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Page 1: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

Ludwig-Maximilians-Universität München Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie

Die Bedeutung des Stefan Nemanja für die serbische Kirche

Diplomarbeit

im Fach

Geschichtliche Theologie und Ökumenik

vorgelegt von

Radmila Ninić, Ferdinandstr. 28 A, 33649 Bielefeld

Erstgutachter: Prof. Dr. Ioan-Vasile Leb

Zweitgutachter: Prof. Dr. Konstantin Nikolakopoulos

2007

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Die Bedeutung des Stefan Nemanja für die serbische Kirche

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Kommet herbei, Kinder, höret mir zu! Ich will euch die Furcht des Herrn lehren." Ps 33 (34), 11

Heiliger Simeon der Myronströmende Kloster Hilandar

Quelle: D. Savić, Hilandar, Sveta srpska carska lavra na Svetoj gori Atonskoj (Hilandar, das heilige serbische Zarenkloster auf dem Heiligen Berg Athos),

Beograd 2004, S. 41

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Inhaltsverzeichnis

Heiliger Simeon der Myronströmende 3

A) Stefan Nemanja - Begründer des serbischen Staates

und der Nemanjiden-Dynastie 7

I. Die altserbischen Biographien 8

1. Das Leben Simeons vom heiligen Sava 9

2. Das Leben des heiligen Simeon Nemanja von

Stefan dem Erstgekrönten 10

3. Die Vita Simeons von Domentijan und Hymnen des Teodosije 11

II. Das kirchliche und politische Umfeld zur Zeit des Stefan Nemanja 11

1. Die außeren kirchlich-politischen Einflüsse 12

2. Die inneren Verhältnisse in den serbischen Gebieten Zeta

und Raszien 14

a) Kurzer Überblick über die Entwicklung Zetas 14

b) Der Aufstieg Rasziens zum serbischen Kernland 16

3. Einflüsse benachbarter Staaten 17

B) Biographische Angaben über Stefan Nemanja 18

I. Die wichtigsten Daten aus Nemanjas weltlichem Leben 18

1. Das Elternhaus 18

2. Das Geburtsjahr und der Geburtsort Nemanjas 20

a) Der Geburtsort 21

3. Die zwei Taufen Nemanjas 21

4. Der Titularname Stefan 23

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5. Nemanjas Frau Ana 25

II. Stefan Nemanja wird zum Herrscher Serbiens 28

1. Nemanja und „das väterliche Erbe“ 30

2. Die „kaiserliche Würde“ Nemanjas 31

3. Die Auseinandersetzung mit den Brüdern 32

4. Die Ausweitung des Landes 34

5. Kämpfe um die Unabhängigkeit Serbiens 37

6. Begegnung mit Friedrich Barbarossa und Friedensvertrag

mit Byzanz 39

7. Nemanjas Residenz, Herrschaftsmethoden und Insignien 41

III. Das geistliche Leben Nemanjas und sein Verhältnis zu der Kirche 45

1. Nemanja als Stifter von Kirchen und Klöstern 45

2. Nemanjas Kampf gegen die Bogomilen 49

a) Die Bogomilen-Häresie auf dem Balkan 49

b) Die Bogomilen in Byzanz 51

c) Die Bogomilen in Serbien 52

3. Abdankung und Thronnachfolge 56

4. Nemanja wird Mönch Simeon 60

a) Simeons Leben in Studenica 63

b) Ankunft auf dem Heiligen Berg Athos 65

c) Die Erbauung des Klosters Hilandar 67

5. Tod und Heiligkeit des ersten serbischen Nationalheiligen 70

a) Der Abschied zwischen Vater und Sohn 71

b) Der Abschied von den Athos-Mönchen 72

c) Simeons Heiligkeit 73

d) Die Wunder des heiligen Simeon 77

6. Die zweite Bestattung Simeons 78

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C) Die heutige Relevanz des Stefan Nemanja 81

I. Der Kult des heiligen Simeon 81

1. Kultentstehung und Verherrlichung 84

2. Kultinhalt und Merkmale 87

a) Nemanja als idealer Herrscher 87

b) Lehrer und Erleuchter des Volkes 89

II. Simeon Nemanja in der programmatischen Ausrichtung

der serbischen Kirche 91

1. Vereinigung von Vater und Sohn 92

2. Der heilige Simeon im religiös-politischen Programm der

Metropolie Karlovac 93

a) Zusammenführung des weltlichen und des

monastischen Namens 94

III. Zusammenfassung 95

Abbildungen im Anhang: 99

Stefan Nemanja 100

Landkarte: Serbien zur Zeit Stefan Nemanjas 101

Kirche der Apostel Petrus und Paulus in Ras 102

Kloster Studenica 103

Hilandar auf dem Heiligen Berg Athos 104

Sarkophag und Weinrebe des heiligen Simeon in Hilandar 105

Stammbaum der Nemanjiden (Kloster Gračanica) 106

Quellen- und Literaturverzeichnis 107

Erklärung 109

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A) Stefan Nemanja - Begründer des serbischen Staates

und der Nemanjiden-Dynastie

„Als was aber bezeichnen wir diesen Mann?“1

Diese Frage aus der von Nemanjas jüngstem Sohn Rastko2, dem späteren Mönch

Sava, verfassten Vita Simeons3 lässt uns erahnen, wie vielfältig die Persönlichkeit

des Stefan Nemanja ist, und welche Bedeutung seinen Werken, die er während

seiner Regierung geschaffen, in fortwährendem Kampf bewahrt und seinen Erben

hinterlassen hat, nicht nur in der serbischen orthodoxen Kirche zukommt.

Als Stefan Nemanja, „der bedeutendste unter den serbischen Herrschern“4, im 12.

Jahrhundert in die Geschichte eintritt, ist das serbische Volk Dank der

missionarischen Tätigkeit der „Slawenapostel“, der aus Thessalonike stammenden

heiligen Brüder Kyrillos und Methodios, längst christianisiert. Dennoch sollten auf ihn

einige der wichtigsten religiösen und staatsmännischen Aufgaben warten, denn der

rechte Glaube ist gefährdet, sein Volk lebt zerstreut in mehreren Fürstentümern5 und

Ländereien, ohne ein einheitliches Staatsgebilde und ohne eine nationale Kirche.

Nach den uns vorliegenden Quellen6 verkörpert Stefan Nemanja viele scheinbar

widersprüchliche Charakterzüge und Eigenschaften. Er ist ein energischer Herrscher,

welcher die Geschicke des serbischen Staates fast vier Jahrzehnte mit

diplomatischem Gespür aber auch Entschlossenheit und straffer Disziplin lenkt und

1 Hl. Sava, Das Leben Simeons, in: Günther Stökl (Hg.), Serbisches Mittelalter – Altserbische Herrscher-biographien, Bd. I, übersetzt, eingeleitet und erklärt von Stanislaus Hafner, Graz – Wien – Köln 1962, S. 44 Stefan Nemanja ist in der Anlage auf der Seite 100 als Herrscher zu sehen. 2 Prinz Rastislav, Kurzname Rastko, (1175- 1236) wird als Nemanjas jüngster Sohn geboren. Anstatt die ihm von seinem Vater übertragene Verwaltung des Gebietes der heutigen Herzegowina zu übernehmen, flieht er als Siebzehnjähriger auf den Heiligen Berg und wird Mönch Sava. Über den heiligen Sava existiert umfangreiche Literatur, in deutscher Sprache z. B.: Velimirović, Nikolaj, Das Leben des heiligen Sava (englisches Original: The Life of St Sava), übersetzt von Michael Schulte, Köln 1998. 3 Die vollständige Überschrift der Vita lautet: Wie unser ehrwürdiger Vater und Stifter Herr Simeon dieses heilige Kloster (als Lohn) erhielt, und wie sein Leben war, vor Gott und den Menschen. 4 Konstantin Jireček, Istorija Srba, Prva knjiga do 1537 (Die Geschichte der Serben, Erstes Buch bis 1537), übersetzt von Jovan Radonić, Beograd 21978, S. 147 5 Die Fürstentümer haben die serbische Bezeichnung „Župe“. An der Spitze einer „Župa“ steht der „Župan“ (ζούπανος) bzw. der Großžupan (ἀρχι ζούπανος). 6 Nach K. Jireček sind uns über Nemanja, als hl. Simeon, die von seinen Söhnen, dem hl. Sava und dem ebenfalls heilig gesprochenen König Stefan Prvovenčani (der Erstgekrönte), zwei Anfang des 13. Jahrhunderts verfassten Viten als Abschriften erhalten geblieben. Auch die Athosmönche Domentijan und Teodosije haben über das Leben Simeons geschrieben. Als weitere Quellen sind einige altserbische und lateinische Urkunden, Texte byzantinischer Autoren dieser Zeit und lateinischer Chronikschreiber des dritten Kreuzzuges bekannt.

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schließlich freiwillig auf seinen Thron verzichtet, um Mönch Simeon zu werden, aber

auch ein unermüdlicher, frommer Kirchenerbauer und Verteidiger des rechten

Glaubens und zuletzt der myronströmende Heilige und Fürsprecher seines Volkes

vor Gott.

Hinsichtlich dieser Spannweite kann Stefan Nemanja auch heute noch als eine

kirchliche und/oder geschichtliche Persönlichkeit aber auch als eine in der

serbischen Überlieferungsgeschichte einmalige Persönlichkeit bezeichnet werden,

von welcher sowohl historische und theologische Texte als auch Volkslieder,

Gedichte und Erzählungen handeln. Bis in die heutige Zeit ist Stefan Nemanja im

serbischen Volk gegenwärtig und wird sowohl von den Gläubigen als auch von nicht

glaubenden Menschen wie ein Zeitgenosse erlebt und verehrt.

Möglicherweise hat gerade diese Verflechtung der Kirchengeschichte und der

Überlieferung in der Person des Stefan Nemanja dazu beigetragen, dass das

serbische Volk von allen frühen Herrschern hauptsächlich seinen Namen kennt,

seine Vorgänger bleiben oft unbekannt und werden sogar in Urkunden,

Genealogien, oder Gedenktafeln selten erwähnt7 – meist ist Nemanja alleine an der

Spitze der Staatsführer als der Staatsgründer genannt.

I. Die altserbischen Biographien

Trotz der Tatsache, dass über Nemanja und über sein Leben u. a. zwei seiner Söhne

geschrieben haben, sind bis heute viele Fragen ungeklärt geblieben.

Wie das im Mittelalter oft üblich ist, fehlen in beiden Viten Simeons genauere

Angaben über das weltliche Leben Nemanjas, wie z. B. die Angaben zu seiner

Herkunft und über die Eltern oder das Geburtsjahr.

Die Viten sind jedoch auch deshalb wichtig, weil sie den Anfang der serbischen

Biographik darstellen und zu der „originellsten und bedeutendsten Leistung der

mittelalterlichen Literatur“8 zählen. Als solche nehmen sie einen herausragenden

Platz in der serbischen mittelalterlichen Kultur ein.

7 Vgl. Konstantin Jireček, a. a. O., S. 147 8 Vgl. Alois Schmaus, Zur Frage der Kulturorientierung der Serben im Mittelalter, in: Südost-Forschungen, 15. 1956, S. 179ff.

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Auch Nemanja selbst hat uns eine Art Autobiographie hinterlassen in Form der

sogenannten „Ersten Stiftungsurkunde für Hilandar“9, in welcher er zum einen seine

Herrscherzeit schildert und zum anderen den monastischen Weg seiner geistlichen

Vervollkommnung.

1. Das Leben Simeons vom heiligen Sava

Die erste, von dem Mönch Sava wahrscheinlich in dem Zeitraum zwischen 1208 bis

1217 verfasste Vita Simeons, ist ein Bestandteil des Typikons für das von Nemanja

gestiftete Kloster Studenica.10 Der spätere erste Erzbischof der autokephalen

serbischen Kirche beschreibt in der Vita mit knappen, präzisen Worten und wenig

rhetorischer Ausschmückung vorwiegend das Mönchsleben seines Vaters, nennt

aber auch die wichtigsten historischen Einzelheiten aus unterschiedlichen

Lebensphasen Nemanjas, „… vor allem aber die Wiedergabe des persönlich

Erlebten, die ergreifende Schilderung des Todes seines Vaters machen die Vita

Simeonis nicht nur zu einer hochwertigen historischen Quelle, sondern auch zu

einem Bedeutenden, im slawischen Mittelalter einzig dastehenden literarischen

Denkmal.“11

Wie viele andere mittelalterliche serbische Schriften, ist auch dieses Werk erst im 19.

Jahrhundert für die Wissenschaft dank der Arbeit des Slawisten P.J. Šafarik

zugänglich geworden.12

Die Originalhandschrift gilt als nicht mehr erhalten. Die Vita ist in zwei späteren, in

dem Skriptorium des Klosters Studenica entstandenen, Handschriften überliefert,

allerdings ist heute nur noch die erste Abschrift aus dem Jahr 1619 im Prager

Nationalmuseum vorhanden.

9 Die Erste Stiftungsurkunde für Hilandar ist in der Wissenschaft seit 1847 bekannt. Die sogenannte Zweite Stiftungsurkunde für Hilandar stammt von Stefan dem Erstgekrönten. Vgl. R. Marinković, Nemanjina dvorska kancelarija (Nemanjas Hofkanzlei), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 131 ff. 10 Vgl. Hl. Sava, a. a. O., S. 32 Der Klosterkomplex ist im Anhang auf der Seite 103 zu sehen. 11 Ebd. 12 P.J. Šafarik veröffentlicht 1831 in den Wiener Jahrbüchern der Literatur eine „Übersicht der vorzüglichsten schriftlichen Denkmäler älterer Zeit bei den Serben und anderen Südslaven“ und bezeichnet die Vita als „eine sehr schätzbare, durch Inhalt und Darstellung gleich ausgezeichnete Pièce“. (ebd.)

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Die aus dem Jahr 1760 stammende zweite Abschrift gilt heute als verschollen, sie

wurde jedoch von St. Stanojević im Glasnik Srpskog Učenog Društva (63) im Jahr

1885 beschrieben.13

Serbische Historiker haben die Fragen nach der Genauigkeiten der in dieser Vita

nach byzantinischer Art gemachten Zeitangaben lange und kontrovers diskutiert.

Durch die Abhandlungen von P. Popović, St. Stojanović, Vl. Ćorović, B. M.

Radojković und R. Novaković wurden die Zweifel im großen und ganzen ausgeräumt.

R. Novaković vertritt sogar die Meinung, dass Savas byzantinische Zeitangaben im

grunde richtig sind und nur chronologisch genau in die moderne Zeit transportiert

werden müssen.14

2. Das Leben des heiligen Simeon Nemanja von Stefan dem Erstgekrönten15

Die von Stefan dem Erstgekrönten16, dem Thronnachfolger Nemanjas, verfasste Vita

Simeons ist vom Umfang etwa doppelt so groß wie Savas Werk. Ein weiterer

Unterschied zwischen den beiden Viten liegt darin, dass Sava an keiner Stelle seiner

Vita von dem „heiligen Simeon“ spricht, sondern von dem „seligen und ehrwürdigen“,

während Stefan der Erstgekrönte gleich in der Überschrift von dem „Leben des

heiligen, seligen und ehrwürdigen“ Simeon berichtet. Stefan der Erstgekrönte

umfasst in der Vita, die er bis spätestens Juni 1216 abgeschlossen hat17, sowohl das

weltliche als auch der klösterliche Leben seines Vaters und gibt somit seine

Gesamtbiographie wieder.

Diese Vita ist in dem aus dem späten 13. oder frühen 14. Jahrhundert stammenden

slawischen Kodex Nr. 10 (Cod. slave No 10) der Pariser Bibliothéque Nationale

vollständig erhalten und gilt ebenso als eine literarische Meisterleistung ihrer Zeit.

13 Vgl. Hl. Sava, a. a. O., S. 33-34 14 Vgl. Anmerkung Nr. 101, Hl. Sava, a. a. O., S. 139 15 Die vollständige Überschrift der Vita lautet: Das natürliche und übernatürliche Leben des heiligen, seligen und ehrwürdigen Vaters Simeon, weiland unseres Meisters, Lehrers, Herrn und Alleinherrschers in seinem Vaterlande, in ganz Serbien und im Küstenland 16 Stefan ist der mittlere Sohn Nemanjas. Sein Geburtsjahr ist nicht bekannt. Er gilt als sehr klug, nach byzantinische Art gebildet, geschickter Diplomat und herrscht als erster serbischer König von 1196 bis 1224. Er stirb am 24. Sept./ 7. Oktober 1228 als Mönch Simon und wird in der serbischen Kirche als Heiliger verehrt. Vgl. Hl. Sava, a. a. O., S. 65-67 17 Hl. Sava, a. a. O., S. 68

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Der bekannte Slawist V. Jagić hat sie gründlich erforscht und als „ein durch Fülle des

dargebotenen Inhalts und verhältnismäßig klare Darstellung ausgezeichnetes

Denkmal“18 sowie als eines der größten Schätze der altserbischen Literaturwerke

bezeichnet.

3) Die Vita Simeons von Domentijan und Hymnen des Teodosije

Der Mönch Domentijan gilt als letzter Schüler des heiligen Sava und verfasst, wohl

auf Ersuchen des Königs Stefan Uroš I.19, nach der Vita Savas auch eine Vita

Simeons im Jahr 1264.20 Beide Viten gelten als meisterliche hagiographische Werke,

wobei als ziemlich sicher gilt, dass Domentijan als Vorlage für seine Vita Simeons die

Texte von Sava und Stefan dem Erstgekrönten benutzt.

Im frühen 14. Jahrhundert verfasst der Hilandar-Mönch Teodosije21 u.a. mehrere

hymnographische Werke, Kanones für die heiligen Sava und Simeon sowie eine Vita

des heiligen Sava. Seine literarischen Werke gelten als Meisterleistungen dieser Zeit.

Verglichen mit der hoch gebildeten und anspruchsvollen Sprache Domentijans,

schreibt Teodosije in einer gut verständlichen narrativen Sprache.22

II. Das kirchliche und politische Umfeld zur Zeit des Stefan Nemanja

Über die Verhältnisse in den Balkangebieten im 12. Jahrhundert sind nur wenige

Quellen erhalten geblieben. Dennoch kann dieses und das darauf folgende 13.

Jahrhundert als eine sehr stürmische Zeit für die in Byzanz und den Nachbarstaaten

lebenden Völker bezeichnet werden. Die anhaltenden Änderungen der Macht-

verhältnisse, Hegemoniebestrebungen größerer Reiche und vor allem der Verfall von

Byzanz stellen die kleinen Völker, und damit auch das serbische Volk und seine

Herrscher, vor große Herausforderungen. 18 Hl. Sava, a. a. O., S. 69 19 Stefan Uroš I. ist der dritte Sohn von Stefan dem Erstgekrönten und herrscht nach seinen beiden vom Thron gestürzten Brüdern, Stefan Radoslav und Stefan Vladislav, von 1243-1276. Vgl. Enciklopedija pravoslavlja (Enzyklopädie der Orthodoxie), Bd. II, Beograd 2002, S. 1300 20 Vgl. S. Ćirković, Srbi u srednjem veku (Die Serben im Mittelalter), Beograd 1997, S. 120 21 Der Mönch Teodosije ist ein Schüler des nach besten byzantinischen und theologischen Beispielen gebildeten Domentijan. Er hat seinen Lehrer nach Umfang und Vielfalt der literarischen Werke übertroffen. Vgl. auch D. Bogdanović, V. J. ðurić, D. Medaković, Hilandar, Heiliger Berg 1997, S. 52 22 S. Ćirković, a. a. O., S. 120

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1. Die äußeren kirchlich-politischen Einflüsse

Die durch christliche Grundsätze geprägten byzantinischen Herrschaftsmethoden

wirken sich auf die Beziehungen zwischen Byzanz und seinen Nachbarn aus.

Es entsteht ein Gleichgewichtssystem, „welches die Grundinteressen aller

Hauptbeteiligten befriedet und das Gesicht wahrt: die Kirche verfügt über

Voraussetzungen, um ihre Mission ausführen zu können, der Kaiser kann als der

oberste Herrscher und Erbe der römischen Kaiser auftreten, den Fürsten wird die

Macht in ihren Ländern nicht beschnitten, sondern ihre Autorität gegenüber dem Adel

und den Untertanen bestärkt, so dass sie die Dynastien fortführen und ihre Rechte

wahren können. Aber ein solches Gleichgewicht ist sehr empfindlich, und es ist

überhaupt nicht einfach, es über eine längere Zeit aufrecht zu erhalten.“23

Es ist der Kaiser Basileios II. (976 – 1025), der in den von Byzanz beherrschten

Balkangebieten das byzantinische Verwaltungssystem einführt und aus den Städten

heraus mit Hilfe von Staatsbeamten und lokalen Kleinadeligen, Militärs und

Kirchenvertretern regiert.24 Sein weitsichtiges und taktvolles Regime akzeptiert statt

der in Byzanz üblichen Geldbesteuerung die Abgaben in Form von Getreide und

Wein, aber das wichtigste Augenmerk gilt der kirchlichen Ordnung.

Die westlichen Grenzen des unter der unmittelbaren byzantinischen Herrschaft

stehenden serbischen Gebietes bilden Anfang des 11. Jahrhunderts die Flüsse Drina

und Lim, und die geographisch entlegendsten Bischofssitze befinden sich in Sirmium

(die heutige Stadt Sremska Mitrovica), Ras und in Prizren.25

Die sich auf der gegenüberliegenden Seite der Grenze befindlichen Gebiete sind

zwar dem byzantinischen Kaiser untergeordnet, jedoch auf eine traditionelle Weise,

die ihnen eine Entwicklung auf den bestehenden, eigenen kulturellen Fundamenten

ermöglicht aber ein Hinauswachsen aus diesen Fundamenten andererseits nicht

bieten kann.

23 S. Ćirković, Srbi u srednjem veku (Die Serben im Mittelalter), Beograd 1997, S. 27 24 Vgl. S. Ćirković, a. a. O., S. 29 25 S. Ćirković hebt hervor, dass drei von dem Kaiser Basileios II. ausgestellte Urkunden für das Erzbistum mit Sitz in Ohrid erhalten geblieben sind, in welchen die Bischofssitze genannt sind. Vgl. a.a.O., S. 29

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So haben sich aufgrund der byzantinischen Städteordnung, Zivilisation und Kultur in

dem unter der unmittelbaren Herrschaft des oströmischen Reiches stehenden Gebiet

zahlreiche, bis heute bestehende, Städte weiter entwickelt, wie z. B. Beograd

(Singidunum), Braničevo (Viminacium), Niš (Naisus), Lipljan (Ulpiana) u.a.m.,

während sich in dem westlichen Teil nur wenige größere Städte in der Küstengegend

bilden.

Aufgrund dieser politischen Situation befindet sich also ein Teil des sogenannten

„getauften Serbiens“, über welches uns als erster Konstantin VII. Porfyrogennitos

(913-959) in seinem Werk De Administrando Imperio26 berichtet, unter der direkten

Herrschaft der Byzantiner, während sich der andere Teil im Küstenland außerhalb

dieses direkten Machteinflusses entwickelt.

Mit der Zeit entstehen in Raszien und Zeta27 bzw. Dioklitien aufgrund der

unterschiedlichen kulturellen und religiösen Einflüsse starke und teilweise

unversöhnliche Rivalitäten und dynastische Kämpfe28. Die Folgen der in diesem

Gebiet verlaufenden Grenze zwischen der byzantinischen kirchlichen Jurisdiktion mit

den Sitzen in Ohrid und Ras und der Jurisdiktion der lateinischen Zentren Split und

Dubrovnik sind sehr ausgeprägt29. Die lateinische Kirche weitet auch dadurch ihre

Macht in diesem Gebiet aus, indem sie im 11. Jahrhundert, wie das K. Jireček in

seinem Werk „Staat und Gesellschaft im mittelalterlichen Serbien“ (Bd. I, S. 53)

beschreibt, offenbar ohne die päpstliche Autorisation das Erzbistum von Bar

errichtet.

Die unterschiedliche kirchliche Jurisdiktion ist wiederum für die Machtausübung des

byzantinischen Kaisers wichtig. In Raszien kann er nämlich die unmittelbare

26 Das Werk gilt als eines der ältesten Zeugnisse der serbischen Geschichte. Vgl. Lj. Maksimović, Srbija i metodi upravljanja Carstvom u XII. veku (Serbien und Herrschaftsmethoden im Kaiserreich im 12. Jahrhundert), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 58. Konstantin VII. Porfyrogennitos berichtet über serbische Länder und ihre Herrscher als eine politische Realität, gleichzeitig betont er, dass diese vom Kaiser Basileios I. ernannt werden. 27 Die Bezeichnung „Zeta“ ist ab dem 11. Jahrhundert gebräuchlich und wird von Nemanja und Sava verwendet. Bis Ende des 10. Jahrhunderts ist die Bezeichnung „Duklja, Dioklitija üblich. Von „Dioklitien“ berichtet auch Stefan der Erstgekrönte und bezeichnet es als „das ursprüngliche Land von Nemanjas Großvater“. 28 Vgl. V. Ćorović, Istorija Srba (Die Geschichte der Serben), Novi Beograd 2005, S. 91 f. 29 Vgl. S. Ćirković, a. a. O., S. 29 f.

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Staatsgewalt durchsetzen, und in Zeta bzw. Dioklitien muss er seinen Einfluss über

die ernannten Herrscher ausüben.

2. Die inneren Verhältnisse in den serbischen Gebieten Zeta und Raszien

In den serbischen Gebieten hat sich seit dem 11. Jahrhundert das monarchistische

Herrschaftsprinzip30 immer mehr verfestigt. Die Hauptherrschaft im Land wird

demnach auf den erstgeborenen Sohn übertragen, und die anderen männlichen

Familienmitglieder erhalten Landesteile als eigene Herrschaftsgebiete.

Dieses Festhalten an der Tradition und an der Autorität des Herrscherhauses sichert

später den Nemanjiden die Fortführung ihrer Herrschaft in Serbien über sieben

Generationen und die Kontinuität ihrer Dynastie.31 Es sollte sich zeigen, dass dieses

schwierige Unterfangen viel Mühe und Opfer besonders von dem ersten Glied der

Dynastie und ihrem Begründer, Stefan Nemanja, erfordert.

a) Kurzer Überblick über die Entwicklung Zetas

Das Küstenland Zeta ist im 11. Jahrhundert bedeutender für die Entwicklung der

serbischen Staatlichkeit als Raszien. In den Berichten der kaiserlichen Tochter Anna

Komnene ist Stefan Vojislav als erster Herrscher genannt, der in Zeta die Aufstände

gegen Byzanz anführt.32 Sein Sohn Mihajlo entscheidet sich für eine byzanz-

freundliche Politik und wird in griechischen Quellen positiv beschrieben. Nach ihm

geht die Herrschaft in Zeta auf Mihajlos Sohn Bodin (auch Konstantin Bodin) über,

der sich gegen Kaiser Alexios I. Komnenos (1081-1118) auflehnt und auch Raszien

bekämpft. Bodin, der eine Zeitlang sogar zum bulgarischen Kaiser Petar ausgerufen

30 Vgl. J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 6 31 Vgl. I. Božilov, Ivan I. Asen i Stefan Nemanja – rodonačelnici dve porodice (Ivan I. Asen und Stefan Nemanja – Begründer zweier Familien), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 50 32 Stefan Vojislav wird in den Quellen als „Serbe, Travunier oder Dioklitier“ bezeichnet. Nach dem Aufstand 1034-1036 gelingt es ihm im Jahr 1037 „das Land der Serben“ zu erobern und den kaiserlichen Provinzverwalter zu vertreiben. Auch 1042 besiegt Vojislav das byzantinische Heer. Nach Vojislavs Tod wird sein Sohn Mihajlo Herrscher und bleibt bis ca. 1082 an der Regierung, jedoch als „Verbündeter und Freund der Romäer“ und erhält den Titel des „Protospators“. Vgl. S. Ćirković, a. a. O., S. 31; V. Ćorović, a. a. O., S. 81 f.

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wird, gerät 1090 in byzantinische Gefangenschaft, kann jedoch seine Macht wieder

herstellen und wird in den geschichtlichen Quellen zum letzten Mal bei seiner

Begegnung mit einem der Anführer des Ersten Kreuzzuges, Graf Raymund von

Toulouse, im Winter 1096/1097 erwähnt.33

Da es Byzanz nach der Kirchenspaltung 1054 nicht mehr gelingt, seine Positionen in

den dalmatinischen Städten zu stärken, geraten diese immer mehr unter den Einfluß

und die Jurisdiktion der lateinischen Kirche, die von Split aus in dieser Gegend wirkt.

Somit hat die Spaltung zwischen der Ost- und Westkirche eine große Auswirkung für

das serbische Volk, welches seit dieser Zeit „in zwei unterschiedliche Glaubens- und

Kultursphären aufgeteilt ist“.34

Unter dem Einfluss der Herrscher entwickeln sich die Städte Dubrovnik und Bar zu

Erzbistümern und Konkurrenten für Split, streiten jedoch untereinander auch um den

Rang und die kirchliche Jurisdiktion. Dabei entstehen „bis Mitte des 13. Jahrhunderts

eine ganze Reihe von Fälschungen, die bestätigt und in authentische päpstliche

Urkunden aufgenommen werden, was Probleme für diejenigen bereitet, die darüber

urteilen sollen, und nicht weniger auch für die späteren Historiker, die um die

Rekonstruktion der Kirchengeschichte und der Geschichte dieser Städte bemüht

sind.“35

Zetas Herrscher Bodin unterstützt in diesem Streit die Stadt Bar. Nach Bodin, der um

1101 stirbt und dem wegen seiner Unbeliebtheit laut Bericht in der Chronik des

Popen Dukljanin36 auf Forderung des Volkes statt seines Sohnes Mihajlo der Bruder

Dobroslav folgt, nimmt auch die Bedeutung Zetas als des führenden serbischen

Landes zunehmend ab.

Zwischen den Herrschern von Raszien und Zeta kommt es nun zu lang

andauernden, blutigen Machtkämpfen um die Vorherrschaft.37

33 Vgl., S. Ćirković, a. a. O., S. 32; V. Ćorović, a. a. O., S. 84 34 Vgl. V. Ćorović, a. a. O., S. 82 35 S. Ćirković, a. a. O., S. 32 36 Als Autor der wahrscheinlich 1131 verfaßten Chronik des Popen Dukljanin (Letopis popa Dukljanina) gilt ein nicht genauer bekannter Pope aus Duklja / Dioklitien. 37 Ebd.

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b) Der Aufstieg Rasziens zum serbischen Kernland

Diese Machtkämpfe nutzt Ende des 11. Jahrhunderts der erste namentlich bekannte

Župan oder sogar Großžupan Vukan aus Raszien aus, der sich zunehmend auch

gegen Byzanz auflehnt, bzw. die Einfälle der Petschenegen nutzt, um nach Lipljan,

Vranje und Skopje vorzudringen.38

Der Byzanzkenner Georg Ostrogorsky beschreibt diese Situation mit den folgenden

Worten: „Von Rascien aus begannen dann die Angriffe auf das byzantinische Gebiet,

und damit war der späteren serbischen Expansion die Richtung gewiesen und

innerhalb der serbischen Länder die Verlagerung des Schwergewichts von Zeta nach

Rascien vorbereitet.“39

Erst als Kaiser Alexios I. Komnenos persönlich mit seinem Heer 1093/94 nach

Kosovo kommt, unterwirft sich Vukan in Lipljan dem Kaiser und übergibt ihm als

Garantie seiner Treue die Neffen Uroš und Stefan Vukan als Geiseln, die der Kaiser

nach Konstantinopel mitnimmt. Dieses und einige späteren Ereignisse zeigen, dass

sich Byzanz neben der üblichen Maßnahmen gegenüber den serbischen Herrschern

zusätzlich der beim Kaiser lebenden Geiseln der Župane als Pfand für deren Treue

bedient und die Župane verpflichtet, dem Kaiser im Kriegsfall mit Soldaten

auszuhelfen.40

Stefan Vukan begründet jedoch seine Überfälle auf byzantinische Gebiete und aus

seiner Rechtfertigung ist ersichtlich, „dass die Grenzen Serbiens bekannt waren,

dass sie beachtet werden mussten, und dass kaiserliche Statthalter sich über diese

Grenzen hinaus nicht einmischen durften, dass ihre Einmischungen der Anlass für

die Störung der normalen Beziehungen waren.“41

Nach Vukans Tod entfachen neue Machtkämpfe zwischen den Dynastien in Zeta und

Raszien, über die nur wenige zuverlässige Quellen vorhanden sind.

38 Vgl. S. Ćirković, a. a. O., S. 49; V. Ćorović, a. a. O., S. 84 39 G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, München 1965, S. 300 40 S. Ćirković, a. a. O., S. 49 41 Ebd.

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17

Vukans Nachfolge tritt sein Neffe, Uroš I., an, der einmal als Geisel in Byzanz lebte,

und in Zeta herrscht als byzantinischer Vasall Gradihna Branislavljević.42

3. Einflüsse benachbarter Staaten

Die weitere Entwicklung der Verhältnisse in den serbischen Ländern wird aber auch

durch die Ereignisse in den Nachbarstaaten beeinflusst, insbesondere durch das

ungarische Streben nach Ausweitung der Herrschaft auf dem Balkan. Der ungarische

König erhebt ab 1102 Anspruch auf den verwaisten kroatischen Thron und setzt die

Eroberung der zu Byzanz gehörenden dalmatinischen Städte fort.43

In den ab 1127 immer wieder aufflammenden Kriegen zwischen Ungarn und Byzanz,

die oft in den von Serben bewohnten Gebieten ausgetragen werden, schlagen sich

die serbischen Herrscher an die Seite der Ungarn in der Hoffnung, aus den Kämpfen

Vorteile für ihr Land ziehen zu können.

Etwa 1129/30 entsteht sogar eine dynastische Verbindung zwischen den beiden

Völkern, als der ungarische König Stefan II. vor seinem Tod den blinden Bella II. als

seinen Nachfolger bestimmt und ihn mit der serbischen Prinzessin Jelena, der

Tochter des Großžupan Uroš I., verheiratet.44

In ihrem Freiheitsstreben verlassen sich die Serben jedoch nicht nur auf die Ungarn,

sondern schließen sich der durch die Normannen in Süditalien geführten Koalition

gegen Byzanz an. Sowohl die byzantinischen Schriftsteller als auch serbische

Quellen berichten übereinstimmend, dass alle serbischen Herrscher langfristig das

Ziel verfolgen, für ihr Land die Unabhängigkeit von Byzanz zu erreichen.

Es verwundert deshalb nicht, dass auch Nemanja während seiner Herrschaft diesen

Weg einschlägt und seinerseits wiederum Bündnisse mit Bulgaren und sogar dem

deutschen König Friedrich Barbarossa anstrebt, um sein Ziel zu erreichen.

42 Vgl. Konstantin Jireček, a. a. O., S. 140 V. Ćorović, a. a. O., S. 85 43 S. Ćirković, a. a. O., S. 49 44 Vgl. J. Kalić, Raški veliki župan Uroš II. (Rasziens Großžupan Uroš II.), in Zbornik Vizantološkog instituta (Sammelwerke des Byzantologischen Instituts), Beograd 1970, S. 23

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B) Biographische Angaben über Stefan Nemanja

Wie bereits festgestellt, liefert uns Nemanjas nicht minder bedeutender Sohn Sava

mit seiner Vita die erste bis heute vielbeachtete und unumgängliche Grundlage „für

das historische Bild über Stefan Nemanja und sein Werk von unvergänglicher

Bedeutung“45. Dennoch müssen einige biographische Fragen offen bleiben.

I. Die wichtigsten Daten aus Nemanjas weltlichem Leben

Auch Nemanjas wichtigste Lebensdaten finden wir in den von seinen beiden Söhnen

verfassten und hier bereits genannten Viten. Diese sind jedoch, wie üblicherweise

die Viten dieser Zeit, mehr auf das Hagiographische als das Historische ausgerichtet

und deshalb im heutigen Sinne nicht immer präzise.

Weitere Informationen über Stefan Nemanja finden wir in der Chronik des Popen

Dukljanin (Letopis popa Dukljanina) aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in

der von Konstantin dem Philosophen verfassten Vita des serbischen Herrschers

Stefan Lazarević aus dem 15. Jahrhundert und in einigen Texten zeitgenössischer

byzantinischer Schriftsteller, wie Ioannis Kinnamos, Niketas Choniates, Konstantin

Manasses und Eustatios, dem späteren Erzbischof von Thessalonike.

1. Das Elternhaus

Der Name Nemanja hat einen biblischen Ursprung (Νεεµάν, Naamen, Nehemia) und

ist im 12. Jahrhundert besonders in der Küstengegend um das Adriatische Meer

verbreitet46. Er erweist sich für den späteren rastlosen Erbauer und Einer des

serbischen Volkes als ausgesprochen passend, denn auch sein biblischer

Namensvetter Nehemia richtet sein zerstörtes Vaterland wieder auf.47

45 Aus dem Grußwort des Generalsekretärs der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Miroslav Pantić, in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 2 46 Vgl. Konstantin Jireček, a. a. O., S. 147 47 Nehemia ließ mit Erlaubnis des persischen Königs Artaxerxes die zerstörten Mauern Jerusalems wieder aufrichten. Während der Arbeiten muss das Werk gleichzeitig auch vor feindlichen Angriffen geschützt werden. (Neh 4,11)

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Die geschichtlichen Quellen stimmen überein, dass Nemanjas Vorfahren

ursprünglich aus Zeta stammen, bei der Rückverfolgung der Ahnenkette sind jedoch

einige Lücken und Unklarheiten bis heute geblieben.

Die im serbischen Volk gebräuchliche Tradition, die Kinder nach den eigenen

Vorfahren zu benennen, lässt die Möglichkeit zu, dass der Großžupan Stefan Vukan

ein unmittelbarer Vorfahre von Nemanjas Vater sein könnte, weil Nemanjas ältester

Sohn den Taufnamen Vukan trägt.48

Als die kritische Forschungsmethode der Kirchengeschichte im 19. Jahrhundert in

Serbien einsetzt, versuchen einige Wissenschaftler die in den Viten fehlenden

Angaben über das Elternhaus Nemanjas zu ergründen und knüpfen an die bis dahin

bekannten Ergebnisse aus dem 17. Jahrhundert49. Die Diskussion über Nemanjas

Abstammung dauert über das gesamte 19. Jahrhundert, und erst Stojan Novaković

kommt im Jahr 1900 zu der Schlussfolgerung, dass Nemanjas Vater den Taufnamen

Zavida haben muss.

Diese Annahme wird durch die im Jahr 1922 veröffentlichte Stiftungsinschrift an der

Kirche der Heiligen Petrus und Paulus in Bijelo Polje, die Nemanjas Bruder, Fürst

Miroslav, gestiftet hat, definitiv bestätigt. Miroslav ist in diesem Epigramm als Zavidas

Sohn bezeichnet.50 Auch in dem von Fürst Miroslav in Auftrag gegebenen

Evangelium51 wird Miroslav als Zavidas Sohn dargestellt.

Da mehrere Quellen, unter anderem die von Stefan dem Erstgekrönten geschriebene

Vita Simeons, bezeugen, dass Miroslav und Nemanja leibliche Brüder sind, hat

Zavida somit eine Verankerung in der Geschichte der Nemanjiden-Dynastie

gefunden.

48 Vgl. V. Ćorović, a. a. O., S. 92 49 Hier sind vor allem der Schriftsteller Mavro Orbin und die Lukarević-Chronik gemeint, die den Župan von Raszien Desa als Nemanjas Vater angesehen haben. 50 J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 7 51 Es handelt sich um die älteste erhaltene serbische Handschrift in kyrillischer Schrift, die um die achtziger Jahre des 12. Jahrhunderts entstanden ist und aus 181 Seiten besteht. Es wird angenommen, dass das Evangelium in der von Fürst Miroslav gestifteten Kirche in Bijelo Polje oder in einem der Skriptorien (Kotor oder Dubrovnik) geschrieben und verziert wurde. (Angaben aus Endiklopedija pravoslavlja (Enzyklopädie der Orthodoxie), Bd. 2, Beograd 2002, S. 1226

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Über Zavidas Abstammung und die verwandtschaftlichen Zusammenhänge mit der

Dynastie der Župane aus Raszien zu Ende des 11. Jahrhunderts bzw. mit den

Herrschern aus Zeta sind unterschiedliche Deutungen vorhanden.

Ebenso besteht unter den Historikern keine Einigkeit darüber, wie Zavidas

Herrschertitel lautet. Während einige meinen, dass Zavida nicht als Župan herrscht,

folgern andere, dass er durchaus mindestens die Würde eines Teilfürsten, wenn

nicht sogar eines Großžupan führt.

Über Nemanjas Mutter sind keine Informationen zu uns gekommen, so dass über sie

nichts gesagt werden kann.

2. Das Geburtsjahr und der Geburtsort Nemanjas

Zu Nemanjas Geburtsdatum sind keine Angaben überliefert. Sein Geburtsjahr lässt

sich jedoch anhand des Sterbedatums und des in der vom Sava verfassten Vita

Simeons festgehaltenen Alters erschließen. So berichtet Sava: „Sein ganzes Leben

währte 86 Jahre. Der selige Vater und Stifter, Herr Simeon, starb im Jahre 6708

(1200), im Monat Februar, am 13. Tage und er ging ein in die ewige Seligkeit.“52

Auch in dem Typikon des Klosters Hilandar ist das Todesjahr Simeons mit 6708

(1200) angegeben53.

Dieses wird jedoch von F. Barišić überzeugend widerlegt, der in seinem Werk

„Hronološki problemi oko godine Nemanjine smrti“ (Chronologische Probleme über

Nemanjas Todesjahr) aufgrund einer berichtigten Übersetzung der diplomatischen

Korrespondenz von Kaiser Alexios III. Angelos aus Juni 1199 Nemanjas Todesjahr

mit 1199 ansetzt. In diesem Text wird der Großžupan Nemanja nämlich als

„ἐκεἐνος“ bezeichnet. Diese Nachricht bemerkt zunächst D. Anastasijević, übersetzt

sie jedoch mit „jener Großžupan Serbiens“.

Der ausgezeichnete Kenner der kaiserlichen byzantinischen Diplomatensprache, F.

Barišić, berichtigt jedoch diese Stelle in „der verstorbene Großžupan Serbiens“.54

52 Hl. Sava, a. a. O., S. 60 53 Vgl. J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 9, besonders Anmerkung Nr. 29 54 J. Kalić schildert diesen Sachverhalt a. a. O., S. 9

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Ausgehend von diesen Informationen gilt heute das Jahr 1113 als Nemanjas

Geburtsjahr und wird in der Wissenschaft allgemein akzeptiert.

a) Der Geburtsort

Der Ort Ribnica55 in Zeta bzw. Dioklitien, wo Nemanjas Vater nach dem Streit mit

seinen Brüdern flüchten muss, ist hingegen als sein Geburtsort anerkannt.

Stefan der Erstgekrönte berichtet in der Vita Simeons, „... daß zu jener Zeit in diesem

Gebiet des serbischen Landes, in Dioklitien, Dalmatien und in der Travunia große

Unruhen herrschten und daß die Brüder in teuflischem Neid seinen Vater des Landes

beraubten. Er aber entzog sich ihrem Aufruhr nach Dioklitien, in seine Heimat, und

nach dem Willen Gottes und seiner allerreinsten Mutter kam dieses heilige Kind zur

Welt, ... und zwar im Orte, genannt Ribnica.“56

Auch der heilige Sava nennt Ribnica als den Geburtsort seines Vaters: „Geboren

wurde er in der Zeta, an der Ribnica...“57

3. Die zwei Taufen Nemanjas

Da in dem Geburtsort Nemanjas zu dieser Zeit noch keine byzantinischen Priester

anwesend sind, empfängt Nemanja die Taufe zunächst nach dem lateinischen Ritus.

Nach dem Zwangsaufenthalt in Zeta, dessen Dauer nicht genau feststeht, kehrt

Nemanjas Vater nach Ras zurück, wo Nemanja nun nach dem orthodoxen Ritus

getauft wird.

Dazu berichtet sein jüngster Sohn, der heilige Sava: „Geboren wurde er in der Zeta

an der Ribnica, und dort empfing er auch die heilige Taufe; als Knabe hierher

gebracht, nahm ihn der Bischof der Kirche zu den heiligen Aposteln auf und betete

über dem Kinde, salbte es, und so empfing es die zweite Taufe.“58

55 Ribnica ist mit der heutigen Hauptstadt Montenegros Podgorica identisch. Ribnica heißt aber auch der sich in der Nähe befindliche Fluß. 56 Hl. Sava, a. a. O., S. 75 57 Hl. Sava, a. a. O., S. 59-60 58 Hl. Sava, a. a. O., S. 59-60

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Über die zwei Taufen Nemanjas schreibt Stefan der Erstgekrönte noch ausführlicher:

„Und da es in jenem Lande auch lateinische Priester gab, war er würdig, nach Gottes

Willen (in der Kirche der allerheiligsten und ehrwürdigen Gebieterin und

Gottesmutter) auch die lateinische Taufe zu empfangen. Nach der Rückkehr seines

Vaters in den Residenzort wurde er abermals für würdig befunden, aus der Hand des

Bischofs in der Kirche der heiligen, ruhmreichen und allerhöchsten Apostel Petrus

und Paulus, inmitten des serbischen Landes, eine zweite Taufe zu empfangen…“59

Die hier so beschriebenen zwei Taufen Nemanjas werden von den meisten

Historikern als solche hingenommen. Lediglich einige wenige, wie z. B. Ilarion

Ruvarac in seinem Werk „Die Bischöfe und Metropoliten von Raszien“ (Raški

episkopi i mitropoliti, Beograd 1901) beschreiben den zweiten Vorgang als eine

Salbung, ohne jedoch diese Meinung genauer auszulegen.

Dieser Meinung schließt sich in neuerer Zeit Svetislav Mandić an und begründet dies

in seinem Aufsatz „Die heiligen Taufen des Stefan Nemanja“ mit kanonischen

Vorschriften. Nach diesen Vorschriften, so S. Mandić, sei der Taufritus in der

orthodoxen und katholischen Kirche weitestgehend identisch, deshalb würden die

Kirchen gegenseitig die jeweils in der anderen Kirche vollzogenen Taufen

anerkennen und eine zweite Taufe ausdrücklich verbieten 60.

Nemanjas Söhne Sava und Stefan der Erstgekrönte, beide ausgezeichnet

theologisch gebildet und mit kirchlichen Vorschriften vertraut, lassen den zwei Taufen

Nemanjas eine besondere Bedeutung zukommen.

Der heilige Sava bringt die zwei Taufen mit den anderen wichtigen Handlungen an

seinem Vater zusammen und sieht in ihnen besondere Zeichen:

„Denn Wunderbares geschah an diesem Mann: Er empfing in seiner Jugend zweimal

die Taufe, und als er den engelhaften Stand auf sich nahm, erhielt er auch zweimal

die Weihen, die kleinförmige und die großförmige; ebenso erhielt nach dem Tode

sein ehrwürdiger Leichnam ein zweifaches Begräbnis, das erste auf dem heiligen

59 Hl. Sava, a. a. O., S. 76. Die Kirche der Apostel Petrus und Paulus in Ras ist im Anhang auf der Seite 102 abgebildet. 60 Vgl. S. Mandić, Velika gospoda sve srpske zemlje i drugi prosopografski prilozi (Die grossen Herrschaften aller serbischen Länder und andere prosopographischen Beiträge), Beograd 1986, S. 34 ff.

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Berg, wo er starb, und von dort wurde er weggebracht und hierher getragen, und hier

wurde dann seinen ehrwürdigen Gebeinen unter großen Ehrenbezeigungen und

Lobpreisungen eine zweite Grablegung zuteil.“ 61

Stefan der Erstgekrönte begründet die zwei Taufen seines Vaters folgendermaßen:

„´Du hast die Milch aus beiden Brüstwarzen gesogen´62, das heißt das Alte und das

Neue Testament erfüllt; ihn, der von der Frömmigkeit und Gottesfurcht seiner Eltern

ernährt wurde, zogen die Eltern zum Knaben auf, ohne das göttliche Geheimnis und

die Größe der Gnade zu ahnen, welche über ihn ausgeschüttet werden wird.“63

Neben der Deutung der zweifachen Taufe legt Stefan der Erstgekrönte hier einen

besonderen Wert auf die Legitimierung des Herrschaftsanspruchs seines Vaters

durch die göttliche Gnade.

4. Der Titularname Stefan

Im serbischen Volk ist das Führen mehrerer Vornamen nicht üblich. Auch im

Mittelalter ist diese Praxis nicht bekannt. Es steht jedoch fest, dass die damaligen

Herrscher und Großžupane von Raszien in der Regel vor dem Vornamen einen

Titularnamen führen64.

So wird der Name „Stefan“65 zum ersten Mal als Titularname für einen Herrscher aus

Raszien in dem Werk von Anna Komnene erwähnt, in welchem sie die

geschichtlichen Hintergründe der Herrschaft ihres im Jahr 1118 verstorbenen Vaters

Alexios Komnenos beschreibt66.

Für den Titularnamen Stefan haben sich die Herrscher möglicherweise deshalb

entschieden, weil der heilige Stephan, der erste christliche Märtyrer, als

61 Hl. Sava, a. a. O., S. 60 62 Vgl. Anmerkung Nr. 29 a. a. O. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts ist dieser wahrscheinlich aus apokryphen Bibeltexten stammender Zitat ein beispielhafter Vergleich für die östliche und die lateinische Kirche. 63 Hl. Sava, a. a. O. S. 76 64 Vgl. Svetislav Mandić, Velika gospoda ... (Die grossen Herrschaften ...), S. 8 Stefan der Erstgekrönte bildet hierbei eine Ausnahme, da „Stefan“ sein Taufname ist. 65 Stefan: von στέφανος (Kranz, Krone) 66 Laut S. Mandić (a. a. O., S. 9 f.) hat Anna Komnene das ihrem Vater Alexios gewidmete Werk ab 1136 bis zu ihrem Tod im Jahr 1148 geschrieben. Den Titularnamen „Stefan“ hat sie auf Großžupan Vukan bezogen, der ihr Zeitgenosse war und in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Raszien geherrscht hat.

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Schutzpatron Serbiens gilt, was u.a. an den Herrschersiegeln erkennbar ist, auf den

der heilige Stephan abgebildet ist.67

Die Wahl eines Schutzpatrons ist im Mittelalter in den christlichen Ländern gängige

Praxis. So werden Schutzpatrone für Staaten, Städte, Familien oder einzelne

Personen ernannt, und die Schützlinge wenden sich an sie besonders in

Krisenzeiten.

Aber auch in Byzanz68 ist der Kult des heiligen Stephan sehr verbreitet sowie in

Ungarn, wo die Könige, wie in Serbien, den Namen Stefan als ihren Titularnamen

führen.69

Bei Nemanja ist es nicht einwandfrei feststellbar, seit wann er den Titularnamen

Stefan führt. Die meisten Kirchengeschichtler gehen davon aus, dass der

Titularname Stefan mit der Würde des Großžupans zusammenhängt.

Nemanja selbst schreibt in seiner Stiftungsurkunde für das Kloster Hilandar im Jahr

1198: „Und Gott setzte mich zum Großžupan ein mit den Namen der heiligen Taufe

Stefan Nemanja.“

Obwohl die erste feierliche kirchliche Krönung eines serbischen Herrschers bei

Nemanjas Sohn, Stefan dem Erstgekrönten, überliefert ist, ist es durchaus

anzunehmen, dass auch frühere serbische Herrscher in feierlichen kirchlichen

Handlungen aus der Hand des Bischofs die ihnen von Gott gegebene Macht

symbolisch empfangen, indem sie mit dem Kranz des Großžupans bekränzt

werden70. Dass „Stefan“ als Titel für den Herrscher gemeint ist, bezeugen ferner

mehrere Urkunden, wie z. B. der zwischen Serbien und Dubrovnik abgeschlossene

67 Vgl. M. Ćorović-Ljubinković, Odraz kulta svetog Stefana u srpskoj srednjovekovnoj umetnosti (Auswirkungen des Kultes des heiligen Stephan in der serbischen mittelalterlichen Kunst), in Zbornik radova vizantološkog instituta XII (Hg.) (Gesammelte Werke des byzantologischen Instituts), Beograd 1970, S. 45. In Studenica ist der heilige Stephan in besonders betonter Weise abgebildet, er ist in monumentaler Größe und wie ein Apostel bekleidet zu sehen, wodurch seine Bedeutung hervorgehoben werden soll. Vgl. dazu Vgl. M. Ćorović-Ljubinković, a. a. O., S. 49 68 Nach M. Ćorović-Ljubinković (ebd.) ist der Kult des heiligen Stephan bis 641 ikonographisch in Byzanz vorhanden. Als ab 641 alle byzantinischen Kaiser in der Hagia Sophia gekrönt werden, verliert sich die Spur dieses Kultes in Byzanz. 69 Vgl. Z. Gavrilović, Premudrost i čovekoljublje vladara u ličnosti Stefana Nemanje (Weisheit und Menschenliebe der Herrscher in der Person des Stefan Nemanja), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 290 70 Svetislav Mandić, Velika gospoda ... (Die grossen Herrschaften ...), S. 45 f.

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Vertrag oder die Innschrift von Kotor aus 1196, wo der serbische Großžupan nur mit

seinem Taufnamen Nemanja genannt ist.71

Dass der Name Stefan bei den serbischen Herrschern kein Taufname ist, kann auch

aufgrund der Tatsache festgestellt werden, dass in keiner serbischen mittelalterlichen

Urkunde neben dem Namen Stefan laufende Nummern vorhanden sind, wie wir sie

bei den Taufnamen kennen (z. B. Uroš II, Uroš III, usw.).72

Der Titularname Stefan ist auch für die beiden Brüder Nemanjas, Miroslav und

Stracimir, bezeugt. Für Stefan Miroslav ist die Stiftungsinschrift an der Kirche in

Bijelo Polje dafür maßgeblich und für Stefan Stracimir sein Bleisiegel in Form eines

Ringes in griechischer Sprache.

Nach Nemanja und seinen Brüdern wird der Titularname Stefan von allen serbischen

Herrschern im 13. und 14. Jahrhundert fortgeführt.73

5. Nemanjas Frau Ana

Über Nemanjas Ehefrau Ana sind nur wenige Informationen überliefert, haupt-

sächlich in den Viten Simeons der beiden Söhne, und zwar im Zusammenhang mit

der Mönchsweihe Nemanjas.

Der heilige Sava schreibt dazu: „Am selben Tage nahm auch die ihm von Gott

gegebene Gemahlin und Herrscherin über ganz Serbien, Anna, diesen heiligen

Stand, und man gab ihr den Namen Herrin Anastasia.“74

Stefan der Erstgekrönte schildert mit besonders gewählten, prophetischen Worten75

die beispielhafte Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit seiner Mutter, die er in ihren

gottgefälligen Werken, im Gehorsam gegenüber ihrem Gemahl als erwiesen sieht.

Er betont hier auch den Respekt und das große Vertrauen Nemanjas gegenüber

seiner Gemahlin, weil dieser ihr seine Kirchenbauten zum Verwalten überlässt:

71 Vgl. M. Ćorović-Ljubinković, a. a. O., S. 48 72 Vgl. M. Ćorović-Ljubinković, a. a. O., S. 47 73 Svetislav Mandić, Velika gospoda ... (Die großen Herrschaften ...), S. 48 74 Hl. Sava, a. a. O., S. 45 75 “Ein tugendsames Weib im Hause ihres Gatten ist kostbarer denn Perlen und Edelsteine.” Diesen Spruch des weisen Salomo sieht Stefan der Erstgekrönte auf seine Mutter passend. Vgl. Hl. Sava, a. a. O., S. 78

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„Als er angekommen war, ging er ohne zu zögern daran, in seinem Vaterlande in

Toplica bei der Mündung des Flüsschens Kosanica der heiligsten Gottesmutter eine

Kirche zu bauen; er stattete sie mit allen kirchlichen Privilegien aus, setzte eine

Mönchsgemeinschaft ein, alles unter Mitwirkung seiner ehrwürdigen und

gottergebenen Gefährtin namens Anna, und ihr übergab er die Kirche der Heiligsten,

sie möge in jeder Beziehung dafür und für die in diesem heiligen Ort eingesetzten

Mönche sorgen. Sie aber hörte auf ihn mit größtem Gehorsam und in

Tugendhaftigkeit und behütete die Kirche der heiligsten Gottesmutter, die ihr dieser

unser heilige Herr übergeben hatte.“76

Im weiteren Text erfahren wir auch von Stefan dem Erstgekrönten, dass seine Mutter

den Namen Anastasia77 erhält, als sie Nonne wird.

Uns sind jedoch weder der Zeitpunkt Nemanjas Heirat mit Ana noch ihre Herkunft

bekannt.

Der Athosmönch Domentijan schreibt in der Vita Simeons, dass Nemanja seinen

Anteil des väterlichen Erbes erhält, „…als er im jugendlichen Stand und soweit war,

dass er in einer gesetzlichen Ehe vereinigt werde.“78

Aus der Vita des heiligen Sava, geschrieben von dem Athosmönch Teodosije,

erfahren wir, in welchem Alter die Jugendlichen zu dieser Zeit heiraten. Teodosije

schreibt nämlich über die Pläne der Eltern für ihren jüngsten Sohn Rastko: „Als er im

siebzehnten Jahr seines Lebens angekommen war, überlegten seine Eltern, ihn nach

dem Gesetz zu verheiraten.“79

Deshalb ist anzunehmen, dass Nemanjas Heirat nach den damals üblichen

Gepflogenheiten stattfindet, bzw. dass er wahrscheinlich im Alter eines volljährigen

Jugendlichen verheiratet wird. Weiter ist anzunehmen, dass seine Eltern durch seine

Heirat, wie das im Mittelalter allgemein auch in anderen Staaten gängige Praxis ist,

politische Ziele für ihr Land verfolgen.

76 Hl. Sava, a. a. O., S. 77-78 77 Hl. Sava, a. a. O., S. 95 78 Vgl. Anmerkung Nr. 9 in Svetislav Mandić, Carski čin Stefana Nemanje (Die Kaiserwürde des Stefan Nemanja), Beograd 1990, S. 13 79 Teodosije, Žitije Svetoga Save (Das Leben des Heiligen Sava, übersetzt von L. Mikrović, Übersetzung redigiert von D. Bogdanović), Beograd 1984, S. 8

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Aus den vorgenannten Gründen gehen die Annahmen über Anas Herkunft in zwei

Richtungen. Einige Kirchengeschichtler, wie J. Rajić, berufen sich auf die von M.

Orbin und Branković überlieferten Informationen, nach denen Ana die Tochter des in

Bosnien herrschenden Bans Stefan Borić ist80. Andere sind wiederum aufgrund der

späten Genealogie aus dem Kloster Tronoša81 der Meinung, dass Ana durchaus eine

Ausländerin sein könnte und sehen sie als eine mögliche Verwandte des Kaisers

Manuel I. Komnenos (1143-1180)82, der sein Heer nach Raszien dreimal in den

Kriegsjahren 1149, 1150 und 1155 führt. Für diese letzte Annahme würde auch die

Belehnung Nemanjas mit Dubočica seitens dieses Kaisers sprechen.

Über Anas Geburtsjahr und ihre Jugendzeit haben wir keine Informationen und auch

nicht darüber, wie alt sie ist, als sie Nemanja heiratet bzw. in welchem Jahr die

Hochzeit stattfindet.

Es steht jedoch fest, dass Nemanja und Ana in ihrer Ehe die Söhne Vukan, Stefan

und Rastko sowie mindestens zwei Töchter, deren Namen nicht überliefert sind,

geboren haben83.

So wenig wir auch aus dem früheren Leben Anas wissen, umso genauer sind die

Angaben über ihren letzten Lebensabschnitt. Sie wird „im Monat März am 25. Tag,

am Feste Mariä Verkündigung des Jahres 6703 (1195)“84 Nonne, am selben Tag als

auch Nemanja in den Mönchstand eintritt.

Einige Historiker85 bezweifeln jedoch die Genauigkeit dieser Zeitangaben des

heiligen Sava bzw. gehen von möglicherweise fehlerhaften Abschriften seines

Autografs aus und setzen für die Mönchsweihen statt der Jahreszahl 1195 entweder

1196 oder sogar 1197 an.

80 Vgl. dazu die Anmerkungen Nr. 4 und 5 in S. Mandić, Carski čin ... (Die Kaiserwürde ...), S. 10 Die Titelbezeichnung „Ban“ kommt in Bosnien vor und ist vergleichbar mit „Fürst“. 81 Das Kloster stammt aus Ende des 13./Anfang des 14. Jahrhundert und war im 16. Jahrhundert ein bedeutendes Skriptorium. Es befindet sich in Podrinje, im heutigen Nord-Ost-Bosnien. 82 S. Mandić, Carski čin ... (Die Kaiserwürde ...), S. 94 83 Enciklopedija pravoslavlja (Enzyklopädie der Orthodoxie), Bd. 1, Beograd 2002, S. 45 84 Hl. Sava, a. a. O., S. 45 85 Vgl. B. M. Radojković, Hronologija (Chronologie), S. 107-151 Auch J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 14

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Ana verbringt somit die letzten Jahre ihres Lebens als Nonne Anastasija in dem

Kloster der Heiligen Gottesmutter „in Ras“86, wie das ihr Sohn, der heilige Sava

berichtet. In den späteren serbischen Chroniken und Genealogien ist vermerkt, dass

die Nonne Anastasija unweit des Bischofssitzes in Ras in der Kirche der Heiligen

Gottesmutter verstorben ist.87

Das genaue Todesjahr ist nicht überliefert, sie ist jedoch auf jeden Fall vor 1199

gestorben, „d.h. vor der Aufstellung des Typikons für Hilandar, in welchem die

Gesänge für die verstorbenen Stifter Simeon und Anastasija vorgeschrieben sind.“88

Die verstorbene Anastasija ist in der Gottesmutterkirche des Klosters Studenica

beerdigt, was durch die 1985 stattfindenden archäologischen Untersuchungen

nachgewiesen wird.89 Im selben Jahr wird durch umfangreiche anthropologische

Untersuchungen auch nachgewiesen, dass Anastasija zum Zeitpunkt ihres Todes auf

jeden Fall „über 60 Jahre alt war“.90 Ihr Portrait auf der über ihrem Grab

angebrachten Freske konnte aufgrund der anthropologischen Rekonstruktion ihres

Schädels als sehr realistisch und getreu bezeichnet werden.

Der Gedenktag der ehrwürdigen Anastasija wird in der serbischen Kirche am 5. (22.)

Juli begangen.

II. Stefan Nemanja wird zum Herrscher Serbiens

Als in Raszien nach dem Großžupan Uroš I.91 sein Sohn, Uroš II., folgt, bringen

seine Gegner 1155 seinen Bruder Desa an die Macht, was eine kaiserliche

Entscheidung erfordert, durch welche Uroš II. als Herrscher bestätigt wird.92

86 Hl. Sava, a. a. O., S. 45 87 J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 14-15 88 Ebd. 89 Ebd. 90 Živko Mikić, Antropološka saznanja o Studenici i stanovništvu Srbije Nemanjinog doba (Antropologische Erkenntnisse über Studenica und die Bevölkerung Serbiens zu Nemanjas Zeit), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja–der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 372-374 91 Nach J. Lesny (Stefan Zawida als Sohn von Uroš I. und Vater von Stefan Nemanja. Ein Beitrag zur serbischen Prosopographie, Südostforschungen 48/1989, S. 37-49) ist Nemanjas Vater Zavida einer der Söhne des Groß-župan Uroš I. (Uroš II., Desa, Beloša und Zavida). Vgl. dazu S. Ćirković, Preci Nemanjini i njohova postojbina (Nemanjas Vorfahren und ihre Heimat), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni

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29

Desa gelingt es jedoch um 1161 erneut an die Macht zu kommen, er wird aber sehr

bald, wahrscheinlich schon 1163, vom Kaiser verurteilt und abgesetzt.

Manuel I. Komnenos ist zu dieser Zeit bemüht, die Aufstände in Serbien dauerhaft zu

befrieden und nimmt deshalb mehrmals den Wechsel am Thron des serbischen

Großžupans zwischen den vier Brüdern Desa, Primislav, Beloša und Uroš II. vor.93

Viele Kirchengeschichtler sehen in dieser Handlung des byzantinischen Kaisers den

Versuch, die Reichsgrenzen zu Serbien durch loyale serbische Herrscher zu

stabilisieren und abzusichern.

Die Unruhen hören jedoch nicht auf, und so entscheidet der Kaiser, die

aufständischen Brüder Desa, Primislav, Beloša und Uroš II. durch Zavidas Söhne

Tihomir, Stracimir, Miroslav und Nemanja zu ersetzen,94 wobei der älteste Sohn die

Würde des Großžupan erhalten soll.

Dies ist die Stunde des Stefan Nemanja, denn Kaiser Manuel I. Komnenos erhebt

den Dynastiezweig des alten serbischen Fürstenhauses der Zavida auf die höchste

Herrschaftsebene. Damit kommt derjenige Abzweig der Dynastie wieder an die

Macht, der eine Generation vorher abgesetzt worden war.95

skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 22 ff. S. Mandić hält diese Annahme als nicht haltbar und meint, der Großžupan Uroš II. sei identisch mit Nemanjas Vater Zavida. 92 S. Ćirković, Srbi u srednjem veku (Die Serben im Mittelalter), Beograd 1997, S. 49. Für B. Ferjančić ist es offensichtlich, dass „die Politik des Manuel I. Komnenos gegenüber Serbien von einer klaren Konzeption gekennzeichnet ist… Der Kaiser wollte, dass in Serbien loyale Herrscher an der Macht sind,…“ (Stefan Nemanja u vizantijskoj politici druge polovine XII. veka – Stefan Nemanja in der byzantinischen Politik der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts, in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 32 Die Ereignisse im Zusammenhang mit den Aufständen, die serbische Großžupane gegen Kaiser Minauel I. Komnenos unternommen haben, beschreiben mehrere byzantinische Schriftsteller, wie z. B. Ioannes Cinnamos und der Historiker Niketas Choniates. 93 Vgl. B. Ferjančić, Stefan Nemanja u vizantijskoj politici druge polovine XII. veka (Stefan Nemanja in der byzantinischen Politik in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 33-34 94 Ebd. 95 S. Ćirković, a. a. O., S. 50

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Es wird angenommen, dass Nemanjas ältester Bruder Tihomir die Würde des

Großžupan von Manuel I. Komnenos im Jahr 1166 erhält in der Hoffnung, dass er

nach ständigen Aufständen endlich ihm gegenüber loyale Regenten gefunden hat.96

Das sehen B. Ferjančić, M. Blagojević und Pirivatrić in der dem byzantinischen

Kaiser gewidmeten Lobrede des Patriarchen Michael Anchialos bestätigt, in welcher

von den Siegen und Erfolgen des Kaisers auch in Serbien und dem dort

vorgenommenen Machtwechsel berichtet wird.

1. Nemanja und „das väterliche Erbe“

In seiner Jugend erhält Nemanja laut der von seinem Sohn, Mönch Sava,

geschriebenen Vita zunächst „einen Teil seines Vaterlandes“, nämlich Toplica, Ibar,

Rasina und Reke als Herrschaftserbe97. Nemanjas Herrschaftsgebiet wird später

erweitert, als er von Kaiser Manuel I. Komnenos mit der Gegend Dubočica98 belehnt

wird, die ihm und seiner „Nachkommenschaft für ewige Zeiten“99 dienen soll.

Dubočica hat zu dieser Zeit eine herausragende territoriale Bedeutung auf der

Heeresstraße Belgrad-Byzanz. Deshalb stellt diese Belehnung auch einen

Durchbruch im politischen Aufstieg Nemanjas dar100.

Die genauere Datierung der Machtübernahme durch Nemanja ist nicht ohne weiteres

möglich. Sava fasst in der Vita Simeons die Herrschaftszeit seines Vaters mit den

folgenden Worten zusammen: „Als seit seiner Geburt 46 Jahre verstrichen waren,

empfing er nach dem Willen Gottes alsbald die Reichsgewalt. Und er blieb an

der Regierung 37 Jahre …“101.

Die Herrschaftsdauer von 37 Jahren ist in der Vita dreimal genannt, an einer Stelle

schreibt der heilige Sava sogar, dass sein Vater „ganze 38 Jahre“ regiert hat. Das

bedeutet, dass Nemanja im Jahr 1158/1159 an die Macht gekommen ist bzw. zu

diesem Zeitpunkt als einer der serbischen Teilfürsten seinen Anteil am väterlichen

Erbe in den östlichen serbischen Gebieten erhält.

96 S. Ćirković, a. a. O., S. 50. Vgl. auch S. Runciman, Häresie und Christentum, München 1988, S. 127 97 Vgl. J. Kalić, a. A. O., S. 8 98 ebd. Dubočica ist auch unter dem Namen Globočica bekannt. 99 Hl. Sava, a. a. O., S. 77 100 Vgl. dazu Anmerkung Nr. 36, Hl. Sava, a. a. O., S. 152 101 Hl. Sava, a. a. O., S. 60

Page 31: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

31

Die meisten serbischen Historiker interpretieren diese Darstellung des heiligen Sava

so, dass Nemanja zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Würde des Großžupans

führt102. Dennoch stellt das Jahr 1158/1159 eine entscheidende Wende in Nemanjas

Leben und den Beginn seiner politischen Laufbahn dar. Ab diesem Zeitpunkt ist er

möglicherweise „nicht nur dem serbischen Großžupan, sondern gleichzeitig und vor

allem dem byzantinischen Kaiser unterworfen“.103

Auch Stefan der Erstgekrönte schreibt in der Vita Simeons über die Regierungszeit

seines Vaters, jedoch ohne Zeitangaben. Die Gebiete Toplica, Ibar, Rasina und Reke

sind auch dort als Nemanjas Vaterlandsanteile erwähnt wie auch die Belehnung

Nemanjas mit Dubočica durch Kaiser Manuel I. Komnenos anläßlich seines

Aufenthaltes in der Nähe von Niš.104

Diese bedeutende Ausweitung des Herrschaftsgebietes, die Nemanjas Stellung nach

innen und außen stärkt und ihm zusätzliche Autorität verleiht, findet wahrscheinlich

1160/1161 statt.105

2. Die „kaiserliche Würde“ Nemanjas

Obwohl der jüngste unter den Brüdern wird Nemanja auch mit einer nicht genauer

bestimmbaren „kaiserlichen Würde“ bzw. einem byzantinischen Titel durch Kaiser

Manuel I. Komnenos ausgezeichnet106.

Einige Kirchenhistoriker deuten diese Auszeichnung und die Belehnung mit Dubočica

als einen Hinweis dafür, dass in dem um 1150 geschlossenen Friedensvertrag

zwischen Kaiser Manuel I. und Nemanjas Vater Zavida auch eine Vereinbarung über

die Thronnachfolge getroffen sein könnte107.

Laut dieser Vereinbarung soll Nemanja als auserwählter Träger der „kaiserlichen

Würde“ die Thronnachfolge nach seinem Vater antreten, und die älteren Brüder

sollen sich mit ihren Erbschaftsanteilen und hohen heimischen Hoftiteln begnügen.

102 Diese Meinung vertreten z. B. P. Popović, B. M. Radojković, Vl. Ćorović. 103 Vgl. Anmerkung Nr. 5 und 5a bei B. Ferjančić, Stefan Nemanja u vizantijskoj ... (Stefan Nemanja in der byzantinischen ...), S. 32 104 Hl. Sava, a. a. O., S. 76-77 105 Vgl. V. Ćorović, a. a. O., S. 92 106 Vgl. S. Mandić, Carski čin … (Die Kaiserwürde …), S. 17 107 Ebd.

Page 32: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Diese Regelung ist zwar für die damalige Zeit nicht üblich, aber auch Kaiser Manuel

kommt als der jüngste Sohn an die Macht, indem er von seinem Vater, Kaiser

Johannes II. (1118-1143), zum Thronnachfolger ernannt wird.108

3. Die Auseinandersetzung mit den Brüdern

Auch Nemanjas ältere Brüder, Stracimir und Miroslav, erhalten Gebietsanteile, in den

sie als Fürsten (serbisch: knez, lateinisch: comes) herrschen. Bekannt ist, dass sich

die Herrschaftsgebiete der Fürsten Stracimir und Miroslav um den Fluss Zapadna

Morava bzw. in der Gegend Zahumlje/Hum befinden109.

Warum Nemanja seinem ältesten Bruder Tihomir den Thron streitig macht und sich

gegen das geltende Herrschaftsprinzip auflehnt, ist geschichtlich nicht klar

festzustellen.

Er wird beschrieben als „ehrgeizig und nicht gerade rücksichtsvoll“110, als ein

„siegreicher Herrscher und Krieger“111, ein „von allen bewunderter und gefürchteter

Herrscher“112, den Gott „eingesetzt hat, über das ganze serbische Land zu

regieren“.113

Die Vitenschreiber liefern dazu keine Informationen, halten jedoch fest, dass es

zwischen den Brüdern zum Konflikt kommt.114

Einer der Gründe für den Konflikt könnte die zwischen Zavida und Kaiser Manuel I.

vereinbarte Thronnachfolge Nemanjas sein, mit welcher die älteren Brüder nicht

einverstanden zu sein scheinen. Hinzu kommt, dass sie sich wegen der durch

Nemanja unternommenen Bauten von Kirchen und Klöstern gekränkt und

hintergangen fühlen.

108 Vgl. J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 10-11 109 Vgl. J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 12 110 V. Ćorović, a. a. O., S. 92 111 D. Popović, O nastanku kulta svetog Simeona (Über die Entstehung des Kultes des heiligen Simeon), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 356 112 Vgl. Hl. Sava, a. a. O., S. 36 113 Hl. Sava, a. a. O., S. 35 114 B. Ferjančić, a. a. O., S. 34

Page 33: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

33

Über diese ersten Kirchen- und Klosterbauten Nemanjas wird in beiden Viten

berichtet, wobei die von Stefan dem Erstgekrönten verfasste Vita Simeons zusätzlich

von brüderlichem Neid zeugt. Er beschriebt in ihr, wie Nemanja von seinem ältesten

Bruder Tihomir überlistet und gefangen genommen, gefesselt und „… in eine

Felsenhöhle, wie einst die Brüder den edlen Josef in eine Grube geworfen

hatten…“115 geworfen wird.

Nemanja setzt jedoch seine Hoffnung auf die Freiheit in die an den heiligen Märtyrer

Georg gerichteten Gebete und gelobt für den Fall seiner Freiheit als Gegenleistung,

dass er dem heiligen Georg eine Kirche spenden werde. Nach der gelungen Flucht

„… ging dieser heilige Mann unverzüglich daran, die Kirche des heiligen,

ruhmreichen und großen Märtyrers in Christus, Georg, mit Eifer und Hingabe zu

erbauen“116.

Tihomir sucht und findet nun Hilfe bei dem byzantinischen Kaiser, welcher ihm ein

von Theodoros Padiatos befehligtes Heer gegen Nemanja schickt.117

Nemanja gelingt es jedoch, das gegen ihn vorstoßende Heer bei Pantino 1168 zu

besiegen118, wobei auch sein Bruder Tihomir in den Fluten des Flusses Sitnica119

ums Leben kommt.

Das beschreiben Stefan der Erstgekrönte in seiner Vita Simeons, aber auch der

Historiker Niketas Choniates, ein Zeitgenosse, der über den Kampf berichtet und

zum ersten Mal namentlich Stefan Nemanja erwähnt.

Choniates beschreibt Nemanjas Bemühungen, sein Herrschaftsgebiet auszudehnen

und stellt fest, dass dieser zu stark geworden sei, sich gegen seine Brüder wende

und diese sogar „mit dem Schwert“ bekämpfe.120 Der Geschichtsschreiber führt aus,

115 Hl. Sava, a. a. O., S. 79 116 Hl. Sava, a. a. O., S. 81. Es handelt sich um die auf der Anhöhe bei Novi Pazar gebaute Kirche bekannt unter dem Namen „ðurñevi Stupovi“, die als eines der frühesten Denkmäler mittelalterlicher serbischer Baukunst gilt. In dem Kloster leben heute ca. 20 Mönche mit Hegumenos Petar Ulemek. Das ganze Komplex „ðurñevi Stupovi“ wird seit ca. 10 Jahren renoviert. 117 Ebd. 118 Ebd., vgl. Anmerkung Nr. 15, wonach J. Kalić diese Schlacht in ihrem Werk „Der serbisch-byzantinische Kampf im Jahr 1168“ untersucht hat. 119 Nach dem Kirchenhistoriker St. Stanojević hat die Schlacht in der Nähe des Dorfes Pantino (nördliches Amselfeld) 1169 stattgefunden (Nemanja, S. 105). Andere, wie J. Kalić, setzen die Schlacht um 1171/1172 an. 120 Ebd.

Page 34: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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dass Nemanja „… Kroatien unterworfen und auch die Macht in Kotor an sich

genommen hat“.121

Es wird angenommen, dass Nemanja nach der Schlacht bei Pantino und der

Unterwerfung der Brüder Stracimir und Miroslav um das Jahr 1170 zum serbischen

Großžupan wird122 und sich zum Alleinherrscher (ἐυτοκράτωρ123) erklärt. Die

Fürsten Miroslav und Stracimir erkennen die Alleinherrschaft Nemanjas an und sind

von nun an seine treuen Verbündeten.

4. Die Ausweitung des Landes

Aber Nemanja verfolgt nicht nur das Ziel, sein „Ahnenerbe“ wieder in sein

Herrschaftsgebiet einzugliedern. Nachdem er Zeta, den Küstenstreifen an der Adria,

welcher stets als des Großvaters-Erbe Nemanjas bezeichnet wird, und im Süden

Dalmatien an Serbien angliedert, dringt er in dem mit Bella III. geführten Krieg gegen

Byzanz bis nach Sredac/Serdika (Sofia) vor und erobert weitere byzantinische

Städte124.

Wohl in dem Bewusstsein, dass er alle diese Gebiete nicht dauerhaft halten kann,

macht Nemanja sie dem Erdboden gleich. Er zerstört und plündert sie und „ihren

Reichtum und Ruhm verwandelt er in den Reichtum und Ruhm seines Vaterlandes

und in den Ruhm seiner Würdenträger und Gefolgsleute“, wie das über diesen

Lebensabschnitt seines Vaters ausführlich Stefan der Erstgekrönte beschreibt:

„Denn der ehrwürdige und heilige Simeon zog mit dem ungarischen König und erreichte die Stadt Sredac, zerstörte sie und machte sie dem Erdboden gleich. Der ungarische König kehrte in sein Land zurück, er aber, der Heilige, wandte sich von ihm ab und zog mit seinen eigenen Streitkräften gegen die Festung Pernik, zerstörte und verwüstete sie, ferner die festen Plätze Stob, Zemen, Velbužd, Žitomisk, Skopje, Lješak im Unteren Polog, die Stadt

121 Ebd. 122 Vgl. K. Jireček, a. a. O., S. 149 Stefan Nemanja ist als Großupan im Anhang auf der Seite 100 zu sehen. 123 Diese Bezeichnung hat nach K. Jireček Stefan der Erstgekrönte eingeführt (vgl. Staat und Gesellschaft, S. 10). 124 Stojan Novaković, serbischer Kultusminister und Hochschulprofessor, hat 1877 zwei Studien - Zemljište radnje Nemanjine (Das Land aus Nemanjas Wirken) und „Srpske oblasti X. i XII. veka“ (Die serbischen Gebiete im X. und XII. Jahrhundert) – geschrieben mit dem Ziel, die serbischen mittelalterlichen Grenzen als das legitime Erbe nach der Befreiung von der osmanischen Herrschaft zu etablieren. Die Werke gelten bis heute trotz einiger Fehler als maßgeblich für die Feststellung des serbischen Territoriums aus der Nemanjiden Zeit.

Page 35: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Gradac, Prizren, das berühmte Niš, die Plätze Svrljig, Ravni und Koželj...Zum Gebiet seines Vaterlandes legte er den Bezirk von Niš gänzlich hinzu, auch Lipljan, Morava, das sogenannte Vranje, den Bezirk von Prizren, die beiden Pologs zur Gänze mit ihren Grenzgebieten.. Er erwarb Dioklitien und Dalmatien, sein Vaterland und sein Geburtsland, sein eigentliches Ahnenerbe, welches das griechische Volk mit Gewalt an sich gebracht hatte, genauso wie die hier von dessen Händen erbauten Burgen und Städte, ..., sie tragen folgende Namen: Danj, Sardoniki, Drivast, Rosaf, genannt Skadar, Svač, Ulcinj und die berühmte Stadt Bar. Kotor liess er stehen, befestigte es und verlegte seine Pfalz dorthin, die noch heute steht.“125

Aber auch im Küstengebiet unternimmt Nemanja 1184 und 1185 mit seinen Brüdern

Stracimir und Miroslav den Versuch, die gut befestigte und unter dem Schutz des

Normannenkönigs Wilhelm II. stehende Stadt Dubrovnik einzunehmen, was ihnen

jedoch nicht gelingt.126

Das von Nemanja zu Ende seiner Herrschaft regierte Gebiet umschreibt der Heilige

Sava folgendermaßen:

„Nachdem er das väterliche Erbe erneuert und es mit Gottes Hilfe und kraft seiner

ihm von Gott verliehenen Klugheit noch stärker gefestigt und sein in Verfall

geratenes Ahnenerbe wiederum aufgerichtet hatte, erwarb er vom Küstenland die

Zeta mit ihren Städten, von Rabno beide Pilots, vom griechischen Gebiet Patkovo,

ganz Hvostno und Podrimlje, Kostrac, Drškovina, Sitnica, Lab, Lipljan, Dubočica,

Reke, Uška und das Moravagebiet, Zagrlata, Levče und Belica. Mit Klugheit und

Arbeit erwarb er das alles, sein einst durch Gewalt verloren-gegangenes Ahnenerbe,

das, was ihm vom serbischen Land zustand.“127

Auffallend ist, dass beide Brüder die durch ihren Vater eingenommenen Gebiete als

Nemanjas legitimes Land ansehen, „einst durch Gewalt verloren gegangenes

Ahnenerbe“, und an keiner Stelle von Eroberungen fremder Landesteile sprechen.

125 Hl. Sava, a. a. O., S. 86-88. Zu den Ortsangaben siehe auch die entsprechenden Anmerkungen. 126 Vgl. J. Kalić, Istorija srpskog naroda u šest knjiga, Prva knjiga: od najstarijih vremena do Maričke bitke 1371 (Die Geschichte des serbischen Volkes in sechs Büchern, Das erste Buch: von frühester Zeit bis zu der Schlacht an der Marica 1371), SKZ, Beograd 1981, S. 253 127 Hl. Sava, a. a. O., S. 35-36. Zu den Ortsangaben vgl. Anmerkungen Nr. 14-31. Die Landkarte Serbiens zur Zeit Nemanjas ist im Anhang auf der Seite 101 abgebildet.

Page 36: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Auch Nemanja selbst beschreibt in der Schenkungsurkunde für das Kloster Hilandar,

wie er sein „Ahnenerbe“ erneuert, „in der Länge und Breite ausgeweitet“ und

wiederaufgebaut hat.128

Seit dieser Zeit gilt es als sicher, dass Nemanjas Staatsgebiet auf den zwei Teilen,

Raszien und dem Küstenland von Zeta, besteht. Diese Tatsache heben auch

Nemanjas Nachfolger in ihren Titeln hervor.129

Durch die Angliederung von Zeta und die Eroberungen benachbarter byzantinischer

Gebiete legt Nemanja nun das Fundament des geeinten, mittelalterlichen serbischen

Staates130. Besonders die sich im Tal der drei Morava-Flüsse befindlichen Gebiete

sollten sich wegen der dort verlaufenden strategisch wichtigen Straße nach

Konstantinopel als bedeutend für Nemanjas Staat erweisen.

Diese Straße ist eine lebendige Pulsader zwischen Ost und West, auf der politische,

wirtschaftliche, militärische und kulturelle Ströhmungen in beiden Richtungen bis zum

Niedergang Konstantinopels ausgetauscht werden.131

Somit liegt „der Verdienst des großen serbischen Staatsmanns Stefan Nemanja

darin, dass er seine Nachfolger auf ein Territorium aufmerksam gemacht hat, in

welchem sie sich dauerhaft niederlassen sollten.“132

Über die geographische Lage und die Flächengröße des serbischen mittelalterlichen

Staates schreiben zum ersten Mal auf wissenschaftlicher Grundlage K. Jireček und

Stojan Novaković zwischen 1877 und 1880.133

Besonders Stojan Novaković setzt sich in seinen Werken Zemljište radnje Nemanjine

(Das Land aus Nemanjas Wirken) und Srpske oblasti X. i XII. veka (Die serbischen 128 M. Blagojević, O „Zemljištu radnje Nemanjine“ (Über „Das Land aus Nemanjas Wirken“), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 72 129 Vgl. K. Jireček, a. a. O., S. 153 130 Vgl. J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 11 131 Vgl. M. Blagojević, a. a. O., S. 74 132 Ebd. 133 Vgl. M. Blagojević, a. a. O., S. 65

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Gebiete im X. und XII. Jahrhundert) mit den Territorien und Grenzen des serbischen

Staates zur Zeit Nemanjas und seiner Nachfolger auseinander.

Trotz einiger Fehler beschreibt S. Novaković im großen und ganzen das sich

zwischen der Adriaküste und dem Moravatal ausdehnende serbische Territorium zu

Nemanjas Zeit richtig und gibt auch die geographische Lage der eroberten und

zerstörten Städte meist präzise an.134

5. Kämpfe um die Unabhängigkeit Serbiens

Nemanjas 37 bzw. „ganze 38“ Jahre währende Regierungszeit ist durch ständige

Behauptungskämpfe geprägt, wobei er die Machtkämpfe zwischen Byzanz und den

benachbarten Staaten Ungarn, Bulgarien, Venedig sowie die Kreuzzüge für die

Befestigung seiner Stellung geschickt nutzt.

Aber Nemanja muss auch Niederlagen verkraften, darunter auch die um 1172. Als

sich nämlich die Verhältnisse zwischen Ungarn und Byzanz nach dem Tode des

ungarischen Königs Stefan III. am 4. März 1172 ändern und der in Byzanz erzogene

Bella III. an die Macht kommt, unternimmt Manuel I. Komnenos einen Feldzug gegen

die von Nemanja geführten Serben, welche die Heerstraße nach Byzanz zwischen

Belgrad und Niš bedrohen.135 Nemanja flüchtet zunächst in die Berge, ergibt sich

jedoch später dem byzantinischen Kaiser, damit – wie Niketas Choniates berichtet –

„die Macht nicht an diejenigen übertragen werde, die mehr Herrschaftsrechte hatten

als er, und welche er niedergeworfen hat, als er an die Regierung erhoben worden

war“.136

Manuel I. Komnenos nimmt Nemanja anschließend mit nach Konstantinopel. Der

Triumphzug wird in zwei byzantinischen Chroniken in Versdichtung beschrieben.137

134 Vgl. M. Blagojević, a. a. O., S. 72 Die Landkarte Serbiens zur Zeit Nemanjas ist im Anhang auf der Seite 101 abgebildet. 135 Vgl. ebd. Arnold von Lübeck berichtet über die Reise von Heinrich dem Löwen in das Heilige Land und serbische Überfälle auf der Heerstraße, in der Nähe der Stadt Ravno im Moravatal, im März 1172. 136 K. Jireček, a. a. O., S. 150 137 K. Jireček nennt hier, a. a. O., S. 151, Eustathios von Thessalonike und Konstantin Manasses.

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Wie lange Nemanja in Konstantinopel bleibt und wann er wieder nach Serbien

zurückkehrt, ist nicht bekannt. Offenbar dauert sein Aufenthalt in der Kaiserstadt

nicht lange, denn es steht fest, dass Nemanja nach der Rückkehr seine Herrschaft

fortsetzen kann. Er unternimmt keine neuen Aufstände mehr gegen Byzanz und

bleibt dem großen Kaiser Manuel I. bis zu dessen Tod im September 1180 treu.

Diese Zeit nutzt Nemanja, um die inneren Verhältnisse im Land zu klären und die

häretischen Bogumilen zu bekämpfen.138

Nach dem Tode Manuels I. gerät Byzanz von allen Seiten in Bedrängnis. In dem

herrschenden Chaos kann sich Alexios II., der minderjährige Sohn des verstorbenen

Kaisers, nicht behaupten und wird im Frühjahr 1182 von dem zwielichtigen Cousin

seines Vaters, Andronikos Komnenos, vom Thron verdrängt.139

Die byzantinischen Machtkämpfe sind den benachbarten Staaten Ostroms ein

willkommener Anlass, an der eigenen Selbständigkeit intensiv zu arbeiten und dafür

nach neuen Möglichkeiten zu suchen.

Der ehemalige Schützling Manuels I., der ungarische König Bella III., startet Angriffe

gegen die byzantinischen Gebiete in Norddalmatien und weitet sie auf die Grenze zu

Serbien bei Belgrad und Braničevo aus, als er hört, dass Andronikos die Witwe des

Kaisers ins Gefängnis geworfen hat. Als die Witwe im Jahr 1183 ermordet wird, setzt

Bella seine Angriffe mit der Unterstützung Nemanjas fort.140

Nachdem der neue byzantinische Kaiser Isaak II. Angelos (1185-1195) jedoch die

Tochter des ungarischen Königs heiratet, ändert sich die Situation, und Nemanja

muss nach neuen Verbündeten suchen.141

138 Zum Kampf gegen die Bogumilen siehe S. 49 ff. 139 Vgl. K. Jireček, a. a. O., 151-152 140 Ebd. 141 Vgl. B. Ferjančić, a. a. O., S. 38

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6. Nemanjas Begegnung mit Friedrich Barbarossa und Friedensvertrag mit Byzanz

Nemanja lässt keinen Versuch aus, um sein vereinigtes und vergrößertes Land so

gut es geht gegen die übermächtigen Nachbarn abzusichern. Als er erfährt, dass die

mächtigsten westlichen Herrscher einen neuen, dritten Kreuzzug zur Befreiung des

Heiligen Landes planen, und der deutsche Kaiser Friedrich I. Barbarossa dazu die

bekannte Heerstraße von Belgrad über Braničevo, Niš und Sophia nach

Konstantinopel mit seinen Kreuzrittern durchquären will, sendet er im Dezember

1188 eine serbische Delegation nach Nürnberg, die mit allen Ehren im kaiserlichen

Palast aufgenommen wird.142

Die Gesandten überreicht Barbarossa einen Brief Nemanjas, in welchem er dem

deutschen Kaiser mitteilt, ihn bei seinem Durchzug durch Serbien „in der

bekanntesten seiner Städte, die er zu der Residenz seines Landes machen“143

möchte, festlich empfangen und die Versorgung des gewaltigen Heeres nicht

behindern zu wollen.

Das etwa 12.000 – 15.000 Mann144 zählende Heer der Kreuzfahrer setzt sich am 11.

Mai 1189 in Bewegung, wobei die Meisten auf dem Landweg reisen. Der Kaiser fährt

zu Schiff auf der Donau bis zu der Festung Braničevo (heute Kostolac).

Etwa im Juni erreichen sie den nun bereits unabhängigen Staat Serbien.145

Nemanja hält seine in Nürnberg übermittelten Zusagen und bereitet dem deutschen

Kaiser mit seinem Bruder Stracimir einen festlichen Empfang Ende Juli in Niš.

Die Verhandlungen, den sich auch die bulgarischen Herrscher Peter und Johannes

Asen anschließen, beginnen am 27. Juli.146 Sowohl die Serben als auch die

Bulgaren verfolgen das Ziel, ein Bündnis mit dem deutschen Kaiser gegen Byzanz

abzuschließen, um sich so gegen eventuelle neue Ansprüche des oströmischen

Reiches abzusichern. Nemanja bietet dem deutschen Kaiser laut Ansbert sogar ein

Vasallenverhältnis an, wenn dieser ihm die Erhaltung des serbische Territoriums

142 J. Kalić, Istorija ... (Die Geschichte...), S. 256 Über das tragische Ende des von Friedrich Barbarossa geführten Kreuzzuges vgl. Ferdinand Opll, Friedrich Barbarossa, Darmstadt 21994, S. 155 ff. 143 Ebd. 144 Nach F. Opll (a. a. O., S. 164) hat die Forschung die früheren Quellenangaben von 100.000 Mann korrigiert. 145 Vgl. S. Runciman, Geschichte der Kreuzzüge, München 1983, S. 784 146 Vgl. J. Kalić, Istorija... (Die Geschichte...), S. 256. Die Autorin zitiert nach Ansbert, Historia 46.

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garantiert. Friedrich Barbarossa geht auf das serbisch-bulgarische Angebot jedoch

nicht ein, wohl um Ostrom nicht noch mehr zu verärgern. Um den freundschaftlichen

Beziehungen zu Serbien aber Nachdruck zu verleihen, erfolgt noch in Niš die

Verlobung eines Neffen Nemanjas mit der Tochter des Herzogs Berthold von

Andechs-Meranien. Es ist „zwar nicht eine staufische Eheverbindung, aber doch die

eines bedeutenden Reichsfürsten“.147

Als nun die Kreuzritter weiter ziehen, setzen die Serben und Bulgaren ihre Kämpfe

gegen Byzanz fort, um aus den Streitigkeiten zwischen dem byzantinischen Kaiser

und den Kreuzrittern möglichst großen Nutzen für ihre Länder zu ziehen.

Erst nachdem der byzantinische Kaiser Isaak II. Angelos am 14. Februar 1190 einen

Friedensvertrag mit den von Friedrich Barbarossa geführten Kreuzrittern schließt,

kann er serbische und bulgarische Angriffe stoppen.148

Als Nemanja laut Berichten von Nekitas Choniates bis nach Skopje vordringt,

unternimmt Kaiser Isaak II. Angelos einen Feldzug gegen ihn. Die entscheidende

Schlacht findet im Moravatal im Herbst 1190 statt,149 und Nemanjas Heer wird durch

die von Isaak II. Angelos geführten Streitkräfte besiegt.

Der gealterte Großžupan schließt Frieden mit Byzanz.150

Die Tatsache, dass beide Seiten einen formellen Friedensvertrag abschließen,

„bedeutet … die ausdrückliche Anerkennung des staatlichen Eigendaseins

Serbiens“151 durch das oströmische Reich.

Die Friedensbedingungen scheinen jedoch nicht so nachteilig für die Serben zu sein,

wie sie der Rhetor Niketas Akomminatos beschreibt, denn Nemanja kann den

wesentlichen Teil der eroberten byzantinischen Gebiete behalten.152

Somit ist sein Herrscherziel erreicht, denn „statt der Abhängigkeit eines

Vasallenstaates hat Nemanja für sein Land die Unabhängigkeit erreicht.“153

147 Vgl. Ferdinand Opll, a. a. O., S. 165 148 Vgl. K. Jireček, a. a. O., S. 157 149 Vgl. B. Ferjančić, a. a. O., S. 39 150 Ebd. 151 G. Ostrogorsky, a. a. O., S. 349 152 Vgl. K. Jireček, a. a. O., S. 157

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Weiter sieht der Friedensvertrag zwischen dem Großžupan und Kaiser Isaak II.

Angelos vor, dass Nemanjas mittlerer Sohn Stefan die Nichte des Kaisers Eudokia

heiraten und den hohen byzantinischen Titel eines Sebastokrators erhalten soll.154

Die stabilisierten Verhältnisse im Land und mit den benachbarten Staaten erlauben

es, dass Nemanja im März 1196 die Herrschaft über Serbien auf den mittleren Sohn

Stefan übertragen und so seine Regierungszeit zu Ende führen kann.

7. Nemanjas Residenz, Herrschaftsmethoden und Insignien

Seit Anfang des 12. Jahrhunderts wird der Sitz der serbischen Herrscher

wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen aus dem Küstengebiet der Zeta immer mehr

ins Landesinnere verlegt. So entwickelt sich der Ort Ras während Nemanjas

Regierungszeit zunehmend zu einem Zentrum und Residenz des serbischen

mittelalterlichen Staates.

Aufgrund archäologischer Ausgrabungen gilt es heute als erwiesen, dass Ras auf

den Ruinen der römischen Stadt Arse zur Zeit des Kaisers Justinian I. aufgebaut

wurde.155 Darüber berichtet der Geschichtsschreiber Prokopios von Kaisareia in

seinem Werk De aedificiis.156

Nemanja erbt sozusagen Ras von seinen Vorgängern, weil sich der Ort bereits in der

zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts als Residenz der serbischen Großžupane

behauptet hat.157 Über Ras als dem Sitz der serbischen Großžupane berichtet als

erster Johannes Kinnamos in seiner Beschreibung des Feldzugs des Kaisers Manuel

I. Komnenos gegen die Serben im Jahr 1151.

153 J. Kalić, Istorija ... (Die Geschichte ...), S. 259 154 Ebd. Vgl. auch G. Ostrogorsky, a. a. O., S. 349 155 J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 10 156 D. Mrkobrad, Stefan Nemanja i tradicija raškog episkopskog središta (Stefan Nemanja und die Tradition des Bischofszentrums in Ras), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 252, besonders Anmerkung Nr. 21 157 M. Popović, Vladarsko boravište Stefana Nemanje u Rasu (Die Residenz Stefan Nemanjas in Ras), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 234

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Der Ort Ras ist sicherlich auch deshalb für die Herrscher interessant, weil sich in der

Nähe der in Ras befindlichen Kirche der Heiligen Apostel Petrus und Paulus seit dem

10. Jahrhundert auch der Sitz der Bischöfe von Raszien befindet.

Die Bedeutung und das Alter der Petruskirche in Ras bezeugen auch byzantinische

Quellen. Sie wird in der zweiten Urkunde des Kaisers Basilios II. aus Mai 1020

erwähnt, die er an das Erzbistum in Ohrid schreibt.158 Als eine der wichtigsten

Quellen gilt der Brief des Erzbischofs von Ohrid, Demetrios Chomatian, aus Mai

1220 gerichtet an Sava, in welchem Chomatian von serbischen Bischöfen in Ras

spricht.159

Bezeichnend für Nemanjas Zeit ist jedoch, dass er durchaus auch in anderen

Städten Hofgebäude errichtet bzw. mindestens zeitweise in anderen Städten, wie

z. B. in der 1185 eingenommenen Stadt Kotor, residiert.

Über die Verlegung des Hofes nach Kotor schreibt Stefan der Erstgekrönte in der

Vita Simeons: „Kotor ließ er stehen, befestigte es und verlegte seine Pfalz dorthin,

die noch heute steht.“160

Die besondere Bedeutung von Kotor nach seiner Eingliederung in Nemanjas

Staatsgebiet ist auch in einem Beschluß des Stadtrates von Kotor aus dieser Zeit

bezeugt, in dem ausdrücklich festgehalten wird, dass er in der Regierungszeit

Nemanjas, des Großžupan von Raszien, gefasst worden ist.161

Aber Nemanja bezeichnet auch die Geburtsstadt Konstantins, das berühmte Niš, als

eine Stadt, die er zur Hauptstadt Serbiens machen möchte. Dieses Vorhaben kündigt

Nemanja in seinem Empfehlungsschreiben an Friedrich Barbarossa im Dezember

158 Vgl. D. Mrkobrad, a. a. O., S. 249 In der Einleitung der erwähnten kaiserlichen Urkunde ist festgehalten, dass die Diözese von Ras bis 1016 (Ende der Herrschaft des Königs Samuel) in der Jurisdiktion der bulgarischen Kirche war. Seit Basileios II. bis zur Einbeziehung in die autokephale serbische Kirche (1219) befindet sich Ras unter der Jurisdiktion des Erzbischofs von Ohrid. 159 Ebd. 160 Hl. Sava, a. a. O., S. 88 161 Vgl. J. Kalić, Istorija ... (Die Geschichte ...), S. 253

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1188 an, welches dem deutschen Kaiser an seinem Hof in Nürnberg von Nemanjas

Gesandten ausgehändigt wird.162

Nicht desto trotz bleibt Ras in der entscheidenden Phase der Staatsgründung und

Festigung und in dem folgenden Jahrhundert das weltliche und das geistige Zentrum

serbischer Länder.163

Nemanja lässt während seiner Herrschaft im Wesentlichen die in ihren Grundlagen

aus früheren Perioden bereits bestehenden Verwaltungsmethoden bestehen und

führt keine großen Veränderungen ein164. Als Großžupan befindet er sich an der

Spitze des Landes, wobei größere Gebietseinheiten von seinen Brüdern und Söhnen

verwaltet werden.

Bezeichnend ist, dass alle wichtigen Entscheidungen in einer kirchlich-staatlichen

Versammlung, einem Sabor (σύνοδος καì σύγκλητος), getroffen werden, an der auf

Einladung des Großžupan angesehene Adelige, führende Kirchenmänner und

Militärs und sonstige einflussreiche und bedeutende Persönlichkeiten teilnehmen.

Diese wichtige Einrichtung des serbischen Staates ist bereits vor Stefan Nemanja

entstanden, der Sabor erhält jedoch von ihm neue Impulse und eine größere

Gewichtung165.

Zu den wichtigen staatsmännischen Errungenschaften Nemanjas zählt, dass er

selbst als Ahnherr die eigentliche Herrschaftsideologie der ganzen Nemanjiden-

Dynastie begründet hat.

So schreibt Nemanja in der Gründungsurkunde für das Kloster Hilandar mit klaren

und knappen Worten, dass „jede Macht von Gott geschenkt sei, dass auch er diese

so erhalten und danach den Platz seines Staates in der Staatenhierarchie bestimmt

habe.“166

162 Vgl. J. Kalić, Istorija ... (Die Geschichte...), S. 256 163 Vgl. M. Popović, a. a. O., S. 245 164 Vgl. J. Kalić, Istorija ... (Die Geschichte ... ), S. 261 165 Vgl. J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 12 166 Ebd.

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Trotz seiner staatsmännischen Entschlossenheit und dem diplomatischen Geschick

ist Nemanja durchaus gewillt, sich auch bei den Regierungsgeschäften von den

Bischöfen beraten zu lassen und mit ihnen eng zusammenzuarbeiten.

Dieser Herrschaftsideologie entsprechen auch Nemanjas Kennzeichen der

staatlichen Macht.

Im Mittelalter gilt im allgemeinen, dass die Herrschaftsinsignien eine doppelte

Bedeutung haben. Sie sind einerseits „ein sichtbarer Ausdruck des Status eines

einzelnen Herrschers und Staates“167 und haben andererseits eine theologische

Bedeutung, indem sie „symbolisch die Verbindung zwischen Christus, der

Gottesgebärerin, den Heiligen, dem Herrscher und seinen Untergebenen

widerspiegeln.“168

Zu den wichtigsten geschichtlich bezeugten Insignien Nemanjas zählen der Thron169,

der Kranz170, das Brustkreuz171, die Lanze172 und das Schwert173, es sind jedoch

auch andere zu nennen, wie z. B. das Pferd, Festkleider, verschiedene Waffen

u.s.w.174

167 Vgl. S. Marjanović-Dušanić, Vladarski znaci Stefana Nemanje (Die Herrschaftsinsignien des Stefan Nemanja), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 77 168 Ebd. 169 Der Thron wird als Herrschaftszeichen am häufigsten erwähnt. Mit der Bezeichnung „das Gebiet des serbischen Thrones“ beschreibt Stefan der Erstgekrönte das von seinem Vater regierte Land. Vgl. auch Anmerkung Nr. 2, ebd. 170 Mit „Kranz“ ist eigentlich eine Krone als das sichtbare Symbol der himmlischen Gunst und gleichzeitig als das Symbol der Alleinherrschaft gemeint. Vgl. auch Anmerkung Nr. 3, ebd. 171 Nemanjas Brustkreuz mit der Partikel des Kreuzes Christi zählt zu einer der wichtigsten Insignien, der Wunderkräfte nachgesagt werden. Im Zusammenhang mit dem Kreuz vergleicht Stefan der Erstgekrönte seinen Vater mit Moses und mit Konstantin dem Großen, denn sowohl Moses, als auch Konstantin als auch Nemanja haben im Zeichen des Kreuzes Siege errungen. Nemanjas Brustkreuz wird zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Schlacht bei Pantino erwähnt. Vgl. S. Marjanović-Dušanić, a. a. O., S. 81 172 Die Lanze ist auch in anderen Teilen Europas zu den wichtigen Herrschaftsinsignien. 173 Das Schwert scheint eine der älteren Insignien zu sein, da es auch lange vor Nemanja als Siegeszeichen und Zeichen der Investitur gilt. Vgl. Vgl. S. Marjanović-Dušanić, a. a. O., S. 78, Anmerkung Nr. 6 174 Vgl. S. Marjanović-Dušanić, a. a. O., S. 78-79

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III. Das geistliche Leben Nemanjas und sein Verhältnis zu der Kirche

Von Anfang an steht Nemanja in einem engen und vertrauenswürdigen Verhältnis zu

der Kirche und ihren Hierarchen, die zu seiner Zeit Griechen sind und dem

Patriarchat Konstantinopel unterstehen. Er ist bestrebt, die Harmonie zwischen der

weltlichen und der geistigen Herrschaft stets im Gleichgewicht zu halten.

Alle Biographen beschreiben die tiefe und aufrichtige Religiosität des Großžupans,

die ihm bereits in seinem Elternhaus anerzogen wird.

Stefan der Erstgekrönte sagt sogar, dass Nemanja „von der Frömmigkeit und

Gottesfurcht seiner Eltern ernährt wurde“.175

Dabei ist es wichtig, dass Nemanja stets als ein Vorbild für sein Volk handelt, denn

„zuerst zeigte er an sich selbst die Frömmigkeit, dann lehrte er auch andere, weihte

Kirchen, gründete Klöster, hatte für die Bischöfe ein geneigtes Ohr, ehrte die

Priester, den Mönchen kam er mit großer Demut und Liebe entgegen...“176

In diesem Sinne erzieht Nemanja auch seine Söhne und beschwört sie, an der Treue

zum rechten Glauben und der Kirche festzuhalten. So identifizieren sich bereits seine

ersten Nachfolger mit dem Staat und der Kirche, später mit dem Königreich und dem

Erzbistum.177

1. Nemanja als Stifter von Kirchen und Klöstern

Wie kein serbischer Herrscher vor ihm, hält Nemanja den Bau von Kirchen und

Klöstern für eine Prioritätsaufgabe für sein Land. Welch große Bedeutung er den

sakralen Objekten zukommen lässt, sieht man auch an der Tatsache, dass seine

Stiftungen auch heute noch bestehen und ein bewunderswertes Zeugnis seines

Wirkens darstellen.

Die monumentale Bauweise sakraler Objekte beginnt in Serbien erst mit Nemanja,

denn Kirchen gebaut vor seiner Zeit sind von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie

175 Hl. Sava, a. a. O., S. 76 176 Hl. Sava, a. a. O., S. 36 177 Vgl. I. Božilov, a. a. O., S. 51

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z. B. der Petruskirche in Ras, kaum erhalten. Mit dem Beginn des monumentalen

Baus geht die Bildung des neuen Denkmaltyps einher, genannt die serbische Schule

von Raszien, die während der zweiten Hälfte des 12. und über das gesamte 13.

Jahrhundert in Serbien führend bleibt.178

Es steht somit fest, dass Nemanjas Stiftungen „die kulturelle Landschaft verändert

und die bis dahin gänzlich vernachlässigten Landesteile durch schöne Kirchenbauten

geschmückt haben.“179

Auch bei der Ausschmückung der Gotteshäuser setzt Nemanja als Stifter höchste

Maßstäbe, so dass die Ikonen- und Freskomalerei bis heute weltweite Anerkennung

findet.

Der eigene architektonische Baustiel entsteht als eine Synthese der byzantinischen

und romanischen architektonischen Lösungen und ist bereits bei der ersten Stiftung,

dem Kloster des hl. Nikolaos in Toplica, erkennbar. Der neue Stil setzt sich noch

deutlicher bei dem Kloster des heiligen Georg in Ras fort, welches deshalb als „das

erste Denkmal des Raszien-Stils“ gilt.180

Schließlich findet sich in der Bauart der Muttergotteskirche von Studenica die

Bestätigung, dass Nemanjas Stiftungen eigene architektonische und künstlerische

Lösungen aufweisen und eine „wohlüberlegte schöpferische Orientierung, … eine

bauliche Symbiose des byzantinischen und romanischen Stils“181 repräsentieren.

Nemanjas Stiftungen fördern außerdem die mittelalterliche Kunst in Serbien und „ihre

Originalität, Eigenständigkeit ist ein Ergebnis ihrer Schöpfer und Stifter und Meister

und der allgemeinen geschichtlichen Bedingungen des serbischen Staates, der

Kirche und Kultur, aber auch der komplizierten Umwälzungen und früherer

Zusammenstöße der Zivilisationen im Mittelmeerraum und auf dem Balkan.“182

178 Vgl. Jovan Nešković, Neka otvorena pitanja o crkvenom graditeljstvu u doba Stefana Nemanje (Einige offene Fragen über den Kirchenbau zur Zeit Stefan Nemanjas), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 199 179 S. Ćirković, Srbi u srednjem veku (Die Serben im Mittelalter), Beograd 1997, S. 126 180 Vgl. Jovan Nešković, a. a. O., S. 201 181 Ebd. 182 Vgl. J. Maksimović, Parasinus graecus 83 i grupa južnoitalijanskih rukopisa (Parasinus graecus 83 und eine Gruppe süditalienischer Handschriften), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni

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47

Wenn wir bedenken, wie klein das mittelalterliche Serbien im Vergleich zu seinen

mächtigen Nachbarn ist, muss uns doch bereits die Anzahl der Stiftungen Nemanjas

umso imponsanter erscheinen.

Der heilige Sava zählt die während Nemanjas Herrscherzeit gestifteten Gotteshäuser

auf: „Er selbst gründete Klöster: zunächst in Toplica das des hl. Vaters Nikolaos, und

ein zweites ebenda der hl. Gottesmutter in Toplica (zu Ehren); dann wiederum

erbaute er das Kloster des hl. Georg in Ras…Nach diesen errichtete er dies unser

heiliges Kloster, weihte es unserer allerheiligsten Gebieterin…“183

Hinzu kommt noch „eine ganze Reihe weiterer Gotteshäuser“184, wie z. B. die dem hl.

Panteleimon in Niš gewidmete Kirche, die Gottesmutterkirche in Bistrica (Voljevac)185

oder die Erzengel-Michael Kirche in Skopje.

Seine Stiftungen und Spenden widmet Nemanja in tiefer Frömmigkeit Gott als Dank

für die erhörten Gebete. Die Bauten sollen jedoch auch als bleibende Denkmale an

wichtige Ereignisse in Nemanjas Leben erinnern.

So gilt, wie bereits geschildert, der Bau des dem heiligen Georg gewidmeten Klosters

bei Ras als Nemanjas Dank für die Befreiung aus der Gefangenschaft, es steht aber

auch symbolhaft für die Machtübernahme Nemanjas und seine Erhebung zum

Großžupan dar.186

Auch die Erbauung des Klosters Studenica erfolgt sowohl aus religiösen als auch

aus privaten Motiven. Nemanja widmet Studenica der Muttergottes aus Dankbarkeit

für die erfolgreiche Verteidigung des rechten Glaubens von häretischen Lehren und

die Verfestigung des Staates, sowie „als Niederlassung und Pflanzstätte des

skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 264 183 Hl. Sava, a. a. O., S. 36-37. Mit “dies unser heiliges Kloster” ist Studenica gemeint. 184 Vgl. J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 14. Die Stiftungen Nemanjas sind inzwischen ein eigenes Forschungsgebiet geworden. Darüber haben insbesondere V. Petković, A. Deroko, ð. Bošković, V. Korać, J. Nešković, D. Bogdanović u.v.a.m. geschrieben. 185 Vgl. S. Ćirković, Preci Nemanjini i njihova postojbina (Nemanjas Vorfahren und ihre Heimat), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 26-27 186 Vgl. Jovan Nešković, a. a. O., S. 202

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Mönchtums.“187 Außerdem bestimmt er die Muttergotteskirche in Studenica zu

seiner Grabeskirche, in welcher auch seine Nachfahren bestattet werden sollen.

Der Klosterkomplex Studenica und insbesondere Nemanjas Grabeskirche der

Gottesmutter, in welcher sich heute die Reliquien des heiligen Simeon befinden,

waren und sind „ein sakraler Raum Serbiens von äußerster Bedeutung… ein Ort

geistiger Versammlung, das religiöse und politische Zentrum von weiter und

dauerhafter Bedeutung.“188

Heute noch empfinden die Pilger diese Stiftung Nemanjas als einen ganz

besonderen Ort, in welchem es, ausgenommen Altar, „keinen heiligeren Platz als die

Grabesstätte des heiligen Simeon Nemanja“ gibt.189

Neben der ausgeprägten Stiftertätigkeit spendet Nemanja reiche Gaben an

zahlreiche Gotteshäuser außerhalb des Landes, wie z. B. an das Kloster der

Gottesmutter Evergetis – der Wohltäterin in Konstantinopel, die Kirchen des heiligen

Demetrios in Thessalonike, der hl. Apostel Petrus und Paulus in Rom, des heiligen

Nikolaos in Bari, des heiligen Johannes am Jordan, des heiligen Theodosios in

Palästina, an die Kirche der heiligen Auferstehung zu Jerusalem und viele andere

Kirchen.190

Sein bemerkenswerter Hang für den Kirchenbau und die zahlreichen Spenden an

Gotteshäuser sind sogar zu einem Thema in der Volksdichtung geworden.

Der Philologe und Reformator der serbischen Sprache, Vuk Karadžić (1787 – 1864),

hält in seinen Gesammelten Werken auch die durch die Jahrhunderte mündlich

überlieferten epischen Dichtungen über Nemanja fest.

Eines dieser Gedichte trägt die Überschrift „Kud se dede car Nemanje blago?“ (Was

geschah mit den Reichtümern von Kaiser Nemanja?). Diese Frage, aufgeworfen bei

einem Sabor im Kloster Gračanica, beantwortet der heilige Sava und erklärt: „Vater

187 Vgl. Hl. Sava, a. a. O., S. 35, 89 Auch R. Marinković, a. a. O., S. 133 188 Vgl. J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), … , S. 17 189 Vgl. V. J. ðurić, Ikonografska pohvala svetom Simeonu Nemanji u Studenici (Ikonographisches Lob an den heiligen Simeon Nemanja in Studenica), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 267 190 Vgl. N. Velimirović, a. a. O., S. 17

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hat die Reichtümer nicht in Streitäxte und Keulen verhämmern lassen, … sondern

gänzlich für den Bau vieler Stiftungen verbraucht..., für das Pflastern von Wegen,

den Brückenbau und für milde Gaben an Kranke und Blinde“191

Für Stefan Nemanja steht fest, dass neben dem rechten Glauben auch die Bildung

wichtig für sein Volk ist. So spielt sein Wunsch, das Volk aufzuklären, eine große

Rolle beim Bau von Klöstern und Kirchen, denn sie sind im Mittelalter Zentren, in den

auch verschiedene Wissenschaften unterrichtet werden und sogar medizinische

Versorgung für die Bevölkerung organisiert wird.

2. Nemanjas Kampf gegen die Bogomilen192

Als die bogomilischen Irrlehren den Balkan erreichen, ist entschlossenes Handeln

auch in Serbien gefragt.

a) Die Bogomilen-Häresie193 auf dem Balkan

Das erste bekannte Zeugnis über die durch den bulgarischen Popen Bogomil

gegründete Häresie auf dem Balkan ist ein zwischen 933 und 956 geschriebenes

Dokument des Patriarchen Theophylaktos von Konstantinopel (Sohn des Kaisers

Romanos Lakapenos) an seinen Schwager, den bulgarischen Kaiser Peter194.

191 Vgl. N. Milošević-ðorñević, Stefan Nemanja u srpskoj narodnoj književnosti (Stefan Nemanja in der serbischen Volksliteratur), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 414. Auch Grußwort von M. Pantić, a. a. O., S. 2. 192 Auch „Bogumilen“ genannt, übersetzt „Die, die Gott gefallen“ oder „von Gott geliebt“. Als Bogomilen-Gründer gilt der „Pope Bogomil“, der z. Z. des bulgarischen Kaisers Peter seine Irrlehren verbreitet. Sie werden in serbischen Quellen ab dem 13. Jh. auch als „Babunen“ bezeichnet. Zu Kurzgeschichte der Bogomilen siehe auch Enciklopedija pravoslavlja (Die Enzyklopädie der Orthodoxie) Bd. 1, Beograd 2002, S 218. Nach G. Ostrogorsky sind „die Sekten der Bogomilen, Babunen, Patarener, Katharer, Albigenser, wie auch ihrer kleinasiatischen Vorgänger, verschiedene Äußerungsformen einer großen Bewegung, die sich von den Gebirgen Armeniens bis nach Südfrankreich hindehnt…“ (Geschichte des byzantinischen Staates, S. 222) 193 G. Ostrogorsky beschreibt die Bogomilen auf dem Balkan folgendermaßen: „Gleich dem Paulikianismus, der seinerseits auf den alten Manichäismus zurückgeht, ist der Bogomilismus eine dualistische Lehre, nach der die Welt von zwei Prinzipien, dem Guten (Gott) und dem Bösen (Satanael) regiert wird und der Kampf zwischen den beiden entgegen gesetzten Mächten das gesamte Weltgeschehen und jedwedes Menschenleben bestimmt… Sie (die Bogomilen) verwerfen aufs schärfste jeden äußeren Kult, jeden kirchlichen Ritus, ja die gesamte christliche Kirchenordnung. Die bogomilische Auflehnung gegen die herrschende Kirche bedeutete zugleich auch eine Ablehnung der bestehenden Weltordnung, deren mächtige geistige Stütze die Kirche war.“ (Geschichte des byzantinischen Staates, S. 221 f.) 194 Vgl. A. Solovjev, Svedočanstva pravoslavnih izvora o bogomilstvu na Balkanu (Zeugnisse orthodoxer Quellen über das Bogomilentum auf dem Balkan), Sarajevo 1953, S. 2. Nach H.-G. Beck (Geschichte der orthodoxen Kirche im byzantinischen Reich, S. D124) hat der Kaiser seinen 16-jährigen Sohn gegen den

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In diesem Brief, in welchem die Bogomilen als den Paulikianern nahe stehende

Ketzer bezeichnet werden, beantwortet der Patriarch die besorgten Fragen des

Kaisers bezüglich des Umgangs mit dieser neuartigen Häresie195.

Der Patriarch beruft sich auf Artikel 19 des Konzils von Nikäa und rät dem Kaiser,

dass er die Ketzer in drei Gruppen unterteilen und entsprechend gegen sie vorgehen

soll. In die erste Gruppe sind Führer und Lehrer, die der Irrlehre abschwören, zu

zählen. Sie müssen erneut getauft werden, wobei frühere bogomilische Priester

jedoch ihre Priesterwürde verlieren.

Zu der zweiten Gruppe sind Gefolgsleute zu zählen, die bei Abwendung von der

Häresie nicht erneut zu taufen, sondern nur zu salben sind. Schließlich gehören in

die dritte Gruppe Menschen, die aus Unwissen zu den Lehrern und Führern geraten

sind, weil sie diese für Asketen und gute Menschen hielten196.

In dem Dokument empfiehlt der Patriarch jedoch, dass gegen die gänzlich

unbelehrbaren Ketzer mit Milde vorgegangen werden solle, obwohl weltliche Gesetze

gegen diese eigentlich die Todesstrafe vorsehen, und sendet dem Kaiser eine

vollständige Anathematismenformel für die Häretiker197.

Neben dem Brief des Patriarchen Theophylaktos stellt die Rede des bulgarischen

Presbyters Kosmas ein weiteres wichtiges Zeugnis über die Bogomilen-Häresie dar,

das der Nachwelt einen vollständigen Bericht über die bogomilischen Lehren liefert,

die Kosmas jedoch hauptsächlich aus bulgarischer Sicht schildert.198

Widerstand kirchlicher Kreise zum Patriarchen ernennen lassen. Als Verfasser des erwähnten Dokuments nennt Beck Chartophylax Joannes. 195 Vgl. H.-G. Beck, Geschichte der orthodoxen Kirche im byzantinischen Reich, Göttingen 1980, S. D124. Nach A. Solovjev (Svedočanstva… - Zeugnisse…, S. 5) hält der Patriarch die Bogomilen-Irrlehren u. a. wegen ihrer Christologie, der Ablehnung des Alten Testaments sowie des ausgeprägten Antimaterialismus und der Ablehnung der Ehe als einen seiner Urform, dem Manichianismus, nahe stehenden Doketismus. 196 Vgl. A. Solovjev, a. a. O., S. 3 197 Ebd. 198 Vgl. S. Runciman, Häresie und Christentum, München 1988, S. 89 ff.

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b) Die Bogomilen in Byzanz

Die Sekte beschränkt sich aber nicht auf ein Gebiet und breitet sich auch in Byzanz

stark aus. Da sie sich nicht nur gegen die kirchliche sondern auch gegen die

kaiserliche Autorität auflehnt und sogar Anhänger in den höchsten Kreisen der Kirche

und des Adels findet, muss Kaiser Alexios I. Komnenos Anfang des 12. Jahrhunderts

in Konstantinopel gegen die Bogomilen energisch vorgehen. Er stellt ihrem Anführer,

einem bulgarischen Mönch Namens Basilios, eine Falle, indem er ihn zunächst

ehrenvoll behandelt, in den Palast einlädt und für die bogomilischen Lehren

angeblich Interesse zeigt.199 Der getäuschte Basilios schildert dem Kaiser ausführlich

den Bogomilismus, was von einem versteckten Sekretär des Kaisers penibel

festgehalten wird. Die eigenen Worte werden nun Basilios zum Verhängnis.

Trotz vieler Versuche des Kaisers persönlich will Basilios nicht widerrufen, er wird

schließlich von der heiligen Synode verurteilt und auf dem Scheiterhaufen im

Hippodrom verbrannt200.

Aufgrund der Aufzeichnung der von Basilios vorgetragenen Lehren des

Bogomilismus lässt der Kaiser von dem Theologen Euthymios Zigabenos (oder

Zigadenos) eine Beschreibung dieser Häresie erstellen, die in der Panoplia

Dogmatica (πανοπλία δογµατική)201, die neben Kosmas Rede als der zweite

vollständige Bericht über diese Häresie gilt, festgehalten ist.202

Möglicherweise hat die intensive Erfahrung mit dem Bogomilismus den Kaiser

Alexios I. motiviert, sich noch mehr für die Reinheit des rechten Glaubens und des

christlichen Lebenswandels einzusetzen und die streng asketischen Klöster auf dem

Heiligen Berg Athos ganz besonders zu unterstützen und zu fördern.203

Nachdem die bogomilische Häresie in einem Väterkonzil unter dem Vorsitz des

199 Vgl. S. Runciman, Häresie.., S. 93 200 Ign. v. Döllinger, Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters, Erster Teil: Geschichte der gnostisch-manichäischen Sekten, München 1890, S. 37. Auch S. Runciman, a. a. O., S. 94 201 Es handelt sich um ein Sammelwerk mit 28 τίτλοι, das zum Ziel hat, alle Häresien zu widerlegen. Vgl. H.-G. Beck, Kirche und theologische Literatur im Byzantinischen Reich, München 21977, S. 614 202 Diese Information stammt von Anna Komnene, die ebenfalls eine erfahrene Theologin war. Sowohl sie als auch Euthymios Zigabenos waren sich sicher, dass die bogomilische Häresie aus einer Vermischung der paulikianischen mit der messalianischen oder euchitischen entstanden und sich hauptsächlich unter unzufriedenen Bauern verbreitet hat. Vgl. S. Runciman, Häresie ..., S. 96-118 203 Vgl. G. Ostrogorsky, a. a. O., S. 315

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Patriarchen Nikolaos III. Grammatikos (1084 - 1111) verurteilt, und auch von den

späteren byzantinischen Kaisern hart bekämpft wird, verlassen ihre Führer und

Anhänger vermehrt Konstantinopel und ziehen in den Westen.

Der Anführer der Bogomilen aus Konstantinopel, der sogenannte Papst Niketas,

organisiert nach der Flucht 1167 eine Synode in St. Felix de Caraman in der Nähe

von Toulouse, in welcher er als Vertreter von sieben Gemeinden in Kleinasien und

fünf auf dem Balkan auftritt204.

c) Die Bogomilen in Serbien

Die Vorgeschichte der bogomilischen Häresie in Serbien ist nicht bekannt. Es gilt

jedoch als sicher, dass die ungeordneten kirchlichen Verhältnisse in den serbischen

Gebieten die Ausbreitung der Häretiker aus Nord-Makedonien nach Serbien

begünstigt haben, denn in Nord-Makedonien befindet sich seit der zweiten Hälfte des

12. Jahrhunderts eines der wichtigsten Zentren der extrem orientierten Dualisten205.

Die wichtigsten Zeugnisse über Nemanjas Kampf gegen die Bogomilen erhalten wir

wiederum von seinen beiden Söhnen und den Mönchen Domentijan und Teodosije.

Sowohl in diesen als auch in anderen serbischen Quellen aus dem 12. Jahrhundert

wird jedoch nicht ausdrücklich von den Bogomilen gesprochen, und die Irrlehre, die

Nemanja so gnadenlos bekämpft, nicht ausdrücklich als die bogomilische

bezeichnet. Die Häresie wird stets als „die dreimal verfluchte Häresie“, „der

verhasste, bösartige Irrglaube“, „der verfluchte, hinterlistige Glaube“ oder einfach als

„Häresie“ bezeichnet, weil es in dieser Zeit nur diese eine Irrlehre gibt, die in solchem

Ausmaß verbreitet ist. In der Tat fällt es den rechtgläubigen Christen, die ihrer

Bedeutung nach positive Bezeichnung „Bogomili - Die Gott gefallen“ für ihre Gegner

zu verwenden, dessen Lehren sie bekämpfen und ausrotten wollen.

Deshalb bezeichnet auch der Presbyter Kosmas die Bogomilen in seinem Traktat als

„Bogomrski - „Die Gott verhassten“.206

204 Vgl. Ign. v. Döllinger, a. a. O., S. 122-123. Auch S. Runciman, Häresie ..., S. 95 205 D. Dragojlović, Bogomilstvo na Balkanu i u Maloj Aziji i bogomilski rodonačelnici (Das Bogomilentum auf dem Balkan und in Kleinasien und bogomilische Anführer), Beograd 1974, S. 104 206 A. Solovjev, a. a. O., S. 23

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Da der heilige Sava in seiner Vita Simeons vorwiegend über Nemanjas Leben als

Mönch Simeon berichtet, erwähnt er nur allgemein, dass Nemanja sich auch für die

rechte christliche Lehre eingesetzt hat: "Denn er bestärkte und belehrte die Herzen

aller und unterwies uns, wie rechtgläubige Christen den wahren Glauben an Gott zu

halten haben."207 In seinen anderen Werken jedoch, wie dem Nomokanon208,

schreibt er ausführlich über den Einsatz seines Vaters gegen die Häresie. Ebenso

betont er in seiner Ansprache vor dem Kaiser Theodoros I. Laskaris in Nikaia im Jahr

1219 anlässlich seines Ersuchens um die Autokephalie für die serbische Kirche,

dass „Nach Gottes Willen … die böse Häresie durch meinen Vater und mich aus

unserem Land und von unserem Volk vertrieben wurde und der orthodoxe Glaube

verstärkt und vermehrt wird.“209

Stefan der Erstgekrönte erbt als Nachfolger seines Vaters auch das vorhandene

Staatsarchiv. Somit kann er Nemanjas Einsatz für den rechten Glauben in der Vita

Simeons viel ausführlicher beschreiben.

Nachdem Nemanja von einem "rechtgläubigen Soldaten" unterrichtet wird, "dass ein

verhasster Glaube und eine dreimal verfluchte Ketzerei" in seinem "Herrschafts-

bereich Wurzel zu schlagen beginnt", beruft er "ohne zu zögern, in Eile seinen

Bischof Jeftimije, die Mönche mit ihren Hegumenoi, die hochwürdigen Priester, die

Ältesten des Volkes und seine Großen (des Landes), vom niedrigsten bis zum

höchsten"210.

In diesem kirchlich-staatlichen Sabor, den die meisten Kirchenhistoriker zwischen

1172 und 1180211 ansetzen, berichtet Nemanja den Anwesenden, wie er gerade

vernommen hat, dass "der Bösewicht vor kurzem hier Wurzel geschlagen, den

207 Hl. Sava, a. a. O., S. 36 208 Der ursprüngliche Nomokanon wurde bereits z. Z. des hl. Methodios im 9. Jh. in das Kirchslawische als eine Sammlung kirchlicher und kaiserlicher Normen und Gesetze übersetzt. Der heilige Sava hat im Kloster Studenica und im Kloster Philokalou in Thessalonike weitere Kanones und Kommentare, wie z. B. den nach Patriarch Photios benannten Nomokanon aus 883 u. a., übersetzt, bearbeitet und zusammengestellt, so dass ein neuer Nomokanon, genannt „Krmčija bzw. Zakonopravilo Svetoga Save“ (Der Nomokanon des heiligen Sava) entstanden und später für die serbische Kirche verbindlich geworden ist. Der Nomokanon des heiligen Sava wird im 13. Jahrhundert auch in Bulgarien, Russland und Rumänien angewendet. Siehe dazu A. Solovjev, a. a. O., S. 32 und Enciklopedija pravoslavlja, Bd. 1, S. 1053-1054. 209 Zitat nach A. Solovjev, a. a. O., S. 30 210 Hl. Sava, a. a. O., S. 84 211 Vgl. J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 10. Der Sabor fällt in den Zeitraum nach der Schlacht bei Pantino und vor der Krönung des Kaisers Andronikos.

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Heiligen Geist gelästert, die unteilbare Gottheit geteilt, wie es der törichte Arius

lehrte, indem er die wesenseinheitliche Dreifaltigkeit gespalten"212 hatte.

Es wird angenommen, dass Nemanja diese Definition der bogomilischen Häresie von

seinem griechischen Bischof Jeftimije (Euthymios) übernommen hat, der sich wohl

für den Sabor und die Auseinandersetzung mit der gefährlichen, „radikal

kirchenfeindlichen Sekte“213 mit dem Werk Panoplia Dogmatica des Euthymios

Zigabenos vorbereitet hat214.

Laut der Beschreibung Stefan des Erstgekrönten hat es in diesem Sabor eine

Beratung bzw. einen Disput oder eine Art Gerichtsverhandlung über den Irrglauben

gegeben, denn er schildert ferner, wie eine Adelsfrau vor dem Rat über den

Irrglauben ihres Ehemanns berichtet:

"Fürwahr, mein Herr, laut Ehegesetz hatte man bei meinem Vater, deinem Diener,

um meine Hand angehalten, er war der Meinung, in deinem Reich gäbe es nur eine

Religion. Ich geriet jedoch an Ketzer und sah, dass sie in Wirklichkeit dem Satan

selbst dienen, der von der Ehre Gottes abgefallen ist... Und der Heilige stellte sie vor

seinen Rat, der zusammengetreten war, um über diesen teuflischen Unglauben zu

Gericht zu sitzen."215

Möglicherweise wollen die Bogumilen sogar einen politischen Umsturz in Serbien

durchführen. So ist S. Runciman z. B. der Meinung, dass sie „…die von ihren

Lehrern befohlene Politik des passiven Widerstands verwarfen und unter der

Führung einer Anzahl von Adligen zu den Waffen griffen“.216

Der eingesetzte Rat diskutiert nun „über diesen teuflischen Glauben“, entlarvt und

verurteilt die Irrlehren nach byzantinischen Vorbildern. Offenbar sind die Bogumilen

nicht bereit, die Beschlüsse anzunehmen und ihren Irrlehren abzuschwören bzw. das

Land freiwillig zu verlassen, denn sie „antworten auf die Beschlüsse des Sabor mit

einem Aufstand, so dass es in Nemanjas Land zu einem Glaubenskampf kommt.“217

212 Hl. Sava, a. a. O., S. 84 213 G. Ostrogorsky, a. a. O., S. 221 214 Vgl. A. Solovjev, a. a. O., S. 20. Auch H.-G. Beck, Kirche und ..., S. 341 215 Hl. Sava, a. a. O., S. 85 216 Vgl. S. Runciman, Häresie ..., S. 125 217 G. Mikić, Pregled istorije hrišćanske crkve, II. Srpska Crkva (Geschichtsübersicht der christlichen Kirche, II. Die Serbische Kirche), Sremski Karlovci 1936, S. 11

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Nemanja geht sodann hart und entschieden gegen die Ketzer vor. Er sendet seine

besten Soldaten und bestraft sie grausam, wie es die Gesetze seiner Zeit erfordern.

Stefan der Erstgekrönte schildert die Bestrafung trocken und ohne Beschönigungen:

"Die einen übergab er dem Feuertod, andere belegte er mit verschiedenen Strafen,

andere wiederum vertrieb er aus seinem Reich, beschlagnahmte ihr Hab und Gut

und verteilte es an Aussätzige und Bettler. Ihrem Lehrer und Führer schnitt er die

Zunge aus dem Gaumen, der Christus, den Sohn Gottes, nicht verkünden wollte. Die

ketzerischen Bücher verbrannte er, ihn vertrieb er des Landes und verbot, seinen

dreimal verfluchten Namen jemals wieder zu nennen oder seiner je zu gedenken.

Und mit Stumpf und Stiel rottete er diese verfluchte Ketzerei aus, dass sie in seinem

Reich niemals mehr jemandem in den Sinn komme..."218

Trotz dieser drastischen Maßnahmen und der Tatsache, dass die meisten Bogomilen

nach Bosnien und in andere Länder ziehen, sind sie in Serbien nicht gänzlich

vernichtet, so dass auch Nemanjas Söhne weiter gegen sie vorgehen müssen.

Das belegt u. a. auch die Ansprache des heiligen Sava am zweiten Tag des Sabors

im Kloster Žiča am 21. Mai 1221, die als die Unterweisung über den rechten Glauben

und die Verurteilung der bogomilischen Häresie bekannt ist.219

Die bogomilische Häresie hat über mehrere Jahrhunderte den orthodoxen Glauben

nicht nur in kleineren Staaten gefährdet, sondern auch ernsthafte Probleme im

byzantinischen Reich und in der lateinischen Kirche verursacht.

„Das große Verbreitungsgebiet … und die lange Dauer ihres Bestehens machen

diese religiöse Bewegung zum bedeutendsten religionsgeschichtlichen Phänomen

vor der Reformation und zur letzten religiösen Ost-Westbewegung.“220

Auch die lateinische Kirche verurteilt die bogomilischen Lehren in mehreren

Konzilien, gründet als Gegenbewegung zu den Bogomilen die Orden der

Dominikaner und Franziskaner und ruft schließlich mit den Verfolgungen der Sekte

218 Hl. Sava, a. a. O., S. 86 219 Vgl. dazu die Viten Savas von Domentijan und Teodosije. Siehe auch Srpski državni sabori u srednjem veku (Die serbischen Staatsversammlungen im Mittelalter) von N. Radojčić. Am ersten Tag des Sabors wird Serbien zum Königreich ausgerufen und Nemanjas Sohn Stefan zum König gekrönt. 220 Vgl. Hl. Sava, a. a. O., Anmerkung Nr. 62, S. 154

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im Jahr 1233 die päpstliche Inquisition ins Leben.221

Diese Tatsachen verdeutlichen uns, welch große Bedeutung dem Kampf Nemanjas

gegen die Bogomilen nicht nur für die serbische Kirche zukommt, die ihm deshalb

große Hochachtung zollt.

Das ist auch daran zu erkennen, dass der erwähnte Sabor gegen die Bogomilen

ikonographisch in vielen Kirchen und Klöstern Serbiens dargestellt ist, wie z. B. in

dem Kloster Sopoćani222 oder in der Kirche des heiligen Achillios in Arilje223.

In Arilje ist Nemanjas Sabor unter dem Ersten ökumenischen Konzil als eine klare

Gegenüberstellung der Rechtgläubigen und der sogenannten „Halbgläubigen“

dargestellt.224

Auch in Sopoćani ist neben den sieben ökumenischen Konzilen der Sabor des

Stefan Nemanja gegen die Bogumilen zu sehen. „Zweifellos wollte man durch die

Einführung eines einheimischen Sabor in den Zyklus ökumenischer Konzilien

hervorheben, wie bedeutend Nemanjas Bestrebungen sind, den rechten Glauben zu

bewahren und die Häresie im serbischen Staat auszurotten.“225

3. Abdankung und Thronnachfolge

In den letzten Jahren seiner Herrschaft sorgt Nemanja dafür, dass sein wieder

aufgerichtetes „Ahnenerbe“ in sicheren Händen bleibt, und der rechte Glaube in

seinem Land noch stärkere Wurzeln im Volk schlägt. Seine Brüder Stracimir und

Miroslav verwalten die Gebiete um Morava, Zahumlje/Hum und die Gegend um den

Fluss Lim. Zahumlje/Hum wird 1190 Nemanjas jüngstem Sohn Rastko zugeteilt,226

der sich jedoch nicht lange den weltlichen Aufgaben eines Prinzen widmet, sondern

Ende 1191/Anfang 1192 nach Athos flüchtet, um Mönch Sava zu werden.227

221 Ebd. 222 Das Kloster Sopoćani wurde 1265 von König Stefan Uroš I. gestiftet. Es liegt 16 km von Novi Pazar entfernt und steht als Weltkulturerbe unter UNESCO-Schutz. Über Sopoćani ist zahlreiche Literatur vorhanden, hier B. Živković, Sopoćani, Crteži fresaka, Beograd 1970 223 Die Kirche aus 1296 ist eine Stiftung des Königs Stefan Dragutin. Mehr bei B. Živković, Arilje, Raspored fresaka, Beograd 1970 224 Vgl. Z. Gavrilović, a. a. O., S. 287 225 Vgl. Z. Gavrilović, a. a. O., S. 285 226 Vgl. J. Kalić, Istorija... (Die Geschichte ...), S. 261 227 Ebd. Siehe auch V. Ćorović, a. a. O., S. 97

Page 57: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Nemanjas ältester Sohn Vukan kontrolliert das Küstenland Zeta mit Trebinje sowie

die Gebiete Toplica und Hvosno.

Ein wichtiger Grund für Nemanjas freiwilligen Rückzug von der Macht ist wohl auch

in der Heirat seines mittleren Sohnes Stefan mit der byzantinischen Prinzessin

Eudokia, der jüngsten Tochter des Kaisers Alexios III., zu suchen.

Es wird angenommen, dass diese Eheschließung nach der Schlacht an dem Fluss

Morava im Jahr 1190 stattfindet, dem letzten Kampf mit Ostrom, "der eine definitive

Bereinigung der Verhältnisse zwischen Nemanja und Byzanz"228 bringt.

Die auf der höchsten Ebene entstandenen verwandtschaftlichen Beziehungen zu

Byzanz bringen Serbien in eine ganz andere Position und verleihen seinen

Herrschern großes Ansehen. 229 Dass das Ansehen Nemanjas und seines

Herrscherhauses gewachsen ist, ist auch aus den in der Urkunde (1198) für Hilandar

enthaltenen Zeilen des byzantinischen Kaisers erkennbar, in den er Nemanja als

„ἐ εἐγενέστατος µέγας ζουπάνος τἐς Σερβίας καἐ ἐγαπηµένος συµπένθερος τἐς

βασιλείας µου„230 bezeichnet.

Ein weiteres Zeichen für die guten Beziehungen zu Byzanz ist auch in dem hohen

Titel des Sebastokrators zu sehen, den Kaiser Alexios III. seinem Schwiegersohn

Stefan verleiht. Einige Indizien und historische Zusammenhänge lassen sogar die

Möglichkeit zu, dass Nemanja die Verleihung des Sebastokrator-Titels an Stefan und

seine Thronnachfolge mit Kaiser Alexios vereinbart hat, um den byzantinischen

Schutz für Serbien längerfristig zu sichern.231

Die auf diese Weise geordneten politischen Verhältnisse im Land und friedliche

Zeiten tragen also zusätzlich dazu bei, dass Nemanja seine Entscheidung über die

Abdankung und den freiwilligen Rückzug von der Macht beruhigter treffen kann.232

228 Vgl. Hl. Sava, a. a. O., Anmerkung Nr. 45, S. 136. Von diesem Zeitpunkt der Heirat geht M. Laskaris (Byzantinische Prinzessinnen im mittelalterlichen Serbien) aus. B. Ferjančić, setzt sie jedoch ins Jahr 1186 an. 229 Vgl. J. Kalić, Istorija... (Die Geschichte ...), S. 260 230 Vgl. Božidar Ferjančić, a. a. O., S. 41 231 Vgl. B. Ferjančić, a. a. O., S. 42-43 232 Vgl. K. Jireček, a. a. O., S. 159

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Seine Abdankung und den Thronverzicht verkündet Nemanja selbst in einem

weiteren staatlich-kirchlichen Sabor, zu dem er alle wichtigen kirchlichen und

staatlichen Würdenträger einberuft.

Dieser der Reihe nach zweite Sabor in Nemanjas Leben findet nach Auskunft des

heiligen Sava am 25. März 6703 (1195) statt und wird ausführlich von ihm

beschrieben:

„Und so ließ er seine edelgeborenen Kinder und alle auserwählten Magnaten, die höheren und die niederen, versammeln, und als er alle um sich vereinigt hatte, hub er an, sie zu belehren: ´Meine teueren und von mir erzogenen Kinder! Es ist euch allen bekannt, wie Gott in seiner Vorsehung mich berufen hat, über euch zu herrschen, wie unser Land zu Beginn darniederlag, als ich es erwarb, und wie ich mit Gottes und unserer heiligen Muttergottes Hilfe, soweit meine Kräfte es vermochten, weder müßig ging noch mir Ruhe gönnte, bis ich alles in Ordnung gebracht hatte. Und mit Hilfe Gottes vermehrte ich es mir für euch in die Länge und Breite, was euch allen bekannt ist…Nun aber lasst mich, euren Herrscher, in Frieden ziehen´,… Sie alle jedoch weinten sehr und sprachen zu ihm: ´Lass uns Waisen nicht im Stich, o Herr, … Durch alle deine 38 Jahre wurden wir behütet, gebildet und wir kannten keinen anderen Herrn und Vater als dich, unsern Gebieter.“233

Mit ausgewählten Worten und sehr einfühlsam schildert der Heilige Sava den

Abschied seines Vaters von seinem Volk und den irdischen Sachen überhaupt.

Entgegen der üblichen Praxis bestimmt Nemanja seinen mittleren Sohn Stefan zum

Nachfolger und belehrt ihn, wie er die Regierungsgeschäfte führen soll. Dazu

schreibt der heilige Sava:

„… Und wie es der Wille Gottes war, wählte er den wohlgeborenen und geliebten

Sohn, Stefan Nemanja, den Schwiegersohn des von Gott gekrönten griechischen

Kaisers Alexios, und übergab ihnen diesen, indem er sprach: ´Diesen hier nehmet an

meiner Statt, er ist eine gute Wurzel, hervorgegangen aus meinem Leibe, und diesen

setze ich auf den Thron in dem mir von Christus verliehenen Reiche´, und er selbst

krönte ihn und erteilte ihm einen besonderen Segen, wie einst Isaak seinen Sohn

Jakob mit reichem Segen bedacht hatte, und begann ihn zu lehren, in seinem Reiche

bei jeder guten Sache Eifer zu zeigen, gutherzig der Christenwelt gegenüber zu sein,

die er als seine von Gott behütete Herde ihm übergebe…“234

233 Hl. Sava, a. a. O., S. 39-41 234 Hl. Sava, a. a. O., S. 41

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59

Und als hätte Nemanja den zukünftigen Bruderzwist geahnt, sorgt er auch dafür,

dass sein ältester Sohn Vukan entsprechend gewürdigt wird und belehrt

anschließend beide Söhne innbrüstig:

„Und er segnete den zweiten edelgeborenen und geliebten Sohn, den Fürsten Vukan, setzte ihn zum Großfürsten ein, übergab ihm genug Land und erteilte ihm dieselben Ratschläge. Und der gütige Vater stellte beide vor sich hin und sprach zu ihnen: ´Söhne, vergesset meiner Gesetze nicht, und euer Herz möge meine Worte bewahren, so werden euch ein langes Leben, viele Jahre des Lebens und Friedens beschieden sein. Barmherzigkeit und Glaube sollen euch nicht verlassen, legt sie um euren Hals, schreibt sie euch auf die Täfelchen eures Herzens, und ihr werdet Dank ernten, und denket Gutes vor Gott und den Menschen; … Dieses Gebot gebe ich euch, es liebe der Bruder den Bruder, und Haß soll es unter euch keinen geben. Diesem sowohl von Gott als auch von mir auf meinen Thron Erhobenen sollst du, (Vukan), untertan sein, und sei ihm gehorsam. Du aber (Stefan), der du regierst, füge deinem Bruder kein Unrecht zu, sondern zolle ihm Achtung. Denn wer den Bruder nicht liebt, liebt auch nicht Gott, …Wollt ihr es so und hört ihr auf mich, werdet ihr irdische Güter genießen; seid ihr aber nicht willens und schenkt mir kein Gehör, werden euch die Waffen verschlingen…´“235

Laut Sava verabschiedet sich Nemanja von allen Anwesenden, Fürsten und

Adeligen, Jünglingen, der geistigen Herde Christi, seinen „reichen und armen, jungen

und alten Kindern“, wünscht allen Gottes Frieden und belehrt auch sie.

Es ist anzunehmen, dass die vom heiligen Sava geschilderte Abdankung Nemanjas

deshalb umfangreicher und ausführlicher ist, weil er später die Einzelheiten von

seinem Vater, dann bereits jedoch Mönch Simeon, auf Athos hört, als die beiden im

Mönchsleben eng verbunden sind.236

Obwohl Zeuge des Geschehens, berichtet Stefan der Erstgekrönte über die

Abdankung seines Vaters und die eigene Thronübernahme nicht so ausführlich wie

sein Bruder, der heilige Sava:

„Nachdem er dieses Gebet beendet, rief er seine Gemahlin zu sich, seine

Söhne, seinen Bischof Kalinik, die Leiter der Regierungsämter, die Fürsten

seines Landes, welche den Verwaltungsbehörden vorstehen, die Wojwoden 235 Hl. Sava, a. a. O., S. 41-43 236 Vgl. M. Živojinović, Stefan Nemanja kao monah Simeon (Stefan Nemanja als Mönch Simeon), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 104

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und Krieger und sprach zu ihnen: ´... Nun ist die Zeit da, das längst

Begonnene zu vollenden. Meine Herrschergewalt also gebe ich jenem, der

unter euch bleibt, auf dass er auf meinem Throne herrsche, und ich segne ihn

für euch mit jenem Segen, mit dem einst Gott die Nachkommen Jobs

gesegnet hat, damit er für immer unter euch die Herrschaft innehabe.´ Und er

stand von seinem Throne auf und übergab ihn diesem mit dem gebührlichen

Segen.“237

4. Nemanja wird Mönch Simeon

In Byzanz ist seit dem 10. Jahrhundert der Brauch bekannt, dass sich die Herrscher

zu Ende ihres Lebens ins Kloster zurückziehen, und zwar nicht in irgendein

beliebiges sondern eins, das sie selbst als ihre Stiftung erbauen lassen, für das sie

ein Typikon aufstellen sowie die Form der Erinnerung an den Stifter und seine

Familie festlegen und die Erben der Stiftung bestimmen.238

Auch im Mittelalter ist diese Praxis durchaus üblich. Deshalb ist es nicht

verwunderlich, dass in mehreren Quellen Hinweise dafür vorhanden sind, wie

Nemanja bereits vor seiner Abdankung daran denkt, Mönch zu werden.

Seine Söhne berichten übereinstimmend über diesen Wunsch Nemanjas.

Der heilige Sava beschreibt ihn folgendermaßen: „Nemanja, dieser fromme und

christusergebene Herr, der ehrwürdige Greis, bemühte sich, zur Zahl der am Tage

des Schrecklichen Gerichts Gott Wohlgefälligen zu gelangen, für sich Möglichkeiten

zu schaffen, den paradiesischen und unaussprechlichen Aufenthaltsort zu erhalten

und, wonach sein Inneres am meisten verlangte, den engelhaften und

apostelgleichen Stand zu empfangen… Solches also begehrte unser gottgeliebter

Vater und Stifter zu empfangen, und er wandte sich an den allergütigsten Herrn und

Gott mit der Bitte, er möge ihm seinen Wunsch nicht versagen.“239

Stefan der Erstgekrönte beschreibt, wie Nemanja während des langjährigen Baus

von Studenica betet: "Lass deshalb, o Herr, auch mich Elenden, der auf deine

237 Hl. Sava, a. a. O., S. 94-95 238 S. Ćirković, Srbi u ... (Die Serben im ...), S. 126 239 Hl. Sava, a. a. O., S. 37-38

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Barmherzigkeit baut, nicht im Stich, verwirf mich Sündigen nicht, sondern habe

Erbarmen, Erlöser, mit deinem Geschöpf, damit es, nachdem es den Flitter dieser

Welt abgestreift, dir nachfolgt und dankbar lobpreiset deinen heiligen und

wohlgefälligen Namen, den Vater, Sohn und den Heiligen Geist, jetzt und

immerdar."240

Von Domentijan erfahren wir ferner, dass Sava während seines Mönchslebens auf

dem Athos in ständigem Kontakt mit seinem Vater steht und in einem der Briefe den

Wunsch äußert, dass sowohl Nemanja als auch seine Mutter Ana die monastischen

Gelübde ablegen sollen.241

Aber auch Nemanja selbst unterrichtet während seiner Abdankung die Anwesenden,

dass er seit langem den Wunsch hat, Mönch zu werden: „Priester, Freunde und

meine Brüder! Es sei euch kundgetan, von meiner Jugend an trug ich den heißen

Wunsch in meinem Herzen, den Geboten meines Herrschers zu folgen…“242

Die drei Biographen Nemanjas (der heilige Sava, Stefan der Erstgekrönte und Mönch

Domentijan) schildern ferner, dass Nemanja von Rascziens Bischof Kalinik zum

Mönch geweiht bzw. in den kleinen und großen Mönchsstand aufgenommen wird.243

Die zwei Profeßstadien im Mönchtum der Ostkirche sind an den entsprechenden

Mönchskleidern erkennbar, so dass ein Mönch das µικρόν σχἐµα oder das µέγα

σχἐµα trägt und folglich als µικρόσχηµος bzw. µεγαλόσχηµος bezeichnet wird.244

Stefan der Erstgekrönte überliefert uns sogar, wie die Handlung der Mönchsweihe an

seinem Vater vollzogen wird. Nemanja wendet sich an den Bischof:

"… Zum Bischof aber sprach er: ´Tritt näher und erfülle mir den Wunsch.´ Und auf

diese Weise empfing er aus dessen Hand den engel- und apostelgleichen Stand in

Andacht und gemeinsam mit seiner ihm von Gott angetrauten Gemahlin.“245

240 Hl. Sava, a. a. O., S. 91 241 Vgl. N. Velimirović, a. a. O., S. 44 242 Hl. Sava, a. a. O., S. 94 243 Vgl. M. Živojinović, a. a. O., S. 105 244 Vgl. H.-G. Beck, Kirche …, S. 131-132 245 Hl. Sava, a. a. O., S. 95

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Obwohl in der orthodoxen Kirche die Mönchsweihe als ein Übertritt des Menschen in

das „engel- und apostelgleiche“ Leben bezeichnet wird, sehen einige Kirchen-

historiker in diesen auf Nemanja bezogenen Begriffen auch eine besondere

symbolische Bedeutung.

Wie einem Apostel werden auch Nemanja, und somit natürlich auch dem Mönch

Simeon, die Eigenschaften des Führers und Lehrers seines Volkes zugeschrieben.246

Von den drei Biographen erfahren wir nicht, in welcher Kirche die Mönchsweihe

stattfindet. Aufgrund der Tatsache jedoch, dass der Bischof von Rasczien Kalinik die

Mönchsweihen von Nemanja und seiner Frau vornimmt, ist davon auszugehen, dass

diese in der Petruskirche in Ras, dem Bischofssitz, am zweiten Tag des Sabor

vollzogen werden, obwohl es auch Meinungen gibt, dass die Mönchsweihen im

Kloster Studenica stattfinden.247

Zu seinem Mönchsnamen wählt Nemanja den Namen Simeon (Symeon) nach

Simeon Bogoprimac, dem heiligen Greis aus Jerusalem, der viele Jahre auf die

Darstellung Christi wartet und nicht eher sterben kann, bis er Christus in seinen

Armen hält.

Nemanja beschreibt in der Schenkungsurkunde für das Kloster Hilandar die Erfüllung

seines lang ersehnten Wunsches, Mönch zu werden, mit den folgenden Worten:

„Und Christus befand mich Sündiger seines guten Jochs für würdig und machte mich

zum Mitglied des ehrwürdigen und engelhaften und apostelgleichen kleinen und

großen Standes.“248 So ist Nemanja den byzantinischen Vorbildern seiner Zeit und

dem Beispiel seines jüngsten Sohnes gefolgt und ist selbst nach einer langen

Herrscherzeit Mönch geworden.

Als Vorbereitung für diese wichtige Entscheidung stiftet er früher schon das Kloster

Studenica und bestimmt es als seine Grabstätte und die Grabstätte seiner

Nachfolger, die jedoch in Anlehnung an Nemanja eigene Kirchen und Klöster

stiften.249

246 Vgl. M. Živojinović, a. a. O., S. 105 247 Vgl. M. Živojinović, a. a. O., S. 106. D. Bogdanović, V. J. ðurić, D. Medaković, Hilandar, Heiliger Berg 1997, S. 36 248 Zitat nach: M. Živojinović, a. a. O., S. 104 249 S. Ćirković, Srbi u ... (Die Serben im ...), S. 126

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63

a) Simeons Leben in Studenica

Offenbar begeben sich Simeon und Anastasija kurze Zeit nach ihren Mönchsweihen

in ihre Klöster, Simeon in das Kloster Studenica und Anastasija in das Kloster des hl.

Nikolaos bei Kuršumlija, ebenfalls von Nemanja gestiftet, in welchem sich der

Bischofssitz von Toplica befindet.

Dazu schreibt der heilige Sava: „Nachdem dies alles vollbracht war, kam unser Vater

und Herr in unser Kloster zur heiligen und wundertätigen Gottesmutter, das er erbaut

hatte, und die Herrin Anastasia begab sich zur heiligen Gottesmutter in Ras.“250

Der Bau der Carska lavra (Zarenkloster) Studenica, das heute noch zu einem der

bedeutendsten serbischen Klöstern überhaupt zählt, beginnt mit dem Bau der

Gottesmutterkirche nach 1183 und dauert mehrere Jahre. Es wird angenommen,

dass einige Abschlussarbeiten in die Zeit fallen, als Nemanja sich als Mönch Simeon

in das Kloster begibt.251

Als Stifter des Klosters ist er offensichtlich berechtigt, den Hegumenos zu

bestimmen. Obwohl in den Quellen nicht ausdrücklich festgehalten, spricht vieles

dafür, dass er während seiner Zeit in Studenica selbst als Abt das Klosterleben

leitet.252

Der heilige Sava beschreibt, wie sich Simeon in Studenica "vervollkommnet in jeder

Art von Frömmigkeit und Tugend und alle durch seine geistlichen Übungen belehrt"

und die Mönchsgemeinschaft vermehrt.253

Bald jedoch erwacht in ihm der Wunsch, sein Mönchsleben auf dem Heiligen Berg

Athos fortzusetzen.

Diese zweite Stufe in Simeons monastischem Leben begründet der heilige Sava mit

der Heiligen Schrift: „Verlasset eure Plätze und euere Heimat, denn kein Prophet

wird in seinem Vaterlande aufgenommen“254.

250 Hl. Sava, a. a. O., S. 45. Siehe auch Anmerkung Nr. 36, S. 135 251 Vgl. M. Živojinović, a. a. O., S. 102 252 M. Živojinović, a. a. O., S. 107 253 Hl. Sava, a. a. O., S. 46 254 Ebd. Vgl. Dazu Mt 13,57; Mk 6,4; Lk 4,24; Joh 4,44.

Page 64: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Aber auch das große Ansehen, das der Heilige Berg in der christlichen Welt genießt

und der Wunsch Simeons, sein Lebensende mit dem jüngsten und am meisten

geliebten Sohn zu verbringen, spielen eine große Rolle:

"Deshalb erfasste den gottgefälligen Herrn Simeon der Wunsch, von hier wieder fortzuziehen und zu pilgern, um an sich selbst alles Gesagte zu erfüllten, und er fand den Ausspruch, welcher besagt:´ Jene, die auf Gott vertrauen, machen sich dem Heiligen Berg gleich, den Angriff der Feinde ganz und gar nicht zu erschüttern vermögen.´ darum also strebte er fort, erstens des heiligen Ortes wegen und den zweiten Grund will ich euch in Kürze mitteilen: Dieser unser seliger Herr Simeon hatte drei Söhne: Der eine, jüngste - ich kann ihn nicht einen Sohn nennen, sondern einen Knecht -, ihn liebte er am meisten, und dieser war für ihn auch ohne Unterlass tätig... Deshalb also erwachte im seligen Vater und Herrn Simeon der Wunsch, sich auf den heiligen Berg zu begeben, um dort wie ein guter Hirte nach dem verlorenen Lamme zu suchen, der es auf die Schulter nimmt und es zu seinem Vater an sein Wunschziel bringt, damit er von Gott einen Lohn für das Verlassen der Seinen erhalte, der zweite Wunsch seines Herzens in Erfüllung gehe und er sein geliebtes und verirrtes Lamm wieder finde."255

Stefan der Erstgekrönte berichtet, dass Simeon zunächst Sava in einem Brief über

seine Mönchsweihe informiert, und dass darauf hin der jüngste Sohn ihn zu sich

nach Athos einlädt:

"Wisse, mein Geliebter in Christus, um was ich gebeten und was ich gewünscht und wonach ich mit aller meiner Kraft, mit meiner ganzen Seele suchte, jetzt hat sich mein Schöpfer meiner erbarmt und hat mich nicht nach meinen Missetaten, sondern auf Grund seiner übergroßen und unaussprechlichen Barmherzigkeit und Liebe zu den Menschen für seinen heiligen Engelstand, den ich mir ersehnte, für würdig befunden. So freue auch du dich in meinem Namen und bete auch du in meinem Namen bei deinem Herrscher, weil er mich noch in zwölfter Stunde ausersehen hat, einzutreten, um mit dir zugleich zum Arbeiter im Weinberge Christi zu werden und dafür auch meinen Lohn zu empfangen.´ Der genannte Sava erfreute sich im Geiste .... und er schrieb ihm seine Botschaft. ´Komme nur, mein Herr, wahrer Diener meines Herrschers. Komme nur, Ehrwürdiger, dein Herr harret deiner und hat dir die beste Unterkunft bereitet, denn jene, die auf ihn bauen, werden nicht zuschanden werden."256

Nachdem Simeon etwa eineinhalb Jahre in Studenica verbringt, verkündet er in einer

Versammlung seinen Entschluss, seinem jüngsten Sohn Sava nach Athos zu folgen.

Vor seinem Aufbruch ernennt er den Priestermönch Dionisije zum Hegumenos von

Studenica, segnet seine Söhne Vukan und Stefan zum zweiten Mal und ermahnt den

neuen Herrscher Serbiens, sich neben der anderen Pflichten auch um das Kloster

255 Hl. Sava, a. a. O., S. 46-47 256 Hl. Sava, a. a. O., S. 95-96

Page 65: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Studenica zu kümmern.257

Schließlich bricht er am 8. Oktober 1197 in Begleitung des neuen serbischen

Großžupans Stefan und zahlreicher Fürsten und Würdenträger in Richtung der

serbisch-byzantinischen Grenze auf mit "viel Gold, Gold- und Silbergefäßen, um

diese an Klöster und Einsiedler zu verteilen...", wie Teodosije berichtet.258

Auch der heilige Sava gibt dieses Datum als Zeitpunkt für den Antritt der Reise

Simeons an. Diese Zeitangabe gilt als zuverlässig und wird nicht von den

Wissenschaftlern in Zweifel gezogen.

b) Ankunft auf dem Heiligen Berg Athos

Nemanjas Reise zum Heiligen Berg dauert fast einen Monat. Der heilige Sava hält

fest, dass "der Selige den heiligen Berg im Monat November, am zweiten Tage"

erreicht und sich "zunächst im Kloster Vatopedi niederlässt", wo sich auch sein

jüngster Sohn befindet.259 Die Begegnung zwischen Vater und Sohn, die sich zuletzt

als Großžupan Nemanja und Prinz Rastko vor gut sechs Jahren trennen, und nun

als Mönch Simeon und Mönch Sava gegenüberstehen, ist für beide überwältigend260.

Sie ist außerdem ein weiterer Wendepunkt in Nemanjas Leben, denn er, der

physische Vater seines Sohnes, wird nun zu Savas geistigem Kind. Auf dem Heiligen

Berg, in der geistlichen Welt, vollzieht sich eine beachtliche Wendung im Leben von

Vater und Sohn, so dass nun der Sohn zum geistigen Vater seines Erzeugers wird.

Simeon und Sava zeigen „der Welt das feinste Modell von Sohnes- und Vaterliebe.

Der Sohn der Natur nach wurde zum Vater im Geiste für seinen irdischen Vater

gemäß dem biblischen Spruch: ´Anstelle Deiner Väter werden Dir Söhne sein´

(Ps 45,17).“261

Diesen bemerkenswerten und seltenen Umstand bemerkt auch Kaiser Alexios III.,

der ihn in dem einleitenden Satz seiner Chrysobulle für das Kloster Hilandar aus Juni

257 Vgl. Hl. Sava, a. a. O., S. 48. Auch M.Živojinović, a. a. O., S. 107 258 M. Živojinović, a. a. O., S. 107 259 Vgl. Hl. Sava, a. a. O., S. 48 260 Die Begegnung ist ikonographisch im Kloster Vatopedi festgehalten und auch heute noch zu sehen. 261 N. Velimirović, a. a. O., S. 58

Page 66: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

66

1198 wie folgt umschreibt:

„Sava ging seinem Vater auf dem Weg des monastischen Lebens voraus, und so ist

der Sohn zum Vorgänger/Führer des Erzeugers seines körperlichen/physisichen

Wesens im geistigen Leben geworden (προέδροµε δἐ οἐτος, ἐ Σάβας δηλαδή, τοἐ

πατρἐς αἐτοἐ εἐς τἐν κατἐ τἐν µονήρη βίον ἐδόν, καἐ γέγονε τἐ τἐς κατἐ

σάρκα ζωἐς αἐτοἐ αἐτίἐ προαγωγἐς εἐς τἐν κατἐ πνεἐµα διαγωγἐν ἐ

υἐός.)“262

Die Neuankömmlinge werden in Vatopedi von dem Abt und seiner Bruderschaft mit

Ehrerbietung und Freude empfangen. Sogar aus Karyes kommen der Protos

persönlich und auch die Äbte und Mönche anderer Klöster.

Zweifellos ist die Ankunft Simeons „ein großes Ereignis in der Geschichte des

Heiligen Berges, denn niemals zuvor war ein großer Herrscher irgendeines

orthodoxen Landes gekommen, um im Reich der Heiligen Jungfrau als Mönch unter

armen Mönchen zu leben.“263

Aber Simeon kommt nicht alleine, mit ihm kommen auch weitere Mönche, ehemalige

serbische Fürsten, die sich an ihrem früheren Herrscher ein Beispiel nehmen und

ihm auch in das Mönchsleben folgen, sowie zahlreiche andere Begleiter. Domentijan

beziffert sogar die neuen Anwohner des Heiligen Berges: „Und so kam er auf den

Heiligen Berg zu der Heiligen Gottesmutter von Vatopedi und brachte 300

auserwählte Diener mit sich, sowie andere.“264

Wie uns Domentijan und Teodosije berichten, beschenken die neu angekommenen

Mönche das Kloster Vatopedi mit "zwei Gefäßen Gold- und Silbermünzen, Gold- und

Silbergeschirr, Arbeitseseln, Pferden und vielen anderen nützlichen Sachen.“265

Domentijan berichtet weiter, dass die neuen serbischen Mönche mit den

mitgebrachten Arbeitern gleich umfangreiche Bauarbeiten im Kloster vornehmen.

Sie errichten Räumlichkeiten für ihre Unterkunft, erneuern das zerstörte, zu Vatopedi

gehörende und dem heiligen Greis Simeon gewidmete, Kloster in dem Ort

262 Zitat aus M. Živojinović, a. a. O., S. 102 263 N. Velimirović, a. a. O., S. 48 264 Zitat aus R. Marinković, a. a. O., S. 131 265 M. Živojinović, a. a. O., S. 107

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Prosphoros, errichten viele Weinberge und nehmen in Vatopedi selbst viele

Verbesserungen vor, wie z. B. im Speisesaal.266

Etwa im Herbst desselben Jahres äußert Simeon den Wunsch, alle Klöster und

Kirchen auf dem heiligen Berg zu besuchen. Mit dem Segen des Hegumenos von

Vatopedi macht er sich mit Sava auf den Weg.

Die Vitenschreiber Domentijan und Teodosije heben besonders die Besuche

Simeons und Savas in Karyes, dem Verwaltungszentrum des Heiligen Berges und

Sitz des Protos, sowie in den altehrwürdigen Klöstern Iviron und der Große Lavra

hervor. Alle diese besuchten Klöster beschenken sie großzügig und werden als

Zweitstifter in ihre Diptycha aufgenommen.267

c) Die Erbauung des Klosters Hilandar268

Bei dieser Reise durch Athos bemerken Simeon und Sava das von Seeräubern

zerstörte, kleine griechische Kloster Hilandar269, und in ihnen erwacht der Wunsch,

es zu erneuern. Als sie außerdem erfahren, dass es auch nichtgriechische Klöster

auf Athos gibt, sind beide durch Gott inspiriert - wie uns Teodosije und Domentijan

berichten -, von dem Gedanken ergriffen, ein Kloster für serbische Mönche zu

gründen, was der Rat der Athos-Hegumenoi trotz des anfänglichen Widerstands aus

Vatopedi genehmigt.270

Nach der zweiten Reise durch den Heiligen Berg, die Simeon als bereits sehr

geschwächt auf einer Trage liegend unternimmt, entscheiden sich Vater und Sohn

definitiv für das Kloster Hilandar als die zukünftige Stätte serbischer Mönche auf

Athos.

266 M. Živojinović, a. a. O., S. 109 267 M. Živojinović, a. a. O., S. 110 268 Ein Teil des Klosterkomplexes ist im Anhang auf der Seite 104 abgebildet. Zahlreiche Begleitobjekte wurden vor 3 Jahren in einem Großfeuer vernichtet oder beschädigt, die wichtigsten Klosterteile konnten jedoch gerettet werden. 269 Hilandar wird zum ersten Mal 1076 als ein zerstörtes, „vollkommen verwaistes und verlassenes“ griechisches Kloster erwähnt. Sein ursprünglicher Stifter war wahrscheinlich ein gewisser Mönch Georgios Chelandarios. Vgl. D. Bogdanović, V. J. ðurić, D. Medaković, Hilandar, Heiliger Berg 1997, S. 36 270 M. Živojinović, a. a. O., S. 110

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Den Wunsch, Hilandar wieder aufzubauen, trägt Sava anlässlich seines Aufenthaltes

in Konstantinopel dem Kaiser der Rhomäer vor, allerdings soll Hilandar zuerst noch

zu Vatopedi gehören. Im Juni 1198 erlässt der Kaiser Alexios III. eine neue

Chrysobulle, wonach das Kloster Hilandar und das umliegende Gebiet endgültig zum

serbischen Besitz werden und unter die Herrschaft und Verwaltung serbischer

Mönche fallen, welche im Kloster das Mönchsleben für Menschen aus Serbien

organisieren sollen.271

Der heilige Sava beschreibt die Erbauung von Hilandar folgendermaßen: "... Im

Seligen erwachte der Wunsch, wie er hier im Lande sein Herrschertum unter Beweis

gestellt, so auch dort einen Ort des Heiles für alle von überall her Kommenden zu

schaffen. Und er erbat sich vom Kaiser Kir Alexios, seinem Verwandten, ein Stück

ödes Land für die Errichtung eines Klosters auf dem heiligen Berge. Und er nahm

mich, den Sündigen, aus Watopedi nach diesem Orte mit, und wir beide ließen uns

hier nieder."272

Stefan der Erstgekrönte beschreibt die Suche nach einem geeigneten neuen Kloster

wie folgt: "Als mein Herr, dieser Heilige, angekommen war, wurden alle Klöster, vom

größten bis zum geringsten - er ließt keines von ihnen aus - von ihm mit allen

erdenklichen Geschenken ihrem Range nach bedacht, und überall ließ er sein Licht

anzünden und sich in die Brudergemeinschaft aufnehmen, was bis zum heutigen

Tage besteht. Hierauf fand er eine verlassene Stätte mit dem Namen Chilandar,

geweiht der Reinigung unserer allerheiligsten Gebieterin..."273

Als nun die Bauarbeiten am Hilandar bereits laufen, sendet Simeon den Mönch

Metodije zum Großžupan Stefan nach Serbien und fordert von seinem Sohn

materielle Unterstützung für den Wiederaufbau des Klosters. Darüber berichtet

Stefan der Erstgekrönte:

"... und es sandte dieser heilige und ehrwürdige Greis, von Sava Vater genannt, zu seinem Sohne, den er in seinem Vaterlande zurückgelassen hatte, um über das gesamte Serbenland zu herrschen, die Botschaft, er möge ihnen beiden (Simeon und Sava) genügend Mittel für die Errichtung und

271 Ebd. Die erste Chrysobulle hat der Kaiser Anfang 1198 erlassen. 272 Hl. Sava, a. a. O., S. 48-49 273 Hl. Sava, a. a. O., S.97

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Erneuerung der Kirche der Allerheiligsten schicken, mit den Worten: `Geliebter Sohn und Diener Christi, dies sei dir kund: Da dich der Herr und Gott und die Allerheiligste nach ihrem Willen und mit meinem Segen zurückließen, dort zu regieren, schreibe ich dir, daß ich mitten auf dem heiligen Berge eine verlassene Gnadenstätte, geweiht der Reinigung der Gottesmutter, genannt Chilandar, gefunden habe. Zögere nicht, sondern setzte alle deine Kraft daran, dieses Heiligtum der Allerheiligsten zu meinem Andenken in diesem Lande und nach mir für dich, deine Kinder und Enkel, dein Geschlecht und die Nachkommenschaft bis in die Ewigkeit wieder aufzubauen."274

Da Großžupan Stefan "reichlich und massenhaft Geschenke für die Gründung und

die Fertigstellung des Heiligtums der allerheiligsten Gottesmutter, und zwar nicht nur

einmal, sondern jedes Jahr"275 sendet, schreitet der Wiederaufbau von Hilandar

schnell voran. So können bereits Mitte 1198 die ersten Mönche dort einziehen und

im Juli desselben Jahres zieht auch der greise Mönch Simeon aus Vatopedi zu ihnen

nach Hilandar.276

Im Auftrag Simeons macht sich Sava unermüdlich daran, möglichst viel Land mit

verlassenen Heiligtümern zu erwerben, um die Existenz Hilandars zu sichern und

das Kloster zu einem Selbstversorger zu machen. Rund um Hilandar kauft er in der

folgenden Zeit kleinere Klöster mit Ländereien, verlassene Kellia mit Ölbäumen und

Weinbergen in Milea und in Karyes.277

Trotz guter Fortschritte beim Wiederaufbau sendet Simeon den erfahrenen und an

der Erbauung von Hilandar beteiligten Mönch Metodije zum zweiten Mal nach

Serbien, zu seinem dort regierenden Sohn. Metodije soll dem Großžupan eine sehr

bedeutende Reliquie übergeben und ihn erneut um materielle Hilfe für Hilandar

bitten.

Bei der Reliquie handelt es sich nämlich um Nemanjas Brustkreuz mit der Partikel

des Kreuzes Christi, dem große Wunderkraft zugeschrieben wird: "Und wiederum

sandte der heilige Simeon ihn (Metodije) mit einem Segen auf den Weg zu seinem

Sohne und gab ihm das heilige und lebenspendende Kreuz des Herrn mit, auf dem

nämlich einst der Herrscher unserer Sünden wegen gehangen, das er als Herrscher

274 Hl. Sava, a. a. O., S. 97-98 275 Hl. Sava, a. a. O., S. 99 276 M.Živojinović, a. a. O., S. 111 277 Vgl. N. Velimirović, a. a. O., S. 52

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70

selbst an seinem Halse getragen und mit dem er die feindlichen Widersacher besiegt

hatte..."278

Stefan der Erstgekrönte schildert sehr ausführlich, mit welchen Ehren er diese

bedeutende Reichsinsignie empfängt, die "nicht nur Kennzeichen der hohen Würde

des Herrschers, sondern auch Unterpfand und Siegel der Herrschaft"279 ist.

Wir erfahren diesmal jedoch nicht, wie viel er seinem Vater an materieller Hilfe

zukommen lässt. Es steht jedoch fest, dass Simeon nach dieser erneuten

Schenkung seines Sohnes aus Serbien in der zweiten Hälfte des Jahres 1198 die

Gründungsurkunde für Hilandar verfasst.

Eines der Hauptziele, das Simeon mit der Gründungsurkunde für seine letzte Stiftung

verfolgt, ist es, Besitztümer für Hilandar auch in Serbien zu begründen und somit

langfristig das Bestehen des Klosters zu sichern,280 nachdem die kirchenrechtliche

Frage der Unabhängigkeit durch die zweite Chrysobulle des Kaisers definitiv geklärt

ist.

5. Tod und Heiligkeit des ersten serbischen Nationalheiligen

Trotz seines fortgeschrittenen Alters und der Erkrankung handelt Simeon auch als

Mönch bis zuletzt, um nach seinem Tode auch in Hilandar geordnete Verhältnisse zu

hinterlassen.

Er und Sava sind als Stifter befugt, den Hegumenos zu bestellen und entscheiden

sich für den bereits erwähnten Mönch Metodije.

Der heilige Sava beschreibt das Wirken Simeons in Hilandar, das er persönlich erlebt

und mit ganzer Kraft unterstützt, wie folgt: "Und als er genug Mönche um sich

gesammelt hatte, setzte er einen ehrwürdigen Mann, den Mönch namens Metodije

(als Hegumenos) ein, und nachdem er für das Kloster und seine Inwohner alles

Erforderliche angeschafft hatte, verblieb er hier acht Monate und vollbrachte

Leistungen und unaussprechliche geistliche Übungen, die ein Menschenverstand

278 Hl. Sava, a. a. O., S. 101 279 Hl. Sava, a. a. O., S. 163, Anmerkungen 172-174. Neben der Lanze erhält Stefan nun die zweite wichtige Reichsreliquie, die ihn „als rechtmäßigen Vertreter Christi ausweisen“ soll. 280 M.Živojinović, a. a. O., S. 111

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nicht auszusagen vermag."281

a) Der Abschied zwischen Vater und Sohn

Nachdem er die Zukunft auch dieses Klosters bei seinen Söhnen absichert, stirbt

Simeon am 13./26. Februar 1199, nicht jedoch ohne vorher den bei ihm anwesenden

Sohn Sava belehrt zu haben.

Die Beschreibung der letzten Tage Simeons und die an Sava gerichtete Belehrung

bilden den literarischen Höhepunkt der Vita und lassen das besondere, innige

Verhältnis zwischen Vater und Sohn erkennen:

"Am 7. Tage des Monats Februar begann sein ehrwürdiges Alter etwas an Kräften zu

verlieren. Und gleich rief der selige Greis, der Herr Simeon, mich, den Unwürdigen

und in jeder Hinsicht Erniedrigten, und begann zu mir leise heilige, ehrwürdige und

süße Worte zu sprechen."282

In der ergreifenden Belehrung bezeichnet der Sterbende seinen Sohn als „mein

süßes Kind und Trost meines Alters“, „mein geliebtes Kind und Licht meiner Augen“,

„Trost und Beschützer meines Alters" und beschwört ihn, auf seine Worte zu hören.

So solle Sava sich nicht nur die allgemeinen Werte, wie Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit

und Standhaftigkeit, aneignen, sondern sein "Herz mit mannigfacher Seelenkost

ernähren", richtige Lehren verbreiten, an die Ratschläge von Vater und Mutter

denken, sich "nicht unter Törichte" mengen, nach Weisheit suchen und statt Wissen

Verstand einsetzen.283 Die meisten der Ratschläge entlehnt Simeon den alt-

testamentlichen Büchern, wie z. B. "Der Weisheit Beginn ist die Furcht des Herrn“,

oder "Stelle nicht Böse bloß, auf dass sie dich nicht hassen; tadle einen Weisen, und

er wird dich lieb gewinnen."284

Simeon tröstet seinen Sohn wegen des baldigen Scheidens und segnet ihn: "Und er

hob seine reinen Hände, legte sie auf mein Haupt mit den Worten: ´Ich segne dich

281 Hl. Sava, a. a. O., S. 51 282 Ebd. 283 Ebd. 284 Hl. Sava, a. a. O., S. 52. Vgl. dazu Anmerkungen Nr. 137 ff., S. 143.

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mit dem Segen; der Herr und Gott, der Gesegnete, möge dein Heil fördern und

anstatt irdischer Güter dir Gnade und das Himmelreich geben und deinen

Lebensweg ausrichten, der du von mir den Ausgang nimmst und den unzertrennlich,

hier wie dort, mein wenn auch sündiges Gebet begleitet.´ ".285

b) Der Abschied von den Athos-Mönchen

Am nächsten Tag bittet er Sava, nach den Athosmönchen zu rufen, damit er auch

von ihnen Abschied nehmen kann. Als sie dann ankommen, bittet Simeon sie, bis zu

seinem Begräbnis zu bleiben: "Verweilet bei mir, bis ihr mit euren heiligen und

ehrwürdigen Begräbnisgesängen meinen Leib besungen und ihn beigesetzt habt."286

Simeon nimmt "bis zu seinem Tode weder Brot noch Wasser zu sich, sondern nur

täglich die heiligen und allerreinsten Geheimnisse des Leibes und Blutes Gottes,

unseres Erlösers Jesus Christus."287

Am "22. des Monats", segnet er "zum letzten Male" alle, und bittet Sava, ihm die

Ikone der allerheiligsten Muttergottes zu bringen, womit wahrscheinlich die berühmte

wundersame Ikone der Bogorodica Trojeručica (Die dreihändige Muttergottes,

Tricherusa)288 gemeint ist, weil er gelobt habe, seinen Geist vor ihr aufzugeben.

Die letzte Anweisung Simeons lautet, dass ihm ein für das Begräbnis vorgesehenes

Mönchsgewand angezogen und sein Leib auf eine Matte auf dem Boden mit einem

Stein unter dem Haupt gelegt werde.

Dieses Bild des auf dem bloßen Boden liegenden alten Mannes muss auf die

Anwesenden eine tiefe Wirkung gehabt haben, die Sava so beschreibt:

"Denn wahrhaftig, ..., es war wie ein Wunder zu schauen: Jener, den alle fürchteten

und vor dem alle im Lande zitterten, war jetzt hier zu sehen, wie einer der Fremden,

arm, in einer Mönchskutte gehüllt, auf einer Matte auf der Erde liegend, mit einem

285 Hl. Sava, a. a. O., S. 53 286 Hl. Sava, a. a. O., S. 54 287 ebd. 288 Der Überlieferung nach soll die Ikone dem hl. Johannes von Damaskus gehört haben. Als ihm die Hand wegen seiner Ikonenverteidigung abgehackt wurde, betete er vor ihr, und seine Hand wuchs wieder an. Aus Dankbarkeit fügte der hl. Johannes an der Ikone noch eine dritte, silberne Hand hinzu. Der hl. Sava hat die Tricherusa aus Jerusalem mitgebracht. Unklar ist, ob sie sich bei Simeons Tod bereits in Hilandar befand. Vgl. Enciklopedija pravoslavlja (Die Enzyklopädie der Orthodoxie, Bd. 3, Beograd 2002, S. 1953

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Stein unter dem Haupt, allen sich verneigend und demütig von allen Vergebung und

Segen erbittend."289

Simeon stirbt am nächsten Morgen und sein Sohn hört als letzte Worte aus seinem

Munde die Psalmverse: "Lobpreiset den Herrn in seinen Heiligen, lobpreiset ihn in

der Festigkeit seiner Herrschergewalt, …Lobet ihn ob seiner Kräfte, lobet ihn gemäß

seiner übergroßen Macht."290

Nach der Totenandacht und den Gesängen aller versammelten Mönche des Athos,

Griechen, Georgier (hiermit sind wohl Mönche des Iberer-Klosters Iviron, eines der

ältesten auf dem Athos gemeint), Russen, Bulgaren und Serben, legt Sava den

Leichnam in das vorbestimmte Grab.

Auch Stefan der Erstgekrönte beschreibt mit ähnlichen Worten den Abschied

Simeons von den Athos-Mönchen, sein Dahinscheiden und schildert, wie er zuletzt

die versammelten Mönche auffordert, die Totenliturgie anzufangen und sogar selbst

in seiner Todesstunde an den Gesängen teilnimmt.291

c) Simeons Heiligkeit

Sava muss sich von nun an allein um Hilandar kümmern und berichtet, wie schwer

ihm diese verantwortungsvolle Aufgabe fällt:

"Nachdem unser seliger Vater zum ewigen Frieden eingegangen war, überließ er mir, dem Sündigen, durch Verfügung das Kloster mit der kleinen Belegschaft, wie er es verlassen hatte, mit dem ehrwürdigen Mann, dem Mönch namens Metodije und mit 15 Mönchen, mich eingerechnet. Große Trauer und Angst überkamen mich, einerseits wegen des Verlassenseins, anderenteils aus Furcht vor gottlosen Räubern. Aber dank der Liebe der Gottesmutter und unserer Erzieherin, und dank den heiligen Gebeten des Herrn Simeon wurde uns beschieden, dass dieses Haus von unscheinbaren Anfängen zu großartigem Aussehen emporwuchs. Und nach kurzer Zeit brachte ich eine 90köpfige Bruderschaft zusammen und richtete die gesamte Verwaltung ein, die ein Kloster benötigt“.292

289 Hl. Sava, a. a. O., S. 55 290 Hl. Sava, a. a. O., S. 56 291 Hl. Sava, a. a. O., S. 107 292 Hl. Sava, a. a. O., S. 57

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Als sich am 13./26. Februar nächsten Jahres erneut viele Athosmönche versammeln,

unter ihnen auch der Protos Dometios, um des Jahrestages des Entschlafenen zu

gedenken, geschehen wundersame Ereignisse.

Nur Domentijan berichtet in der Vita Savas, dass Sava die Heiligkeit seines Vaters

bereits durch Gott offenbart wurde, und wie er zu Gott betet, damit Er sie auch

anderen offenbare.293

Domentijan beschreibt, wie innbrüstig und leidenschaftlich Sava um ein Zeichen

Gottes betet und welche Schritte er in Erwartung des Wunders unternimmt. Sava

zelebriert mit seiner Bruderschaft mit Segen des Protos die Andacht für seinen Vater

im Pyrgos des heiligen Sabbas in „seiner Sprache“, während das der Protos neben

der Grabstelle Simeons in der Muttergottes Kirche in Hilandar in Anwesenheit vieler

Hegumenoi und anderer Mönche macht.294

Die zunächst unverständlichen Worte, die Sava an den Protos vor seinem Verlassen

der Kirche richtet: „Und wenn Gott Seinen Diener verherrlicht hat, werde ich mich zu

euch gesellen, wenn ihr mich ruft“295, begreift der Protos erst, als die in der Kirche

Versammelten das aus Simeons Grab reichlich fließende, wohlriechende Myron

bemerken.296 Der Protos lässt unverzüglich nach Sava rufen, salbt sich, dann Sava

und alle Anwesenden mit dem Myron, welches „… nicht nur aus den heiligen

Reliquien des seligen Diener Gottes, sondern auch aus dem trockenen Stein und aus

seiner an der Wand über seinem Grab gemalten Ikone“297 strömt.

So wird aus dem Jahresgedächtnis für den verstorbenen Simeon ein freudiger Tag

für alle Athos-Mönche, denn Gott hat „in seiner unermesslichen Gnade einen von

ihnen, einen armen Mönch, zu einem großen Heiligen erhoben, durch den der

Heilige Berg um eine Zierde reicher wurde, und dass es jetzt einen Fürsprecher mehr

für sie im Himmel gab.“298

Aus der Vita Savas von Domentijan erfahren wir, dass Simeon danach „… zum

heiligen Simeon dem Myronströmenden gesprochen wird. Der Protos und die

293 Vgl. N. Velimirović, a. a. O., S. 66 294 M. Živojinović, a. a. O., S. 111 295 Zitat nach J. Popović, Žitija svetih za mesec januar (Die Heiligenviten für den Monat Januar), Valjevo 1991, S. 377 296 M. Živojinović, a. a. O., S. 112. Vgl. auch J. Popović, a. a. O., S. 377 297 Vgl. J. Popović, a. a. O., S. 378 298 Vgl. N. Velimirović, a. a. O., S. 67

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anwesenden Mönche beauftragen Sava, eine Vita für den neuen Heiligen, die

entsprechende liturgische Heiligenfeier sowie Kanones und Sticheres zu seinen

Ehren zu schreiben“.299

Diese Angaben Domentijans über das Ausrufen zum Heiligen bzw. eine Art Simeons

Kanonisation werden von einigen Wissenschaftlern aus mehreren Gründen

angezweifelt. Zum einen ist diese Praxis in der byzantinischen Welt nicht vor „dem

letzten Viertel des 13. Jahrhunderts“300 üblich, unabhängig vom Rang der Institution,

welche diesen formellen Vorgang vollzieht. Gegen eine offizielle Ausrufung der

Heiligkeit Simeons spricht auch die Tatsache, dass weder Stefan der Erstgekrönte

noch Sava darüber berichten, außer dass Sava erwähnt, wie er nach acht Jahren

Simeons Körper „ganz und unversehrt“ vorfindet.301

Deshalb vertreten einige Kirchengeschichtler, wie z. B. ð. Trifunović und D. Popović,

die Meinung, dass Simeon in Hilandar zwar durch das Myronströmen, also durch

eines der wichtigsten Zeichen der Heiligkeit, als ein neuer Heiliger offenbart wurde,

dass es jedoch keinen formellen Akt der Ausrufung seiner Heiligkeit gegeben hat.302

Laut Domentijan findet die erste von Sava für den heiligen Simeon geschriebene

Andacht in Hilandar am 3. Februar, dem Tag des heiligen Greisen Simeon, im Jahr

1202 statt.303

Beim Schreiben der liturgischen Feier für seinen Vater orientiert sich Sava an der

Feier für den heiligen Symeon dem Styliten und übernimmt aus ihr die ersten zwei

Sticheron. Anstatt der Verse über die Säule setzt Sava neue „Verse über das

Vaterland, dem Nemanja sein Leben gewidmet hat“.304

299 Ebd. 300 Vgl. D. Popović, a. a. O., S. 354 301 Vgl. Hl. Sava, a. a. O., S. 58 302 Vgl. D. Popović, a. a. O., S. 353 ff. In der lateinischen Kirche wurde die päpstliche Kanonisation als ein offizieller Akt, in welchem eine Person zum/zur Heiligen erklärt wird, im Jahr 973 eingeführt. Vgl. D. Popović, Anmerkung Nr. 49, a. a. O., S. 354 303 Vgl. Enciklopedija pravoslavlja (Die Enzyklopädie der Orthodoxie, Bd. 3, Beograd 2002, S. 1744 304 Vgl. V. J. ðurić, a. a. O., S. 275

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76

Die zwei geänderten Strophen handeln davon, wie „der heilige serbische Herrscher

im Vaterland den Weg für die Könige vorgezeichnet … und seine Herde zu dem

wahren Glauben ausgerichtet“305 habe.

Durch diese Änderungen will der heilige Sava gleich zu Beginn der liturgischen Feier

für seinen Vater den programmatischen Grundsatz festlegen, wonach „Simeon von

Serbien ein Vorbild für serbische Herrscher sein soll.“306

Dabei nennt Sava als Gründe für die Heiligkeit seines Vaters den Verzicht auf die

weltliche Herrschaft und seinen Dienst an Gott und den Besitzlosen.307

In diesem Sinne endet auch die liturgische Feier für den heiligen Simeon mit den

folgenden Worten:

„…Auf das Fasten und die Gebete hin,

auf die Almosen für die Besitzlosen,

die dein Gebieter angenommen,

wurde dir die Gnade verliehen,

und das heilige Grab deiner Reliquien

strömt das wohlriechende Myron,

Vater Simeon“308

Diese Verse erhalten noch mehr Gewicht vor dem Hintergrund, dass am Tag des

heiligen Simeon, dem 13./26. Februar, aus dem Matthäus Evangelium die Stelle über

das Weltgericht (25,31-46) gelesen wird.

Wahrscheinlich ist deshalb auch über dem Grab Simeons in der Gottesmutterkirche

in Studenica dieser Text in einem Buch abgebildet, das Jesus in seiner Hand hält.

Nemanjas Tugenden der Güte und Mildtätigkeit gegenüber Besitzlosen werden auch

von anderen Biographen als besondere Gründe für seine Heiligkeit hervorgeheben,

wodurch er als beispielhafter Herrscher in die serbische Geschichte eingeht.

Aber Simeon soll nicht nur für seine Nachfolger auf dem Thron ein Vorbild sein und

305 Ebd. 306 Ebd. 307 Vgl. V. J. ðurić, a. a. O., S. 269 308 Zitat nach V. J. ðurić, a. a. O., S. 270.

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77

ihnen den Weg weisen, sondern auch für die Mönche. Ihnen soll er „ihr Vorsteher im

Vaterland“309 sein, denn er scheut in seinem monastischen Leben keine Mühen auf

dem Weg zur Vervollkommnung.

An die vom heiligen Sava aufgegriffene Anspielung auf die Leiter des Johannes

Klimakos, die sein Vater erklommen hat, um „in die Höhen zu steigen“, knüpfen auch

alle späteren Dichter und Künstler.

Es verwundert deshalb nicht, wenn Pilger, die an Simeons Grab in Studenica

verweilen und die Fresken betrachten, zu der festen Überzeugung gelangen, „dass

der heilige Simeon der Myronströmende Tugenden erreicht hat, mit welchen er den

Gläubigen seines Volkes eine zuverlässige Vertretung am Tag der allgemeinen

Auferstehung und des Endgerichts gesichert hat.“310

d) Die Wunder des heiligen Simeon

Während der heilige Sava in der Vita Simeons nicht über die von Gott durch den

ersten serbischen Heiligen vollbrachten Wunder spricht, beschreibt Stefan der

Erstgekrönte ausführlich, wie aus den Reliquien des heiligen Simeon wundertätiges

Myron fliesst. Wie es für eine Hagiographie üblich ist, berichtet der Herrscher auch

über die Wunder, die Gott über Simeon verrichtet, so z. B. wie ein Besessener und

ein Lahmer geheilt werden, und wie er selbst, sein Land und Volk, mehrfach durch

die Gebete des Heiligen Simeon von den Überfällen der Feinde geschützt werden.311

Von den insgesamt neun Wundern, die Stefan der Erstgekrönte systematisch

beschreibt, beziehen sich zwei auf Heilungen und die restlichen sieben auf den

Schutz und die Verteidigung des Volkes und der Dynastie vor feindlichen

Übergriffen.312

Die meisten der Wunder gehören also zu den sogenannten „negativen Wundern“, da

der Heilige die Feinde seiner Schützlinge bestraft bzw. tötet.313

309 Vgl. V. J. ðurić, a. a. O., S. 276 310 Vgl. V. J. ðurić, a. a. O., S. 277 311 Hl. Sava, a. a. O., S. 112-120 312 Vgl. D. Popović, a. a. O., S. 359-360 313 Ebd.

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Wegen des Myronströmens, der Art der vollbrachten Wunder und der

Vaterlandsliebe wird der heilige Simeon vielfach in Zusammenhang mit dem

Megalomartyrer Demetrios314, dem Schutzpatron von Thessalonike, gebracht, der

ebenso zu den Myronheiligen (µυρόβλυτοι) gezählt wird.

Die bestehenden Parallelen zwischen den beiden Heiligen sind auch deshalb wichtig,

weil sie uns „aufzeigen, dass Anfang des 13. Jahrhunderts in der serbischen Mitte

die Bereitschaft vorhanden war, die wichtige theologische Regel über den

wechselseitigen Austausch von Eigenschaften und Funktionen der Heiligen sowie

ihrer Wunder anzunehmen, welche auf den Lehren des Apostel Paulus beruht, dass

die Gemeinschaft der Heiligen dem einen Leib, Christus und der Kirche, gehört.“315

6. Die zweite Bestattung Simeons

Als Konstantinopel im Jahr 1204 durch die Kreuzritter erobert wird, ändert sich die

politische Situation in Byzanz. Aber auch in Serbien trübt sich der von Nemanja

hinterlassene Frieden. Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen dem

regierenden Stefan und seinem Bruder Vukan, der ihm trotz Vaters Wunsch, den

Thron streitig macht, Stefan mit Unterstützung Ungarns und der römischen Kurie

angreift und ihn sogar aus dem Land vertreibt316. Die Brüder bekämpfen sich

unerbittlich mehrere Jahre.

Um seine Position zu stärken, bittet Vukan sogar den römischen Papst um die Krone

und ist bereit, bei seiner Machtübernahme der lateinischen Kirche beizutreten.317

Doch dieser Versuch misslingt, und Stefan gelingt es, seinen Thron wieder

einzunehmen und seine Herrschaft im gesamten Land erneut herzustellen.

Er schildert die inneren Wirren in Serbien ausführlich, beschwert sich über Vukans

Vorgehensweise, denn "...er führte Fremdlinge in sein Land, beraubte mich des

314 Der Kult des Großmartyrers, der 306 hingerichtet wurde, verbreitet sich im 5. Jahrhundert in seiner Geburtsstadt, wo zu seinen Ehren eine Basilika erbaut wurde. Vgl. auch D. Obolensky, The Cult of St. Demetrius of Thessaloniki in the History of Byzantine-Slav relations, Balkan Studies 15 (1974), 3-19. 315 D. Popović, a. a. O., S. 360 316 Hl. Sava, a. a. O., Anmerkung Nr. 193 f., S. 164 317 Vgl. S. Ćirković, Srbi u ... (Die Serben im ...), S. 58 f.

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Landes und verwüstete es..."318 Stefan beruft sich "... auf den rechtmäßigen Segen"

und bittet Sava, "... die wohlriechenden Gebeine des Heiligen zu überbrigen, auf

dass sein Vaterland durch die Übertragung der Gebeine und durch die Ankunft

erleuchtet werde..."319

Sava schreibt nicht über den Grund des Bruderzwistes, er berichtet nur über den

gemeinsamen Wunsch der beiden älteren Brüder, welche die in fast vier Jahren

Bruderkrieg entstandenen Probleme nicht allein lösen können: "Deshalb bitten wir

dich inständig, um des Herrn willen, dass du uns nicht überhörst; nimm die

ehrwürdigen Gebeine unseres Herrn Simeon und bringe sie hierher, damit die

Wirkung seines Segens an uns offenbar werde."320

Nachfolgend beschreibt Sava, wie er diesen wegen der unsicheren und gefährlichen

Situation jener Zeit sehr riskanten Schritt dennoch wagt und durchführt:

"An einem für dieses Vorhaben günstigen Zeitpunkt ging ich hin und öffnete das

Grab des seligen Greises und fand seinen seligen Körper ganz und unversehrt,

obgleich er hier im Grabe bereits acht Jahre gelegen hatte...Und ich nahm seine

ehrwürdigen Gebeine und begab mich auf den Weg."321

Als Sava nun Anfang 1207322 mit den Reliquien Simeons in Begleitung einiger

Athosmönche in Serbien bei Hvostno/Hvosno im heutigen Metochien eintrifft, werden

sie von Stefan und Vukan, den Bischöfen und Priestern, vielen Mönchen und dem

Volk empfangen und bis zum Kloster Studenica begleitet, wo sie von dem

ehrwürdigen Abt Dionisije, den Nemanja einst selbst ernannte, empfangen werden.

In Studenica findet nun nach der langen Reise die zweite Bestattung Simeons statt.

318 Hl. Sava, a. a. O., S. 108 319 Hl. Sava, a. a. O., S. 109 320 Hl. Sava, a. a. O., S. 58 321 Hl. Sava, a. a. O., S. 58-59. Laut Überlieferung widersetzen sich die Mönche gegen Savas Vorhaben, Simeons Reliquien nach Serbien zu überführen. Simeon erscheint ihnen jedoch im Traum und verkündet, dass von nun an eine wundersame Weinrebe an der Kirchenwand wachsen werde, wo im Inneren sein Grab war. Simeons Weinrebe trägt bis heute Früchte, und es gibt viele Zeugnisse von Gläubigen unterschiedlicher Konfessionen, den sie bei Kinderlosigkeit geholfen haben. Die an der Außenwand der Kirche der Reinigung der Gottesmutter wachsende Weinrebe des heiligen Simeon ist im Anhang auf der Seite 105 zu sehen. An der gegenüberliegenden Innenwand befindet sich heute an der Stelle von Simeons Grab ein Sarkophag. 322 Laut Savas Zeitrechnung würde es sich um das Jahr 1208 handeln. Ausgehend von dem wissenschaftlich festgestellten Todesjahr Simeons 1199, kommen wir auf 1207 als das Jahr der Reliquienüberführung.

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Stefan der Erstgekrönte schreibt dazu: "Als wir die heiligen Gebeine eingeholt hatten,

veranstalteten wir an Ort und Stelle eine Nokturne mit Psalmen und Liedern,

verrichteten die Totenliturgie und gaben das Geleit mit Beweihräucherung und

Wohlgerüchen zum vorbereiteten Grab bei der allerheiligsten Gottesmutter in

Studenica, das er sich selbst vorbereitet hatte, und legten die Gebeine feierlich ins

Grab, mit Dankgebeten den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist lobpreisend."323

Der heilige Sava ist hier noch präziser und nennt auch das Datum dieses

Ereignisses, welches heute als richtig gilt und nicht angezweifelt wird: "Und dies

geschah im Monat Februar, am 19. Tage."324

Als am Tag des heiligen Simeon, dem 13./26. Februar, nächsten Jahres aus

Simeons Grab in Studenica wohlriechendes Myron fliesst, ist seine Heiligkeit durch

Gott nun auch in Serbien offenbart. Im ganzen Land verbreitet sich diese Nachricht,

dass „Serbien einen himmlischen Beschützer und Fürsprecher vor Christus und der

Gottesgebärerin“325 erhalten hat.

Die Überführung der Reliquien Simeons bewirkt, dass alle Söhne Nemanjas nach

langer Zeit wieder zusammenkommen.

Stefan und Vukan versöhnen sich und Sava, der zu dem Zeitpunkt bereits die Würde

des Archimandriten326 trägt, bleibt auf Bitten des Großžupans Stefan bis 1217 in

Studenica, „um Frieden und eine Ordnung mit guten Gesetzen unter dem Volk“ 327

des Vaterlandes aufzurichten.

323 Hl. Sava, a. a. O., S. 110 324 Hl. Sava, a. a. O., S. 59 325 S. Ćirković, Srbi u ... (Die Serben im ...), S. 54-55 326 Sava wird von dem Protos Dometios und Bischof Nikolaos von Ierissos in Hilandar zuerst zum Diakon und am nächsten Tag zum Priester geweiht. In Thessalonike wird er später durch den Metropoliten Konstantinos und Bischof Nikolaos von Ierissos zum Archimandriten erhoben. Genaue Zeitangaben dazu sind jedoch nicht überliefert. Vgl. N. Velimirović, a. a. O., S. 67-68 327 Vgl. N. Velimirović, a. a. O., S. 78

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C) Die heutige Relevanz des Stefan Nemanja

Die heutige Relevanz des Stefan Nemanja in der serbischen Kirche ist auch nach

über acht Jahrhunderten unvermindert spürbar, und seine Gegenwart im serbischen

Volk gilt als selbstverständlich. Der aktuelle Stand und das Empfinden seiner

Heiligkeit sind auch deshalb von einer besonderen Bedeutung, weil sie uns zeigen,

wie sich die Serben in den vergangenen Jahrhunderten entwickelt haben und wie

ihre geistige Ausrichtung in dieser Zeit gewesen ist328.

I. Der Kult des heiligen Simeon

Zunächst ist festzuhalten, dass der Kult des heiligen Simeon „sicherlich aus den

besonderen Gegebenheiten und den Bestrebungen Serbiens nach Staatsgründung

zur Zeit des Übergangs aus dem 12. in das 13. Jahrhundert“329 hervorgeht.

Denn um als selbständiger Staat die volle Anerkennung zu finden, bedarf es neben

der eigenen, selbständigen Kirche auch der eigenen Heiligen.

Der Zusammenbruch der byzantinischen Staatsordnung im Jahr 1204 nach

Einnahme Konstantinopels durch die lateinischen Kreuzritter, und die Tatsache, dass

im 12. und 13. Jahrhundert nur wenige neue Heilige in der Ostkirche verherrlicht

werden, begünstigen die Entstehung des Kultes für den ersten serbischen Heiligen.

Simeons Kult entsteht in einer byzantinisch geprägten Welt, die seit den Anfängen

der Kirche heilige Männer und Frauen als Vorbilder für die Christen hervorbringt.

Und es entspricht dem Willen Gottes, Seine Heiligen in unterschiedlichen Epochen

der Geschichte auf eine wohl nur Ihm verständliche Weise den Menschen zu

offenbaren.

So ist mit der Zeit ein Bewusstsein entstanden, dass die Verherrlichung eines

Heiligen aus unterschiedlichen Elementen und Strukturen besteht, die sich zum

328 Vgl. Danica Popović, a. a. O., S. 349. Auf diese Tatsache hat als erster S. Novaković in seinem Werk „Istorija srpske književnosti“ (Die Geschichte der serbischen Literatur) hingewiesen. 329 Vgl. D. Popović, a. a. O., S. 350

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einen auf der hagiologischen Ebene und zum anderen auf der historischen

widerspiegeln.330

Die ursprüngliche christliche Praxis, wonach die Verehrung der Heiligen spontan

zunächst in ihren lokalen Gemeinden wächst, nachdem Gott durch sie Wunder

vollbracht hat, ändert sich allmählich und wird „bereits in der mittelbyzantinischen

Epoche von einem erheblich komplexeren Verfahren verdrängt.“331

Dieses veränderte Verfahren zur Feststellung der Heiligkeit äußert sich im

wesentlichen in dem Auffinden der Reliquien, ihrer feierlichen Überführung und der

am Grab stattfindenden Wunder.

Somit ist der Kult des heiligen Simeon als das Ergebnis eines langen, allmählichen

Entwicklungsprozesses zu bewerten. Dieser Prozess setzt bereits vor seinem

Mönchsleben ein, nämlich zu Ende seiner fast vier Jahrzehnte währenden

Herrscherzeit, als es ihm gelingt, die inneren dynastischen Streitigkeiten zu beenden,

das Land zu einen, den rechten Glauben von häretischen Lehren zu verteidigen, in

tiefer Frömmigkeit unermüdlich imposante Gotteshäuser zu bauen und schließlich

„das höchste Ziel und das ideale Herrschaftsmodell zu erreichen – dem Staat

´Frieden und Ruhe´ zu geben.“332

Diese Verdienste sichern Nemanja schon eine dauerhafte Erinnerung und

Hochachtung seiner Nachfahren und würden eigentlich ausreichen, um ihn zu den

„heiligen Herrscher“ bzw. „gottesfürchtigen und frommen Königen und Fürsten“

hinzuzufügen.333

Aber sein Leben nimmt einen anderen Lauf, Nemanja hat höhere Normen zu

erfüllen, um zu bestätigen, dass er eines Heiligen würdig ist.

Seine Abdikation und die Annahme des Mönchsstandes sind der erste,

entscheidende Schritt in dieser Richtung. Nemanja erkennt, „wie alles menschliche

330 Vgl. D. Popović, a. a. O., S. 349-350. Zu der hagiologischen Ebene gehört z. B. das Verfassen der Heiligenvita und zu der historischen die Interpretation des Lebenswegs nach den geltenden Modellen. 331 D. Popović, a. a. O., S. 349 332 D. Popović, a. a. O., S. 350 333 Vgl. Anmerkung Nr. 28 ebd. Zu Arten von Kategorien der heiligen Herrscher je nach Typ und Verdienst siehe K. Gorski, Le roi-saint: Un problème d´idéologie féodale, Annales, 24 Nr. 2 (1969).

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Bemühen nichtig ist, über den Tod hinaus keinen Bestand hat, der Reichtum nicht

von Dauer ist, (wahrer) Ruhm unerreichbar bleibt“334 und ist besorgt um die Errettung

seiner Seele. Die logische Konsequenz für ihn lautet, Gottes Gebote zu erfüllen und

Christus auf dem schmalen, mühsamen Weg zu folgen.

Dieser Weg führt ihn schließlich auf den Heiligen Berg als der letzten Station vor der

Verkündigung seiner Heiligkeit, die sein Sohn Sava laut Domentijan prophezeit

hat.335

Somit wird „das Leben Simeons damals schon in einen christlichen Rahmen gesetzt

und sein endgültiger Zweck durch das monastische und evangelien-engelhafte Ideal

vorbestimmt.“336

Nemanjas Wahl der monastischen Ideale des Verzichts, der Demut und Armut statt

Herrschermacht und Reichtum erfolgt somit aus ethischen und konfessionellen

Motiven.

Diese Wahl macht ihn schließlich nicht nur zum Begründer der heiligen Nemanjiden

Dynastie, sondern vielmehr zum Begründer „eines geistlichen, himmlischen Serbien,

das in Christus leben will…“.337

Die Kirchengeschichtler berücksichtigen jedoch auch andere Motive Nemanjas für

seine Mönchsweihe. So hält N. Radojčić fest, dass es „sicherlich bei dieser

Entscheidung, wie bei jeder wichtigen politischen Handlung, eine Vielfalt an Motiven

gab – Savas Aufforderung, andere Beispiele, den Wunsch, jüngerem Sohn noch zu

Lebzeiten den Thron zu sichern und dass sich die Menschen noch Zeit seines

Lebens an den neuen Herrscher gewöhnen, und schließlich – aber deshalb nicht

weniger wichtig – das in der Tat fortgeschrittene und zerbrechliche Alter

Nemanjas…“338

334 Hl. Sava, a. a. O., S. 40 335 Domentijan berichtet in den Viten der heiligen Sava und Simeon von Savas Prophezeiung, dass Simeon erst nach Athos kommen müsse, um verherrlicht und dem heiligen Demetrios von Thessalonike ähnlich würdig zu sein. Vgl. Domentijan, Život svetog Simeuna i svetoga Save, ed. ð. Daničić, Biograd 1865, S. 86 ff. 336 D. Popović, a. a. O., S. 351 337 D. Bogdanović, Likovi svetitelja (Die Bilder der Heiligen), 42, Zitat nach D. Popović, Anmerkung Nr. 29, ebd. 338 N. Radojčić, Sveti Sava (Der heilige Sava), Godišnjica Nikole Čupića 44 (1935), Zitat ebd.

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1. Kultentstehung und Verherrlichung

Aber es scheint, dass Nemanja auch hier nichts dem Zufall überlassen will. So zeigt

er selbst durch seine autobiographische Urkunde für Hilandar den Weg für seine

zukünftigen Vitenschreiber auf.

Die in dieser Urkunde durchgeführte zweifache textliche Gliederung, in der er kurz

seine Herrschererfolge schildert und den zweiten Teil seinem moralischen,

geistlichen Leben widmet, übernehmen auch Nemanjas Biographen. 339

Nach diesem Schema entsteht für die Zukunft „eine Gestalt des serbischen

Herrschers aus der unzertrennlichen Verbindung eines erfolgreichen Kriegers und

einer hoch geistlichen Persönlichkeit“340 und bleibt in der serbischen Literatur als

unveränderliches Ideal, so dass auch alle späteren mittelalterlichen Herrscher nach

diesem Vorbild Nemanjas beschrieben und dargestellt werden.

Sein mönchischer Tod und die Beerdigung im Kloster Hilandar gehören zu den

weiteren entscheidenden Momenten in der Entstehung seines Kultes und leiten den

Beginn seiner Verherrlichung ein. 341

Sava sorgt dafür, dass an Simeons Todestag durch das Singen von Panichiden

erinnert werden soll. Diese Anweisung fügt er später sowohl in das Typikon von

Hilandar als auch in das Typikon von Studenica ein.

Zu dieser Zeit stellen sie noch ein Andenken an den verdienstvollen Stifter dar und

sind nicht dem Heiligen gewidmet.342

Aber auch in weiteren Schriften sind wichtige und wertvolle Informationen enthalten,

die für die Kultbildung Simeons entscheidend sind. Dazu zählt, neben Nemanjas

autobiographischen Angaben aus der Ersten Gründungsurkunde für Hilandar, den

kurzen hagiographischen Notizen über Simeons Tod im Typikon von Hilandar und

der umfangreichen Einleitung der Stiftungsurkunde für Hilandar von Stefan dem

339 Vgl. R. Marinković, a. a. O., S. 132 340 Ebd. 341 Vgl. J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 16 342 Vgl. D. Popović, a. a. O., S. 351

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Erstgekrönten, vor allem das schriftliche Zeugnis eines anonymen Mönches, eines

Zeitgenossen, der Simeons Tod und seine Verherrlichung in einer kurzen Vita des

heiligen Sava festhält.343

Später berichten auch Domentijan und Teodosije von dem Myronströmenden

Simeon, wobei wir bei Domentijan besonders ausführliche und nützliche Hinweise

finden.

Neben der Beschreibung, dass das Ausströmen des Myron aus Simeons Grab durch

den Protos und zahlreiche Athosmönche bezeugt wird, und für den neuen Heiligen

die erforderlichen kirchlichen Texte in Auftrag gegeben werden, berichtet

Domentijan, dass die bei der Verherrlichung Simeons Anwesenden „einen Feiertag

für den heiligen Simeon, dem neuen Myronströmenden, einrichten und ihn zu dem

heiligen Greis Simeon hinzufügen, damit sie an einem Tage gemeinsam gefeiert

werden.“344

Aus diesen wertvollen Angaben können wir also folgern, dass der neue Heilige

zunächst zu einem bereits bekannten, „der am gleichen Tag gefeiert wird“, oder „dem

Hauptheiligen dieses Monats“ hinzugefügt wird.345

Das wundersame Myronströmen von Hilandar stellt zwar ein wichtiges Zeichen für

die Verherrlichung des Heiligen dar, ist jedoch für die breite Anerkennung seiner

Heiligkeit nicht zwingend notwendig.346

Die nächste Stufe der Verherrlichung Simeons zeichnet sich acht Jahre nach seinem

Begräbnis ab, als nämlich sein „ganzer und unversehrter Körper“ vom heiligen Sava

herausgehoben und nach Serbien gebracht wird.

Das Ausströmen des Myron in Studenica an Simeons Todestag wird „in allen

zeitgenössischen Quellen als ein Ereignis von größter Wichtigkeit erwähnt.“347

343 Vgl. D. Popović, a. a. O., S. 352. Diese „Hilandarische Niederschrift“ hat D. Bogdanović herausgegeben und kommentiert. 344 Zitat nach D. Popović, a. a. O., S. 353 345 Ebd. 346 Das folgt aus der Praxis der Ostkirche, in welcher das Wunder des Myronströmens ein Teil des komplexen Verfahrens für die Feststellung der Heiligkeit ist. Vgl. ebd.

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Nachdem nun bis 1213 die liturgische Feier und später die Viten von Stefan dem

Erstgekrönten und dem heiligen Sava geschrieben sind, erfolgt in Studenica die

endgültige Redaktion der von Sava verfassten liturgischen Feier.

In dieser Feier werden ab diesem Zeitpunkt „Simeon zum ersten Mal als Heiliger und

Myronströmender und seine Reliquien als heilig und wundertätig bezeichnet.“348

Somit ist festzustellen, dass die Verherrlichung des Heiligen Simeon von Serbien der

in der damaligen orthodoxen Welt üblichen Form des Bestätigens der Heiligkeit

durch liturgische Texte entspricht und aufgrund einer bestehenden frommen

Verehrung also als ἐναγνώρισις zu bezeichnen ist.349

Sie ist nicht als ein mehr oder weniger formeller Akt der Ausrufung durch kirchliche

Autoritäten etabliert, was vergleichbar wäre mit der lateinischen canonisatio bzw.

ἐνακήρνξις.

Somit ist die Rolle der serbischen Kirche und ihrer Hierarchie darauf beschränkt, „die

in der Praxis bereits verwurzelte fromme Kultverehrung anzuerkennen.“350

Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass bei Simeons Kultentstehung von

Anfang an seine Söhne Stefan der Erstgekrönte als sein Nachfolger auf dem Thron

und Sava maßgeblich beteiligt sind, wobei Sava zu Ende dieses Prozesses als

Archimandrit faktisch die serbische Kirche leitet.

Die Söhne legen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte für Simeons Kult fest.

Während Sava in seiner Vita Simeons den Kult des neuen Heiligen mehr auf

Studenica ausrichtet, nimmt Stefan der Erstgekrönte eine Ausweitung des Kultes

seines Vaters vor und stellt ihn auf eine größere, allgemeinserbische Grundlage.351

347 D. Popović, a. a. O., S. 355 348 Ebd. 349 Ebd. 350 D. Popović, a. a. O., S. 356 351 Vgl. D. Popović, Anmerkung Nr. 58, a. a. O., S. 355

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2. Kultinhalt und Merkmale

Im mittelalterlichen Serbien entwickeln sich viele Sphären des gesellschaftlichen,

kulturellen und kirchlichen Lebens nach byzantinischen Vorbildern. Es handelt sich

aber nicht um eine bloße Nachahmung oder plumpe Übernahme byzantinisch-

christlicher Ästhetik, sondern um ein autochthones Schaffen von Grundsätzen, die an

eigene Bedürfnisse und Gegebenheiten angepasst sind.

Die Verdienste Nemanjas sind auch hierbei so bedeutend, dass man tatsächlich „die

Rolle Stefan Nemanjas beim Setzen fester Grundlagen für diese Entwicklung“352

kaum überbewerten kann.

a) Nemanja als idealer Herrscher

So wird auch die byzantinische Idealvorstellung von einer Symphonie bzw. Harmonie

zwischen der weltlichen und der geistlichen Herrschaft der eigenen, serbischen

„politischen Staatsphilosophie“353 angepasst. Als eine Folge dieser politischen

Philosophie des mittelalterlichen Serbien werden für Nemanja Eigenschaften eines

Staatsmanns herausgestellt, die der damaligen allgemeinen Herrscherideologie

entsprechen.354

Er wird in seinem irdischen Leben auf der einen Seite als ein von Gott für sein Volk

auserwählter Herrscher nach dem Vorbild Jakobs mit den wichtigsten

Herrschertugenden, wie Frömmigkeit und Gerechtigkeitsliebe, im Rahmen der

christlichen Ethik dargestellt.355

Auf der anderen Seite erscheint er auch als ein siegreicher Herrscher und Krieger,

also eine aufgrund seiner enormen Verdienste für sein Volk unantastbare Autorität,

an der sich alle seine Nachfolger nur noch ein Beispiel nehmen können.

352 Z. Gavrilović, a. a. O., S. 282 353 Den Begriff “politische Philosophie” verwendet laut Anmerkung Nr. 2 von Z. Gavrilović, a. a. O., S. 282, zuerst D. Bogdanović in seinem Aufsatz „Die politische Philosophie des mittelalterlichen Serbien. Möglichkeiten einer Erforschung“. Er schildert dort insbesondere seine Untersuchung der Proömien von Stiftungsurkunden auf ihre „theologischen aber auch politisch-philosophischen Aspekte“ hin. 354 Vgl. D. Popović, a. a. O., S. 356 355 Vgl. D. Popović, a. a. O., S. 357

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Nemanja werden aber noch weitere Eigenschaften eines idealen Herrschers nach

Gottes Willen zugeschrieben, die Tradition überträgt auf ihn, den auserwählten

Beschützer seines Volkes, „Christi Eigenschaften der Weisheit und Menschen-

liebe.“356

Durch Nemanja entsteht ein „Beispiel für demütiges Handeln vor dem Gesetz Christi,

und seine Weisheit, als ein Abbild der Weisheit Gottes, zeigt auf den Weg der Güte

und Barmherzigkeit hin, den einzigen Weg, der zu der Errettung führt.“357

Aus diesem Grund wird Nemanja in vielen Klöstern und Kirchen als „der Uranfang

dieser idealen Beziehung zwischen dem durch Gott inspirierten Herrscher, der Kirche

und des Volkes“358 dargestellt.

Deshalb darf die seit langem bekannte Feststellung serbischer Kirchenhistoriker,

dass „in der serbischen Geschichte Stefan Nemanja, d.h. der heilige Simeon, der

immerwährende Herrscher Serbiens ist: die nachfolgenden Herrscher sind nur seine

Mitherrscher (Mitregenten)“359 niemanden verwundern.

Erst mit Nemanja werden die tief verwurzelten Begriffe über die Tugenden und die

Rolle christlicher Herrscher in Bezug auf das ihnen anvertraute Volk bei den Serben

so eindeutig festgeschrieben.

Seine „ewige Herrschaft“ ist dadurch erreicht, dass Nemanja Mönch wird und so den

Weg frei macht für die Entstehung des Kultes des heiligen Simeon, den Begründer

der heilige Dynastie der Nemanjiden.

„Dadurch ist eine feste und ständige Verbindung zwischen Nemanja als

Dynastiegründer und der Ideologie aller späteren Herrscher auf dem serbischen

Thron bis zum Ende der Selbständigkeit entstanden.“360

356 Z. Gavrilović, a. a. O., S. 283 357 Ebd. 358 Z. Gavrilović, a. a. O., S. 288. Ganz besonders kommt das im Portrait Nemanjas in der Muttergottes Kirche in Prizren zum Ausdruck. 359 Ebd. Vgl. auch Anmerkung Nr. 9. 360 Z. Gavrilović, a. a. O., S. 283-284

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Ausgehend von diesen idealen Vorstellungen eines Herrschers, die Nemanja voll

erfüllt, werden sie von D. Bogdanović in seiner Politischen Philosophie des

mittelalterlichen Serbien für alle nachfolgenden serbischen Herrscher treffend

zusammen gefasst:

„Der serbische Herrscher soll also die von Gott erhaltene Gnade als Liebe zum

Vaterland künden; mit dem von Gott geheiligten Licht soll er das serbische Volk

erläuchten und aufklären; alle von oben erhaltenen und im Symbol des heiligen

Myron konzentrierten Kräfte hat er zum Wohle seines Volkes und seiner Errettung

vom Bösen und vom Tod ´strömen zu lassen´ ... so wird er (der Herrscher) durch die

Liebe zu Gott geleitet, die sich nicht anders äußert, als durch die Liebe zu den

Menschen...“361

Auch an dieser Aussage gemessen, bleibt Nemanja allen serbischen Herrschern im

Mittelalter „ein Beispiel ohne gleichen: man geht von seinem Werk aus und erkennt

in ihm die Verwirklichung der Lehren Christi, auf welchen der Glaube aufgebaut

werden konnte, wonach das Gute trotz aller Bedrängnisse das Böse überwinden und

das Licht über der Dunkelheit thronen wird.“362

b) Lehrer und Erleuchter des Volkes

Aber Nemanjas Kult umfasst noch mehr Attribute. Er wird von Sava als „ein zweiter

Abraham“363, also als ein Vater der Nation bezeichnet, den Gott wegen seiner

Tugenden „so hoch erhoben und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen

ist…“364 Mit diesem Vergleich will Sava uns andeuten, dass Nemanja für sein Volk

wie Christus für die Welt ist.

Daran knüpft auch Domentijan und schreibt, dass Nemanja von Gott auserwählt

wurde, damit er „eine wunderschöne Blume mit guter Wurzel… jener, die über das

serbische Land herrschen“ werde, begründe.365

361 Zitat nach Z. Gavrilović, ebd. 362 Z. Gavrilović, a. a. O., S. 291 363 Hl. Sava, a. a. O., S. 36 364 Ebd. (Philipper 2,9) 365 Vgl. D. Gil, Izmeñu sakralizacije i politizacije istorije i tradicije (Zwischen der Sakralisierung und Politisierung der Geschichte und Tradition), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 90

Page 90: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

90

In diesem Licht ist auch Nemanjas Kampf gegen das Böse zu sehen. Er ist nicht

persönlich gemeint, als eine eigene Abrechnung gegen die Feinde, sondern „erweist

sich ausschließlich als ein Kampf gegen Menschen, die ein Werkzeug des Teufels

sind“366, unabhängig davon ob es sich um Häretiker oder andere Feinde handelt.

Gerade sein Einsatz für die Verfestigung des rechten Glaubens und der Kampf

gegen die Häretiker machen es möglichen, dass er noch Zeit seines Lebens als

„Lehrer“ bezeichnet wird.367

Diese Tatsache ist umso bedeutender vor dem Hintergrund, dass diese Bezeichnung

die Vertreter der höchsten kirchlichen Hierarchie tragen, die „ihre Herde im Geiste

der von den Aposteln empfangenen und in ökumenischen Konzilien festgelegten

kanonischen Glaubensgrundsätze“ führen.368

Nach Simeons Tod bekommt diese Bezeichnung noch mehr an Intensität und wird

bis in das 17. Jahrhundert verwendet. Dies schlägt sich auch in der Ikonographie

nieder. Der heilige Simeon wird sehr häufig dargestellt, wie er in seiner Hand eine

Rolle mit dem Text aus dem Psalm 33 (34), 11 hält:

„Kommet herbei, Kinder, höret mir zu!

Ich will euch die Furcht des Herrn lehren.“

Die erste Darstellung Simeons dieser Art ist in der Kirche in Arilje zu sehen.369

Aber diese Psalmverse werden schon viel früher bei Nemanja bezeugt. In seiner Vita

Simeons hält Domentijan fest, dass Nemanja diesen Vers unmittelbar nach seinem

Mönchsgelübde ausspricht.370

366 D. Popović, a. a. O., S. 359 367 Vgl. B. Todić, Predstave sv. Simeona Nemanje, nastavnika prave vere i dobre vlade, u srednjovekovnom slikarstvu (Die Darstellungen des hl. Simeon Nemanja, dem Lehrer des rechten Glaubens und der guten Herrschaft, in der mittelalterlichen Malerei), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 295 368 Ebd. 369 Vgl. B. Todić, a. a. O., S. 303 370 Vgl. S. Petković, Ikonografija svetog Simeona Srpskog u doba turske vladavine (Die Ikonographie des heiligen Simeon von Serbien zur Zeit der türkischen Herrschaft), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 384

Page 91: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

91

Denselben Psalmtext hat in griechischer Sprache S. Radojčić auf der aus dem 13.

Jahrhundert stammenden berühmten Abbildung der heiligen Simeon und Sava in

Hilandar entdeckt.371

II. Simeon Nemanja in der programmatischen Ausrichtung der serbischen Kirche

Gleich zu Beginn der serbischen Hagiographie zeichnen Sava und Stefan der

Erstgekrönte die programmatische Ausrichtung der serbischen Kirche vor, indem sie

betonen, dass ihr Vater von Gott auserwählt sei, im eigenen Leben die höchste

Mission zu erfüllen, nämlich die Errettung zu erreichen.372

Die weiter gehende Aussage von Stefan dem Erstgekrönten, dass sein Vater

aufgrund des „göttlichen Geheimnisses und der Größe der Gnade…über Irdisches

herrschen und sich im Himmel mit den Engeln niederlassen wird“373, verlässt jedoch

die Rahmen der Hagiographie. „Das ist ein programmatischer Standpunkt, der mit

den Mitteln der politischen Theologie die Idee über den heiligen Herrscher

begründet, und Grundlagen für eine sakrale Bestimmung seiner Herrschaft legt.“374

Nach dem Mittelalter und besonders während der fünfhundertjährigen Besatzung

durch die Osmanen schöpft die serbische Kirche neue Kraft, um ihre Gläubigen

durch diese schwere Zeit zu bringen, indem sie immer wieder die glorreiche Zeit

Nemanjas und seiner Dynastie in Erinnerung ruft.

Den bereits vorhandenen Kult des heiligen Simeon und die Errungenschaften aus

dem geistlichen Leben der Nemanjiden-Zeit muss die serbische Kirche jedoch unter

den nun erheblich erschwerten Bedingungen ihrer Existenz pflegen, was sie nicht

hindert, an der Tradition unbeirrt festzuhalten.375

371 Vgl. C. Gvozdanov, Sveti Simeon Nemanja i sveti Sava u slikarskoj tematici u Makedoniji (Der heilige Simeon Nemanja und der heilige Sava in der künstlerischen Thematik in Makedonien), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 321. Der heilige Simeon (Darstellung aus Hilandar) ist am Anfang dieser Arbeit auf der Seite 3 zu sehen. 372 Vgl. D. Popović, a. a. O., S. 359 373 Hl. Sava, a. a. O., S. 76 374 D. Popović, a. a. O., S. 359 375 Vgl. S. Petković, a. a. O., S. 391

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1. Vereinigung von Vater und Sohn

Bereits bei Anzeichen der beginnenden Krise, die den selbständigen serbischen

Staat und seine Kirche bedroht, beginnt ab Mitte des 14. Jahrhundert die

gemeinsame Darstellung des Begründers der heiligen Nemanjiden-Dynastie, des

heiligen Simeon, und des Begründers der selbständigen serbischen Kirche, des

heiligen Sava.

Diesen neuen Aspekt in der programmatischen Ausrichtung der Kirche kündigen

bereits im 13. Jahrhundert Domentijan und Teodosije an, indem sie die beiden

Heiligen als „gleichdenkend“, „einen Willen in zwei Körpern“, „im Geiste vereint“ oder

„unzertrennlich“ preisen.376

So werden zunehmend Vater und Sohn in fast allen serbischen Gotteshäusern und

sogar auf liturgischen Gegenständen meist gemeinsam abgebildet.

Auch in der folgenden Zeit werden das hohe Ansehen der heiligen Simeon und Sava

und ihr Kult durch die Kirche beharrlich gestärkt, gepflegt und landesweit verbreitet.

Als die serbische Kirche für fast einhundert Jahre, von der Mitte des 15. Jahr-

hunderts bis zur Erneuerung des Patriarchats Peć im Jahr 1557, ihre Unabhängigkeit

unter den Osmanen verliert und ihre Selbständigkeit auch gegen die Anfechtungs-

versuche des Erzbistums Ohrid verteidigen muss,377 werden die heiligen Simeon und

Sava fast pflichtgemäß in neugebauten Gotteshäusern abgebildet.378

Die neuen Darstellungen werden von nun an bis ins 17. Jahrhundert den veränderten

Verhältnissen im Land angepasst, so dass der heiligen Simeon nicht mehr als

„Schirmherr des serbischen Staates und seiner Herrscher bzw. seiner Kirche,

sondern vorrangig als Beschützer seines serbischen Volkes“379 abgebildet wird.

376 Vgl. S. Petković, a. a. O., S. 386 377 Vgl. S. Petković, a. a. O., S. 387 378 Z. B. in den Klöstern Prohor Pčinjski und Poganovo, sowie in den Kirchen in Matka und Pobužje bei Skopje usw. Vgl. Anmerkung Nr. 45, ebd. 379 Vgl. S. Petković, a. a. O., S. 391

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93

Die Gründe für die vermehrte ikonographische und sonstige gemeinsame Verehrung

der beiden serbischen Heiligen sind vielfältig.

Die serbische Kirche will mit den heiligen Simeon und Sava zum einen beweisen,

dass sie seit mehreren Jahrhunderten besteht und ihre Unabhängigkeit ihnen zu

verdanken hat.

„Auf diese Weise dienen die Abbildungen der heiligen Simeon und Sava sowie der

anderen serbischen Heiligen in den Gotteshäusern nicht nur als ein Ansporn zum

Gebet, sondern auch der ständigen Erinnerung an das Alter und die Heiligkeit der

Kirche, der die Gläubigen gehören.“380

2. Der heilige Simeon im religiös-politischen Programm der Metropolie Karlovac

Mit der Zeit hebt die Kirche jedoch den Kult des heiligen Simeon besonders hervor,

um junge Mönche zu motivieren und das Ansehen des Mönchtums zu stärken, das

eine der Hauptsäulen der kirchlichen Organisation bildet. Der heilige Simeon soll den

serbischen Mönchen ein Vorbild sein, denn obwohl ein großer Herrscher und

Dynastiebegründer findet er erst durch die Mönchsweihe sein Lebensideal und

erreicht das höchste Ziel – er gehört zu den Heiligen der Kirche Christi.381

Seine außerordentlich große Bedeutung für die serbische Kirche, die zunächst durch

die Osmanen, dann auch durch Österreich-Ungarn für eine lange Zeit ihre

Selbständigkeit verlieren sollte, und ihre Gläubige unter der Führung der Hierarchen

im 17. Jahrhundert in neue Gebiete auswandern müssen, bleibt unvermindert auch

im weiteren Verlauf der Geschichte bestehen.382 Ja, man kann sogar sagen, je

größer die Krise des Staates ist und je größer die Gefahren für den Glauben sind,

desto mehr nehmen das Ansehen und die Verehrung des heiligen Simeon zu.

Er ist auch für den Teil der serbischen Kirche, welcher wie z. B. die Metropolie von

Karlovac383 unter der Habsburger Monarchie besteht, ein ewiger Begleiter und

380 Vgl. S. Petković, a. a. O., S. 392 381 Ebd. 382 Die Abwanderungen aus dem heutigen Kosovo-Metochien und südlichen Gegenden Serbiens setzen bereits nach der Schlacht an der Marica 1371 an und erreichen ihren Höhepunkt 1690 als die Große Abwanderung unter dem Patriarchen Arsenije III. stattfindet. Vgl. Enciklopedija pravoslavlja (Enzyklopädie der Orthodoxie), Bd. 3, Beograd 2002, S. 1810 ff. 383 Die Metropolie von Karlovac wurde vom Patriarchen Arsenije III Crnojević auf dem damaligen österreichisch-ungarischen Gebiet (heute Vojvodina, Slawonien und Kroatien) gegründet und von Kaiser

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Beschützer, ein Hoffnungsträger und Wegweiser. Er wird sogar mit anderen

serbischen Heiligen zum stärksten Argument des von der Metropolie ausgearbeiteten

religiös-politischen Programms, mit welchem die Rechte und Privilegien der

serbischen Kirche unter der neuen Herrschaft verteidigt werden sollen.

a) Zusammenführung des weltlichen und des monastischen Names

In diesem Programm, welches zunächst Graphiken, Bücher, kirchliche Gegenstände

und sogar ein Drama umfasst, wird zunächst die „allegorisch-politische Deutung des

hagiolatrischen Erbes“ entsprechend aktualisiert, so dass eine Kontinuität hergestellt

wird zwischen dem heiligen Simeon und den aktuellen Hierarchen der Metropolie.

Auffallend ist, dass Nemanja hier als „der erste serbische Kaiser“ dargestellt wird.384

Selbstverständlich ist diese Benennung Nemanjas nicht aufgrund von fehlendem

Geschichtswissen entstanden, sie ist vielmehr ein Ergebnis der geschichtlichen

„wohldurchdachten Deutung im Lichte aktueller politischer Interessen“.385

Der heilige Simeon wird weiterhin als Mönch dargestellt, der in der einen Hand die

Rolle mit dem bekannten Psalmtext „Kommet herbei…“ trägt.

Aus Gründen liturgischer Praxis und/oder der privaten und öffentlichen Verehrung

wird zu den unterschiedlichen Varianten seines Mönchsnamens (der heilige Simeon

von Serbien, der heilige Simeon der Myronströmende, der heilige und ehrwürdige

Simeon der Myronströmende von Serbien) als Neuerung immer öfter der Kaisertitel

hinzugefügt.386

Leopold I am 04.03.1695 anerkannt. Die neu gegründete kirchliche Organisation beschloss auf ihrer ersten kirchlich-nationalen Versammlung (Sabor) im Januar 1708, dass sie die Jurisdiktion des Patriarchats von Peć voll anerkennt und sich somit der Mutterkirche unterstellt. Sie kann sich unter sehr schwierigen Bedingungen und Unionsversuchen behaupten und besteht bis zu der Widerherstellung der Einheit der serbischen Kirche im Jahr 1920. Vgl. Enciklopedija pravoslavlja (Enzyklopädie der Orthodoxie), Bd. 3, Beograd 2002, S. 1820 ff. 384 Vgl. M. Timotijević, Stefan Nemanja u baroknom versko-političkom programu Srpske crkve (Stefan Nemanja in dem barocken religiös-politischen Programm der Serbischen Kirche), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 397. Es handelt sich hierbei um eine Graphik, mit welcher der Patriarch Arsenije IV. Jovanović der Maria Theresia zur Krönung als Kaiserin gratulierte. 385 Vgl. M. Timotijević, a. a. O., S. 399 386 Ebd. Vgl. besonders Anmerkung Nr. 20

Page 95: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

95

Auch in anderen Werken dieser Zeit, wie auch in anderen Teilen der serbischen

Kirche wird die Goldene Zeit der Nemanjiden als ein religiöses und ein Staatsideal

hervorgehoben, wobei im Mittelpunkt dieser Akzentuierung Stefan Nemanja, der

heilige Simeon, steht.

So widmet der Metropolit von Montenegro, Vasilije, eine Ode an Stefan Nemanja und

bezeichnet ihn in seinem Werk Die Geschichte Montenegros als „den Begründer des

serbischen Kaiserreichs“.387

Schließlich findet diese idealisierte Darstellung Nemanjas ihren künstlerischen

Höhepunkt in der barocken Abbildung des Georgije Stojanović im Jahr 1743, nach

welcher eine für das Kloster Hilandar hergestellte Ikone erstellt wird.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass im 19. Jahrhundert als ein Ergebnis der

transportierten Errungenschaften des barocken religiös-politischen Programms der

Metropolie von Karlovac die Zusammenführung des weltlichen und des Mönchs-

namens für den ersten serbischen Heiligen erfolgt, so dass er von nun an als

„Simeon Nemanja“ oder als „Der heilige Simeon, König Nemanja I.“ bezeichnet

wird.388

Auch im 20. Jahrhundert sind diesbezüglich keine Veränderungen festzustellen,

zumal die Kirche ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges in einem atheistischen Staat

existiert und eine minimale Tätigkeit entfalten kann.

III. Zusammenfassung

Wir stellen also rückblickend fest, dass Nemanja in eine Zeit und in eine Umgebung

hineingeboren wird, die ihm keine Vorbilder bieten kann, niemanden an dem er sich

bei seinem Vorhaben orientieren und seine Pläne ausrichten könnte.

Deshalb erfordert sein Wirken an der Errichtung eines selbständigen serbischen

Staates und an der Bewahrung und Ausbreitung des orthodoxen Glaubens von ihm

ungeheuerliche geistige und physische Kräfte und einen unbeirrbaren Glauben an 387 Zitat nach M. Timotijević, a. a. O., S. 400 388 Vgl. M. Timotijević, a. a. O., S. 406

Page 96: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Gott und sich selbst. Das kann er nur deshalb aufbringen, weil er von Anfang an für

seine besondere Aufgabe von Gott auserwählt und mit Seiner Gnade versehen wird.

Von Nemanjas Wirken zeugen heute nicht nur seine Stiftungen, überall begegnen

uns Spuren seines unermüdlichen und gottgefälligen Handelns, da auch seine

Nachfahren gemäß seinem Wunsch sein Werk mal stärker, mal schwächer

fortsetzen.

Bereits die Ergebnisse seiner staatsmännischen Errungenschaften, ohne die ein

Gedeihen der serbischen Kirche nicht denkbar wäre, sind enorm.

Er hat nicht nur das Land geeint, ihm seine alten Gebiete wieder einverleibt und sein

Territorium insgesamt ausgeweitet, „seine gesamte Tätigkeit an der Einigung der

serbischen Länder hat die eigentlichen Voraussetzungen für die große Kirchenreform

des heiligen Sava und die Einrichtung der Serbischen autokephalen Kirche

vorbereitet.“389

Erst als das souveräne Serbien Nemanjas verfestigt und anerkannt ist, und erst als

Nemanja sein Land und Volk definitiv zum orthodoxen Glauben ausrichtet, kann

Sava voll auf die Selbständigkeit der serbischen Kirche hinausarbeiten und das

große Werk ihrer Reformation vollbringen.

Aber auch in seinem geistlichen Leben erklimmt Simeon Nemanja unermüdlich die

Leiter. Allmählich entsteht aus einem Familienheiligen ein Nationalheiliger, der erste

Heilige der serbischen Kirche, und aus der durch ihn begründeten heiligen Dynastie

entsteht eine Dynastie der Heiligen.

Nach dem heiligen Simeon Nemanja folgen Stefan der Erstgekrönte, Dragutin,

Milutin, Stefan Dečanski, Uroš V., der heilige Sava, Sava II. und als die heilige Frau

unter den Nemanjiden Jelena Anžujska, so dass der Stammbaum der Nemanjiden in

Anlehnung an den Stammbaum Jesaias ikonographisch dargestellt wird.390

389 Vgl. J. Kalić, Stefan Nemanja u modernoj istoriografiji (Stefan Nemanja in der modernen Geschichtsschreibung), …, S. 13 390 Vgl. I. Božilov, a. a. O., S. 51 Der Stammbaum der Nemanjiden aus dem Kloster Gračanica ist im Anhang auf der Seite 106 zu sehen.

Page 97: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Nach seinem Tod fördern seine Nachfolger den Kult des heiligen Simeon und weiten

ihn sogar noch aus. So bleibt er der unbestrittene Schutzpatron des serbischen

Staates und Fürsprecher seines Volkes, gleich wo es und in welcher Zeit es lebt, „im

Zentrum des serbischen Heiligenpantheons“.391

Bis in unsere Zeit begleitet also der heilige Simeon Nemanja seine Kirche und sein

Volk. Der Kult seiner Heiligkeit wird durch die Geschichte hindurch kontinuierlich und

unbeschadet in der serbischen Kirche und auch in anderen orthodoxen Kirchen392

weiter gegeben, den aktuellen Bedürfnissen angepasst und in Verbindung mit der

entsprechenden Epoche gebracht.

Das ist wohl auch deshalb möglich, weil „die geschichtliche Zeit nur ein kleiner Teil

der heiligen, biblischen Zeit ist; Alles findet seinen Sinn, das Wesentliche durch das

Verhältnis zu der kosmischen Ordnung, in welcher die aktuelle Wirklichkeit nur ein

Antitypus der Dinge ist, die sich nach Gottes Willen bereits ereignet haben – wie im

Alten Testament, das das Neue Testament ankündigte und dieses das Alte erfüllte.

Die konkrete geschichtliche Wirklichkeit also - beschrieben in den altserbischen

Werken durch die Einbeziehung in die mythische Geschichte – wird dekonkretisiert

und erhält eine kosmologische Dimension.“393

In der serbischen Kirche hat der heilige Simeon Nemanja seit langem einen festen

Platz, zu Ende eines jeden Gottesdienstes erinnern die Priester das gläubige Volk an

den „Erleuchter und Lehrer der Serben“.

Immer wieder pilgern gläubige Christen zu seiner Grabstätte in Studenica oder nach

Hilandar, um dem Heiligen ihre Verehrung zu zollen oder Trauben von seiner

Weinrebe zu erhalten, um mit dem Kindersegen beglückt zu werden.

391 Vgl. J. Kalić, a. a. O., S. 17 392 In postbyzantinischer Zeit wird der Kult des heiligen Simeon durch die Einwirkung der Athos-Mönche auch in der griechischen Kirche verbreitet. Dazu: I. Tarninadis, Der Kult der heiligen Sava und Simeon bei den Griechen, Hilandarski zbornik 5, 1983 393 D. Gil, Izmeñu sakralizacije i politizacije istorije i tradicije (Zwischen der Sakralisierung und Politisierung der Geschichte und Tradition), in Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Hg.), Meñunarodni naučni skup: Stefan Nemanja – Sveti Simeon Mirotočivi, istorija i predanje, (Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste, Internationale wissenschaftliche Konferenz: Stefan Nemanja – der Heilige Simeon der Myronströmende, Geschichte und Überlieferung), Beograd 2000, S. 92

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Das Wissen um Stefan Nemanja und die Bedeutung seines Werkes für die serbische

Kirche ist durch die hinter uns liegenden Jahrhunderte lebendig geblieben.

Auch die moderne historische Wissenschaft hat trotz kritischer Hinterfragung und

vorsichtiger Deutung die Größe Nemanjas und die Wichtigkeit seines Unterfangens

nicht schmälern können, im Gegenteil.

Sein Platz in der Geschichte und seine Bedeutung für die serbische Kirche werden

nur noch zusätzlich bekräftigt und laufend verfestigt.

Und sehr früh schon hat sein Sohn, der heilige Sava, ihn bereits umfassend und

zutreffend charakterisiert und somit auch seine bis heute währende Bedeutung für

die serbische Kirche und sein Volk mit weisen Worten für uns beschrieben:

„Wie soll ich ihn benennen, in der Tat, ich weiß es nicht. Einen guten Herrn? Einen Lehrmeister der Rechtgläubigkeit? Einen gütigen Vater? Einen Hirten, der seine ihm anvertraute Herde im Glauben gesättigt hat? Einen Verherrlicher der Kirchen und Lehrer der Tugenden und einen (Mann), der ständig im Gebet verharrte? Einen überaus freigebigen Diener und Freund der Armen? Einen Lehrer der Rechtgläubigkeit und Erzieher zur Frömmigkeit und eine Leuchte der Tugend der Welt? Einen vom Glauben Erfüllten, ein Vorbild der Sanftmut und einen Meister der Enthaltsamkeit? Einen Lehrer der Weisheit, einen Sinngeber und einen Erzieher der Toren? Einen Hüter seiner Herde und einen Mann, der für alle, die um ihn leben, weise Antworten wusste? Wahrhaftig, alles das war in ihm enthalten. Er war erfüllt von Weisheit und Verstand und die göttliche Gnade ruhte auf ihm.“394

394 Hl. Sava, a. a. O., S. 44f.

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Anhang

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NEMANJA

(Quelle: Stanoje Stanojević, Naši vladari - Unsere Herrscher -, Beograd 1927, S. 2)

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101

Serbien zur Zeit Stefan Nemanjas

(Quelle: Hl. Sava, Das Leben Simeons, in: Günther Stökl (Hg.), Serbisches Mittelalter – Altserbische Herrscherbiographien, Bd. I, übersetzt, eingeleitet und erklärt von

Stanislaus Hafner, Graz – Wien – Köln 1962, S. 177)

Page 102: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Petrova crkva Kirche der Apostel Petrus und Paulus in Ras

(Quelle: Sima Ćirković, Srbi u srednjem veku –

Serben im Mittelalter, Beograd 1997, S. 33)

Page 103: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

103

Kloster Studenica

(Quelle: Sima Ćirković , Srbi u srednjem veku – Serben im Mittelalter, Beograd 1997, S. 41)

Page 104: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

104

Hilandar: Kirche der Reinigung der Gottesmutter, Pyrgos des heiligen Sabbas Quelle: D. Savić, Hilandar, sveta srpska carska lavra na Svetoj gori Atonskoj, (Hilandar, das heilige serbische Zarenkloster auf dem Heiligen Berg Athos),

Beograd 2004, S. 21

Page 105: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Hilandar: Sarkophag an Simeons Grab (Kirche der Reinigung der Gottesmutter) Weinrebe des heiligen Simeon (Außenwand der Kirche) Quelle: D. Savić, Hilandar, Sveta srpska carska lavra na Svetoj gori Atonskoj, (Hilandar, das heilige serbische Zarenkloster auf dem Heiligen Berg Athos), Beograd 2004, S. 41

Page 106: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

106

Stammbaum der Nemanjiden (Kloster Gračanica)

(Quelle: Sima Ćirković, Srbi u srednjem veku – Serben im Mittelalter, Beograd 1997, S. 151)

Page 107: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

107

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Page 108: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Page 109: Radmila Ninic Die Bedeutung Des Stefan Nemanja Fur Die Serbische Kirche

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Radmila Ninić 15. September 2007 Ferdinandstr. 28 A 33649 Bielefeld

Erklärung Ich versichere hiermit, die vorliegende Arbeit selbständig und nur mit den angegebenen Hilfsmitteln angefertigt zu haben.


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