriffe" verflüchtigt,
die selbst noch nicht wirkliche Erkenntnis darstellen, son
dern nur "AnWeiSUngscharakter,,270) für zukünftige Erkennt
nis besi tzen. Zum anderen muß der so konstruierten dialek
tischen 14ethode jeder in dem sachlichen Wissen über die Ge
genstände liegende Anhaltspunkt verlorengehen. Die ursprüng
liche Behauptung, die Marxsche Verfahrensweise sei eine
"unendlich fruchtbare Methode,,271), wird notwendig ergänzt
durch die skeptische Frage nach ihrer tatsächlichen "E i g
nung für die Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus".272)
3. Das unmittelbar€ Ergebnis der von Rosdolsky, Reichelt,
Offe und Bischoff durchgeführten Arbeiten zur Rekonstruk-
tion der Marxschen Theorie sind neue Pro b 1 e m e - und
zwar keine praktischer Natur, die sich aus dem Anliegen er
geben hätten, die wiederangeeignete Marxsche Kapitalismus
kritik jetzt politisch wirksam werden zu lassen. Die Schwie
rigkeiten sind methodologischer Art, nicht solche mit der
117
kapi talistischen Realität der Bundesrepublik zu Beginn der
70er Jahre, sondern solche mit der Marxschen Theorie. Die
neue Auseinandersetzung mi t der "Kritik der poli tischen
Ökonomie" sieht sich mit einer erneuten theoretischen Her
ausforderung konfronti ert: einersei ts gilt es, den Reali
tätsgehal t der Marxschen Begriffe und Abstrakti onen erst
noch zu beweisen, andererseits die postulierte Eignung der
materialistischen Methode definitiv zu bestätigen:
"Im Grunde hat Marx nur einen geringen Teil realisiert, die Darstellung der Anatomie dieser bürgerlichen Gesellschaft, aber auch hier ist er nicht bis zur 'wirkli ehen Darstellung' durchgedrungen, der genauen Entwicklung der 'wirklichen Konkurrenz', sondern hat fast ausschließlich den 'allgemeinen Begriff des Kapitals' entfaltet, also selbst noch einmal eine Art Anweisung zum Studium des wirklichen Kapitalismus in seinen verschiedenen nationalen Ausprägungen." 273)
I\1arx selbst ging davon aus, mit dem "Kapital" die entschei
denden wissenschaftlichen Fragen der politischen Ökonomie
beantwortet zu haben und damit über die unerläßlichen Ein
sichten für eine theoretisch begründete pr akt i s ehe
Kr i i k der kapi talistischen Gesellschaft zu verfügen. 274)
Er bezeichnete das "Kapital" als das "sicher furchtbarste
missile, das den Bürgern (Grundeigentümern eingeschlossen)
noch an den Kopf geschleudert worden ist. ,,275) Bei Reprä
sentanten der bundesdeutschen Rekonstruktion des wissen
schaftlichen Sozialismus wie Rosdolsky, Reichelt, Offe,
Bischoff u. a. wird aus der 1~arxschen "Kritik der politi
schen Ökonomie" ein Gegenstand fortgesetzter met h 0 d 0-
I 0 i s ehe r SeI b s t b e s c h ä f t i gun g. Es wi r d fü r
notwendig befunden, die Rekonstruktion der r·\arxschen Theo
rie als Methode um ein von Altvater u. a. dann als "Real
analyse" bezeichnetes "Studium des wirklichen Kapitalis-
mus" zu ergänzen. Dadurch erst soll es möglich werden,
"wirkliches" Wissen über den gegenwärtigen Kapitalismus zu
gewinnen und damit zugleich d:Le überlegene "Eignung" der
aus dem "Kapital" extrapolierten ?:larxschen [0ethode "für die
Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus,,276) zu verihzie-
118
ren. Die im folgenden zu behandelnden Arbei ten zur "Real
analyse" und "Krisentheorie" haben sich dieser methodo
logischen Herausforderung gestell t, den in der r·\arxschen
Kapitalismusanalyse dargestellten ökonomischen Gesetzen
in einem zweiten 'realanalytischen' Schritt erst noch
zu real ökonomischem Inhal t und empirischer Gül tigkei t
zu verhelfen.
119
Anmerkungen: Die Rekonstruktion des Marxismus - seine
Verwandlung in Erkenntnistheorie und Methode
1) Stellvertretend und beispielhaft für die Vielzahl anerkannter Marx-Widerlegungen sei zitiert, was Karl Martin Bolte, ein Repräsentant der etablierten bundesre
ikanischen Sozialwissenschaften, über "Grundgedan-cn der ~larxschen Klassentheorie" referiert:
Es ffist zu erkennen, daß die arxsche Klassentheo-rie zwar für die ellschaftliche Wirklichkeit Deutschlands Hälfte des 19. Jahrhun-derts den An wesentlichen zutref-fende Dars der Entwi tendenzen erheben konnte daß sie aber die arxschen Prognosen hinsic ich einer zunehmenden Polarisierung und Extremisierung der Klassen zunächst nicht weiter erfül ten. Die tatsächliche Entwicklung war wesentlich diffe renzierter und zum Teil deutlich anders als K. [\larx vermutet hatte." (Karl "lartin Bolte. Deutsche Gesellschaft im Wandel, Opladen 1967,' S. 282)
"Nicht nur di.e Entwicklungen des 'alten' und des 'neuen' Mittelstands wiesen Tendenzen auf, die den Marxschen Vorhersagen zuwiderliefen ... " (a.a.O., S. 280)
Die Marxsche Darstellung des Gegensatzes von Lohnar-beit und tal interpretiert Bolte als Prognose ei-ner voransc tenden Zweiteilung der Gesellschaft. Zwar hat r~arx weder eine angeblich zunehmende "Polarisierung und Extremisierung" der bürgerlichen Gesellschaft abgewartet, noch sie überhaupt prophezeit. Er hat vielmehr in seiner "Klassentheorie" ausführlich begründet, wie der wachsende Reichtum auf seiten der Klasse der-Kapitalisten vermehrten Ausschluß der Lohnarbeiter von dem Reichtum bedeutet. den sie schaffen. Bolte als Anhänger der Theorie des "Sozialen Wandels" hingegen unterstellt der flJarxschen Erklärung und Kritik der bürgerlichen Gesellschaft das prognostische Anliegen moderner empirischer Sozialforschung, um dann Marx vorzuhalten, er habe gesellschaftliche "Entwicklungstendenzen" falsch vorausgesagt, seine Prognosen hätten sich nicht bewahrheitet. Bolte unterschiebt Marx die allgemeine Übereinstimmung moderner empirischer Sozialwissenschaft, sie habe statt Erklärungen Einschätzungen Über mögliche Entwicklungen zu liefern und sie mit theoreti sehen Konstrukten zu interpretieren. Statt einer Widerlegung von Argumenten der Marxschen Klassen-theorie legt die rische Sozialforschung damit nur ihr eigenes Ideal fen, das Comte so klassisch unkri-tisch formulierte: "savoir pour prevoir". Die Verwandlung des Wissenschaftlichen Sozialismus in eine Pr eiung gilt auch in der Politologie als anerkannte Über die riJarxsche Theorie. 1,aut Kurt Leo She11 "untermauerte" r~arx "prophetische Verheißung mit wissenschaft1icher Argumentation". (Shell
120
Kurt 1,eo, Stichwort smus, in: Handlexikon zur Politikwissenschaft, .) Axel Görlitz, Reinbeck bei Hamburg 1973, S. 2L,1 Ist erst einmal das "Kapital" in ein "eindrucksvolles, in gängiger Sprache gehaI tenes Bild der unvermeidlichen, 'wissenschaftlich' vorauszusagenden proletarischen Revolution den Kapitalismus" (a.a.O.) umgedeutet, ist nie eich-ter, als dieses am Gang der Geschichte sich blamie-ren zu lassen:
"Die Entwicklung hatte den riJarxismus als unfähig erwiesen". "da die kapitalistische Wirtschaft der Industrieiänder nicht die erwartete Krisenentwicklung nahm, die Polarisierung der Klassenstruktur nicht eintrat, die erwartete revolutionäre Bewußtseinsbildung des Proletariats ausblieb und die Arbeiterklasse vielfach begann, das Instrument des Staatsapparates zu j.hren Gunsten zu benutzen." (a.a.O., S. 243)
Der Protagonist des Kritischen Rationalismus, Karl Popper, gibt einem en Abschn~tt seines s wider die "Feinde der e" die Uberschrift arxens Prophezeiung" und widerlegt die angebliche "Verkündigung des Sozi.alismus" (Karl R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2, MÜnchen 1975, s. 167) damit, daß sich "keine der anspruchsvolleren historizistischen Schlußfolgerungen Marxens, keines seiner 'unerbittlichen Entwicklungsgesetze' und keines seiner 'historizistischen Stadien, die nicht übersprungen werden können', je als eine erfolgreiche Prophezeiung erwiesen (hat). Marx war erfolgreich nur insoferne, als er Institutionen und ihre Funktionen analysierte." (a.a.O., S. 240) Der Marxschen Analyse von Kapital und bürgerlichem Staat wird eingestandenermaßen kein Fehler nachgewiesen. Popper erkennt lhr sogar auf diesem Gebiet das Prädikat "erfolgreich" ~u, "nur" um klarzustellen, daß an einer stimmlgen Erklarung sich der Erfolg einer Theorie nie und nimmer bemißt. Dann schon eher an einer "erfolgreichen Prophezeiung", fÜr die Marx nur ein "sehr schlechtes Rüst~ zeug" besaß: "ff]an muß einsehen, daß eines der Prlnzlpien einer vorurteilsfreien Beurteilung der Politik in dem Grundsatz besteht, daß in menschllchen Dlngen alles möglich ist; und insbesondere, daß man keine vorstellbare Entwicklung ausschließen kann ... " (a.a.O S. 241) . Im Unterschied zum fhflerfolg "sozial technologischer Voraussagen" der etablierten Sozialwissenschaften ist dieser im Falle Marx ein vernichtendes Argument gegen seine Theorie. Daß Marx seine (angeblichen) Prognosen als bestimmte und nicht bloß "mögliche" verstanden habe, trägt ihm die Gegnerschaft des kritischen Rationalisten Popper ein, der darin zu erkennen gib~1 woran er in Marx den "Feind der offenen Gesellschaft erkennt: an dessen als 'Dogmatismus' tituliertem Unwillen, seine Erklärung und Kritik der bürgerlichen Gesellschaft als bloß "mögliche" Auffassung 7.U rela-tivieren.
121
Wo sich die moderne Sozialwissenschaft mit dem Wissensehaftsideal der Prognose als realistisches Mittel vorstellt, um mögliche gesellschaftliche Geschehnisse zu kalkulieren, ist die Marxsche Theorie von vorneherein ins wissenschaftliche Abseits gestellt. Dient ihr doch Wissen nicht dazu, sich auf Unvermeidliches einzurichten, sondern gilt ihr als Bedingung begründeter gesellschaftsverändernder Praxis. Das von Comte erstmals für die Sozilogie postulierte Wissenschaftsideal hingegen empfiehlt das Verfahren der Prognose, das in der Metereologie seine Berechtigung hat, da sich das Wetter als Naturereignis dem menschlichen Einwirken entzieht, ungeachtet dieses Unterschieds auch für die Stellung zur eigenen Gesellschaft. Die Einrichtungen der bürgerlichen Welt werden hierbei so dogmatisch als selbstverständliche Voraussetzung und Chance gesellschaftlichen HandeIns begriffen, daß nicht sie mehr zur Hinterfragung, sondern nur noch von ihner:lausgehende mögliche Wirkungen und Entwicklungen zur Kalkulation anstehen. Obwohl der SOZiologe Bolte, der Politologe Shell und der Wissenschaftstheoretiker Popper an anderer Stelle nicht müde werden zu betonen, ihre Gegenstände seien als "gesellschaftlich produzierte" zu betrachten, er lassen sie mit obigem Ideal sozialwissenschaftlichen Verfahrens die Vorschrift, analog zur Wetterkunde die gesellschaftlichen Gegenstände quasi als Natur zu nehmen. Das klassische "Miß"verständnis der bürgerlichen Geistes- und Sozialwissenschaften, die [~arxsehe Erklärung der kapitalistischen Gesellschaft als eine Prophezeiung ihres zu verste-hen, um ihr dann anges i c hts wei ter er 00 Jahr e Kapitalismus zu attestieren, sie habe sich nicht erfüllt, bringt nur eines zur Anschauung: an r"iarx und im Gegensatz zu ihm will diese Abteilung moderner Gesellschaftswissenschaft ihre Entschlossenheit demonstrieren, statt nach Gründen für den täglichen Gang der bürgerlichen Gesellschaft zu fragen, theoretische Mittel für ihre Kontrolle bereitzustellen.
2) Iring Fetscher, Vorwort, in: Helmut Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx, Frankfurt am r~ain 1970, S. 7 ff
3) Kritik der politischen Ökonomie heute - 100 Jahre 'Kapital', Referate und Diskussionen vom Frankfurter Colloquium 1967, Walter Euchner/Alfred Schmidt (Hrsg.), Frankfurt Olm [,jain 1972
Bemerkungen über die Methode 4) Roman Rosdolsky, Eini des Marxschen 'Kapi tige Marxforschung, mie heute, S. 21
, und ihre Bedeutung für die heuin: Kritik der politischen Ökono-
I 1
122
6) Rosdolsky, Einige Bemerkungen, S. 21
7) a.a.O., S. 9 . h n Struktur des Kapitalbe--
8) Helmut Re~chelt'l/a~~,l~~~~~f~~t am Main 1970 griffs be~ Kar1
, .' - kt Klassenanalyse, Bemerkungen zu: 9) Vgl. h~erzu. ProJe _ n Struktur des Kapitalbe··
Helmut Reichel t, Zur 1 ogls~he_ . 1i5tische Politik Nr. 11, griffs bei Karl r\~arx, in: OZla ' 1971, S. 94 - 102
10) Fetscher, Vorwort, S. 11
11) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 14 .. d· kritische Bilanz der Redaktion
12) Vgl. _ hle~zGu ~lel h f't" der Reichel t angehörte: schr~ft ese sc a., - J h 19~9
'lt was H Grossmann ~m a re - < wie vor. g~ D' nbef~iedi~ende Zustand d~r. bis ben hat. er u 1<' darauf zurückz,uluhren, ~~arxf?rschung 1st m. hU
• F . schungsmethode nj.cht nur sich uber dIe Marxsc e or k -- d-g das erscheinen mag,
1 ondern so mer wur ~ .- 1 t ne karen, S -, - ht '" (Helmut Heiche~t e . überhaupt keine Gedanken l~ac 1ft _ Beiträge zur ßlarx-al Editorial, ln: Gese ,sc la;, - 74 S 8)
., Th -. 1 Frankfurt am !<Ienn 19_, . sehen eor~e , -St '.l- c; 17
13) Reichelt, Zur logischen .. rUKcur, c·
14) a. a. 0 ., S. 18 (0 t) Bd. 1, in: MEW 23, Berlin
15) Karl [,larx, Das Kapital, 1971, S. 27
16) Reichelt, a.a.O., S. 75
16a)
17)
a.a.O., S. 15 e der phil 0-
Zusatz I, Georg Wilhelm Friedrich Hegel: sophischen Wissenschaften, ~n. Frankfurt am lfJain 1970, S. 114 "
_ . d· ausführliche Auseinanderseczung 18) Vergle~che hlkerzu -~eder HegeIschen Dialektik und ih-
von Peter Dec er m~ Philos e und Sozial-rer Rezeption in.d;rtmOd~:~~~r Die ethodol e kritiwissenschaft, ~n. e er b.ld d'e Konzeptionen dornos
S - he - System 1 en 0 1"('2 scher ~nnsuc _ h T di tj on Erlangen 'j.i., im Lichte der philosoph~sc en ra - , S.110ff . n
'k Bd 1 in· W\v 5. rrank-19) Hegel, Wissenschaft der Log~ , ~O· , . .
furt am ~lain 1969, Vorrede, S. __ R de beim Antritt des ph~losoph~-
20) Hegel, Konzept der eU- -tät Berlin in: WW 10, schen Lehramtes an d;,r n]_v~r;~ , Frankfurt Olm Main 1970, S. +1.
L . k Bd 1, S. 23 21) Hegel, Wissenschaft der Ogl, .
G - t in· \'IH 3, Frankfurt 22) Hegel, Phänomenologie des e~s es, .
am ,,1 ai n 1 97 0, S. 1 4
23) Hegel GrundlInIen der Philos '7 'Frankfurt a~ Main 1970, WW ,
e des Rechts, 31, S. 8~
in:
'j r:!..j
24) I~arx, Das Kapital, Bd. 3, in: MEI-I 25, Berlin (Ost) 1975, S. 628 f
25) /-Iarx, Das Kapital, Bd. 1, S. 49
26) lliarx, ~andglossen zu A. \-1agners 'Lehrbuch der polltisehen Okonomie', in: 1,IEW 19, Berlln (Ost) 1973, S. 369
27) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 126 ff Vgl. hierzu auch die Beiträge von Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen 'Kapital', Bd. 1 und 2, Frankfurt am Main 1968; Jindrich Zeleny Die Wissenschaftslcgik bei Marx und 'Das Kapital', ' Frankfurt am Main 1970; Alfred Schmidt (Hrsg.), Beitrage zur marxistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt am lliain 1969; Vlalter Euchner/Alfred Schmidt (Hrsg.), Kritik der politischen Okonomie heute - 100 Jahre 'Kapi tal', Frankfurt am Main 1972
28) I.larx, Das Kapital, Bd. 1, S. 741
29) Marx, Zur Kritik der HegeIschen Rechtsphilosophie, in: lliEl-1 1, Berlin (Ost) 1974, S. 216
30) Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin (Ost) 1974, S. 364 f
31) a. a .0 ., S. 1 89
32) Marx, Brief an Engels um den 16. ,Januar 1858, in: MEVI 29, Berlin (Ost) 1970, S. 260
33) In der kritischen Bemerkung über eine Arbeit Lasalle's -"Ich sehe aus d;Leser einen Note, daß der Kerl vorhat, die politische Okonomie hegelsch vorzutragen ... Er wlrd zu selnem Schaden kennenlernen, daß es ein ganz andres Ding ist, durch Kritik eine VIissenschaft erst auf den Punkt bringen, um sie dialektisch darstellen zu können, oder ein abstraktes, fertiges System der Logik auf Ahnungen eben eines solchen Systems anzuwenden." (rliarx, Brief an Engels vom 1. Februar 1858, in: MEVl29, S. 275)-
betont Marx zum einen, daß die dialektische Darstel lung die umfassende und korrekte Erarbeitung einer Sache voraussetzt, andernfalls ist die Dialektik dem Gegenstand äußerlich und kommt einer 'Vergewaltigung' des Stoffs gleich. Zum anderen ist der Bemerkung von Marx zu entnehmen, daß alleine aus der dialektischen Form der Darstellung nicht auf den Vlahrheitsgehalt der dargestellten Urteile geschlossen werden kann. Denn es ist durchaus möglich, unbegriffenen Sachverhalten die Form einer dialektischen Darstellung zu geben. Allein die Prüfung der dargestellten Urteile vermag zu erweisen, ob hier "eine Wissenschaft auf den Punkt" gebracht wurde, oder die Anwendung eines "abstrakten, fertigen Systems der Logik auf Ahnungen eben eines solchen Systems" vorliegt.
34)
35)
36)
37)
38)
39)
40)
41)
42)
43)
44)
45)
46)
47 )
48)
49)
50)
51)
1 2~
Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 134
Rosdolsky, Einige Bemerkungen, S. 21
Auf die Spitze eben ist die Tr etho-de und durc hrter Wissenschaft bei s: "Denn angenommen .,. die neuere Forschung hätte die sachliche Unrichtigkeit sämtlicher einzelnen Aussagen von I,larx einwandfre1 nachgewiesen, so könnte ;ieder ernsthafte 'orthodoxe' Marxist alle diese neuen Resultate bedingungslos anerkennen, sämtliche einzelne Thesen.von lliarx verwerfen - ohne für eine l·linute seine marxJ.stlsehe Orthodoxie aufgeben zu müssen ... Orthodoxie in Fragen des I~arxismus bezieht sich vielmehr ausschließlich auf die Methode." (Georg Luk2LCs, Geschichte und . Klassenbev.'Ußtsein, Neuwied und Berlin (l'Iest) 1970, S. 58
Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 81
a.a.O.
a.a.O. , S. 265
a.a.O.
a.a.O. , S. 75
a.a.O. , S. 81
a.a.O. , S. 75
a.a.O. , S. 15
a.a.O. , S. 75
a.a.O. , S. 15
a.a.O. , S. 18
a.a.O.
a.a.O. , S. 81
a.a.O. , S. 18 Marx, Brief an Lasalle vom 22. Februar 1858, in: über 'Das Kapital', Berlin (Ost) 1954, S. 80
Briefe
52)
53)
54)
Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 265
a.a.O. Reichelt, Ansätze zu einer materialistischen Interpretation der Rechts'philosophie von Hegel, in: Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, herausgegeben und eingeleitet von Helmut Reichelt, Frankfurt - Berlln -Wien 1972, S. XIII f
55) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 140
56) a.a.O.
57) a.a.O., S. 140 ff
125
58) a.a.O., S. 88 ff
59) a.a.O., S. 140
60) Reichelt, Ansätze, S. XVI
61) a.a.O., S. XV
62) An dieser Stelle wird noch einmal deutlich welche Konsequenzen die Suche nach einem arclümecl:lschen Punkt der Marxschen Theorie zeitigt. Reichelt be-lS~bt sich,in Widerspruch zu seinem eigenen Wissen ueer dle barxsche "Methode, die sich durch ein wesentliches Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem auszeichnet" (Zur logischen Struktur, S. 155), und nJ.mmtml t der Suche nach einem Verfahren, das den "ein-Zlg mogllchen Einsti in die theoretische Verarbei-tung" (a.a.O., S. 1 eröffnet, unweigerlich eine er-k::,nntnlstheoretische Position ein, auf die die damalige Kantkrltlk Hegels glelchermaßen zutrifft, weil hier das Erkennen slch vorgestellt wird als "ein Instrument, die Art und Weise, wie wir uns der vlahrheit bemächtigen wollen." (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3, in: vlW 20 Frankfurt am Main 1975, S. 334) , .
63) S. XI V Reichelt, Ansätze,
64)
65)
66)
67)
68)
69 )
?~arx; Das
a.a.O. , c' 0.
a.a.O. , S.
a.a.O. , S.
a.a.O. , S.
a.a.O. , S.
Kapi tal, Bd. 1, S. 86
107
89
95 f
87
'+9
70) Marx, Theorien über den Mehrwert, Bd. 3 in: [<lEW 26.3, Berlin (Ost) 1968, S. 163 '
71) Sie~ehier~u die Aussage im Kapital, Bd. 1, S. 88: Dle.spate wlssenschaftliche Entdeckung, daß die
Arbel.tsprodukte, soweit sie Werte, bloß sachliche Ausdrucke der in ihrer Produkti on verausgabten menschlichen Arbeit sind, macht Epoche in der Entwicklungsgeschichte der Menschhei t, aber verscheucht kelneswegs den gegenständlichen Schein der gesellschaftllchen Charaktere der Arbeit. Was nur für diese besondre Produktionsform, die Warenproduktion gültig ist, daß nämlich der spezifisch gesellsch~ft-11che Charakter der voneinander unabhängigen Privatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit besteht und die Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte annimmt, erscheint, vor wie nach Jener Entdeckung, den in den Verhältnissen der Warenproduktion Befangenen ebenso endgültig, als daß
126
die wissenschaftliche Zersetzung der Luft in ihre Elemente die Luftform als eine physikalische Körperform fortbestehn läßt."
72) Vergleiche hierzu die Darlegung ',on Marx zum vlarenfetisch, a.a.O., S. 88:
"Das Gehirn der Privatproduzenten spiegelt diesen
73)
doppelten gesellschaftlichen Charakter ihrer Privatarbeiten nur wider in den Formen, welche im praktischen Verkehr, im Produktenaustausch erscheinen _ den gesellschaftlich nützlichen Charakter ihrer Privatarbeiten also in der Form, daß das Arbeitsprodukt nützlich sein muß, und zwar für andre - den gesellschaftlichen Charakter der GI eichhei t der ver-schiedenarti Arbeiten in der Form des gemeinsa-men Wertcha.r ters dieser materiell verschiednen Dinge, der Arb ei tspr odukte."
Siehe hierzu auch d:i.e folgenden Abschn:i.tte meiner Ar
bei t: II.3. Die Rekonstruktion der r·larxschen Theorie als "Pro
dukt" der Produktionsverhältnisse (Joachim Bj.-
schoff) Exkurs: Sein und Bewußtsein im wissenschaftli-chen Sozialismus
74) Marx, Das Kapi tal, Bd. 1, s. 95 PI'
75) Marx, in: Briefe über 'Das Kapi tal', S. '1
76) Marx, Theorien über den ~lehrwert, Bd. 3, s. L~45
77)
78)
79)
Diese auch von Reichel t vertretene Auffassung, erst die Dechiffrierung der Verdopplung der v/ar eröffne den Einstieg in die theoretische Verarbeitung der Ge-setze der bürgerlichen Gesellschaft (Zur I ehen Struk-tur, S. 140 f), wird unter anderem auch durc den Gang der wissenschaftlichen Arbei t von 14arx als unhal tb ar erwiesen: Narx veröffentlichte schon grundlegende Erkenntnisse über die ökonomischen Gesetze des Verhältnisses von "Lohnarbeit und Kapital" im Jahre 1849 (in: MEW 6, Berlin (Ost) 1973, s. 397 ff), wie sie sich dann auch im "Kapital" wiederfinden (in: !,IEW 23, S. 181 ff, 755 ff) - lange bevor er das Geheimnis des Dcppelcharakters der Ware und der in ihr vergegenständlichten Arbei t vollständig auf den Begriff gebracht hatte.
Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 140
Siehe hierzu die Äußerung von Engels in dem Brief an Marx vom 24. Juni 1867 (in: Briefe über 'Das Kapital',
S.138): "Die Entwicklung der Wertform ist allerdings das An-Sich der ganzen bürgerlichen Schmiere, die revolutionäre Konsequenz tritt aber noch nj.cht so hervor, und die Leute können sich an diesen abstrakten Sachen leichter vorbeidrücken und Phrasen machen."
127
80) eiche hierzu auch die Au Reichelt über den tell enwert der Vlaren- und e für di e Be-urteilung des ganzen l'fiarxschen Werks, folge "nur der Naclwoll der theoretischen Ableitung der Geld-form aus der enform als Kriterium einer aten Rez ti on der l'larxschen Theori egel ten kann." Zur 1 0-
g:Lsc Struktur, S. 139)
81) a. a. 0 ., S. 1 6
82) a.a.O., S. 1/+0
(3) Reichelt, Ansätze, S. I,XXII
(4) a. a.O .
85) a. a.O . Vergleiche hierzu die e das Problem umreißende Pas sage von Reichelt, a.a .,
IIWir haben oben darauf hingewiesen, daß die r,Tarxsche Theorie fast ausschließlich in Form programmatischer Erklärungen und Abstrakticnen vorli , denen nach seinen eigenen Worten die wirkliche teIlung zu fol hat. Eine solche Dars finden wir nur ion Kritik der politif;chen onomie, wo Marx, unter der Gestalt der dialektischen Darstellung der
en, dem Anspruc h s ein er ei en Methode ge-rec wird: In der theoretischen hzeichnung der Geldform zei er gleichsam als Einlösung der vier-~en Feuerbac e auf der Ebene der politischen Okonomie - wie aus der immanenten vJidersprüchlichkeit der Basis diese Form herauswächst, in welcher deren Vlidersprüche aufgehoben werden. Hinsichtlich der /jblei dec; bürgerlichen Rechts, der Form des olitischen taates usw. sind wir auf diese Ablei-
struktur als methodisches Vorbild verwiesen. Aus dieser Darstellungsform ist zu extrapolieren., in welcher Weise die Konstruktion der Genesis anderer Formbestimmtheiten der bürgerlichen Vlelt zu erfolgen hat. Die Beantwortung dieser methodisch-kategorialen Fragen ist identisch mit der Entfaltung eines marxistischen Totalitätsbegri.ffs, den wir als Totalität der entfremdeten Formen begreifen, unter denen sich die Menschen reproduzieren."
86) a.a.O.
87) a.a.O.
88) a.a.O.
89) Marx, Theorien über den Mehrwert, Bd. 3, in: MEVI 26.3, s. 163
90) Reichelt, Ansätze, S. XIII
91) a. a .0 ., S. XI
12S
92) a.a.O., S. LXXII
93) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 1 i+0
94) Reichelt, Ansätze, S. LXXIV
95) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 88 ff
96)
97)
98)
99)
100)
a.a.O. ,
a.a.O. ,
a.a.O. ,
S.
S.
S.
140
e8
89
Reichelt, Ansätze, S. LXXII
Obwohl Reichelt in seiner Arbeit "Zur 1 sehen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl !4arx" au die zentrale bedeutung der Analyse des Arbeitslohns hinweist (a.a.O., S. 88) findet sich bei ihm keine Nachzeichnung der von !.Iarx d~rchgeführten Untersuchung der "Irrationalität dieser Form selbst" (a.a.O., S. 89), die Aufschluß da.rüber gibt wie sich an der irrationellen Form "Preis der Arbeit"-cfäs "Verhältnios von vlesen und Erscheinung" (a.a.O.) manifestiert. Er beschränkt sich auf eine kommentierende Hiedergabe von Zitaten aus dem 'Kapital', in denen l~arx entweder in allgemeiner Form auf die Bedeutung hinweist, die der Kritik der Ideologie vom Preis der Arbeit zukommt (a.a.O., S. 88), oder ln denen er das Resultat der Analyse in der abstrakten Aussage zusammenfaßt, daß "im Ausdruck Preis oder Hert der Arbeit ... der Hertbegriff nicht nur völlig ausgelöscht, sondern in sein Gegenteil verkehrt" (a.a.O., S. 90) i.st.
101) !4arx, Das Kapital, Bd. 1, S. 557
102) a.a.O., S. 558
103) a.a.O., S. 563
104)
1 05)
106)
107)
108)
109 )
110)
Siehe hierzu a.a.O., S. 564: "Zudem zeigt die wirkliche Bewegung des Arbeitslohns Ph~nomene, die zu beweisen scheinen, daß nicht der Hert der Arbeitskraft bezahlt wird, sondern der Wert ihrer Punktion, der Arbeit selbst ., . Erstens: l'IechseI des Arb ei tsl ohns mi t wec hs elnder Länge des Ar-beitstags ... Zweitens: Der individuelle Unter-schied in den Arbeitslöhnen verschiedner Arbeiter, welche diessel'be Funktion verrichten."
a. a.O., S. 559
a.a.O. , S. 562
Reichel t, Zur logisohen Struktur, S. 139
a.a.O. , S. 140
a.a.O. ,
a.a.O. , S. 88 ff
129
111) a.a.O., S. 89
112) a.a.O., S. 1.39
113) r.larx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 80
114) Reichelt, a.a.O., S. 90
115) a.a.O., S. 140
116) Nur wenn man die Kenntnis der Bestimmtheit des Arbei.tslohns und der ihn charakterisierenden Verkeh~ung besitzt, verfügt man auch über die theoretischen iforauss zur praktischen Aufklärung des not-wen~l falsc Bewußtseins in der bürgerlichen Ge-sellsc Denn auf der Erschei.nungsform des Ar-beitslohns "beruhn alle Rechtsvorstellungen des Ar-~elters wie des talisten, alle Mystifikationen ~er kapitalistisc Produktionsweise, alle ihre Frei-neltsllluslonen, alle apologetischen Flausen der Vul§iärÖkonom"Le." (Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 562). ßntgegen der kritischen Intention von Reichelt vermag ~llerdings das Bewußtsein über das pure Faktum des yetlschlsmus getrennt von seinem spezifischen Inhalt keinen Beitrag zur praktischen Aufklärung zu leisten damit die Ivlenschen "die r4öglichkeit haben, sich, wen~ schon nlcht von dieser Form der Subsumtion unmittelbar zu emanzipieren, so doch in wissenschaftlicher \-Ieise Klarhei t über dieselbe zu verschaffen." (Reichel t Zur logischen Struktur, S. 18) ,
117) Reichelt, a.a.O., S. 77
118) a.a.O., S. 18
419) a.a.O.
120) Reichelt, Ansätze, S. XXI
121) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 81
122) jjiarx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 80
123) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18
124) a.a.O., S. 16
125) Reichelt, Ansätze, S. XL
126) Vergleiche hierzu Fußnote 1)
127) Reichelt, Ansätze, S. XL
128) a.a.O., S. Xf
129) Siehe hierzu auch .a.O., S. X: "Die 'wirkliche Darstel 'hat zu zeigen, daß es konstitutiv für die Form p losophischen Bewußtseins ist: daß der Denker über die Voraussetzungen selner subst als Philosoph im unklaren ist; daß
1 30
es zur Philosophie als einer Form 'reiner Theorie' wie r,larx sie ironisch bezeichnet, wesentlich h"Lnzugehört, daß sich der Denker über die Form losophischer Reflexion nicht (!) mehr inn dieser Form selbst verständigen kann."
Ebenso a.a.O., S. XII: "Die bürgerliche Wissenschaft, die als bürgerliche eben dadurch bestimmt ist, daß sie die (entfremdete) Form nicht (!) bewußt zu macht, st vorweg präformiert:
tand , di e
di es er auf. 1I
Totali t der entfremdeten Form, nötigt Wissenschaft selbst eine bestimmte Form
130) a.a.O., S. LXXIV
131) Vergleiche hierzu auch: Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 96:
"Das ökonomische System mit der abschließenden Unter-suchung der Konstitution des empirischen Scheins ist Ideol ekritik in abstrakter Form, insofern es erst die schen Mittel einer konkreten Kritik der bür ger 11 ehen The ori eber ei ts tell t, d:i e dann allerdings - jedoch nur im Hinblick auf die klas siche Theorie - die Form 'immanenter Kritik' annehmen kann ... [·larx knüpft als 0 kei.nes mittelbar an die Aporien der bürgerlichen orie an, sondern diese lassen sich nur vor dem Hintergrund einer Theorie entwickeln, die das Wesen des Gesamtprozesses ' ositiv' erkannt hat. Vor di.eser Folie werden die suche der Klassik, das Wesen mit Kategorien zu erfassen, die gleichsam stump sind und-'nicht dazu taugen, eben jenes zu erfas sen, dessen ei er Ausdruck sie sind, als Unter-fangen dechi ert, das notwendig i.n Aporien en-den muß. 11
Wenn es sich bei den Bestimmungen Urteilen und Schlüs-sen der bürgerlichen Theorie um orien" handelt, warum sollten diese nicht für sic erkannt und "immanent" kri tisiert werden können? v/enn man umgekehrt erst das Wesen des ökonomischen Systems positiv erfaßt haben muß, um über di.e "methodischen 1(; i ttel" oder eine "Folie" zur Kri Hk der bürgerlichen Theorien zu verfügen, wie konnte Marx dann das ökonomische System erfolgreich analysieren, wo er docb erklärter-maßen "sein ei es System in enger Auseinanderset-zung mit der assischen Theorie entwickelt" (a.a.O.)'7 In der Rezeption von Reichelt wird auf der einen Sei-te die Entst der I\jarxschen "Kritik der pol i tischen Ökonomie" in ein seI verwandelt; auf der anderen Seite wird Ideologiekritik zu einem Subsumtionsverfahren. Daß eine solche Rezeption der ;·larx'ichen Ka-Di talismuskri tik e1 ich unhal tbar i t und einen theoretischen Zirk einschließt, deutet Reichelt selbst an, allerdings nur, um zugleich diesen Ein-
1 31
wan~ mit einer erneuten Tautologie zurückzuweisen: Ohn; dle Vorarbeiten eines Smi th. und Ricardo wäre
dle ~arxsche. d~e bürgerlich-historische Beschränkung der Lrk.enntnls uberspringende Kritik der politischen.Okonomie kaum denkbar gewesen, zugleich aber lSt Sle selbst wieder vorausgesetzt, um ihre eigenen Voraussetzungen als beschränkte zu kritisieren, ein Sachverhal t, der nur dann als zirkel-haft (!) anzusehen wäre, wenn die entscheidende im weltgeschichtlichen Prozeß selbst verankerte' ~heoretische vlendung, die bewußte Betrachtung der okonomlschen Formbestimmtheit, nicht als eines der substantiellen I-Iomente der Marxschen Theorie wahrgenommen würde." (Ansätze, S. LXXIII)
132) Marx, Grundrisse, S. 22
133) Reichelt, Ansätze, S. XX
134) r4arx, Theorien über den r4ehrwert Bd. 2, in: MEW 26.2, Berlin (Ost) 1974, S. 112 ' Sehr ausführlich wird von r~arx im 2 .. Band des "Kapital" ln der kritischen Darstellung der "Theorien über fixes und zirkulierendes Kapital" (Das Kapital Bd. 2 ln: MEW 24, Berlin (Ost) 1973, S. 189 - 230)'der si~h lm Denkenbetätigende praktische Standpunkt, jede Sachemlt nutzlichen Wirkungen oder Funktionen zu identlflzlere~, ,!-ls Grund für falsche Theoriegebäude bestlmmt .. Dle Übernahme des praktischen Standpunkts des Kapltallsten - für ihn macht sich in der unterschiedlichen Umschlagsdauer von fixem und zirkulierendem Kapltal eine Schranke für die Verwertung seines Kapitals geltend - als Leitlinie ihrer theoretischen Analyse fuhrt klasslsche Politökonomen wie Smith und Ricardo zur. Bestimmung des Formunterschieds von fixem und zirkullerendem Kapital in Bezug auf deren Wirkung auf den Proflt. Ihr prinzipieller Fehler ist die Identifizierung der verschiedenen Kapitalteile mit ihrer Nützlichkeit für den Kapitalzweck, wodurch der Formunterschied innerhalb des zirkulierenden Kapitals zwischen wertschaffender Arbeitskraft und wertübertragenden R ohs tof f en, al so z wisc hen v ari abI em und k onstantem Kapital, ausgelöscht und damit die Quelle des Profits mystifiziert wird.
135) Zur Darstellung des Instrumentalismus bürgerlicher Gelstes:- und Sozialwissenschaften und ihres gesellschaftllchen Grundes siehe: Karl Held, Kommunikationsforschung - Wissenschaft oder Ideologie?, München 1973, S. 164 ff; Peter Decker, Die Methodologie kritischer Sinnsuche, Erlangen 1982, S. 61 ff
136) R . h 1 elC e t, Zum Wissenschaftsbegriff bei Karl Marx, in: I\larx und ~Iarxismus heute, Breitenbürger/Schnitzler (Hrsg.), Hamburg 1974, S. 39
~f .. ~ 132
137) Reichelt, Ansätze, S. XX
138) Die neben Reichelt wegweisenden Arbeiten zur "Rekonstruktion" des "Kapital" fas'sen sich ebenfalls in der Idee einer sehr prinzipiellen Beschränkung jegli-' cher in einer kapitalistischen Gesellschaft prakizierten Erkenntnis zusammen. Die in der Arbeit von HansJürgen Krahl - "Zur vlesenslogik der Marxschen Harenanalyse" - vorgenommene "Rekonstruktion" des "\hssensc hafts b egri ff es des hi s tori sc hen I·j ateri al ismus" endet bei folgendem Urteil:
"Die in sich ambivalente Gegenstandswelt der bürgerlichen Gesellschaft erschwert ihre adäquate Er kenntnis insofern, als sie das Problem der objektiven Struktur gegenständlicher Produkte unter zwei einander konfundierten Aspekten stell t, je nachdem sich die Produktenwelt unter ihre1 nützlichen Gebrauchswerteip;enschaften oder als Tauschwert darstellt." (Hans-Jürgen Krahl, Zur Hesenslogik der ["larxschen Warenanalyse, in: ders., KO:lstitution und Klassenkampf - Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution, Frankfurt am [\lain 1971, S. 50)
Auch Krahl begeht das IUßverständnis, die Fehler der bürgerlichen 1tlissenschaft zu einer Wirkung ihres Erkenntnisobjekts zu erklären. Der Kardinalfehler bürgerlicher Ökonomie, die beiden Seiten der Ware, Gebrauchswert und Hert, gleichermaßen zu Natureigenschaften der ~Jare zu erklären. kann nie und nimmer aus dem bloßen Faktum ihres Doppeicharakters resultieren _ dazu ist schon das Interesse des Denkers vonnöten, die kapitalistische Produktionsweise zur natürlichen und ewigen Form menschlichen \hrtschaftens zu stili sieren . Auch das Werk von Jindrich Zeleny - "Die \hssenschafts-logik bei t4arx und 'Das Kapital''' - schließt mit dem Postulat der notwendigen Relativität dec; vüssenschaftlichen Denkens. Zelenys Arbeit, in seinen eigenen Worten "ein Stück Marxinterpretation" zum Zwecke "vorläufiger Bestimmungen" über eine "neue Konzeption des Logischen und Historischen im Marxschen Werke" (Jindfich Zelent, Die Wissenschaftslogi~ bei Marx und 'Das Kapital', Frankfurt am Main 1970, S. 11 f) kommt zu folgendem Resümee:
"Zusammenfassend und verallgemeinernd könnte man die Relativierung der Denkformen, die r4arx auf der Grundlage des dialektisch-materi.alistischen [·jonismus durchführt, so charakteri.sieren, ... daß es sich um eine Relativierung der Denkformen handelt 1. in der Bedeutung historischer Vergänglichkeit; ... 4. in der Bedeutung der Zerstörung der absoluten Gültigkeit. _. 5. in der Bedeutung der Erfassung der Abhängigkeit der logischen Kategorien
133
und Formen von den sich geschichtlich entwickelnden Existenzformen der menschlichen Gesellschaft." (a.a.O., 3. 50)
Das kritische Anli marxistischer \hssenschaftler, der bürgerlichen orie ihre Ungültigkeit so radikal vorzuwerfen, daß sie deren "Unwahrhafti eit" in einer sehr prinzipiellen Determinierthej.t durc die "\'Iarengesellschaft" metaphysisch behauptet, hat' der Philosoph Alfred Sohn-Rethel so weit fortgeführt, daß er
ogar in den allgemeinen Formbestimmungen jedweden wissenschaftlichen Denkens, das sich im Abstrahieren Schließen, Urteilen USlv. betätigt, seinen speZifisch' bürgerlichen Charakter nachzuweisen bestrebt ist. Die auf dieser Ver'wechslung beruhende tun ~geheimen Identität von Warenform und (Al-lred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit. Frankfurt am Main 1970, 3. 12) gibt Sohn-Rethel darüber hinaus als das innere Wesen der Naturwissenschaft aus: "Die reine Mathematik ist eine auf die Tauschabstraktion und ihre RefleXion gegründete freie Kreierung." (a.a.O., S. 102) Die Naturwissenschaften, die mit ihrer erfol eichen Anwendung Zeugnis davon abI , daß ihre orien die Objektivität ihres G erkannt haben müssen, stellen 30hn-Bethel zu eine mit der "Tauschab-s tr ak ti on" vers c hwin d en de dar. Daß sowohl natür-iche als auch gesellschaftliche G tände
tativ bestimmt sind, fol ich die sensehaft von der reinen antität sehr wohl einen ob-jektiven Gegenstand hat, n ert Sohn-Rethel. Ihm gilt die vIissenschaft von Gesetzmäßi eiten der reinen Quantität als bloßes Hirngespinst Warenge-sellschaft - ebenso relativ und vergängU.ch wie diese.
Das Anli von Roichelt, Krahl, Zeleny und Sohn-Hethel, e Notwendi eit und Berechti sb.schen Gese11sc theorie aus dem s der "Erkenntnisrestriktion" und "gesellschaftlichen Prä-
ormierung" bürgerlicher Theoriegebäude zu begründen, endet so mit einem paradoxen Hesultat: in der erkenntnistheoretischen Idee der notwendigen Helativität von Theorie treffen sie sich mit der von ihnen kritisierten bUrgerlichen Wissenschaft.
139) Heichelt, Ansätze, S. XX 140)
141)
.a.O .. 3. XI I l'
. a . 0 ., 3. XI V 1~2) !1eichelt, Zum 'Ilissenschaftsbegriff be:i Karl arx. S. 38
143) Heichelt et. ., Editorial, S. 9 Dem von Reichelt mitverfaßten ;~ditorial der 101'.1/197 11
eier Schriftenreihe "Gesellschaft" i t zu entnehmen daß es sich bei der itierten oblemstellunß der
konstrukti on der r~arxschen Theori e nioht um eine isolierte Position handelt, sondern um eine für di neue Besohäftigung mi t dem !4arxschen Werk repräsentative und maßgebliche theoretische Richtung.
144) Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 577
145) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 75
146) a.a.O., S. 18
147) a.a.O., S. 1~O
148) a.a.O., S. 225 Al sIll us trati on für di e b ehaup tete VerVian dl ung der im "Kapital" enthaltenen saohlichen Urteile über die existierenden ökonomischen Gegenstände j.n "reine Begriffe", denen zunächst einmal kein Wirk~ichkei tsgehalt zukomme, sei die Naohzeichnung der lilarxschen Geldtheorie duroh Reichelt zitiert:
"Die I'larxsche Geldtheorie endet mit er Entwicklung einer Form, die in der Darstellung der ideellen und wirklichen Verdopplung in der Werttheorie gleichsam im Medium des reinen Begriffs entwickelt wurde. Sobald wir zur Konkretlslerung übergingen, und die Lehre von de~ Preis form als Pendant der zuvor entwiokelten 1.C1eellen Verdopplung erkannten, wurden wir durch diese ~orm die mit der Entwicklung des Geldnamens abscnlle mit der oxistierenden ichen Gesellsc konfrontiert." (Reichelt, logischen Struktur, S. 225 f)
Die von tclarx als Elementarform des ellsohaftlichen Reichtums und einfachstes ökonomisc Konkretum be-zeiclmete v/are, die Bestimmung ihrer zvlei Faktoren Gebrauchswert und Vlert und die Darstellung der Er.soheinungsform des Werts als \1ertverhältnis von \vare und Geld interpretiert Reiohelt al "gleichsam im !.\edium des reinen Begriffs entwickelt." Das Urtei von r.larx. der Wert der v/are muß als Tauschwert er--scheinen - ,
"Erinnern wir uns jedoch, daß die Waren nur H~r,c-gegenständlichkeit besitzen, sofern sie Ausdr,:,c~e derselben gesellschaftlichen Einheit, menscnllcner Arbeit, sind, daß ihre I'Jertgegenständliohkeit. also rein gesellschaftlich ist, so versteht 81 h auch von selbst, daß sie nur im ellsohaftli,chen Verhältnis von Vlare zu Hare ersc en kann. 'inr gingen in der Tat vom Tauschwert oder Austausch-, verhältnis der Waren aus, um ihrem o.ar1n verstecr:ten vlert auf die Spur zu kommen. viiI' müssen Jetzt zu dieser Erscheinungsform des vlert5 zurUckkehren." (Das Kapital, Bd. 1, S. 62) - , ..
rezipiert Reichelt nicht als die ideell I' OOUZlerte Konsequenz eines existenten ökonomischen arnrnen-
135
. Dieser besteht darin, daß \oIaren nur produziert wer en um ihres lverts, i.hrer Gleichs und Aus-tauschbarkei.t mit anderen l'laren willen. der \oIert eln.reln gesellschaftliches Verhältni der Arbeiten zU81nander ist, dann ist mit der Produkhon der Ware allein noch gar nicht entschieden, ob und in welchem ff;aße die verausgabte Arbei t wertbildend war. Erst in Gem Austausch mit anderer Vlare oder - entwickelt -mlt Geld bewährt sich die oduzierte Ware als Vlert und der "in der Ware Ite innere G atz v~n Gebrau<;hswert und Vlert wird also dar tel t durch e1nen außeren Gegensatz, d. h. durc das Verhältnis zwele~ Waren, worin die eine Ware, deren \Vert ausgedrucke werden soll, unmittelbar nur als Gebrauchs-wert, d:le andre \Vare hin , worin Vlert ausgedrückt ~lrd~ unmlttelb~r nur als chwert It. Die einfache wertform elner ~ar ist also die ein he Erschei-nungsform des in ihr enthaltenen G atzes von Ge-brauchswert und lrlert." (a.a.O., S. f). Den von
arx in der "vle~ttheorie" analysierten und dargestell ~en eXlstenten Zwanrr,szusammenhanG der kapitalisti.schen Froduktlonswelse, Wle er als NotwendiGkeit der VerdopplunG der lVare in Ware und Geld "erscheint", rezipiert Reichelt als bloß ideelle NotwendiGkeit einer zunächs reln gedanKllchen Bestimmung von v/are und Gel d. Dabei beruft sich diese Rezephon auf Formulierungen von f.larx, die auf den ersten Blick idealistisch erscheinen mögen. Ungeachtet des einleitenden Hinweises von ;1;arx, er "kokettierte sogar hier und da im Kapi.talüber die Vlerttheori.e mit der ihm ) ei
tumlJ.chen Ausdrucksweise" (Das Kanital orwort, S. 27), wi.rd di.e an manchen"Stell.en zu kon
~tatierende Verwendung einer hegelschen-methodischen I\usdrucksweise zur Darstellung eines realen ökonomischen Zusammenhangs zum Beleg der Behauptung genommen, dle HegeIsche Ausdrucksweise sei "integraler Bestandtei:l der fljarxschen Kritik" (Reichelt, Zur logischen Sl:ruktur, S. 15) und "die r~arxsche Darstellung (habe) wei t mehr mi t Hegels abs olutem Begri ff gemeinsam ... , als eine \Vissenschaft wahrhaben möchte die sich handfest materialishsch gebärdet." (0. a 0' S 77) , ... , .
Bei r·larx sei ein ökonomischer Sachverhalt gleichsam als bloß ideeller, "reiner Begriff" entwickelt der für sich noch gar nicht einen elementaren GeGe~stand der existenten bürgerlichen Gesellschaft begreift, sondern erst auf dem Vlege der "Konkretisierung" zur Konfrontation mit der existenten bürgerlichen Gesellschaft führe. ~lenn es sich bei der Marxschen Analyse des tverts allerdings um einen "reinen Begriff" oder ein bloß gedankliches Verhältnis handelt - so ist gegen dlese Interpretation der Marxschen Vlert- und Geld-
136
theorie einzuwenden -, wie soll daraus dle Ableitung des Tauschwerts möglich sein, dem sehr materiellen und handgreiflichen \Vertverhältnis der v/are in ihrer Gleichsetzung mit Geld? Neben diesem logischen Einwand ist noch auf das Marxsche Selbstver;3tändnis hinzuweisen, wovon der Gang der Darstellung im "Kapital" seinen Ausgang ni.mmt:
"All.es das sind 'Faseleien'. De prime abord gehe eh nicht aus von' Begriffen', also auch nicht vom 'Wertbegriff' , und habe diesen daher auch in kei.ner \\leise 'einzuteilen'. Vlovon ich ausgehe, ist die einfachste gesellschaftliche Form, worin sich das Arbeitsprodukt in der jetzigen Gesellschaft darstell t, und das ist die 'Hare'. Sie analysiere ich ... " (r4arx, Randglossen zu Adolf Vlagners 'Lehrbuch der politischen Ökonomie', S. 368 f)
Auch auf dem schon mehrfach erwähnten 1967 veranstalteten Kolloquium zur "Kritik der Politischen Öko-nomie heute" wurde über das Verhältnis von ff und Realität im tal" diskutiert. Oskar zum Beispiel egte den tbegriff in zwei AbteilunGen auseinander, in erstens ein von der Realität getrenntes abstraktes Urteil, das dann zwei tens auf die Realität erst noch bezogen werden muß:
"Begriff und Realität. viie sieht es damit aus? ... \Vas heißt das nun, wenn wir immer sagen, daß dies Begriffe sich auf selber begrifflich vermittelte Objekte beziehen? 'Arbeit sans phrase', wie f.1arx saGt, heißt Abstraktion von allen einzelnen Be-stimmungen der von Arbeitskraft. Hert selber ist als \\Iert Erfindung der Ökonomen. Vlie ist das aber, wenn wir von 'Arbeit sans phrase' nicht mehr im ~larxschen Sinne sprechen können, welche erkenntnistheoretischen FolGen hat das für die Bestimmung dessen, was 'Begriff' bei Warx ist? Ich möchte diese Fra-ge hier nur stellen, weil mir hier wiederum ein schlechter Objektivismus hineinzuspielen scheint, der darin besteht, daß die erkenntnistheoretische Reflexion von 14arx nicht so weit geht, auf die Bedingung der f,löglichkeit des Begriffs oder des Begreifens des Begriffs noch seiner Beziehung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit zu reflektieren ... Ich kann diese Fragen nicht lösen, halte sie aber für sehr wichtiG." (Koreferat von Oskar Negt zu Alfred Schmidt, Zum Erkenntnisbegriff der Kritik der politischen Ökonomie, in: Kritik der politischen Ökonomie heute, S. 46 f)
Oskar NeGt, der die Vorstellung der "r,löglichkeit", daß "Arbeit sans phrase" einmal nicht mehr existieren könnte, mobilisiert, um die im VlertbeGriff geleistete Erkenntnis der Realität abstrakter Arbeit zu problematisieren, gibt zugleich zu erkennen, wozu
137
solches Verfahren taugt: nicht dazu, Fragen zu "lösen", sondern sie zu "stellen". \hssenschaft realisiert sich Negts Auffassung zufolge nicht darin, Unklarheit durch Wissen - und damit Gewißheit - zu ersetzen, sondern Ungewißheit produktiv werden zu lassen - durch die prinzipiell unabschließbare Problematisierung der Bedingungen der 14öglichkeit des Begriffs und seiner Beziehung zur Realität .' Im Unterschied zu Oskar Negt vertrat Alfred Schmidt die Position, daß Begriff und Realität bei Marx übereinstimmen:
'''Begriffsrealismus' ist bei ihm nichts, was einer am Schreibtisch ersinnt, sondern in ihm reflektieren sich die verselbständigten Verhältnisse der Menschen." (Schmidt Alfred, a.a.O., S. 52)
Auf ein Dementi, die Marxschen Erklärungen seien nicht "am Schreibtisch ers onnen", "s ondern" Ausdruck der "verselbständigten Verhäl tnisse", verfäll t man nur dann, wenn man ebenfalls "Begriffen" gegenüber zunächst den Zweifel hegt, ob sie nicht bloße, von der Realität getrennte, in der Studierstube eines Intellektuellen ausgesponnene subjektive Behauptung seien, um sodann die inhaltsleere Skepsis durch die grundlose Gewißheit zu ersetzen, im Unterschied zu "am Schreibtisch ersonnenen" gewöhnlichen Begriffserfindungen reflektiere "sich" in den Marxschen Begriffen die Realität selbst. r·1arx selbst hielt die erkenntnistheoretische Problematisierung des Verhältnisses von Theorie und Empi rie, Begriff und Realität für einen Widerspruch zur Wissenschaft:
"Das Geschwatz über die Notwendigkeit, den Wertbegriff zu beweisen, beruht nur auf vollständigster Unwissenheit, sowohl über die Sache, um die es sich handelt, als die ~lethode der Wissenschaft." (r~arx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 184 f)
149) Reichelt, Ansätze, S. IX Zur Erörterung des hier von Reichelt angesprochenen Verhältnisses von Darstellung des "allgemeinen Begriffs des Kapitals" und Entwicklung der "wirklichen Konkurrenz" siehe Abschnitt 111 meiner Dissertation, "Realanalyse, Krisentheorie und Krisenprognose" .
150) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18
151) Reichelt, Ansätze, S. LXXII
152) Reichelt, Editorial, S. 9
153) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18
154) Claus Offe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates Aufsätze zur politischen Soziologie, Frank-furt am Main 1972
155) Offe, Spätkapitalismus - Versuch einer mung, in: ders., Strukturprobleme
ffsbestimisti-
156)
157)
158)
159)
160)
161)
162)
163)
164)
165 )
166)
sehen Staates, S. 8
a.a.O. , S. 7
a.a.O. , S. 7 f
a.a.O. , S. 9 ff
a .a.O., S. 21 ff
a.a.O. , S. 12
a.a.O.
a.a.O., S. 9 f
Marx, Das Kapital, Bd. 3, S. 251 ff
a.a.O., S. 259 f: . "Die periodische Entwertung des vorhandnen.Kapltals, die ein der kapitalistischen Produktlonswelse lmmanentes rHttel ist, den Fall der Profitrate aufzuhalten und die Akkumulation von Kapitalwert durch Bildung von Neukapital zu beschleunigen,. stört die gegeb'1en Verhältnisse, worin sich der ZIrkulatIonsund Reproduktionsprozeß des Kapltals vollZIeht, und ist daher begleitet von plötzlichen Stockungen und Krisen des Produktionsprozesses ."
a.a.O., S. 261 . "Diese Plethora des Kapitals erwächst aus denseIDen Umständen, die eine relative Überbevölkerung h~rvorrufen, und ist daher eine diese letztre erganzende Erscheinung, obgleich beide auf entgegengesetzten Polen stehn. unbeschäftigtes Kapital auf der einen und unbeschäftigte Arbeiterbevtilkerung auf der andren Sei te."
a.a.O., S. 268 "Es wird nicht zuviel Reichtum produziert. Aber ':8 wird periodisch zuviel Reichtum in seinen ka~ltallstischen, gegensätzlichen Formen prodUZIert.
167) a.a.O., S. 259
168) Offe, Spätkapitalismus, S. 2 Lj
.1 69) a. a .0 ., S. 1 7
17 0) Vergleiche in diesem Zusammenhang die in der Soziologie gegebenen Begriffsdefinitionen eines sozialen Sy sterns:
"Das vorrangige Integrationsproblem eines Handlungssystems ist die Koordination seiner Teileinheiten ... Daher schreiben wir dem sozialen stern haupt-sächlich Integrationsfunktj.on zu." ( . cot,tParsons, Das System moderner Gesellschaf't;en, ,,1unche'1 1972, S. 12)
139
"Als soziale Systeme müssen Gesellschaften vor allem zwei Probleme lösen: das Problem der Ordnung und das Problem der Stabilität." (Horst Reimann, Basale Soziologie, München 1975, S. 159)
Ins Leere ginge die Nachfrage, wer dem "sozialen System" denn eigentlich diese ihm vorgeblich vorausgesetzten und zugrundeliegenden "Probleme" stellt. Sie sind deduziert aus einern "Rückschluß" von dem, was die Systemtheorie für das wesentliche Merkmal von einern System erachtet, nämlich ein System zu sein, auf ein vorgegebenes grundsätzliches "Problem", als dessen "Lösung" besagtes Merkmal zu fassen sei. Ein wirklicher Rückschluß ist diese Folgerung nicht. Sie expliziert nur den Entschluß der Systemtheorie, die Existenz des Systems tautologisch als dessen Leistung aufzufassen. Die Leistung des sozialen Systems hat dabei die vollkommen inhaltsleere Bestimmung, die eigene Selbsterhaltung als System zu bewerkstelligen. Die im folgenden ausgeführten näheren Bestimmungen der Leistung sind Scheinkonkretionen . Ohne auch nur im geringsten an Inhalt zu gewinnen, wird die leere Vorstellung der Selbsterhaltung bei Reimann in zwei Bestimmungen auseinandergelegt: die Leistung des Sy sterns, es selbst zu sein, also das "Problem" der "Ordnung" zu lösen; und die Leistung des Systems, es selbst zu bleiben, also das "Problem" der "Stabili tät" zu bewäl tigen. Die "Anwendung" dieser Begriffsdefinitionen des "sozialen Systems" auf wirkliche Gegenstände wie die kapitalistische Produktionsweise besteht dann in dem tautologischen Bezug aller wirklichen 110mente der Sache auf die "Lösung" eines vorgestellten grundsätzlichen "Bestandsproblems" des "sozialen Systems". Nicht die Kenntnisnahme der Sache ist das Resultat ihrer systemtheoretischen "Beleuchtung". Vielmehr is t die Sache bloßes Material für die zirkuläre Reproduktion der vorweg schon definierten Vorstellung über si e .
171) Bei Marx findet sich eine Kritik des "Geheimnisses der spekulativen Konstruktion", die auch auf das Abstraktionsverfahren der modernen systemtheoretischen Methode zutrifft: Die heilige Familie, in: MEW 2, Berlin (Ost) 1972, S. 59 ff
172) Marx, Das Kapital, Bd. 3, S. 260
173) a.a.O., S. 265: "Die eingetretne Stockung der Produktion hätte eine spätere Erweiterung der Produktion - innerhalb der kapitalistischen Grenzen - vorbereitet. Und so würde der Zirkel von neuem durchlaufen. Ein Teil des Kapitals, das durch Funktionsstokkung entwertet war, würde seinen alten Wert wie-
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140
dergewinnen . Im übrigen hürde mi t erwei tert~n Produktionsbedingungen, mlt elnem erwelterten Harkt und mit erhöhter Produktivkraft derselbe fe~lerhafte Kreislauf wieder durchgemacht werden.
174) a.a.O., S. 260
175) a.a.O.
176) Offe, Spätkapitalismus, S. 14
177)
178)
179)
180)
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183)
184)
185 )
In diesem Zusammenhang muß auf die.Arbei:en von Jürgen Habermas hingewiesen werden, dle Slcn ebenfal~s einer "Übersetzung" der Marxschen Kapl tallsmuskrl vlk in die "Sprechweise" systemtheo~,etischer Konstruktlonen annehmen. In seiner Arbei t Zur Rekonstruktlon des Historischen Materialismus" interpret].er~ Habermas die Kapitalakkumulation als ein widerspruchllches "Mus tel' der Kompl exi tä ts s tei gerung ... ln dem Slnne, daß das ökonomische System auf jeder neuen Stufe _~er Problemlösung neue und vermehrte Probleme erzeugt (Jürgen Habermas, Was heißt heute Krlse? - Legltlmationsprobleme im Spätkapitalisn;us, ln:. ders., ,Zur Re-
k
konstrukti on des Historischen ~iaterlallsmus, Frankfur c
am Main 1967, S. 305), um dann ausgehe~d ;on onem "M d 11 der wichtigsten strukturellen Merl,male s:[,'atka~i ~alistischer Gesellschaften" (Ci·a.O., S. 306) nicht den Spätkapitalismus zu erklaren, sondern dle Bedingungen der Möglichkeit einer erfolgrelchen Beantwortung seiner Problemstellung zu konstruleren, . "ob auch noch der Spätkapitalismus demselben oder elnem ähnlich selbstdestruktiven Entwlcklungsmuster fol t wie der klassische, der Konkurrenzkapl ~allsmus. Ode~ hat sich das Organisationsprlnzlp des Spatkapitalismus so geändert, daß der Akkumulat:Lonspro~~ß keine bestandsgefährdenden Probleme mehr erzeugt.
(a.a.O.). "O"k . h Be-Vgl. ebenfalls die Ausführungen zur o~omls~ en_ gründung der \'ielt als Krisenzusamrnenhan g " ln. Ha bermas, Theori e und Praxis, Frankfurt am !.~aln 1971, S. 253 1')
Offe, Spätkapitalismus , S. 11
a.a.O. , S. 17
a.a.O. , S. 18
a.a.O. , S. 21
a.a.O.
a.a.O. , S. 23
a.a.O.
a.a.O. , S. 9
186) Offe, Klassenherrschaft und politisches System. Zur Selektivität politischer Institutionen, in: ders., Strukturprobleme des kapi talistischen Staates, S. 90
1 87) a. a. 0 ., S. 24
188) a.a.O., S. 17
189) Das methodische Interesse an den Bedingungen und Voraussetzungen einer erfolgreichen marxistis-chen Staatstheorie charakterisiert ebenfalls Offes Arbeiten über den "Begriff" des "Klassencharakters des Staates". In seinem Aufsatz "Klassenherrschaft und Politisches System. Zur Selektivität politischer Institutionen" (in: Strukturprobl eme des kapi talistischen Staates, S. 65 fn untersucht Offe "einige analytische und methodische Probleme, die mit dem Versuch einer marxistischen Staatstheorie verbunden sind" (a.a.O. S. 65). Auch hier analysiert Offe nicht den bürgerlic Staat, sondern postuliert Richtlinien, was zu tun wäre, wenn man den Staat "als kapitalistischen" erfolgreich be-gr ei f en wi 11 :
"Ausgangspunkt ist das Problem des Klassencharakters des Staates, oder genauer: die Auflösung der zumindest scheinbaren Inkonsistenz, dennoch als kapiobwohl n:i.cht selbst Kapitalist, dennoch als kapitalistischer Staat - und nicht etwa nur als 'Staat in der kapitalistischen Gesellschaft' aufgefaßt werden muß." (a.a.O., S. 65 f)
Das Resultat des Aufsatzes: Wenn man über die von Offe entworfene Theorie der "Selektivität politischer Institutionen" verfügt, dann besitzt man das Instrumentarium zur "Auflösung der zumindest scheinbaren Inkonsistenz" und vermag den Staat "als kapitalistischen" zu begreifen, obwohl er kein Kapitalist ist. Dasselbe meta-methodische Forschungsinteresse liegt dem 1976 erschienenen Aufsatz "Thesen zur Begründung des Konzepts des kapitalistischen Staates und zur materiali stischen Politikforschung" (in: Altvater/Basso/Mattick/Offe u. a., Rahmenbedingungen und Schranken staatlichen HandeIns - Zehn Thesen, Frankfurt am r·lain 1976) zugrunde.
190) Offe, Spätkapitalismus, S. 18
191) a.a.O., S. 25
192) Siehe dazu die in meiner Arbeit dargestellten Krisen-theorien. Vergleiche dazu ebenso die Krisentheorien von Joachim Hirsch (Elemente einer materialistischen Staatstheorie, in: Braunmühl/Funken/Cogoy/Hirsch, Probleme einer materialistischen Staatstheorie, Ffm 1973, S. 217 ff) und Elmar Al tvater (Zur Kon junkturl der BRD An-
1970, in: Sozialistische Poli Nr. 5, 1970, S. ff)
142
1 93) 0 f f e, a. 21 .0 ., S. 25
191+) Paul Sweezy, Die Zukunft des talismus und ande-re Aufsätze zur politischen onomie, Frankfurt 21m Main 1970, S. 7 Sweezy konstatiert in seiner Studie über die "Zukunft des Kapitalismus", daß "der Kapi tali.smus ... freilich viele Mutmaßungen über seine Zukunft überlebt (hat) und ... auch weiterhin viele überleben (wird)." (a.a.O.) Dies ist ihm jedoch nicht Anlaß, die Praktizierung des Marxismus als Kalkulation der "Zu kunftsaussichten" (a.a.O., S. 22) des kapitalistischen Systems ad aota zu 1 egen, vielmehr Bewoggrund, sich dem "analytischen Problem der Diagnosti.zierung seiner Zukunft" (a.a.O., S. 7) zuzuwenden:
"Mit dieser Studie über die Zukunft des Kapitalismus habe ich nicht so sehr bestimmte Aussagen über sein künftiges Schicksal im Sinn, als vielmehr die Ermittlung der Methode, die für die Analyse der Zukunft am geej.gnetsten ist. Für den, der auch nur halbwegs vertraut ist mit dem, was ich geschrieben habe, ist es kein Geheimnis, daß ich dem Kapitalismus eine graue Zukunft prophezeie." (a.a.O.)
195) Offe, a.a.O., S. 12
196) Projekt Klassenanalyse, Zur Taktik der proletarischen Partei - Marxsche Klassenanalyse Frankreichs 1848 1871, Berlin (West) 1972, S. 10
197) Titel der Reihe, unter der im Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung (Westberlin) die Arbeiten zum 'Kapital' erschienen.
198) Joachim Bischoff. Gesellschaftliche Arbeit als Systembegriff - Über wissenschaftliche Dialektik, Ber-1in (West) 1973, S. 22
199)
200)
201)
202)
a.a.O.
a.a.O .,
a.a.O. ,
a.a.O. ,
S. 139
S. 135
S. 27
203) r~arx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, in: [vlEW 13, S. 9
204) Bischoff, 21.21.0., S. 49
205) Zur Auseinandersetzung mit dem Marxschen Diktum selbst siehe den folgenden Exkurs der vorliegenden Arbeit: Sein und Bewußtsein im wissenschaftlichen Sozialismus
206) Marx, Das Kapi tal, Bd. 1, S. 393
207) a. 21.0.
208) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 31 f
209) a.a.O. , S 31
210) a.a.O , S J2 211) Marx Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort,
in: 13, S. 9
212) In diesem Zusammen ist auf die Position von Al-fred Schmidt innerhai der Diskussion um die adäqua-te Rezeption der Marxschen "Kritik der politischen Ökonomie" zu verweisen. Er ist einer der wenigen, die sich gegen eine Interpretation des Marxschen Diktums vom gesellschaftlichen Sein, das das Bewußtsein bestimmt, im Sinne einer epistemologischen Notwendigkeit wenden. Alfred Schmidt verlangt zurecht, man solle das Marxsche Diktum nicht als erkenntnistheoretisches Postulat, sondern als Kritik der bürgerlichen Gesell-ehaft lesen, die die Menschen zwingt. sich den von hnen produzierten ökonomischen Verhältnissen wie Naurgesetzen zu unterwerfen:
"Die 'Objektivität' dieser Gesetze wird ja bei r~arx gerade kritisiert. Solange si.e nämlich ... unabhängig von unserem Bewußtsein sich durchsetzen, sind wir ziemlich schlecht dran. Immerhin hat Marx sehr deutlich gesagt, daß er unter Kommunismus einen Zustand versteht, in dem es keine Verhältnis-se und r'!ächte gibt, die von den Menschen unabhängig existieren. Man darf nicht zur wissenschaftlichen Norm erheben, sozusagen zur Tugend eines erkenntnistheoretischen Realismus machen, was die Not des von r,larx kritisierten Zustands war. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Es hat gar keinen Sinn, in der Theorie noch einmal zu fetischisieren, was in der Wirklichkeit schon fetischisiert ist. Je 'objektiver' diese Gesetze sind, desto schlimmer für uns. Engels hat früh bereits den klassischen Ökonomen, die sich viel zugute hielten auf die 'Naturgesetze' der kapitalistischen Produktion, entgegnet: Worauf beruhen diese Naturgesetze? Auf der Bewußtl osigkei t der Beteiligten - und das scheint mir überhaupt der Sinn des Sozialismus bei Marx zu sein, daß man nicht bei der bloßen Konstatierung stehenbleibt (man geniert sich fast, das zu wiederholen), daß das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt - endlich soll das Bewußtsein übers Sein gebieten. Es ist doch der Zweck der Ökonomie, wie sie Marx vorgeschwebt hat. daß die Menschen bevmßt ihre Verhäl tnisse gestal ten und durch keine zweite Natur gefesselt werden, die viel gewalttätiger ist als die erste ... " (Alfred Schmidt, Diskussionsbeitrag, in: Kritik der politischen Ökonomie heute - 100 Jahre 'Kapital', S. 56 f)
213) Vergleiche hierzu die Ausführungen zum Fetischeharaktel' der Ware und zum Arbeitslohn im 11. Abschnitt meiner Arbeit: "11.1. Die llekonstruktion der r,larxsehen Theorie als "logische Struktur des Kapitalbegriffs " (Helmut Reichel t)"
214) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 77
215 )
216)
217)
218)
a.a.O. ,
a.a.O. ,
a.a.O. ,
a.a.O. ,
S.
S.
S.
S.
29
77
76
39
219) In Abgrenzung zu dem gemeinen Iilenschenverstand, der das praktische Handeln der Individuen begleitet und den ökonomischen Verhältnissen verhaftet ist, betont Marx die Notwendigkeit des erkennenden Bewußtseins, das seiner Natur nach negativ zum gewohnten Denken steht:
"Di e Vermi ttl ungen der irrati onell en Formen, worin best:Lmmte ökonomische Verhältnisse erscheinen und sich prakt:Lsch zusammenfassen, gehn die prak-tischen Träger dieser Verhältnisse in ihrem Handel und Wandel jedoch nichts an; und da sie gewohnt sind, sich darin zu bewegen, findet ihr Verstand nicht im geringsten Anstoß daran. Ein voll kommner 1tliderspruch hat durchaus nichts Geheimnisvolles für sie. In den dem innren Zusammenhang entfremdeten und. für sich isoliert genommen, abgeschmackten Erscheinungsformen fühlen sie sich ebenfalls so zu Haus wi.e ein Fisch im v/assel'. Es gilt hier, was Hegel mit Bezug auf gewisse mathematische Formeln sagt, daß, was der gemeine r~enschenverstand irrationell Endet, das llationelle, und sein Rat:Lonelles die Irrationali tät selbst ist."(Das KapitaJ, Bd. 3, S. 787)
220) Gegenüber der in der bürgerlichen Gesellschaft weit verbreiteten Wertschätzung des gesunden Menschenverstandes, die mit der Skepsis gegenüber einer vIissensehaft einhergeht, die auf Objektivität drängt, weist Marx zum einen auf die Selbstverständlichkeit hin, daß "alle \hssenschaft überflüssig wäre, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenEelen." (Das Kapital, Bd. 3, S. 825); zum anderen betont er die Bedeutung wirklicher Wissenschaft für die praktische Veränderung der bürgerliehen Ver häl tni s se:
"Und dann glaubt der Vulgäre eine große Entdeckung zu machen, wenn er der Enthüllung des inneren Zusammenhangs gegenüber darauf pocht, daß die Sachen in der Erscheinung anders aussehn . In der Tat, er pocht drauf, daß er an dem Schein festhält und
i~~ als letztes nimmt. Wozu dann überhaupt eine Wissenschaft? Aber die Sache hat hier noch einen andren Hintergrund. Mit der Einsicht in den Zusammenhang stürzt, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretische Glauben in die permamente Notwendigkeit der bestehenden Zustände. Es ist hier also absolutes Interesse der. herrscbenden Klassen, die gedankenlose Konfusion zu verewigen." (Briefe über 'Das Kapital', S. 185 f)
221) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 31
222) a.a.O., S. 53; Siehe hierzu:
223)
224)
225)
226)
227)
228)
"Für dieses, das gewöhnliche und bisherige wissenschaftliche Bewußtsein überbietende Bewußtsein, gilt derselbe Begründungszusammenhang, der für das Be\\'Ußtsein als solches, also jede Anschauungs- und Vorstellungsweise, entwickelt worden war: die Genesis dieser Bewußtseinsform, seine bestimmte Form, ist aus dem spezifisch-historischen Charakter der gesellschaftlichen Arbeit abzuleiten ... Es ist daher eine zentrale Bestimmung des wissenschaftlichen Sozialismus, daß an die Stelle irgendwelcher in der Wissenschaftswissenschaft üblichen erkenntnistheoreitschen Begründungen die Ableitung der eigenen Genesis aus dem sozialen Lebensprozeß tritt. Jedwede Interpretation der von Marx und Engels begründeten materialistischen Geschichtsauffassung, in der der wissenschaftliche Sozi.alismus nicht allen anderen Bewußtseinsformen gleichgestellt und nicht als bestimmte Bewußtseinsform aus der bürgerlichen Form des sozialen Lebensprozesses abgeleitet wird, bleibt in den bürgerlichen Bewußtseinsformen befangen, vermag also die metaphysische Denkweise nicht zu überwinden." (a.a.O.)
a .a.O., S. 38
a .a.O., S. 77 f
a.a.O. , S. 53
a .a.O., S. H5
a .a.O.
a .a.O., S. 48
229) Reichelt, Ansätze, S. LXXIV
230) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 53
231) Reichelt, Ansätze, S. LXXII
232) Bischoff , Gesellschaftliche Arbeit, S. 139
233) a.a.O., S. 78 234) a.a.O .. S. 53
146
235) a.a.O., S. 32
236) a. a .0 ., S. 290
237) l1arx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 130
238) Auf die Verweise von Bischoff auf das Selbstverständnis von Marx und besonders von Engels, die zum Teil vor allem in den frühen Schriften den wissenschaftlieben Sozialismus als ideellen "Ausdruck" und "Reflex" der entwickelten kapitalistischen Bedj.ngungen vorstellten, wird eingegangen in dem folgenden Exkurs: Sej.n und Bewußtsein im wissenschaftlichen Sozialismus.
239) Die von Bischoff vorgegebene praktisch politische Programmatik entspricht der relativierenden Betrachtung der theoretischen Bedeutung der /llarxschen Theori e:
"So sehr es nun richtig ist, daß die Intelligenz, will sie sich der proletarischen Bewegung anschließen, sich erst einmal die proletarische Anschauungsweise zu eigen machen muß, um ihr überhaupt Bildungselemente zuführen zu können, so falsch ist es, die für Intellektuelle kennzeichnende Form der Einsicht in das Kapi talverhäl tnis - das Studium der r~arxschen Theorie - zu verabsolutieren, j.ndem unterstellt wird, daß Einsicht in die Bewegungsgesetze des Kapitalismus nur mit Hilfe des Denkens erlangt werden kann." (Bei träge zum wissenschaftlichen Sozialismus Nr. 1, 1976, S. 1 1;7)
240) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 27
241) a.a.O., S. 29
242) Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, in: /.jEI-I 3, S. 26
243)
244)
245)
a.a.O. ,
a.a.O. ,
a.a.O. ,
S. 27
S. 17
S. 31
246) Die im folgenden geäußerte Kri tik an der von I\larx und Engels verfaßten "Deutschen Ideologie" bezieht sich nur auf das 1. Kapitel "Feuerbach - Gegensatz von materialistischer und idealistischer Anschc.uung", und auch hier nur auf die wenigen Passagen, j.n denen die Verfasser die allgemeinen Grundsätze der materialisti sehen Betrachtungsweise "positiv" vorstellen. Im Unterschied zu diesen methodischen Passagen wird in der darauf folgenden Kritik an den Repräsentanten der neuen deutschen Philosophie, Feuerbach, Bauer und Stirner, streng und treffend argumentiert.
247) a.a.O., S. 26
248) a.a.O. 249) a.a.O., S. 46
147
250) a.a.O., S. 26 f
251) a.a.O., S. 40
252) a. a.O .
253) r.rarx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, in: MEW 13, S. 10
254) 1<1arx, Das Kapi tal, Bd. 1, S. 93
255) a.a.O., S. 562 256) Engels; Dialektik der Natur, in: MEW 20, Berlin (Ost)
1972, S. 330 257) Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Uto
pie zur Wissenschaft, in: MEW 19, Berlin (Ost) 1973, S. 228
258) Engels, Anti-Dühring - Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, in: MEW 20, Berlin (Ost) 1972, S. 250
259) a.a.O.
260) Engels hat damit die von Marx im "Kapital" geleistete Erklärung des bestimmten Verhältnisses von materieller Basis und ideologischem Überbau in der bürgerlichen Gesellschaft ersetzt durch die Frage nach dem "primus agens" (Engels, Brief an Conrad Schmidt vom 5. August 1890, in: MEW 37, Berlin (Ost) 1974, S. 436) im Verhäl tnis von Sein und Bewußtsein schI echthin . Um diese Frage entscheiden zu können, müßte man sich allerdingsden Inhalt beider Seiten für sich betrachten so daß an ihm sich klärt, welcher Pol Grund und wel~her Folge ist. Weil Engels diese Klärung nicht leistet, landet er bei der ebenso inhaltsleeren wie widersprüchlichen Charakterisierung des Verhältnisses von Sein und Bewußtsein als "Wechselwirkung", die "in I etzter Instanz" durch das Sein bestimmt wird:
"Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je behauptet. Wenn nun jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig bestimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende, abstrakte, absurde Phrase. Die ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen Momente des Überbaus - politische Formen des Klassenkampfs und seine Resultate - Verfassungen, nach gewonnener Schlacht durch die siegende Klasse festgestellt usw. - Rechtsformen, und nun gar die Reflexe aller dieser wirklichen Kämpfe im Gehirn der Beteiligten, politische, juristische, philosophische Theorien, religiöse Anschauungen und deren viei teren twi ckl ung zu Dogmensys ternen, üb en auch ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen
148
vorwiegend deren Form. Es ist eine Wechselwirkung aller dieser Momente, worin schließlich durch alle die unendliche Menge von Zufälligkeiten ... als Notwendiges die ökonomische Bewegung sich durchsetzt." (Engels, Brief an Joseph Bloch vom 21./22. September 1890, in: MEW 37, S. 463)
Ironischerweise hat ausgerechnet der Idealist Hegel solch formelle Betrachtungsweise von Sein und Bewußtsein kritisiert, welche ein generelles Urteil über ihren Zusammenhang zu fällen bestrebt is , ohne zunächst beide Seiten für sich analysiert zu haben:
"So wird z. B. bei geschichtlichen Betrachtungen zunächst die Frage verhandelt, ob der Charakter und die Sitten eines Volkes die Ursache seiner Verfassung und seiner Gesetze oder ob dieselben umgekehrt deren Wirkung seien, und es wird dann dazu fortgeschritten, diese beiden, Charakter und Sitten einerseits und Verfassung und Gesetze andererseits, unter dem Gesichtspunkt der Wechselwirkung aufzufassen ... Betrachten wir z. B. die Sitten des spartanischen Volkes als die Wirkung seiner Verfassung und so umgekehrt diese als die Wirkung seiner Sitten, so mag diese Betrachtung immerhin richtig sein, allein diese Auffassung ge-währt um deswillen keine letzte Befri , wei durch dieselbe in der Tat weder die noch die Sitten dieses Volkes begriffen welches nur dadurch geschieht, daß jene beiden und ebenso alle übrigen besonderen Seiten, wel-che das Leb~n und die Geschichte des spartanischen Volkes zeigen, als' in diesem Begriff begründet er-kannt werden." (Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, in: WW 8, Frankfurt am Main 1970, S. 301 f)
261) Reichelt, Ansätze, S. LXXII
262) Offe, Spätkapitalismus, S. 9 f
263) a.a.O.
264) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 139 265) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18
266) Daß die Rekonstruktion der Marxschen Theorie als dialektische Methode durchaus eine Kritik an den materialen Aussagen von Marx zur "Kritik der politischen Ökonomie" einschluß, dessen war man sich bewußt, wie die Ausführungen von Rosdolsky auf dem Frankfurter Kolloquium 1967 zum Ausdruck bringen, "daß wi r di e r·lethode des 'Kapi tal' für das wertv 011-ste und dauerhafteste Stück des Lehrgebäudes von Marx halten und daher im Studium und in der Anwendung dieser Methode die Zentral aufgabe der marxistischen Forschung von heute erblicken." (Rolsdolsky,
149
Einige Bemerkungen über die Methode des Marxschen 'Kapital' und ihre Bedeutung für die heutige Marxforschung, in: Kritik der politischen Ökonomie heute, S. 15)
Siehe hierzu auch die programmatischen Äußerungen von Alfred Schmidt auf dem Frankfurter Kolloquium:
"Jede Marx-Exegese hat in zwei Etappen vorzugehen. Sie muß feststellen, was in den Texten wirklich steht ... Darüber hinaus - und das wäre in einem zweiten Arbeitsgang zu leisten gibt es Probleme, die als solche nur sichtbar werden, wenn die Interpretation 'konstruierend' über die Unmittelbarkeit der Texte hinausgeht." (A. Schmidt, Zum Erkenntnisbegriff der Kritik der politischen Ökonomie, in: Kritik der politischen Ökonomie heute, S. 32 f)
Die so aufgefundenen "Probleme" verdanken dann allerdings ihre Herkunft weniger dem Marxschen Werk denn den erkenntnistheoretischen Konstruktionen des materialistischen Interpreten, auch wenn A. Schmidt, der hier ganz in der Tradition hermeneutischen Textverständnisses argumentiert, diese Entfernung vom Marxsehen Gedankengang für das Gütesiegel seiner wirk-ich adäquaten Rezeption erachtet.
267) Feichelt, Zur logischen Struktur, S. 140
268) Offe, Spätkapitalismus, S. 21
269) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 139
270) Feichelt, Zum Wissenschaftsbegriff, S. 31
271) Fosdolsky, Einige Bemerkungen, S. 21
272) Feichelt. Zur logischen Struktur, S. 18
273) Feichelt, Ansätze, S. IX
274) Es soll hier nicht die Notwendigkeit gel et wer-den, die von Marx nicht mehr ausgeführte teIlung der "Konkurrenz" noch zu leisten. Die theoretische Erarbeitung der Konkurrenz der Lohnarbeiter und Kapitalisten ist jedoch etwas anderes, als das Verhältnis von "allgemeinem Begriff" und "wirklicher OberfIäche" zu oblematisieren. Siehe hierzu im 111. Abschnitt eser Arbeit: 111.1. Was heißt Analyse der Konkurrenz';
275) >larx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 133
276) eichelt, Zur logischen Struktur, S. 18
I
111. Die empirische Verifikation des als Methode rekon-
struierten Marxismus Fealanalyse. Krisentheorie
und Krisenprognose
1. Realanalyse (Elmar Al tvater)
Eine ganze Abteilung marxistischer Gesellschaftstheorie -
zusammengefaßt im Diskussionsrahmen der Zeitschrift "Pro·
bleme des Klassenkampfs" - beschäftigt sich seit Anfang der
siebziger Jahre mit dem wissenschaftlichen Projekt einer
"Realanalyse".1) So betont zum Beispiel das Redaktionskol
lektiv "Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus"
(dessen Mitglieder sämtlich dem HerausgeberkreiS der Zeit
schrift "Probleme des Klassenkampfs" angehören) die Not
wendigkeit, die "Realentwicklung" zu untersuchen, um damit
dem Mangel einer auf die Erarbeitung des allgemeinen Kapi
talbegriffs beschränkten Fekonstruktion der Narxschen Theo
rie abzuhelfen:
"Ihr verb daher nicht unsere Unzufri edenhei t der augenblic ich bestehenden Di zwischen en or-hand Arbeiten über die Marxsc Kritik der iti-
onomie und wei fehlenden systematischen exen Aussagen er die Realentwicklung. Wj.r be-
tonen och. daß diese LUcken der marxistischen wi sen-schaf iehen Arbeit nicht nur Ausdruck der durch den Stand der Ausbildung und Erfahrung gesetzten Grenzen dieser Arbeit sind, sondern daß sie auch auf ein bewußtes methodisches Verfahren hinweisen: Wir sind der Ansicht, daß es für jede Untersuchung de~ wirklichen
der Konkurrenz der realen tale und somi jede zeitgeschichtliche e der Entwick-
stufe kapitalistischer Produktion grundsätzliche ist. den Zu zwischen der inneren
Natur der kapitalistischen Pr cnsweise und ihrer erscheinenden zu b ses Zusammenhangs gi tuns zung. der erscheinenden nicht aufzusitzen. umso mehr, als gerade in den zu tisie~enden Arbeiten dieser Umschlag von Narxscher Theorie in marxistisc [fJethode verloren gegangen zu sein schein·:; ... " 2)
Auch Elmar Al tvater erachtet es für unabdingbar, "die in
tensive Beschäftigung mit der Narxschen Theorie, ihre ge-
j ---------------_ .... _-----_ ......... _...-.......;;;===-"-, .. , .. ,,.
Einige Bemerkungen über die Methode des Marxschen 'Kapital' und ihre Bedeutung für die h~utige Marxforschung, in: Kritik der politischen Okonomie heute, S. 15) ,_
Siehe hierzu auch die programmatischen Außerungen von Alfred Schmidt auf dem Frankfurter Kolloquium:
"Jede Marx-Exegese hat in zwei Etappen vorzugehen. Sie muß feststellen, was in den TexteR wirklich steht ... Darüber hinaus und das wäre in einem zweiten Arbeitsgang zu leisten - gibt es Probleme, die als solche nur sichtbar werden, wenn die Interpretation 'konstruieren~ über die Unmittelbarkeit der Texte hinausgeht." (A. Schmidt, ZUm Erkenntnisbegriff der Kritik der pol~tischen Okonomie, in: Kritik der politischen Okonomie heute, S. J2 f)
Die so aufgefundenen "Probleme" verdanken dann allerdings ihre Herkunft weniger dem Marxschen Werk denn den erkenntnistheoretischen Konstruktionen des materialistischen Interpreten, auch wenn A. Schmidt, der hier ganz in der Tradition hermeneutischen Textverständnisses argumentiert, diese Entfernung vom Marxsehen Gedankengang für das Gütesiegel seiner wirklich adäquaten Rezeption erachtet.
267) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 140
268) Offe, Spätkapitalismus, S. 21
269) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 139
270) Reichelt, Zum Wissenschaftsbegriff, S. 31
271) Rosdolsky, Einige Bemerkungen, S. 21
272) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18
273) Reichelt, Ansätze, S. IX
274) Es soll hier nicht die Notwendigkeit gel et wer-den, die von Marx nicht mehr ausgeführte teIlung der "Konkurrenz" noch zu leisten. Die theoretlsche Erarbeitung der Konkurrenz der Lohnarbeiter und K~pitalisten ist jedoch etwas anderes, als das Verhaltnis von "allgemeinem Begriff" und "w rklicher Oberfläche" zu oblematisieren. Siehe herzu im 111. Abschnitt eser Arbeit: III .1. Has eißt Analyse der Konkurrenz?
275) I.larx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 133
276) Reichelt, Zur logischen Struktur, S. 18
111. Die empirische Verifikation des als Methode rekon
struierten Marxismus - Realanalyse. Krisentheorie
und Krisenprognose
1. Realanalyse (Elmar Altvater)
Eine ganze Abteilung marxistischer Gesellschaftstheorie
zusammengefaßt im Diskussionsrahmen der Zeitc,chrift "Pro'
bleme des Klassenkampfs" - beschäftigt sich seit Anfang der
siebziger Jahre mit dem wissenschaftlichen Projekt einer
"Realanalyse".1) So betont zum Beispiel das Hedaktionskol
lektiv "Theorie des staatsmonopoli,stischen Kapitalismus"
(dessen Mitglieder sämtlich dem Herausgeberkreis der Zeit
schrift "Probleme des Klassenkampfs" angehören) die Not
wendigkei t, dIe "Healentwicklung" zu untersuchen, um damit
dem Mangel einer auf die Erarbeitung des allgemeinen Kapi
talbegriffs beschränkten Rekonstruktion der ~arxschen Theo
rie abzuhelfen:
"Wir verbergen daher nicht unsere Unzufriedenheit an der augenblicklich bestehenden Di zwi ehen den vor-hand Arbeiten über die Marxsc Kriti~ der Poli schen onomie und wei fehlenden systematischen und komplexen Aussagen die Realentwiekl Wi be-tonen edoeh, daß diese Lücken der marxistisc wi sen-schaf iehen Arbeit nicht nur Ausdruck der durch den Stand der Ausbildung und Erfahrung gesetzten Grenzen dieser Arbeit sind, sendern daß sie auch auf ein bewußtes methodisches Verfahren hinweisen: Wir sind d Ansicht, daß es fUr jede Untersuchung der wirklichen Bewegung der Konkurrenz der realen tale und somit auch für jede zeitgeschichtliche se der Entwic lungsstufe kapitalistischer Produktion grundsätzliche Bedingung ist, den Zu zwischen der inneren Natur der kapitalistischen cnswei e und ihrer erscheinenden fen. Die Aneignung die-ses Zusammenhangs gil uns s methodische Vorausset-zung. der erscheinenden nicht aufzusitzen, umso mehr, als gerade in den zu tisierenden Arbe ten dieser Umschlag von Marxscher Theorie in marxistische r.jethode verloren gegangen zu sein scheint ... " 2)
Auch Elmar Al tvater erachtet es für unabdingbar, "die in
tensive Beschäftigung mit der Marxschen Theorie, ihre ge-
151
nau Aneignung und ekonstrukti on" , durch realanaly
tische Untersuchungen zu ergänzen. Er plädiert dafür,
"daß die vielfältigen und k izierten Erscheinungs-formen des hochentwickelten talismus selbst Gegen-
tand der Untersuchung sein müssen und ede matische Beschränkung auf die Marxsche des Kapitalbegriffs sich eines Resul das selbst nur als Resultat eines Prozesses der kenntnis, als Resultat eines umfassenden Forse
ozesses, richtig verstanden werden kann. Dieser isprozeß im Sinne eines durchaus arbeitsteilig,
d. h. kollektiv, zu organisierenden theoretischen Arbei die
muß sich als Forschungsarbeit auch auf des hochentwickelten Kapitalismus nicht dadurch abgekürzt werden, daß
die 'ferti allgemeine Theorie des Kapitals', d. h. die Marxsc Darstellung des Kapital ffs, übernom-men, in ihren Verästelungen angeeign wird." I~)
Das Verhältnis von "Marxscher Darstellung des Kapitalbe
griffs" und Interpretation der "empirischen Oberfläche"S),
aus dem heraus Altvater die methodische Notwendigkeit ei
ner "Healanalyse" begründet, charakteri.siert er nüher wie
folgt:
";.Jarx selbst hat in einer FUlJe von Artikeln, Erklärun, Reden, Adressen permanent zu aktuellen politischen
Stellung bezogen ohne jeweils im einzelnen auf den 'Kapital ff im 1gemeinen' zu rekurrieren ... Insofern ist e An der Marxschen Theorie unbedingt notwendig, aber nie als ein Instrument, das
der Auseinandersetzung mit Problemen der wirklichen und Theorien gelernt sein muß, und auch nicht
als ein das nur noch 'ex cathedra' auslege-bedürftig sei, sondern als begriffliche Abstraktion der wirklichen des Kapitalverhältnisses, die mit der historischen cklung des Kapitalismus auch neue Fragen aufwirft, die nicht das Wesen dieser Gesellschaft, die Form ihrer Widersprüchlichkeit, wohl aber die Erscheinungsformen des Kapitalverhältnisses berühren. Und die 'Realanalyse' umschließt sowohl die Analyse des Wesens als auch der Erscheinungen (sowohl in ihrer systematischen begrifflichen Herleitung als auch ihren konkreten historischen Verlaufsformen). Die Beto-
des 'doppeIgleisigen' Vorgehens - Aneignung der von dargestellten logischen Struktur des Kapital-begriffs und Analyse historischer Erscheinungsformen des Kapitalismus - darf allerdings keinesfalls als methodisches Postulat verstanden werden. Allerdings gibt
152
es auch kelnen Konlgsweg vom allgemeInen K"lpItalbegrl f zur Oberflache des Kapltalverhaltnlsses und den h1storischen Verlaufsformen einer konkreten Gesellschaft." 6)
Ohne die zitierten programmatischen Äußerungen in allen
Einzelheiten kommentieren zu wollen, soll hier zunächst
einmal soviel tiber das Projekt einer Realanalyse festge
haI ten werden:
Erstens. Die hier vorgetragenen Begründungen fUr die Not
wendigkeit einer Realanalyse berufen sich alle auf die
von r~arx selbst hervorgehobene D i f f er endes all
gemeinen Begriffs des Kapitals und den Gesetzen seiner
Durchsetzung, auf den Unterschied der "inneren Natur des
Kapi tals" von der "Art und Weise, wie die immanenten Ge
setze der kapitalistischen Produktion in der äußern Be-
. h'" 7 ) wegung der KapItale ersc e1nen.
Zweitens. Dabei wird allerdings diese Differenz so thema
tisiert, als handle es sich bei dem von Marx im 'Kapital'
dargestellten allgemeinen Begriff des Kapitals noch nicht
um materiales Wissen über die kapitalistische Realität,
sondern um eine für sich bloß "begriffliche .~ b s t r a k -
ti 0 n der wirklichen Bewegung". Umgekehrt wird die (von
Marx nicht mehr geleistete, aber im ursprünglichen Auf- 8)
bauplan des 'Kapital' vorgesehene) Analyse der Konkurrenz
damit identifiziert, den Mangel einer im 'Kapital' darge
stellten bloß "logischen Struktur" zugunsten der Darstel
lung m a te r i h 1 e n Wissens über die "empirische Ober
fläche" und "Realentwlcklung" zu überwinden.
Drittens. Dem Projekt einer Realanalyse liegt damit die
schon von Reichelt her bekannte Rekonstruktion der Marx
sehen Theorie als "logische Struktur des Kapitalbegriffs"
zugrunde: während die genaue Aneignung des 'Kapj. tal' zu
d K t . ,,9)
bloß formellem Wissen über die "Logik er a egorle
führe, sei die Analyse der Konkurrenz hingegen identisch
mt tinhaI tlicher Kenntnisnahme der "wirklichen Konkurrenz
153
der realen Kapitale" und der "empirischen Oberfläche". Die
Realanalyse ist also die Konsequenz aus einer methodischen
(Selbst-)Kritik an den bisherj.gen Arbeiten zur Rekonstruk
tion der Marxschen "Kritik der politischen Ökonomie". So
vernichtend diese kri b.sche Zwischenbilanz bislang gelei
steter Rekonstruktion einerseits ihrem Inhalt'nach ist
sie behauptet ja, daß die kapitalistische Realität durch
die rekonstruierte "logische Struktur des Kapitalbegriffs "
nicht erklärt ist -, so konstruktiv ist sie andererseits
für den weiteren Forschungsprozeß: mittels Realanalyse
soll jetzt die "empirische Oberfläche" analytisch durch
drungen und damit zugleich die in der "logischen Struktur"
formulierten Gesetze des Kapitals als wirklich existent
bewiesen werden.
Insofern sich die realanalytischen Untersuchungen auf die
von Marx für notwendig erachtete Aufgabe berufen, der Er
klärungsbedürftigkeit der "Oberfläche" der bürgerlichen
Ges Ischaft durch die Analyse der "Konkurrenz" abzuhel
fen. soll in diesem Zusammenhang untersucht werden, ob
das von Altvater programmatisch vorgeschlagene Projekt der
Realanalyse dazu einen Beitrag zu liefern vermag. Zur Be
urteilung der Realanalyse sind also in einem ersten Schritt
zwei Fragen zu klären: 1. Was heißt Analyse der Konkurrenz
bei Marx? 2. Ist das Verhältnis von allgemeinem Kapitalbe
griff und Oberfläche des Kapitalverhältnisses identisch
mit dem Verhältnis von Theorie und Empirie, von abstraktem
Begriff und empirischer Realität? In einem zweiten Schritt
sollen dann die immanenten Bestimmungen realanalytischer
Untersuchungen über den tendenziellen Fall der Profitrate
dargestellt werden.
a) Was heißt Analyse der Konkurrenz?
Anläßlich der Fertigstellung des Manuskripts, das als Fort
setzung der Schrift "Zur Kritik der politischen Ökonomie"
veröffentlicht werden und den "Produktionsprozefl des Ka-
pitals, Zirkulationsprozeß des Kapi
K . 1 d') f·t Z' ,,10 den oder apl ta un 1 r 0 l', lns
schrieb Marx an Kugelmann:
s, Einheit von bei
behandeln sollte,
"Es umfaßt in der Tat nur, was das dri tte Kapi tel der ersten Abteilung bilden sollte, nämlich 'das Kapital im allgemeinen'. Es ist also nicht darin eingeschlossen die Konkurrenz der Kapitalien und das Kreditwesen. Was der Engländer 'the principles 01' political economy' nennt, ist in diesem Band enthalten. Es ist die Quintessenz (zusammen mit dem ersten Teil), und die Entwicklung des Folgenden (mit Ausnahme etwa des Verhältnisses der verschiedenen Staatsformen zu den verschiedenen ökonomischen Strukturen der Gesellschaft) würde auch von anderen auf Grundlage des G eli eferten leicht auszuführen sein ... " 11)
Iht der "Entwicklung des Folgenden" ist die wisc,enschaft-·
liehe Analyse der Konkurrenz und des Staates gemeint.1
)
Drei Fragen sollen im folgenden erörtert werden: Warum
eigentlich wird die Analyse der Konkurrenz der Kapitali
sten und der Lohnarbeiter notwendig? Was ist ihr Gegen
stand? Worauf beruht die Sicherheit von arx, die Bücher
zur Konkurrenz seien "auf Grundlage des Gelieferten leicht
auszufü hren "?
Um mit der letzten Frage zu beginnen: arx war überzeugt.
das Restprogramm wissenschaftlicher Erforschung der kapi
talistischen Produktionsweise wäre im Vergleich zur Erar
beitung des "Kapital" "leicht auszuführen". Jenn mit der
in den 3 B3.nden "Kapital" durchgeführten DarCltellunl.O; der
"principles of political economy" i.st in der Tat die prin
zipielle Erklärung der allgemeinen Gesetze der kapitali
stischen Ökonomie, des Produktions- und Zirkulationspro
zesses des Kapitals sowie des GesamtprozesseCl kapitali ti-
scher Produktion, abgeschlossen. Einige Sti.ch-
punkte seien in Erinnerung gerufen: Das Waren- und Geld
kapitel erklärt das Phänomen der Unterordnung des produ
zierten konkreten Reichtums unter die abstra~te, von den
Produzenten getrennte und gegen sie verselbständigte Wert
form des Produkts; in den Mehrwertkapiteln ist das Ge-
155
heimnis der kapi talistischen Plusmacherei gel öst und es
sind die Gesetzmäßigkeiten der Produktion des Mehrwerts
dargestellt, denen .iedes "reale" Kapital notwendig un
terworfen ist; mit der Analyse der Profitrate ist das Maß
der Verwertung bestimmt, das in der Tat Uber Ausdehnung
und Einschränkung der Produktion, Uber Ein- und Ausstel
lung von Arbeitern praktisch entscheidet; mit der Analyse
der Revenuen und ihrer Quellen schließlich sind die öko
nomischen Formen behandelt, wie sie den Individuen als
sachliche Voraussetzungen ihres willentlichen HandeIns
gegenUbertreten.
Daß im "Kapital" (Band 1 - J) die Gesetze des "Kapi
tal im allgemeinen" dargestellt werden, tan-
giert ihre theoretische GU tigkeit und praktische Geltung
in keiner Weise. Es sind eben die allgemeinen Gesetze je
des besonderen Kapitals, und "das Verhältnis der vi e-
1 en wird vielmehr sich erklären, nachdem das, was alle
gemein haben, Kapital zu sein, betrachtet ist.,,1J) Daß
es diese allgemeinen Gesetze in der Tat nur als "Zwangs
gesetze der Konkurrenz,,1Ij) der einzelnen Kapitale gibt,
bestätigt ja eindeutig ihre unabweisbare Geltung und be
legt nicht etwa ihren bloß relativen Status:
"Die Konkurrenz exequiert di.e innren Gesetze des Kapitals; macht sie zu Zwangsgesetzen dem einzelnen Kapital gegenUber, aber sie erfi·ndet sie nicht. Sie reali.siert sie." 15)
Ivenn die Konkurrenz ihrem Begriff nach "nichts als die
innre Na t ur des Kap i tal s (ist), seine wesent
liche Bestimmung, erscheinend und realisiert als Wechsel
wirkung der vielen Kapi.talien aufeinander, die innre Ten
denz als äußerliche Notwendigkei t,,1 6), dann ist zunächst
einmal soviel Uber die im "Kapital" abgehandelten Gesetze
seiner inneren Natur festzuhalten: Ein Phänomen der Kon
kurrenz, zum Beispiel die Rationalisierungsmaßnahme eines
Kap:Ltalisten, ist mit den Gesetzen der Profitrate und den
zu ihrer Steigerung ins Werk gesetzten Methoden der ab-
156
soluten und relativen Mehrwertproduktion in seinem objek
tiven Grund und seinen bestimmten Verlaufsformen erklärt.
Einerseits ist mit der im "Kapital" geleisteten Darstel
lung der allgemeinen Gesetze die Realität der kapi talisti-'
sehen Produkticnsweise theoretisch "durchdrungen" - ein
Mangel in dem Sinne, daß die dort systematisch abgehandel
ten Gesetze des "Kapital im allgemeinen" nur unzureichend
mi t der Reali tät vec,ni ttel t oder gar praktisch Uberha'J.pt
nicht maßgeblich, eben bloß "begriffliche Abstraktionen der
wirklichen Bewegung" wären, existiert nicht. Andererseits
gibt es schon eine noch zu lösende wissenschaftliche Auf
gabe, auf die Marx zum Beispiel anläßlich der Darstellung
des "Begriffs de3 relativen I~ehrwert" hinweis
"Die Art und Weise, wie die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion in der äußern Bewegung der Kapitale erscheinen, sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und daher als treibende Motive dem individuellen Kapi talisten zum Bewußtsein kommen, ist jetzt nicht zu betrachten, aber soviel erhellt von vornherein: Wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz ist nur möglich, sobald die innere Natur des Kapitals begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem verständlich, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehmbare Bewegung kennt." 17)
Aus den im "Kapital H analysierten allgemeinen Gesetzen der
kapitalistischen Produktionsweise folgt selbst noch, daß
die Subjekte, seien es Kapitalisten, Grundeigentümer oder
Lohnarbeiter, kein Bewußtsein von deren objektivem Inhalt
und Notwendigkeit haben und gleichwohl in ihrem ökonomischen 18)
Handeln den Kapitalgesetzen zur Durchsetzung verhelfen.
Daß die Individuen in ihren ökonomischen Handlungen die
allgemeinen Notwendigkeiten des Kapital exekutieren, ist
keine Frage mehr; wie sich den Subjekten die immanen-
ten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise in ihrem
ökonomischen Handeln als Zwangsgesetze gel tend machen und
daher "als treibende r,lotive zum Bewußtsein
kommen", ist die in der Analyse der Konkurrenz noch zu lö
sende wissenschaftliche Frage.
157
Das mit der Analyse der Konkurrenz zu lösende theoretische
Problem sei noch einmal von einer anderen Seite her ver
deutlicht: Mit dem Marxschen "Kapital" konfrontiert, wird
der mit dem praktischen Zurechtkommen in den 'wirtschaft
lichen Sachzwängen' befaßte sogenannte gesunde Menschen
verstand wohl kaum diese Darstellung der allgemeinen Ge
setze der kapitalistischen Produktionsweise als die zu
treffende Aufklärung über die objektiven Gründe seines
ökonomischen HandeIns akzeptieren, weil e I' ganz andere
Beweggründe für sein praktisches Tun kennt: Daß er nichts
als die "abhängige Vartable,,19) des Akkumulationsprozes
ses des Kapitals ist, nur lebt, um zu arbeiten und Mehr
wert zu produzieren. läßt kein Arbeiter als den Begriff
seines Lohnarbeitsdaseins gelten. Er geht schließlich arbei
ten, um seinen gerechten Anteil an einem mehr oder minder
guten Leben zu erwerben. Und gibt ihm in seiner Auffas
sung nicht die Erfahrung recht, daß von der eigenen Qua
lifikation und Leistung durchaus die Lohnhöhe abhängt? Daß
die Lohnarbeit die einzige Quelle von Wert und er der "Aus
pumper von Mehrarbeit,,20) ist, erkennt kein Kapitalist als
den objektiven Grund seines Reichtums an. Er steigert schließ
lich seinen Gewinn durch die Rationalisierung seines Pro
diktionsprozesses, also gerade durch vermehrten Einsatz
von Maschinerie bei verminderter Anwendung von Arbeitern.
Und bestätigt ihn in seiner Auffassung nicht ebenso die
eigene Erfahrung, daß mit seinem Geschick bei Kauf und
Verkauf sowie Kreditbeschaffung ebenfalls die Größe seines
Profits zunimmt?
Die beiden Beispiele mögen als nochmalige Illustration
genügen, daß die immanenten Gesetze des Kapitals nicht be
wußter Zweck und Willensinhalt der Subjekte in der bürger
lichen Gesellschaft sind. Der allgemeine GI' und ihres
ökonomischen HandeIns ist nicht ihr treibendes Motiv.
Die wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz hat also zu
klären, wie die Individuen aus ihrem Interesse an Einkom
men "zwecks Befriedigung ihrer Bedürfnisse überhaupt,
158
physischer, sozialer etc.,,21) den Gesetzen des kapitalisti-
sehen Reichtums zur Durchsetzung verhelfen und sich im Um
gang mi t den ihren Interessen vorausgesetzten ökonomischen
Gegenständen - entgegen andersgearteter sub jektiver Auf
fassung - ganz als Charaktermasken des Produkt:l.onsverhält
nisses von Lohnarbeit und Kapital betätigen. Di.e Analyse
der Konkurrenz der Kapitalisten und Lohnarbeiter ist dabei
kein akademischer Luxus. Vor allem letztere ist die unab
dingbare theoretische Voraussetzung für die praktische Ver·
änderung des falschen Bewußtseins des Lohnarbeiters, indem
sie an seinen Konkurrenzhandlungen den Nachweis führt, wj.e
alle Bemühungen, die Lohnarbeit als Lebensmittel für sich
zu handhaben, ihn doch wiederum nur als Ausbeutungsobjekt
des Kapitals reproduzieren.22
)
Nach dieser Erörterung über Notwendigkei t und Gegenstand
der von Marx geplanten Darstellung der Konkurrenz soll im
folgenden noch skizziert werden, welchen Gang eine solche
Analyse zu nehmen hätte. Einen Hinweis auf die ökonomischen
Kategorien, von denen eine systematische Darstellung der
Konkurrenz ihren Ausgangspunkt zu nehmen hat, ist der von
l~arx vorweggenommenen abstrakten Zusammenfassung der Ent
wicklung im 3. Band des "Kapital" zu entnehmen:
"Die Gestaltungen des Kapitals, wie wir sie in diesem Buch entwickeln, nähern sich also schrittweis der Form, worin sie auf der Oberfläche der Gesellschaft, in der Aktion der verschiedenen Kapitale aufeinander, der Konkurrenz, und im gewöhnlichen Bewußtsein der Produktionsagenten selbst auftreten." 23)
24) Erst mit der Abhandlung der Revenuequelle hat die Dar-
stellung im "Kapital" die ökonomischen Formen zum Gegen
stand, die den Individuen in der kapitalistischen Gesell
schaft als sachliche Voraussetzung ihres bewußten HandeIns
gegenübertreten. Die "Oberfläche der Gesellschaft" ist da
bei durch das folgende gesellschaftliche Verhältnis cha
rakterisiert: Die Individuen treten sich mit dem Anspruch
auf Bedürfnisbefriedigung gegenüber. Dabei sind j.hnen die
159
gesel schaftlichen Verhäl tni.sse als äußerliche Sachnot
wendigkej.ten vorausgesetzt. Zur Realisierung ihrer phy
sischen, geistigen und sozialen Bedürfnisse benötigen
si e Gel d , müssen sich also ein Einkommen verschaf-
fen und sind dabei auf die ihnen zur Verfügung stehenden
Einkommensquellen angewiesen. Welcher Revenue-
quelle sich die Individuen bedienen dürfen bzw. müssen,
unterscheidet sie auf der Oberfläche der bürgerlichen
Gesellschaft:
"Dem Kapi talisten erscheint sein Kapi tal, dem Grundeitümer sein Boden und dem Arbeiter seine Arbeits-
aft oder vielmehr seine Arbeit selbs ... so als drei verschiedne Quellen ihrer ezifischcn Revenuen, des Profits, der Grundrente un des Arbeitslohns. Sie sind es in der Tat Ü1 dem Sinne, daß das Kapital für den
talisten eine erennierende Pumpmaschine von 14ehr-eit, der Boden den Grundeigentümer ein peren-
nierender 14agnet zur Anziehung eines Teils des vom Kapital ausgepumpten 1'lehrwerts und endlich die Arbeit die beständig sich erneuernde Bedingung und das stets sich erneuernde Mittel ist, um einen Teil des vom Arbeiter geschaffnen Werts und daher einen durch diesen Wertteil gemeßnen Teil des gesellschaftlichen Produkts, die notwendigen Lebensmittel, unter dem Titel des Arbeitslohns zu erwerben." 25)
Bei der praktischen Bewäl tigung des Lebens sind die in
der Volkswirtschaftslehre "Produkti onsfaktoren" genannten
RevenuequeLLen Kapital - Boden - Arbeit die unabweisbare
materielle Grundlage, mit der ein jeder zwecks Erfüllung
seiner individuellen Ansprüche zurechtzukommen hat. Ei
nerseits gilt dabei einem Kapitalisten, Grundbesitzer oder
Arbeiter seine Revenuequelle als ein bloßes Einkommens-
mittel für seinen privaten Zweck des Konsums; ande-
rerseits verlangen die Revenuequellen Kapital, Boden und
Arbeit von ihrem Besitzer, sich nach den immanenten Ge
setzmäßigkei.ten seines ökonomischen Mit tel s zu rich
ten. Eine Analyse der Konkurrenz hätte sOmit zu verfolgen,
wie sich der Kapi talist oder Lohnarbeiter bei der freien
Verfolgung seiner individuellen Bedürfnisse den ökonomi
schen Notwendigkeiten ihrer Revenuequelle Kapital oder Ar-
160
beit unterordnet. Die Untersuchung der Konkurrenz der
pi tale bestünde darin, aus dem Zweck der individuell en
Reproduktion und der dem industriellen Kapitalisten dabei
zur Verfügung stehenden Revenuequelle (nämlich Geld, mit
dem zum Zwecke der Gewinnerzielung Produktienselemente
gekauft werden) eine Systematik der sich daraus ergebenden
ökonomischen Handlungen abzuleiten. In der Analyse der \'J:i.
dersprüchlichen Bedingungen, mit denen er als Einkäufer,
Produzent und Verkäufer von Waren konfrontiert ist, 80wi
der von ihm ergriffenen Produktions- und Kredittechniken
zur Überwindung der in der Konkurrenz produzierten arkt
schranken wäre die innere Notwendigkeit seiner Konkurrenz
handlungen aufzufinden. Eine gelungene Untersuchung der
Konkurrenz hätte dann in der "VIechselwirkung der vielen
Kapi talien aufeinander" die Durchsetzung der "innren Na-
tur des Kapitals" aufgezeigt oder - umgekehrt aus t
- die "innre Tendenz als äußerliche Notwendigkeit" zur
Darstellung gebracht.
Zum Abschluß dieser Erörterung sei die hier behauptete in
haltliche Identität der allgemeinen Gesetze des Kapitals
mit den Konkurrenzformen ihrer Durchsetzung sowie ihre Un
terschiedenheit der Form nach am Beispiel der Produktion
des relativen Mehrwerts demonstriert. Die im 4. Abschnitt
des 1. Bandes des "Kapital" darges tell ten Gesetze der "Pro
duktion des relativen r~ehrwerts,,27) erklären ein allgemei
nes Phänomen der kapitalistischen Produktionsweise - die
von allen Kapitalen praktizierte 'Rationalisierung' der
Produktion. Den allgemeinen Grund der von den einzelnen
Kapitalisten beständig vorgenommenen Veränderung der tech
nischen und gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitspro
zesses, welche die Produktivkraft der Arbeit erhöhen, hat
Marx in den Bestimmungen der Mehrwertrate gefunden: Bei
festgesetztem Arbeitstag kann die Mehrwertrate, die im
Produktionsprozeß als das Verhältnis der Mehrarbeit zur
notwendigen Arbeit existiert und das Maß der Selbstverwer-
161
tung des Kapitals ist, nur durch Reduzierung der notwen
digen Arbei tszei t gesteigert werden. 28) Aus den Schranken
für die externe Veränderung der Mehrwertrate begründet
14arx die Not wen d i g k ei t ihrer internen Änderung,
die das Kapital in der 'Rationalisierung' der Produktion
praktizj. ert 29 ) :
"Es muß die technischen und gesellschaftlichen Bedindes Arbeitsprozesses, also die Produktionsweise
t umwälzen, um die Produktivkraft der Arbeit zu erhöhn. durch die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit den Wert der Arbeitskraft zu senken und so den zur Reproduktion dieses Werts notwendigen Teil des Arbeitstags zu verkürzen. Durch Verlängrung des Arbeitstags oduzierten Mehrwert nenne ich absoluten Mehrwert; den ehrwert dagegen, der aus der Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit und entsDrechender Verändrung im Größenverhältnis der beiden B~s tand tei 1 e des Arb ei ts tags en tspringt - I' el ati v en r,jehrwert." 30)
Zugleich enthält der von j,larx dargestellte "Begriff des
relativen f<1ehrwerts" selbst die notwendige Schlußfolgerung
auf die Differenz zwischen dem allgemeinen Gesetz des Ka
pitals zur Produktion des relativen Mehrwerts und den Ge
setzmäßigkeiten seiner Durchsetzung in der Konkurrenz. Aus
der notwendigen Bedingung zur Verwohlfeilerung der Ware
Arbeitskraft -
"Um den Wert der Arbeitskraft zu senken, muß die Steigerung der Produktivkraft Industriezweige ergreifen, deren Produkte den Wert der Arbeitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis der gewohnheitsmäßigen Lebensmittel angehören oder sie ersetzen können ... In Produktionszweigen dagegen, die weder notwendige Lebensmittel liefern noeh Produktionsmittel zu ihrer Herstellung, läßt die erhöhte Produktivkraft den Wert der Arbeitskraft unberührt." 31) -
sowie aus der beschränkten unmittelbaren Wirkung der Pro
duktivitätssteigerung -
"Die verwohlfeilerte Hare senkt natürlich den Ivert der Arbeitskraft nur pro tanto, d. h. nur im Verhältnis, worin sie in die Reproduktion der Arbeitskraft eingeht." 32
I
I I I
1
162
ist auf den Unterschied der "allgemeinen und notwendigen
Tendenzen des Kapitals ... von ihren Erscheinungsformen,,:J:J)
als treibende Motive der Prcduktionsagenten zu schließen:
Denn wenn die Rationalisierung der Produktion als Mittel
zur Steigerung der r~ehrwertrate nicht unmittelbar mit der
Verbilligung der Arbei tskraft zusammenfäll t, dann wird sl.e
vom Kapitalisten auch nicht mit der Kalkulation vorgenom
men, das variable Kap:i.tal zu senken und dami d:i.e interne
Steigerung der Mehrwertrate zu produzieren. Die Differenz
zwischen der inneren Nctwendigkeit des Kapitals und ihr
Durchsetzungsform in der Konkurrenz ändert hierbei aller
dings nichts an der inhaltlichen Identität beider, weswe
gen Marx dies allgemeine Resultat der relativen Mehrwert
produktion hier so behandelt,
"als wäre es unmittelbares Resultat und unmittelbarer Zweck in jedem einzelnen Fall. Wenn ein e:Lnzelner Kapi. talist durcL Stei der Produktivkraf:: der Arbeit z. B. Hemden v feilert, schwebt ihm eines rlot-wendig der Zweck ver, den Hert der Arbeitskraft un daher die notwendi Arbeitszeit pro tanto zu senken, aber nur soweit er sc ießlich zu diesem Resultat bei , trägt er bei zur Erhöhung der all sn Rate des ehr-werts. Die allgeme:i.nen und n Tendenzen des Kapitals sind zu unterscheiden von en Erscheinungs formen." 3 Ij.)
Die Notwendigkeit der Rationalisierung eines kapitalisti--
sehen Unternehmens, ihr allgemeiner Grund und Zweek, t
mit dem "Begriff des relativen l'·lehrwerts" dargestellt. Im
Unterschied dazu hat die wissenschaftliche Analyse der
"Oberfläche" eHe Erscheinungsformen zu unterc~uchen, ,'iie
sich die Notwendigkeit des Kapitals zur Senkung der not
wendigen Arbeit zwecks Erhöhung der Rate des Mehrwerts als
treibendes r·lotiv im Bewllßtsein und Handeln der Produktions
agenten geltend macht. 3S ) Die allgemeine Notwendigkeit zur
Produktion des relativen ehrwerts teilt sich Kapitalist
und Lohnarbeiter als Zwangsgesetz der Konkurr'enz mit, Di
für sie aufgrund der Abhängigkeit von ihrer Hevenuequelle
Kapi tal bzw. Arbeit maßgebenden "treibenden riiotive" seien
kurz angedeutet: Der einzelne Kap i tal ist , der zur
Rationalisierung seiner Produktion schreitet, reflektiert
in seiner Kalkulation nicht im mindesten auf den relativen
Mehrwert - von der Kenntnis seines "Begriffs" ganz zu
schweigen. Für ihn stellt sich die Notwendigkeit zur Ver
änderung der technischen und gesellschaftlichen Bedingun-
gen des Arbeitsprozesses als ein 'Sachzwang' der Konkur-
renz dar. Zum einen setzt der Kredit, dessen sich der
einzelne Kapitalist bei seinem Geschäft bedient, neue Maß
stäbe der Rentabilität: der erwirtschaftete Uberschuß muß
hinreichen zur Fortführung und Erweiterung seines Unterneh
mens sowie zum Bedienen des Kredits, also den Unternehmer
gewinn (Revenue inbegriffen) und Zins erbringen. Zum ande
ren birgt die Konkurrenz auf dem Markt das Risiko, die
Realisierung des produzierten Warenangebots zu den kalku
lierten Preisen und in entsprechendem Umfang könne auf die
Schranke der Nachfrage stoßen. Die Notwendigkeit des Kamp
fes um Marktan~eile und der Zwang zum Erfolg an den Maß
stäben des Kredits sind die treibenden Motive für den Ka
pitalisten, seine Produktion qualitativ zu ändern. Er muß
eine Senkung der Produktionskosten erreichen, die ihm ge
stattet, die Preise seiner Waren unter die seiner Konkur
renten zu drücken, ohne dabei Abstriche von seinem Gewinn
machen zu müssen. Seine kalkulatorischen Bemühungen richten
sich dabei auf die Veränderung des Verhältnisses von Inve
stition und Ertrag; dasselbe auf die einzelne Ware, die er
verkauft, bezogen heißt, daß die Reduzierung der Stückko
sten sein Motiv ist. Um sie zu senken, setzt der indi
viduelle Kapitalist die Methoden der relativen Mehrwert
produktion ins Werk. Er rationalisiert, d. h. verändert
durch den Einsatz neuer Maschinerie den Produktionsprozeß
qualitativ dergestalt, daß in derselben Zeit mehr Produkte
erzeugt und die vermehrten Kosten für neue Maschinerie
durch die absolute Verringerung der Lohnkosten bei ihrer
zugleich intensiveren Nutzung mehr als wettgemacht werden.36
)
164
So wird der Kapitalist von seinem praktischen Konkurrenz
standpunkt der Stückkostensenkung zwecks Ext,'aprofi tauf
den Unterschied von konstantem und variablem Kapital so
wie die Mehrwertrate gestoßen: den fixen Kosten für neue
Maschinerie stehen Lohnkosten gegenüber, die sich durch
aus variabel gestalten lassen. 3?) Die Wahrheit des Ar
beitslohns, keine feste Geldsumme, sondern ein veränder
bares Verhältnis von bezahlter und unbezahlter Arbeit zu
sein, wird vom Kapitalisten bei der Stückkostensenkung
'entdeckt' und benutzt. Er ersetzt variables Kapital durch
konstantes, um das variable Kapital effektiver zu machen,
sprich das Verhältnis von Lohn und Leistung zu seinen Gun
sten zu verändern. Ganz ohne Kenntnis der Mehrwertrate
ergreift so der Kapitalist aus den Zwangsgesetzen der Kon
kurrenz heraus die Methoden ihrer Steigerung, möglichst
viel Arbeit in Bewegung zu setzen, dabei aber sparsam mit
dem Kostenfaktor Arbeit umzugehen. 38 ) Gerade indem der in
dividuelle Kapitalist nur das Verhältnis von Produktions
kosten und Uberschuß kalkuliert, ist er gezwungen, die Me
thoden zur Steigerung der Mehrwertrate zu ergreifen. Er
kommt so praktisch, ganz ohne Kenntnis des Narxschen "Ka
pital" und ungeachtet aller "Nystifikationen der Konkur
renz" zum 'Wissen' um die Identität von Mehrwert und Pro
fit als bloß verschiedne Formen unbezahlter Arbeit. 39 )
Auch der einzelne Lohnarbeiter, der mit dem ver-
änderten Lohn-Leistungsverhältnis der rationalisierten
Produktion konfrontiert ist (sofern sein Arbeitsplatz
nicht für überflüssig erklärt wurde), hat kein Bewußt
sein von den Gesetzen des relativen Mehrwerts, die an sei
nem Arbeitsplatz exekutiert werden. Der mit der Rationali
sierung vom Kapital gesetzte Zwang zur Intensivierung der
Arbeit - eine originäre Nethode zur Produktion des rela
tiven Mehrwerts 40 ) - stellt sich für den Besitzer der Re
venuequelle Arbeit als Angebot an sein Interesse dar: der
Leistungslohn bietet ihm die Chance, in der gleichen Zeit
mphT' GRl cl 7.1) verdienen, wenn er schneller arbeitet. Die
165
verschiedenen Gestalten des Leistungslohns - sei es die
kl sische Gestalt des Stück- bzw. Akkordlohns41
), seien
es die modernen Formen analytischer Arbeitsplatzbewertung
cder die synthetische Einrichtung einer ganzen betriebli
chen Arbeitsplatz- und Lohnhierarchie - stelIen allesamt
vom Kapitalisten eingerichtete Hinsichten für den Mate
rialismus seiner Belegschaft dar, größere individuelle
Leistung auch besser entlohnt zu bekommen, sei es durch
aktuell höheren Lohn oder in Aussicht gestellten Aufstieg
in eine höhere Lohngruppe. Und der "stumme Zwang der öko
nom:ischen Verhältnisse", beschränkter Verdienst ebenso-
ehr wie die Existenz einer durch Rationalisierungen pro
duzierten industriellen Reservearmee, sorgt dafür, daß
kein Lohnarbeiter die Freiheit besitzt, dieses Angebot
auszuschlagen. S 0 macht der Lohnarbeiter aus seinem
Interesse heraus, die Revenuequelle Arbeit für ihn ein
träglicher zu gestalten, die Intensivierung der Arbeit
zum Gesetz seines Arbeitstages. Das treibende Motiv des
Arbeiters "Arbeiten, um zu leben" erweist sich als Durch
setzung des gegenteiligen Zwecks "Leben, um zu arbeiten" .1+2
)
Indem der Arbei ter sei.ne Anstrengungen alleine darauf
richtet, seine Arbeit als sein Lebensmittel zu handhaben,
macht er sich zum effektiven Exploitationsmittel der re
lativen Mehrwertproduktion, die der Kapitalist zur Erzie
hung von Extraprofit betreibt. 43 )
an sieht, die (hier bloß angedeutete) Darstellung der
treibenden Konkurrenzmotive der Revenuequellenbesitzer
fördert keine neuen allgemeinen Gesetze der kapitalisti
sehen Produktionsweise zutage, sondern zeigt, wie den Kon-
kurrenzsubjekten von ihrem jeweils speZifischen Standpunkt
aus die allgemeinen Gesetze des Kapitals als Notwendig
keiTen des Umgangs mit ihrer Revenuequelle erscheinen.
Das Verhältnis vom "Kapital im allgemeinen" und der "Ober
fläche" der kapitalisti.schen Gesellschaft. wie es in der
vorangegangenen Erörterung nachgezeichnet wurde, kann un-
166
ter Hinblick auf die Beurteilung der "Realanalyse" wie
folgt zusammengefaßt werden:
1. Ausgangspunkt jeder wissenschaftlichen Analyse der
"Ob erfläc he" s t di e mi t der im "Kapi tal" gel ei steten
Darstellung der allgemeinen Gesetze des Kapitals ex:L
stierende Gewißheit, daß "begrifflich ... die
Konkurrenz nichts als die innre Natur de
Kap i tal s (ist), seine wesentl:i.che Bestimmung, er
scheinend und realisiert als Wechselwirkung der vielen
Kapitalien aufeinander, die innre Tendenz als äußerli
che Notwendigkeit. "ljJ+) Analyse der Konkurrenz kann also
nicht heißen, daß die im "Kapital" dargestellten Gesetze
einer inhaltlich korrigierenden Ergänzung bedürften oder
in ihrem Erklärungsgehalt erst noch nachträglich bestä
tigt werden müßten.
2. Eine wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz hat v el
mehr zu untersuchen, wie sich die Gesetze des Kapi
tals in den verwandelten Formen der Oberfläche und in den
Handlungen der Privatsubjekte durchsetzen. Ihr Gegenstand
ist die Untersuchung, wie die Konkurrenzsubjekte in der
Handhabung ihrer Einkommensquellen Kapital oder Arbeit als
Mittel ihrer Bedürfnisbefriedigung den allgemeinen Ge
setzmäßigkeiten des Kapitals zur Durchsetzung verhelfen
und sich so als Charaktermasken des Produktionsverhält
nisses von Lohnarbeit und Kapital erweisen.
3. Ist die Analyse der Konkurrenz mit Erfol durchgeführt,
dann ist mit der Darstellung der Zwangsgesetze der Kon
kurrenz gezeigt, wie die verkehrten Formen der Oberfläche
nichts als die Durchsetzung der inneren Natur des Kapi
tals sind. 45 ) Es kann also durchaus von einem 'Königs
weg' von der "fertigen Gestal t der ökonomischen Verhäl t
nisse, wie sie sich auf der Oberfläche zeigt, in ihrer
realen Existenz, und daher auch in den Vorstellungen,
worin die Träger und Agenten dieser Verhältnisse sich
über diesel ben klarzuwerden suchen" hin zu "ihrer innern,
167
vJcsentlichen, aber verh~511 ten Kerngestal t und dem ihr cnt-14 ,) ')
sprechenden Begriff" '/ gesprochen werden.
I+. Bei dem Verhäl tnis von Cim !'larxschen "Kapi. tal" schon
dargestellten) allgemeinen Gesetzen der kapitalistischen
Produktionsweise und den (in der wissenschaftlichen Ana
lysc der Konkurrenz noch zu untersuchenden) Formen ihrer
Vurchsetzung in der Oberflächenbcwegung der Konkurrcnz
handelt es sich nicht um ein Problem von Theorie und Rea
lität, von abstrakten Begriffen einerseits und konkreter
Empirie andererseits. In den - oben zitierten - BegrUn
dungen der methodischen Notwendi.gkeit einer Realanalyse
allerdings wird auf der einen Seite die Darstellung im
"Kapital" mit einer bloß "logischen Struktur
des Kapitalbegriffs" gleichgesetzt, auf der anderen Sei
te die Untersuchung der Konkurrenz mit der Analyse des
"w:irklichen Kapitalismus" idenb.fiziert.
Die Realanalyse, von Altvater u. a. unter Berufung auf
arx als DurchfUhrung der Analyse der Oberfläche und Kon
kurrenz darges tell t, erweist sich i.:1J'0rn sachlich0n Ge-
haI 'lach als das Gegent0il: "Analyse der Konkurrenz" ist
hier das Synonym fUr ein Pro;jekt, das durch die "reale"
Untersuchung des "wirklichen" Kapitalismus die theoretische
GUltigkeit und praktische Geltung der im "Kapital" darge
stellten Gesetze erst noch beweisen soll. Aus dem immanen
ten Zusammenhang von allgemeinen Gesetzen des Kapitals und
den Konkurrenzformen ihrer Durchsetzung wird so in der Real
analyse ein wissenschaftstheoretisches Verhältnis zwischen
einern "abstrakten Kapitalbegriff" auf der einen und seiner
als "Realentwicklung" und "Oberfläche" bezeichneten empi
rischen Geltungsinstanz auf der anderen Seite.
168
b) Realanalytische Berechnung der Profitrate
In den VorUberlegungen zu ihrer empirischen Studie Uber
die "Entwicklungsphasen und -tendenzen des Kapitalismus
in Westdeutschland·J+7) heben Altvater, Hoffmann, Schöller
und Semmler nochmals explizit die erkenntnis eitende Ab
sicht der Realanalyse sowie das von ihr zu erbringende
Erkenntnisresultat hervor:
"Wir werden im folgenden zunächst einige methodische Probleme anreißen und dabei versuchen, die wichtigsten Faktoren von Wertbildung, Kapitalverwertung und Wachstum des Kapitals herauszuarbeiten. Dazu bedurfte es 211 lerdings einer grundsätzlichen der verschiede-nen Ebenen der Untersuchung und der ichkeit der Verwendung von Indikatoren, die der bUrgerlichen Statistik entnommen werden. Zum Zweck der Untersuchung der histori hen Entwicklung des Kapitals werden wir dann einige erlegungen zur Analyse von Vlertbildungsprozeß und Akkumulationsprozeß des Kapitals systematisieren und sie in eine Form bringen, die es uns im weiteren erlauben wird, die in der bUrgerlichen Sta-· tistik vorgefundenen Größen zumindest in ihrer Veränderung in der Zeit benutzen und daraus SchlUsse in bezug auf die inneren Tendenzen in der Entwicklung des Kapitals ziehen zu können." 48)
Es soll also der realanalytische Versuch unternommen wer
den,
"fUr Wertbegriffe analoge 111arktpreisbegriffe auf der empirisch-statistischen Oberfläche zu finden, um aus der Bewegung dieser empirischen Größen umgekehrt SchlUsse auf die Wertbewegung ziehen zu können. Drittens i.st es uns auf dieser empirischen Basis daher möglich, für die Bundesrepublik nachzuweisen, daß der Fall der Profitrate zumindest fUr den Zeitraum von 1960 bis 1970 aus den statistischen Daten zu belegen ist ... " 49)
Die Realanalyse bezeichnet ein Forschungsprojekt, dem we
niger die von Marx geplante wissenschaftliche Analyse der
Konkurrenz denn die Verifikationsverfahren moderner empi
rischer Sozialwissenschaft Pate gestanden haben.50
) "Ober
fläche" meint hier nicht die Zwangsgesetze der Konkurrenz,
sondern das empirische Datenmaterial der bUrgerlichen Sta
tistik. Das von Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler
169
mi t der Realanalyse verfolgte wissenschaftliche Anliegen
besteht nun darin, die von Marx im "Kapi tal" dargestell
ten Gesetzmäßigkeiten der Profitrate sowie das Gesetz ih
res tendenziellen Falls in ein Verhältnis zu den in der
volkswirtschaftlichen Statistik vorgefundenen Größen zu
setzen. Dadurch soll einerseits ex post die theoretische
Gültigkeit des Marxschen Gesetzes empirisch nachgewiesen,
andererseits ex ante das methodische Instrumentarium ei
ner empirisch fundierten Einschätzung der inneren Ent
wicklungstendenzen des bundesdeutschen Kapitalismus bereit
gestellt werden. Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler
erheben so ausgerechnet das erklärungs- und kritikbedürf
tige ideologische r~aterial der "bürgerlichen Statistik"
in den Rang einer wissenschaftli.chen Prüfungsinstanz für
die theoretische Gül tigkei t der I\1arxschen "Kritik der po
li tischen Ökonomie". Da[j sich die in der Statistik vorge
fundenen Größen "i.n der Zeit" verändern, ist zwar unbe
streitbar. Kritikabel allerdings ist das realanalytische
Verfahren, aus dem in "mystifizierenden" und "doppelt un
genauen Kategorien ,,51) zusammengefaßten Datenmaterial so
zialwissenschaftlicher und volkswirtschaftlicher Statisti
ken Rückschlüsse auf die Geltung des Gesetzes vom tenden
ziellen Fall der Profitrate ziehen zu wollen. 52 ) Denn wie
sollte die von Altvater selbst konstatierte HaI tl o-
si g k ei t der empirischen Daten der angestrebte An
haI t s p unk t für die zu eruierende Bewegung von Mehr
wert- und Profitrate sein können!
Das Be~lßtsein des Gegensatzes der in der Form der bürger
lichen Statistik geleisteten affirmativen Besichtigung
der Konkurrenz zur wissenschaftlichen Analyse und Kritik
der kapi talistischen Produkti onsweise im "Kapital" liegt
zwar sämtlichen von Altvater, Hoffmann, Schöller und Semm
leI' angestellten methodischen Vorüberlegungen zur Profit
ratenberechnung zugrunde. Allerdings führt dies nicht da
zu, das Projekt selbst fallenzulassen. Vielmehr werden
170
einers ei ts die Schwieri.gkei ten und der "hohe Kompliziert
heitSgrad,,53) einer Realanalyse thematisiert, anderer
seits die Bedingungen eruiert, unter denen si möglich
wird. Als erstes und entscheidendes Problem für eine er
folgreiche rcalanalystische Untersuchung erörtert Al tva
tel' die Tatsache, daß die volkswirtschaftlichen Stati
stiken weder die Kategorie der Profitrate kennen noch Da
ten über ihren aktuellen Stand enthalten:
"Denn getreu dem Fetischismus, dem die bürgerliche Ökonomie seit ihrem Bestehen notwendig unterworfen ist,bereitet ihre Statistik nur Material der Erscheinungsformen auf, ohne die zugrundeliegenden Zusammenhänge und Widersprüche recht wahrzunehmen. So kommt es, daß es auf der Basis des von der Statistik bereitge-stellten Materials kaum ich ist, die Bewegungen der Profitrate zu verfolgen erst recht Schwierigkeiten entstehen, die I\lehrwertrate festzustell en." 5 Lf)
Die Probleme, die sich notwendig bei seinem Anliegen
einstellen müssen, die Bewegung der Profitrate mittels des
von der Statistik bereitgestellten Materials verfolgen
zu wollen, interpretiert Altvater als 0 b je k ti v e ,
dem "Fetischismus" seines Untersuchungsgegenstandes ge
schuldete Schwierigkeiten. Die vollkommene Inkommensura
bilitdt zwischen der Marxschen Analyse von Mehrwert-und
Profitrate mit den konjunkturkurventrächtigen Tabellen
volkswirtschaftlicher Begutachtung der Konkurrenz gelten
Altvater nicht als Hinweis auf die Unlösbarkeit der Auf
gabe, die er sich mit der Realanalyse gestel1t hat. Viel
mehr thematisiert er die innere Natur des Kapitals als
hinderliche Bedingung für die Lösung der real analytischen
Aufgabe, weil sowohl das Wertgesetz wie die ehrwert- und
Profitrate "nicht unmittelbar an der Oberfldche der bür-
f h . ,,53)
gerlichen Gesellscha t ersc. e1nen.
Die Real.analyse hat "sich der Verkehrungen. in denen die innere Organisation der Gesellschaft erscheint, zu ver-gewissern. Dabei ist zu berücksie , daß zwischen grundlegenden Kategorien (z. B. dem ) und erschei nenden Kategorien (z. B. dem Preis) kein einfaches Verhältnis der Transformation besteht. Denn da Vierte nicht
171
erscheinen, und quantitativ meßbar nur das ist, was erschelnt, slnd Werte statistisch prinzipiell nicht meßbar und nur ihre Erscheinungsform als Preis ist faßbar." 56)
Anstelle des mit der Marxschen Analyse des Wertes gef~ll
ten harten Urteils über den Zweck kapi talistischer Ökono
mie - Inhalt der gesellschaftlichen Produktion ist nicht
die Herstellung nützlicher Gegenst~nde zum Zwecke der Be
dürfnisbefriedigung, vielmehr werden Güter nur produziert
um des Tauschwerts willen - mißf~llt Altvater - um es ein
mal polemisch zu formulieren - die Tatsache, daß er nicht
hinter jedem Warenpreis in Klammern den Wert bezeichnet
vorfindet. Ganz ungeachtet des Faktums, daß der Preis einer
l'Jare ihr l'Jertausdruck ist, daß darüber hinaus t~glich
millionenfach die Wertgröße der Waron in Gel d roali
siert wird und mit diesem gesellschaftlich gültigen und
verbindlichen Maßstab sehr praktisch über Reichtum und Ar
mut in der bürgerlichen Gesellschaft entschieden ist, wen
den sich Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler dem un
lösbaren Problem zu, wie man die nach eigenem Bekunden
"statistisch pri.nzipiell nicht meßbare" Wert-"Kategorie"
trotz alledem statistisch in den Griff bekommen könne:
"Die ~ußerliche Kategorie des f1arktpreises liegt somit den statistischen Daten, mit denen wir es in der historischen Analyse zu tun haben, zugrunde. Der Marktpreis und seine Bewegung allein ist meßbar, nicht jedoch die Kategorien, die seine Bewegung letztlich regulieren. Es geht also nicht nur darum, daß die Werte nicht meßbar sind, sondern auch darum, daß nicht einmal der Produktionspreis, in den der l'Jert unter kapitalistischen Verh~ltnissen 'transformiert' wird, als solcher in den statistischen Datensammlungen erscheint. Von den Marktpreisen, deren Tendenz und aktuelle Höhe einer Vielzahl von je besonderen Bedingungen geschuldet sind, kann daher nur unter der Annahme auf die zugrundeliegende Wertbewegung rückgeschlossen werden, daß über eine bestimmte Zei tspanne kalkuliert deren Tendenzen von der Bewegung des l'Jertes bzw. des Produktionspreises reguliert wird und daher sich in den Marktpreisen die Produktionspreise reflektieren. In dieser Annahme sind natürlich eine ganze Reihe von Problemen eingeschlossen. Denn nun wird bei der statistischen Illustration von historischen Tendenzen genau umgekehrt vorgegangen als in der logischen
172
Analyse: W~hrend in der b fflichen Explikabon die ~ußerlichsten orien ' eitet' werden und s erscheinende Ober he aus er Struktur des Kapital resultieren, werden in der historischen Analy e di ~ußerlichsten Kategorien, in diesem Fall dj.e arktpreise, 'benutzt', um Entwicklungstendenzen der Reproduktionsstruktur des Kapitals z,u dokumenberen." 57)
Die von I~arx im "Kapital" geleistete Ableitung des not
wendigen Zusammenhanges der ökonomischen Gegenstände der
kapitalistischen Produkbonsweise etzen Altvater et al-·
teri in ,~nführungszeichen. Ihnen gilt dj.e systemabsche
Darstellung des Begriffs der bürgerlichen Ökonomie als
reine "b griffliehe Explikati on", b der d:L e
"~ußerlichsten Kategorien" - ganz ohne die kapitalisti
sche j.Jirklichkeit zu benötigen - mittels "logischer Ana
lyse" aus einer dahinterliegenden "Struktur des Kapi.ti'ils"
gewonnen werden. 58) Der Auffassung von Altvater, Hoff
mann, Schöller und Semmler zufolge kann die Analyse ni.cht
von Marktpreis und Produktionspreis als Formen der Durch
setzung des Werts zum \vert selbst vorstoßen. Die von 1,1arx
vorgenommene Analyse der Durchsetzungsformen des Wertge-
setzes ersetzen sie durch die Annahme, daß "übor
eine gewisse Zeitspanne kalkulj.ert" di.e Bewegung der ~!jarkt
preise durch die Bewegung des Werts reguliert wird. Nach
dem Altvater et alteri so in einem erCiten Schritt das Vlert
ges etz in ein e Hyp othes e v erwan del t hab en, s oll nun in dem
zweiten Schritt der "statistischen Illustration" dem so-·
eben relativierten Wertgesetz zu empirischer Gültigkeit
verholfen werden.
Zwar unterstellen die "statistischen Illustrationen" ei
nerseits die praktische Existenz sowohl des Wertgesetzes
wie des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate,
wenn sie sich der Berechnung der quantitativen Größe von
Marktpreis und Profitrate zuwenden. Andererseits aber be
ruht die eigene Gewißheit über die von Marx analysierten
Gesetze auf der von Altvater et alteri apriori gemach
ten Annahme, daß sich in den Tendenzen der Marktpreise
173
die Bewegungen der Vierte und Produktionspreise "reflektie
ren". Die Gewißhei t ist insofern eine relative und paart
sich notwendig mi t der Skepsis, ob sich der "logiseh" de
duzierte Fall der Profitrate auch "empirisch" zeigt. Al t
vater et alteri ziehen also zunächst einmal die Gültig
keit des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate
in Zweifel und wenden sich dann zum Zwecke seiner Verifi
kati on der Suche nach "empirischen Indj.katoren für Vlert
veränderung und Kapitalverwertung,,59) zu. Den von Altvater,
Hoffmann, Schöller und Semmler dabei gewußten vi i der-
spruch zwischen der ideologischen "AnschauungsweJ.t
bürgerlicher Geschichtsschreibung", "den Datensammlungen
der Statistik" sowie "empirischen Untersuchungen der So
zialforschung,,60) einersei ts und der I~arxschen "Kri til{ der
politischen Ökonomie" andererseits
"Die filarxsche Theorie ist ja gerade Kritik di esel' Vlis senschaft, insbesondere der bürgerlichen Ökcnomie." 61)
thematisieren sie als Problem des "b es chI' ä n k te n
Aussagewerts ,,62) der bürgerlichen Statistik. Obwehl ihnen
eingestandenermaßen die empirisehen Indikatoren der Pro
.fitrate als "doppelt ungenaue Kategorien,,63) gelten -
" ... sie sind notwendigerweise Verkehrungen der vlesenskategorien und als Verkehrungen noch der definierenden gesellschaftlichen Konvention verdankt." 6/{) -,
sind sich AJ.tvater et alteri andererseits sicher, "die wi
dersprüchlichen Tendenzen im Akkumulationsprozeß des Ka
pitals" ausgerechnet "in den verfügbaren I,laterj.alien der
bürgerlichen Statistik aufspüren zu können. ,,65) Möglich
wird diese Realanalyse, indern Altvater, Hoffmann, Schöller
und Semmler ihre methodischen Bedenken zurückstelJ.en und
"für die auf dj.e Profitrate einwirkenden Komponenten 'korresDondierende' Kategorien in der bürgerlichen Statistik ·finden." 66)
Die Auflistung der "korrespondierenden Begriffe,,67) aus
dem Bereich der "mystifizierenden KategOrien,,68) soll es
nun ermöglichen, den von Marx dargestellten Begriff der
Profi trate si.chtbar zu machen:
"In beiden Schreibweisen stoßen wir aber auf die Schwierigkeit, daß sich Vierte auf der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft nicht als solche darstellen, sondern notwendig die Form des (zufälligen) I4arktpreises annehmen. Die bürgerliche Statistik drückt daher auch nur Aggregate des Gesamtprozesses aus, die in r~arktpreisen bewertet sind. Hier geht es nun darum. sowohl für die Profitrate als auch für ihre bestimmenden Komponenten Indikatoren in der bürgerlichen Statistik aufzufinden, die die jeweiligen Faktoren und ihre Veränderung in der Zeit sichtbar machen, ohne diesen exakt entsprechen zu müssen." 69)
Altvater. Hoffmann, Schöller und Semmler formen nun die
von Marx bestimmte Formel der Profitrate
"(1a) p' m v
v c+v " 70)
mittels der von l.hnen ausgewählten "den I~arxschen Begriffen
analogen Kategorien" der "bürgerlichen Statistj.k,,71) \4ie
folgt um:
I. Der Mehrwertmasse m "korrespondiert" die Profitmasse
P, welche sich &U5 der Differenz von Nettoprodukt Y und
Lohnsumme VI errechnet, so daß man folgende "analoge" For
meln erhält:
" (2) m m v
v (2') P ~ Y - v/" 72)
Die Formel (2') wird von Altvater et alteri mit Hilfe der
Einführung der Lohnquote 1'1 ~ zusätzlich wie folgt um
geformt (ohne allerdings mehr darzustellen als eine bloß
andere Schreibweise):
"( 2') P
(2') P
Y
Y
vi (1 - w)" 73)
11. Der Kostpreis c + v "korrespondiert" dem Kapitalstock
K, auch wenn K eingestandenermaßen nur einen Teil von
c + v, nämlich das konstante fixe Kapital c fix umfaßt. a~so
17'5
!lvon vornherein der gesamte zirkulierende Te:i.l des VOT-
zuschießenden tals (= czirk
+ v) aus der Betrachtung )
heraus(fäll )."
I I. Altvater et alteri erhalten so die
"analoge" KapitaJrentabilität"
"(4)p'= m v
v c+v
( I{ , ) 1f
der Profitrate
y . (1-w) " K 75)
Dieselbe Formel. (Li') der Kapitalrentabilität 'ii läßt sich
Ubersichtlicher auch wie folgt ausdrUcken:
~ c+v
(LI' )
Man sieht, daß Altvater et alteri nach vier Seiten defi
nitiver Umformungen kein anderer Erkenntnisfortschritt
gelungen ist, als die Formel der Profitrate in de facto
"bGrgerlicher Schreibweise" zu formulieren.76
)
V. Auf fUnf weiteren Seiten mathematischer "Ableitung"
versuchen A tvater et alteri, die Kapitalrentabilität
durch die Einarbeitung der organischen Zusammensetzung
+, indiziert durch die "Arbeitsproduktivität t" und die
~K~Pi talintensi tät f,,7'!) fortzuentwickeln. Als Formel mit
ej.nem "höheren" (und zum damaligen Zeitpunkt höchstem)
"AuSSagewert,,78) erhält man:
"(7) p' m'
1~ v
(7' ) 'iT = t (1-w)
K I
79)
Man sieht, wie sämtliche von Altvater, Hoffmann, Schöller
und Semmler angestrengten Umformungen der Profitrate re
spektive Kapitalrentabilitätsformel keinen Erkenntnisfort
schritt erbracht haben. Statt vorgeblich den "Aussage
wert" zu erhöhen, handelt es sich bei sämtlichen Opera
tionen um bloß tau t 01 0 gis c he Umformungen der Aus-y-w
gangsformel Ir --y. Dies sei an der fortentwickelsten
176
und relativ exaktesten Formel (7') demonstriert: Zunächst
fäll tauf, daß "Kapi talintensi tät" und "Arbei tsprodukti
vität", welche in ihrem Verhältnis ~ie organische Zusam
mensetzung anzeigen sollen, Uberhaupt keine Rolle spielen,
da sich der Faktor L herauskUrzen läßt. Man erhält so wie
der die Formel (4'):
" (1+' ) y . (1 -w) " K
80)
Setzt man nun statt der Lohnquote w das sie ausmachende
Verhältnis ~ ein, so erhält man in bloß d I' e i Schrit
ten die Ausgangsformel :
w y . (1-y)
K
y_y . vi y K
y-w --y
Die von Altvater konzipierte, der Profitrate entsprechen
de Formel der Kapitalrentabilität ist also das Verhältnis
aus Nettoprodukt und Lohnsumme zum Kapitalstock. Formu
liert man nun wieder die "bUrgerliche Schreibweise" in
"Marxsche Kategorien" zurUck, ergibt sich allerdings ein
überraschendes Resultat:
T y-w
Y --y ~ m+v W .", v K ... c fix
p' m+v-v m anstelle p' m
c fix von
c fix cfix+czirk+v
Gemäß der von Al tvater "abgeleiteten" Formel ist die Kapi
talrentabilität - und ungefähr parallel dazu die Profit
rate - umso größer, je größer die r4ehrwertmasse im Verhält
nis zum konstanten fixen Kapitalbestandteil. Dies stellt
den von Marx in der Profitrate analysierten Zusammenhang
der kapitalistischen Produktionsweise auf den Kopf: Aus dem
Kapi tal al s s ich seI b s t ver wer t end e r Wer t ,
177
dessen Überschuß auf der durch die t4ehrwertrate gemesse
nen Exploitation unbezahlter Arbeit beruht und in der Pro
fitrate an der insgesamt aufgewendeten Kapitalsumme sei
nen 14aßstab findet, ist mi t Al tvaters Rentabilitätsformel
eine kapitalistische Unmöglichkeit geworden. penn hier ist
nicht nur die Größe der Profitrate direkt proportional der
Ersparnis an Kosten für fixes Kapital - ein Zusammen
hang, welcher der wirklichen Kalkulation des Kapitals wi
derspricht, denn für dieses ist nicht Sparsamkeit an fi
xem Kapi tal, sondern umgekehrt seine ver m ehr t e Aus
lag e als ~1i ttel effektiverer Anwendung der Arbei tskraft
das Gebot der Konkurrenz. Darüber hinaus ist in der Renta
bilitätsformel der Ursprung des Überschusses in ein voll
kommenes Rätsel verwandelt, weil in ihr das variable Kapi
tal, also die Mehrarbeit leistende Arbeitskraft, als Größe
nicht mehr vorkommt.
Ungeachtet der Tatsache, daß die von ihnen erarbeitete For
mel der "Kapitalrentabilität als Ausdruck der Profitrate
in ihren inneren Tendenzen,,81) das Kapitalverhältnis, al
so das Kapital als sich selbst setzenden \>Iert, in eine
durch seine Auslagen an fixem Kapital unvermeidlich be
schränkte und automatisch zum Scheitern verurteilte Sache
verwandelt, gehen Altvater, Hoffmann, Schöller und Semm
leI' nun zur rechnerischen Anwendung der von ihnen kon
zipierten Rentabilitätsformel über. Sie setzen die sta
tistischen Daten von 1960 bis 1971 ein und erhalten fol
gendes Ergebnis:
"Es geht aus der Tabelle eindeutig der tendenzielle Fall der 'Profitrate'« der westdeutschen Industrie in den 60er Jahren hervor. \>Iir wollen an dieser Stelle nicht auf die darin eingeschlossenen Probleme hinsichtlich der Entwicklungsbedingungen des westdeutschen Kapitalismus eingehen; dies ist den ausführlichen Ausführungen unten vorbehalten. Hier geht es lediglich um die methodische Dimension des Problems. Die 'Profitrate' r , wie sie in der Tabelle dokumentiert ist, ist nicht identisch mi t der Profitrate p', wie sie r~arx bestimmt hat, sondern ist die Kapitalrentabilität. In ihrer Veränderung aber dürfte sie ungefähr die Veränderung der Pro-
178
fi tra te angeb en. Denn wenn p' un d 11" aue h ungl ei c h sind, so besteht zwischen beiden doch eine Bezi die sich als Parallelität der Bewegung ausdrückt. deshalb ist es möglich, Ir als Indikator und Illustration für die Veränderung der Profitrate p' zu verwenden und Schlußfolgerungen hinsichtlich der Akkumulationsbedingungen des Kapitals und der Kapitalanlage zu ziehen. 1I 82)
Zwar wissen A1tvater, Hoffmann, Schöller und Semmler ei
nerseits darum, daß die (von ihnen anfangs noch j.n An
führungszeichen gesetzte) "Profitrate Ir " nicht identisch
mit der im "Kapital" analysierten Profitrate p' ist. An··
der ers ei ts brj,ngen sie im Ver lau f ihr es Bewei s gangs den
Gegensatz beider Raten zum Verschwinden: Obwohl die Prc
fitrate 7r" nicht mit der tatsächlichen Profitrate p' über
einstimmt, dürfte den Autoren zufolge ihre Veränderung
"ungefähr" di Veränderung der Profi trate p' anzeigen.
Der "eindeutige" Nachweis des tendenziellen Falls der Pro
fitrate beruht allerdings auf der grundlosen Annahme ei
ner "Parallelität der Bewegung" beider Baten - grundlo:3,
weil die wirkliche Bichtung, in die sich eine Rate be
wegt, von den in ihr jeweils ins Verhältnis gesetzten
Größen abhängt. Und darin unterscheiden sich ?r und p'
nicht unwesentlich, fehlen doch bei ersterer Rate die
Größen des variablen und z:irkulierenden konstanten Kapj"
tals (v+czirk
), Aus diesem Grunde müssen die Veränderun
gen von Fund p' notwendig differieren und eine Paralle
lität der Bewegungen kann bestenfalls zufällig sein.
Die von Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler in um
fangreicher Darlegung der "methodischen Dimension des Pro
blems" nachgewiesene objektive f"!öglichkeit, die Kapital
rentabilität F als Indikator und Illustration für die
Veränderung der Profitrate p' zu verwenden, beruht alse
allein auf dem subjektiven Beweisinteresse, Jie "Profit
rate" "iT als empirisches nerkmal der im "Kapi tal" ana
lysierten Profitrate p' interpretieren zu wollen:
179
"Mi t dem empirischen Nachweis, daß die Kapi talrentabilität in Westdeutschland seit Mitte der 50er Jahre tendenziell gefallen ist, ist keineswegs die Marxsche Theorie vom tendenziellen Fall der Profitrate empirisch bewiesen. Darum geht es uns auch gar nicht. Nur ist. es auf diese Weise der empirischen Untersuchung von Entwlcklungsprozessen in einem kapitalistischen Land in einem konkreten Zeitabschnitt möglich, die Entwicklungstendenzen und ihre Widersprüche in den Marxschen Kategorien auf den Begriff zu bringen." 83)
Einmal abgesehen davon, daß mit der Formel der Kapitalren
tabili tät 7r ökonomische Entwicklungstendenzen in West
deutschland nicht in "~larxschen Kategorien", sondern besten
falls in solchen der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre
"auf den Begriff zu bringen" sind; ebenfalls abgesehen da
von, daß' der Nachweis gesunkener Kapi talrentabili tät als
Indikator der Profitrate gelten und - entgegen obigem De
menti - in der Tat die empirische Geltung des Gesetzes ih
res Falls beweisen soll, muß das von Altvater, Hoffmann,
Schöller und Semmler mit Hilfe der realanalytischen Be
rechnung der Profitrate erreichte materiale Forschungsre
sultat als äußerst dürftig angesehen werden. Es besteht dar
in, ein Fa k turn di e fall ende Tendenz der Kapi talren
tabilität, empirisch nachgewiesen zu haben
ein Faktum, das noch nicht einmal von den bundesdeutschen
Unternehmerverbänden und ihren Wirtschaftsinstituten be
stritten wird. Schließlich führen sie selbst den Fall der
Kapitalrentabilität als Kampfparole in Tarifverhandlungen
an, weil ihnen das Faktum gesunkener Rentabilität als sach
verständiges Argument gegen das gewerkschaftliche Interes
se an Lohnerhöhungen oder Arbeitszeitverkürzungen gilt.
Der empirische Nachweis einer von Unternehmerorganisationen,
Regierung und Gewerkschaften ohnehin nicht in Frage gestell
ten Rentabilitätstendenz muß als ein überflüssiges wissen
schaftliches Anliegen erscheinen, so daß am Endpunkt durch
geführter Realanalyse die Frage nach ihrer Leistung im Rah
men der Rekonstruktion Marxscher Theorie noch einmal gestellt
und rückblickend beantwortet werden soll.
180
Erstens. lh t der Durchführung der Realanalyse verbinden
Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler erklärtermaßen
die Erwartung, sie solle die von Marx analysierten und
dargestell ten allgemeinen Gesetze des Kapitals "sicht
bar machen". 84) Durch die Instrumentalisierung von Be
grifflichkeiten der "bürgerlichen Statistik" versuchen
sie, Wertgesetz, Mehrwert- und Profitrate zu "illustrie
ren ,,85) und dadurch nachzuweisen, "daß allgemeine kapi
talistische Entwicklungsgesetze auch heute ncch gel·-
ten .,,86) Die Skepsis gegenüber der praktischen Gel tung
des von Marx dargestellten Gesetzes vom tendenziellen
Fall der Profitrate - es gilt Altvater zunächst als blo
ßes Denkresultat "der begrifflichen Explikation der 1,0-
gik des Kapitals,,87) - führt Altvater et alteri dazu,
die bloß "logische" Analyse durch die "empirisch-histori
sche" Realanalyse zu ergänzen. Sie soll den allgemeinen
Gesetzen des "Kapi tals" zu real ökonomischem Inhal t und
empirischer Gültigkeit verhelfen. Da aber die von Altva
ter, Hoffmann, Schöller und Semmler dokumentierten Ent
wicklungstendenzen der Profitrate auf der unbegründeten
An nah me ihrer Parallelität mi t der Kapi talrentabili
tät beruhen, bleibt selbst bei erfolgreicher Auswertung
des Datenmaterials sozi al wissenschaftlicher und volks
wirtschaftlicher Statistiken die Skepsis bestehen, ob die
"illustrierten" allgemeinen Gesetze des Kapitals auch
wirklich re ale und die "dokumentierten Entwicklungs
tendenzen " der Profi trate tatsächlich da u er ha f t e
sind. Der in der Zeitschrift "Probleme des Klassenkampfs"
postulierten und praktizierten Realanalyse ist so die Un
sicherheit über die Marxsche "Kritik der politischen Öko
nomie" zum Programm geworden. 88)
Zweitens. Nichts muß sowohl vom theoretisch-wissenschaft
lichen wie praktisch-politischen Standpunkt aus uninteres
santer erscheinen als das Interesse, die Größe der Pro-
fi trate berechnen zu wollen. Denn das ökonomische Phäno-
Krise ist ein Resultat der Uberakkumulation
181
von Kcepital, also für sich schon ein eindeutiger "Nachweis"
der "empirischen" Geltung des Gesetzes vom tendenziellen
Fall der Profitrate. 89 ) Das in der Krise offenkundige
akt um des Falls der Profitrate nochmals rechnerisch
bewej.sen zu wollen, ist überflüssig. Zudem fallen die real-
analytischen Versuohe zur Berechnung der quantitati-
v e n Größe der Profitrate hinter die von [Ilarx geleistete
Analyse der Qua 1 i t ä t des Gesetzes vom tendenziellen
Fall der Profitrate zurück. Während r4arx untersucht hat,
wie die vom Kapital zur Steigerung der Profitrate ins Werk
gesetzten Produktionsmethoden des relativen ~lehrwerts zu
gleich notwendig ihren tendenziellen Fall bewirken, wel
ehe Folgen die Krise für Kapitalisten einerseits und 10hn
arbe:Lter andererseits hat und wie das Kapital sie wieder
überwindet90 ), ist das Resul tat der Realanalyse das bloße
Datum, daß die Profttrate von 1960 - 1970 in West-
deutschland gesunken ist.
Drittens. Die Kenntnisnahme dieses Faktums wird dabei von
Altvater, Hoffmann, Sohöller und Semmler als die empiri-
sc he Daten b as i s für "Sc hl u ßf 01 gerungen hins ichtU. c h der
Akkumulationsbedingungen des Kapitals und der Kapitalanla
ge,,9 1 ) angesehen. Den Berechnungen der Profitrate liegt so
mit noch ein zusätzliches, über den empirischen Realitäts
beweis des Profttratenfalls hinausgehendes Interesse an der
Einschätzung der Erfolgsaussichten der Kapi talakkumulation
zugrunde, nämlich
"die Klärung der Frage, welches die Entwi und -tendenzen des westdeutschen
nächsten ,Jahren sein werden." 92)
edin-
Nicht die wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz und ih-
rer Verlaufsformen , vielmehr die Prognose ihrer mög-
lichen zukünftigen Entwicklungen ist das Anliegen der Real
analyse. Die im "Kapital" geleistete Darstellung und Kri
tik der allgemeinen Gesetze der kapi talistischen Produk
tionsweise wird dabei reduziert auf ein methodisches 1n-
182
strumentarium, um "Fragestellungen zu entwickeln, die den
an historischen Erscheinungen ausgerichteten Forschungspro-ß I' -I- •• ,,93) w ze zu eleen vermogen. ie mit der Erstellung von Kri-
senprognosen ein weiterer entscheidender Schritt in Rich
tung "Krise des r~arxismus" getan wird, soll im nächsten
Kapitel nachgezeichnet werden.
183
2. Krisentheorie und Krisenprognose (ElmaI' Altvater und
Zeitschrift "Probleme des Klassenkampfs")
a) Krisentheorie: die Legitimation marxistischer Gesell
schaftskritik aus den Verwertungsschwierigkeiten
des Kapi tals
Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler zufolge "umschl:Leßt"
die Realanalyse nicht nur die Berechnung der Profitrate,
sondern auch und gerade die "Momente und Erscheinungsfor-
men der Krise im Reproduktionsprozeß des KaPitals.,,94) Daß
sich die auf l\jarx berufenden Kapi talismuskri tiker schwer-
g um die Ausarbeitung einer Kr i s en theorie be
mühen, resultierte allerdings weder aus der Entdeckung von
Unstimmigkeiten in der von lliarx geleisteten Analyse des
Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate noch aus
dem Wü~sen darum, daß die im 3. Band des "Kapital" enthal
tene Darstellung des allgemeinen Grundes der Krise noch
um die Analyse ihrer Durchsetzungsformen in der Konkurrenz
der Kapi tal e, im Kredi tüberba'.l und der staatlichen Wirt
schaftspolitik zu ergänzen ist. 95 ) Für Altvater ist Kri
sentheorie gleichbedeutend mit Krisenprognose. Sie soll
der "Beschaffung von konkreten Analysen der Entwicklungs
möglichkeiten und -erwartungen des Kapitalismus,,96) die
nen und dabei vor allem die Entwicklungstendenzen zur Kri
se einschätzen. Denn diese Phase des Konjunkturzyklus gil t
Al tvater als das I~oment der kapitalistischen Produk
tionsweise. an dem sich die BeI' e c h t i gun g marxisti
scher Gesellschaftskritik erweist. Umgekehrt soll gerade
das bis zur ersten Rezession 1967 erfolgreiche und krisen
freie Wachstum der bundesdeutschen Wirtschaft es marxisti
schen Kritikern schwer gemacht, wenn nicht gar verunmög
lich haben. erfolgreich Argumente gegen die Wirklichkeit
der westdeutschen Marktwirtschaft ins Feld zu führen:
18~
"Der Kapitalismus hat noch nie so gut funktioniert wj.e in den vergangenen zwanzig Jahren. Hohe wirtschaftliche Wachstumsraten sicherten eine stetig steigende Warenfülle; Krisen größeren Ausmaßes erschütterten bisher seine Wirtschaft nicht; sozialrevolutionäre Bewegungen haben bisher die Herrschaft des Kapitals in kei nem hochindustrialjsierten kapitalistischen Lande beseitigen können; und die bürgerliche Wirtschaftstheo-rie behauptet, das 'moderne wirtschaft itische In-strumentarium' entwickelt zu haben, mit auch in Zukunft die kapitalistische Entwicklung krisenfrei manipuliert werden könne." 97)
Durch die bundesdeutsche Krise 1967 ebenso wie die Welt
währungskrise Ende der 6üer Jahre sieht Altvater den Glau
ben an die Möglichkeiten zur krisenfreien Manipulation
des kapitalistischen Wirtschaftswachstums erschüttert und
die eigene Kapitalismuskritik bestätigt. Wenn er allerdings
die Tatsache, daß "die Wirklichkeit der Kapitalentwicklung
auch in der Bundesrepublik die Krise wieder auf die Tages
ordnung gesetzt,,98) hat, als wesentlich und entscheidend
für Geltung und Erfolg seiner Kapitalismuskritik erachtet,
dann ist dem zumindest soviel über deren Kriterien und
Maßstäbe zu entnehmen: Altvater teilt den Erfolgsrnaßstab
volkswirtschaftlicher Konjunkturbegutachtungen. Das Kri
terium seiner Kritik ist die Fun k ti 0 n s t ü c h t i g_.
k ei t des Kapitalismus , wobei als positives Indiz "hohe
wirtschaftliche Wachstumsraten" und "stetig steigende Ha
renfülle", als negatives das "Ausbleiben von Krisen grö
ßeren Ausmaßes" und "sozialrevolutionäre Bewegungen" an
geführt werden. Obwohl doch hohe wirtschaftliche Wachs
tumsraten ein eindeutiger Hinweis auf die erfolgreiche Ex
ploitation der Arbeiterschaft sind und steigende Haren
fülle keineswegs identisch mit ebensolchem Ansteigen der
Kaufkraft der Bevölkerung ist, beide Phänomene also hin
reichende Gründe für Kritik am 'deutschen Wirtschaftswun
der' darstellen, sollen erst die in der Krise zutage tre
tenden Verwertungs schwierigkeiten übererfolgreicher Akku
mulation das Argument der Kapi talismuskri tik sein.
185
Altvater ersetzt hiermit die Kritik der Gesetzmäßigkeiten
funktionierender kapitalistischer Reichtumsproduktion in
Aufschwung, Boom und Krise samt ihrer in jeder Konjunk
turphase schädigenden Wirkungen auf die lohnarbeitenden
Produzenten durch die kritische Beurteilung dey Ökonomie
und ihrer staatlichen Verwaltung vom Standpunkt
ihr e s Er f 01 g s, um Staat und Kapi tal mi t dem Deu-
ten auf die Krise ihr unausweichliches S ehe i t ern vorzurechnen:
"Die Politik der ÜberWindung der ökonomischen Rezession hat die WidersprUche, die in der Rezeasion ihre krisenhafte partielle Lösung fanden, lediglich externalisiert, nach außen geschafft ... Daraus ergibt sich aber, daß die Politik des Krisenmanagements noch nicht einmal ihren immanenten AnsprUche genUgt, Krisenmanagement erfolgreich betreiben zu können." 99)
Eine marxistische Krisentheorie hat also die Bedingungen
der Kapitalakkumulation zu beobachten und die Erfolgsaus
sichten staatlichen Krisenmanagements einzuschätzen. Der
prognostizierte Mißerfolg kapitalistischen Wirtschafts
wachsturns sowie seines politischen "Managements" gilt
Altvater umgekehrt als der Berechtigungsmaßstab marxisti
scher Kapitalismuskritik. Die Etablierung des praktischen
Erfolgs des Kapitalismus als theoretisches Geltungskri
terium seiner Kritik enthält allerdings immer schon eine
immanente Ko~sequenz: Denn funktionierte der Kapitalismus
und hätte er Erfolg, dann blamierte sich die Kritik an
ihre~ eigenen Maßstäben, besäße keine Berechtigung mehr
und mUßte konsequent sie h selbst anstelle des west
deutschen Kapitalismus in der Krise sehen. Man wird ver
folgen können, wie Altvater u. a. diese im Konjunktiv for
mulierte Bedingung im Verlauf von zehn Jahren in einen
Indikativ Ubersetzt haben. Zu Beginn der Rekonstruktion
des Marxismus in der Bundesrepublik allerdings rekla~ier
ten sie den Erfolg ihrer Kapitalismuskritik, weil sie die
Krise des Kapitals als Ausdr~ck des Mißerfolgs des Kapi
talismus interpretierten:
1135
Die Wel twährungskrise "ist eine der Erscheinungsforrr.l;:,n, in der sich dj.e kapitalistischen Krisen heu~e ausdr~Kken. Sie ist vielleicht der Ausgangspunkt fur elne dll-
. e Krl· se des Wel tkapi talismus , die dann allerdlngs gemeln . ' . "100) nicht nur Wirtschaftskrlse seln wlrd.
Insofern Al tvater unter Berufung auf die l"arxsche "Kritik
der politischen Ökonomie" die Krise mit mangelhaftem Funk
tionieren der Kapitalakkumulation gleichsetzt und die pro
gnostizierten Wirtschaftskrisen mit dem mögl ehen Beginn
einer allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems iden
tifiziert, soll zunächst in einem Exkurs die "Krisentheo·
rie" von Marx behandel t werden. Der Exkurs soll unter an-
derem die Frage erörtern, ob die Krise ein Ausdruck ge
scheiterten kapitalistischen Wirtschaftswachstums ist, und
einen Beitrag zur Klärung des Problems leisten, ob ~arx im
"KaDital" eine Prognose des unvermeidlichen Untergangs des
Kap~talismus aufgestellt hat. Da~ach werden die Fortschrit
te materialistischer Krisenprognosen von zunächst optimi
stischen hin zu zuletzt desillusionierten Einschätzungen
der Entwicklungstendenzen des westdeutschen Kapitalismus
nac hgez ei c hn et .
187
Exkurs: Der allgemeine Grund und die Verlaufsformen der Krise
Marx beatimmt den Grund der Krise darin, daß die Kapitale
in dem Bestreben, sich in der Konkurrenz durchzusetzen,
ohne Rücksicht auf die vorhandenen Schranken des Markts
oder der zahlungsfähigen Bedürfnisse produzieren. Die von
ihoen vollzogene Entwicklung der Pro d u k t ion gerät
in Gegensatz zu dem Zweck, den sie verfolgen. nämlich die
Vermehrung hres Kap i tal s
"Das Mittel - unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte - gerät in fo~twährenden Konflikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandenen Kapi tals." 1 01)
Das Kreditwesen, der Hebel für die Akkumulation des pri-
vaten Reichtums, ist zugleich der Hebel für die
produktion. Es gestattet den Unternehmern,
Über
die Ent-
wicklung ihrer Betriebe so durchzuführen, als wären sie
dabei unabhängig von der Realisierung ihrer Gewinne auf
dem Markt. Die Bedingungen des Markts behandeln sie als
ihre Voraussetzung, indem sie sich - aufgrund des Zwangs,
sich unter diesen Bedingungen gegen andere zu behaupten
- im Geschäft des unmittelbaren Produktions- und Exploita
tionsprozesses so verhalten, als wäre mit diesem Geschäft
ihre Akkumulation gesichert. Weil die Marktoperationen ih
res Umsatzprozesses praktisch von dem Fortschritt der in
dustriellen Erweiterung ge t ren nt als eigenes Unter
nehmen konkurrierender Waren- und Geldkapitalisten voll
zogen werden, und weil jeder der an dieser Konkurrenz be
teiligten Kapitalisten seinen Vorteil aus der Fiktion
schlägt, "die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation
und die ihrer Realisation,,102) seien i den t i s eh,
wirken sie alle miteinander auf den Nachweis des Gegen
teils hin, den die Krise erbringt:
"Die einen sind nur beschränkt durch die Produktivkraft der Gesellschaft, die andren durch die Proportionalität der verschiednen Produktionszweige und durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft ... Je mehr sich aber
188
die Produktivkraft entwickelt, um so mehr gerät sie in Widerstreit mit der engen Basis, worauf dj.e Konsumb.ons verhäl enisse beruhen." 1 03)
Der Grund der kapitalistischen Krisen besteht also in der
Überakkumulation von Kapi tal: es ist erfolgreich
zu viel Reichtum in Bezug auf den Zweck seiner wei eren
profitlichen Vermehrung angehäuft worden. Mit dem
Grund der Krise sind auch zugleich ihre notwendigen Ver
laufsformen sowie der Weg ihrer Bewältigung vorgegeben.
Denn wenn die Verwandlung von Gewinn in neues Kapital in
solchem Maße den Reichtum der Kapitalistenklasse vermehrt
hat, daß die Bedingungen für seine weitere profitable Ver
wendung in der Gesellschaft fehlen, dann eröffnet die Kon
kurrenz der über Markt und Kredit voneinander abhängigen
Geschäftsleute nicht die "allgemeine Krise des Kapitalis
mus,,104) und den endgültigen Zusammenbruch der freien Markt
wirtschaft, sondern die einzelnen Kapitalisten bemühen sich
nach Kräften, gegen die anderen ihre Akkumulationsbedin
gungen zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Der Begriff
der Krise besteht ja gerade darin, daß dem Kapital das
fehlt, worauf es ihm einzig ankommt, der Profit - so daß
es einzig darum geht, das Vermögen, welches keinen Gewinn
abwirft und somi t kein Kapi tal darstellt, aus der Konkur
renz auszuschalten oder so zuzurichten, daß es wieder Ge-
winne macht. Die
r.\1 ttel dafür:
Entwertung von Kapital ist das
"Die periodische Entwertung des vorhandnen Kapitals ... (ist) ein der kapitalistischen Produktionsweise immanentes Mittel ... , den Fall der Profitrate aufzuhalten und die Akkumulation von Kapitalwert durch Bildung von Neukapital zu beschleunigen ... " 105)
Die Entwertung betrifft alle Formen und Bestandteile des
Kapi tals:
1. Insofern sich die Überproduktion von Kapital an der Un-
verkäuflichkeit von Waren zu Preisen zeigt, die einen
Gewinn erbringen, vollzieht sich die Entwertung von Kapi·-
189
tal in Form von Preissenkungen, wenn nicht sogar im Lie
genbleiben und Verrotten von Waren:
"Ein Teil der auf dem Markt befindlichen Waren kann seinen Zirkulations- und Reproduktionsprozeß nur voll~iehn durch ungeheure Kontraktion seiner Preise, also durch Entwertung des Kapitals, das er darstellt." 106)
2. Die Stockung des Verkaufs der Waren bringt die von der
spärlichen Nachfrage betroffenen Kapitalisten in Zahlungs-
schwierigkeiten. Gel d wird Mangelware und das Ver-
trauen, das mancher Unternehmer in Gestalt von Krediten
aller Art in Anspruch genommen hat, erweist sich als
grundlos:
n ... in allgemeiner Krise der Überproduktion j.st der Widerspruch nicht zwischen den verschiednen Arten des produktiven Kapitals, sondern zwischen dem industriellen und loanable Kapital. .- zwischen dem Kapital, wie es als ln den Produktionsprozeß direkt involviert und wie es als Geld selbständig (relativement) außer demselben erscheint. n 107)
3. Die positive Abhängigkeit, in die sich die Kapitalisten
durch den Kredit voneinander begeben haben, ver all ge
me i n er t die Krise. Die Zahlungsunfähigkeit des einen
Kapitalisten zieht die des anderen nach sich:
nDiese Störung und Stockung paralysiert die mit der Entwicklung des Kapitals gleichzeitig e, auf jenen vorausgesetzten Preisverhältnissen eruhende Funktion des Geldes als Zahlungsmittel, unterbricht an hundert Stellen die Kette der Zahlungsobligationen an bestimmten Terminen, wird noch verschärft durch das damit gegebnen Zusammenbrechen des gleichzeitig mit dem Kapital entwickelten Kreditsystems und führt so zu heftigen akuten Krisen, plötzlichen gewaltsamen Entwertungen und wirklicher Stockung und Störung des Reproduktionsprozesses und damit zu wirklicher Abnahme der Reproduktion." 1 08)
4. Ein teilweiser oder völliger S t i 1 1 s t a n d der
Produktion ist geboten, wenn sich die Aufwendungen
für Umlaufvermögen aller Art als von vorneherein unren
table Ausgaben erweisen:
190
"Unter allen Umständen aber würde sich das Gleichgewicht herstellen durch Brachlegung und selbst Vernichtung von Kapital in größrem oder geringrem Umfang. Dies würde sich erstrecken zum Teil auf die materielle Kapitalsubstanz; d. h. ein Teil der Produktionsmittel. fixes und zirkulierendes Kapital, wUrde nicht fungi~ren, nicht als Kapital wirken; ein Teil begonnener Produktionsbetriebe würde stillgesetzt werden. n 109)
Die Reduktion der Produktion, die sich diejenigen Betrie
be leisten können, die aufgrund der partiellen Absetzbar
keit ihrer Waren nicht mit der Illiquidität zu kämpfen
haben, ist jedoch nur das praktizierte Einverständnis,
daß es an Gewinnen fehlt. Das ist für sich keineswegs aus
reichend, um sich als Kapitalist zu behaupten. Die roten
Zahlen lassen sich nur beseitigen, wenn dieselben Metho
den, die ein Unternehmer zur Produktion seines Überschus
ses praktiziert, in den schwierigen Zeiten der Krise ganz
besonders sorgfältig angewandt werden: es muß rationali
siert werden, ohne daß die für die kostspieligen Investi
tionen erforderlichen Gewinne zur Verfügung stehen. Der
Reaktion auf die Krise, die unter den Lohnarbeitern zu
Entlassungen führt. folgt also in den Betrieben, die re-
aktionsfähig sind, die Bewältigung der IIrise:
"Die Stockung der Produktion hätte einen Teil der Arbeiterklasse brachgelegt und dadurch den beschäftig-ten Teil in Verhältnisse gesetzt, worin er sich eine Senkung des Arbeitslohns, selbst unter den Durchschnitt, gefallen lassen müßte; eine eration, die für das Ka-pital ganz dieselbe Wirkung . als wenn beim Durch-schnittslohn der absolute oder relative Mehrwert erhöht worden wäre." 110)
Der erste Teil der Krisenbewältigung besteht in der Stei
gerung der Leistung der verbliebenen Beschäftigten. die
im zweiten Teil die mit Hilfe von Arbeitslosigkeit und
Sonderleistungen erwirtschafteten Gewinne ermöglichen.
Die Bewältigung der Krise geschieht also durch ern e u _.
ten Vollzug all der Maßnahmen, die das Geschäft
von Kapitalisten auszeichnen und aufgrund der diversen
191
Formen von Entwertung wieder Erfolg bringen:
"Die eingetretne St der Produktion hätte eine spätere Erweiterung oduktion innerhalb der ka-
talistischen Grenzen - vorbereitet. Und so würde der von neuem durchlaufen. Ein Teil des Kapitals,
das durch Funktionsstockung entwertet war, würde seinen alten Wert wiedergewinnen. Im übrigen würde mit erweiterten Produktionsbedingungen, mit einem erweiterten Markt und mit erhöhter Produktivkraft derselbe fehlerhafte Kreislauf wieder durchgemacht werden." 111)
Der wieder in Gang gebrachte Erfolg des Geschäfts beruht
allerdings neben den in der Krisenkonkurrenz fälligen Kon
kursen und Entwertungen vor allem darauf, daß die "Arbeit
geber" eine "Arbeitnehmerschaft" vorfinden, die der Kri
senbewältigung durch gesteigerte Leistung und gesenkte
Ansprüche keinen 1:Iiderstand entgegensetzt. Nur dann läßt
sich ein konsolidierter Markt für wieder steigende Gewin
ne und diese für die Neubelebung und Ausdehnung des Mark
tes einsetzen.
Das Besondere an der Konkurrenz in der Krisenphase des
Zyklus liegt also darin, daß die Kapitalisten die fehlen
den Gewinne zum Anlaß nehmen, die mit ihrem Geschäft ver-
bundenen Gegensätze so auszutragen, daß andere für
die Wiederherstellung der durch zuviel Akkumulation ge
störten Akkumulationsbedingungen einzustehen haben. Man
sieht, weit entfernt davon, Beleg des Mißerfolgs kapita
listischer Produktion und damit "Ausgangspunkt für eine
allgemeine Krise des 1:IeltkaPitalismus,,112) zu sein, ist
die Krise ein Resultat zu erfolgreicher Exploitation.
Die Entwertung des Kapitals, die in der Krise praktizier
te Vernichtung des materiellen Reichtums zugunsten seiner
Wertform, ist die dem Kapitalismus funktionale Weise, um
dem "Konflikt der widerstreitenden Agentien (periodisch)
LUft,,113) zu machen und so neuer und auf gewaltigerem
Maßstab vonstatten gehender Akkumulation den Weg zu be
reiten. Wenn Marx diesen Sachverhalt zugleich als die
"wahre Schranke,,114) des Kapitalismus bezeichnet, dann be-
192
stimmt er damit den in der Krise zur Anscha~ung gebrach-
ten Widerspruch einer Produktionsweise. die den ma-
t e r i eIl e n Reichtum in einem in früheren Gesellsc
ten unvorstellbaren Ausmaß steigert, aber n~r als ~ittel
und zum Zweck seiner Vermehrung in abstrakter. im Gegen
satz zur BedUrfnisbefriedigung seiner })rodu enten ste
hender 1:1 e rtf 0 r !Ti :
"Es wird nicht zuviel Heichtum produziert. Aber es wi.rd periodisch zuviel Heichtum in seinen italistisc . gegensätz ichen Formen produziert. Die hranke der kapitalistischen Produktionsweise tritt hervor: 1. Darin, daß die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit im Fall der Profitrate ein Gesetz erz ihrer en Entwicklung auf einem gewi sen feindlic ertritt und daher beständig durch Krisen üb en werden muß. 2. Darin, daß ... eine gewisse Höhe der Profitrate über Ausdehnung oder Beschränkung der Produktion entscheidet statt des Verhältnisses der Produktion zu den gesellsc iehen Bedürfnissen, zu den Bedürfnissen gesellschaftlich entwickelter Menschen. Es treten daher Schranken für sie ein schon auf einem Ausdehnungsgrad der Produktion, der umgekehrt unter der andren' Voraussetzung weitaus ungenügend erschiene. Sie kommt zum Stillstand, nicht wo die Befri der Bedürf-nisse, sondern wo die Produktion und isierung von Profit diesen Stillstand gebietet." 115)
"Es zeigt sich hier in rein ökonomischer vleise ... ihre Schranke, ihre Helativität, daß sie keine absolute sondern nur eine historische, einer gewi sen besc ten Entwicklungsepoche der materiellen Produktionsbedingungen entsprechende Produktionsweise ist." 116)
tUt der Rede von der "historischen Schranke" und der "[1e
lativität" des Kapitalismus polemi.siert Marx gegen den
"Bourgeoisstandpunkt ", der die kapi taU stis(;he Produk
tionsweise zur rationellen und absoluten Form des Wirt
schaftens schlech~hin verklärt. Der Widerspruch kapita
listischer Reichtumsproduktion, mit jedem Akkumulations
erfolg zugleich neue Akkumulationsschranken zu produzie
ren, ist allerdings nicht umgekehrt so zu verstehen, als
seien die Bewegungsgesetze des Kapitals zugleich Gesetze
des historischen Untergangs des Kapitalverhältnisses. Denn
in der Zusammenfassung des immanenten Widerspruchs kapi-
193
talistischer Reichtumsproduktion -
"Die kapitalistische Produktion strebt beständig, diese ihr immanenten Schranken zu überwinden, aber sie überwindet sie nur durch rhttel, die ihr diese Schranken aufs neue und auf gewaltigerm Maßstab entgegenstellen." 117) -
charakterisiert Marx das Gesetz des gegensätzlichen Er -
haI t s kapitalistischer Ökonomie. Die Vernichtung und
Entwertung von Kapital in der Krise ist nicht gleichbe
deutend mit der Eröffnung einer Existenzkrise des kapi
talistischen Systems. Die Krise ist vielmehr eine notwen
dige Phase im Akkumulationsproz ß des Kapitals, die ge
waltsam den Weg frei macht für eine vergrößerte und be
schleunigte Akkumulation in Aufschwung und Boom bis hin
zur nächsten Krise usw.:
"Und dies nomie das die reale aller Wi
ist bei der Betrac der bürgerlichen Öko-Wichtigste. Die Wel tkrisen müssen als Zusammenfassung und gewal Ausgleichung
ehe der bürgerlichen onomie gefaßt
plan sieht, die im "Kapital" geleistete Analyse des Geset
zes vom tendenziellen Fall der Profitrate und die Darstel-
lung seiner inneren Widersprüche stellen keine Pr ogn 0
s e des unvermeidlichen Scheiterns und automatischen Un
tergangs des Kapitalismus dar. Die wissenschaftliche Dar-
stellung der Krise ist die Kritik einer Produktions-
weise, in der das Wertgesetz die Konsumtion bestimmt -
also einer Produktionsweise. die zwar die materiellen Mittel
allseitiger Befriedigung der Bedürfnisse produziert, diese aber
zugleich der Produktion und Realisierung des Profits opfert:
"Das Wort overproducti on führt an sich in Irrtum. So-l die dringendsten Bedürfnisse eines oßen Teils der esellschaft nicht befriedigt sind nur seine unmittelbarsten Bedürfnisse, kann natürlich von einer Überproduktion von Produkten - in dem Sinn, daß die ~asse der Produkte überflüssig wäre im Verhältnis zu den Bedürfnissen für sie - absolut nicht die Rede sein. Es muß umgekehrt werden daß auf Grundl der kapi-talistischen on in esern Sinn bes g unter-oroduziert wird. Die Schranke der ProdClktion ist der Profit der Kapitalisten, keineswegs das Bedürfnis der Produ-
zenten." 119)
b) Krisenprognose: das Beweisverfahren der (Un-)GUltigkeit
des Marxismus
Krisentheori und Krisenprognose sollen der "Beschaffung
von konkreten Analysen der Entwicklungsmöglichkeiten und
-erwartungen des Kapitalismus,,120) dienen. Die Ergänzung
der Rekonstruktion der Marxschen Theorie durch marxis
sehe Konjunkturanalysen, die Stand, Erfolgsbedingungen
und Entwicklungstendenzen des Kapitalverhältnisses beob
achten und prognostisch interpretieren, gilt Altvater als
die Voraussetzung begründeter sozialistischer Politik:
"Es wäre ZVJar vöJl verfehlt. im Warten auf die öko-nomische Krise des talismus sich zu beschränken; aber die konträre von der Bedeutungsl keit der ökonomi chen Lage die revolutionären öv-lichkeiten, d. h. die Verabsolutierung des 'subjekti~en Faktors', ist ebenso verfehlt. Einersei ts ist revol utionäre Praxis nicht rigide an ökonomische Bedi zu kntipfen, wodurch die sozialistische Linke si Sklaven der autonomen Bewegungen des machen wUrde, andererseits aber müssen die ökonomi-schen Bedingungen in die Strategie zu reflektierter Praxis mit e . Unter diesem Aspekt hat ein Pro-gnose 11 sc tlicher Entwicklungen immer einen dop-pelten harakter: Sie ist einmal Prognose von sozialen Gesetzmäßigkeiten im Sinne von histo;ischen die bei uns durch die Verwertungszu pitals beherrscht sind und als äußerliche in jede Strategie aufzunehmen sind; sie ist zum andern Prognose. die nur dann wahr wird, wenn das osti zierende Subjekt sich nicht als außerhalb er nge Clnd Abläufe stehender Beobachter ft, der nicht nur die objektiven der ität interpreti sondern sie auch v 121)
Es muß verwundern, daß Altvater die ErstellClng von Kon
junkturprognosen als eine. wenn nicht gar die wesentl ehe
Bedingung "revolutionärer Praxis" angibt. Dem von ihm the
matisierten "doppelten Charakter" marxistischer Prognosen
ist nämlich ein eindeutiger Hinweis auf ihren immanenten
Widerspruch zu entnehmen: Einerseits unterstellt Altv er
mit der Prognose gesellschaftlicher Entwicklungen ein
autonome Bewegung und historische Tendenz des Kapital . die
Sozia1isten aus n tz e n können. Die "ckonomi ehe Kri
-------------_ ...... _--------'-~-'"
195
se des Kapitalismus " (auf die es sich zu "warten" lohnt,
aue wenn die revolutionäre Praxis sich darauf nicht "be
schränken" darf) wird dabei als eine solche günstige "äu
ßerliche Bedingung" für die eigenen "revolutionären l'iög
lichkei ten" angesehen. Anderersei ts dementiert Al tvater
zugleich di seinen Prognosen zugrundeliegende Vorstel
lung von den für Sozialisten ausnutzbaren Chancen und
Möglichkeiten der Kapitalbewegung. Das Plädoyer, die ob
jektiven Bedingungen der Realität nicht zur zu interpre
tieren, sondern auch durch die Praxis der "sozialistischen
Linken fI zu verändern, ist das faktische Eingeständ-
nis, daß "revolutionäre Möglichkeiten" nicht von der auto
nomen Bewegung des Kapitals selbst bereitgestellt werden,
vielmehr gegen sie durchgesetzt werden müssen.
Wenn Altvater jetzt allerdings in Konjunkturanalysen die
Entwicklungstendenzen von Kapitalbewegung und Klassen
kampf beobachtet, um sich auf beide als "äußerliche Be-
dingungen" e. ins tel I e n zu können, dann handelt es
sich dabei um das Gegenteil einer wissenschaftlich be-
gründeten Praxis, die den Klassenkampf macht. Denn
eine Prognose verfolgt nicht das Anliegen, eine Sache
theoretisch zu klären, um sie praktisch zu verändern, son
dern verdankt sich dem Interesse, gegenwärtige Tendenzen
und zukünftige Gegebenheiten zu kalkulieren, um sich nach
ihnen richten zu können. 122 ) Auch marxistische Prognosen
sind ihrer Natur nach ein wissenschaftliches Instrumenta
rium zur Einstellung auf Tendenzen, die es unabhängig von
dem eigenen politischen Interesse und dem eigenen prak
tischen Eingreifen gibt. Und das "prognostizierende Sub
jekt" ist insofern immer ein "außerhalb der Dinge und Ab
läufe stehender Beobachter", der die Tendenzen der öko
nomischen Bewegung und die Entwicklungsbedingungen des
Klassenkampfs interpretiert und kalkuliert. Das Verhältnis
von Theorie und Praxis ist so in der von Altvater aufge-. 123)
stell ten "Methodik für KonJunkturanalysen " auf den
196
iopf gestellt: Aus der materialistischen Analyse von kapi
talistischer Ökonomie und bürgerlichem Staat zum Zwecke
der wissenschaftlich begründeten Pr akt i z i er u n g
des Klassenkampfs wird die prognostische Extrapolation
wahrscheinlicher kapitalistischer Entwicklungstendenzen,
um die Bedingungen der Möglichkeit von Klassen-
kampf zu taxieren. Und über die theoretische Gültigkei
der Kapitalismuskri.tik entscheidet nicht mehr die Stim
migkeit ihrer Urteile und Argumente, sondern das Eintre
ten oder Ausbleiben der in der Krisenprognose erwarteten
Fakten und Tendenzen. "Wahr" wird Altvater zufolge
die Krisenprognose durch den Ausbruch der ökonomischen
Krise des Kapitalismus und den Aufschwung der Klassen-
kämpfe in ihrem Gefolge. Damit wird der praktische (l'iiß-)
Erfolg der gesellschaftlichen Interessen von Kapital und
Staat auf der einen und der Arbeiterklasse auf der ande
ren Sei te zum entscheidenden 11aßstab der theoretischen
Gültigkeit der Marxschen Kapitalismuskritik erhoben. Daß
die Fortschri tte der bundesdeutschen "Kräfteverhäl tnis
se" auch die "Hahrheit" des 14arxismus tangieren, ist di.e
immanente Konsequenz der um Krisenprognose und Konjunk
turanalyse ergänzten "Kritik der politischen Ökonomie".
Die Konjunkturen der Krisenprognose - Optimismus
Es verwundert daher nicht, daß nicht nur das Vlirtschafts
wachstum der vergangenen 12 Jahre, sondern ebenso die
marxistischen Konjunkturanalysen ihre eigenen Konjunkturen
hatten. Die ersten Krisenprognosen, nach Erfahrung der
Rezession 1966/67 und der Septemberstreiks 1969 zu Be-
ginn der 70er Jahre erstellt, waren geprägt vom Opti
mi s mus, daß der Kapitalismus bei der "Lösung" seiner
Widersprüche notwendig scheitern -
197
talismus wird mi t dieser' Fehlentwi ist die "kapitalistische Tendenz zur erpro-
on"), die aber notwendi Ergebnis kapitalisti-scher Dynamik ist, im Wel tab noch weni fertig werden als auf nati cnalstaatlicher Ebene."
und der Klas"enkampf sei.nen Aufschwung nehmen müsse:
"Die Annahme isolierter \ürtschaftskrisen, die nicht zugleich auch politische und soziale Krisen sind, i.st immer unhj.storisch und abstrahiert von der Vielfal t der Erscheinungsformen einer Gesellschaft. Die Weltwirtschaftskrise der 20er ,Jahre war zugleich eine politische und soziale Krise dN; Kapitalismus; die Krise der Kapj.talismen heute hat ihre sozialen und politischen Ausdrucksformen . Das wurde sinnlich erfahrbar , als im Mai 196B in Frankreich Arbeiter und Studenten am
das autoritäre System des französisc ismus revoltierten. 1I 125)
Zu Anfang der 70er ,Jahre sah Al tvater den arxismus durch
die Dynamik der kapitalistischen Realität lielbst als de
ren "wahren" theoretischen Ausdruck "sinnlich erfahrbar"
bestätigt. Er glaubte, die "Kriük der pol tischen Ökono
mie" wäre durch die Entwicklung ihres Gegenstandes defi
ni tiv als die "bürgerlicher Wirtschaftstheorie" überlegene
!"vissenschaft ausgewiesen:
"Nun ist es aber nicht einfach "0, daß ViiI' uns willkürU.ch aussuchen können, für welche dieser Positionen -der Kapitalismus lasse sich krisenfrei mit der 'modernen Wirtschaftspolitik' manipulieren einerseits und der Kapi talismus bringt immer wieder Krisen hervor andererseits - wir Partei ergreifen. Vielmehr müssen wir mit theoretisch-analytischen Anstrengungen versuchen, die richtige Theorie zu entwickeln, um uns in der Realität
echend unseren Interessen orientieren und die Mög-lic ten in dieser Gesellschaft praktisch entfalten zu können. Dabei hilft uns die kapitalistische EntwickLmg selbst weiter." 126)
In er Gewißheit, durch die kapitalistische Entwicklung
selbst gegenüber den "Neokeynesianern" ins Recht gesetzt
zu sein. kommen Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler
in j.hrer realanalytischen Studie über d:Le "Entwj.cklungs
tende~zen des Kapitalismus in Westdeutschland" im Ja.hre
197 folgender eptirni tischer Prognos
19B
"Wenn unsere Analyse stimmt, daß in den 70er Jahren kei-ne M ichkeiten für das westdeutsche Kapital bestehen, ohne talintensivi die Arbeitsproduktivität zu steigern, und auch di. e tückkosten nicht in dem Ausmaß zu senken sind, dann ist es nur wahrsc lieh, daß periodische Krisen entstehen. Nun ist ei.n ökonomische Krise nicht einfach eine Episode im AbL~uf der Kapitalakkumulation, sondern ein ti eifender Einschni tt nicht nur im Prozeß der Kapi erwer sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen und ziehungen. Die Erhöhung der Arbeitsproduktivität is nicht nur eine ökonomische Formel, sondern ein realer Prozeß, der in die Arbeits- und Produkt:lonsbedingungen hart eift. Die Senkung der Lolmstückkosten ist kein sac icher Vorgang der Kostensenkung, sondern beinhaltet eine Veränderung des Teilungsverhältnisses des produzi erten Iver odukts zugunsten des Kapital" und zu Lasten der arbei t. Di es kann daher nicht ohne sozi.ale Auseinandersetzungen und Kämpfe abgehen." 127
Enttäuschter Optimismus
Im Oktober 1975 veröffentlicht das Redaktionskollektiv
"Gewerkschaften" der Zeitschrift "Probleme des Klassen
kampfs" eine wesentlich zurückhaltendere realanalytische
Studi e:
"Liefert die gegenwärtige Entwi nen Weltmarktkrise den empirischen s für tigkeit der arxschen Akkumulation- und Krisenanalyse, so scheint andererseits die politische ~;ntwicklung der Arbeiterklasse in Westdeutschland den von :,larx postulierten Zusammenhang von ökonomischer und Klassenb zu widerl . Denn schließlich kann keine Rede sein, daß e Erfahrung des antagonisti chen Interessen-gegensatzes die westdeutschen Lohnabhängigen in den
f da" Kapi tal gegen wär ti g man allenthalben auf die Ansic , Re-
signation, privater RU Aufgabe fo::,tschrittlicher Positionen seien das wesen iche Resulcat der kapj.talistischen Krise." 12B)
Das Redaktionskollektiv "Gewerkschaften" muß konstaüe-
ren, daß tr 0 t z Zunahme der Verwertungsschwierigkei
ten des Kapjtals die prognostizierten "schcirferen Formen
199
der Klassenk8.mpfel1129) a:ui' sich warten lassen. vJährend
Pedaktionskol1.cktiv einerseits die I·1arxsche Krisen-
analyc:e durch die eingetretene Vleltmarktkrise 197/~/75
als empirisch bewiesen ansieht, interpretiert es anderer-
zelts das faktische Ausbleiben der von ihm erwarte-
e n Klassenkämpfe auch in der BRD als eine mögliche
Schwachstelle der arxschen Theorie. Die Autoren gehen
unter Berufung auf 1,Jarx von einem zwangsläufigen "Zusam
menhang von ökonomischer und Klassenbewegung", von Krise
des Kapitals und Aufschwung des Klassenkampfs aus, den
arx 0 nicht "postuliert" 3 0 ), und extrapolieren dar-
aus, die westdeutschen Lohnarbeiter angesichts der
praktischen "Erfahrung" des antagonistischen Interessen-
gegensatzes in der Kris eigentlich kämpfen müß-
ten. Die Diskrepanz von prognostizierter und tatsächli
cher Entwicklung führt das Redaktionskollektiv zu der Fra
ge, ob man bei den auf Basj.s des postulierten Zusammen
hal1gs von Krise und Klassenkampf erstellten Prognosen
nicht einen wesentlichen Faktor unberücksichtigt gelas-
sen hab e - di e Bedingungen
Arbei tel' 21m Kämpfen hindern,
nämlich, welche die
obwohl die Krise sie
eigentlich in den Klassenkampf "zwingen" müßte.
Die Autoren nehmen ihre durch die bundesrepublikanische
Realentwicklung enttäuschten Erwartungen als Anstoß, die
Prognose der objektiven Entwicklungstendenzen der Kapital
akkumulation um die Kalkulation der subjektiven Bedin
gungen des Klassenkampfs zu ergänzen, die seine eigentli
che Aufschwungtendenz bislang noch verhindern:
"Die Schranken der Analyse des zukünftigen Prozesses liegen darin, daß die sich entwic~elnde Stagnationsund Krisenphase die Herausbildung und das Handeln der tohnabhängÜ;en als Klasse gegen das Kapi tal notwendig macht, wj.ll die Arbei terschaft nicht ohnmächtiges Objekt bleiben. Dieses Handeln existiert in der Bundesrepublik aber nur in ersten Ansätzen. Die Schranke einer Analyse des notwendigen HandeIns, der Verbindung von Theorie und Praxis liegt also in der Realität selbst! Zwar ist die Klassenorganisation Resultat der
Erfahrungen der Arbeiter im talismus, aber en gen der quasi naturVlÜchsigen acht des Kapitals is sie zugleich eben Resultat eines bewußter:, von den Produzenten selbst in die· Hand ommenen Entwicklungs-prozesses ... In dem [,laDe, in so die Klassen nisation Ausdruck des bewußten HandeIns das pital wird, kann die Analyse auch nicht nur die Bewegung des Kapitals zum G tand haben, sondern muß auch den Prozeß bewußten einbeziehen, der der Entscheidungsfähigkeit der Subjekte, d. h. auch möglicher Irrtümer, falscher Vlege etc., 1mterliegt." 1 31)
Sollten die von Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler
angestellten Berechnungen des ProHtratenfalls und Pro
gnosen wahrscheinlicher Kr1.sentendenzen begründen, wann
die westdeutschen Arbeiter aufgrund der objekb.ven Be-
dingungen kämpfen müssen, so interpretiert das Pe-
daktionskollektiv nun umgekehrt den thf.1erfolg der vorlie
genden "Analyse des zukünftigen Prozesses" a.ls Resultat der
subjektiven Bedingungen, die verhindern, daß die Arbeiter
kämpfen können. Der den bisherigen Krisenprognosen
zugrundeliegende und praktisch Vi:Lderlegte Determinismus,
Klassenbwußtsein und Kampfeswillen der Arbeiter zu einem
zwangsläufigen "Resul tat der Erfahrungen im Kapi talismus "
zu erklären, wird von dem Redaktionskollektiv durch den
komplementären Fehler "korrigiert", jetzt zugleich den
"subjektiven Faktor" als eine determinierende
positive oder negative Bedingung für die "Herausbildung
und das Handeln der tohnabhängigen als Klasse gegen das
Kapital" zu kalkulieren. Durch die Analyse der "subjek
tiven Schranken des Widerstands in der Krise,,132
) sol
der Vliderspruch zwischen dem, was die westdeutschen Arbeiter
faktisch tun, und dem, was sie gemäß der Krisenprognose tun
müßten, aufgelöst und eine realistischere Kalkulation zu
künftiger Entwicklungstendenzen des Klassenkampfs ermöglicht
werden.
So nennen zum Beispiel Altvater, Brandes und Hoffmann in
einem Handbuch, das die Perspektiven des Kapitalismus an
hand der Entwicklungstendenzen von Inflation, Akkumula~i
on und Krise beobachten und einschätzen will, die fol-
201
genden sub j ekti v en Schrank en von KI as s enb ewu ßts ein Ü1
viestdeutschland:
"Der Prozeß der Herausbildung von Klassenbevmßtsein und organisiertem Handeln ist außerordentlich komplex und wi dersprüc hl ich. A bges ehen von der grundsätz I i c hen Befangenheit des Arbeiters als ein ~1itglied der formal freien und gleichen bürgerlichen Gesellschaft, ist für die BRD bez,eichnend, daß die Arbeiterklasse nach dem 2. Weltkrieg entweder keine Krisenerfahrungen angesichts der langandauernden Prosperi tät machen mußte oder aber die Krise eher als einen durch entschlossenes staatliches Handeln und kurzfristigen Lohnverzicht schnell und vergleichsweise schmerzlos zu behebenden 'Betriebsunfall des Systems' erfuhr ... So wurde systemkonfor mes Bev.'Ußtsein z. T. eher bestärkt als zerstört, und es ist kein Wunder, wenn dies auch heute noch nachwirkt, obgleich die Krise Mitte der siebziger Jahre we:Lt schwerer, länger und auch auswegloser ist." 133)
Die aufgelisteten negativen subjektiven Bedingungen für
die Herausbildung von Klassenbevmßtsein in der Bundesre
publik wägen Altvater, Brandes und Reiche mit den sich
entwickelnden positiven objektiven Bedingungen der Mög
lichkeit von Klassenkampf ab:
"Da die gegenwärtige Krise keineswegs mehr als bloßer Betriebsunfall interpretierbar ist, werden ihr auch an-dere Vera.rbei ter entsprechen als nach der Re-zession von 19 ." 13 1+)
Es "hat sich seit Ausbruch der Krise in den objektiven wie subjektiven Existenzbedingungen der Arbeiterklasse Entscheidendes verändert." 135)
Trotz der zunächst einmal enttäuschten Erwartung des "Aus
bruchs" sozialer Auseinandersetzungen im unmittelbaren
Gefolge der ökonomischen Krise gehen Altvater, Brandes
und Reiche nach Abwägung aller Faktoren weiterhin von ei
nem unausweichlichen Aufschvmng des Klassenkampfs aus:
"Die Arbeiterklasse ist nicht mehr nur in erster Linie von der Gefahr der Reallehnsenkung durch die Infaltion bedroht; in wachsendem Ausmaß wird si e mi t der Verschärfung der Krise auch durch Arbeitslosi eit, Kurzarbeit, Senkung der Effektivverdienste und staatlicher Sozialleistungen gefährdet. Der Hiderstand muß sich deshalb heute nicht nur auf brei terer Ebene entfal ten. Er trifft auch auf einen weniger konzessionsbereiten
202
und -fähigen Gegner. In der ilrbeiterklas e aber hat einerseits die Angst vor Vliderstand chts des größer gewordenen Risikos (verstärkte efahr des Arbeitsplatzverlustes und anderer repressiver Sanktionen) zugenommen. Andererseits greifen Desorientierung und Desillusionierung um sich, die 'Gemeinwohl'-Ideologien der Vergangenheit beginnen an Integrationskraft zu verlieren, ohne daß bereits eine Alternative entwickelt worden wäre; ein Gefühl resignativer Vlut breitet s eh aus. Mit anhaltender Krise aber rückt auch der Zeitpunkt näher, an dem der Arbeiterklasse kein anderer Ausweg mehr bleibt, als auf die Offensive des Kapi tals offensiv zu antworten." 136)
Desillusi oni erung
Die Krise des Kapitals werde zwangsläufig eLnen Aufschwung
der Klassenkämpfe auch in der BundesrepublL{ "auf die Ta
gesordnung" "etzen, lautete di.e Quintessenz der von Alt
vater u. a. seit AnfanG der 70er ,Jahre erstellten Kon-
junktur- und Krisenprognosen . 10 Ja]o,re später beschließt
Altvater die von ihm und anderen praktizierte Begutach
tung der Entwicklungsbedingungen, -möglichkeiten und -ten
denzen des bundesrepublikanischen Kapi talisrnus mi t dem
desillusionierten Resümee, daß die westdeut:3che
"Arbeiterbewegung mit ihren sationen, den Ge-werkschaften und den tradition len Arbet arteien in eine Kri.se aten ist ... r1anche (!) en b tet, mit der onomischen Krise. mit der Situation wachsenden Arbeitslosigkeit mit'Lohnminderungen, mi.t zunehmender Arbeitshetze würde auch ein Aufschwung revolutionären Bevmßtseins einhergehen, die Leute würden dann, um es etwas burschikos auszudr'icken, gleich sauer werden und das System anrennen. um es ber den Haufen zu wer Dies ist offensichtlich nicht so!" 137)
Glaubte man zu Beginn der 70er Jahre, en ißerfolg
von kapitalistischer Akkumulation und taatlicher 'liir
schaftspolitik konstatieren und daher den arxismus als
theoretisch Gültige der keynesianischen Wirtschaftstheo-
rie überlegene und praktisch erf01 rei.che The ori e
203
interpretieren zu können -
" ... es darf füglich bezweifelt werden, ob der Staat als Institution auf der Grundlage der bestehenden Gesellschaft, mit Funktionen ausgestattet, die selbst das Resultat eklatierender Widersprüche sind. in der Lage ist, diesen Widersprüchen beizukommen. Mehr noch: der Staat ist, wie schon eigt wurde, selbst in den Widersprüchen dieser Ges Ischaft befangen, wie soll er sie dann wirksam regulieren können? Aus der Form der kapitalistischen Gesellschaft und ihres Staates folgt daher die prinzipielle Unfähigkeit zur Regulierung der gesellschaftlichen Widersprüche ... (Es läßt) sich hier sehr schön zeigen ... , wie der Staat als 'Krisenmanager' nicht nur voll versagt, sondern auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise, befangen in deren Widersprüchen, die Stagflation als spezifische Erscheinungsform der Krise roduziert indem er ke nesianisches Krisenmanagement betreibt." 13
so führt an der Wende zu den 80er Jahren das Eingeständnis
des Erfolgs bundes deutscher Ökonomie und staatlicher
Wirtschaftspolitik zur Kr i s e marxistischer Krisenpro-
gnose:
"Gerade die ökonomische Krise ist ein 110ment der Herrschaft der bürgerlichen Klasse, der Stabilisierung des herrschenden Blocks Das 'Modell Deutschland', von dem die Sozialdemokratie spricht, ist ein relativ gut funktionierendes ökonomisch-politisches Herrschaftsmodell ... " 139)
Die beständige praktische Widerlegung des in den Krisen
prognosen erwarteten Zusammenhangs von Krise des Kapitals
und Aufsch~~ng des Klassenkampfs macht Altvater zum Argu
ment für eine pauschale Infragestellung der bislang für
gültig befundenen marxistischen Krisentheorie, die über
eine kritische Überprüfung einzelner Urtei.le und behaup
teter Zusammenhänge auf ihre Stimmigkeit längst hinaus ist.
Altvater äußert den Generalzweifel, ob er nicht in seiner
bisherigen Theorie das Funktionieren dea bundesrepublika
nischen Kapitalismus und die Stabilität seiner Herrschaft
unterschätzt habe, ob also seiner bisherigen Kri-
tik nicht angesichts des Erfolgs des 'r,jodell Deutschland'
der Boden unter 'den Füßen weggezogen sei .140)
Die "Krise des r,jarxirömus" besteht somit darin, daß marxi
stische Theoretiker Abstand nehmen von ihren früheren
Krisentheorien und Krisenprognosen, indem sie den prakti-
schen
schen
Erfolg des Kapi talismus zu einem theoreti
Argument gegen s ich machen:
"Die vielberedete 'Krise' der Linken rührt zu einem guten Teil daher, daß ein er Traditionsbestand an politi'3chen Analysen, onzepten und Strategien 0-zialrevolutionärer Veränderung fragwürdi ja, von der Entwicklung nachhaltig dementiert wor ist." 141)
205
Anmerkungen: Die empirische Verifikation des als Methode
rekonstruierten Marxismus - Realanalyse, Krisentheorie
und Krisenpro&nose
1) Elmar Altvater, Zu einigen Problemen des Staatsinterventionismus, in: Probleme des Klassenkampfs -Zeitschrift für olitische Ökonomie und iozialistisehe Politik Nr. , 1972, S. 2
2) Redakh.onskollektiv "Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus", Revolutionäre ?aktik? in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 1, 1971, S. 1
3) Altvater, Zu einigen Problemen, S. 2
1+) a.a.O.
5) a.a.O., S. 3
6) a.a.O.
7) I~arx. Das Kapi tal, Bd. 1, S. 335
8) Marx, Grundrisse, S. 175
9) Altvater, Zu einigen Problemen, S. 4
10) Marx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 87 Es handelt sich hierbei um die Inhaltsangabe des "dritten Kapitels", das von I,larx im folgenden Zitat sprochen ist. Dieses "dri tte Kapi tel", das Kapi im allgemeinen, stellt offensichtlich den snäteren Inhalt von "Kapital Bd. 1, Lr. Kap." bj.s "Kapital Bd. 3" einschließlich dar.
11) :4arx, in: Briefe über 'Das Kapital', S. 113
12) Siehe hierzu den von Marx in den "Grundrissen zur Kri tik der politischen Ökonomie" gegebenen ursprünglichen Aufbauplan : Grundrisse, S. 175, 186 Siehe auch: Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Y'larxschen 'Kapital', Bd. 1, S. 77 f
13) Marx, Grundrisse, S. 416
14) Y1arX, Das Kapi tal, Bd. 1, S. 335 15) Marx, Grundrisse, S. 638 16) a.a.O., S. 317
17) Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 335
18) "Ihre ei e gesellschaftliche besitzt für sie die einer Bewegung von Sac , unter deren Kontrolle sie stehen statt ie zu kontrollieren." (tllarx, Das Kapital, .1, S. 89)
19) 20)
21)
206
"Was soll man von einem Gesetze denken, das sich nur durch periodische Revolutionen durchsetzen kann? Es ist eben ein Naturgesetz, das auf der Bewußtlosi t der Beteil beruht." (Engels, zitiert nach: Das Kapi , Bd. 1, S. 89 (Fußnote»
Vergleiche hierzu auch die Ausführungen zum Fetischcharakter der Ware in der vorliegenden Arbeit: 11. 1. c) Die "Kritik der'politischen Ökonomie": die Entfaltung eines Totalitätsbegriffs der entfremdeten Formen.
Marx, Das Kapital, Bd. 1 , S. 6/+8
r4arx, Das Kapital, Bd. 3, S. 835 Iv1arx, Grundrisse, S. 195
22) Die Analyse der Konkurrenzhandlungen der Arbeiter weist zum Beispiel die mit dem Arbeitslohn Chancen Verdienstes und seiner S prämien, erstundenzusc ,Prämien I'
arbeit und gesundheitssc iche Arbeitsbelas etc.) als notwendige Verlaufsformen des mit der arbeit eingerichteten Ausschlusses vom produzierten gesellschaftlichen Reichtum nach und destruiert so den Schein der Freiheit dieses Produktionsverhältnisses. Auf die entscheidende Bedeutung der Analyse des Arbeitslohns für die Kritik falschen Bewußtseins weist ~1arx im "Kapital" hin, denn "auf dieser Ers heinungsform ... beruhn alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen." (Das Kapital, Bd. 1, S. 562) D:ie Untersuchung der verschiedenen Formen des Arbeitslohns gib t>\arx ausdrücklich als eine der Aufgaben an, die eine Analyse der Konkurrenz der Lohnarbeiter zu leisten hätte: "Der Arbeitslohn nimmt selbst wieder sehr mannigfaltige Formen an, ein Umstand nicht erkennbar aus den ökonomischen Kompendien, e in ihrer bruta-len Interessiertheit für den Stoff jeden Formunterschied vernachlässigen. Eine Darstellung aller dieser Formen gehört jedoch in die spezielle Lehre von der Lohnarbeit .. ,Ir (a.a.O., S. 565)
23) Marx, Das Kapital, Bd. 3, S 33
24) a.a.O., S. 822 ff
25) a.a.O., S. 830
26) Marx, Grundrisse, S. 317 27) r4arx, Das Kapital, Bd. 1, S. 331 ff
28) "Der Verlängrung der r~ehrarbei t entspräche die Verkürzung der notwendigen Arbeit, oder ein Teil der A -beitszeit, die der Arbeiter bisher in der Tat für s eh selbst verbraucht, verwandelt sich in Arbeitszeit f r den Kapitalisten. Was verändert, wäre nicht die Länge
07
des Arbeitstags, sondern seine Tei rbeit und ]IJehrarbeit. ll (a.a.O., S.
in notwendige f)
29) "Eine solche Senkung des Werts der Arbeitskraft um 1/10 bedingt aber ihrerseits, daß dieselbe Masse Le
ensmi ttel, d1 früher im 10, ,jetzt in 9 Stunden produziert wird. Dies ist jedoch unmöglich ohne eine Er der Produktivkraft der Arbeit. Mit en itteln ein Schuster z. B. ein Paar Stie
einem Arbeitstag von 12 Stunden machen. Soll er in derselben Zeit zwei Paar Stiefel machen, so muß sich
1e Produktivkraft seiner Arbeit v eIn, und sie kann sich nicht verdoppeln ohne eine in sei-
en Arbeitsmitteln oder seiner Arbeitsmethode oder beimuß daher eine Revolution in den Pro
seiner Arbeit eintreten, d. h. in einer Pr tionsweise und daher im Arbeitsprozeß elbst. Unter Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit
verstehn wir hier überhaupt eine Veränderung im Arbeitsprozeß, wodurch die zur Produktion einer Ware gesellschaftlich erheischte Arbeitszeit verkürzt wird, ein kleinres Quantum Arbeit also die Kraft erwirbt, e1.n ößres Quantum Gebrauchswert zu produzieren." (a.a . . , S.333)
30) n.a.O., S. 334
31) .a.O.
32) a .. 0.
33) a.O., S. 335
3 L,) • a.O.
35) Der Auffassung von Rosdolsky, der in den Verweisen auf die Mechanismen der Konkurrenz, die Marx bei der Darstellung des Begriffs des relativen Mehrwerts gibt, einen "radikalen Bruch mit dem alten Einteilungsschema des Buches vom Kapital" (Zur Entstehungsgeschichte, Bd. 1, s. 26) und die Hereinnahme wesentlicher Teile der Konkurrenz in die Darstellung des "Kapital im allgemeinen" sieht, ist nicht zuz,ustimmen. Daß
arx in dem Abschnitt über die Produktion des relativen Mehrwerts die Gestaltungen der Konkurrenz nicht zum Gegenstand macht, wird nicht nur daran deutlich, daß er ausdrücklich bemerkt, die "Art und Weise, wie die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion in der äußern Bewegung der Kapitale erscheinen, sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und daher als treibende r·lotive dem individuellen Kapitalisten zum Bewußtsein kommen, ist jetzt nicht zu betrachten ... " (r'larx, Das Kapital, Bd. 1, s. 335) Die von Marx im folgenden vorgetragene Erklärung des Vorteils einer Produktivitäts steigerung für den Einzelkapitalisten erfolgt expressis verbis "auf der
208
Grundl der bereits gewonnenen Resultate" (a.a.O.) und b ent.sich der Kategorien individueller und ge-sellschaftllcher Wert und Extramehrwer , bei des ökonomische Formen, in denen sich. die Konkurrenz nicht abspielt, die aber hinreichen, um das Vorhandensein eines einzelkapitalistischen Interesses an der Rationalisierung des Produktionsprozesses zu demonstrieren (a.a.O., s. 335 ff). Unabhängig von der in die wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz fallenden Untersuchung, wie in der Kalkulation des individuellen Kapitalisten die Rationalisierung als ein Mittel der Profitsteigerung erscheint. kann Marx so in der Darstellung des Begriffs des r~lativen Mehrwerts begründen, daß es für den Einzelkapitalisten - ganz ohne Reflexion auf die (ihm selbst unbekannte) Mehrwertrate - ein Interesse an der Senkung der notwendigen Arbeitszeit gibt, weil ihm diese Maßnahme über den Vergleich der Waren auf dem Markt einen als "Extramehrwert" bezeichneten Vorteil einbringt.
Vergleiche hierzu auch die Darstellung in den "Resultaten des unmittelbaren Produktionsprozesses":
"Produktivität der Arbeit überhaupt = [;laximum von Produkt mit Minimum von Arbeit, daher möglichst Verwohlfeilerung der Waren. Dies wird zum Gesetz unabhängig vom Willen der einzelnen Kapitalisten: ln der kapitalistischen Produkticnsweise ... Ihr Zweck, daß das einzelne Produkt etc. möglichst viel unbezahlte Arbeit enthalte, und dies nur erreicht durch die Produktion um der Produktion willen. Es tritt dies einerseits als Gesetz auf, soweit der Kapitalist, der auf zu kleiner Stufenleiter produziert, mehr als das gesellschaftlich notwendige Quantum Arbeit in den Produkten verkörpern würde. Es tritt also als adäquate Ausführung des Wertgesetzes auf, das sich erst vollständig entwickel t auf der Grundlage der kapi talistischen Produktionsweise. Aber es tritt andererseits als Trieb des einzelnen Kapitalisten auf, der, um dies Gesetz zu durchbrechen, oder es zu seinem eignen Vorteil zu überlisten, den individuellen Wert seiner Ware unter ihren gesellschaftlich bestimmten Wert zu senken sucht." (r4arx, Resultate des unmi tteJbaren Produkti onsprozesses, Frankfurt am ~lain 1969 s. 63 f) . '
36) Die Rechnung, die zur Entscheidung führt, neue Maschinen anzuschaffen (dasselbe gilt für Umstellung in der betrieblichen Organisation mit nur geringer techni scher Umrüstung), besteht in einem Vergleich zwischen Maschinenkosten und Lohnkosten: die Kosten, die mit der neuen Maschinereie entstehen, müssen unter den Kosten der eingesparten Arbeitskräfte liegen:
209
"Ausschließlich als Mittel zur Verwohlfeilerung des Produkts betrachtet. ist die Grenze fUr den Gebrauch von Maschinerie darin gegeben, daß ihre eigne Produktion weniger Arbeit kostet, als ihre Anwendung Arbeit ersetzt. Für das Kapital jedoch drückt sich diese Grenze enger aus. Da es nicht die angewandte Arbeit zahlt, sondern den Wert der angewandten Arbeitskraft, wird ihm der Maschinengebrauch begrenzt durch die Differenz zwischen Maschinenwert und Wert der von ihr ersetzten Arbeitskraft. Da die Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbei und Mehrarbeit in verschiednen Ländern verschieden ist, ebenso in demselben Lande zu verschiednen Perioden oder während derselben Periode in verschiednen Geschäftszweigen; da ferner der wirkliche Lohn des Arbeiters bald unter den Wert seiner Arbeitskraft sinkt bald über ihn steigt kann die Differenz zwischen Preise der Masc e und dem Preise der von ihr zu ersetzenden Arbeitskraft sehr variieren, wenn auch die Differenz zwischen dem zur Produktion der Maschine nötigen Arbeitsquantum und dem Gesamtquantum der von ihr ersetzten Arbeit dieselbe bleibt. Es ist aber nur die erstere Differenz, welche die Produktionskosten der Ware fUr den Kapitalisten selbst bestimmt und ihn durch die Zwangsgesetze der Konkurrenz beeinflußt." (Marx, Das Kapital, Bd. 1. S. 414)
37) Vergleiche hierzu die Aussagen der Betriebswirtschaftslehre. die als Hilfswissenschaft für die unternehmerische Praxis bemUht ist, alle Maßnahmen des Unternehmers zur Bewährung in der Konkurrenz aufzuführen und die alternativen Entscheidungen des Unternehmers bezüglich ih-rer Wirkungen auf den Geschäftserfolg abzuwägen: "Fixe oder feste Kosten sind der Teil der Gesamtkosten, der von Änderungen des Beschäftigungsgrades grundsätzlich unbeeinflußt bleibt. Die fixen Kosten entstehen also aus der Bereitschaft zur Produktion, aus der vorhand-nen Kapazität ... Variable oder veränderliche Kosten sind der Teil der Gesamtkosten, dessen Höhe vom Beschäftigungsgrad des Betriebes abhängig ist, z. B. Fertigungslöhne, Rohstoffkosten usw ... " (Löffelholz, Repetitorium der Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 1967 (2. Auflage), S. 376 f)
38) Vergleiche hierzu: "Es wird auch von der r.Jaschinerie agt. daß sie Arbeit spart; das bloße Sparen der Art ist indes ... nicht das Charakteristische ... Das
Suaren der notwendigen Arbeit und das Schaffen der Surplusarbei t ist das Charakteristische." O"larx, Grundrisse, S. 292)
39) Siehe auch die Äußerungen von Marx zum Verhältnis von [.lehrwert und Profi t im 3. Band des "Kapital":
210
"In der Tat ist der Profit die Ersc Mehrwerts, welcher letztre erst durch aus der erstern herausgeschäl t werden muß. Im wert ist das Verhältnis zwischen Kapital und Arbei t bIosgelegt ; im Verhäl tnis von Kapi tal und Profit, d. h. von Kapital und dem Mehrwert, wie er ei~erseits als im Zirkulationsprozeß realisierter Uberschuß über den Kostpreis der Ware, andrerseits als ein durch sein Verhältnis zum Gesamtkapital näher bestimmter Uberschuß erscheint, erscheint das Kapital als Verhältnis zu sich selbst. ein Verhältnis, wodurch es sich als ursprUngliche Wertsumme von einem, von ihm selbst gesetzten Neuwert unterscheidet. Daß es diesen Neuwert während seiner Bewegung durch den Produktionsprozeß und den Zirkulationsprozeß erzeugt, dies ist im Bewußtsein. Aber wie dies geschieht, das ist nun mystifiziert und scheint von ihm selbst zukommenden, verborgnen Qualitäten herzustammen. Je weiter wir den Verwertungsprozeß des Kapitals verfolgen, um so mehr wird sich das Kapitalverhältnis mystifizieren so weniger das Geheimnis seines inneren mus offenlegen." (Marx, Das Kapital, Bd. ,
Diese Mystifikationen des Kapitalverhältnisses wären allerdings nicht korrekt erfaßt, verstände man sie im Sinne eines epistemologischen Determinismus. Wie die mystifizierten Formen der Oberfläche an sich selbst auf die inneren allgemeinen Gesetze des Kapitals verweisen, ist oben demonstriert worden. Siehe hierzu auch die durchgeführte "Dechiffrierung" des P,rbeitslohns als verwandelte Form des Werts der Arbeitskraft im zweiten Abschnitt der vorliegenden Arbeit: 11. 1. c) Die "Kritik der politischen Ökonomie": die Entfaltung eines Totalitätsbegriffs der entfremdeten Formen.
40) Siehe hierzu: "Gleichzeitig tritt eine Änderung in dem Charakter des relativen Mehrwerts ein. Im allgemeinen besteht die Produktionsmethode des relativen Mehrwerts darin, durch gesteigerte Produktivkraft der Arbeit den Arbeiter zu befähigen, mit derselben Arbei be in derselben Zeit mehr zu produzieren. Dieselbe beitszeit setzt nach wie vor dem Gesamtprodukt denselben Wert zu, obgleich dieser unveränderte Tauschwert sich jetzt in mehr Gebrauchswerten darstellt und daher der Wert der einzelnen Ware sinkt. Anders jedoch, sobald die gewaltsame Verkürzung des Arbeitstags mit dem ungeheuren Anstoß, sie der Entwicklung der Produktivkraft und der onomisierung der Produktionsbedingungen gibt, zugleich vergrößerte Arbeitsausgabe in derselben Zeit, erhöhte Anspannung der Arbeitskraft, dichtere Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit, d. h. Kondensation der Arbeit dem Arbeiter zu einem
211
Grad aufzwingt, der nur innerhalb des verkürzten Arbeitstags erreichbar ist. Diese Zusammenpressung einer größren Masse Arbeit in eine gegebne Zeitperiode zählt jetzt als was sie ist, als größres Arbeitsquantum. Neben das Maß der Arbei tszei tals 'ausgedehnte Größe' tri tt jetzt das Maß ihres Verdichtungsgrads ." cr~arx, Das Kapital, Bd. 1, s. 432)
1~1) [\jarx, Das Kapital, Bd. 1, S. 571~ ff
42) Siehe hierzu: "Indem der Arbei tgeber über die Beschäftigungsmittel kommandiert, kommandiert er über die Lebensmittel des Arbeiters, d. h. sein Leben hängt von ihm ab; wie der Arbeiter selbst seine Lebenstätigkeit zum bloßen Mittel seiner Existenz herabsetzt." (Marx, Arbeitslohn, in: MEW 6, Berlin (Ost) 1973, s. 542)
43) Der Leistungslohn erweist sich so als das adäquate Mittel relativer Mehrwertproduktion : "Den Stücklohn gegeben, ist es natürlich das persönliche Interesse des Arbeiters, seine Arbeitskraft möglichst intensiv anzuspannen, was dem Kapitalisten eine Erhöhung des Normalgrads der Intensität erleichtert." (Harx, Das Kapital, Bd. 1, s. 577)
"Der Arbeiter sucht die 14asse seines Arbeitslohns zu behaupten, indem er mehr arbeitet, sei es, daß er mehr Stunden arbeitet, sei es, daß er mehr in der Stunde liefert. Durch die Not getrieben, vermehrt er also noch die unheilvollen Wirkungen der Teilung der Arbeit. Das Resultat ist: Je mehr er arbeitet, um so weniger Lehn erhält er. und zwar aus dem einfachen Grunde. weil er in demselben MaB seinen Hitarbeitern Konkurrenz macht, sich daher ebensoviel Konkurrenten aus seinen Mitarbeitern macht. die sich zu ebenso schlechten Bedingungen anbieten wie er selbst, weil er also in letzter Instanz sich selbst Konkurrenz macht, sich selbst als lU tglied der Arbeiterklasse." (lilarx, Lohnarbeit und Kapital, in: MEW 6, S. 420 f)
44) Marx, Grundrisse, S. 317
45) Vergleiche hierzu die unter Punkt 11. 1. c) der vorliegenden Arbeit erörterte "Dechi.ffrierung" der Oberflächenform des Arbeitslohns.
46) Marx, Das Kapital, Bd. 3, S. 219
47) Altvater/Hoffmann/Schöller/Semmler, Entwicklungsphasen und -tendenzen des Kapitalismus in Westdeutschland (1. Teil), in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 13, 1974, S. 101 ff .
48) a.a.O., S. 102
49) a.a.O.
212
50) In der Realanalyse bedienen sich Altvater u. a. der gängigen Verfahren empirischer Sozialwissenschaften deren Kategorien ihnen an anderer Stelle als Reflex~ der "verkehrten, äußerlichsten Form der Oberfläche" (Altvater u. a., Entwicklungsphasen (Teil 1) S.105) gel ten. "Transformationsverfahren ", "Illustr~ti onsverfahren", "Indikationsverfahren ", "Modifikati onsverfahren" und "Approximati onen" (Al tvater/Hoffmann/Semmler, Zum Problem der Profitratenberechnung, in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 24, 1976, S. 191 ff) betrachten sie allesamt als gangbare 'Königswege' zwischen allgemeinem Kapitalbegriff und Oberfläche. Die Wahl des Verfahrens wird dabei von Altvater, Hoffmann und Semmler nach explizit instrumentellen Gesichtspunkten getroffen. Verwendung findet die empirische Methode, die geeignet erscheint, den im "Kapital" dargestellten ökonomischen Gesetzen zu realökonomischem Inhal t und empirischer Gül tigkei t zu verhel fen: "Uns scheint jedoch - und darin bestätigt uns die Kritik angesichts ihrer forschungsstrategischen PersDektivlosigkeit - die Methode der Indikation der ei~zige Weg zu sein, um nicht die r,larxsche Theorie auf die Kernstruktur (Strukturgeschichte) einzuschränken und ihr demzufolge für die konkreten historischen Entwicklungen in jeweils besonderen Perioden und Ländern (Ereignisgeschichte) Geltung abzusprechen." (a.a.O., S. 196)
51) Altvater u. a., Entwicklungsphasen (Teil 1), S. 107
52) Altvater, Hoffmann, Schöller und Semmler besitzen durchaus ein Bewußtsein von der Problematik realanalytischer Bezugnahme auf die Kategorien sozial wissenschaftlicher und volkswirtschaftlicher Statistik: "Wegen dieses Charakters bürgerlicher Gesellschaftlichkeit und dieser Form, in der sich ihre Entwicklung darstellt, verbietet es sich, die Entwicklungstendenzen der westdeutschen Gesellschaft einfach ohne weitere Vorüberlegungen anhand der gängigen Kategorien, ln denen sich scheinbar deren Entwicklung reflektiert, darzustellen. Denn in diesen Kategorien - Sozialprodukt, Produktivität usw. - wird nicht die Wirklichkeit kapitalistischer Entwicklung ideell reproduziert, sondern nur deren verkehrte, äußerlichste Formen der Oberfläche reflektiert. Empirisch-historische Analyse zu betreiben, kann ·demzufolge auch nicht heißen, das diesen Kategorien zukommende Material (in der Regel quantitative, zahlenmäßige Ausdrücke) sozusagen 'gegen den Strich' zu interpretieren mit dem Interesse, den kritischen Gehalt hervorzukehren." (Altvater u. a., Entwicklungsphasen (Teil 1), s. 105). Die angesproche-nen "Vorüberlegungen" bestehen allerdj.ngs nicht in der Kritik solcher Kategorien wie der des "Sozialprodukts", sondern (wie im folgenden gezeigt wird) in dem Versuch,
213
den ~larxschen "Kategorien" 'korrespondi.erende' bürgerliche Begrifflichkeiten gegenüberzustellen.
53) Altvater u. a., EntvJicklungsphasen (Teil 1), S. 105
54) Altvater, Zur Konjunkturlage der BRD Anfang 1970 - Versuch einer !,Iethodik für Konjunkturanalysen, in: Sozialistische Politik Nr. 5, 1970, S. 8
55) Altvater u. a., Entwicklungsphasen (Teil 1); S. 103 f
56) a. a .0 ., S. 1 07
57) a. a .0 ., S. 1 07 f
58) Entgegen gängigem ~lißverständnis handelt es sich bei einer Ableitung nicht um die idealistische Konstruktion eines Begriffs, sondern um eine Form der Darstel lung, die dem Inhalt gefundener Erklärungen der Gegenstände entsprechend die Urteile und Argumente ordnet. Wenn !4arx z. B. den Begriff des ivarenwerts formuliert, dann hat der Begriff als gedankliches Resultat seiner Bemühungen die Objektivität des Herts, also etwas außerhalb des Gedankens selbständig Existentes zum Inhalt. Wenn nun die Begriffsbestimmungen einer Sache im viiderspruch zueinander stehen, so impliziert das, daß auch die Sache selbst eine widersprüchliche ist. Die logi.schen Konsequenzen des Begriffs bezeichnen somit eine Notwendigkeit, der ebenfalls Objektivität zukommt. Ableitungen verdanken si.ch also keineswegs der Anwendung einer (dialektischen) r~ethode, sondern stel len die ideell vollzogenen Konsequenzen eines realen Zusammenhanges dar: Die Erkenntnis einer Sache, die als bestimmt existente am Anfang der theoretischen Darstellung aufgenommen wird, zeigt, daß sie aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit auf eine bestimmte andere Sache notwendig verweist. Die einzelnen Momente des erklärten Gegenstandes erscheinen als Grund füreinander, und jede Bestimmung nimmt im Gang der Ableitung diejenige Stelle vor der folgenden ein, weil und insofern sie diese notwendig macht. Auf das Ihßverständnis der ableitungsmäßigen Erklärung einer Sache als rein "logische Analyse" und "begriffliche Explikation" hat Marx im "Kapital" hingewiesen: "Allerdings mull sich die Darstellung formell von der Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat sich den Stoff im Detail anzueignen, seine verschiednen Erscheinungsformen zu analysieren und deren innre3 Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehn, als habe man es mit einer Konstruktion apriori zu tun." (Ivlarx, Nachwort zur zweiten AuflaGe, in: Das Kapital,Bd. 1, S. 27)
59)
60)
61)
62)
63)
64)
65 )
66)
67)
68)
21 1,
Siehe hierzu auch Gli ]0 'ßt 1 t 111.1. a) Was .el' . ogische Analyse des talbegriffs?
Altvater u. a., Entwicklungsphasen (Teil 1), S. 113
a.a.O. (Teil 1). S. 106
Al tv a ter /Hof fmann/Sc höll er /S emml er, En twi ckl ungs tende~z~~ des Kapltahsmus in lVestdeutschland (2. Teil), ln. ~,.obleme des Klassenkampfs Nr. 16,1974, S. 57 f
a.a.O. (Teil 1), S. 113
a.a.O. (Teil 1), S. 107
a.a.O. (Teil 1), S. 107
a.a.O. (Teil 1), S. 116
a.a.O. (Teil 2), S. 57
a.a.O. (Teil 2), S. 57
a.a.O. (Tei I n, S. 107
69) a.a.O. (Teil 1), S. 118 Von dem methodis~hen Verfahren der Volkswirtschaftslehre her lSt beKannt,. daß sie mit r:1athematischen Berechnungen nlcht nur slch mit dem Scheine der Exakth:lt ve:-slehi;, sondern zugleich so tut, als folgte die burgerllche Okonomie berechenbaren Gesetzmäßigkeiten Als Be7,s p lel sei die Berechnung des "Arbeitsarwebots;' elnes Haushaltes" zitiert: ' "Aus C3 .30), C3 .31) und C3 .34) läßt "ich bei gegebenem Loh~satz und g~gebenen Güterprei"en P. die nac fragte ["enge an Aroei t errechnen fall g ,.' zi erte N t fIt· ' ~ elne speL,l "" . u zen .. unK J.on unterstellt werden kann und da-mlt dl: G~enznutze~ errechenbar sind." (Holler/Abrecht, De,s sozlalokonomische Ontimur:1. ;'iünchen 1078 S. 69) ~ . . J ,
Die Erklärung des "Arbeitsangebots" ersetzt die olkswlrtschaftslehre hier durch das Versprechen. mit ihrer Hllfe lleße es sich berechnen, wenn man' davon aus gehen kann, daß es sich berechrlen ließe. Es muß verwu~dern, daß der marxistische Okonom Altvater, an~thtt s~lche Berechnungen zu kritisieren, die~es Ver-
a ren auf dle Spltze treibt: obwohl eingestandenerm~ßen dle stahshschen Indikatoren der Profitrate n.Lcht entsprechen, geht Al tvater davon aus, daß sich ~e~ Stand kap.tabstischer Akkumulation mit ihror l~fe berechnen läßt wenn man nur annimmt Q"aOj~ die sta.L· ,. h ,. ,., jj zwar
. .Cl: else en nicht der Prcfitrate selbst aber nlchcsdestotrotz ihrer "Veränderun[7 in de Z· t" entsprechen. ., r oel
70) a.a.O. (Teil n, S. 116
71) a.a.O. 72) .a.O.
1 1), S. 118 1 n, S. 118
73)
(4)
(5)
a.a.O.
.0.
a.a.O.
(Teil 1),
(Teil 1),
(Teil 1),
215
S. 118
S. 118 f
S. 119
(6) Einmal abgesehen von der generellen Kri tik1!JÜrdi ei t des Projekts einer Profitratenberechnung sind e zu
77)
78)
79 )
80)
diesem Zweck von Altva.ter, Hoffmann, Schöller und Semmler geleisteten mathematischen Gleichungsumformungen äußerst unrationell, wie folgendes Beispiel illustrieren mag:
" (2) m = m v
. v (2') P
wobei P
oder: P
Y (1-w)
Profi tmasse
Y-VI
Wir können, um die Mehrwertrate m in bUrgerlicher v Schreibweise (!) darzustellen, nunmehr die Gleichung
(2') die Profi tquote P Y wie folgt (!) schreiben:
p I .1;1 Vi --Y- und erhalten so (!) die umgeformte Lohn-
\~ quote: y
I . III 1 - VI ! Die i>lehrwertrate
-Y-
III P kann
- löst man die Gleichung fUr die Lohnquote nach
folgendermaßen geschrieben werden:
201 so (!)
P W auf,
0) m' = fl! v
0' ) P = 1_ 1 " W VI (a.a.O. (Teil 1),
S. 118)
Dem "hohen Kompliziertheitsgrad der Realanalyse" (a.a.O. (Teil 1), S. 106) oder gar objektiven mathematischen Schwierigkeiten sind diese Umformungen nicht geschuldet. Um obige Formel der Mehrwertmasse zur Mehrwertrate umzuformen, ist keine andere Operati on erforderlich als die eine mathematische Rechnung, nämlich die Formel (2) resp. (2') durch v resp. III zu dividie-
ren: (2) m m. v ( 2' ) P Y 1tI v
0) rn' rn 0' ) P Y 1 W W -v
a.a.O. (Teil 1), S. 124
a.a.O. (Teil 1), S. 123
a.a.O. (Teil 1), S. 1 2Lf
a.a.O. (Teil 1), S. 119
81)
82)
216
c.La.O. (Teil 1), S. 126
a.a.O. (Teil 1), S. 122 f
Jahr y
w l-w K 11
1960 0,312 0,333 0,667 0,5416 1961 0,791 0,355 0,645 0,5102 1962 0,757 0,378 0,622 0,4709 1963 0,727 0,389 0,611 0,4442 1964 0,746 0,391 0,609 0,4543 1965 0,741 0,413 0,587 0,4350 1966 0,706 0,433 0,567 0,4003 1967 0,653 0,430 0,570 0,3722 1968 0,700 0,418 0,582 0,4074 1969 0,754 0,428 0,572 0,431,3 1970 0,755 0,483 0,517 0,3903 1971 0,729 0,520 0,480 0,3499
Quelle: Eigene Berechnungen, Daten vom DlW, Produktionsvolumen und -poten· tial, Produktionsfaktoren der Industrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, Statistische Kennziffern, 12. Folge, Berlin, September 1972
83) a.a.O. (Teil 2), S. 58 f
84) a.a.O. (Teil 1), S. 118
85) Altvater u. a., Zum Problem der Profitratenberech-nung, S. 193
86) a.a.O.
87) a.a.O. (Teil 1), S. 106
88) Zur Illustration der Dialektik von Skepsis und Gewißheit in der Realanalyse siehe auch di folgende Stelle zu Problemen der Profitratenberechnung:
"Marx selbst verwendet im 'Kapital', insbesondere im ersten Band, den er als 'artifizielles Ganzes' noch selbst ausgearbeitet hat, eine ~jas e von empirischem Material zur Illustration von allgemeinen Entwicklungsgesetzen des Kapitals ... Solche Illustratio-nen finden sich auch an vielen anderen Stellen des Marxschen Werkes, und es ist zu fragen, ob mi t Hil fe solcher Illustrationen das Problem der empirischen Untersuchung zu lösen ist. Zur Beantwortung dieser Frage muß der Status der Illustrat:lonen im ~jarx-sehen Werk geklärt werden. Ihr Illert besteht keineswegs darin, Aussagen Uber die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des Kapitals machen zu können. Sie sollen diese schließlich nur illustrieren. Daher kommt dem historisch-empirischen r·laterial auch keine besondere Bedeutung zu, es ist lediglich Beiwerk der Darstellung allgemeiner Gesetze, es ist nicht konstitutiv fUr die Darstellung des Kapitalbegriffs im allgemeinen. Infolgedessen ist die Illustration auch relativ beliebig innerhalb der Gesamtdarstellung,
217
und sie hat eher darzulegen, daß die Logik des Kapitals, die allgemeinen Entwicklungsgesetze, keineswegs irgendwelche I~odellbasteleien sind, sondern ideelle Reproduktionen der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Kapitalismus darstellen. Solche Illustrationen mit geeignetem I·laterial können sehr sinnvoll sein, da auf diese Weise nachgezeichnet werden kann, daß allgemeine kapitalistische Entwicklungsgesetze auch heute noch gelten. Da'allerdings solche Illustrationen kein Eigengewicht haben können, können mit ihnen auch nicht ... theoretische Sätze überprüft werden." (Al tvater/Hoffmann/Semmler, Zum Problem der Profitratenberechnung, S. 193)
Illustrati onen am empirischen 14aterial gestatten zwar "keineswegs" "Aussagen über die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des Kapitals", aber sie sagen aus, daß "die allgemeinen Entwicklungsgesetze keineswegs irgendwelche ~lodellbasteleien sind". Zwar können mi t Illustrationen "nicht theoretische Sätze überprüft werden", aber sie können überprüfen, daß die von Marx analysierten "kapitalistischen Entwicklungsgesetze auch heute noch gelten". Zwar besitzen Illustrationen "keine besondere Bedeutung", aber sie sind "sehr sinnvoll" . Vergleiche hierzu auch die drei folgenden unmittelbar widersprüchlichen Aussagen über Beweisabsicht und -inhaI t der Real an aly se:
"Dabei geht es uns also in erster Li.nie nicht darum, z. B. zu 'beweisen', daß die Profitrate fällt, sondern darum, anhand der Entwicklung des Verwertungsgrades des tals und der darin sichtbaren inneren Tendenzen etwa zur Überakkumulation) die Rolle der dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenwirkenden Momente darzustellen und insgesamt die Bewegungsform der Konflikte im Akkumulationsprozeß mit der Lage der Arbeiterklasse und den Bedingungen der Klassenauseinandersetzungen aufzuzeigen." (Altvater u. a., Entwicklungsphasen (Teil 1), S. 116 }'uß:lote) "Dri ttens ist es uns auf dieser empirischen Basis daher möglich, für die Bundesrepublik nachzuweisen, daß der Fall der Profitrate zumindest für den Zeitraum von 1960 bis 1970 aus statistischen Daten zu belegen ist ... " (a.a.O. (Teil 1), S. 102) "~1it dem empirischen Nachweis, daß die Kapitalrentabilität in Westdeutschland seit Ihtte der 50er Jahre tendenziell gefallen ist, ist keineswegs die ~larxsche Theorie vom tendenziellen Fall der Profitrate empirisch bewiesen." (a.a.O. (Teil 2), S. 58)
89) S:iehe hierzu den "Exkurs zur Krise" im 111. Abschnitt der vorliegenden Arbeit.
90) Marx, Das Kapital, Bd. 3, S. 221 ff
218
91) Altvater u. EL., Entwicklungsphasen (Teil 1), S. 123
92) a.a.O. (Teil 1), S. 101
93) Altvater, Zu einigen Problemen, S. 3
94) Al tvater u. 21., Entwicklungsphasen (Teil 1), S. 106 Vgl. hierzu auch das' sämtliche Ebenen der Realanalyse darstellende Schema, a.a.O.
95) Siehe hierzu den Hinweis von 14arx in den Theorien über den Mehrwert: " ... die reale Krisis kann nur aus der realen Bewegung der kapitalistischen Produktion, Konkurrenz und Kredit, dargestellt werden ... " (Marx, Theorien über den 1olehrwert, Bd. 2, S. 513)
96) Al tvater, Zur Kon junkturlage, S. 3
97) Altvater, Die ~leltwährungskrise, Frankfurt am ain 1969, S. 5
98) Al tvater/l1lüller/Neusüß/Lehmann u. a., !~aterialien zur Kritik der bürgerlichen Ökonomie, Gießen 1971, S. 12
99) Altvater, Die Weltwährungskrise, S. 8
100) a.a.O.
1 01) ~larx, Das Kapi tal, Bd. 3, S. 260
1 02) a. a .0 ., S. 254
1 03) a. a. 0 ., S. 25 1; f
105) r'larx, Das Kapital, Bd. 3, S. 259 f
106) a.a.O., S. 264
1 07) ~larx, Grundrisse, S. 316
108) r1larx, Das Kapital, Bd. 3, S. 26 J-t f
1 09) a. 21 .0 ., S. 26'+
11 0)
111)
a.a.O., S. 265 Vergleiche hierzu: nDiese Entwer allgemeinen Krisen bis auf das leben gen selbst." (rolarx, Grundrisse, S. 35
a.a.O., S. 265
112) Altvater, Die Weltwährungskrise, S. 8
113) l~arx, Das Kapi tal, Bd. 3, S. 259
11 4)
115)
11 6)
117)
a .a.O.,
a.a.O. ,
a .21.0.,
a.a.O. ,
S.
S.
S.
S.
260
268 f
270
260
erstreckt sich in Arb ei tsv ermö-
118) [.larx, Theorien über den l·jehrwert, Be. 2, S. 510
119) a.a.O., S. 528
219
120) Altvater, Zur onjunkturlage, S. 3
121) a. a. 0 .
122) Vergleiche hierzu die klassischen und modernen sozialwissenschaftlichen Definitionen der Aufgaben und InhaI te von Prognosen: "So besteht der wahre positive Geist vor allem darin, zu sehen, um vorauszusehen, zu erforschen was ist, um daraus auf Grund des allgemeinen Lehrsatzes von der Unwandelbarkeit der Naturgesetze - das zu erschließen, was sein wird." (Auguste Comte, Rede über den Geist des Positivismus, Hamburg 1956, S. 35)
"1'lan kann die mehr oder weniger systematisierten Aussagenzusammenhänge der viissensehaften als Instrumente der Weltorientierung ansehen, die zumindest teilweise dazu geeignet sind, bestimmte Grundlagen für das praktische Handeln zu liefern ... Die praktische Bedeutung informativer Theorien liegt vor allem darin, daß man mit ihrer Hilfe verhaltensrelevante Prognosen gewinnen, also zukünftige Ereignisse vorhersagen kann, die für das Handeln irgendwelcher Personen bedeutsam sind. Soweit solche Prognosen an alternative Handlungsmöglichkeiten dieser Personen anknüpfen, können sie für die unmittelbare Kontrolle des Geschehens nutzbar gemacht werden, auf das sie sich beziehen." (Ha'1s Albert, Prognose, in: Wörterbuch der Soziologie, Bd. 3, hrsg. von Wilhelm Bernsdorf, Frankfurt am l~ain 1979, S. 644 f)
Der Erstellung von Prognosen liegt das Ideal von Gesellschaftswissenschaft als Sozial technologie zugrunde. Die wissenschaftliche Vorhersage notwendiger oder wahrscheinlicher Geschehnisse soll es der Gesellschaft ermöglichen, sich auf die zukünftigen Fakten einzustellen und die Mittel zur Kontrolle prognostizierter Tendenzen bereitzuhalten.
123) Altvater, Zur Konjunkturlage, S. 3
124) Altvater, Die Weltwährungskrise, S. 133
125) a.a.O., S. 8 (Fußnote) Die prognostischen Aussagen von Altvater werden von mir exemplarisch zitiert. Der optimistische Tenor bezüglich der Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals charakterisiert sämtliche Diskussionsbeiträge in dem Handbuch "Perspektiven des Kapitalismus ", dessen Veröffentlichung mi t dem Beginn der. Wirtschaftskrise 1974 zusammenfällt. Der gemeinsamen Fragestellung -"Hat der Kapi talismus noch eine Zukunft?" (Handbuch 1 - Perspektiven des Kapi talismus , hrsg. von Volkhard Brandes, Frankfurt am 1-1ain 1974, S. 7) - gibt Volkhard Brandes im Vorwort die optimistische Wendung, daß
220
"die weltweite Inflation der Zusammenbruch des am Ende des Zweiten Wel eges errichteten internationalen Währungssystems, niedrige Wachstums raten, die Verschärfung der Konkurrenz auf dem Weltmarkt und der Zerfall der in der Nachkriegszeit entstandenen politischen Blöcke ... entscheidend dazu beigetragen (haben), den in der RekonstruktiOnsperiode verbreiteten Glauben an die Stabilität und Krisenfesti eit des Kapi.talismus wei thin zu erschüttern. tere Prognosen treten zunehmend an die Stelle des Optimismus der '\hrtschaftswunder,jahre'." (a.a.O.)
Paul l-lattick pr ostiziert in seinem Aufsatz, "Kri-se und gemischte rtschaft" den Mißerfolg staatli-cher Hirtschaftseingriffe, die die Krise nicht vermeiden können:
"Zur Zeit sind alle Symptome einer sich vert:iefenden Krise vorhanden. Aber wie weit diese führen wird, ist nicht im voraus festzufötellen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sie einen katastrophalen Charakter annehmen wird wi in der letzten großen Krise. Hahrscheinlicher erscheint jedoch ein langsamer Niedergang der vlirtschaft ... " (Paul Mattick, Krise und sehte Wirtschaft, in: Handbuch 1, S. 24
Christoph Deutschmann t ebenfaLLS vom unvermeid-lichen Scheitern der rtschaftspolitik aus, auch wenn es noch nicht offen zutage tritt:
"Die 'neue Vlirtschaftspolitik' der Nachkriegszeit - das beweist die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre - hat die grundlegenden Kris setze des kapitalistischen Systems nicht hoben, sondern nur aufgeschoben und vertagt. (Christoph Deutschmann, Inflation und Heltwährungskrise, in: Handbuch 1, S. 88)
Auch Aike Blechschmidt prognostiziert zunehmende Schwierigkei ten der westdeutschen Akkumulati on aufgrund ihrer Heltmarktabhängigkeit:
"Gerade weil der Viel tmarkt in der Vergangenhei t die BRD vor Realisierungskrisen abschirmte, kann er heute zu einer Verschärfung des vJiderspruchs von entwickelter Produktion und gesellschaftlich begrenzter Konsumti on bei tragen. Das Krisenventil der vergangenen fünf Zyklen könnte sich am Ende des sechsten Abschwungs als Krisenkatalys ator erwei s en ." (Ai ke BI ec hs c hmi d t, Pr 0-
fitentwicklung und Krise in der BRD-Industrie, in: Handbuch 1, S. 296)
Die wie die Arbeiten von Altvater zur "VJeltwährungskrise" und zur "Konjunkturlage der BHD" ebenfalls zu Beginn der 70er Jahre erschienene Studie von Ernest Mandel über "Die deutsche Wirtschaftskrise" sieht
221
die eigene Prognose über die "Krisenanfälligkeitdes Spätkapitalismus" durch die Rezession 1966/67 "ausnahmslos durch die Tatsachen bestätigt" (Ernest 14an-deI, Die deutsche Wirtschaftskrise Lehren der Re-zession 1966/67, Frankfurt 21m r'\ain 1969, s. 9). Daran schließt er sogleich eine neue optimitische Prognose über die Perspektivlosigkeit des bundesdeutschen ökonomischen und poli tischen Systems an:
"Die Wirtschaftsrezession der Jahre 1956 und 1967 hat auf die Bundesrepublik wie ein Schock gewirkt. Die gesellschafts- und innenpolitischen Auswirkungen werden noch jahrelang nachhallen .,. Eine Legende ist in diesen Jahren zusammengebrochen: jene der krisenfesten und einen steten Fortschritt des Lebensstandards gewährleistenden' sozialen 14arktwirtschaft' . lh t dieser Legende j.st auch die langfristige poli tische Stabilität der Bundesrepublik zum Tode verurteilt ... " (21.21.0., S. 5)
126) Altvater, Die 1rleltwährungskrise, S. 7
127) Altvater u. 21., Entwicklungstendenzen (Teil 2), S. 1'+2 Zu demselben prognostischen Resümee kommen die Autoren in dem ebenfalls 1974 erschienenen Aufsatz "Zur Entwicklung des Kapitalismus in ivestdeutschland":
"Daher sind mit den veränderten Bedingungen der Kapitalakkumulation nicht nur neue 'ökonomische' Probleme, sondern schärfere Formen des Klassengegensatzes und der Klassenkämpfe zwischen Lohnarbeit und Kapi tal aue h in der BRD auf der Tages ordnung." (Altvater/Hoffmann/Schöller/Semmler, Zur Entwicklung des Kapitalismus in Westdeutschland, in: Handbuch 1, S. 268)
i 28) Redaktionskollektiv "Gewerkschaften", Kapitalistische Krise, Arbeitslosigkeit und Krise der Gewerkschaftspolitik in der Bundesrepublik, in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 19/20/21,1975, S. 3
129) Altvater u. 21., Zur Entwicklung des Kapitalismus, S. 268
130) Den vom Redaktionskollektiv "Gewerkschaften" postulierten "Zusammenhang von ökonomischer und Klassenbewegung", dem gemäß der Krise der Kapitalakkumulation zwangsläufig ein Aufschwung des Klassenkampfs folge, hat 14arx nicht behauptet. In der Analyse des allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation kam er zu dem Resultat, daß die Lage der Arbeiterklasse die "abhängige Variable" des Akkumulationsprozesses des Kapitals ist und die Krise keineswegs eine günstige Bedingung des Klassenkampfs darstellt. Sie gibt vielmehr dem Kapital gewichtige Hebel ~ den Widerstand der Arbeiter an die Hand:
"Die Überarbeit des beschäftigten Teils der Arbeiterklasse schwellt die Reihen ihrer Reserve, während umgekehrt der vermehrte Druck, den die letz-
222
tere durch ihre Konkurrenz auf die erstere ausübt, diese zur Überarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des Kapitals zwingt." (r4arx, Das Kapital, Bd. 1, S. 665)
Siehe hierzu auch die Ausführungen im vierten Abschnitt der Arbeit: IV. 2. 21) Der traditionelle Proletariatsbegriff.
131) Redaktionskollektiv "Gewerkschaften", Kapi talisti sehe Krise, S. 4 f
132) 21.21.0., S. 7
133) Handbuch 3 Inflation, Akkumulation, Krise I, hrsg. von Elrnar AJ.tvater/Volkhard Brandes/Jochen Reiche, Frankfurt 21m ain Köln 1976, S. 1 e
134) 21.21.0.
135) 21.21.0., S. 19
136) Altvater/Brandes/Reiche, Rezession, Inflation und staatliche Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik, in: Handbuch L+ - Inflation, Akkumul ati. on , Krise 11, hrsg. von Altvater/Brandes/Reiche, Frankfurt 21m Main - Köln 1976, S. 97
137) Altvater, Es muß sich noch mehr ändern, als sich bereits geändert hat!, in: Redaktionsgruppe Sozialistische Konferenz (Hrsg.), Ökologie und Sm~ialismus, Hannover 1980, S. 12 f
138) Altvater, Zu einigen Problemen des Staatsinterventionismus, S. 29 f
139) Altvater, Es muß sich noch mehr ändern, S. 13
140) Die Konjunkturen marxistischer Krisentheorien und Kon junkturanalysen in der Bundesrepublik sei t Anfang der 70er Jahre sind exemplarisch anhand der von Al tvater erarbeiteten Krisenprognosen dargestell t worden. Zur Illustration, daß es sich dabei nicht um einen Einzelfall, sondern eine allgemeintypische Entwicklung handelt, seien beispielhaft noch die Fortschritte der von Joachim Hirsch vertretenen Krisentheorie zitiert. Hirsch interpretiert ebenso wie Altvater das von r4arx analysierte Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate als Beleg der Existenzunftlhigkeit des Kapitalismus, da mit ihm
"nachgewiesen werden kann, daß der kapitalistische Akkumulationsprozeß als Verwertungs- und Ausbeutungsprozeß notwendig krisenhaft st und sich seine Krisentendenz im historischen Voranschrei ten der kapi talistischen Entwicklung ... verstärkt ... 11
(Joachim Hirsch, Staatsapparat und Reproduktion des Kapitals, Frankfurt 21m Main 1974, S. 232)
Daraus leitet Hirsch im Jahre 1974 folgenden progno-
223
tischen Zus über die "Stabilität der bür-gerlichen Herrschaft ab:
"Stockung oder Zusammenbruch der lation und 'politische Krise' flie ineinander." (a.a.O., S. 2)L,)
talakkumuzusehends
Noch im April 1979 - angesichts eines neuen \rIirtschaftsaufschwungs und eines stabilen "140dell Deutschland" - findet Hirsch den von ihm aufgestell ten Zusammenhang empirisch bestätigt:
"Auch wenn keine große Dramatik zu verzeichnen war knirschte es also wieder einmal vernehmlich an ~erschiedenen Stellen der staatlichen und staats-tragenden ... " (Hirsch, Ein leises, aber vernehmlic Knirschen - Zur aktuellen wirtschafts-politischen :Situation, i,n: Links Nr. 109, 1979, S. 19)
Unter Berufung auf die Befunde der volkswirtschaft-I c'hen Begu tac htung der Kon junktur zur Zei t des ök 0-nomischen Aufschwungs 1978/79 - "lahmende Konjunktur", "Verschuldungspolitik der Regierung", "Wachstumskal-kül auf schwachen Füßen" (a.a.O.) etc prognostiziert Hirsch zunehmende Verwertungsschwierigkeiten des Kapi tals:
"Freilich steht dieses Kalkül ("unbedingtes Wachstum") auf einigermaßen schwachen Füßen: seit den fünziger und sechziger Jahren, als eine derartige Poli tik noch mi t dem erwarteten Erfolg rechnen konnte, haben si,ch die Bedingungen für die Kapital-verwertung egend verändert. Daß die Kapital-profite dura enzte gewerkschaftliche Zuge-ständnisse auf Sicht stabilisiert werden können, ist unwahrscheinlich geworden ... " (a.a.O., S. 20)
Im Jahre 1980 allerdings sieht Hirsch die auch von ihm zuvor vertretenen "traditionellen Vorstellungen" von ökonomischer Krise und Aufschwung des Klassenkampfs "von der Entwicklung nachhaltig dementiert" (Hirsch, Der Sicherheitsstaat - Das Modell Deutschland, seine Krise und di'e neuen sozialen Bewegungen, Frankfurt am lliain 1980, s. 132):
"Die kapitalistische Gesellschaft hat sich in mehrfacher Weise als wandelbar und anpassungsfähig erw1 es en ." (a. a .0 . )
Der Erfolg des "Modell Deutschland" ist für Hirsch gleichbedeutend mit einer Krise marxistischer Kapitalismuskritik, weil ihr Gegenstand noch eXlstlert. Hirsch interpretiert also ebenfalls den Mißerfolg seiner Krisenprognosen als Indiz einer Krise des !,jarxismus.
11,1) Hirsch, Der Sicherheitsstaat, S. 132 Siehe hierzu auch die programmatischen Stellungnahmen der Redaktionsgruppe "Sozialistische Konferenz",
221,
an der Autoren aus dem Diskussionsrahmen der Zeit-schrift "Probleme des Klasscnk fs ll
, ~,litglieder der "Sozialistischen Studiengruppen (ehema.ls "Pro,jekt Klassenanalyse") der Zeitschrift "Kritik" und linke Einzelpersönlic eiten wie Bah~o u, a, beteil gt waren:
"Die nüchterne Zurkenntnisnahme dieser Kr::' 8 hat nichts mit Pessimismus zu tun. Sie ist vi81mehr die erste Bedingung dafür, die Probleme, vor denen die linken Kräfte stehen, überhaupt zu können ... Dabei geht es auch darum, die Krise des Marxismus ernst nehmen - sie auf den 'Marxismus der anderen' eingrenzen und untersuchen, welche Grenzen und Schlacken in unseren spezifischen marxistischen Traditionen uns gegenüber entscheidenden Stärken und Vcrteilen dieser spezifischen Gestalt bürgerlicher Klassenherrschaft (des '1:10del1 Deutschland') kurzsichtig, wenn nicht sogar blind werden lassen." Redak-tionsgruppe "Sozialistische Konferenz" .), Der herrschende Block und die Alternativen der Linken, Materialien zur Sozialistischen Konferenz, Bd. 3, Hannover 1980, S. 21)
IV. Die Demontage der rekonstruierten Marxschen Theorie -
die IIKrise des I~larxismus"
"Krise des l<larxismus" - eine Selbstverständnisdebatte
Im vorangegangenen Abschnitt war zu verfolgen, ~ie Realana
lyse und Krisenprognose im Gegensatz zu ihrer Intention,
zur Erhärtung der rekonstruierten Marxschen Theorie beizu
tragen, zum gegenteiligen Resultat führten. Denn während
die Krise und der in ihrem Gefolge erwartete Klassenkampf
marxistische Theorie in der Bundesrepublik verifizieren
sollte, blamierten sich Jie realanalytischen Studien und
Prognosen an der realen Entwicklung des westdeutschen Ka~
pitalismus in den 70er Jahren. Die Etappen der Krisentheo
rie - angefangen von den optimistischen Prognosen, daß
"schärfere Formen des Klassengegensatzes und der Klassen··
kämpfe ... auch in der BRD auf der Tagesordnung" stündeni) ,
bis hin zu dem desj.llusionierten Resümee, "daß sich die
revolutionsstrategischen Erwartungen hinsichtlich der Kon
stitution und Radikalisierung eines proletarischen Klassen
bewu.Stseins ... keineswegs erfüll ten,,2) - bezeichnen den
.Gang eser Theorieentwicklung. An der Wende zu den 80er
Jahren zieht die ~ehrzahl der Protagonisten der seiner
zeitigen Rekonstruktion der Marxschen Theorie die Konse
quenzen aus der Enttäuschung ihrer Erwartungen. Unter der
programmatischen Überschrift "Was heißt Krise des Marxis
mus?" plädieren sie für die "Notwendigkeit einer marxi
stischen Grundsatzdebatte."J) Ihr Thema soll das eigene bis
herige "Marxismusverständnis"/{), ihr Resultat die Klärung
der Frage sein, welches Ver h ä I t n i s man in Zukunft
zu seinen früher vertretenen Auffassungen einzunehmen habe.
Die zu führende Grundsatzdebatte über das zeitgemäße ~ar
xismusverständnis oll sich erklärtermaßen nicht mit vermu-
teten oder entdeckten Unstimmigkeiten und Fehlern der re
konstruierten marxistischen Theorie beschäftigen. sondern
226
dem selbstkritischen Eingeständnis der notwendigen
Feh 1 er ha f ti g k e i t des Marxismus dienen:
"Es geht auch nicht darum, enzyklopädisch die Fehler, Unklarheiten, blinden Flecken und toten Winkel zu diskutieren, mit denen dieser Marxismus unzwei felhaft belastet ist - wie sollte er es auch nicht sein, als Theorie der Klassenkämpfe inmitten der Klassenkämpfe, ohne metaphysische Garantien und ohne unfehlbare Methode?" 5)
Obgleich hier die Unstimmigkeiten und Idealismen des re
konstruierten Marxismus als unumgängliche objektive Ei
genschaft einer Klassenkampf theorie gedeutet werden, wis
sen Altvater, Armanski, Blanke, Frieder O. Wolf u. a.
zugleich um den subjektiven Grund der "Krise des narxis-
mus 11:
"Entscheidend für die Krise des r~arxismus ist jedoch, daß sich die revolutionsstrategischen Erwartungen hinsichtlich der Konstitution und Radikalisierung eines proletarischen Klassenbewußtseins, die fast alle Marxismen an die kapitalistische Krise knüpften, sich kei neswegs erfüllten ... Damit war der marxistisch oft angenommene Automatismus von Krise und Revolution, die ökonomische Zusammen bruchs theorie im Kern in Frage gestellt." 6)
Die Redaktionsmitglieder der Zeitschrift "Probleme des
Klassenkampfs" besitzen ein Selbstbewußtsein darüber, daß
die "aufgebrochene" Krise des r.jarxismus nicht der Tat
sache geschuldet j.st, eine "Theorie der Klassenkämpfe in
mitten der Klassenkämpfe" zu sein, sondern sich ihren
e nt t ä u s c h te n Hof f nun gen auf ein "Aufbrechen"
von Klassenkämpfen in der Bundesrepublik verdankt. Nüch
tern betrachtet bezeichnet die "Krise des f-1arxismus also
alleine eine Blamage früherer "revolutionsstrategischer
Erwartungen" westdeutscher Linker, nicht aber eine er-
legung des Marxismus. Vom Standpunkt der an der Selbst
verständnisdebatte über die "Krise des ;·larxismus" Betej.
ligten stellt sieb dieser Sachverhalt allerdings genau
umgekehrt dar: Weil für sie die rekonstruierte :arx-
sehe Theorie von Anfang an weniger die theoretische Ana-
227
lyse und wissenschaftliche Kritik der kapitalistischen
Verhältnisse leisten, sondern vor allem empirische Ein
schätzungen zukünftiger Krisenentwicklungen und realana
lytische Interpretationen möglicher Klassenkämpfe erstel
len sollte, wird in ihren Augen der praktische Erfolg
des bundesdeutschen Kapitalismus in den 70er Jahren, die
Krisenbewältigung ohne merkliche Gegenwehr der von ihr
betroffenen Arbeiterklasse durchgesetzt zu haben, zu ei-
nem theoretischen Argument gegen den Marxismus.
Der Erfolg des Kritikgegenstandes macht so für Altvater,
Armanski, Blanke u. a. nicht etwa seine theoretische und
praktische Kritik nötiger denn je, sondern "beweist" ih
nen die Ungültigkeit der marxistischen Kapitalismuskri
tik:
"Jede Krise des Kapitalismus beweist natürlich auch eine Krise der Linken, wenn diese nicht den in den Krisentheorien vermuteten Zusammenhang einlöst und wenigstens zu Teilerfolgen gelangt ... Daß ein als kausal unterstellter Zusammenhang zwischen der Krise des Kapitalis~us und der des Marxismus besteht, besagt in Wirklichkeit ja: daß die sich als marxistisch verstehende soziale Bewegung (soweit sie überhaupt besteht) einen unzureichenden oder falschen Begriff von der kanitalistischen Gesellschaft hat - also die Bewegung ~nd ihre Theoretiker praktisch und theoretisch nicht auf der Höhe der Zeit sind." 7)
Man sieht, in der Diskussion um die Krise des Marxismus
wird mit den Prinzipien seiner Rekonstruktion ernstge
macht - allerdings jetzt in umgekehrter Richtung. Rekon
struierten die "Theoretiker" den Marxismus als eine Theo
rie, die allen bürgerlichen Auffassungen darin überle-
gen ist, der wir k I ich e "theoretische Ausdruck der
praktischen Bewegung,,8) zu sein und so "zur Beschleuni
gung des Auflösungsprozesses der bürgerlichen Gesell
sChaft,,9) beizutragen, so demontieren sie nun angesichts
der Stabilität der westdeutschen Gesellschaft den rekon
struierten Marxismus mi t dem Vorwurf, einen i I 1 u s i 0 -
n ä ren "Ausdruck" der gesellschaftlichen Realität dar
zustellen. vlieder "auf die Höhe der Zeit" kommen die west-
228
deutsche linke "Bewegung und ihre Theoretiker" - so die
Redaktionsgruppe "Sozialistische Konferenz" und das Mit
glied des "Sozialistischen Büros", J.oachim Hirsch nur
durch die vorurteilslose Anerkennung der "entscheidenden
Stärken und Vorteile dieser spezifischen Gestalt bürger
licher Klassenherrschaft des 'i,jodell Deutschland' ,,10) so
wie über die radikale Infragestellung "tradi ti onel er Vor
stellungen von Klassenkampf und sozialer Revolution. ,,11)
In der Diskussion um die "Krise des r~arxismus" steht er-
klärtermaßen nicht mehr die Kritik der kapi talisti
sehen Verhältnisse, sondern die SeI b s t k r i ti k im
Mittelpunkt, daß der eigene frühere "Traditionsbestand
an politischen Analysen, Konzepten und Strategien sozial
revolutionärer Veränderung fragwürdig, ja, von der Ent
wicklung nachhai tig dementiert worden ist" .12) Dieser in
der Grundsatzdebatte praktizierte radikale "Perspektiven
wechsel,,13) gilt den Diskutanten als erster und entschei
dender Schritt zur erfolgreichen Bewältigung der Krise des
Marxismus. Er beinhaltet zum einen das Gebot, sich in Zu-
kunft einer wirklich realistischen Einschätzung
der "Stabilitätsbedingungen und Bruchpunkte - der Ent
wicklungspotentiale und möglichen Weichenstellungen" des
"Modell Deutschland,,14) zuzuwenden; zum anderen die Auf
forderung, die frühere Überzeugung von dem bürgerlicher
Theorie schlechthin überlegenen r~arxismus zu re la ti -
vi er e n 15) und die "abstrakte Gegenüberstellung von
'marxistisch' und 'bürgerlich' ,,16) aufzugeben.
Die anschließende Auseinandersetzung mit den Schriften
von Andre Gorz, Rudolf Bahro, Joachim Hirsch und Wolfgang
Fritz Haug soll unter anderem der Erörterung der folgen
den Fragen dienen: Ist die in der "Krise des Marxismus"
thematisierte Selbstkritik, einen "unzureichenden oder
falschen Begriff von der kapitalistischen Gesellschaft"
besessen zu haben, der Auftakt zur Eliminierung bemerkter
Unstimmigkeiten, Widersprüche und Illusionen der rekon-
229
struierten Marxschen Theorie? Oder kündigt nicht vielmehr
das Postulat, sich wieder "auf die Höhe der Zeit" zu be
geben, die Akkommodation linker Theorie und Praxis an die
zu konstatierende Tendenzwende in Politik und Wissen
schaft der Bundesrepublik der 80er Jahre an? Bedeutet der
methodische Anspruch des "Realismus" die Kritik früherer
Idealismen, um in Zukunft gemäß der materialistischen An
weisung eines Klassikers des wissenschaftlichen Sozialis
mus "die wirkliche \'leI t ... so aufzufassen, wie sie sich
selbst einem jeden gibt, der ohne vorgefaßte idealisti
sche Schrullen an sie herantri tt. "? 17) Oder ist das in
der "Krise des ~larxismus" erhobene Plädoyer für mehr
"Realismus" nicht vielmehr gleichbedeutend mit der Ver
pflichtung linker Theorie auf neue, zum "Kräfteverhält
nis " der 80er Jahre passende Idealismen?
230
2. Die Bewäl tigung der "Krise des l'larxismus" di Er
setzung früherer Illusionen durch neue Idealismen
a) Der "traditionelle Proletariatsbegriff"
Seit der Rekonstruktion des Marxismus im Gefolge der Stu
dentenbewegung stand das "Proletariat" im rhttelpunkt der
theoretischen Analysen. Krisentheorie und Konjunkturpro
gnosen befaßten sich mit der Beobachtung und Einschätzung
von Bedingungen, Möglichkeiten und Entwicklungstendenzen
des Klassenkampfs in der Bundesrepublik. Die optimistischen
Erwartungen eines natru~Jchsigen Aufschwungs der proleta
rischen Bewegung endeten in der desillusionierten Feststel
lung, sich im "Proletariatsbegriff" getäuscht zu haben:
"Es geht schlicht um folgendes: Das revolutionäre Subjekt 'funktioniert' nicht so, wie es bei unserem bisherigen Prol etariatsbegriff mi t dem ganzen dazugehörigen Umfeld zu erwarten wäre. Und wir schauen uns vergebens die Augen aus nach einer revolutionären Arbeiterklasse ... " 18)
Die früher sowohl von Bahro in "unserem bisherigen Prole
tariatsbegriff" als auch von den Autoren der Zeitschrift
"Probleme des Klassenkampfs" in der Annahme des "Zusammen
h"tngs von ökonomischer Krise und Klassenkampf" praktizierte
Berufung auf die Kapitalismusanalyse von Marx beinhaltet
allerdings ein klassisches Mißverständnis der Marxschen
"Kri tik der poli tischen Ökonomie". Denn Marx hat weder den
postulierten Automatismus von Krise und proletarischer
Bewegung angenommen noch mögliche Entwicklungstendenzen
des Klassenkampfs prognostiziert. Er hat im "Kapi tal"
die Gesetzmäßigkeiten dargestellt, die das Proletariat
zwingen, das Kapital als ihm feindliche Macht selbst zu
produzieren:
"Der Arbei ter selbst produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als sub-
231
jektive, von ihren eigenen Vergegenständlichungs-und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter. Diese beständige Reproduktion oder Verewigung des Arbeiters ist das sine qua non der kapitalistischen Produktion." 19)
Marx ging also davon aus, daß die kapitalistischen Ver
hältnisse zwar beständig Gründe für ihre Revolutionierung
als auch die materiellen Bedingungen dafür produzieren,
zugleich aber solche sind, in denen die Arbeiterklasse
ihren Gegensatz zum Kapital noch nicht erkannt und reali
siert hat. Mit der Untersuchung und Darstellung des Ar
beitslohns, auf dem "alle Rechtsvorstellungen des Arbei
ters wie des Kapitalisten, alle 14ystifikationen der kapi
talistischen Produktionsweise. alle ihre Freiheitsillu
sionen,,20) beruhen, begründet Marx die Kr i ti k des
notwendig falschen Bewußtseins der Lohnarbeiter als die
Voraussetzung für den Fortschritt des Proletariats von
einer "Klasse an sich" zu seiner Konstituierung "als Klas
se für sich selbst.,,21) Anstatt die Lohnarbeiterexistenz
mit revolutionärer Tätigkeit zu identifizieren, dabei
selbst als "Theoretiker" die gesellschaftlichen Entwick
lungstendenzen durch ihre Interpretation zu begleiten
und die eigenen Veränderungshoffnungen auf die Arbeiter
klasse zu projizieren, hielt Marx zeit seines Lebens die
praktische Vermittl.ung von Klassenhewußtsein durch Kri
tik falscher proletarischer Vorstellungen für eine poli
tische Notwendigkeit. 22 )
Die Überzeugung, die ökonomische Krise des bundesrepu
blikanisehen Kapi talismus vfÜrde die westdeutsche Arbei ter
klasse naturw1ichsig in den Klassenkampf zwingen, war um-
gekehrt der Leitgedanke des als Krisentheorie und
Kon ;junkturprognose rekonstruierten 1fJarxismus. Die Kritik
des proletarischen Bewußtseins wurde durch die Be 0 b
ach tun g seiner Entwicklungstendenzen ersetzt. Die
En Bchung der in dem traditionelJen "Proletariatsbe-
232
griff" formulierten Klassenkampferwartungen durch das
reale Proletariat nehmen Bahro ebensowohl wie die Redak
tion der "Prokla" zum Anlaß für die von Skeptizismus
getragene Diskussion, ob der Arbeiterklasse überhaupt
die praktische Bedeutung für die Beseitigung des Kapi
talismus zukomme, die man ihr unter Berufung auf l1arx
bislang beigemessen hat:
"Probleme mit dem Klassenkampf in einer Zeitschrift, die sich "Probleme des Klassenkampfs" nennt? Diese Spannung kann zumindest doppel t gedeutet werden. Es kann heißen, daß eine pol,itisch-wissenschaftliche Konzeption, die ursprünglich den Anspruch hatte, durch Analyse der empirischen Prozesse der Konstitution der Arbeiterklasse einen Beitrag zur Beschleunigung des Auflösungsprozesses der bürgerlichen Gesellschaft zu leisten - so noch in Prokla 6 -, daß diese Konzeption anläßlich der relativen Stagnation der traditionellen Arbeiterbewegung und des Aufschwungs der neuen sozialen Bewegungen in die Krise geraten ist und einer Neubestimmung bedarf. Es kann auch heißen, daß diese Konzeption im Kern immer noch für richtig gehalten wird, die Arbeiterklasse der entscheidende Emanzipations träger ist, die neuen sozialen Be\'iegungen letztlich Teilelemente in dem Konstitutionsprozeß der Arbeiterklasse darstellen, und deshalb diejenigen, die dies nicht sehen, ihre Probleme mit dem Klass f haben. Mag sein, daß es noch mehr Nuancen gibt. Der egensatz jedoch zwischen einer Emanzipationskonzeption, die Abschied vom Proletariat CA. Gorz) nimmt, und einer Emanzipationskonzeption, die ihr Zuhause beim Proletariat hat, durchzieht die meisten politischen Dis kussionen der Neuen Linken ... " 23)
vleil die von ~Iarx analysierten Gesetzmäßigkeiten der
Reproduktion der kapitalistisehen Produktions-
weise -
"Der kapitalistische Produktionsprozeß, im Zusammenhang betrachtet oder als Reproduktionsprozeß, produziert also nichi nur Ware, nicht nur Mehrwert, er produziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst, auf der einen Sei te den Kapi talisten, auf der andren den Lohnarbei ter." 24) -
als "A u f 1 ö s u n g s pro z e ß" der bürgerlichen Ge
sellschaft rekonstruiert wurden, dem e:in "Kons ti tu
t ion s pro z e ß der A I' bei tel' k 1 ass e" natur-
r
233
v.'Üchsig folgen vlÜrde, wurden di,e auf das Proletariat ge
setzten Erwartungen der "Neuen Linken" um so zweifelhaf
ter, je länger sie durch die Realität enttäuscht wurden.
Die Diskussion um "unseren Proletariatsbegriff" , also die
Frage, wie man in Zukunft das Proletariat einzu-
sc h ä t.z e n habe, kristallisierte sich an den von An-
dre Gorz im "Abschied vom Proletariat" aufgestellten The
sen. Inwiefern der "Abschied vom Proletariat" einerseits
die Demontage alter Illusionen, anderersei,ts deren Trans
formation in neue Idealismen beinhaltet, soll im folgen
den erörtert werden.
b) Abschied vom Proletariat (Andre Gorz)
Die Krise des Proletariats
Die theoretische Streitschrift "Abschied vom Proletariat,,2S),
die
sen
mit
einer Spiegel-Rezension zufolge "in studentischen Krei
zu einem Kul tbuch ausgerufen worden ist,,26), beginnt
einer radikalen Kritik des Marxismus. Die "marxisti-
sehe Theorie des Proletariat" - so Gorz - sei 'von "Ortho
doxie, Dogmatismus, ReligiOsität,,27) geprägt, habe "kei
ne andere Grundlage als die den Geist des Propheten er
leuchtende Offenbarung,,28); sämtlichen das Proletariat
betreffenden prophetischen Voraussagen "widersprachen die
Fakten,,29), so daß der Abschied von dem "Proletariat nach
Sankt Marx,,30) längst überfällig sei:
"Der r~arxismus steckt in einer Krise, weil die Arbeiterbewegung von einer Krise erfaßt ist. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre zerriß das Band zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Entwicklung der Klassengegensätze, und zwar nicht deshalb, weil die inneren Vlidersprüche des Kapitalismus sich nicht offenbart hätten - nie zuvor waren sie ähnlich offenkundig wie heute. Niemals zuvor hat der Kapitalismus sich so wenig fähig gezeigt, die von. ihm hervorgerufenen Proble-me zu lösen. Aber diese Unfähigkeit ist ihm nicht tödlich. Er hat die kaum analysierte und nur unzulänglich
2 3/~
b ffene Kraft erworben, die Nichtlösung seiner Pr lerne zu beherrschen; er versteht es durchaus sein mangelhaftes Funktionieren zu überleben. Ja, er ~chöpft daraus sogar noch neue Impulse." 31)
Has sich hier als empirische Beobachtung der gesellschaft
lichen Realität Ende der 70er Jahre vorträgt, ist de fac
to eine interessegeleitete Interpretation dieser Realität.
Das schiere Faktum der fortdauernden Existenz des
Kapi talismus ist für G orz gleich in mehrfacher Hinsicht
ein Be w e i, s: Es i,st ihm erstens Beleg der eigentli
ehen Funktionsunfähigkeit und objektiven Uberlebtheit des
kapitalistischen Systems. zweitens aber gleichfalls Be
weis seiner funkti onierenden VU'aft und unr;ebrochenen
Uberlebensfähigkeit. Drittens ist die daucrhafte Existenz
des Kapitalismus für Gorz Zeugnis der Unfähigkeit des Pro
letariats zur Erfüllung seiner "historischen rhssion" und
beweist i,hm viertens die Ungültigkeit der r·larxschen Kapi,
talismuskri tik:
"Tatsächlich gründet sich der r~arxismus auf einen Bedingungszusammenhang, von dem wir heute wissen, daß er sich i,n der Zukunft ebensowenig herstellen wircr;-wie das in der Vergangenheit der Fall war. Es handelt sich um folgenden Zusammenhang: 1. Die Entwicklung der Produktivkräfte erzeugt die materielle Basis des Sozialismus ... Doch die \Virklichkeit sieht anders aus: 1. Die Entwicklung der Produktivkräfte ist funktional allein für die Logik und Bedürfnisse des K~italismus. Vleit davon entfernt, die materielle Basis des Sozialismus zu schaffen, behindert sie ihn." 32)
Zwei Kapitel später ist für Gorz dieselbe "Vlirklichkeit"
Zeugni s für di e di ametral en tgegenges etz te Deu tung:
"Die Logik des Kapitals hat uns an die Schwelle der Befreiung geführt." 33)
Den beiden Aussagen ist sowohl der prinzipielle Viider
spruch von Gorz 1 Streitschrift zu entnehmen als auch eine
eindeutige Auskunft, worin die angesprochene "Logik des
Kapitals" besteht. ~lit ihr charakterisi,ert Gorz keine
wirkliche ökonomische Gesetzmäßigkei t der kapi talisti-
..------_._._--- ._---_. __ .... _ ....... _ ...... _---------------------------------------------
235
sehen Produktionsweise, sondern thematisiert die Ver
~nderungshoffnungen, zu denen der Kapitalismus heute noch
berechtige. Die Frage, wohin die kapitalistische Entwick
lung führe, ob die "Logik des Kapitals" ihre eigene Ab
schaffung befördere oder verhindere, bezeichnet die Pro
blemstellung von Gorz. Und die beiden auf diese Frage
möglichen Antworten finden sich im "Abschied vom Proleta-
riat". Im ersten Teil der Arbeit verabschiedet
sich Gorz angesichts der ungebrochenen Existenz des Kapi
talismus von der früher von ihm geteilten tr a d i t i o
n e I I e n Zu k u n f t s hof f nun g, die sich in der Idee
vom Proletariat als dem per se revolution~ren "histori
schen Subjekt" ausdrückte. Im zweiten Teil beg r ü ß t
Gorz eine neu e Zu ku n f t s per s p e k t i v e in Ge
stal t der als "Neoproletariat,,31+) imaginierten "Wieder
auferstehung des historischen SUbjekts.,,35)
Den "Abschied vom Proletariat" beginnt Gorz mit der Dar
stellung seiner "Krise":
"Die Klasse selber befindet sich in einer Krise. Denncch betrifft die Krise weit mehr einen Mythos und eine Ideologie als die reale Arbeiterklasse. Mehr als ein Jahrhundert hat die Idee des Proletariats dessen Irrealit~t zu verbergen gemocht. Diese Idee ist heute ebenso obsolet wie das Proletariat selbst ... " 36)
So sehr die Aussage zutrifft, daß die Krise des Proleta-
riats nichts mit des sen wirklichem Handeln und Be-
vmßtsein zu tun hat, sondern sich dem entt~uschten "My
thos" linker Intellektueller verdankt, so unzutreffend
ist der Umkehrschluß, die Arbeiterklasse in Frankreich
oder Westdeutschland sei eine längst obsolete " I r -
realit~t". Solche Charakterisierung entspringt dem
Anliegen von Gorz, die eigene Abkehr vom Marxismus als
den selbstkritischen Entschluß vorzustellen, mit einer
frUher flegten "religiösen" "Philosophie hegelscher
Struktur" ) radikal zu brechen. Zu diesem Zweck inter
pretiert Gorz die Marxsche Analyse der Lohnarbeit erst
236
noch in den Mythos vom selbstbewu en und allmhc gen
Proletariat um, als den er sie dann zu verabschieden be
absichtigt:
"Der Kommunismus, Heraufkunft des Proletariats als uni versale Klasse, ist der Sinn der Geschichte. Man sieht den Parallelismus (zu Hegel; d. Verf.). An die teIle des Geistes tritt die Erz der Welt. Zun~chst sich selbst verb wird sie sic fortschreitend ihrer bewußt in dem , \üe die Produkhvkr~fte si ent-
ometheischen Selbstbekundung des Gesamtarbeiters s Urheber der Wel und seiner selbst in der Kooperahon aller mit allen.1< 3(3)
"Seine Proletarisierung, so dachte r':arx, wijrde i.hn (den "Handwerker") aus seiner beschr~nkten Indi.viduali.t~t herauslösen. Seiner Werkzeuge und seines Berufs beraubt, von seinem Produkt getrennt, unter dem Zwang eine vorher bestimmte Arbeitsmenge zu mi s banalisierter und sozialisierter, di.e Prole er aus-tauschbar machender Fertigkei ten, wUrde der Arbe:, ter sich seiner selbst als universaler und unverhüllter Macht abstrakter all ner Arbei t bewußt werden ... Anders ausgedrückt: e Proletarisierung sollte beson-dere und 'beschr~nkte' Produzenten durch die Klasse der allgemeinen Prcduzenten ersetzen, die sich unmittelbar ihrer Macht über die ganze Welt, ihrer acht zu produzieren, die Welt und den Menschen neu zu erschaffen, bewußt w~re. Kurz: bei den Proletariern sollte ~ußerst objektlose Ohnmacht eine virtuelle Allmacht begründen." 39)
Solche Referierung der Marxschen Kapitalismusanalyse kann
sich nicht ihrer Lektüre verdanken. Denn Marx hat in sei
nen Schriften die "abstrakte Arbeit" als ein ökonomisches
Zwangsverh~l tnis kri tisiert. In der Lohnarbei t sah er die
Verausgabung von abstrakter Arbeit, die dem Zweck der Ka
pitalverwertung dient und auf der Trennung des Arbeiters
von den ~li tteln der Arbei t beruht, den Lohnarbei ter zur le
benslangen Funktion einer Arbeitskraft erniedrigt, die sich
den Konjunkturen des Kapitals entsprechend verschleißt
und ihre Selbsterhaltung ständig in Frage stellen lassen
muß. Aus diesem Grunde hat Marx davon gesprochen, "produk
tiver Arbeiter zu sein ist daher kein Glück, sondern ein Pech.,,40)
rl"-."....------------------------------------.. ~~···
237
Die r~arxsche Kritik der abstrakten Arbeit wird von
Gorz in ihr diametrales Gegenteil verwandelt, in eine von
Marx angeblich empfundene philosophisch-religiöse Be
geisterung für die "universale Macht der Arbeit.,,41)
tiii t dem Verweis darauf, daß "in den Fakten nichts diesen
Gedanken stützt,,42), hat Gorz z'tlar nicht 111 ai- x kri
tisiert. 43 ) Aber er hat unter dem Schein, Marx zu kriti-
si eren, sei n e früheren Vorstellungen über das Prole-
tari.at zur "Ideologie" erklärt. Den eigenen ehemaligen
Revolutionsoptimismus, der aus der abstrakten Arbeit als
dem lüttel des Kapitals die "virtuelle Allmacht" des Pro
letariats begründete, ersetzt Gcrz durch die desillusio
nierte Feststellung, daß die Arbeit ja bloßes Mittel des
Kapitals und somit Beweis der "objektlosen Ohnmacht" der
Arbeiterklasse sei:
"Die Klasse. die kollektiv die Gesamtheit der Produktivkräfte entwickelt und anwendet, ist außerstande, sich diese Gesamtheit anzueignen, sie ihren eigenen Zielen unterzuordnen und si als Gesamtheit ihrer ei genen Mittel zu begreifen ... Der Grund dafür ist, daß der Gesa.mtarbeiter, von der kapitalistischen Arbei,tsteilung strukturiert und den inneren Erfordernissen der von ihm bedienten Maschinerie , selbst nach {\rt eines Mechanismus funktionier ... " 44)
Da das reale Proletariat nicht der ihm von Gorz früher
idealiter zugeschriebenen Aufgabe nachkommt, sich als
"Quelle der Welt" gegen das Kapi tal zu betätigen, fällt
Gorz über es das Urteil, durch und durch kapitalistisch
"strukturiert" und einer Gegenwehr ;iberhaupt ni c h t
mehr fähig zu sein. Daß die französischen oder
westdeutschen Lohnarbeiter sich ihrer Be- und Vernutzung
durch das Kapital fügen und den "Klassenkampf von oben"
nicht durch das Austragen des Klassengegensatzes von un
ten beantworten, ist für Gorz der Beweis, der Kapitalis-
mus habe heutzutage sämtliche Gründe für das Austrs.-
gen des Klassengegensatzes aus der Welt geschafft. Er ha
be nicht nur den modernen Lohnarbeiter in eine bewußtlose "K d K . 1" 115) d ," t' h ~ t" , opie es aplta S UD elD symme :rl C es uegens UC]{
238
des Kapitals,,46) verwandelt, sondern darüber hinaus den
Arbeiter von seiner Arbeit getrennt:
"Der Trick ist gelungen: Die Arbeit befindet sich außerhalb des Arbeiters, sie hat sich verdinglicht, sie ist ein anorganischer Prozeß geworden. Der Arbei tel' wohnt der Arbei t bei, die sich macht, er m,wht si.e nicht mehr." 47)
"Arbei t ist nicht mehr eine dem Arbei tel' eigentümliche Tätigkeit." 48)
Die umfangreiche Ausmalung des Molochs Produktion, der
zufolge der Lohnarbei tel' nichts anderes sei als ein wil
lenloses Rädchen und ein bewußtloser r,Jechanismus im Ge
triebe der Produktivkräfte, verkehrt Gorz jetzt in die
euphemistische Beschreibung der Lohnarbeit, die sich von
selbst mache. 49) Der Kenntnisnahme der in deutschen r-1an-
tarifverträgen als "Normalleistung" definierten Be-
anspruchung, "die von ausreichend geeigneten Arbeitneh-
mern bei voller und amlreichender Einarbei tung ohne
Gesundheitsschädigung auf di Dauer erreicht und erwartet
werden kann,,50), der empirischen Beobachtung der an Fließ
bändern bei Opel oder Renault verlangten 1,1 ehr leistung
oder der Sichtung der in gewerkschaftlichen Statistiken
über Arbeitsbelastung und gesundheitlichen Verschleiß am
Arbeitsplatz dokumentierten Resultate der j'lehrarbeit ver
dankt sich das eben gezeichnete Bild heutiger Fabrikar
beit nicht. Es entspringt dem Beweisinteresse von Gorz,
die ruinösen Leistungsansprüche, die ein moderner Arbeits
platz an den Lohnarbeiter stellt, als ein 'äußerliches'
Verhältnis von selbstätigem 'anorganischem' Arbeitspro
zeß und ihm 'beiwohnenden' Arbeiter darzustellen, damit
den in der r'larxschen Theorie analysierten Klassengegen
satz in der Produktion für obsolet zu erklären und so das
Proletariat als den potentiellen Hebel zur Beseitigung des
Kapi tal v erhäl tni ss es zu v erabsc hi eden.
2
Wiedergewinnung einer Perspektive
r~an ieht, der Prozeß j.ntellektueller Des:illusionier)lng
fübrt zu neuen Idealismen. Der "r~ythos" vom firbei tel', der
einer "Arbeit beiwohnt, die sich macht", ist der Ausgangs
punkt der neuen Zukunfh;perspektive, die Gerz dem "Ab
schied vom Proletariat" abgewinnt. Zwar soll es dem Prole
tariat einerseits heutzutage unmöglich sein, sich der All
macht des Kapitals zu widersetzen. Andererseits aber erge
be sich die Befreiung des Proletariats gleichsam von selbst,
indem das Kapital die Arbeiterklasse zunehmend aus seiner
Abhängigkeit entläßt:
"Die Umkehrung der tJiarxschen Idee des Proletariats ist damit komplett. Das neue nachindustrielle Proletariat findet in der Arbeit nicht aIlein keine Quelle möglicher Macht mehr, es erkennt darin vielmehr die Realität der Apparatemacht und seine eigene Nicht-Macht ... Die teermol sehe Evolution verläuft in Richtung nicht einer ic Aneignung der gesellschaftlichen Pro-duktion h die Produzenten, sondern ... vielmehr einer Ausgrenzung der gesellschaftlichen Produzenten, einer Marginalisierung der gesellschaftlich notwendigen Arbei t." 51)
"Die Logik des Kapitals hat uns an die Schwelle der Befreiung geführt." 52)
Der steigenden Arbeitslosigkeit in den westlichen Natio
nen entnimmt Gorz eine fortschreitende Befreiung der In
di.viduen von den Zwängen der kapi talistischen Ökonomie.
Das Gesetz der Lohnarbeit, daß der Arbeiter nur über die
1httel zum Leben verfügt, wenn er arbeitet, daß also die
"Freisetzung" von Arbeit ihn in die Notlage versetzt, mit
einem Bruchteil seines früheren Einkommens auskommen und
Arb ei t zu jeder Bedingung ann ehmen zu müs s en, wird von
Gorz auf den Kopf gestellt. Seiner Auffassung zufolge
kann sich die "Nicht-Klasse" des "nachindustriellen Pro
letariats,,53) erlauben, frei von ökonomischen Zwängen und
"aus der Gesellschaft ausgebürgert,,54), der kapitalisti
schen Entwicklung "wie einem SchausPiel,,S5) beizuwohnen.
Die Unregelmäßigkeit und Unsicherheit eines auf un bs
di ge Arb t angewi es en en eins, bedeo.ltet.
"eine zunehmende) virtuell mehrheitl ehe Anza.hl "10;1
Leuten ihre 'Arbeit' rasch wechselt, nur zeitwei ig aus bte Berufe erlernt, ein StudiurCi ohne Berufsaus-sie und o]o.ne praktischen Nutzen absolviert, ein begonnenes Studium abbricht oder beim Abitur durchfällt, 'vJeil das Reifezeugnis ohnehin sinnIos ist', als Anshilfe im Sommer bei der Post untersc ft, im Herbst bei der Vleinlese, als Verkiiufer in ember. als angelernter Arbeiter im Frühjahr die nötigen Groschen verdient U3W." 56),
bespricht Gorz euphemistisch als "ziemlich uneingeschränk
te Entfaltung der individuellen EXistenz".57) In der in
dustriellen Reservearmee aus Arbeitslosen, Gelegenheits
arbeitern und Arbeitern, die "irgend etwas" machen, "das
'irgendwer' an seiner Statt 'ebensogut machen' könn e,,58),
entdeckt Gorz die "Vliederauferstehung des historischen Sub
jekts" als "Nicht-Klasse der nachrevolutionären Proleta
rier".59) Ausgerechnet einer Gesellschaftsschicht, die
seiner eigenen Aussage zufolge eine " Ni c h t - Mac h t
ohne objektive soziale Bedeutung,,60) ist, da sie "an der
Produktion nicht teilnimmt,,61), schreib Gorz die
!4 ac ht zu, das Reich der Freiheit erstehen zu lassen. 62 )
Die Kritik an Marx, der Welt ein unrealistisches Ideal ent
gegengehalten zu haben, ist für Gorz der Auftakt, der Vlelt
das eigene Ideal als schon realisiertes zugutezuhalten.
Das "Rei c h der
se es ge gen
längst
Freiheit", von dem 1,larx behauptet, man müs
das Kapital erwirken 63 ), glaubt Gorz schon
den Zwängen der Arbei tswel t in den "Ni-neben
sehen" der Privatsphäre realisiert:
"Der Gedanke, daß die gesellschaftliche Arbei,t mit ökonomischen Zielen die Sphäre individueller Autonomie erweitern soll - das heißt Erweiterung der Freizeitaktivi täten -, stand schon bei Marx im 141 ttelpunkt der Argumentation ... Der Panökonomismus, die Unterordnung aller Tätigkeiten unter das Ökonomische, ist dagegen das Kennzeichen der kapitalistischen Entwicklung ...
--------~~_. __ ._-----------------------------~------_ .. _~._~~ ... -
Die Umkehrung dieser Prioritäten bezeichnet das Ende der politischen Ökonomie und den Beginn eines 'nach-
dustriellen Sozialismus' das heißt: Kommunismus. Die bereits in der Reali enthaltene Umkehrung wi.rd, recht und schlecht, vom herrschenden System verschleiert." 6LJ)
Alle individuellen Betätigungen, die nicht im Produktions
prozeß, sondern in der von ihm bestimmten Reprciduktions
sphäre vollzogen werden, erscheinen dieser Sichtweise zu
felge als Gründungsakte der Freiheit des ndividuums. Sie
umfassen
"das Familienleben, das Eigenheim, den Gemüse,o;arten, die Hobbywerkstatt, das Segelboot, das Landhaus, die Sammlung alter Gegenstände, Musik, Gastronomie, Sport, Liebe usw .... Kommunikation, Geschenk, ästhetische Kreativität und Vergnügung, Produktion und Reproduk-tion des Lebens, Zärtlichkeit, Entfaltung körperlicher, sinnlicher und geistiger Fähigkeiten, Schöpfung von Gebrauchswerten ... ohne Handelswert ... kurz, ein Ensemble von Tätigkeiten, die die Substanz des Lebens bilden und daher wohlbegründet keinen nachgeordneten Platz,sondern Vorrang beanspruchen." 65)
Das falsche Bewußtsein bürgerlicher Individuen, denen die
Ausgestaltung ihrer Freizeit nicht als "nachgeordnete"
Reproduktion ihres Arbeitsvermögens, sondern als "vorran
.gige" Betätigung ihrer Freiheit gilt, ist für Gorz der An
haltspunkt, die in der Privatsphäre gepflegten Freizeit
aktivitäten als den "Beginn eines 'nachindustriellen So
zialismus', das heißt: des Kommunismus,,66) zu interpretie
ren. In Umkehrung der in den 60er Jahren aufgebrachten kri
tischen Theorie der Konsumgesellschaft, die in den Kompen
sationen der Freizeit den Grund für das fehlende Klassen
bewußtsein des westeuropäischen Proletariats sah, behaup
tet Gorz nun die durch Reproduktionsnotwendigkeiten be
stimmten, von der Größe des Einkommens beschränkten und
staatlich reglementierten Verhältnisse der bürgerlichen
Reproduktionssphäre als partielle Verwirklichung des
"Reichs der Freihei t".
An der im "Abschied vom Proletariat" vorgenommenen denti
fikation der kapitalistischen Reproduktlonsnotwendigkei
ten untergeordneten Freizeit mit einer Sphäre wirk-
licher Freiheit ist der von Gorz vollzogene affirma-
tive Fortschritt kenntlich, nicht mehr wie früher der Welt
ein Ideal gegenüberzustellen, das erst noch gegen sie
durchzusetzen sei, sondern sich künftig die bürger 1 ehe
Welt als mit seinem Ideal ver s ö hn t e vorzustellen. (7 )
Gorz' Abschied vom Marxismus ist identisch mit dem harmo
nisierenden Postulat, das kapitalistische "Reich der Notwen
digkeit" und das "Reich der Freiheit" n:i.cht mehr als sich
ausschließenden Gegensatz, sondern als weitgehend schon
realisierte "dualistische Konzeption,,68) zu denken.
Versöhnung mit der Nctwendigkeit des Staates
Die Gorzsche Interpretation der kapitali.st:Lschen Verhält
nisse ziel t - wie gesehen - darauf, das "Reich der Frei
heit" genannte Ideal mit dem "Reich der Notwendigkeit" zu
harmonisieren. Der Fortgang der Argumentation von Gorz be
steht nun darin zu betonen, daß es sich bei dem "Reich der
Freiheit" eben um das Ideal einer Welt von Notwendig
keiten
gil t:
handelt, die es letztlich anzuerkennen
"Die Trennung der Notwendigkeits- und Autonomiebereiche, die Objektivierung der Gesetzmäßigkeiten der sozialen . Funktionsweise in Gesetze, Verbote, Verpflichtungen, kurz, die Existenz eines von der Gewohnheit verschiedenen Rechts, eines von der Gesellschaft verschiedenen Staates sind die unerläßlichen Bedingungen dafür, daß eine Sphäre sich herausbilden kann, in der die Autonomie der Personen, die Freiheit ihrer Assoziation und era-tion Geltung haben - mit spezifischen Zielen." )
Gorz' Besprechung des Verhäl tnisses von Staat und Gesell
schaft ist zum einen zu entnehmen, daß er eine von den In
dividuen getrennte Gewalt, die in Form des Rechts für alle
verbindliche "äußere Notwendigkei ten ,,70) kodifiziert, nicht
r -----------------..----------~_. __ ... _.
243
als Gegensatz zum "Reich der Freiheit", sondern als wesent
liche Bedingung seiner Ermöglichung und Geltung betrach
tet. Zum anderen ist zu bemerken, daß der Abschied vom
Marxismus mit der Interpretation des Staates als einem
existentiellen Erfordernis jeder Gesellschaft schlecht-
hin einhergeht:
"Der Staat als Ort, an dem das Recht formuliert wird und die materiellen Erfordernisse des gesellschaftlichen Funktionsprozesses in objektive, allgemein anwendbare, gekannte Vorschriften Ubertragen werden, entlastet die zivile Gesellschaft ebenso wie die Individuen von zahlreichen Aufgaben, die sie nicht ohne Schaden fUr die sozialen und individuellen Beziehungen zu erfüllen vermöchten. So befreien uns Geld und Preissystem vom Feilschen und vcn wechselseitigem Mißtrauen, die primitive Tauschformen, da ihnen ein gleichwertiges Messungssystem fehlt, begleiten. Die Polizei (deren Funktionen Ubrigens nicht als Vollzeit-Beruf ausgeUbt zu werden brauchten) erspart jedem, sein .. eigen~r 'Bulle' zu sein; die Verkehrsordnung macht es uberflussig, an jeder Kreuzung mit anderen Verkehrsteilnehmern zu verhandeln." 71)
Der "Realismus" von Gorz besteht in der Übernahme der
grundsätzlichen Idealismen bUrgerlicher Volkswirtschafts
lehre, Soziologie und Politologie über die Vorteile und
Chancen, die ein Staatswesen seinen Gesellschaftsmitglie
dern eröffne. So ist fUr Gorz, um nur eines der oben ge
nannten Beispiele aufzugreifen, mit dem staatlich garan-
tierten Pr eis system nicht etwa der ökonomische
Zwang gesetzt, Uber ein Gel d einkommen verfügen zu
mUssen, um die als War e n vorliegenden lebensnotwen
digen GUter kaufen zu können, was für die r,lehrzahl der
Gesellschaftsmitglieder ohne Lohnarbeit fUr frem-
den Reichtum nicht möglich ist. Preise gelten ihm viel
mehr als sinnreiches "~lessungssystem", um den Individuen 72)
lästiges Feilschen und unnötigen Streit zu ersparen.
Der Staat kommt bei Gorz zuallererst als fUr die Indivi
duen funktionale Institution zur Darstellung, die Probleme
"erspart" und von Aufgaben "befreit" oder "entlastet".
244
Diese logisch betrachtet rein negative Bestimmung staat
licher "Leistungen" verdankt sich dem Interesse von Gorz,
die staatlich gesetzten Zwänge und Notwendigkeiten als
Eröffnung eines Spektrums von autonomen Möglichkeiten
und individuellen Freiheiten zu interpretieren. Nichts
ist der Auffassung von Gorz zufolge deshalb unstatthafter
als das von Marx und Engels verfolgte Anliegen, den Staat
als "besondere Existenz neben und außer der bUrgerlichen
Gesellschaft,,73) aufheben zu wollen:
"Jede Gesellschaft oder Ihkrogesellschaft, die den Staat - damit auch den Rechtsapparat - als eine spezifische, von ihr unterschiedene Instanz beseitigt, die Gesetzmäßigkeiten der Funktions- und ProduKtlonsweise in äußeren Gesetzen und Verpflichtungen objektiviert, beraubt sich zugleich der Möglichkeit, die materiellen Fundamente ihres Funktionierens zu kriti sieren ." 74)
Daß Gorz mit der "1-1öglichkeit" zur Kritik nicht mehr als
die distanzierte und freiwillige Unterordnung unter die 75' "praktisch-immanenten Erfordernisse der Gesellschaft" )
reklamiert, spricht er am Ende seines Buches als die Er
f ahrung des j eni gen aus, der mi t den Jahren "wei se" gewor
den ist:
"Der Anfang der Weisheit ist die Entdeckung von \üdersprüchen, mit denen man in permanenter Spannung leben muß, ohne den Versuch zu unternehmen, sie lösen zu wollen; einer Realität mit unterschiedlichen Ebenen, die man in ihrer Besonderheit beachten muß, ohne sie auf einen I Durchschni tt I zu reduzieren." 76)
Seinen früheren Idealismus, die "Aktualität der Revolu
tion,,77) durch die kapitalistische Entw:i.cklung selbst
verbUrgt zu sehen, hat Gorz durch ein desillusioniertes
Arrangement mit den existenten Verhältn:i.ssen ersetz ,
das als Realismus firmiert, aber wie gesehen - ohne
neue I lusionen über Staat und Ökonomie nicht zu
haben ist. Die Weisheit, der Gorz das Wort redet, fUgt
sich der bürgerlichen Definition der Vernunft, die Er-
kennen mit Anerkennen gleichsetzt und d:i.e Affirma-
ion einer Realität samt ihren \Hdersprüchen, "mit
denen man leben muß", als den einzj.g sachgerechten Ge
brauch des Verstandes postuliert. Insofern hat Gorz in
seinem "Abschied vom Proletariat" all den enigen Recht
gegeben, in deren I,ugen sich je schon die Marxsche Ka
pi tal ismuskri Hk an der "l~acht des Faktischen" blamier
te.
c) Hinwendung zur Menschheit (Rudolf Bahro)
Abschied vom "Proletariatsbegriff"
Die Beiträge, die Hudolf Bahro in die Diskussion um die
ltKri e des ~·1arxisrnus!f sowie do..s von ihm mitgetragene Pro
jekt "Sozialistische Konferenz" eingebracht hat, plädie
ren ebenso wie die Arbeit von Gorz für den "Abschied von
unserem Proletariatsbegriff". 78) Das Fa k tu meiner
westdeutschen Arbeiterschaft, die sich den "stummen Zwän
gen" der Lohnarbeit beugt, gilt auch Bahro in zweifacher
Hinsicht als ein Argument: Nach der Seite marxi-
atischer Theorie beweist ihm ein Proletariat, das nicht
kämpft, sondern arbeitet, die Ungültigkeit von "unserem
bisherigen Proletariatsbegriff,,79), demzufolge man "posi
tiv auf das Austragen innerer Klassenkämpfe setzen kann,,80);
nach der Seite der Realität ist für Bahro das Ausbleiben
der erwarteten Klassenkämpfe Beleg der nicht mehr vorhan
denen Betroffenheit der Arbeiter im unmittelbaren Produk
tionsprozeß:
"Angesichts wirklichen materiellen Elends sollte die kapitaUstische Ausbeutung als solche. sollte der Wi derspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital unmittelbar den Aufbruch zum Sozj.alismus provozieren, weil die Arbei ter nichts als ihre Ketten zu verli eren hatten .. , Die Erfolge der Arbeiterbewegung im Verteilungskampf waren ebensoviele Schritte tiefer hinein in den Systemzusammenhang der bürgerlichen Gesellschaft." 81)
Die praktische Widerlegung des j.n seinem "Proletariats
begriff" formulierten Automatismus von materiel
ler Betroffenheit und revolutionärem Klassenkampf mmt
Bahro zum Anlaß, an der Betroffenheit selb t zu
zweifeln: Wenn Ausbeutung unmittelbar zu revolutionärer
Gegenwehr führen müßte, muß dann nicht das Ausbleiben von
Klassenkampf als Beweis für die nicht mehr vorhandene Be
troffenhei t der Arbei ter durch den kapi tal:lsti ehen Pro
duktionsprozeß und als eindeutiger Hinweis auf ihre ge
lungene Integration in den bürgerlichen Systemzusammen
hang angesehen werden? Zwar könnte Bahro dem von ihm an
gesprochenen gewerkschaftlichen Verteilungskampf die Halt
losigkeit seines Zweifels entnehmen. Denn die einmal im
Jahr stattfindenden Tarifrunden beruhen auf der Notwen
digkei t zur Kompensation der ganz jährlich von Ka-
pital und Staat praktizierten Veränderung von I"ohn und
Leistung, Nominal- und Realeinkommen zuungunsten der Be
schäftigten. Und die integrative Verrechtung des gewerk
schaftlichen Verteilungskampfes müßte als überflüssig be
trachtet werden, läge j.hr nicht der Gegensatz von Lohn
und Profitinteresse als bestimmendes [;loment der Ökonomie
zugrun de. Bahr 0 hingegen gr ei ft di e "In tegr ati on" des ge
werkschaftlichen Arbeitskampfs als Beleg für die 0 b so-
1 e t h e i t des Klassenkampfs aufgrund mangelnder Betrof
fen hei tauf:
"Viele Gesetzmäßigkeiten die damals (im Konkurrenzka.pitalismus; d. Verf.) tioniert haben, funktionieren weiter. Deshalb ist es wunderschön, vom sehen Standpunkt aus, jetzt noch nachzuweisen, z. . die Ausbeutung ist größer denn je. Rechnerisch j , un-b ! Und trotzdem ist das nicht l1eh1' der Hebel, UI1
tnisse umzustürzen. Dies Rechenkünste und das Zusammenzählen der Streikenden und der Streikstun-den usw., das alles bringt nichts." :32)
Angesichts von "Verschwendungs- und \1eg\verfkonsum,,:3J), "of
fensichtlichen Bequemlichkeits- und Zeitgewinnen,,84),
"marktdiktierten Hertorientierungen,,85) und kontinuierli
cher "Steigerungen der Realeinkommen,,86) - eine "emp:lri-
2 1;.)
sche" Bestandsaufnahme, dj.8 ich o[f~ns:i,chtlich nicht
durch den seit Uitte der 70er Jahre gefUhrten 'Klassen
kamp von oben', staatliche 'Sparpolitik' und konzertier-
c lohnsenkungen b12~mieren läßt - gilt Bahro die "Aus-
beutun lt nur noch s eine praktisch unmaßgebliche I:Ee-
chengröße'I, das IIProletariat '! c.:,13 ein obsoleter "Begriff 11
d ~~cher arxi.:::;tcn und der I!Kl sengegensatz '1 von
Lohe elt und Kapital ein von arx entworfenes und
auf heutige :~~ ati on nicht übertragb
sb chos oeel1". (/) Hirklich be tr 0 f f
es ,; an tagoni
n seien di.e
Arbel ni.cht mehr dureh ihre Funktion ,ü Lohnarbeiter,
andern in ihrer Eigenschaft al ensehen:
"D;'lS Prol etari.at war naeh unserer Deri.ni ti en keine Kl se der bUrgerlichen Gesellschaft d. h. die Ar-beiter wiesen in ihrer Ei chaft Klasse Uber den kapitalistischen Horizont s Dabei war der Me-chanismus der r~obilisierun
olle de facto ökonomistisc gefaßt; der antagonisti ehe Interessenkonflikt um die Verkaufsbedingungen der
Arbeitskraft sollte die e fUr die Spr des alten sozialen Zusammen iefern. Statt
oduziert sich das erhältnis und mit iche Gesellsc verhäl tnismäßig
esem Grundwiderspruch und die ,e über den tal i s ti s c hen s temzus ammen hin aus-vleisen, en ten sich sichtlich nicht entlang dieser Cl.l en Klassenlage, sondern um andere, ezifische-re löser, in denen die 1·1enschen weniger s Klas-
enzugehörige denn als konkrete Individuen betroffen ind ... Die ökologische Krise und ihre absolute Spit
ze, die Gefahr ei.ner kurzfristigen Totalvernichtung durch den Atomkri liefern die grundlegende Heraus-forderung, von der e Energiemobili.sierung ausgeht." 88)
i>lit diesem Fortschri.tt von der früher behaupteten Betrof
fenheit der Arbeiter als Arbeiter zu der ihnen jetzt zu
geschriebenen existentiellen Betroffenheit als Menschen
ist ein entscheidender Perspektivenwechsel in
der Kapitalismuskritik getan. Während frUher Phänomene
wie Arbeit, Arbeitslosigkeit, Armut, Naturzerstörung, Hun
ger oder Krieg als Beweise f Ur die Notwendigkeit des
Kl senkampfs galten, werden heute dieselben Phänomene
als Argumente gegen ihn ins Feld geführt. ünd während ehe·-
mals das Proletariat als die gesellschaftliche Kl e be-
trachtet wurde, auf deren Benutzung der Reichtum des Kapi
tals und die Macht des Staates beruhen, weswegen b de
auch durch den Klassenkampf zu "sprengen" seien, sollen
jetzt die nationalen und internationalen Resultate fort
gesetzter Exploitation der Lohnarbeit in Gestalt von
Atomraketen und weltweitem Hunger die lüsterische Über
holtheit der frUheren Klassenkampf theorien beweisen:
"Ausschlaggebende Tatsache der Gegenv,·art schein vielmehr die eindeutige Dominanz der äußeren Uber die inneren Widersprüche der bUrgerlichen Gesellschaft. Der Ost-West- und vor allem der Nord Süd Gegensatz greifen Uber. Der innere Klassenkampf um den Reiülohn, um die Arbeits- und Lebensbedi zeigt die Tendenz, zu einer ünterfunktion der iehen Gesellschaft in ihren Konfrontationen mit der Zweiten, Dritten und Vierten \velt ,3U werden. in denen weit mehr als durch die inneren Auseinanders das künfti natio-nale wie internationale Schi al entschi wird. Unter solchen wäre es anachronistis hund gefährlich, weiter auf dem der Forcie-rung internationaler KlassenwidersprUc anzustreben."
"Seit es die Atombombe gibt, steht die dte antar;oni. stische Grundeinstellung zu sozialen \Vi hen al leI' Art, äußeren wi.e i.nneren, in Frage." 9
Der logische Fehler, dessen sich Bahro bei sei~er Argu-
mentation bedient, besteht darin, die Wirkungen
einer Sache gegen ihren G l' und auszuspielen. In ccn-
creto: Zwar unterscheidet die vlirkung ei.ner Atombomben
explosion in der Tat nicht zwischen der Klassenzugehö
rigkeit ihrer Opfer, und sie vermag - jedenfalls poten
tiell - eine ganze Nation zu zerstören. Aber di.ese ver
nichtende Wirkung kann weder ein Argument dagegen sein,
daß die Freiheit eines Staates zur (Atom-)KriegsfUhrung
auf einer erfolgreichen Exploitation im
Inneren gründet, noch eine Widerlegung der r·~arxschen Ana
lyse darstellen, daß "mit dem Ge~ensatz der Klassen im
Innern der Nation ... die feindliche Stellung der Natio
nen gegeneinander (fäll t) . ,,91) Für Bahro all erdings ist
89 )
249
die universelle und existentielle Betroffenheit der Be
völkerung einer Nation im Krieg das Argument, den die
westlichen Nati onen im Inneren bestimmenden und ihr Han
deln nach außen begründenden Klassengegensatz für "ana
chronistisch" zu erachten. So werden die weltweiten ~Iir-
kungen des Kapitalverhältnisses zu. ebenso-
vielen "empirischen Beweisen ll für eine neue Betrachtungs
weise des Kapitalismus, die den Klassengegensatz von 10hn-
arbeit und Kapital für "überholt" erklärt und die
theoretische und praktische Notwendigkei t betont, daß "wir
über den r~arxschen Begriff springen und uns jedenfalls auf
ein allgemeineres Subjekt beziehen (müssen), als es die
westliche Arbeiterklasse heute ist.,,92)
Die enschheit al weltveränderndes Subjekt
Ist der von Bahro gegen die "beschränkte" Klassenorienti,e-
rung postulierte "allgemeinere" Bezugspunkt der Mensch-
he i t ein Kritikansatz, der "über den kapitalistischen
Systemzusammenhang hinausweist"? Oder muß der Übergang
,"von den Klassen- zu den 1ebensinteressen ,,93) nicht viel
mehr als ein Kritikstandpunkt betrachtet Herden, der den
bürgerlichen Verhältnissen verhaftet bleibt? Handelt es
sich bei der Substi tuti on des "Frol etariatsbegriffs" durch
den Begriff der Menschheit um die längst überfällige Hin
wendung zu einern "konkreten" Sub jekt der Veränderung? Oder
ist damit nicht umgekehrt die endgültige Abwendung von
allen konkreten gesellschaftlichen Bestimmungen der realen
Subjekte vollzogen? Die mit diesen Fragen umrissenen theo
reti,schen wie praktischen Konsequenzen einer Kapitalismus
kritik, die den Begriff des "Klasseninteresses" durch die
Kategorie des "GattungSinteresses,,94) ersetzt, sollen im
folgenden noch erörtert werden.
250
Als erstes ist die Frage zu klären, ob die von Bahro in
die Kapi talismuskri tik eingeführte Kategorie der IfJensch
heit sich auf ein praktisch existentes Sclbjekt bezieht.
"Menschheit" ist bei Bahro als das universell und ex:Lsten-
tiell betroffene Subjekt der mit "ökologischer Kri e" .
d 'TI t lk t ' h ,,9» und Atombombe drohenden "Realgefahr er 10 a a as'trop e
gedacht. "~lenschhei t" enthält die Vorstellung der obal en
Gemeinschaft aller 11enschen, die aus ihrem "Gattungsin
teresse" heraus der "Zerstörung der Naturgrundlage mensch
licher Existenz überhaupt,,96) Widerstand leisten. Zugleich
jedoch beinhaltet diese Vorstellung ihre eigene Widerle-
gung. Denn die existenzbedrohenden Phäncmene weltwei-
ter Hunger, globale Naturzerstörung und atomare KriegfUh-
rung - si,nd ja unzweifelhaft Resultate menschl:Lcher Hand
lungen. Sie entlarven das Bild von dem letztlich maßgeb
lichen Gattungsinteresse der :!Jenschheit als Fiktion. Die
von Bahro postulierte Kategorie "I,lenschheit" löscht nicht
nur den abstrakten Gegensatz von Urhebern der Bedrohungen
und ihren Opfern aus; sie erklärt darüber hinaus alle
praktisch maßgebIi,chen Gegensätze zwischen Lohnarb tel'
und Unternehmer, Mieter und Grundeigentümer, Bürger und
Politiker. den Regierungen von NATO, \rlarschauer Fakt-
und Dritte-WeIt-Staaten für letztlich unmaßgeblich. Das
allgemeine Subjekt "r~enschheit" ist das Resultat einer
Abstraktion, die bestreitet, was sie zusammenzufassen vor
gibt, nämlich die Gegensätze, welche die Individuen als Arbei
ter, Steuerzahler, Soldat, Staatsbürger, Unternehmer, Po
litiker usw. praktisch bestimmen. Stattclessen post,"liert
diese Kategorie eine universelle Gemeinschaft. die r.ur
als ideelle existiert. In deren Bestimm:ng zitier Bahro
eine Reihe von wirklichen Gegensätzen, l:.m sie als durch
die ideelle Identität gegenstandslos ger::achte hinzu teI-
len: die r·lenschheit soll bestehen aus der dentität "al-
ler r,lenschen aller Kontinente, aller Hautfarben und aller "01lc.,,97) sozialen Klassen und Schichten dieser Erde, als ein v •
2')1
Darin erweist sich der Idealismus der Nenschheit als eine
Kategorie der Ver S ö b nun g im wahrsten Sinne des
Wortes. Denn Bahro weiß um die Existenz der nationalen
und internationalen Gegensätze. Er führt sie sogar expli-
zit an als Beweise für die NotwendigkeIt nicht ihrer
praktischen Besei tigung, sondern ihrer i d e eIl e n
Auf heb u n g in einem "historischen Kompromiß auf
brei tester Basis ,,98) :
"Ich denke, man muß aus unserem Herangehen an die sozlale Frage, an den inneren Klassenkampf, das altestamentarlsche Auge-um-Auge, Zahn-um-Zahn ausklammern ... D1e Art und vleise, in der die inneren Klassenwidersprüche hier funktionieren und ausgetragen werden, ist untre?nbar von dieser neuen Weltsituation. Widersprüche muss~n ausgetragen werden, nach wie vor. Aber man muß. den l~odus und die neu überdenken. t4an muß 1n Zukunft im Gegner au olitisch wie innenpolitisch lmmer auch den Partner s . Man muß sich nicht we-nlger, sondern noch mehr auf ihn einlassen, man muß noch mehr mit ihm kämpfen ... Und man muß sich zu dieser Auseinandersetzung auch zusammensetzen nämJ ich an einen Tisch; weil tatsächlich mi t all en' um eine Neuformuli der Probleme, um die es in unserer Ge-sellschaft , gerungen werden muß." 99)
In theoretischer Hinsicht beinhaltet die Substitution des
"Proletariatsbegriffs" durch den Begriff der "t,lenschheit"
di e AbI ösung der pol i tök on omi sehen Kl as s enanaly se zugun
sten einer Theorie von den gesellschaftlichen "Blöcken';.
Der Klassen gegensatz von Lotmarbeit und Kapital
wird aufgelöst in einen durch den ideellen Bezugspunkt
des enschhei tsinteresses konstrui erten Du al i s mus
bestehend aus dem "Block der Beharrungskräfte" Gwf der
einen und dem "reformatorischen Block,,100) auf der ande
ren Seite. In praktischer Hinsicht ist der "Abschied von
unserem Proletariatsbegriff" gleichbedeutend mit der Ver
pflichtung, nicht mehr das K 1 ass e n interesse ge gen
kapitalistische Gesellschaft und bürgerlichen Staat in An
schlag zu bringen, sondern ein Ga t tun g sinteresse
für die "Rettung unserer Zivilisation ,,101) zu mobili-
sieren:
l1Kurzum - wir müssen versuchen, all in einer Be-zusammenzufUhren, was in die Ric un eres
Zi s strebt, diese Zivilisahon und die tz.i·jili-sati on überhaupt zu retten ... " 1 02)
"Wir streben aus innerer wie aus äu[3erer Notwendi gefahr, die wi.r sehen, Komprorniß auf breitester len Kräften. die die unserer Zivilisation samt Viollen." 103)
J.JotViendigkei t unserer Z1.81e eit der realen Katastrophen-rechtzeitj his orischen
Basis an, d. Zv/i ehen 0,1-und Höherentwicklung
tzivilisation insge-
Man sieht, die Einführung der Kategorie des nG in-
teresses als grundlegender Bezugspunkt" de::: theor tischen
Analyse un praktischen Strategie verkehrt Inhalt und Zweck
marxistischer Kapitalismuskritik in ihr Gegenteil: Die po
li tök on omi. sc he Bes timmung von Lohnarb ei ter, Kapi tali s t
und Staatsagent als gegensätzliche "Charaktermasken" der
kapitalistischen Verhältnisse wird aufgelöst in di.e keine
Gegensätze mehr kennende philosophische Abstraktion des
Universalsub jekts ~lensc hhei t; die "rücksichtslose Kritik
alles Bestehenden,,10~) ist ersetzt durch die konstruktive
Sorge um den Erhalt der (in die Kulturkategorie der "Zi , 0')
vilisation" überhöhten) bürgerlichen Verhältnisse! ) ;
und die praktische Kritik der objektiven gesel.lschaftli
ehen Ver häl tni s s e wir d tr ans f ormi ert in ei n Pr ogr amm zur
Veränderung des Menschen:
"Die ökologische Krise ist unlösbar ohne Fortschritt in der menschlichen Emanzipation hier und jetzt, auch unter den Bedingungen, wo der Kapitalismus noch existiert; sie ist unlösbar ohne die Erhebung zahlloser Individuen über ihre bloß unmittelbaren und kompensatorischen Interessen ... Das bedeutet die Notwendigkeit einer psychologischen Revolution, also der Schaffung ihrer sozialen und ideologischen Voraussetzungen. Ich habe andernorts' schon zitiert: 'Ihr sollt Euch nicht Schätze sammeln auf Erden!'" 1 06)
Der von Bahro erhobene "kategorische Imperativ,,1 07), der
r~ensch solle zuallererst sie h anstelle der gesell-
schaftlichen Verhältnisse ändern, ist die immanente Kon
sequenz einer Kapitalismuskritik, die sich der Kategorien
253
der "f.lenschheit" und des "Gattungsinteresses" bedient.
Denn beide Kategorien bezeichnen keine realen Bestim
mungen der gesellschaftlichen Individuen, werden aber zu
gleich als die sie eigentlich und wesentU.ch charakteri
sierenden Besti.mmungen behauptet. Das "Gattungsinteres-'
se" der "f.lenschheit" ist kein Ist-, sondern ein Sol
lensurteil, so daß mit ihm zugleich an jeden ei.n-
zelnen Menschen die Forderung gestellt ist, sich darauf-
hin zu überprüfen, ob er in seiner realen Lebenspraxis
den idealen Menschheitsbestimmungen gerecht wird. Arbei
ter, Angestellte und Unternehmer, CDU-, SPD- und DKP
Mitglieder, deutsche, amerikanische und sowjetische
Staatsbürger sollen sich s el b s tkritisch auf die ih-
nen als Menschen eigentlich zukommende ideelle Gemein
schaftlichkeit besinnen und ihre materiellen Klassenin
teressen am antimaterialistischen Ideal des "Gattungsin
teresses" relativieren1(8
):
"Die Gattung kann und wird ihre materielle Basis weiter qualifizieren, aber sie muß um ihres Fortbestands willen mit dem Größenwahn brechen ... Ich halte hier sogar den Ausdruck Demut für angebracht." 1(9)
"Offenbar gibt es einen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen der GrÖße der Gefahr und der r'lobilisierung des menschlichen Antriebs. Es ist eine Menschheitserfahrung: Immer wenn für ein Zeitalter die Flammenschrift an der \1and erscheint, ereignet sich auch ein Aufbruch. Die Wel t verändern aus einem Glauben. Auch Marx hat einen gehabt." 110)
Das Programm des r,larxismus, früher von Bahro als Durch
setzung des Ideals der "allgemeinen Emanzipation des /.1en
schenl/111 ) gegen die Welt gedacht, findet seine zeitge
mäße Fortentwicklung in dem Ideal der Erneuerung der \Velt
durch die Idee. Die fromme Glei.chung, eine andere mo-
ra ische Stellung zu den kapitalistischen Ge-
gensätzen wäre gleichbedeutend mit deren Beseiti
gung, ist das Fundament, von dem aus Bahro die christ-
lichen Tugenden des Antimaterialismus und der Unterwer
fung - "Maßhalten im Genießen,,112), Verzicht auf das
254
.. 11 J) "Schatzesammeln" , "im Gegner den P h
,,114) artnerse.en ,
"Demc:t" und "Glaube" - als den Schritt zur Emanzipa
tion der Individuen von Unterdrückung, Gewalt und Krieg
postuliert. "Krise des Marxismus", "Abschied von unserem
Proletariatsbegriff" und Einwendung zur 14enschheit als
dem weltverändernden Subjekt bezeichnen so die "katego
rischen Imperative", die einer moralphilosophischen und
antimaterialistischen Betrachtungsweise der bürgerli.chen
Verhältnisse anstelle ihrer materialistischen Anal.yse
und Kritik den Weg weisen.
~-'----------------------'
2
Marxistische Theori in den SOer Jahren - methodische
Anweisungen und Perspektiven
!!Abschied vom Proletartat ll ist ein Synonym für die
Enttäuschung der in die Arbeiterklasse gesetzten Erwar
tungen. Er bezeichnet keine trKrise" des wirklichen Pro
letariats, sondern Probleme mit "unserem Proletariatsbe
griff". Die von Gorz. Bahro, der Zeitschrift "Probleme
des Klassenkampfs!! und anderen ausgerufene "Krise des fJIar
xismus" iE:t, wie gesehen, gleichbedeutend mit der Demon-
tage und Aktualis erung der eigenen Theorie in der ob-
jektiven Form der Widerlegung des Marxismus. Die ma-
terialen Fortschritte marxistischer Kapitalismuskri-
tik, die Substitution früherer Illusionen durch neue Ide
alismen, sind anhand der Schriften von Gorz und Bahro
dargestellt worden. Abschließend sollen die methodi-
s ehe n Anweisungen betrachtet werden. die der "Krise
des Marxismus" entnommen und als Richtlinien materiali
stischer Theorie in den 80er Jahren postuliert werden.
Die die "Krise des r~arxi.smus" begleitenden und ihr nach
folgenden methodischen Reflexionen bestehen zunächst ein-
mal darin, die f r eie Entscheidung von Gorz, Bahro
und anderen, das Proletariat als eine Kategorie ihrer
Theorie- und Strategiebildung zu "verabschieden", als
not wen d i g e Reaktion auf die Entwicklung der Reali-
tät zu interpretieren:
"Es hat sich gezeigt, daß Bewegungsmechanismus und Entwicklungsdynamik des Kapitalismus eine quasi naturwüchsige Ausbildung sozialistischer Formen nachdrücklich verhindern ... Strikt materialistisch gesehen: Wie und woraus sollen revolutionäres Bewußtsein, revolutionäre Perspektiven und ein revolutionäres (nicht nur revoltierendes) Subjekt entstehen. wenn dem kein materielles Substrat in den gesellschaftlichen Produktions- und Verkehrsformen entspricht, wenn die herrschenden gesellschaftlichen Mechanismen die Entfaltung einer derartigen 'Alternative' gerade unterbinden'?" 115)
256
Während der Phase der Rekonstruktion der Marxschen Theo
rie wurde der Marxismus als überlegener "Ausdruck" der
Produktionsverhäl tnisse, höchstes "Produkt" der Arbei ter-
bewegung und notwendiger "Heflex" des Klassenkampfs in
terpretiert.116
) Die ehemalige Gleichung, den eigenen
Vorstellungen vom "revolutionären Subjekt" entspräche
ein "materielles Substrat in den gesellschaftlichen Pro
duktions- und Verkehrsformen", gilt Hirsch nach der De
batte um die "Krise des I:larxismus" als Ungleichung. näm
lich als illusionäre Annahme eines "revolutionären Sub-
;jekts", dem k ein "materielles Substrat" entspricht.
Ex post wird der frühere "Realismus", der im l~arxj_smus
den adäquaten "Ausdruck" der kapitalistisch'en \'iidersprü
ehe sah, als Idealismus kritisiert und umgekehrt der "Ab
schied vom Proletariat" als "Realismus" legitimiert. Die
ser "Vergangenheitsbewältigung" folgt in einem zweiten
Schritt die Diskussion der notwendigen methodischen Grund-
sätze zukünftiger marxistischer Theoriebildung.
Die Fragen. wie materialistische Theorie vorzugehen ha
be, damit sie wieder zum adäquaten "Ausdruck" der ge
sellschaftlichen Produktions- und Verkehrsformen werde,
welcher Kategorien sie sich zu entledigen bzw. zu bedie
nen habe. um in Zukunft "realistisch" verfahren zu kön
nen, und welchen Interessen sie um ihres kritischen Ge
halts willen Rechnung tragen solle. sind das Thema der
zum Abschluß zu untersuchenden Beiträge von Michael Th.
Greven, Joachim Hirsch und Wolfgang Fritz Haug zur "Kri
se des Marxismus".
a) Der "Konservatismusbegriff" als neue "Strukturkatego
rie" materialistischer Theorie (rhchael Th. Greven)
Auf einem Symposium über "Konservativismus und Neokonser
vativismus in komparativer Sicht" in Frankfurt am Main
im März 1982 haben sich Repräsentanten kritischer Wissen-
r---.. - .... --... - .. -.-.-.... -..
257
schaft in der Bundesrepublik (unter anderem Agnoli. Ha
bermas. Hennig. Negt und A. Schmidt) mit der "Tendenz
wende" auseinandergesetzt. Den Erfolg konservativer Theo
rie interpretiert Michael Th. Greven in dem dort vorge
tragenen Referat 117 ) in derselben Weise. in der Hirsch
den ~Hßerfolg marxistischer Theorie deutet. namlich als
"Ausdruck" des heutigen Zustandes der gesellschaftlichen
Realität selbst:
"Wo sich :in der wirkU.chen geschichtlichen Situation der Gegenwart die offenkundigen Widersprüche und Konflikte eben nicht zur wirklichen Bewegung über den gegebenen Zustand hinaus verdichten. da kann Geschichtstheorie. die das angemessen reflektiert. gar nicht anders,als konservativ sein." 118)
Den Idealen und Zukunftserwartungen kritischer und mar
xistischer Theorie attestiert Greven in der Vergangen
heit Berechtigung als theoretische Ausdrücke der sich
"zur wirklichen Bewegung über den gegebenen Zustand hin
aus" verdichtenden realen Widersprüche. Umgekehrt beur
teilt er die gegenwärtige Abkehr von den früheren lin
ken Fortschrittserwartungen als Notwendigkeit der "wirk
lichen geschichtlichen Situation der Gegenwart". die es
ni.cht mehr erlaube. "anders als konservativ" zu sein. Die
von Greven vorgenommene Sichtung der affirmativen Fort
schritte als Schritte. welche die "geschichtliche Situa-
ion der Gegenwart" der Kapitali.smuskritik vorschreibe.
verdankt sich allerdings einem Quidproquo. Denn so sehr
es zutrifft. daß Menschen gegen ihren Willen zu prakti
schen und ihrem Interesse widerstreitenden Handlungen ge
nötigt werden können. so wenig sind Wissenschaftler wie
Altvater. Gorz oder Bahro zum "Abschied vom Proletariat"
oder zu "konservativer" Reflexion gezwungen. Kenntnis,
nicht Zustimmung. ist der immanente Anspruch des wissen
schaftlichen Denkens. Wenn umgekehrt die Erkenntnis und
Darstellung einer Sache gleichbedeutend mit der Anerken
nung von ihr und dem Verständnis für sie wird. dann ist
258
dafür neben der Existenz der Sache das erkenntnisleiten
de Interesse des Wissenschaftlers unterstellt. seinen
Gegenstand einer affirmativen Sichtweise zu subsumieren.
Letzteres allerdings begreift Greven nicht als einen Ge-
gensatz zur Wissenschaft. sondern als die von dem realen
"Ende der Geschichte,,119) der zeitgemäßen Wissenschaft
oktroyierte "angemessene" Betrachtungsweise. Und umge
kehrt interpretiert er die Fortschritte der Kapitalis
muskritik hin zu einer desillusionierten Einstellung zur
gesellschaftlichen Realität als die positive Bestimmung
und objektive Eigenschaft dieser Realität selbst:
"Der ursprünglich utopische Begriff. der mit der Vorstellung eines Endes der Geschichte. dem 'Ende der Vorgeschichte' wie Marx sagte. verbunden war. ist damlt als Kategorie zur Bezeichnung der Gegenwart historlsch.elngeholt worden. In dem Sinne, daß ihr nichts qualltatlv Neues mehr folgen wird. das wir uns den-ken oder vorstellen könnten, ist jede Utopie in die Geschlchte der Gegenwart eingebracht. Geschichte selbst. als ein Begriff, der ein Ende zu denken vermag. als Kategorie preisgegeben. Ginge es danach. würde es lmmer wo weitergehen." 120)
Wir k li c he Gegenstände. die Ökonomie. der Klassen-
gegensatz. das Proletariat oder der demokratische Staat.
kommen in der von Greven gegebenen Zustandsbeschreibung
der bürgerlichen Welt nicht mehr vor. Das "Ende der Ge
schichte". die Geschichte "als ein Begriff". die "Ent
wicklung zur totalen Integration,,121). der "Übergang zur
verwalteten Welt,,122), die "Zukunfts- und Subjektlosig
keit der gegenwärtigen Gesellschaft,,123) und die "Gegen-wa t I V h" . ,,124) ras er angnls bezeichnen keine realen Sach-
verhalte. sondern sind Synonyme für einen vorgestel ten
Gesellschaftszustand, dem "nichts qualitativ Neues mehr
folgen wird". Die Aussage, nichts ginge mehr, ist kein
objektives Urteil tiber die gesellschaft iche Realität.
sondern entspringt einer enttäuschten subjektiven Hoff
nung, die man auf die gesellschaftliche Entwicklung setz
te. War man Ende der 60er Jahre mit dem Impetus angetre-
~--_._-_._-_ .. "--_._ .. _. __ . __ ._----------------------------
259
ten, die bürgerlichen Verhältnisse zu ver ä n der n ,
und berief man sich dabei auf das Proletariat als "hi
storisches Subjekt", so konstatiert man an der ~lende zu
den 80er Jahren desillusioniert, die gesellschaftliche
Wirklichkeit verunmögliche ihre utopische Deutung und
erlaube nicht mehr, sie mit dem Ideal einer ihr innewoh-
nenden Zukunftsperspektive zu i n t e r p r e t i e ren :
"Der praktische Anspruch der Theorie bleibt ohne historisches Subjekt konsequenz- und perspektivlos ... Die Kritik wird. ohne sich je affirmativ zum Bestehenden verhalten zu können. gleichwohl fest ans Gewordene und Bestehende gebunden. Darin liegt ihr konservatives Moment." 125)
Daß theoretische Kritik. die auf Revolutionierung der
bürgerlichen Verhältnisse dringt. p r akt i s c h zur
Wirkungslosigkeit verurteilt ist. wenn sie nicht von den
Subjekten angeeignet wird. die allein über die Macht zur
Veränderung verfügen, ist ein zutreffendes Urteil. Daß
sie dadurch auch t h e 0 r e ti s c h fest an das "Beste
hende gebunden" und dieses darüber hinaus "ihr konserva
tives Moment" würde, ist eine unzutreffende Schlußfolge
rung. Denn die sachlichen Urteile einer theoretischen
Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse werden durch
den praktischen Mißerfolg, der ihr beschieden ist, weder
in ihrer Stimmigkeit tangiert noch konservativ modifi
ziert. Umgekehrt: wenn die gesellschaftlichen Umstände,
unter denen eine Theorie existiert, ihrer Kritik ein
"konservatives Moment" beifügen sollen, dann unterstellt
das die Existenz eines theoretischen Opportunismus, der
die Inhalte der Theorie an eben diese gesellschaftlichen
Umstände akkommodiert. Allein dadurch kommt die von Gre-
ven konstatierte K 0 n ver gen z von kritischer und
konservativer Theorie zustande:
"Im geschichts- und gesellschaftstheoretischen Kontext stellt sich angesichts der Diagnose, die die 'Dialektik der Aufklärung' und die 'Schwelle der Zeiten' gemeinsam über die Zukunfts- und Subjektlosig-
260
keit der gegenwärtigen Gesellschaft abgeben, die Frage, ob nicht traditionell 'linke' und 'rechte' Maßstäbe gleichermaßen ihre perspektivische Relativität preisgegeben haben und im Gestus der Beschwörung der Gegenwart als Verhängnis endgültig konvergieren. Die perennierende Polemik zwischen ihnen wäre damit Abglanz einer wohl vergangenen Phase der Geschichte, als den wechselseitigen Suadas 'linker' und 'rechter' Geschichtsphilosophen noch die objektive Dialektik des Klassenkampfes in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, damit auch die Möglichkeit von deren Aufhebung in einer anderen Zukunft, entsprach." 126)
Die Konvergenz "linker" und "rechter" Gesellschaftswis
senschaft - Greven zufolge eine naturwüchsige Konsequenz
der aktuellen Unmöglichkeit zur Aufhebung bürgerlicher
Verhältnisse - besteht allerdings nicht darin, daß sich
beide gleichsam auf 'neutraler Mitte' treffen, sondern
linke Theorie in der kulturpessimistischen Einschätzung
der "Gegenwart als Verhängnj.s" die r~aßstäbe konservati
ver Wissenschaft als auch für sich methodisch maßgebli
che Orientierung übernimmt:
"Der Konservatismusbegriff ... löst sich von seinem sozialgeschichtlichen Entstehungskontext ebenso wie von der damit verbundenen sozialen und interessenbedingten Basis und wird zur Strukturkategorie, in der der historisch neuartige Verlust der transzendierenden Zukunftsperspektive ebenso wie der sie tragenden sozialen und politischen Bewegung begriffen wird. Ausdruck einer historischen Situation, in der mit der zentralen Kategorie des 'Fortschritts' Zukunft lediglich der Gegenwart immanent noch gedacht zu werden vermag, als deren Verlängerung und Wandel." 127)
Die steigende öffentliche Reputation konservativer Wis
senschaft in der Bundesrepublik nimmt Greven zum Anlaß,
den von dieser verwendeten methodischen Instrumentarien,
Begriffen und Kategorien
zuerkennen, weil ihnen
S t ru k t ure ha r akt e r zu
um mit Hirsch zu sprechen - ein
"materielles Substrat" entspreche. Kritisierte linke Theo
rie früher die Begrifflichkeiten konservativer Wissen
schaft als I deo log i e, so läßt s:Le ihnen jetzt die
Anerkennung zuteil werden, adäquater "Ausdruck"
---------------------------------------- -----,-----
261
der historischen Situation zu sein.
Damit ist der Kreis nach 15 Jahren Rekonstruktion der
Marxschen Theorie geschlossen. Postulierten auf dem
1967 veranstalteten Frankfurter Kolloquium "Kritik der .. 00 J h 'K ·t 1,,,128) politischen Okonomie heute - 1 a re apl a
die Repräsentanten kritischer linker Wissenschaft die
r4arxsche Kapi talismuskri tik als den "bürgerlicher" Theo
rie überlegenen "Ausdruck" der gesellschaftlichen Wi
dersprüche, so macht die Mehrzahl der Teilnehmer am
Frankfurter Symposium über "Konservativismus und Neo
konservativismus in komparativer Sicht" 1982 umgekehrt
ernst mit dem methodischen Leitgedanken der damaligen
Marxismusrekonstruktion: Sie erkennen den konservativen
Urteilen "bürgerlicher "Wissenschaft dj.e Berechtigung
zu, adäquate "Ausdrücke" der "wirklichen r;eschichtlichen
Situation der Gegenwart" darzustellen.
b) Plädoyer für die Fortentwicklung marxistischer Theorie
zu "plebejischem Wissen" (Joachim Hirsch)
Während Greven für die Aktualisierung materialistischer
Wissenschaft durch die Integration von "Strukturkatego
rien" konservativer Theoriebildung plä
diert, postuliert Hirsch als aktuelles Erfordernis mar
xistischer Theorie ihre Fortentwicklung zu einem die Er
fahrungen der Individuen integrierenden " pIe b e -
j i s c h e n W iss e n" . 129) Die Notwendigkeit einer
solchen prinZipiellen Umorientierung der Marxschen Theo
rie stellt Hirsch als Schlußfolgerung aus der "Krise des
r~arxismus" vor:
"Viel bedeutsamer als an vielleicht korrekturbedürftigen Einzelaussagen (des Marxismus, d. Verf.) ist indessen die Kritik an einer spezifischen Struktur von Theorie .,. - Theorie als im Rahmen herrschaftlicher Arbeitsteilung formulierte Auskunft über Sub-
262
jekte und deren Handeln, als Feststellung von mäßigkeiten und objektiven Zusammenhängen von als katalogisierende Typisierung und Ordnung, kurz: als Produktion von Wissen über gesellschaftliche Individuen, das diese verfügbar macht und das wenig zu tun hat mit praktischem Wissen der Handelnden von und über sich selbst. Diese Wissensform, die im Kern den 'bürgerlichen' Charakter von Wissenschaft ausmacht, prägt in eigentümlicher Weise und gegen ihren auch wesentliche Teile der sich auf Marx Theorie. Das beginnt in bestimmter Weise schon bei Marx selbst, dessen ökonomisches Spätwerk ... sich als 'Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft' auf die Analyse objektiver gesellschaftlicher Strukturzusammenhänge und Bewegungsgesetze konzentriert." 130)
Mit dem Vorwurf an die Marxsche Theorie, ihre Argumente,
Urteile und Begriffe seien Auskünfte übe r Subjekte,
hat Hirsch entgegen seinem Selbstbewußtsein nicht den
"bürgerlichen Charakter" marxistischer \hssenschaft of-
fengelegt. Er hat vielmehr dem formellen Prin-
z i P von Wissenschaft schlechthin eine Absage erteilt,
welches darin besteht, daß das denkende Subjekt sj.ch ein
Erkenntnisobjekt gegenüberstellt und "von aUßen,,13 1 ) er-
kennt. In Ausgangspunkt und Inhalt
entdeckt Hirsch die zu kritisierende
Struktur" der Marxschen Theorie:
e der Erkenntnis
" s p e z i fis c h e
"In diesem Sinne ist Foucault beizupflichten, wenn er am 'Marxismus' vor allem kritisiert, daß er beansprucht, 'Wissenschaft' zu sein." 132)
Den formellen Gegensatz von erkenriendem Subjekt und zu
erkennendem Objekt hypostasiert Hirsch zur Unterdrückung
des Subjekts. Ihm gilt die von bürgerlicher Wissenschaft
und Marxismus gleichermaßen betriebene "Produktion von
Wissen übe r gesellschaftliche Individuen" ungeachtet
des sachlichen Gehalts ihrer jeweiligen Urteile als Herr-
schaftswissen, das die Subjekte "verfügbar l1 mache.
Die übersteigerte praktische Bedeutung, die Hirsch einer
bürgerlichen Wissenschaft beimißt, welche ihren verant
wortlichen Beitrag für den Fortbestand der bürgerlichen
Verhältnisse dadurch leistet, daß sie den staatlich ab-
263
gesicherten "stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse",
der die Individuen "verfügbar macht", mit dem Schein
der Begründetheit und Naturnotwendigkeit versieht, ist
der Auftakt dazu, die eigene Forderung nach einer dem
"praktj.schen Wissen der Handelnden" verpflichteten "ple
bejischen" lVissensehaft als Gebot der Humanität darzustel
len: Nur die methodische Umorientierung des Marxismus kön-
ne davor bewahren, die
Befreiung kämpfenden
entsubjektivieren,,1
um "ihre Selbstverwirklichung und
seIlschaftlichen Individuen zu
"NatürLlch ist der 'Ob.iekb.vismus' der r~arxschen Theorie ein Reflex auf den Objektivitätsüberhang der bürgerlichen Gesellschaft, der die Individuen immer schon abstrakt macht, normalisiert und zurichtet, und hat darin seine nicht zu hintergehende Wahrheit. Aber das ist eben nur die eine Seite der Münze. Die andere Seite ist, daß die Individuen in der Objektivität der Strukturen und Verhältnisse eben nicht aufgehen daß sie Widerstand leisten, 'abweiche~trukturen' zugleich tragen und verändern ... Das bedeutet, daß theoretische Produktion tendenziell getrennt ist von denen, die als ihr Objekt erscheinen: was den immer wieder durchschlagenden 'Objektivismus' und die Abstraktheit linker Theorie begünstigt. Theorie erscheint als Wissen über etwas, das den Theorieproduzenten äußerlich und fremd ist ... , kaum als das Praxis-Wissen gesellschaft} ich handelnder Individuen." 134)
Die Fiktion einer Wissenschaft, die dem Subjekt Gewalt
antue, weil sie es überhaupt als "Objekt" zum Gegenstand
ihrer Betrachtung macht, verrät mit ihrer Polemik gegen
"Abstrakthei t", "Feststellung von außen", "Typisierung
und Ordnung" allein den Willen, sachliches "Wissen über
etwas" zugunsten von begriffslosem "Praxis-Wissen" zu
erse,tzen. Die von Hirsch ebenfalls übe r die Subjek-
te aufgestellte Behauptung, "in der Objektivität der Struk-
turen und Verhältnisse eben nie h t aufzugehen", ist
so auch nicht der Beginn einer Analyse der bürgerlichen
Individualität, die den realiter durchaus "normierten"
Wi len der modernen Subjektivität samt der von ihr ent
wickelten Techniken untersucht, mit den Zwängen der bür
gerlichen Welt zurechtzukommen. Die Subjektivität des
bürgerlichen Individuums hat bei Hirsch keinen po i iven
Inhalt, sondern allein den negativen, nie h t Ob ek-
tivität zu sein. Die Thematisierung des formellen Gegen
satzes von Subjektivität und Objektivität jenseits ei
nes spezifischen gesellschaftlichen Gehalts ist für Hirsch
der Auftakt zum Postulat einer Wissensform, die sich an
den unbegriffenen Erfahrungen des Alltagsverstands orien
tieren soll:
"Wissenschaft darf sich somit nicht damit begnügen, in den Kategorien von Generalisierung. Gesetzmäßig-kei t, Normalität, Objektivität, von \Vissen über Objekte zu operieren, also in Kategorien, die Herrschaftsund Verfügungswissen auszeichnen. Vielmehr hätte sie sich zu entwickeln auf der Basis dessen, was 'plebejisches Wissen' ausmacht: im Kontext lokaler und begrenzter Wahrheiten, subjektiver Erfahrung, Individualität. Besonderheit, von Wünschen und Phantasien, am Wissen der gesellschaftlichen Subjekte selber." 135)
Das Postulat, Wissensehaft künftig nicht mehr an der
"Wahrheit,,136), sondern an ihrer I.ebensnähe zu
messen, ist allerdings durch einen unmittelbaren Wider
spruch charakterisiert. Denn es beruht darauf, di zuvor
durchaus negativ dargestellte Praxis der bürgerlichen In
dividuen, die als bloße "Charaktermasken" und "bewußtlo
se Agenten objektiver Prozesse,,137) handeln, ;jetzt j.n die
Verwirklichung positivster Subjektivität umzukehren. Der
praktische Alltagsverstand, der sich mit falschen Vorstel
lungen in den Zwängen von Konkurrenz und Staat einrichtet,
wird von Hirsch zur Entfaltung von "plebejischem Wissen",
"Individuali tät", "Besonderheit", "Wünschen" und "Phan
tasien" verklärt. Das sich unterordnende Bewußtsein fin
det so seine Apotheose als Widerstand, und die falschen
Vorstellungen über die bürgerlichen Verhältnisse gelten
als Vorbild für materialistische Theorie138
):
"Nur so kann sie der Aufgabe gereeht werden, 'eine wissenschaftliche Selbstver~tändigung revolutionärer Praxis zu ermöglichen' ." 139)
265
Das sich mit falschen Vorstellungen den Notwendigkeiten
der Klassengesellschaft unterordnende praktische Handeln
der bürgerlichen Individuen wird von Hirsch zum Inbegriff
"revolutionärer Praxis" verkehrt. "Wissen
über Objekte", "Wahrheit" und Objektivität betrachtet
Hirsch umgekehrt als das Hindernis für wahrhaft ge-
seilschaftsveränderndes Handeln. Materialistische Wis
senschaft soll nicht mehr die Kritik der früher einmal
als I deo log i e gewußten falschen Vorstellungen des
Alltagsbewußtseins beinhalten, sondern als "plebejisches
l~issen" die verkehrten Erfahrungen zum Maßstab ihrer
Theoriebildung nehmen. Das von Hirsch der "Krise des Mar
xismus" entnommene Plädoyer fUr "plebejisches Wissen" er
weist sich so als die methodische Anweisung an materiali
stische Wissenschaft, die Marxsche Kapitalismuskritik
durch die Apotheose unbegriffener Praxis zu ersetzen.
c) r·larxi smus al s "Ökumene" aller denkbaren "Marxi smen"
(Wolfgang Fritz Haug)
Anl~ßlich des 100. Todestages von Karl Marx hat Wolfgang
Fritz Haug in einem Argument-Sonderband "Aktualisierung
l·larx'" zur Krise des f.larxismus Stellung genommen. 140)
Hährend Hirsch mit Beiträgen wie "Proletariat adieu,,141)
am "Ausbruch" der Krise des f-larxismus als Urheber mi twirk
te und für einen definitiven Abschied vom wissenschaft
lichen Sozialismus zugunsten "plebejischen Wissens" plä
diert, interpretiert Haug ex post die Krise des Marxis-
mus als eine dem Marxismus immanente Dialektik seines Fort
schritts. Haug zufolge sind Krisen des Marxismus so alt
wie der Marxismus selbst. Sie sollten deshalb als Tat
sachen respektiert und als Herausforderung produktiv aus
getragen werden:
266
"Die Analysen der bestehenden Verhältnisse und di Strategien ihrer Veränderungen sind nicht haltbarer als diese Verhältnisse selbst. Mit den historlsc~en Erfahrungen und der Entwicklung der allgemelnen w~ssenschaftlichen Denkmittel erhalten Analysen und ~trategiefindung weitere Impulse zur Erneu?ru~~. Dles~r _ Entwicklungsprozeß kann nlcht anders alS wldersprueh lieh und kontrovers, mit Ris~ken belastet, zWlsc~en unterschiedlichen Optionen wahlend: verlaufen',Man
ß 'd' Prozeß 'ernen nicht nur dle elnze1ne mu auen J.esen .1. ~ ~ '. .).... • .
L h U d wir Marxisten haben dlesen Irobeß noch nlcht e re. n . 1 h 'ß n' Auf-genügend gelernt. Krise des Marxls~us. tann e~ e, .. _ .
ruf zu einem neuen Lernschub, marxlst~sche Se_bstkrl tik der vorhandenen Erkenntnisse, DenKmlttel und Veränderungsstrategien . In diesem Sinne g:i.bt es, "m~~0)s geben, Krisen des Marxismus, solange er lebt. L
Warum eigentlich - so ist hier einzuwenden - sollen die
theoretischen Analysen der gesellschaftlichen Verhältnis
se sowie die aus ihnen begründeten politischen Strategien
durch die Veränderungen der existenten Verhältnisse selbst
'haltlos' werden? Denn entweder sind die bestehenden Ver-
hältnisse der bundesrepublikanischen Gesellschaft k
t . h und haben sich um dieses ihres ökono-p i tal i s 1 S c
d sel'ner E'.ffel(tivierung· willen verändert; mischen Zwecks un -
warum sollte dann ein Anlaß zur Revision der Marxschen
k . der daraus begrü~deten Klassen-Kapitalismuskriti - SOWle
kampfstrategie bestehen? Oder aber der Kapitalismus ist
den Veränderungen in der Bundesrepublik zum Opfer gefal
len, womit sich jeder Marxismus, wissenschaftliche Sozia
lismus oder wie immer man die wissenschaftliche Kritik
des Kapitalismus benennen mag, als im Wortsinne gegen
standslos erübrigen würde. Haug denkt dieses Entweder
Oder als Sowohl-AIs-auch. Der Marxismus, wie er ihn kennt.
soll sowohl durch Ver~nderung seines Gegenstandes hin-
d 1s auch theoretisch fortzuentwickeln sei~. fällig gewor en a. 0. ..,
Mit diesem Widerspruch deklariert Haug den Marxismus zu einem ge
J'edem sachlichen Urteil unabhängigen Pro~uin methodischen, von
jekt. Die von Haug vorgenommene Diagnose der Krise s
'~arxismus resultiert denn auch nicht aus einem aus dem
d . 1 n marxistischen sachlichen Nachvollzug er elnze ne. !'Leh-
,.......
267
ren" begründeten Urte:l1, i n wie f ern die in ihnen
analysierten kapitalisti ehen Gesetze keine theoreti-
sche Gültigkeit und praktische Geltung mehr beanspru-
chen dürfen. Sie verdankt sich vielmehr dem von Haug zur
Anwendung gebrachten erkenntnistheoretischen Vor u r
te i 1, das weniger mit r,larxismus denn mit dem aus dem
bürgerlichen Methodenpluralismus her bekannten Wissen
schaftsverständnis gemein hat, demzufolge Theorie zu
allererst ein unabschließbarer "Prozeß" sei, weswegen
zweitens der "einzelnen J,ehre", weil nicht Prozeß, sondern
Resultat, mit pauschaler Skepsis begegnet werden müsse
und deshalb drittens Kritik vor allem die Bereitschaft
zur "Selbstkritik" bedeute. Aufgrund der von Haug a prio
ri gesetzten prinzipiellen Unabgeschlossenheit, gesell
schaftlichen Bedingtheit und historischen Relativität
der "vorhandenen Erkenntnisse, Denkmittel und Verände
rungsstrategien" werden für ihn alle fa k t i s ehe n
Entwicklungen der gesellschaftlichen Verhältnisse im na
tionalen und internationalen Maßstab zu ebensovielen
K r i sen b ewe i sen des T~arxismus:
"Krise also von Gewohnheiten, Haltungen, Erwartungen, Selbstverständlichkeiten ... Lassen wir noch einmal die großen, schwerverdaulichen Problembrocken Revue passieren: Monopolkapitalismus und imperialistische Weltkriege, Machtübernahme einer kommunistischen Partei in einem erst ansatzweise industriekapitalistisch entwickelten Land, Niederlage der Revolutionen im Westen, ... neue Kräfteverhältnisse auf dem Weltmarkt, ... der totale Atomkrieg rückt in den Bereich der Möglichkeit ... ökologische Grenzen ... der American way of life (tritt) seinen Siegeszug an. Hier feiert die herrschende Ideologie des Kapitalismus ihre Triumphe ... Die Arbeiterklasse wird zerstreut ... schwer'e Wirtschaftskrisen in kommunistisch regierten Ländern ... die Militärdiktatur in Polen und die sowjetische Intervention in Afghanistan ... das weltweite Scheitern sozialdemokratischer Politiken des Wohlfahrtsstaats ... Arbeitslosigkeit ... Aber immer wieder , .. flammt das revolutionäre Feuer irgendwo wieder auf ... Die Fortschritte können in die Krise führen. Die produktiv ausgetragene Krise des Marxismus kann seine nächsten Fortschritte einleiten. Aber die
260
Situation ist zunächst konfus. Das des Weltmarxismus unserer Zeit ist
Haug argumentiert nicht, er suggeriert. Einmal abgesehen
von dem Inhalt der angeführten Tatsachen, die zum einen
durch Gewalt entschiedene Niederlagen oder Erfolge prak
tischer Interessen von kommunistischen Parteien, Kapital
oder Staat darstellen, zum anderen schon ideologisch ein
gefärbte Fakten benennen, die wie die Rede von den 'öko
logischen Grenzen' und der 'Zerstreuung der Arbeiterklas
se' gemeinhin mit der Krise des Marxismus identifiziert
werden, und zum dritten auf den herrschenden Antikommu
nismus anspielen wie die Hinweise auf Polen und Afghani
stan, ist die r,1 e t h 0 d e des von Haug vorgenommenen
Krisenbeweises des Marxismus dem Verfahren christlicher
Weltanschauung kongenial. Wie dem gläubigen Menschen sämt
liche weltlichen Phänomene von der Atombombe bis zur Ar
beitslosigkeit Zeugnisse des Willens Gottes sind, so zeu
gen dieselben Tatsachen für Haug von den Krisen des Mar
xismus. Überzeugend ist solch ein Existenzbeweis aller
dings alleine für denjenigen, der, wie Raug, den Stand
punkt der Krise des Marxismus schon dogmatisch teilt. Nur
dann, dann aber schon, werden bloße Fakten zu einem Ar
gument.
Kommen wir nun zur Erörterung der Frage, worin die oben
angesprochene produktive Austragung der Krise des Marxis
mus bestehen soll, was Haug zufolge zu tun ist, um die
aktuelle Krise in eine historische Chance zu verwandeln.
Als ersten Schritt postuliert Haug die vorbehaltlose An
erkennung der Krise des Marxismus als dialektisches Mo
ment seines Fortschritts:
"Wir wollen ... unterstützen, daß die Marxiste ihre Widersprüche zur Kenntnis nehmen, statt nur ge agt in ihnen hin und her zu springen. Wir plädieren f r die Annahme der Dialektik des /'larxismus." 144)
...-----"""----"-----""--------------------------------------.,..,....--------------------
269
Als zweiten und entscheidenden Schritt fordert Haug von
sämtlichen "Marxismen" die Bereitschaft zu radikaler
Selbstkritik der vorhandenen "Erkenntnisse, Denkmittel
und Veränderungsstrategien":
"Der zur Wissenschaft gewordene Sozialismus muß auch wie eine Wissenschaft behandelt werden. Ein 'Lehrgebäude, das einer bestimmten Zeit entstammt, unverändert festzuhalten und zur Theorie des Wissenschaftlichen Sozialismus zu erklären, geht nicht. Die ahistorisch festgehaltene Wissenschaft verendet in diesem Griff, hört auf, Wissenschaft zu sein. Der 'verewigter Stand von Einsichten und Orientierungen läßt diese eingehen in die ewigen Jagdgründe des Ideol chen. Die Wis-senschaft ist unabschließbarer Proze - wie der 'Wissenschaft gewordne' Sozialismus. Dieser Prozeß ist notwendig kontrovers, vielstimmig, vorangetrieben von Divergenzen, von Tendenzen, die gegeneinander selbständig bleiben müssen. Die Logik des wissenschaftlichen Prozesses ist unvereinbar mit der Logik hierarchischer Administration von einem Machtzentrum aus, unvereinbar mit der Subordination unter Logiken der polit schen Organisation. Oder wie Karl Marx es allen Sozialisten und Kommunisten ins Stammbuch geschrieben hat: 'Einen Menschen aber, der die vlissenschaft ei-nem nicht aus ihr selbst (wie irrtümlich sie immer sein mag), sondern von außen, ihr fremden, äußerlichen Interessen entlehnten Standpunkt zu akkommodieren sucht, nenne ich 'gemein'." 1 /+5)
Argumentlos bestreitet Haug alle Elemente, die einmal
Ausgangspunkt und Inhalt der auch von ihm mitgetragenen
Rekonstruktion des Marxismus waren. Dies betrifft sowohl
die Geltung der ehemals als universell überlegenes Denkver
fahren rekonstruierten dialektischen Methode 146 ) als auch
die Gültigkeit der in der "Kritik der nolitischen Ökono
mie" dargestellten materialen Analysen".147) All das, worin
der r~arxismus die wissenschaftliche "D ars tell u n g
des Systems" der kapitalistischen Ökonomie "und durch die
Darstellung Kr i t i k desselben,,148) wäre, wird von
Haug als der zu überwindende Mangel des wissenschaft
lichen Sozialismus erachtet. Die von ihm zitierte Aussage
von Engels, "daß der Sozialismus, seitdem er eine Wissen
schaft geworden, auch wie eine Wissenschaft betrieben,
d. h. studiert werden Will,,1/+9 ), nimmt Baug als Vorwand,
270
"Wissenschaft" gleich im Sinne des Anforderungskatalogs
des bürgerlichen Methodenpluralismus zu definieren. dem
zufolge Erkenntnis nicht die "Reproduktion des Konkreten
im Weg des Denkens,,150), sondern ein "unabschließbarer
Prozeß" des Erkennens (von was eigentlich?) sei. Einmal
abgesehen von dem immanenten Widerspruch dieser Erkennt
nisdefinj. tion, die ihre Polemik gegen den "verewigten
Stand von Einsichten und Orientierungen" ja ebenfalls als
eine "ewige" und "ahistorisch festgehaltene" Einsicht
über den allgemeinen Charakter von Wissenschaft behaup
tet, redet Haug darin einem wissenschaftlichen Sozialis
mus das Wort, dem man keine praktisch-pclitischen Kon
sequenzen mehr entnehmen kann noch soll. Denn wenn der
immanente Zweck des wissenschaftlichen Sozialismus nicht
mehr die Aufklärung über die innere Natur der gesell
schaftlichen Gegenstände, sondern der "Prozeß" des 3rken-
nens als solcher sein soll, dann kann die für eine be -
gründete gesellschaftsverändernde Praxis erforder-
liehe Sachkenntnis nicht mehr zustandekommen. Umgekehrt:
wenn Haug explizit den methodischen Selbstbezug, die per
manente Selbstkritik und die unabschließbare Integration
der verschiedenen gegeneinander selbständig bleibenden
marxistischen "Tendenzen" als den immanenten Zweck
des "Wissenschaft gewordnen Sozialismus" postuliert, dann
soll offenbar der Marxismus auf die Sphäre selbstgenüg
samer methodologischer Reflexionen festgelegt und be
schränkt werden. Das von Haug geführte Plädoyer für ei-
l h f "-l' h S . 1" ,,151) nen "Projektcharakter des Vissensc a c ]"c en OZla" lsmus
ist gleichbedeutend mit der Warnung vor der 'Illusion'
marxistischer Organisationen, man könnte sich auf Wissen
verlassen und ein politisches Interesse begründet ver
folgen. In diesem Zusammenhang zitiert Raug das Marxsche
Diktum gegen Parteilichkeit i m Denke~l als Argument für
die von ihm vorgenommene pauschale Entgegensetzung von
organi s i erter Pol i t ik und Denken. Di e von den Begrün
dern des wissenschaftlichen Sozialismus gegenüber mora-
~)71
11 eh-utopischen Weltveränderungsprogrammen hervorgeho
bene Notwendigke ,"die wirkliche VJelt ... so aufzufas
sen, wie sie sich selbst einem jeden gibt, der ohne vor-
faßte idealistische Schrullen an sie herantritt,,152),
we 1 die wirkliche Kenntnis der Gesetze und Bestimmungen
von kapitalistischer Ökonomie und bürgerlichem Staat die
Vor aus set z u n g und das Mit tel begründeter par
teipolitisch organisierter Praxis sei, wird von Haug als
ein Postulat für die "Logik des wissenschaftli.chen
Prozesses" und ge gen die "Logiken der pol i tischen
Organisation" gelesen. 153 ) Und das Selbstbewußtsein einer
sieh auf Marx und Engels berufenden politischen Organisa
tion davon, daß die Pflege eines Pluralismus von "Mar
xismen" sowohl einen Widerspruch zur wissenschaftlichen
Analyse der kapitalistischen Verh~ltnisse darstellt als
auch eine wissenschaftlich begründete Praxis verunmög
licht, hypostasiert Haug zur "hierarchischen Administra
tion" und "Subordi.nation" des wissenschaftlichen Sozialis
mus unter das "Machtzentrum" der Partei. I/Jan sieht, die
von Haug postulierte produktive Wendung der Krise des Mar
xismus ist die Verpflichtung aller marxistischen Organi
sationen auf die von politischer Praxis getrennte und zu
ihr in Gegensatz stehende methodologische Selbstbesch~f
tigung mit den Voraussetzungen, Bedingungen, Wechselwir
kungen, Instanzen, Problemen und Lösungsans~tzen des in
ein "Pro j.ekt" verwande 1 ten I~arxi smus . 1 54) Di e dabe i von
Haug angestrebte "Handlungsf~higkei teines r,larxismus von
morgen,,155) soll zum einen die pauschale Bereitschaft von
Marxisten zur selbstkritischen Annahme der prinzipiellen
Un~bgeschlossenheit und Widersprüchlichkeit ihrer Theo-
rien beinhalten, zum anderen auf der widerspruchslosen
Akzeptierung einer "marxistischen Ökumerte" der "unterschied
lichen r4arxismen,,156) beruhen.
Abschließend bleibt noch eine Frage zu erörtern:
soll der von Haug behauptete, über di methodische
petenz hinausgehende Beitrag des soziali ischen
jekts zur praktisch-pol tischen Handlungsfähigkei be
stehen? Oder, anders formuliert: Was ist nun Haug zu:
ge der Marxismus seiner sachlich-kritischen Seite pacll
Worin soll die zeitgemäße Praxisrelevanz des Marxismus
bestehen, für die Haug plädiert?
"Wir pl für die Annahme der alektj.k :a.T-xismus. , von dem aus diese möglich ist: befindet Lehrgeb~ude, sondern im i-en, im der Exi tenznrobl welche chhelt zu' einer Uberlcbensfrage machen. Diese Notwendigkeiten haben sj.ch im eich zur Zeit von Marx verschärft, die Akzente . Die Fortexistenz des ebenso an ur-chischen wie ausbeuterischen kapitalistischen We systems bedroht die ~enschhei mit Weltwirtschafts-krisen, aber auch während der Konj en mit wachsender Verelendung großer Teile der ltbevöl
dazu mit omkrieg und Ökologischer Zerstörung. ökonomischen Not, zur Kri und zum
allmählichen der Flut der Itzerstö gesellt sich turelle Not. Aber diese eme und ihre ichen Lösungen sind miteinander vernetzt. Die er Fragen ist die nach der Vergesellschaf-
I!\vissenschaftlicher Sozialismus - das ist das borene Problem der Artikulation der Kräfte der der Wissenschaft und der Kultur in der Perspektiv ihrer solidarischen Vergesellschaftung und einer e-stal ihres Verhältnisses zur Natur in einer Weise, die igen Generationen einen bewohnbaren Planeten hinterliLlt." 15(3)
Wissenschaftlicher Sozialismus ist hier zum Generalt tel
für sämtliche möglichen Lösungen geworden, die sich um
die U bel' 1 e ben s fra end e l' e n eh he i t sor-
gen. Wie schon für Bahr01
) sind auch für Haug die für
die Mehrzahl der Individuen ruinösen l/iirkungen des "aus
beuterischen kapitalistjschen Weltsystems" ökonomi ehe
Not und wachsendes Elend fUr große Teile der Weltbevölke
rung, die Gefahr eines Atomkrieges und extensive Umwelt-
zerstörung Argumente für die längst Uberf~llige Sub-
273
stituierung der Klassen durch die Menschheitsfrage. Wis
senschaftlicher Sozialismus soll nicht mehr die theoreti-
sehe und praktische Kritik des kapitalistischen
"Reichs der Notwendigkeit" bezwecken, sondern das "Reich
der Notwendigkeit" gleichermaßen als Chance und Verpflich-
tung zur s idarischen S 0 r g e aller gesellschaftlichen
Kräfte um den Erhalt eines "bewohnbaren Planeten" begrei
fen. Der von Haug eingenommene Standpunkt der Menschheit
ist nicht nur kritisch gegen jede Äußerung eines prole
tarischen Klasseninteresses - dies gilt ihm als unsolida
rischer, weil sich nicht um das "Ganze" sorgender "Ökono
mismus" und "Klassenreduktionismus".160) Er tritt darüber
hinaus polemisch gegen eine Praxis auf, die "Sachzwänge"
nicht affirmiert, sondern kritisiert. So wird aus der
Marxschen Kapitalismuskritik, die einmal Marx zufolge die
"rücksichtslose Kritik" des "stummen Zwangs der ökonomi
schen Verhältnisse" und ihrer politischen Absicherung sein
sollte, das Gebot eines "plurizentrischen Marxismus,,161),
der die kapitalistischen Bereiche der Ökonomie und Politik
"in ihrer je spezifischen Eigengesetzlichkeit zu
s p e k t i e ren" 162) habe.
re -
d) Zusammenfassung
Die oben dargestellten methodischen Reflexionen von Greven,
Hirsch und Haug über die Perspektiven materialistischer
Theorie in den SOer Jahren bezeichnen drei exemplarische
Reaktionen auf die Krise des Marxismus. Greven entnimmt
ihr die Anweisung, daß materialistische Wissenschaft, in
sofern sie ihre traditionellen linken Ideale, Werte und
Zukunfts erwartungen als methodische Leitlinien der Theo
riefindung relativiere und k 0 n s e r va ti v e n Struk
turkategorien und Begrifflichkeiten Berechtigung zuerken-
ne, sich als anerkannte Wissenschaft erhalten
könne. Hirsch interpretiert die Krise des Marxismus als
Argument, das W iss e n s c h a f t 1 ich e der !'larxschen
Theorie zu eliminieren: die materialistische Wissen-
schaft bewahre sich als m a t e r i a I ist i s ehe ge·~
rade, indem sie sich von den unbegriffenen Erfahrungen
des Alltagsbewußtseins leiten lasse. Sowohl das Plädoyer
für den "Konservatismusbegriff" als neue "Strukturkate
gorie" als auch das Postulat "plebejischen \Vissens" wei
sen marxistischer Theorie und Praxis die Perspektive der
Akkommodation an akademischen Zeitgeist und Common Sense,
die doch einst von ihr als Ideologie gewußt waren und der
Kritik unterzogen werden sollten. Und Haug nimmt gegen
über den Positionen von Greven und Hirsch sowie sämtli
chen anderen realen oder denkbaren methodischen Ansätzen
den Standpunkt des ideellen Gesamtmethodologen ein, der
"eine produktive Konvergenz auch in der Divergenz der
unterschiedlichen !-larxismen,,163) einzuleiten bemüht ist.
Als "marxistische Ökumene" wäre der Erfolg des r~arxismus
in den SOer Jahren tatsächlich per se garantiert, eben
weil es ihm dann auf nichts anderes mehr praktisch an
käme als auf das bloße Stattfinden des "unabschließbaren
Prozesses" breit angelegten methodologischen Diskutierens.
275
Anmerkungen: Die Demontage der rekonstruierten Marxschen
Theorie - die Krise des Marxismus
1) Altvater u. a., Zur Entwicklung des Kapitalismus in Westdeutschland, in: Handbuch 1, S. 268
2) Hedaktion "Prokla", Editorial: Was heißt Krise des Marxismus?, in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 36, 1979, S. 6
3) a.a.O., S. 1
4) a.a.O.
5) Frieder o. Wolf, Auflösung oder Erneuerung des Marxismus?, in: Probleme des Klassenka~pfs Nr. 36, 1979, S. 25
6) Redaktion "Prokla", Editorial, S. 6 7) Bernhard Blanke/Gert Schäfer, Krise der Linken - Kri-
se des Marxismus, in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 36, 1979, S. 35 f
8) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 290
9) Redaktion "Prokla", Editorial: Probleme mit dem Klassenkampf - Marxistische Theorie und soziale Bewegung, in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 43, 1981, S. 1
10) Redaktionsgruppe "Sozialistische Konferenz", Der herrschende Block - und die Alternativen der Linken, in: Materialien zur Sozialistischen Konferenz, Bd. 3, Hannover 1980, S. 21
11) Hirsch, Der Sicherheitsstaat, S. 132
12) a.a.O. 13) Frieder O. Wolf, Auflösung oder Erneuerung des Marxis
mus?, S. 34 14) Redaktionsgruppe "Sozialistische Konferenz", Der herr
schende Block, S. 21
15) Bernhard Blanke, Krise der Linken - Krise des Marxismus, in: Die Linke im Rechtsstaat - Bedingungen sozialistischer Politik 1965 bis heute, Bd. 2, hrsg. von Blanke/Delius/Fichter/Kadritzke/Rabehl/Schmidt/ Tornow, Berlin (West) 1979, S. 255 ,
16) Blanke/Schäfer, Krise der Linken - Krise des Marxis-mus, S. 44
17) Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, in: MEW 21, Berlin (Ost) 1973, S. 292
18) Rudolf Bahro, Abschied vom Kapitalismus - Abschied von unserem Proletariatsbegriff, in: Bahro, Elemente einer
276
neuen Politik - Zum Verhältnis von Ökologie und Sozialismus, Berlin (West) 1930, S. 77
19) Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 596
20) a.a.O., S. 562
21) Marx, Das Elend der Philosophie, in: MEW 4, Berlin (Ost) 1972, S. 181
22) Siehe hierzu programmatische Stellungnah~en schon in den "Frühschriften" wie die folgende:
"Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, daß die Kritik sich nicht vor ihren Hesultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mi t den vorhaYldenen tfJächten." (l-larx, Briefe aus den "Deutsch·-Französischen Jahrbüchern", in: MEW 1, Berlin (Ost) 1974, S. 344)
Siehe ebenso die späteren Artikel und Aufsätze, in denen Marx kontinuierlich unter aYlderem iie Konkur-renz der Lohnarbeiter kritisiert (Marx, Lohnarbeit und Kapital, in: MEW 6, S. 420 ff), falsche proletarische Vorstellungen über den Nutzen florierenden Wirtschaftswachstums widerlegt (Marx, Arbeitslohn, in: MEW 6, S. 535 ff) oder auf die Notwendigkeit, aber auch Beschränktheit, des bloß gewerkschaftlichen Kampfs der Arbeiterklasse hinweist (Marx, Lohn, Preis und Profit, in: r,lEW 16, S. 103 ff und 152).
23) Redaktion "Prokla", Editorial: Probleme mit dem Klassenkampf, S. 1
24) Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 604
25) Andre Gorz, Abschied vom Proletariat, Frankfurt Main 1980
am
26) Harald Wieser, Ein Tempelschänder des Marxismus, in: Der Spiegel Nr. 16, 1931, S. 221
27) Gorz, Abschied vom Proletariat, S. 16
28) a.a.O.
29)
30)
31)
32)
33)
34)
35)
a·.a.O. ,
a.a.O. ,
a.a.O. ,
a.a.O.
a.a.O. ,
a.a.O. ,
a.a.O. ,
S.
S.
S.
S.
S.
S.
35
11
9
68
64
61
36) 37) 38) 39)
a.a.O. ,
a.a.O.,
a. a. O. ,
a.a.O. ,
S.
S.
S.
S,
277
62 16
13 18
40) Marx, Das Kapital, Bd. 1, S. 532 41) Gorz, Abschied ~om Proletariat, S. 19 42) a.a.O., S. 20
43) Wenn Gorz die Marxschen Ausführungen wie folgt referiert - "Das Proletariat ist die sich selbst als Quelle der Welt und Geschichte begreifende universale Nacht der Arbeit." (a.a.O., S. 19) , dann mag dies zwar durchaus zutreffend den Gothaer Programmentwurf für die vereinigte sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands wiedergeben -
"Die Arbeit ist die Quelle alles Beichtums ... " (zitiert nach: Marx, Kritik des Sothaer Programns, in: ~lEW 19, S. 1 5) ,
aber nicht die r,larxsche "Kritik der pol i tischen Ö.~onomie". r,Jarx pole,nisierte zeitlebens gegen solch "bürgerlich'O Redensarten" (a.a.O.), die mit Stolz und B8-'dclnderung auf die angeblich "universale ['Jacht der Arbeit" deuten und die Resultate der Lohnarbeit zu solchen der Arbeit schlechthin verklären:
"Die Bürger haben sehr gute Gründe der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anz~dichten; denn grade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt. daß der Mensch, der kein andres Eigentum besitzi als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschaftsund Kulturzuständen der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentünern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben." (a.a.ü.)
44) Gorz, Abschied vom Proletariat, S. 22 45)
46)
47)
48)
a.a.O.
a.a.O. ,
a. a. O ..
a.a.O.
S. 27 S. 29 S. 30 S. 62
49) Diesen "Trick" kapitalistischer Entwicklung des Produktionsprozesses will Gorz der Lektüre der "Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie" entnommen haben:
"11arx prophezeite schon 1857, daß die Zeit kommen werde, in der die Menschen nicht mehr die Arbeit tun werden, die von Maschinen übernommen werden kann und prophezeite, daß der Kapitalismus unaufhaltsam der Abschaffung der Arbeit zustrebe, wel-
278
ehe wiederum zu seinem Tod führen werde." (Gorz, Das Ende der Politik der Vol in: Technologie und Politik Nr. 15, 1980, . )
Dieser Referierung der Marxschen Theorie, derzufolge Rationalisierungen vom Kapital nicht zum Zwecke der Effektivierung der Arbeit, sondern zu ihrer Abschaffung unternommen werden und den Anfang vom Ende de~ Kapitalismus ankündigen, sei das Original hinzugefugt:
"Das Kapital wendet die ~Jaschine vielmehr nur an, soweit sie den Arbeiter befähigt einen größren Teil seiner Zeit für das Kapital zu arbeiten, zu einem größren Teil seiner Zeit als ihm nicht angehöriger sich zu verhalten, länger für einen Andren zu arbeiten. Durch diesen Prozeß wird in der Tat das Quantum zur Prcduktion eines gewissen Gegenstandes nötige Arbeit auf ein Ninimum reduziert, aber nur darJi t ein I~axi-mum an Arbeit in dem Maximum solcher Gegenstände verwertet werde." (Marx, Grundrisse, S. 589)
Bezüglich der Auffassung, kapitalistisch angewandte ~Jaschinen dienten der Erleichterung oder gar "Absche,f-fung" der Arbeit, wies Marx auf das "ökonomische Paradoxon" hin, daß "das gewal tigste ~1i ttel zur Verkürzung der Arbeitszeit in das unfehlbarste Mittel umschlägt, alle Lebenszeit des Arbeiters und seiner Familie in disponible Arbeitszeit für die Verwertung des Kapitals zu verwandeln." (I~arx, Das Kapital Bd. 1, S. 430)
50) Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayrischen Netallindustrie vom 1.12.1973 in der Fassung vom 29.1.1979, § 19
51) Gorz, Abschied vom Proletariat, S. 66
52) a.a.O., S. 68 53) a.a.O., S. 67 54) a.a.O.
55) a.a.O.
56) a,a.O., S. 65
57) a,a.O., S. 67 58) a.a.O., S. 65
59) a.a.O., S. 61 60) a.a.O., S. 67 61) a.a.O.
62) Man vergleiche die Äußerungen von Gorz über die geseilschaftsverändernden Potenzen der "Nicht-Arbeiter" mit seiner früher durchaus zutreffenden Bestimmung die-ser Schicht:
"Kleinbauern in Randgebieten. Alte, Arbeitslose, r-beiter ohne Berufsausbildung usw. Diese Gruppen s nd nicht fähig sich zusammenzuschließen, um auf Staa
und Gesellschaft einen C]1 scheidenden Druck auszullben. Sie haben zwar cemeinsame BedUrfni sc, aber keinen gemeinsamen Plan, wi e die Voraus-setzungen fUr di Befried ihrer BedUrfni se schaffen können." (Gorz,
im Neokapitalismus, am ~ain
63) Marx, Das Kapital, Bd. 3. S. 827 f
6~) Gorz, Abschied vom Proletariat. S. 75
(5) (6)
Ci.a.
a. a.
0
0
, S 7Lj
, " 75
(7) Vergleiche hierzu die 1964 erschienene Arbeit von Gorz zur "Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapi.tal i smUf; 11 :
"Der um autonome Teilmacht und um~.:::-=...:::.,,...:.:..=_ Ubung s den I,lassen ermöglichen. den mus als eine Realit~t zu erleben, die schon be
hat; eine Wirklichkeit, die auf freie Ent-tung drängt und den Kapitalismus von innen aus-
höhl Statt dichotomisch die Gegenwart der Zu-kunft stellen, wie das Böse dem Guten, die ickliche Ohnmacht der kUnftigen Macht, gilt es die Zukunft und die Macht schon spUrbar zu machen. en den Arbeitneh-mern ihre wirkliche , ihre Fähigkeit, sich mit der Macht des s zu messen und ihm ihren I;lillen aufzuzwi " (Gorz, Zur Strategie der Arbei ,17)
Im "Abschied vom etariat" zieht Gerz die Konse-quenzen aus dem Idealismus, die kapitalistischen Verh~ltnisse als welche zu interpretieren, in denen die soziali tische "Zukunft" schon "gegenwärt \~enn der Sozialj.smus eine "Realität" ist begonnen hat", dann .- so die Gorzsche - muß man ihn den Verh~ltnissen auch nicht die "Kraft" und "Akti.on" des Proletariats "aufzwin~ sondern kann die sozialistische Zukunft schon als die Gegenviart des "Neoproletariats" "erleben".
68) Gorz, Abschied vom Proletariat, S. 89
69)
70)
71)
a.a.O. , a.a.O. ,
a.a.O. ,
S. 101
S. 83
S. 1 O~)
72) Siehe hierzu die Ausführungen zum Waren- und Geldfetisch im Gliederungspunkt II. 1. c) Di.e "Kritik der politischen Ökonomie": die Entfaltung eines Totalit~tsbegriffs der entfremdeten Formen.
73) Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, S. 62
74) Gorz, Abschied vom Proletariat. S. 100
75) a. " . u. ,
76) a.a.O., 108
77) Gorz, Anhang: Die Aktualit~t der Revolu~ion, in: Zur Strategie der Arbeiterbewegung, S. 235 rf
78) Rudolf Bahro von unserem etariat einer neuen Politik - Zum s von Sozialismus, Berlin (West) 1980, S. 76
Elemen logio und
79) a.a.O.,
80)
.77
und Klassenkampf, in: Elemente einer S. 175
81)
82)
83)
88)
89)
90)
91 )
neuen Pol
Bahro, Abschied vom Kapitalismus, S. 78
Bahro, Warum wir unser gesamtes theoretisches Erbe ijberprüfen miissen, in: Elemente einer neuen Polio tik, S. 7 Lj
Bahro, Ökologische Krise und sozialisti ehe Idee, in: Elemente einer neuen Politik, S. 90
0..3..0., ;3. E39
Bahro, Abschied vom Kapitalismus. S. 83
Bahro, Ökologische Krise und sozialisti ehe Idee. S. 89
Bahro. Warum wir unser gesamtes theoretisches Erbe überprüfen müssen, S. 7 l+-
Bahro, Was nehmen wir uns vor? Gedanken liber Elemente einer neuen Politik. in: Elemente einer neuen Polit k, S. 212 f .
Bahro, Zur al promisse )
Theorie des historischen Komemente einer neuen Pol tik, S. 117 f
Bahro, Ökologische Krise und sozialistische Idee, S. 110 f
15, Manifest der kommunistischen Partei, in: . 1·179
92) Bahro, Abschied vom Kapitalismus, S. 80
93) Bahro, Was nehmen wir uns vor?, S. 207
94) Bahro, Abschied vom Kapitalismus, S. 81
95) a.a.O., S. 76
96) a.a.O.
97) Bahro, Ökologische Krise und sozialistische Idee, S. 109
98) Bahro, Zur allgemeinen Theorie des historischen Kompromisses, in: Elemente einer neuen Politik, S. 118
99) Bahro, Ökologische Krise und sozialistische Idee, S. 111. Siehe hierzu auch die Stellungnahmen von Bahro, in denen er seine Idee eines historischen Kompromisses als durchaus reales Interesse nicht nur der ökologischen
Bewegung, sondern auch der "bürgerlichen Klassen" interpretiert:
"So wie man in den 50er ,Jahren angesichts der Atombombendrohung zu begreifen begann, daß man auf dieser Ebene den Klassenkampf nicht ausfechten kann, so bringt die ökologische Krise, die Gesamtkrise unserer Zivilisation, heute auch Leute verschiedenster Klassenlage dazu, Lösungen jenseits spezifischer Klasseninteressen zu suchen, darunter auch Leute, die täglich acht Stunden an den Monopolschreibtischen sitzen und den Kapitalismus exekutieren. Auch dort wächst die Bereitschaft, das Gesamtproblem der Rettung unserer Zivilisation und damit der Überwindung des Kapitalismus, von dem alle Krisenprobleme der Menschheit abhängen, zu stellen. Wir haben heute ungeheure Möglichkeiten." (Bahro/Mandel/von Oertzen, Was da alles auf uns zukommt ... - Perspektiven der 80er Jahre, hrsg. von Ulf Wolter. Bd. 1. Berlin (West) 1980, s. 32)
Vergleiche auch: Bahro, Der Block an der Macht, der neue historische Block und das Organisationsproblem der Linken in unserem Land, in: Elemente einer neuen Politik, S. 128 ff
100) Bahro, Der Block an der Macht, S. 127 f
101) Bahro/Mandel/von Oertzen, Was da alles auf uns zukommt, S. 32
102) Bahro, Was vor der Zukunft zusammengehört, in: Elemente einer neuen Politik, S. 59
103) Bahro, Ökologische Krise und sozialistische Idee. S. 115
1 04) ~larx, Briefe aus den "Deutsch-Französischen Jahrbüchern", in: r·1E\v 1, S. 3~4
105) Bahro ist sich durchaus des konservativen Gehalts seiner Kapitalismuskritik bewußt, wie dem folgenden Vergleich zu entnehmen ist:
"Bisher war uns der angedrohte 'Untergang des Abendlandes' eine kulturpessimistische Perspektive erschreckter Bürger, die die allgemeine Krise des Kapitalismus mit der Apokalypse unserer Zivilisation selbst verwechselten. Jetzt müssen wir erkennen, der Kapitalismus kann tatsächlich das gesamte Fundament, auf dem wir stehen (und zwar nicht nur wir 'Abendländer'). mit in den Abgrund reißen, wenn keine massenhafte Gegenbewegung zurechtkommt, ihn abzufangen." (Bahro, Was nehmen wir uns vor? - Gedanken über Elemente einer neuen Politik, in: Elemente einer neuen Politik. s. 205)
Der reaktionären Zivilisationskritik eines Oswald Spengler attestiert Bahro, zwar zu dessen Lebzeiten
if}'
eine ideologische Betrachtungsweise zu sein. aber Wahrheitsgehalt zu sitzen. Tat-
sächli verhält es sich Bahro hat in der Ausmalung der "Realge der Totalkatastrophe" und des drohenden "Untergangs der Weltzivilisation" Elemente der kulturpessimistischen Ideologie übernommen. so daß ihm die Spenglersehe Beschwörung des "Untergangs des Abendlandes" als zutreffender Aus·druck der heutigen Wirklichkeit gilt. Daß Soziali-sten die wahren Konservativen sind. weil
sition zu den Verhältnissen nur aus . um die kapitalistisch geordnete
Welt vor ihrem Untergang zu retten. betont Bahro in der zustimmenden Referierung des "konservativ getönten Aphorismus" des sizilianischen Aristokraten Lampedusa: "Alles radikal umwälzen. damit alles so bleibt wie es ist." (Bahro. Der Block an der IfJacht. S. 128)
106) Bahro. Ökologische Krise und sozialistische Idee. S. 113
107) Bahro. vlas vor der Zukunft zusammengehbrt. S. 53
108) Die von Bahro führte Kri ti.k an der "materiellen Unersättlichkei . die uns der Kapi talil,mus anerzieht" (Bahro. Ökologische Krise und sozialistische Idee. S. 98) geht durchaus einher mit Verständnis für das politische Subjekt des Kapitalismus. wie an dem prognostizierten "Dilemma" kenntlich wird:
"Wenn die Produktionsmaschine samt der von ihr abhängigen Güter- bzw. Bedürfnisstruktur nicht grundlegend umgebaut und zunächst ein immer grö-ßerer Teil der Bevöl für tiefgreifende Ver-änderungen motiviert . dann ist das Dilemma unentrinnbar. und wir werden die it sehen Kon-sequenzen in Gestalt autoritärer Bungen zu tragen haben." (Bahro. Der Block an der r·1acht. S. 124)
Die Sprachregelungen der demokratischen Öffentlichkeit. welche die staatlichen Maßnahmen als Resultat von Reaktion auf "Sachzwänge" besprechen. als Bewältigung einer Lage oder Krise. er deren "Ausbruch" die politischen Subjekte en. um dann für den Einsatz ihrer Macht zum der Krisenbereinigung zu plhdieren. ten Bahro als Belege für seine Auffassung. der srepubli-kanische Staat würde sich in puncto "litaterial" und "Energie" tatsächlich 1.n einer Zwangslage befinden. Wo keineswegs Energie knapp ist (wie an der gegenwärtigen "Ölschwemme" zu ersehen ist). sondern sich Politiker um bill und Energie als Mitte des Wirtschaft die s e durch den Bau von bereitzustellen
Bahro sie mit einer."] IIDil emma l!
~,
belastet. Energi und "psychologi Kri
Iten Bahro ~icht als itischen Herrschaft der
. sondern als Indizien des der Zivi.lisa'c on". angesi.chts dessen "autori täre"
itische Maßnahmen ~ sofern Bedürfnisverzicht der lkerung und eine alternative Bewegung sie nicht
überflüssig machen - unausweichlich werden: "Die Ge8cb.chte bietet bi.sher nur zwei ~lodeJ.].e an. Wid solcher Tiefe zu lö en: irgend-etwas Art von Platons Wächterstaat, heute eine sehe Diktatur. oder eine so-zial onäre Mass mit der Hoff-nung auf irgendeine Art (a.a.O .. S. 12'5)
',",enn Bahro erstens seine "AlternatIve" als Notwen-di der bisherigen Menschheitsge chlchte dar-ste lt und zweitens vergangene und gegenwärtige Staaten ganz ungeachtet ihrer je besonderen histori-schen Zwecke als "flodeJ.le" zur "1ö "von Wider-sprüchen heutiger "Tiefe" interpreti . dann hat er eine ichc Unterstellung getätigt: Herr-schaft ft Bahro als schichtliehe Notwendig-keit. Die von ihm ange "sozialrevolutionäre !.jassenbewegung" stellt er explizit als Ersatz für ei.ne Diktatur "in der Art von Platons Wächterstaat" vor, als unbürokratische Erzeugung desselben Resultats. die durch eine "Strategie des Verzichts" die (an sich nötige) gewaltsame Herrschaftsform überflüssig machen soll. Der von l'.jarx geleistete Nachweis. daß sich der bürgerliche Staat den ökonomischen Gegensätzen der Konkurrenz verdankt. mit deren Beseitigung auch dessen Notwendigkeit verschwinde , ist von Bahro ersetzt durch das geschichtsphi-losophisch Postulat der Notwendigkeit von Herrschaft. e bestenfalls durch die Selbstbeschrän-kung der Bürger obsolet werden könnte. Den Begründern des wissenschaftlichen Sozialismus wirft Bahro vor, daß ihre "Konzentration auf die Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Zuständen .,. die europäische Arbeiterbewegung auf einen zu spezifischen Begriff des Staates gebracht (hat), der nur seine
,Herrschaftsfunktion. seine Beziehung zu den Sonderinteressen der ökonomisch herrschenden Klassen ins Blickfeld rückt. In der Geschichte ist diese Funktion, tektonisch gesehen. sekundär. Primär ist der Staat die Institution zur Zivilisierung ... " (Bahro, Die Alternative, S. 149)
109) Bahro. Ökologische Krise und sozialistische Idee. S. 96
110) Bahro. Die Welt verändern aus einem Glauben, S. 52
111) Bahro. Was vor der Zukunft zusammengehört, S. 53
112) a.a.O .. . 59
113) Bahro. hkologische Krise und sozi sehe I ce, S. 114
114) a.a.O .. S. 111
115) Hirsch. Der Slcherheitsstaat. S. 146
116) eiche hierzu den zweiten Abschnitt der vorlie-Arbeit: I. 3. Die Rekonstruktion der Narx
sehen Theorie als "Produkt" der P"roduktionsverhäl nisse (~oachim Bischoff)
117) Michael Th. Greven, Konservative Kultur- und Zivilj-sationskritik in "Di.al. der Aufklärung" Ulod .
118)
119)
120)
121)
122)
"Schwelle der Zeiten" - einige Gel~ej.~~samkeiten bei aller Verschiedenheit. in: Konservatismus Eine Gefahr für die Freiheit? . von Eike Hennig und Richard Saage, München 1 , . 144 - ~57 ~ Der Abschnitt über den "Konservati . ff" als neue "Strukturkategorie" beansprucht ni e aus-führliche Darstellung und Erörterung der Arbe ten von Greven zu leisten. Im fo soll s viel-mehr um die arische Di si.on cl1arakteristi-scher , welche Richtung in methodischer Hinsicht tische und material.istische Theoriebil-dung zu nehmen hätte. lt wurde der Beitrag Grevens aufgrund seiner ementarität zu den thodischen Schlußfolgerungen. die Joachim Hirsch der "Krise des ffJarxismus" entnimmt. Obwohl Greven sich mi t einem "Vergleich der Kapitalismus .. und Kultur·· kritik der Kritischen Theorie und Hans Freyers" (a.a.O., S. 144) befaßt und nicht wie die Arbeiten von Hirsch und Haug explizit die "Krise des ~1a.rxismus" behandelt, dürfte die Hereinnahme dieses Bei.trags aus systematischen Aspekten sein zumal Greven selbst seinem lieh paradigmatische Bedeutung für die Situation linker Theorie zuweist, "jeden ls dann, wenn unter dieser Bewältigung nicht nur Aufarbeitung oder gar Rechtfertigung von vergangener Geschichte als Vergangenem, sondern auch die theoretische und wie Adorno meinte 'pädagogische' Arbeit an der Erschaffung von Zukunft, die nicht bloß und Projektion sein soll, verstanden wj.rd." (a.a. S. 14'+ f) .
Greven. tik, S.
a.a.O ..
a.a.O.
a.a.O. ,
a.a.O.
Konservative Kultur- und Zivilisationskri-156
S. 1'+8
S. 11,6
123) 124)
125) 126)
127)
a.a.O. ,
a.a.O.
a. a. O. ,
a.a.O ..
a.a.O. ,
285
S. 156
S. 148
S. 156 S. 148
128) Vergleiche hierzu den zwe ten Absahni t d~r vorliegenden Arbeit: 11. Die Rekonstruktion des Marxismus - seine Verwandlung in Erkenntnistheorie und Methode
129) Hirsch, Der Sicherheitsstaat, S. 139 130) a.a.O., S. 136
131) An dieser allgemeinen Bestimmung jeder Erkenntnis ~ndert auch der Sachverhalt nichts. wenn das hjekt
132)
133) 131+)
1
sich selbst zum Erkenntni nimmt. Dann stellt das Erkenntnissubj sich selbst als zu er-kennendes Objekt gegenüber, das es ebenfalls "von außen" begreift.
a.a.O. , S. 139 a.a.O. , S. 136 a.a.O. , S. 139 a.a.O.
136) Die Unmöglichkeit objektiver Erkenntnis leitet Hirsch aus dem Gegenstand der Theorie ab. n~mlich aus dem "komplexen Zusammenhang". "in dem Sub;jekte immer zugleich Produkt und Produzenten gesellschaftlicher Verh~ltnisse sind. Dabei muß nun allerdings ein spezifisch überhistorischer und übersubjektiver Wahr-heits- und Al inheitsanspruch aufgegeben wer-den ... " Ca. a .. , S. 138). Allerd i.st diese Be-gründung der Notwend t von bl "lokalen und begrenzten Wahrheiten durch den Widerspruch charakterisiert, aus einer allgemeinen Aussage über das Handeln bürgerlicher Individuen die Verwerflichkeit allgemeiner Aussagen zu begründen.
137) a.a.O., S. 136
138) Vergleiche hierzu Oskar Negt. der ebenso wie Hirsch. allerdings schon 1972, die methodische Forderung stell te. "einen Rahmen für eine DIskussion zu setzen, die die analytischen Begriffe der politischen Ökonomie nach unten. zu den wirklichen Erfahrungen der Nen ehen hin. öffnet." (Oskar lexander Kluge, fe tlichkeit und Erfahrung, am Hai.n 1972 .. 16). 1977 empfahl Negt die "Rehabilitation utop sehen Denkens" zwecks "Erneuerung des Marxismus" :
286
"Wer geschlagen wird, reagiert spontan, und wer Gemeinheit und Unterdrückung erf~hrt. denkt utopisch und idealistisch, wenn er seinen Zustand, auch durch kollektive Aktionen, ver~ndern will. Er will diese reale Ver~nderung des Marxismus ... muß also Antworten auf die Frage geben, wie die aus ihrer Alltagserfahrung herauswachsenden Bedürfnisse der Menschen zum sinnlichen Gegenstand der marxistischen Wissenschaft werden können, wie der sinnliche Reichtum der Marxschen Begriffe im wirklichen Lernen und Handeln entfaltet werden kann." COskar Interesse Par-tei Über Identit~t eme der deu Lin-ken, ein Gespräch mit Harald Wieser, in: Kursbuch Nr. Lf8, 1977, S. 178)
Siehe hierzu ebenfalls: Oskar Negt/Alexander Kluge, Die Geschichte der lebendigen Arbeitskraft. in: Ästhetik und Kommunikation Nr. 48, 1982
139) Hirsch, Der Sicherheitsstaat, S. 139 140) Wolfgang Fritz Haug, Krise oder Dialekt k des Mar
xismus?, in: Aktualisierung !0arx' ,Argument-Sonderband AS 100, Berlin (West) 1983
141) Hirsch, Proletariat adieu?, in: Links Nr. 122. 1980
142) Haug, Krise oder Dialektik des Marxismus~, S. 8 f
143)
1 '+4)
145) 146)
a. a. O. , S. 9 f
a.a.O. , S. 29 a.a.O. S. 17 f
Vergleiche hierzu die beiden Zitate von Haug: "Diese Methode der entwickelnden Ableitung hat einen ganz handgreiflich materialistischen. revolutionären Sinn ... Denn man kann diese Herleitung, Ableitung, als 'reine' logische Widerspiegelung dessen verstehen, was in der Gesellschaft auch wirklich passiert. Diese Ableitung ist ja keine Erfindung des Theoretikers, sondern ist etwas t~glich aufs neue Passierendes ... Je-den Tag aufs neue wird das Hehrprodukt abgezweigt .. " (Haug. Vorlesungen zur Einführung ins 'Kapital' Köln 197 1+, S. 191 f)
W~hrend Haug in der Phase der Rekonstruktion der Marxschen Theorie die Identität von materialistischer Nethode und sachlicher Darstellung der kapitalistischen Produktionsweise betonte. trennt er in seiner Stellungnshme zur Krise des Marxismus nicht nur explizit zwischen Marxscher Methode und deren. 'unzeitgem~ßen' inhaltlichen Resultaten, sondern stellt auch die materialistische Methode selbst in Zweifel:
'" r'lethode' wird, im Gegensatz zu den resul tieren-den Lehren, zum Losungswort für rationalere Ver-
111·~1 )
suche, ein WB Untersche1 finden fiir Marxismus bei
sen' bestimmt Luk&cs so: e ist die revolutionäre Dialektik!. Untersuch"t ma~. wie er dieses unvergängJ.iche Kri scher Identität bestimmt. stö Gedanken. die ihre Vergänglichkei wiesen haben, daß sie zurecht der angehören: auf einen revolutionär
ianismus, der nicht zwischen ichkeit unterscheid und die '
Vorherrschaft der Totalität 1 fordert die Denkmittel und Methode, wie schon der lek auf Lukäc zeigen konnte, selber umstritten sind, daß sie sich vor lern im Zuge der all inen Wis-senschaftsentwic tiefgreifend verdndern, bleibt dabei si It , Krise oder Dialektik des Marxismu
Siehe auch d treffenden Peter zu den von Haug in "Krise ;',1arxismus?11 vertretenen sen:
"Die Abstraktion von den inhaltlichen Bezügen mar--xistischer Analyse veranlaßt . wissenschaft-lichen Sozialismus nur noch als enproblem und Denkstil zu wUrdigen. Dabei stUtzt er sich auf eine Theorietradition, die das Wesentliche des Marxismus in seiner di ektischen Methode sah. Aber er über die von ihm erwähnten Theo-retiker wie org Lukäc und Otto Bauer noch hin-aus, deren Betonung der Methode der Dialektik im Marxismus ihm nicht ra.dikal genug ist. Hatte zum Bei el Otto Bauer den schöpferi ehen Charakter der ehen Methode inhaltliche Dogmati-sierung des Werks von , so stellt Haug nun auch 'Denkmittel ' des Marxis-mus selbst zur Disposition." (Lothar Peter, Die Ideol e des "Argument " in der Kri.se. Anmerkun-gen zu . F. Haug: Krise oder Dialektik des Mar-iismus?, in: Marxismus - Ideologi Politik. Kri-se des I\1arxismus oder Krise des sl1,?, hrsg. von Hans Heinz Holz, Thomas scher, Jo-sef Schleifstein, Robert Steigerwald. Frankfurt am Main 1984, S. 64 f)
Die Überzeugung, daß Marx veraltet sei dament der Haugschen "Frage nach der I Marxismus":
"ltlie identi.fi.zieren wir den Marxismus? Die Erfahrungen sind gemacht. Als Lehrgebäude wUrden wir den Marxismus nur identifizieren um den Preis, ihn nicht wiederzuerkennen. Das originale Gebäude von Marx können wir sorgfältig restaurieren und Besucher darin umherfUhren, wie es in seinem Geburts-
haus in Trier der Fall ist. Aber bewohnbar wäre es für uns nicht." (Haug. Krise oder Dialektik des Marxismus? S. 10)
148) Marx, Briefe über 'Das Kapital', S. 80
1 1+9) Engels, Ergänzung der Vorbemerkung von 1870 zu "Der deutsche Bauernkrieg", zitiert nach: Haug, Krise oder Dialektik des Marxismus?, S. 17
150) Marx, Grundrisse, S. 22
151) Haug, Krise oder Dialektik des Marxismus?, S. 20
152) Engels, Ludwig Feuerbach und der der klas-sischen deutschen Philosophie, in: 1, S. 292
153) Siehe hierzu auch die Kritik von Lothar Peter: "Haug will den Theori.ebildungsprozeß von jeder Verpflichtung gegenüber organisierter Praxis freihalten, indem er einen zwangsläufigen Antagonismus zwischen der Praxis der Organisation ("Apparat") und den Anforderungen marxistischer Theorieentwicklung unterstellt - es sei denn, daß sich die marxistische Organisation in Zirkel auflösen wUrde, in denen endlos über die jeweils in ffJode gekommenen Topoi (heute etwa "Anrufung" und "Diskurs") debattiert wird." (Lothar Peter, Die Ideologie des "Arguments" in der Krise, S. 60)
154) Siehe dazu auch die folgende programmatische Äußerung
155 )
156)
157)
158)
von Haug: " ... der Projektcharakter des Wissenschaftlichen Sozialismus und seine beständige Tendenz, wieder zurückzufallen in die bestehenden Formen. Was, so gesehen, am meisten not tut, ist eine Dialektik des Marxismus. Der beschwörende Name 'Wissenschaftlicher Sozialismus' bietet als bloßer Name keinen Schutz gegen den Rückfall in Religionsförmigkeit und andere Formen des Ideologischen. Wir mUs sen die widersprüchliche Anlage des sozialistischen Projekts studieren, die Wechselwirkung unterschiedlicher Instanzen und Logiken, was alles sich auf die Formel einer Dialektik der Vergesellschaftung bringen läßt. Wir müssen diese Dialektik studieren, um uns nicht ihrem naturwüchsigen Gang auszuliefern und um nicht selber in den Widersprüchen herumzuspringen." (Haug, Krise oder Dialektik des Marxismus?, S. 20)
a.a.O. , S. 31
a.a.O.
a.a.O. , s. 29
a.a.O. , S. 30
289
159) Vergleiche hierzu die Darstellung und Kritik in der vorliegenden Arbeit: IV. 2. c) Hinwendung zur Menschheit (Rudolf Bahro)
160) Haug. Krise oder Dialektik des Marxismus?, S. 30. Siehe hierzu die treffenden "Gegen-Argumente" von Frank Deppe:
"In seinem Aufsatz 'Krise oder Dialektik des Marxismus?' (1983) hat WFH den 'wissenschaftlichen Sozialismus' folgendermaßen bestimmt: 'das ist das notgeborene Problem der Artikulation der Kräfte der Arbeit, der Wissenschaft und der Kultur in der Perspektive der solidarischen Vergesellschaftung und einer Gestaltung ihres Verhältnisses zur Natur in einer Weise, die künftigen Generationen einen bewohnbaren Planeten hinterläßt" (AS 100, S. 30). Hier schJ.ießt sich gl.eichsam der Kreis der Argumentation, die zu Beginn der 70er Jahre postuliert hatte, daß die Wissenschaft in dem Maße zu sich selbst komme, wie sie 'zur Arbeiterklasse' kommt ... Der 'Standpunktwechsel' , der hier deutlich wird. versteht sich als Übergang vom 'Partikularismus' (des Klassenstandpunktes, der stets ökonomistisch, vielleicht auch 'produktivistisch' beschränkt bleiben muß) zu einem 'Universalismus', dem sich nunmehr alle Kräfte, die sich durch die 'strukturelle Hegemonie' pluri- und multizentrisch artikulieren, zuordnen sollen, also nicht mehr durch das 'Nadelöhr' des Klassenstandpunktes zurückgehalten und abgestoßen werden." (Frank Deppe, Intellektuelle, "Arbeiterklassenstandpunkt" und "strukturelle Hegemonie", in: Marxismus-Ideologie-Politik, S. 113 )
Gegenüber dem von Haug vollzogenen Standpunktwechsel von der "partikularistischen" Klassen- zur "universalistischen" Menschheitsfrage hebt Deppe die entscheidende Bedeutung der Marxschen Kritik des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital hervor:
"Die Kritik der politischen Ökonomie ist der wissenschaftliche Standpunkt der radikalsten Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Herrschaftsverhältnisse; denn er kritisiert diese Verhältnisse vom "Zentrum" aus, vom Antagonismus zwischen mehrwerterzeugender und -aneignender Tätigkeit. Indem sie die Notwendigkeit und Möglichkeit der Aufhebung dieser Klassengegensätze in der neuen, höheren EntwickJ.ungsstufe der sozialistischen Gesellschaft aus den inneren, geschichtlichen Entwicklungstendenzen der Kapitalakkumulation und des Klassenantagonismus nachweist, verbindet die Kritik sich mit der sozialistischen Perspektive." Ca.a.O., S. 97)
290
161) Haug, Krise oder Dialektik des Marxismus?, S. 29
162) a.a.O., S. 31
163) a.a.O.
291
V. Schluß
Eine zusammenfassende Formulierung der Entwicklung marxi
stischer Theorie in der Bundesrepublik während der letz
ten eineinhalb Dezennien kann mit dem zentralen Argument
begonnen werden, in dem alle an der Diskussion um die
"Krise des r>brxismus" beteiligten Wissenschaftler über
einstimmen, nämlich dem Postulat, "daß wir die Krise des
Marxismus ernst nehmen ... und untersuchen, welche Gren
zen und Schlacken in unseren spezifischen marxistischen
Traditionen uns gegenüber entscheidenden Stärken und Vor
teilen dieser spezifischen Gestalt bürgerlicher Klassen
herrschaft (des 'Modell Deutschland') kurzsichtig, wenn
nicht sogar blind haben werden lassen.,,1) Dieser zentrale
Einwand gegen die frühere Kapitalismuskritik führt kein
t h e 0 r e t i s c h e s Argument gegen die Marxsche Theorie
ins Feld, das sie der logischen Unhaltbarkeit und sach
lichen Unstimmigkeit als Analyse des modernen Kapitalis
mus überführe'n würde. Das in der "Krise des I-Iarxismus"
angeführte Argument gründet sich vielmehr auf den
pr akt i s c h e n Oliß-)Erfolg der Theorie, stellt sie
also unter das Kriterium der gelungenen Durchsetzung ge
gen die kritisierte "bürgerliche" Wissenschaft einer
seits, der Entsprechung ihrer Krisenprognosen mit dem
tatsächlichen Verlauf der Entwicklung in der Bundesre
publik andererseits. Angesichts des gege~ Ende der 70er
Jahre offenbaren Erfolgs von etablierter Wissenschaft,
Staat und Gesellschaft, gegen die man die Rekonstruktion
des Marxismus betrieb, konstatieren Altvater, Bischoff
und ,Hirsch, um nur einige in Erinnerung zu rufen, den
Mißerfolg ihrer Bemühungen sowohl in theoretischer wie
in praktischer Hinsicht. Als Mißerfolg wird dabei in
theoretischer Hinsicht die "massive politische Entwertung
unserer Theorieproduktion durch die Diffamierung staat
licher Instanzen und ihrer bereitwilligen Helfer in Wis
senschaft und PUblizistik,,2) gewertet; die Tatsache also,
292
daß der Ende der 60er Jahre angestrengte Versuch der Be
gründung der Gesellschaftswissenschaft aus der rekon
struierten "Kritik der politischen Ökonomie" Ende der
70er Jahre nicht die überlegene, sondern nur eine Posi
tion im Spektrum der sozialwissenschaftlichen Theorien
darstellt. In praktischer Hinsicht wird als Mißerfolg
gedeutet, daß sich der "angenommene Automatismus von Kri
se und Revolution,,3), also die früheren prognostischen
Hoffnungen auf Gesellschaftsveränderung nicht bewahrhei
tet haben. Dieser jetzt an die eigene Theorie angelegte
Erfolgsmaßstab hat dabei deren Entwicklung von Anfang an
begleitet. Nach eigener Aussage wollten Altvater, Bi
schoff, Hirsch und andere mit der Rekonstruktion des Mar
xismus eine absolute Theorie der Gesellschaft ermögli
chen, die aller bürgerlichen Theorie darin überlegen
wäre, "Ausdruck und Produkt einer wirklichen Bewegung"I+)
zu sein. In diesem methodischen Ausgangspunkt war denn
auch schon die "\vende" von der Rekonstruktion der rliarx
sehen Theorie in die Krise des Marxismus angelegt. Denn
wenn die vor theoretischen "Erwartungen" auf Gesell
schaftsveränderung zum methodischen Leitgedanken der
T h e 0 r i e bildung erhoben werden, dann muß sich das Aus
bleiben solcher Veränderung nicht nur als Niederlage des
praktischen Interesses an ihr, sondern auch als grund
sätzliches Versagen der eigenen Theorie darstellen. Nur
dann erscheint die Stabilität des "Modell Deutschland"
nicht als Anlaß der theoretischen und praktischen Kr i -
ti k der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern als
Argument für eine längst überfällige SeI b s t k r i t i k
des Marxismus.
293
Anmerkungen: Schluß
1) Redaktionsgruppe "Sozialistische Konferenz" (Hrsg.), Der herrschende Block - und die Alternativen der Linken, S. 21
2) Bernhard Blanke, Krise der Linken - Krise d~s Marxismus, in: Die Linke im Rechtsstaat, Bd. 2, S. 260
3) Redaktion "Prokla", Editorial, in: Probleme des Klassenkampfs Nr. 36, 1979, S. 6
4) Bischoff, Gesellschaftliche Arbeit, S. 290
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