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UNE MER DEUX RIVAGES

Ausstellung der Ergebnisse des Workshops im Maison de l’Art Contemporainin Asilah / Marokko

Mit freundlicher Unterstützung der Senatskanzlei - Kulturelle Angelegenheiten Berlin

26. September bis 26. Dezember 2014

In der Meerenge von Gibraltar vermischen sich in ständigem Strom in beide Rich-tungen die Gewässer des Atlantiks und des Mittelmeers, das wegen seiner Ent-stehungsgeschichte vor circa 5,33 Millionen Jahren auch als Randmeer desAtlantiks bezeichnet wird. Die geografischen und historischen Gegebenheitendieser Wasserstraße, die den afrikanischen Kontinent vom europäischentrennt und unser Wunsch nach Verbundenheit und Austausch sind im Titelder von Angiola Bonanni initiierten Ausstellung symbolisiert.

Die erste Station unseres als work-in-progress konzipierten Projektes war aufVermittlung des marokkanischen Künstlers und Kurators Said Messari das Kul-turzentrum MAC.A, 2012 von einer Vereinigung marokkanischer Künstler,Schriftsteller und Kunstinteressierter mit dem Ziel gegründet, über die Begeg-nung zwischen Künstlern verschiedener Sparten und Intelektuellen aus allerWelt menschliche Werte wie Frieden, Toleranz und Verständnis zu fördern undweiterzuvermitteln. Das am Strand von Asilah-Briech gelegene lichtdurchflutete,großzügige Gebäude des Zentrums wurde von dem marokkanischen Archi-tekten Abdelilah Mseffer entworfen.

Für die Europäerinnen war es ein inspirierender Aufbruch zu neuen Ufern inNordafrika, in entgegengesetzter Richtung zu dem Strom von Flüchtlingen,die unter Einsatz ihres Lebens versuchen das europäische Ufer zu erreichen.Das mehrwöchige Zusammenleben und –arbeiten von Künstlerinnen unter-schiedlicher kultureller Herkunft, der genuine Austausch von Ideen, Lebens-erfahrungen und Erwartungen, die Begegnung mit der großen Tradition derarabischen Kunst und Kultur sowie die Auseinandersetzung mit eigenen Vor-urteilen und einem kritischen Blick aus afrikanischer Sicht auf Europa wollenwir in Marokko und anderen Ländern mit weiteren Künstlerinnen fortsetzen.

Die im Maison d’Art Contemporain entstandenen Arbeiten spiegeln die Eindrücke und Empfindungender Künstlerinnen wider:

-Cristina Ataíde stellte ein langes Banner aus Japanpapier mit Frottagen der Bodenstrukturen imHaus und in der Umgebung her, mit dem sie von der umlaufenden Galerie aus die große Ausstel-lungshalle überspannte. Eine Frage, die sie allen Ausstellungsbesuchern und ihren Künstlerkollegenund Kolleginnen stellte, lautete: ”do you feel free”. Die Antworten hatte sie mit roten Buchstaben aufden luftigen Papierpfad gedruckt als Hinweis darauf, dass vielen Frauen in den muslimischen Länderngleichberechtigte Entscheidungsfreiheit verweigert wird. Eine weitere Arbeit war „Desires“, rote Bändermit Wünschen von Menschen aus aller Welt.

-Angiola Bonanni machte eine Porträtserie von lachenden Frauen mit dem Titel “Kahkahaa”, die voneinem kurz vorher erschienenen Fernsehclip inspiriert wurde, in dem sich der türkische Vizepräsidentdarüber beklagte, dass moderne Frauen in der Öffentlichkeit laut lachen, anstatt bescheiden ihreKöpfe zu senken. Für die in einem 4 x 4 Meter großen Tableau arrangierten Arbeiten benutzte sieeine neue Technik mit Enkaustik auf Transparentpapier.

-Marie Filippovová studierte die Elemente und Formen von Strand und Meer, eine für sie faszinierendevisuelle Erfahrung, weil sie aus einem Land weitab vom Meer stammt. Die wilden Wirbel und Musterauf ihren Aquarelle weisen auch auf die Tücken des Atlantiks hin, und die auf Leinwand gemaltenSteine muten teilweise wie Totenköpfe an.

-Gisela Weimann produzierte eine Serie von schwarzen, bedrohlichen Gouachen auf Papier als Aus-druck ihrer Trauer über das fortgesetzte Sterben von Flüchtligen bei der Überquerung des Mittel-meers. Die Arbeit bezieht sich auf Goethes Gedicht “Gesang der Geister über den Wassern”, das dieZyklen von Wasser und Wind als Symbol der menschlichen Seele besingt und die wilden, schaum-gekrönten Wellen über dem Abgrund darunter als ein Synonym für das menschliche Schicksal.

-Ahlam Lemseffer malte riesige graue und blaue Ozeane auf Leinwand, die von der Decke bis zumBoden des über 5 Meter hohen Raumes reichten, flankiert von einem hellblauen Modellflugzeug undeinem Reiseanzug. Die Installation könnte als ein Traum von Abheben und einer Reise in ein friedli-ches Fantasieland interpretiert werden.

Als Gegenleistung für unseren Aufenthalt im MAC.A spendeten wir einen Teil unserer Produktion fürdie Sammlung der Institution. Foto- und Videodokumente vom Arbeitsprozess und die restlichen Ar-beiten bringen wir zum nächsten Arbeitsaufenthalt mit, als Grundstock für eine kontinuierlich wach-sende Ausstellung im Prozess. Die bisherigen Mitglieder der Gruppe blicken auf viele Jahre anErfahrung, künstlerischer Aktivität und auf Veränderungen in der Welt zurück. Geschichte wiederholtsich unter wechselnden Bedingungen. Die gesellschaftliche Situation war dramatisch am Beginn un-serer Ausbildung und ist es weiterhin. Wir suchten nach Formen des künstlerischen Engagementsaußerhalb des Elfenbeinturms. Unsere Themen waren soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigungaller Frauen und der Abbau autoritärer staatlicher Strukturen. Kritisches Bewusstsein und Solidaritätführten zu internationalen Kontakten und Projekten und zu begeistertem Eintreten für ein vereintesEuropa. Die globale digitale Vernetzung macht internationale Kooperation leichter und selbstverständ-lich, vor allem für die jüngeren, mit modernen Medien vertrauten Künstler*innen. Neue Formen derinternationalen Zusammenarbeit sind entstanden und prozessorientierte Kunst hat die Museen ver-lassen und wendet sich verstärkt aktuellen sozialen Problemen zu wie Arbeitslosigkeit, Wirtschafts-krisen und der Flucht vor Armut und Krieg von zig Tausenden nach Europa. Letzteres hat zuMeinungsverschiedenheiten, Abwehr und einem Erstarken rechts-konservativer Parteien in allen Mit-gliedsstaaten geführt.

Ein Charakteristikum, das die Mitglieder unserer Gruppe verbindet, ist Neugierde und kosmopolitischeOffenheit. Wir verstehen unser Projekt als einen Beitrag zu der dringend benötigten Akzeptanz, dasswir alle unterschiedlich sind und verschiedene Lebenskonzepte haben und verbinden damit denWunsch nach Toleranz und Harmonie in einem multi-ethnischen, kulturell vielfältigen Europa.

Gisela Weimann „Dîner à la Maison des Artistes“, Installation mit Fundstücken aus den Ateliers, 2014Fotos: Gisela Weimann

Rundgang durch die Ausstellung

Eingangsbereich

Gesamtansicht mittlerer Raum

Arbeiten von Angiola Bonanni (oben hinten und unten rechts), Cristina Ataíde (unten und oben Mitte), Ahlam Lemseffer (Objekte oben links und rechts), Gisela Weimann (unten links hinten)

Fotos: Cristina Ataíde

Cristina Ataíde

„Moi se suis / Yes I am“, Graphit, Farbstift und Pigment auf Reispapier, 2 x 1m auf 16 m, 2014Fotos: Cristina Ataíde; Video stills vom Arbeitsprozess: Gisela Weimann

Cristina Ataíde / Angiola Bonanni

Seitenkabinett rechts mit Videos

Oben: Cristina Ataíde „Eclipse 2 + 3“ (Serie 4), 100 x 65 cm / „Desires“, roteBänder mit Wünschen von Menschen aus aller Welt (im Prozess), 2014Foto: Luz Valiño; Video still vom Arbeitsprozess: Gisela Weimann

Video stills Links: Cristina Ataíde „Nevoeiro Quente“, 9:25 min., 2009Rechts oben: Angiola Bonanni „Donne-moi ton sourire“, Madrid-Dakar 2013Rechts unten: Angiola Bonanni „Semences“, Ifitry-Casablanca 2012

Angiola Bonanni

Oben: „Kahkahaa“ 1, Encaustic auf Transparentpapier, Nagellack, Fotos, 380 x 380 cm, 201 Foto: Cristina Ataíde

Mitte: Videostills vom Arbeitsprozess Gisela Weimann

Unten: „Kahkahaa“ 2, Graphit und Nagellack auf Transparentpapier, 50 x 300 cm, 2014 Foto: Gisela Weimann

Marie Filippovová

Mittlerer Raum und Seitenkabinette links

Oben: „Wasser“, 3 Gouachen auf grundiertem Papier, je 100 x 65 cm, 2014 Foto: Cristina Ataíde

Unten: „Wasser“ und „Steine“, Gouache auf Leinwand, je 120 x 100 cm, 2014 Foto: Luz Valiño

Marie Filippovová

Oben: „Steine“, Gouache auf grundiertem Papier, 100 x 65 cm, 2014Foto: Luz Valiño; Video stills vom Arbeitsprozess: Gisela Weimann

Ahlam Lemseffer

Mittlerer Raum

„Ohne Titel“, 3 Banner 5 m, 4 m und 2,50 m x 1,50 m, Acryl auf Leinwand / 2 Objekte, 2014Foto: Cristina Ataíde; Video stills vom Anzug und vom Arbeitsprozess: Gisela Weimann

Gisela Weimann

Mittlerer Raum und Seitenkabinett rechts mit Videos

Oben „Figuren im Raum“, Pigmentdruck auf Reispapier, je 200 x 42,5 cm, 2014Mitte: „Gesang der Geister über den Wassern“ 1-5, Gouache und Collage auf grundiertem Papier, je 100 x 65 cm, 2014Unten: Video stills aus „Emily’s Guests“, Venedig / Berlin 2014; „Mein Schatten bleibt“, Berlin 2011-14; „La Notte Blue“,Venedig / Berlin 2009-10 Fotos vom Arbeitsprozess: Cristina Ataíde und Luz Valiño; alle anderen Fotos: Gisela Weimann

Die zweite Präsentation unserer Ausstellung fand im Januar 2015 in Marrakesch statt


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