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Reformation in Brandenburg

Schriften der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg

Neue Folge

Herausgegeben von

Peter Bahl, Clemens Bergstedt und Frank Göse

Berlin 2017

Band 8

Lukas Verlag

Reformation in BrandenburgVerlauf | Akteure | Deutungen

Herausgegebenvon

Frank Göse

unter Mitarbeit von Felix Engel

Abbildung auf dem Umschlag: Spandauer Adelsmesse, Historiengemälde in St. Nikolai, Berlin-Spandau, C. Röhling 1913 (Foto: Bernd Malner)

© by Lukas VerlagErstausgabe, 1. Auflage 2017Alle Rechte vorbehalten

Lukas Verlag für Kunst- und GeistesgeschichteKollwitzstraße 57D-10405 Berlinwww.lukasverlag.com

Reprographie und Umschlag: Lukas VerlagSatz: Jörg HopfgartenDruck: Elbe-Druckerei WittenbergPrinted in GermanyISBN 978-3-86732-269-0

Inhalt

Erträge und Desiderata der brandenburgischen Reformationsgeschichtsforschung 7 Eine EinführungFrank Göse

Von hegemonialer Überherrschung zur Landsässigkeit 34Die Integration der mitteldeutschen Bistümer in die Herrschaftsverbände der Hohenzollern und Wettiner im VergleichAlexander Querengässer

Deutung und Bedeutung der brandenburgischen Reformation 63Andreas Stegmann

Kurfürst und Konfession 93Der Gottesdienst vom 1. November 1539 als Teil kurfürstlicher Positionierungen im religiösen Feld des 16. JahrhundertsMathis Leibetseder

Die Geistlichkeit am Hof der Kurfürsten von Brandenburg im 16. Jahrhundert 113Christiane Schuchard

Die Reformation in den Städten der Mark Brandenburg 135Felix Engel

»Und ob es gleich eusserlich abgeschaft […].« 159Von der Aufhebung und Nachnutzung der Mönchszisterze Himmelpfort (OHV) Mario Huth

Die Reformation in der Neumark unter ihrem Herrscher, Markgraf Hans von Küstrin (1535–1571) 201Christian Gahlbeck

Umrahmen – Umdenken – Umschneidern 265Wiederverwendung sakraler Kunst am Beispiel des Brandenburger DomsRüdiger von Schnurbein

Inhalt

Die Wilsnacker Glocke und ihr Weg nach Berlin 1562 286Landesherrliches Kirchenregiment und der Soundscape der ReformationRuth Slenczka

Brandenburgische Reformationsgeschichte im Bild 301Carl Röhlings Darstellung der Spandauer Abendmahlsfeier am 1. November 1539Andreas Stegmann

AnhangRegister 326Autorenverzeichnis 342

Inhalt

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Erträge und Desiderata der brandenburgischen ReformationsgeschichtsforschungEine Einführung

Frank Göse

Große Ereignisse werfen bekanntermaßen ihre Schatten voraus. Selbst diejenigen, die sich nur am Rande von den vielfältigen Facetten einer historischen Erinnerungs-kultur angesprochen fühlen, werden sich den im Alltag immer sichtbarer werdenden Vorboten des bevorstehenden Reformationsjubiläums kaum entziehen können. Nicht nur die schon im Umfeld früherer Gedenkfeiern bekannten Luther-Eichen oder Lu-ther-Rosen sind es, die fröhliche Urständ feiern. Die neuerdings mit Luther-Tassen, Luther-Playmobilfiguren oder Luther-Tomaten einhergehende Vermarktung erinnert fast an altgläubiges Reliquien-Gebaren und würde damit das ursprüngliche Anliegen des Reformators eigentlich konterkarieren. Doch abgesehen von dieser eigenartige Blüten treibenden Marketing-Strategie ist das mit Blick auf frühere Reformationsju-biläen1 nicht so ungewöhnlich erscheinende und sich – mitunter in undifferenzierter Weise – auf die Person Luther kaprizierende Konzept der bevorstehenden Feierlichkeiten mittlerweile auf ein gewisses Unbehagen gestoßen. Dieses wurde im Übrigen nicht nur von jenen Autoren artikuliert, die der lutherischen Kirche fernstehen2, sondern auch von Seiten protestantischer Kirchenhistoriker selbst.3

Bei einer Beschäftigung mit der brandenburgischen Reformation hingegen könnte man nun mit diesem Phänomen entspannter umgehen und die Persönlichkeit des Reformators selbst etwas zurücktreten lassen, denn auf dem Gebiet der historischen Mark Brandenburg war er, konsultiert man die bislang bekannten Quellen, nie. Zu-dem gehörte das hohenzollernsche Kurfürstentum nicht zu den Vorreitern unter den sich der kirchlichen Erneuerung öffnenden Reichsterritorien. Die Ausstrahlung und langfristige Wirkung der Wittenberger Ereignisse auf die nachfolgenden Veränderun-gen in Brandenburg sind allerdings unbestritten, sodass wir uns schwerpunktmäßig auf diese Vorgänge konzentrieren sollten. Damit bestünde zugleich die Chance, jene Persönlichkeiten stärker in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken, die – in

1 Vgl. Wendebourg, Dorothea: Vergangene Reformationsjubiläen. Ein Rückblick auf 400 Jahre im Vorfeld von 2017, in: Schilling, Heinz (Hg.): Der Reformator Martin Luther 2017. Eine wissen-schaftliche und gedenkpolitische Bestandsaufnahme (Schriften des Historischen Kollegs 92), Berlin 2014, S. 261–281.

2 Vgl. jüngst die Wortmeldung des Präsidenten des Humanistischen Verbandes Deutschland: Wolf, Frieder Otto: Was geht mich das an? Arbeitsthesen für eine überfällige Kritik des Reformations-jubiläums, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 66, 2016, Nr. 52, S. 4–7.

3 Vgl. pointierend dazu Kaufmann, Thomas: Martin Luther und was noch aussteht. Die Heraus-forderung des Reformationsjubiläums 2017, in: proprium | sinn schaffen – horizonte öffnen (2016); http://www.sinn-schaffen.de/1606/martin-luther-und-was-noch-aussteht/ [Zugriff: 28.02.2017].

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der »zweiten Reihe« stehend – die Umsetzung der mit der Reformation eingeleiteten Veränderungen vorantrieben.

Einführungen in Tagungsbände können neben der Vorstellung und Einordnung der enthaltenen Aufsätze verschiedene Erwartungen bedienen. Im Folgenden soll nicht primär ein Überblick über die Historiographie zur märkischen Reformationsgeschichte präsentiert werden – verwiesen sei dazu auf die Beiträge in dem kürzlich vom Verein für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte vorgelegten Forschungsbericht.4 Viel-mehr wird der Versuch unternommen, vor dem Hintergrund der in der jüngsten und gegenwärtigen Reformationsforschung diskutierten Fragen den märkischen Befund in einen größeren Kontext einzuordnen und erkennbare Desiderata bzw. künftige Aufgabenfelder für die brandenburgische Reformationsforschung zu benennen. Denn dass ein exemplarischer Zugang zur Reformation über ein Territorium nach wie vor sinnvoll erscheint, dürfte unbestritten sein und bedarf wohl kaum einer gesonderten Begründung. Schließlich bildet die Landesgeschichte »das entscheidende Feld der deutschen Reformationsgeschichte«5 – also weit entfernt von einer ihr ansonsten zugewiesenen Funktion als allenfalls exemplarische bzw. illustrative Zugabe zur all-gemeinen Reichsgeschichte.

Die Reformation zwischen Umbruch und KontinuitätBekanntlich wird schon geraume Zeit über den historischen Ort der Reformation, in gesamteuropäischer, deutscher und eben auch landesgeschichtlicher Perspektive disku-tiert.6 Lässt sich, so wäre für unser Untersuchungsgebiet zu fragen, die Reformation als »Zeitenwende« zwischen Mittelalter und Neuzeit, als ein in alter Ranke’scher Tradition stehender »Epochenumbruch« verstehen?7 Vor dem Hintergrund einer Diskussion, die die bisherige zeitliche Zäsur zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit eher relativiert, wird man auch und gerade für den brandenburgischen Fall Zurückhal-

4 Vgl. Lütcke, Karl-Heinrich (Hg.): Quellen und Literatur zur Reformation in der Mark Branden-burg. Beiträge zur Erforschung der brandenburgischen Reformationsgeschichte (Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte [künftig: JBBKG], Sonderbd.), Berlin 2015. – Des Weiteren sei verwiesen auf die verdienstvolle Bibliographie von Czubatynski, Uwe: Bibliographie zur Kirchengeschichte in Berlin-Brandenburg, Bd. 1: Allgemeines und Altmark, Nordhausen 2013; Bd. 2: Kreise und Orte im Land Brandenburg, Nordhausen 2014; Bd. 3: Berlin, Preußen, Nieder-lausitz, Personen, Orgeln (im Druck).

5 Ziegler, Walter: Territorium und Reformation. Überlegungen und Fragen, in: Ders.: Die Ent-scheidung deutscher Länder für oder gegen Luther. Studien zu Reformation und Konfessionali-sierung im 16. und 17. Jahrhundert. Gesammelte Aufsätze (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 151), Münster 2008, S. 33–59, hier S. 34 (ursprüngl. in: Historisches Jahrbuch, Bd. 110, 1990, S. 52–75).

6 Vgl. hierzu zusammenfassend Ehrenpreis, Stefan; Lotz-Heumann, Ute: Reformation und Kon-fessionelles Zeitalter (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002.

7 Vgl. hierzu nur Hamm, Berndt: Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation. Der Prozeß normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland, in: Archiv für Reformationsgeschichte, Bd. 84, 1993, S. 7–82. – Schilling, Heinz: Reformation – Umbruch oder Gipfelpunkt eines Temps des Réformes?, in: Moeller, Bernd (Hg.): Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 199), Gütersloh 1998, S. 13–34.

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tung walten lassen müssen. Das dahinter stehende Unbehagen, der Reformation die Qualität eines »Epochenumbruchs« zuzugestehen, dürfte vor allem aus der Erkenntnis heraus begründet sein, dass die Reformation allenfalls eines von mehreren Ereignissen bzw. Prozessen darstellte, denen eine gewisse Tiefenwirkung attestiert werden kann. Zwar hat man sich stets die enge Verwobenheit der in der Gesellschaft, im werdenden »Staat« und in der Kirche ablaufenden Entwicklungen zu vergegenwärtigen, was den hohen Eigenwert der Reformation unterstreichen würde: Alle Bevölkerungsgruppen – so auch in der Mark Brandenburg – wurden durch die flächendeckende Institution Kirche erfasst, schließlich gehörten ihr nahezu alle Menschen als getaufte Christen an. Veränderungen innerhalb der Kirche vollzogen sich nicht ohne Wirkungen auf die Gesellschaft, ebenso wie Wandlungen innerhalb der Gesellschaft nicht ohne Folgen auf das blieben, was in den Kirchen getan und gesprochen wurde.

Jedoch – um nunmehr die andere, die Zäsur relativierende Perspektive ins Spiel zu bringen – erscheinen den Nachlebenden die Konturen einer Veränderung, also eines Umbruches umso markanter, je deutlicher die Zustände des »alten« Zeitalters von dem folgenden abgehoben werden. In diesem Sinne wurde die vorreformatorische Kirchengeschichte gern »als ein konsequent auf Luther zulaufender Verfallsprozeß« interpretiert und die »spätmittelalterliche Kirchlichkeit als eine Ansammlung von Mißbräuchen und Absonderlichkeiten« angesehen.8 Ein solches Bild zeichnete man teilweise mit Hingabe in jenen älteren Publikationen, die sich den kirchlichen Zu-ständen am Vorabend der Reformation in den einzelnen Reichsterritorien zuwand-ten. Dahingehend sind nun in der jüngeren Vergangenheit erhebliche Korrekturen vorgebracht worden, und auch das brandenburgische Beispiel bietet viele Belege für eine doch eher abwägendere Betrachtung dieses Problemfeldes. Gerade die engere Zusammenarbeit der Spätmittelalter- und Frühneuzeit-Forschung konnte manche künstlich errichtete gedankliche Schranke zwischen einem spätmittelalterlichen 15. und einem frühneuzeitlichen 16. Jahrhundert abbauen. Eher geht man heute von einer »Langzeitperspektive des Wandels« aus, da die Kontinuitäten zwischen Spät-mittelalter und Früher Neuzeit allzu deutlich vor Augen treten.9

Vieles spricht nun besonders aus brandenburgischer Sicht dafür, die Reformation selbst nicht als fundamentalen Umbruch anzusehen, wohl aber kann sie beanspruchen, Teil eines komplex verlaufenden Prozesses in einer Zeitphase beschleunigten Wandels gewesen zu sein. So wurde das Kurfürstentum Brandenburg in den Jahrzehnten vor und nach 1500 durch Veränderungen geprägt, die nicht primär mit der Reformation in Verbindung standen. Die landesherrliche Verwaltung differenzierte sich aus: Kanzlei, Kammer und Rat etablierten sich als die arbeitsteilig wirkenden Spitzenbehörden in der Residenz. Das Berliner Kammergericht beförderte einen nachhaltigen Professio-

8 Boockmann, Hartmut: Das 15. Jahrhundert und die Reformation, in: Ders. (Hg.): Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts (Abhandlungen der Aka-demie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse, Folge 3, 206), Göttingen 1994, S. 9–25, hier S. 12 und 14.

9 Schilling: Reformation (wie Anm. 7), S. 21.

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nalisierungsschub im das Römische Recht rezipierenden Gerichtswesen. Mit den von der kurfürstlichen Verwaltung initiierten Städteordnungen beabsichtigte man, ein Regelwerk für das innerstädtische Leben und zugleich eine rechtliche Handhabe für ein mögliches landesherrliches Eingreifen bei Übertretungen zu schaffen.10 Alles in allem handelte es sich dabei also um Prozesse, die – da sie ebenso in vielen Regionen zu beobachten waren, die kaum oder gar nicht von der Kirchenspaltung tangiert wurden – auch ohne die Reformation abgelaufen wären.

Die nach wie vor nicht abgeschlossene Diskussion über Motive und Charakter der Reformation hängt natürlich in starkem Maße davon ab, wie man die Verhältnisse am Vorabend bewertet – eine Frage, die für jedes Reichsterritorium gesondert gestellt und diskutiert werden sollte. Für den brandenburgischen Fall gilt es demnach, die Gewichte zwischen vorreformatorischen Frömmigkeitsformen, also einem Bemühen »um eine echte innere Aneignung des Glaubens«, und einer sich auch hier manifes-tierenden Glaubwürdigkeitskrise der Kirche auszuloten.11 Für beide Beobachtungen halten die brandenburgischen Verhältnisse genügend Belege bereit.12

Es gibt eine Reihe von Indizien dafür, dass zum Ausgang des Spätmittelalters ein sehr verbreitetes Bedürfnis nach religiöser Erbauung und seelsorgerischer Be-treuung virulent war.13 Der sakramentalen Heilsvermittlung kam damals freilich ein größeres Gewicht zu als Predigt und Katechese. Man findet bei der Durchsicht der vorhandenen Quellenbestände auch für die märkischen Kommunen viele Belege für die von Berndt Hamm beobachtete »starke Neigung mancher Bürgerinnen und Bürger zu einer sehr persönlich gefaßten, individuell-privaten Bußfrömmigkeit der Betrachtung des Leidens Christi und des meditierenden Gebets«.14 Fast könnte man angesichts der sich in viele märkischen Kommunen zeigenden vitalen Frömmigkeits-

10 Vgl. zu diesen Vorgängen die einschlägigen landesgeschichtlichen Überblicksdarstellungen: Schultze, Johannes: Die Mark Brandenburg, Bd. 3: Die Mark unter Herrschaft der Hohenzollern (1415–1535), Berlin 1963, bes. S. 180–196. – Böcker, Heidelore: Die Festigung der Landesherrschaft durch die hohenzollernschen Kurfürsten und der Ausbau der Mark zum fürstlichen Territorialstaat während des 15. Jahrhunderts, in: Ribbe, Wolfgang; Materna, Ingo (Hg.): Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995, S. 169–230. – Escher, Felix: Das Kurfürstentum Brandenburg im Zeitalter des Kon-fessionalismus, in: ebd., S. 231–290. – Beck, Friedrich; Neitmann, Klaus; Göse, Frank: Die Mark. Brandenburg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Beck, Friedrich u. a. (Hg.): Brandenburg. Neues altes Land. Geschichte und Gegenwart (Brandenburgische historische Studien 15), Berlin 2010, S. 14–57.

11 Leppin, Volker: Die Reformation (Geschichte kompakt), Darmstadt 2013, S. 8.12 Eine Gesamtschau auf das vorreformatorische Kirchenleben in Brandenburg bietet Kurze, Diet-

rich: Das Mittelalter. Anfänge und Ausbau der christlichen Kirche in der Mark Brandenburg (bis 1535), in: Heinrich, Gerd (Hg.): Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg, Berlin 1999, hier S. 15–146. – Vgl. jüngst Müller, Mario: Religiöses Leben in der spätmittelalterlichen Mark Bran-denburg, in: Bergstedt, Clemens u. a. (Hg.): Im Dialog mit Raubrittern und Schönen Madonnen. Die Mark Brandenburg im späten Mittelalter (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte 6), Berlin 2011, S. 158–182.

13 So schon Priebatsch, Felix: Geistiges Leben in der Mark Brandenburg am Ende des Mittelalters, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte [künftig: FBPG], Bd. 12, 1899, S. 325–409, hier S. 378.

14 Hamm, Berndt: Bürgertum und Glaube. Konturen der städtischen Reformation (Sammlung Van-denhoeck), Göttingen 1996, S. 66.

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kultur geneigt sein, eine Art von »Wettbewerb« sehen zu wollen, wer am wirkungs-vollsten die bestehende Heilssehnsucht zu befriedigen vermochte, was sich etwa in der signifikanten Zunahme an Altarstiftungen widerspiegelte.15 Gleicherweise hat man sich aber zu vergegenwärtigen, dass die diesen Einrichtungen gestifteten immobilen Güter und Gelder oft einem sozial-karitativen Zweck zugute kamen. Von daher greift die vorrangig in der älteren protestantischen Historiographie betonte Kritik an der Verschwendungssucht und Reichtumsanhäufung der Altkirche zu kurz.

In jüngerer Zeit sind die in der damaligen Bevölkerung verbreiteten Frömmig-keitsformen wieder verstärkt in den Fokus gerückt. So haben sich neue Forschungen den Wallfahrten16 und der wachsenden Attraktivität der Kalandsbruderschaften zugewandt.17 Neben der Erhellung der frömmigkeitsgeschichtlichen Praxis können solche Studien unsere Kenntnisse über Strukturen und differenzierte Interessenlagen der spätmittelalterlichen Stadtgesellschaft komplettieren. Dagegen gehört das Thema der Heiligenverehrung zu den geringer aufgearbeiteten Forschungsfeldern.18 Wichtige Impulse für diesen Forschungsbereich liefert das 2007 vorgelegte Brandenburgische Klosterbuch, das ferner den mitunter recht ungleichgewichtigen Forschungsstand verdeutlicht.19 Ebenso vermittelte die 2013/14 präsentierte und einige brandenbur-gische Teillandschaften berücksichtigende Ausstellung über die vorreformatorische Frömmigkeit in Mitteldeutschland neue Einsichten zu diesem Themenkreis.20 Des Weiteren zeigte sich bereits – etwa bei den im Zusammenhang mit dem Hohen-

15 Vgl. hierzu etwa die für etliche brandenburgische Kommunen überlieferten Quellen über solche Altarstiftungen in: Beck, Friedrich (Bearb.): Urkundeninventar des Brandenburgischen Landes-hauptarchivs – Kurmark, T. 1: Landesherrliche, ständische und geistliche Institutionen (Veröf-fentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 41), Berlin 2001. – Für Pritzwalk vgl. exemplarisch die Regesten über Stiftungen in der dortigen St. Nikolaikirche in: Ders. (Bearb.): Urkunden der Stadt Pritzwalk in Regesten (1256–1703) (Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 20), Frankfurt am Main 2007, S. 61–69; sowie über Ver-pfändungen, Schenkungen und Verkäufe von Geld und Immobilien an den den »Heid-Kaland« in der Propstei Pritzwalk, in: ebd., S. 98ff.

16 Vgl. Kühne, Hartmut; Ziesak, Anne-Katrin (Hg.): Wunder, Wallfahrt, Widersacher. Die Wils-nackfahrt, Regensburg 2005. – Zum Blick auf andere märkische Wallfahrtsorte über Wilsnack hinaus vgl. Escher, Felix: Mittelalterliche Wallfahrten im nördlichen Brandenburg. Fragen an die Forschung, in: Wichmann-Jahrbuch des Diözesangeschichtsvereins Berlin, Bd. 42/43, N. F. 7, 2002/03, S. 42–52.

17 Zur Laienfrömmigkeit in den märkischen Kommunen vgl. Rosenplenter, Katharina: Saeculum Pium. Die kirchlichen Bruderschaften in der Gesellschaftsordnung der Mark Brandenburg im Spätmittelalter (Europäische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissen-schaften 971), Frankfurt am Main 2003.

18 Als eine der wenigen einschlägigen Arbeiten zu diesem Thema vgl. die instruktive Studie zu dem sich im 15. Jahrhundert intensivierenden Kult um die Anna Selbdritt von Nagel, Carl: Die St. An-nen-Verehrung in der Mark Brandenburg am Vorabend der Reformation, in: JBBKG, Bd. 41, 1966, S. 30–51.

19 Heimann, Heinz-Dieter; Neitmann, Klaus; Schich, Winfried u. a. (Hg.): Brandenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte und Kommenden bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, 2 Bde. (Brandenburgische Historische Studien 14), Berlin 2007.

20 Bünz, Enno; Kühne, Hartmut; Müller, Thomas T. (Hg.): Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland. Katalog zur Ausstellung »Umsonst ist der Tod«, Petersberg 2013.

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zollern-Jubiläum 2015 stehenden Publikationen – der große Nutzen einer engeren Zusammenarbeit zwischen der Kirchen- und Kunstgeschichte21, wenngleich noch genügend »Schätze« zu heben sind.22

Die Rolle der Landesherrschaft zwischen lutherischer Konfessionalisierung und via mediaDie letztlich entscheidenden Impulse zur Einführung der Reformation gingen in den betreffenden Reichsterritorien, so auch in Brandenburg, zweifellos von den fürstlichen Landesherren aus. Hierzu dürfte es bei einem Blick auf die bisherige Forschung eigentlich kaum Desiderata geben, weil das Hauptaugenmerk lange Zeit zumeist auf der Kirchenpolitik der Landesherren bzw. der höchsten Amtsträger im Umfeld der Kurfürsten lag. Dennoch oder gerade deshalb entwickelten sich zu die-sem Themenfeld Kontroversen, und es bleiben bis heute offene Fragen, die sowohl auf die Motive des Fürsten für seine Entscheidung als auch auf die Prägungen zielen, die der Landesherr der Reformationsbewegung vermittelte. Bekanntlich ist Kurfürst Joachim II. (reg. 1535–71) mit viel Kritik bedacht worden – nicht vornehmlich ob seines fehlenden Engagements für seine Landeskirche, sondern vor allem wegen der maßgeblich von ihm beeinflussten Ausrichtung der Reformation in Branden-burg. Für die Allgemeingültigkeit beanspruchende Reklamation eines recht hohen Eigenanteils des Landesherrn spricht schon allein die Tatsache, dass ja »kein Fürst […] im Reformationszeitalter zu einem Konfessionswechsel und zur Einführung der Reformation in seinem Land gezwungen« war.23 Oder wie es L. Hölscher pointiert formuliert hat: »Ausschlaggebend für die konfessionelle Grundstruktur Deutsch-lands waren die machtpolitischen Rahmenbedingungen der Reformation, nicht der Wunsch der Bevölkerung nach kirchlichen Reformen.«24 Und in der Tat wird man bei Joachim II. von einem höchst subjektiv geprägten Schritt auszugehen haben, der natürlich in einem längeren Prozess des Abwägens und Reifens vorbereitet worden

21 Knüvener, Peter; Schumann, Dirk (Hg.): Die Mark Brandenburg unter den frühen Hohenzollern. Beiträge zu Geschichte, Kunst und Architektur im 15. Jahrhundert (Schriften der Landesgeschicht-lichen Vereinigung für die Mark Brandenburg, N. F. 5), Berlin 2015. – Fajt, Jiří; Franzen, Wilfried; Knüvener, Peter (Hg.): Die Altmark von 1300 bis 1600. Eine Kulturregion im Spannungsfeld von Magdeburg, Lübeck und Berlin, Berlin 2011 (mit wichtigen Beiträgen zur Frömmigkeitskultur und Kirchenausstattung). – Des Weiteren enthält der Sammelband Bergstedt (Hg.): Im Dialog (wie Anm. 12) mehrere Beiträge zu diesem Themenfeld.

22 Knüvener, Peter: Spätmittelalterliche Kunst in der Mark Brandenburg – Möglichkeiten und Probleme der Erforschung, in: Archivbericht/ Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Bd. 16, 2006, S. 90–103.

23 Wolgast, Eike: Formen landesfürstlicher Reformation in Deutschland. Kursachsen – Württemberg/Brandenburg – Kurpfalz, in: Grane, Leif; Hørby, Kai (Hg.): Die dänische Reformation vor ihrem internationalen Hintergrund (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 46), Göttingen 1990, S. 57–90, hier S. 60. – Vgl. hierzu auch Kaufmann, Thomas: Geschichte der Reformation, Frankfurt am Main/Leipzig 2009, S. 505f.

24 Hölscher, Lucian: Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, S. 46.

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war.25 Zudem spricht für eine recht große Gewichtung des kurfürstlichen Einflusses auch die Tatsache, dass am Vorabend der Reformation die landesherrliche Verfügungs-gewalt über die Kirche wohl in keinem Reichsterritorium – neben den wettinischen Landen – so hoch veranschlagt werden kann wie in Brandenburg!26 Denn die bran-denburgischen Kurfürsten hatten es vermocht, in der Mitte des 15.  Jahrhunderts von der Kurie wichtige Zugeständnisse zu erhalten, wie etwa die Einschränkung der Kompetenzen der geistlichen gegenüber der landesherrlichen Gerichtsbarkeit oder die Gewährung des kurfürstlichen Nominationsrechtes bei frei werdenden Bischofsstühlen in den drei landsässigen Bistümern. In dem 1447 zwischen Kurfürst Friedrich II. (reg. 1440–70) und Papst Nikolaus V. (reg. 1447–55) abgeschlossenen Konkordat wurden diese Veränderungen vertraglich geregelt, die damit schon einige der späteren Weichenstellungen im Verhältnis zwischen Landesherrschaft und Kirche vorwegnahmen.27 Der zusätzlich in vorliegenden Band aufgenommene Aufsatz von Alexander Querengässer bilanziert die Diskussion über den Grad der Einbindung der Bistümer in das Verfassungsgefüge des brandenburgischen Kurfürstentums und bringt über den Vergleich mit den wettinischen Territorien neue Facetten in die nach wie vor noch nicht abgeschlossene Debatte ein.

Doch zurück zu den offenen Aspekten im Umfeld des kurfürstlichen Engagements in der Religionsfrage: Die konfessionelle Ausrichtung und die Kirchenpolitik Joachims II. wurden durch die Forschung des 20.  Jahrhunderts aufgrund seiner scheinbar über weite Strecken unentschiedenen Haltung problematisiert. Pointiert bewertete man die märkische Reformation als »in der Lehre lutherisch, in den [äußeren] Formen altkirch-lich«.28 Mitunter verstieg man sich gar zu solchen Verdikten, »daß nächst dem Kaiser und dem Papst keiner der brandenburgischen Reformation größeren Schaden zugefügt hat als der brandenburgische Kurfürst«.29 Auch wenn solche extremen Urteile nicht

25 Vgl. Delius, Walter: Die Kirchenpolitik des Kurfürsten Joachim  II. von Brandenburg in den Jahren 1535–1541, in: JBBKG, Bd. 40, 1965, S. 86–123. – Des Weiteren vgl. dazu die auch für andere in dieser Einführung angesprochenen Aspekte relevante zusammenfassende Darstellung von Gundermann, Iselin: Kirchenregiment und Verkündigung im Jahrhundert der Reformation, in: Heinrich (Hg.): Tausend Jahre Kirche (wie Anm. 12), S. 147–241.

26 So zuletzt dazu pointiert: Leppin: Reformation (wie Anm. 11), S. 4.27 Zur Debatte über den Grad der »Landsässigkeit« bzw. die verbliebenen Rudimente einer Reichs-

unmittelbarkeit der drei brandenburgischen Bistümer vgl. Hahn, Peter-Michael: Kirchenschutz und Landesherrschaft in der Mark Brandenburg im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 28, 1979, S. 179–220. – Ahrens, Karl-Heinz: Die verfassungsrechtliche Stellung und politische Bedeutung der märkischen Bistümer im späten Mittelalter. Ein Beitrag zur Diskussion, in: Schmidt, Roderich (Hg.): Mitteldeutsche Bistümer im Spätmittelalter, Lüneburg 1988, S. 19–52.

28 Stupperich, Robert: Die Lage des Reiches am Vorabend der Brandenburgischen Reformation, in: JBBKG, Bd. 59, 1993, S. 9–21, hier S. 21.

29 Lehmann, Ludwig: Bilder aus der Reformationsgeschichte der Mark Brandenburg, Berlin 1921, S. 30f. – Diese Vorhaltungen beschränkten sich jedoch nicht nur auf seine angeblich unentschiedene und kritikwürdige Rolle bei der Etablierung der Reformation in seinen Landen. Kritik wurde in der älteren Literatur auch an anderen Facetten seiner Herrschaftspraxis geübt. So sah Leopold von Ranke Joachim II. als »freigebigen, selbst verschwenderischen Fürsten«; Ranke, Leopold von: Zwölf Bücher Preussischer Geschichte, hier zit. nach der von Willy Andreas besorgten Ausgabe, Essen o. J.,

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haltbar sind, ließe sich gleichwohl eine Reihe von Belegen und Argumenten für die uneindeutige religionspolitische Position Joachims II., die die Voraussetzung für den später in die Forschung eingeführten Begriff der via media gebildet hatte, beibringen.30

Andreas Stegmann hat sich in jüngerer Zeit um eine gründliche Revision dieser Interpretationen bemüht und vehement die via-media-These zurückgewiesen.31 Er bezieht auch in hiesigem Band dazu Stellung. Dezidiert hebt er hervor, dass die von Joachim II. verfolgte Linie keineswegs einen Mittelweg dargestellt hätte, bei dem zwischen lutherischer Lehre und altgläubiger Kirchenpraxis laviert wurde, sondern dass es sich dabei von Beginn an um eine am Wittenberger Vorbild orientierte Kir-chenerneuerung gehandelt hätte. In der Tat sprechen einige Argumente, die Stegmann ins Feld führt, für diese Sicht, wie insbesondere eine stärkere Berücksichtigung des Kontextes, in dem die relevanten Äußerungen Joachims II. zu seinem Glaubensver-ständnis entstanden sind, oder auch eine gründliche Analyse der ersten märkischen Kirchenordnung von 1540.

Nur wenige Anmerkungen seien hier zu dieser innerhalb der brandenburgischen Kirchengeschichtsforschung schon seit langem diskutierten Streitfrage vorgebracht: Obschon kein Zweifel daran bestehen sollte, dass die brandenburgische Kirche in ihren zentralen Lehrinhalten seit 1539/40 Elemente des lutherischen Verständnisses übernommen hatte, was ja im Übrigen durch Vertreter der via-media-These kaum bestritten wurde, scheint mir hingegen die zeitgenössische Wahrnehmung nicht außer Acht bleiben zu dürfen. Denn die Beurteilung des konfessionspolitischen Kurses Joachims sollte sich nicht nur auf eine kritische Überprüfung seiner Äußerungen auf den Grad der Übereinstimmung mit Grundpositionen der lutherischen Lehre beschränken, sondern auch berücksichtigen, wie seine Religionspolitik durch die Zeitgenossen inner- und außerhalb des Landes wahrgenommen wurde und welche Erwartungen man deshalb an ihn richtete. Ansonsten bestünde die Gefahr, seine Positionen zu einseitig aus einer »ex post factum«-Sicht der Nachlebenden zu beurteilen.

Sicher ist es zutreffend, dass Joachims Vermittlertätigkeit vor allem auf dem Parkett der Reichspolitik gefragt war und man demzufolge zu unterscheiden hätte

S. 169. – Und aus der Sicht Otto Hintzes sei er »kein Hauswirt, der das Seine zusammenzuhalten verstand, [und] stets von Schulden bedrängt« gewesen; Hintze, Otto: Die Hohenzollern und ihr Werk, Berlin 1915, S. 123.

30 Als die wichtigsten Repräsentanten dieser Interpretationsrichtung können aus der älteren Forschung angesehen werden: Droysen, Johann Gustav: Geschichte der Preußischen Politik, T. 2: Die ter-ritoriale Zeit, Abt. 2, Leipzig 1859. – Meine, Franz: Die vermittelnde Stellung Joachims II. von Brandenburg zu den politischen und religiösen Parteien seiner Zeit, Lüneburg 1898. – In jüngerer Zeit muss vor allem verwiesen werden auf: Rudersdorf, Manfred; Schindling, Anton: Kurbran-denburg, in: Schindling, Anton; Ziegler, Walter (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 2: Der Nordosten (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung. Vereinsschriften der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum 50), Münster 1990, S. 34–66.

31 Vgl. hierzu Stegmann, Andreas: Die »christliche Reformation« im Kurfürstentum Brandenburg. Mittelweg zwischen Rom und Wittenberg oder lutherische Reformation?, in: Theologische Litera-turzeitung, Jg. 141, 2016, H. 6, Sp. 578–591.

Frank Göse


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