Transcript
Page 1: Petzold - Athen Seeherrschaft

'LH�*U¾QGXQJ�GHV�'HOLVFK�$WWLVFKHQ�6HHEXQGHV��(OHPHQW�HLQHU�LPSHULDOLVWLVFKHQ�3ROLWLN$WKHQV"�,��9RQ�GHU�+HOOHQHQV\PPDFKLH�]XP�6HHEXQG$XWKRU�V���.DUO�(UQVW�3HW]ROG5HYLHZHG�ZRUN�V��6RXUFH��+LVWRULD��=HLWVFKULIW�I¾U�$OWH�*HVFKLFKWH��%G������+������WK�4WU����������SS���������3XEOLVKHG�E\��Franz Steiner Verlag6WDEOH�85/��http://www.jstor.org/stable/4436304 .$FFHVVHG������������������

Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at .http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp

JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range ofcontent in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new formsof scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected].

Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Historia:Zeitschrift für Alte Geschichte.

http://www.jstor.org

Page 2: Petzold - Athen Seeherrschaft

oi &ytp 16"v T4 dUa rs Tf TELev(as al KaftS4 T(JTI T6v arTr6v b61oxWs Taplav yEVICTOaL.

Thuk. 6,78,2

DIE GRUNDUNG DES DELISCH-AT'll'SCHEN SEEBUNDES: ELEMENTT EINER 'IMPERIALISTISCHEN'

POLITIK ATHENS?

I. Von der Hellenensymmachie zum Seebund*

Das Problem, inwieweit der in einer bestimmten historischen Situation entstan- dene Begriff Imperialismus auBerhalb seines origintren Kontextes verwendet und speziell auf antike Tatbestinde iibertragen werden darf, soil hier angesichts seines unbefangenen Gebrauchs, vor allem in der angelsachsischen Forschung', nicht erortert werden. Es sei aber auf die Schwierigkeit hingewiesen, die mit diesem Begriff - selbst in einer restricted definition _"2 ausgedruckte BewuBtseinsdispo- sition3 und das aus ihr flieBende politische Konzept im nachhinein aus der Uberlie- ferung herauszudestillieren, zumal wenn diese, wie in unserem Fall, fast aus- schlieBlich aus nichtzeitgenossischen und dazu literarischen Quellen besteht. Da ist nicht nur zu bedenken, daB der Autor entsprechend seinemjeweiligen Anliegen aus dem zur Verfilgung stehenden Material selektiert, sondem auch zu unterscheiden zwischen der Mitteilung von Fakten, in die eine Bewertung einflieBen kann, und der

* Teil II: Zielsetzung des Seebundes und die Politik der Zeit, Historia 43, 1994, 1 ff. 1 Dazu P. D. A. Gansey - C. R. Wittaker, Imperialism in the Ancient World, Cambridge 1978,

1 ff., 103 ff. Vgl. etwa J. M. Balcer, Sparda by the Bitter Sea. Imperial Interaction in Western Anatolia, Chico, Califomia 1984, 4 ff., 13 ff. u. pass. Zum grundslltzlichen Problem J. Bleicken, Slaatliche Ordnung und Freiheit in der rcmischen Republik, FAS 6, Kallmiinz 1972,9-11.

2 Gamsey - Wittaker (Anm. 1), 3. Vgl. W. S. Ferguson, Greek Imperialism, 1913 (1941, ND N.Y. 1963), 4 f.

3 Neben der klassischen Stelle Thuk. 5,105,2 sowie den 1,75,3 genannten Antrieben zur Herrschaftsausubung (MOT, TLId, c4eX(a) ist Isokrates zu vergleichen, der von Trv dX- XOTp(WAV rrtOvL(a (8,84) oder der dpX, fs! (IrLOuVOIeDRV (8,88) spricht, also eine bestimmte Willensrichtung voraussetzt, die allerdings auf einer verderbten Moral grUnde, deren Antithe- se die aw4poa6vr sei. Vgl. J. Davidson, Isokrates against Imperialism: An Analysis of the De Pace, Historia 39, 1990, 20-36.

Historia, Band XLII4 (1993) ? Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart

Page 3: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die Grilndung des Delisch-Attischen Seebundes - I 419

Beurteilung derselben4, und andererseits dem unabsichtlich Mitgeteilten, das fur den Historiker besonders wertvoll ist. Die hinter den Fakten wirkenden Bedingun- gen und die Willensrichtungen der Akteure herauszupraparieren, wirft besondere Probleme auf. Die Analyse der ersteren ist wichtig zur Herstellung des historischen Kontextes, in dessen Zusammenhang die Absichten teilweise oder vollstindig realisiert werden. So sind nur die den Fakten unmittelbar zugeordneten Motive - wenn Uberhaupt - rekonstruierbar5. Denn langerfristige Konzepte der Handelnden mussen sich nicht in den Handlungen niederschlagen, das Ende einer Handlungs- kette muB nicht das Ergebnis eines liingerfristigen Konzepts sein.

So wird man mit Skepsis zur Kenntnis nehmen, daB es - etwa nach Steinbre- cher6 - eine ,,lingerfristige Konzeption der athenischen Politik" (75) gegeben habe, die ,,lange vor den Perserkriegen" (124) hinter der ,,Kontinuitat athenischer Expan- sionspolitik gegenuiber anderen griechischen StSdten" stand und die ,,machtpoliti- schen Ambitionen Athens" verdeutlichte. Daher verwundert es nicht, daB in dieser Sicht ,,Athen aktiv auf den AbschluB eines Bundnisses mit den ionischen Gemein- den hingearbeitet hat" (75), daB sich ,,in der Grindung des Seebundes weitgespann- te athenische Machtinteressen manifestieren" und ,,Athen bereits mit den ersten Untemehmungen der delisch-attischen Symmachie ... konsequent den Weg zur 'Arch6' beschritten" (115) hat. Es ware schon ein Phanomen, wenn man uber Jahrzehnte hinweg trotz zahkeicher sich kreuzender Handlungsstrange und trotz groBer Verinderungen in der gesellschaftlichen Ordnung und Politik Athens eine so klare und unveriinderliche politische Linie nachweisen k6nnte, auch wenn man dabei die Frage zunaichst unberiicksichtigt lie3e, was oder wer unter 'Athen' oder 'die Athener' zu verstehen ist. Der philosophierende Sklave Pseudolus zeigt bei Plautus7 gegenuber solchen Vereinfachungen gleichfalls Bedenken, da er das Wir- ken der Tyche, die Kontingenz im Geschehen kennt: Sie macht zu nichts, so sagt er, was Hunderte der Kligsten ausgesonnen: ut qufsqueftrtuna utitur, / (ta pra6cellMt, d.h. man muB den Kairos ergreifen. Wer nur die Erfuillung seiner Intentionen im Auge hat, ohne auf die Gegebenheiten zu schauen, als ,,konnte er bestimmen, was ihm dienlich ist, der lIf3t das Sichere dahinten, wahrend er Unsicherem nachjagt".

4 Ch. Schneider, Information und Absicht bei Thukydides, Hypomnemata 41, 1974, 52 unter- scheidet bei Thukydides zwischen ,,mimetischer ErzAhlung und narrativer Aussage", die gleichwohl ineinander (ibergehen kOnnen.

5 Nach Schneider (Anm. 4), 24 ff. ,,setzt Thukydides die Gedanken und Wahmehmungen der Handelnden als kompositorische Mittel ein", die auch der Charakterisierung der Akteure dienten.

6 M. Steinbrecher, Der delisch-attische Seebund und die athenisch-spartanischen Beziehungen in derkimonischen Am (ca. 478/77-462/1), Palingenesia XXI, Stuttgart 1985. Zustimmend J. M. Balcer, Gnomon 58, 1986,552-553. Kritisch K. Raaflaub, Expansion und Machtbildung in frtlhen Polis-Systemen, in: W. Eder (Hrsg.), Staat und Staatlichkeit in der frtUhen rbmischen Republik, Stuttgart 1990,542-545.

7 Pseud. 679-686.

Page 4: Petzold - Athen Seeherrschaft

420 KARL-ERNsT PETZoLD

Versuchen wir auch unsererseits, diesen allgemein gUiltigen Spruch zu beherzigen und nur das Sichere aus der Uberlieferung herauszuschblen8.

Bekanndich fdhrt Thukydides den Peloponnesischen Krieg im letzten Grunde auf ein psychologisches PhKnomen zuruck, hinter dem die in der Offentlichkeit vorgetragenen gegenseitigen Beschuldigungen, etwa die Auseinandersetzungen um Kerkyra und Potidaia oder das megarische Psephisma, zuricktreten, n&nlich auf die Furcht der Lakedaimonier vor der wachsenden Macht Athens. Sie habe die Spartaner in den Krieg 'hineingezwungen' und in ihr sieht er im Methodenkapitel die dXflOEcrrdTh 1Tp64)aULs- des Konflikts9, der ganz Griechenland erschiitterte. Der historischen Begrundung dieser Behauptung dient die Einfuigung der Pentekontae- tie in seine Monographie, die sich demgemaB auf die Entstehung und das Wachsen der athenischen ArcMe konzentriert, womit methodisch ein selektives Verfahren unter dem genannten Aspekt gefordert, inhaltlich vor allem die Zeit der Begriin- dung und des Wirkens des Delisch-Attischen Seebundes umfaBt wird. lier interes- siert wiederum in erster Linie die Intention, die Athen mit der Hegemonie verband, und die Weise ihrer Ausiibung, wobei deren Milbrauch durch Iberschreiten der mit der Zielsetzung des Seebundes gezogenen Grenze fur das vorliegende Problem aussagekrlftiger ist als die Aktionen innerhalb des mit ihr gezogenen Rahmens. Thukydides gliedert demgemB seinen Stoff in drei Gruppen1o: Untemehmungen gegen die Barbaren, d.h. hier die Perser, die dementsprechend nur kurz gestreift werden, ausflihrlicher gegen die eigenen Bundesgenossen sowie gegen die Pelo- ponnesier, soweit sie sich in Athens Aktionen einmischten, deren Abfolge eine logische, keine zeitliche Entwicklung darstellt. Da das ausgewhlte Material die Interpretation des riickblickenden Historikers stutzen soil, enthalt es auch eine Bewertung.

Der Historiker war Zeuge der voll ausgebildeten attischen Arche, in der die tbV4aXOL ZU bT1KOOL geworden waren. Soll man ihm unterstellen, daB er vom Effekt her Schltisse auf die ursprungliche Intention zog, m.a.W. dienten die Aktio- nen der Athener, die uber die Zielsetzung des Seebundes hinausgingen, in seiner Sicht der Erfullung eines Planes, den der athenische Demos und seine Strategen mit der Begrundung des Bundes oder gar schon vorher gefaBt hatten? Und war dann die

8 Zu Recht bemerkt A. Powell, Athens and Sparta: Constructing Greek Political and Social History from 478BC to 146BC, Routledge London 1988,2: ,,Reconstructing the history of the Delian League should involve an exercise in self-restraint". Die folgenden Ausftlhrungen beschranken sich demgemAB darauf, interpretatorisch der Intention des jeweiligen Autors mCglichst nahe zu kommen und Spekulationen zu vermeiden.

9 1,23,6; 88. Zu1Trp6aaLTS und cdTra etwa K. v. Fritz, Die griechische Geschichtsschreibung I, Berlin 1967, 623 ff. L. Pearson, Prophasis and Aitia, TAPhA 83, 1952, 205-223.

10 1,97,1. Zur Selektion v. Fritz (Anm. 9), 607:,,... die funktionale Bedingtheit der Auswahl der erforschten und mitgeteilten Tatsachen in den Exkursen ..."

Page 5: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die GrUindung des Delisch-Attischen Seebundes - I 421

Zielsetzung, d.h. der Krieg gegen den Barbaren, nur ein Vorwand, ein Deckmantel fiir einen sog. athenischen Imperialismus? In diesem Sinne ist die viel behandelte Stelle 1,96,1 interpretiert worden, zuletzt etwa von H. R. Rawlings1l und M. Steinbrecher. Expressis verbis nimmi Thukydides jedoch zu diesem Problem trotz seiner kritischen Haltung gegeniiber der athenischen Arche keine Stellung, ja, es erscheint zweifelhaft, ob er iuberhaupt auf den Gedanken kommen konnte, Motive athenischer Politiker oder gar der votierenden Ekklesiasten des Jahres 477 zu rekonstriieren, wo er doch uberzeugt war, daB zu den im historischen Geschehen wirksamen Faktoren neben irrationalen Kriften, wie tXiTrs und IpW12, auch unvor- hersehbare Zufalligkeiten13 und Zwangslaufigkeiten (&Vdyr)14 gehoren und daB die Befahigung eines Politikers sich eben darin ausdriickt, vorausschauend operie- ren und auf unerwartete Situationen flexibel reagieren zu konnen. Dagegen hat er uns mitgeteilt, wie seine athenischen Zeitgenossen die Entstehung ihrer Arche sahen15: Sie betonen, daB ihnen die Hegemonie im Kampf gegen die Reste der persischen Streitmacht von den Bundesgenossen angetragen wurde, weil die Lake- daimonier sich zurickgezogen hatten. Die weitere Entwicklung sei vom (subjektiv empfundenen) Zwang der Verhiiltnisse bestimmt worden, wobei entsprechend den Bedingungen die Motive wechselten: Zunachst sei die Furcht (8tos.) vor den Persern16 maBgebend gewesen, sodann die Ehre (Tt1)17, schlief3lich auch der eigene Vorteil (60EXta). Die Ubereinstimmung dieser Argumentation mit Gedan- ken, die Thukydides andernorts in seiner Schrift aiuBert, gibt AnlaB zu glauben, daB nach seiner Meinung die Athener tats1chlich so dachen, wenn auch die in derselben Rede entwickelte Theorie der Macht sein pers6nliches Gedankengut darstellt'8.

Zur Unterstutzung der These, daB, wie Rawlings'9 formuliert, ,,from the very first, the Athenians used the Delian League for their own hegemonial ends", wird von deren Vertretern der locus classicus Herodot 8,3,2 herangezogen, dessen Interpretation wir uns zunSichst zuwenden. Zu Beginn des 8. Buches gibt Herodot eine quantitative Aufstellung der von den Mitgliedern der Hellenensymmachie aufgebotenen Schiffskontingente. Sie ist eingeschoben zwischen die ersten Seeope-

11 Thucydides on the Purpose of the Delian League, Phoenix 31, 1977, 1-8. Steinbrecher (Anm. 6), 81 ff.

12 3,45,56. 13 Etwa 4,62,4. 14 Schneider (Anm. 4), 95 ff., spez. 98. 15 1,75,2-3. 16 De Scholiast IiBt zur Konkretisierung des tosg die Wahl zwischen den Persem und den

unterdriickten Bundesgenossen offen. Fur die erste Alternative spricht der Fortgang des Gedankens, der unter dem Stichwortoi.n d&aa d as die zweite aufgreift. Vgl. die Kommentare zur Stelle von Classen-Steup (S. 212), A. W. Gomme (S. 235), S. Homblower (S. 120).

17 Vgl. Thuk. 2,63,1. J. W. Day, The Glory of Athens. The Popular Tradition as Reflected in the Panathenaicus of Aelius Aristides, Chicago 1980, 52.

18 Schneider (Anm. 4), 103. 19 (Anm.11),5.

Page 6: Petzold - Athen Seeherrschaft

422 KAL-ERNsT PEr1LOD

rationen und die eigentliche Schlacht am Kap Artemision. An diese Auflistung schlieBt er eine Darstellung der streitigen Vorgange auf der Grundungsversamm- lung der Hellenen am Isthmos20 um den Oberbefehl uber die Flotte an, um schliel lich festzustellen, daB die Athener ihren Anspruch darauf zunachst zuriicknahmen, ihn aber durchsetzten, als der Kriegsschauplatz nach den Siegen von 480 und 479 auf persisches Gebiet uberwechselte, wobei sie zur Rechtfertigung die Hybris des Pausanias vorschiitzten. Der verkurzende Hinweis auf Ereignisse des Jahres 478/ 77, die jenseits des von Herodot dargestellten Zeitraumes liegen, hat in der For- schung zu der erwnhnten Auffassung gefiihrt, die Athener hatten schon mit der Gruindung der Hellenensymmachie nach der Herrschaft gestrebt und nicht erst, wie H. D. Meyer21 formuliert, ,,irgendwo in der Entwicklungsgeschichte des Seebun- des". Er mag dabei etwa an den sogen. Nesselhauf-view gedacht haben, wonach die Uberfuhrung der Bundeskasse von Delos nach Athen im Jahre 454, vor allem aber der Perserfrieden22 fur den ,,Ubergang von der Symmachie zur Arche" ein wichti- ges Datum gewesen sei. Eine dritte Moglichkeit der Deutung des Phanomens wird u.a. von French23 vertreten, wenn er anstelle einer planvollen Politik Athens dessen Herrschaft uber die Verbiindeten als Ergebnis eines Prozesses von Antworten auf sich wandelnde Bedingungen sieht.

Die Vertreter der Auffassung, daB Athen eine ,,langerfristige Konzeption"24 gehabt und daher ,,beim Hegemoniewechsel eine aktive Rolle" gespielt habe, stiitzen sich auf die in dem Herodot-Passus enthaltene Kridk25 am Vorgehen Athens, wenn hier formuliert wird: ,,Sie (sc. die Athener) entrissen den Lakedaimo- niem die Hegemonie, indem sie die Hybris des Pausanias zum Vorwand nahmen". Daraus ist gewiB das Moment des Gewaltsamen und Intendierten zu entnehnmen. Ob dieses aber darauf zielte, ,,fiuhrende Macht eines symmachialen Bundnisses"26 zu werden, und ob fur eine solche Absicht die Hybris des Pausanias als Vorwand herhalten mufte, kann nur aus dem weiteren Kontext des Herodot ermittelt werden, der allein dariiber AufschluB zu geben vermag, worauf die Kritik des Historikers gerichtet ist und ob er bereits hier die entartete Arch6 der Athener seiner Zeit in ihren AnfTngen wirksam sah.

Fur H. D. Meyer27 wird eine solche Interpretation der herodoteischen Kritik

20 7,45,1. 21 Vorgeschichte und Begrilndungdes delisch-attischen Seebundes, Historia 12, 1963, 405-446. 22 H. Nesselhauf, Untersuchungen zur Geschichte der delisch-attischen Symmachie, Klio Beih.

30 (N.F. 17), 1933, 35. Vgl. R. Meiggs, The Athenian Empire, 1972, 173. Ftr andere Thesen vgl. W. Kolbe, Die Anftnge der attischen Archt, Hermes 73, 1938, 249-268. H. Schaefer, Beirge zur Geschichte der Attischen Symmachie, Hermes 74, 1939, 225-264, spez. 243 ff.

23 A. French, Athenian Ambitions and the Delian Alliance, Phoenix 33, 1979, 134-141. 24 Steinbrecher (Anm. 6), 74-75. 25 So schon H. Strasburger, Herodot und das perikleische Athen, Histona 4, 1955, 19 ff. (= ders.,

Studien zur Alten Geschichte, Hildesheim/New York 1982,11,618 ff.). 26 Steinbrecher (Anm. 6), 76. 27 Meyer (Anm. 21), 405 f.

Page 7: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die Grilndung des Delisch-Auischen Seebundes - I 423

noch dadurch unterstiitzt, daB nach dem Zusammenhang unserer Herodot-Passage zwei Debatten um das Oberkommando stattgefunden hatten, eine bei der Begriin- dung der Hellenensymmachie (? 3), und eine zweite vor der Schlacht beim Artemi- sion (? 2), die durch Plutarch bestatigt werde2S. Damit sollte also ,,eine langst getroffene Entscheidung riuckgangig gemacht werden"29. Seiner Meinung nach steht dahinter eine bestimmte Konzeption - er nennt sie ,,athenische Seepolitik" -, die vorerst aber nicht durchzusetzen war.

Was sagt der Text wirklich? Die beiden Konjunktionen ydp stellen eine Kau- salkette her, die mit der durch die Gesandtschaft zu Gelon gegebenen Datierung in die Zeit der Grundung des Hellenenbundes im Jahre 481 zuriUckfUhrt30. Es handelt sich hierbei um den auch sonst zu beobachtenden assoziativ-reihenden Stil Hero- dots, der in naiv-archaischer Weise zunachst das Ergebnis prasentiert, um dann zuriickschreitend sein Zustandekommen zu verfolgen31. Die Auflistung der Kontin- gente schlieBt die Bemerkung ab, daB die Spartaner den Oberbefehlshaber der Flotte stellten. Da fragt sich der Leser, warum die Fiihrung nicht den Athenem zugefallen war, von denen er soeben erfahren hatte, daB sie mehr Schiffe aufboten als alle Verbiindeten zusammengenommen. Das erste yydp beantwortet diese Frage mit dem Hinweis, daB die Verbundeten, in ihrer iiberwiegenden Mehrheit Mitglie- der des Peloponnesischen Bundes, wie zu erwarten, einen spartanischen Admiral wunschten. Das zweite ydp erklhr, in welchem Zusammenhang diese Entschei- dung gefallen ist. Wir erfahren, daB ganz am Anfang, noch bevor die beschlossenen Gesandtschaften von der neu begriindeten Symmachie abgeschickt wurden, eine Debatte iuber das Oberkommando stattgefunden habe und aus welchen Griinden die Athener nachgegeben hatten. Fur eine Wiederholung dieses Streits, woraus auf ein bestimmtes athenisches Konzept geschlossen werden k6nnte, gibt der Text dem- nach keinen Anhaltspunkt.

Auch auf Plutarch32 liat sich eine solche These nicht stiitzen. Zwar berichtet er vor den Gefechten am Kap Artemision, die er in eins zusammenfa3t, daB Themi- stokles gegen den Wunsch seiner Landsleute den Oberbefehl freiwillig an den Spartaner Eurybiades abgetreten und so den aufkommenden Streit geschlichtet habe. Daftir fehlt bei ihm die von Herodot bezeugte Auseinandersetzung um das Oberkommando auf der Grindungsversammlung des Hellenenbundes, die in die- sem Kontext jedoch die historische Wahrscheinlichkeit fiur sich beanspruchen kann. Hier weist er - ebenfalls im Gegensatz zu Herodot - Themistokles die Autorschaft fur den LandfriedensbeschluB ZU33. Deutlich ist das Bemiihen des Biographen, wichtige Vorgange um seinen Helden zu gruppieren, um mit deren

28 Them. 7,3. Vgl. Ael. AriSL 46D p. 252. 29 Meyer (Anm. 21), 407. 30 Her. 7,145,2. 31 Dazu Stasburger (Anm. 25), 6 f. (= 600 f.). 32 Them. 7,2-3. 33 So auch Ael. Arist. 46D p. 248.253.290. Liban. IV p. 396R.

Page 8: Petzold - Athen Seeherrschaft

424 KARL-ERNST PEZOLD

Hilfe ein Bild von seinem Charakter zu zeichnen34. Dabei kann die sachliche und chronologische Genauigkeit auf der Strecke bleiben. In unserem Fall mag der Umstand, daJ3 Herodot, den Plutarch als QueUe benutzt, den Bericht uber den Streit um das Oberkommando in Ruckblende vor die Schlacht am Artemision gestellt hat, den Biographen zu seiner zeitlichen und ortlichen Verschiebung veranlaBt haben. Fur solche Eingriffe gibt es in unserem Zeitraum weitere Beispiele. So berichtet Plutarch von mit Iakchos-Rufen begleiteten Erscheinungen wahrend der Schlacht bei Salamis35, die Herodot36 in die Zeit davor verlegt, als Xerxes noch das entvol- kerte Attika verwustete. Den Vorschlag des Themistokles nach dem Seesieg, die Hellespont-Bricke zu zerstoren, stellt Plutarch37 als ein Scheinmanover dar, um seinen Gegner Aristeides auf die Probe zu stellen, wahrend Herodot38 von einer Debatte zwischen dem athenischen Strategen und dem spartanischen Oberbefehls- haber berichtet, die umgekehrt den Charakter des Themistokles in ein gewisses Zwielicht riickt. Bemerkenswert ist, daB Plutarch die Argumente des Eurybiades dem Aristeides in den Mund legt39.

Kann man demnach aus den besprochenen Textstellen nicht herauslesen, daB es zwei Debatten um das Oberkommando gab40 und ,,die Athener eine getroffene Entscheidung wieder ruckgWngig machen woilten", um ihre ,,langfristige Konzep- non" durchzusetzen, so bietet sich als Probe auf die Richtigkeit der Interpretation der Herodotstelle sein Bericht uber die auf der GrLlndungsversammlung beschlosse- ne Gesandtschaft nach Syrakus41 an. Ihrer Bitte um Hilfe gegen den GroBkonig mochte der Tyrann Gelon nur dann willfahren, wenn er den Oberbefehl oder zumindest das Kommando entweder uber das Heer oder die Flotte erhielte, da er fiir beide Heeresgattungen das bei weitem stArkste Kontingent stellen konne. Mit der zweiten Bedingung bringt er die athenischen Vertreter gegen sich auf. Sie weisen darauf hin, daB im Falle eines Verzichts der Lakedaimonier auf das Oberkomman- do ihnen als ngchsten das Flottenkommando (vauapX&ELV) zustiinde. So lange jene aber Wert auf dessen Ausubung legten, wurden sie sich nicht dagegen stellen.

34 Beide Autoren kennen nur eine Debatte. Ael. Arist. 13D p. 217 ff. verlegt seine Erorterung des Themas Oberbefehl vor die Schlacht bei Salamis. Dieser erstrebt wie Plutarch mit der chronologischen Umordnung eine Dramatisierung der Erzahlung, Plutarch speziell noch eine Betonung der Voraussicht als einer besonderen Flhungsqualitat des Themistokles. Zu Plutarchs Vorgehen am Beispiel der Sertorius-Vita, C. F. Konrad, A Historical Commentary on Plutarch's Life of Sertorius, Diss. Chapel Hill, North Carolina 1985, lOff.

35 Them. 15,1. 36 8,65,1 ff. 37 Them. 16,2-4. Arist. 9,5-6. 38 8,108-109. 39 Das Problem der HistorizitAt der Debatte ist fiur unsere Fragestellung ohne Bedeutung. Dazu

C. Hignett, Xerxes' Invasion of Greece, Oxford 1963, 241. 40 Wie ich nachutglich sehe, hat schon D. Lotze, SelbstbewuBtsein und Machtpolitik, Klio 52,

1970,257 auf die Fehlinterpretation Meyers aufmerksam gemacht, ohne dies allerdings nAher zu begrilnden.

41 7,157-161, spez. 161,2.

Page 9: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die Grilndung des Delisch-Attischen Seebundes - I 425

Deutlich ist, daB sich die Athener der Entscheidung der Hellenensymmachie gefiigt haben42.

Bestitigt wird diese Haltung durch die Vorgange bei der Flotte im Jahr darauf. Zwar ist 480 Themistokles der fuihrende Kopf, dem die strategischen und taktischen MaBnahmen am Kap Artemision und insbesondere vor Salamis zu verdanken sind43. Aber er muB sie mit Hilfe seiner Uberredungskunst, bisweilen auch mit List und Bestechung zu verwirklichen suchen, da die Entscheidung bei dem Spartaner Eurybiades liegt. Gelegentlich hat er sogar versucht, gegen die eigene Uberzeugung seine Landsleute auf die Linie des spartanischen Hegemon zu bringen. So nach dem Bericht des Plutarch44 in der Frage des Flottenoberkonmmandos und nach dem Herodots45 bei dem Plan, den fluchtigen Xerxes zum Hellespont zu verfolgen, worauf die athenischen Strategen insistierten. Wenn Themistokles von Andros aus Karystos, Paros und andere Inseln auf eigene Faust zu erpressen suchte46, indem er die unter dem Vorwurf des Medismos erfolgende Belagerung von Andros durch die Hellenensymmachie als Druckmittel benutzte, so betont Herodot ausdrUicklich, daB dies XOpn T5V 4XXWV UTpaTya5v geschah, daB andererseits die Betroffenen wegen seines hohen Ansehens glaubten, er handle im Namen der Symmachie. Demnach liegt hier nach Ansicht des Historikers ein Akt aristokratischer Selbstherrlichkeit vor47, etwa dem Untemehmen des Miltiades gegen Paros vergleichbar48, aber kein Emanzipationsversuch aus der Entscheidungsgewalt des spartanischen Oberkom- mandierenden.

Sein Nachfolger im athenischen Flottenkommando, Xanthippos, trat als selb- stindig Handelnder erst nach dem Sieg von Mykale hervor, als es um die Interessen

42 Fiir Ael. Arist. 13D p. 223 f. existiert das Problem nicht, da nach seiner Meinung die Athener zwar nicht de iure, aber de facto von Anfang an die Flihrung gehabt hltten. Dazu Day (Anm. 17), 54 ff.

43 Vgl. auch Isokr. 12,51. 44 Them. 7,2-3. 45 8,109,1. Die Frage der Historizitat beider Berichte ist dabei von sekundArer Bedeutung. Man

wird allerdings die Kehrtwendung, die Tlemistokles bei Herodot vollzieht, und die zweite Botschaft an Xerxes auf Gmnd von Thuk. 1,137,4 skeptisch betrachten. Zum Problem M. P. Milton, The Second Message to Xerxes and Themistocles' View on Strategy, PACA, 1983, 22-52.

46 Her.8,111,112. 47 Man kann den ganzen Vorgang auch als AusfluB themistoklesfeindlicher Tradition betrach-

ten. J. Heinrichs, lonien nach Salamis. Die kleinasiatischen Griechen in der Politik und politischen Reflexion des Mutterlands, Bonn 1989, 14 ff. sieht in ihm eine geplante Flotteno- peration der Verbindeten zur Gewinnung der Kykladen. Her. 8,108,1 begrtlndet jedoch die Fahrt nach Andros mit der Verfolgung der persischen Flotte, spater die nach Delos mit dem Bemiihen der ionischen Gesandten aus Chios (8,133,2). Ftir eine einseitige Aktion des Themistokles spricht, daB die Karystier trotz Geldzahlung an diesen splter Opfer eines Verwustungszuges des Hellenenbundes werden (Her. 8,112,2-3; 121,1) und die Belagerung von Andros offenbar erst nach der ergebnislosen Geldforderung des Atheners statfindet (Her. 8,111,1).

48 Her. 6,133-136.

Page 10: Petzold - Athen Seeherrschaft

426 KmL-ER PErzu

der loner ging, worauf noch einzugehen ist. Die gleichen Beobachtungen lassen sich beim Landheer machen, vielleicht noch eindrucksvollere, da hier die Frage des Oberkommandos nie zur Debatte stand. Ein schones Beispiel liefem die Vorgiinge vor der Schlacht bei Plataiai, als Athener und Tegeaten bei der Aufstellung der Schlachtreihe jeder einen von den beiden Flugelpositionen fur sich beanspruch- ten49. Wlhrend die Tegeaten zwar den Lakedaimonien die erste Wahl zugestan- den, den dann freibleibenden Fliigel aber fur sich forderten, UberlieBen die Athener den Spartanem die Entscheidung, wo und neben wem sie stehen soilten. Als diese spater einen Stellungstausch mit Athen vorschlugen, gingen sie sofort darauf ein und wiesen darauf hin, daB sie aus militarischen Grunden schon selbst an eine solche MaBnahme gedacht, aber ihre Vorstellung zurUckgehalten hatten, aus Sorge, sie konnte den Lakedaimoniem nicht angenehm sein50. Nichts kann iiberzeugender als diese AuBerung verdeutlichten, daB die Athener die spartanische Hegemonie bedingungslos akzeptierten.

Die Verhandlung mit Gelon macht noch einen weiteren Punkt klar: Unter Hegemonie ist nur die militarische Fiihrung51 zu verstehen, nicht die politische oder gar beide zusammen. Der Wunsch der Athener, die Hegemonie iUber die Flotte zu erhalten, war demnach aus sachlichen, d.h. militarischen, Grinden - sie stellten das stgrkste Kontingent und waren erfahrenere Seeleute als die Spartaner - durchaus vertretbar und widerstreitet der Deutung als einer 'politischen Konzeption'. Dage- gen spricht auch die historische Wahrscheinlichkeit, da es sich bei der Hellenen- symmachie um eine Kampfgemeinschaft (6WILX[LI(1)52 mit dem zeitlich und inhalt- lich begrenzten Ziel des Widerstandes gegen den zu erwartenden persischen An- griff53 handelte, und auBerdem der gr6Bte Teil der Verbiindeten unter Sparta bereits politisch organisiert war, eine solche Intention also gar nicht hatte realisiert werden konnen. Wenn es dafur noch einer BestAtigung bediirfte, so liefem sie die Verhand- lungen der Verbiindeten mit den Argivemrn4, die der Ansicht waren, das Oberkom- mando gebiihre eigentlich ihnen, sie wiirden sich jedoch mit der halben Befehlsge- walt begniigen, worauf ihnen die Spartaner ironisch antworteten, jene haitten nur einen, sie aber zwei Konige, von denen keiner seiner Befehlsgewalt enthoben werden diirfe, daher konne der argivische Konig nur die gleiche Stimme haben wie jeder der beiden Spartaner. Die Frage des Oberkommandos ist von solcher Brisanz, daB die Argiver sie als Vorwand fur ihre Neutralitat55, Gelon fir seine militanische

49 Her. 9,26-28,1. 50 Her. 9,46,3. 51 So schon richtig Lotze (Anm. 40), 268. 52 Her. 7,145,2. Thuk. 1,18,3. 53 Her. 7,148,1; vgl. 7,235,4; 132,2. Zum Eid P. A. Brunt, The Hellenic League against Persia,

Historia 2, 1953/54, 135-163, hier: 136 ff. 54 Her. 7,148-152. 55 Vgl. D. Gillis, Collaboration with the Persians, Historia Einz.Schr. 34, 1979, 61.

Page 11: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die Grtindung des Delisch-Attischen Seebundes - I 427

Abstinenz benutzen konnten. In beiden Fallen wird man jedoch keine langfristige politische Konzeption unterstellen wollen5.

Unbeschadet dieser Feststellung ist es aufgrund der militbrischen Sachlage verstandlich, daB der Wunsch der Athener, die verbiindete Flotte zu fiihren, leben- dig blieb. In der Tat sagt dies auch Herodot, wenn er mit Blick auf die kiinftige Entwicklung feststellt, daB die Akzeptanz des spartanischen Oberkommandos so lange andauerte, als die ,,Athener der Verbiindeten dringend bedurften"17. Hier ist zu bedenken, daB der offizielle Zweck des Xerxeszuges in der Bestrafung Athens bestand58, auch wenn die Griechen ihm die Unterwerfung ganz Griechenlands unterstellten, wofur Athen nur ein lp6aXrflia gewesen sei59. Athen war also am meisten bedroht und muBte die meisten Opfer fuir den Endsieg bringen. Ohne die Hilfe der Bundesgenossen ware dieser nicht m6glich gewesen. Die Hellenensym- machie bestand nun aber in ihrer uberwiftigenden Mehrheit aus Mitgliedem des Peloponnesischen Bundes, die ihre milit5rische Fiihrung beizubehalten wunsch- ten6O. Erst als nach den Siegen der Kampf auf persisches Territorium fibertragen wurde, habe sich nach Meinung Herodots die Situation geandert.

H. D. Meyer sieht in dieser ,,Weiterfiihrung des Perserkrieges"61 zur See den geplanten Weg ,,zu dem femen Ziel einer bedeutenden Machtstellung Athens", und Themistokles' Vorschlag, die Hellespont-Brucken zu zerstoren, sei, wie der Wunsch nach der Hegemonie uiber die Flotte, ein Schritt auf diesem Wege gewesen, aber ein erfolgloser. Demgegenuber habe bei der spartanischen Fiihrung und den Pelopon- nesiem ,,keine Neigung bestanden, den Krieg auf lonien auszudehnen und aggres- siv weiterzufiihren"62. Das ist zu diesem Zeitpunkt nach dem Seesieg jedoch noch nicht der Fall. Wenn Eurybiades den Vorschlag des Themistokles ablehnte, tat er dies aus strategischen Erwagungen, die er wohl zu begriinden wuBte, nicht etwa, weil er glaubte, daB ,,das Ziel erreicht sei und der Krieg beendet werden k:nnte"63. Vielmehr weist Herodot mit Hilfe einer identischen Formulierung6e darauf hin, daB

56 Im Falle von Argos muB auSerdem seine durch die Verluste von Sepeia und die Revolte der 8oOXto geschwAchte Stellung berticksichtigt werden, die politische Hegemonieansprllche im Jahre 481 als utopisch erscheinen hlBt: vgl. Her. 6,77; 83. 7,148,2.

57 Her. 8,3,2. 58 Her. 7,80,1; 9,2. 8,68a,2; 22,2; 142,2 (im Munde der Spartaner). 9,116,1. Vgl. 8,102,3

(Artemisia); 140i,1 (GroBkOnig), P,4 (Alexander). Athen als Urheber des Krieges 8,142,2. Vgl. Eretria 6,119,1, Sparta 7,133,1.

59 Her. 7,157,1.6,44,1. 60 Dieses Argument fflr den Widerstand der Peloponnesier ist den von Brunt (Anm. 53), 139

genannten hinzuzufDlgen. Auch Lotze (Anm. 40), 257 f. 61 (Anm. 21), 410. 62 (Anm. 21),413. 63 (Anm. 21),411. 64 Her. 8,108,4 = 8,3,2. A. G. Woodhead, The Founding Fathers of the Delian Confederacy, in:

Classical Contributions. Studies in Honour of Malcolm Francis Mc Gregor, New York 1981, 179-190, spez. 180 unterstellt bereits der Hellenensymmachie unter spartanischer Leitung das Ziel, die AgSis gegen weitere persische Angriffe ,,abzuriegeln".

Page 12: Petzold - Athen Seeherrschaft

428 KL-ENsr PEroD

der Plan, den Krieg auf persisches Territorium auszudehnen, spartanischer Proveni- enz65 war und somit ebensowenig wie der Wunsch nach dem Flottenkommando etwas iUber weiterreichende athenische Plane aussagt&. So ist es nur konsequent, daB3 sich Leutychides im folgenden Jahr von den Chiem bewegen 1lt, von Aigina nach Delos vorzustofen67, und auf Veranlassung der Samier die Flotte schlieBlich nach der Mykale dirigiert". Fiir diese Bewegung triigt allein der spartanische Kommandant die Verantwortung, der dann wthrend des Kampfgeschehens die loner zur Freiheit aufruft und die Losung ausgibt9.

Wodurch hat sich nun die Situation derart verandert, daB die Athener ihren seit zwei Jahren gehegten Wunsch, das Kommando uber die Flotte zu erlangen, realisie- ren konnten? Gelon gegenuber hatten sie geAuBert, daB ihnen die Hegemonie zustiinde, wenn die Lakedaimonier kein Interesse mehr an ihr hatten. In der Tat beginnt mit der Konferenz von Samos70, sich eine Entwicklung in dieser Richtung abzuzeichnen. Hier trafen sich die Verbundeten nach dem Sieg an der Mykale mit den Ionern, die am Kampf teilgenommen hatten, um uber das Schicksal loniens, das nach Herodot zum zweiten Mal vom Persenreich abgefallen war71, zu beraten72. Als

65 Her. 8,109,4 wird der Plan des Eurybiades von Themistokles als Zug ,,zum Hellespont und Ionien" konkretisiert, wahrend nach Heinrichs (Anm. 47), 4 f. ,,die Ionienkomponente bei Themistokles ohne Bezugspunkt in Eurybiades' Argumentation bleibt" (S. 7). Er sucht femer nachzuweisen (S. 21 ff.), daB ,,der Kampf um das Land des Konigs" nicht schon 480 geplant sein konnte (er spricht S. 35 von ,,fiktiven BeschlUssen", wahrend Herodot nur von einer 'Aufforderung' [ KtVue] weiB). DemgegenUlber geht K. Raaflaub, Beute, Vergeltung, Frei- heit? Zur Zielseuzung des Delisch-Attischen Seebundes, Chiron 9, 1979, 1-22, hier: 13 von der HistorizitAt der Oberlieferung aus. In unserem Zusammenhang ist nur von Bedeutung, daB die Flottenbewegung des Jahres 479 nicht auf athenische Initiative zurtlckgeftihrt wird, was in Anbetrwht der spAteren Entwicklung - schon aus propagandistischen GrUinden - nahegelegen hutte. Auf die spartanische Initiative verweist auch Heinrichs (Anm. 47), 30.

66 Aus Thuk. 1,137,4 ist zu entnehmen, daB Themistokles sich flbschlich die Schonung der Hellespontbrflcken zuschrieb, was auch aus Her. 8,108-109 hervorgeht. Selbst wenn man mit Heinrichs (Anm. 47), 5 den ,,andrischen BeschluB' filr unhistorisch hilt, ist die spartanische Verantwortung fUir die Flottenbewegung nach der Mykale unbestreitbar - worauf es hier allein ankommt.

67 Her. 8,132,3. 68 Her. 9,90-92,1. Diod. 11,34,2-3. 69 Her. 9,98,3. 70 Her. 9,106,2-4. 71 Her. 9,104. 72 Auf das Problem von Umfang und Charakter des Vorgangs soll hier - da fiUr die vorliegende

Fragestellung von geringerer Bedeutung - nicht eingegangen werden. Dazu mit Literatur Heinnchs (Anm. 47), 66 ff., der glaubt (Anm. 231), Herodot habe ,,die Evakuierung der Gefbhrdeten ... als Umsiedlungsprojekt ftir ganz lonien miBverstanden". Anders Raaflaub (Anm. 65), 14 f. Die Frage der HistorizitAt von Details kann hier offen bleiben. Sie wird insgesamt in Zweifel gezogen von N. D. Robertson, TMe True Nature of the Delian League, AJAH 5, 1980, 64-96; 110-133, hier: 74, R. Sealey, The Origin of the Delian League, in: Studies presented to V. Ehrenberg (ed. E. Badian), Oxford 1966,233-256, hier: 247-248 u.a.

Page 13: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die Griindung des Delisch-Attischen Seebundes - I 429

Schutz vor dem zu erwartenden Gegenschlag des GroBkonigs, der voraussichtlich vemichtender ausfallen wiirde als im ionischen Aufstand, schien eine dauernde Wache (T6v ud&vTa xpvov) vor der ionischen KUste notwendig, die von den Ver- bundeten jedoch als nicht realisierbar betrachtet wurde. Deshalb faBte man eine Umsiedlung der lonier ins Auge, und die Amtstriger der Peloponnesier schlugen vor, die Emporien der mutterlindischen Kollaborateure, der 1&8taavTrcs, gegen die die Symmachie sich eidich zur dekateusis verpflichtet hatte73, raumen zu lassen und dort die Ioner anzusiedeln, ihre kleinasiatische Heimat aber den Persern preiszugeben.

Der dafir verwendete Teminus KaToLICdELV (auch toKtELV) weist darauf, daB man in den Kategorien einer Koloniegruindung dachte. Darauf zielte die Aktion der Athener, wenn sie gegen das Projekt stimmten, u.a. mit der Begrundung, die Peloponnesier hatten nicht iiber ihre Kolonisten zu beraten. Im Falle einer Umsied- lung der loner ware Sparta als Hegemon der vereinigten Griechen anstelle Athens zur Metropolis der ionischen Kolonisten geworden74 und hatte damit seinen EinfluB auf Mittelgriechenland und Thessalien ausdehnen konnen, was es moglicherwei- se75 iuber den Amphiktyonenrat mit dem Vorschlag76, die pq8luavrEs- aus der Amphiktyonie auszuschlieBen, und mit dem Thessalienzug des Leutychides inten- dierte7.

Auch wenn der Anspruch Athens, Mutterstadt der ionischen Kolonien78 zu sein, auf Vorgangen griindete, die in die mythische Zeit hineinreichten79 und die mit einer anderen Sagenversion konkurrierten, so war im Bewuftsein der Zeit der

Andererseits B. Smarczyk, Untersuchungen zur Religionspolitik und politischen Propaganda Athens im Delisch-Attischen Seebund, Quellen und Forschungen zur antiken Welt B. 115, MUnchen 1990,407-435.

73 Her. 7,132,2. 74 Dieser Gedanke bei Diod. 11,37,3. Das schlieBt weitere, auch Okonomische Motive, wie sie

Balcer (Anm. 1), 278 vermutet, nicht aus, die allerdings nur hypothetisch sein kJnnen. Es gibt jedoch keinen Grund, die von Herodot bezeugte Argumentation fur anachronistisch zu halten, zumal die Berufung auf die Stammesverwandtschaft auch von Thukydides bezeugt wird.

75 Vgl. v. Fritz (Anr. 9), 602 f. Andere Motive fUr Athen bei T. J. Quinn, Athens and Samos, Lesbos and Chios: 478-404 BC, Publications of the Faculty of Arts of the University of Manchester 27, 1981, 7, Lotze (Anm. 40), 260-263 und F. Leo, Ober die Entstehung des delisch-attischen Seebundes, VDPh 32, 1878,63.

76 PJuL Them. 20,3-4. Zur Historizitat des Vorgangs H. Bengtson, Themistokles und die delphische Amphiktyonie, Eranos 49, 1951, 85-92, hier: 88-90. J. Wolski, Les Grecs et les loniens au temps des Guerres Mddiques, Eos 58, 1969flO, 33-49 weist S. 39 auf einen Bericht im Corpus Demosthenicum zur Anderung der Inschnft auf der Schlangensaule hin, der auf eine Hegemoniebestrebung Spartas hindeute.

77 Her. 6,72,1. Plut. Her. mal. 21,859d. Paus. 3,7,9. J. Wolsci, Mii&cii?6s' et son importance en Grbce k l'6poque des Guerres M&liques, Historia 22, 1973, 1-15, hier: 13-14.

78 Dies gilt auch ftir das ionische Siris in Unteritalien: Her. 8,62,2. 79 Eur. Ion 1573 ff. Smarczyk (Anm. 72), 318-371.

Page 14: Petzold - Athen Seeherrschaft

430 KmiL-Emr PEZoiD

Mythos gleichwohl Realitat, wenn auch von anderer QualiUt!0. So konnte schon Solon Attika als das ,,Alteste Land Ioniens"81 bezeichnen, und ein delphischer Spruch nannte Salamis das ,ionische" 82. Bakchylides83 sprach in seinem Festpaian fur Delos von attischen f1OoL als den KO0pOL 1a6mvv. Zwar stellte Herodot fest, daB sich viele Athener dieses Namens schirnten84, aber fir ihn war es eine Tatsache, daB die ionische Dodekapolis von Athen aus gegrundet worden war85. Das gleiche gilt fiir Thukydides86. Die Vorstellung von Athen als Metropolis der loner war so konkret, daB sie in den politischen Raum hinein wirkte und sich in pragmatisches Handeln umsetzen lieB87. So wandte sich Aristagoras von Milet, als er Unterstilt- zung flir seine Abfallpline im hellenischen Mutterland suchte, zwar zuerst an Sparta88 als die politische und militirische Vornacht der Griechen89. Als ihm jedoch hier der Erfolg versagt blieb, vermochte er die Athener mit dem Argument zu uiberreden, daB die Milesier als Kolonisten der Athener einen moralischen

80 Vgl. J. P. Barron, Religious Propaganda of the Delian League, JHS 84, 1964, 35-48, hier: 45 ff. Wolski (Anm. 76), 41 ff.

81 fr. 4,2 D. Zum Problem einer athenischen ,,Mythenpolitik" F. Prinz, Grtlndungsmythen und Sagenchronologie, Zetemata 72, Mtinchen 1979, 347-370. K. Tausend, Theseus und der delisch-attische Seebund, RhM 132, 1989, 225-235, hier: 228. Smarczyk (Anm. 72), 371- 378.

82 PluL Sol. 10,6. 83 XVII,3 Sn. 84 Her. 1,143,3. Moglicherweise, weil die Ioner als verweichlicht galten: Her. 6,12,2; 14,1.7,9a,1.

Vgl. Aisch. Pers. 41, Bacchyl. XVIII,2 Sn. (appo8aLTOs -dL&p6fos), Thuk. 1,99,1, oder als den Dorem unterlegen: J. Alty, Dorians and lonians, JHS 102, 1982, 1-14, hier: 2 f., 7 f. Andererseits betont Euphemos in Kamarina - entsprechend der Situation - die ionische Abstammung der Athener (TMuk. 6,82,2). Ob die Feststellung Herodots mit dem Ersatz der vier ionischen Phylen (die allerdings bestehen blieben) durch die zehn kleisthenischen, angeblich nach dem Vorbild des Kleisthenes von Sikyon (Her. 5,66,2-67,1) und aus Verach- tung der loner (Her. 5,69,1), zusammenhAngt, muB offen bleiben.

85 Her. 1,146,2; 147,2.7,95,1. 86 Thuk. 1,12,4.7,57,4. 87 Zur politischen Bedeutung der Stammesverwandtschaft Her. 5,72,3, Thuk. 6,6,2; 9,1 (dX-

X6uXoL); 8,2; 76,2; 77,1. 7,57,2-59,1 (Volkertafel). 4,64,3-4. 3,46,4; 86,3. Tausend (Anm. 81), 231 ff. Zum Problem S. Homblower, Comm. 1, 1991,142 ad 1,95,4. Auch die von Quinn (Anm. 75), 5 u. Anm. 23 u. 24 angeftihrten Beispiele fUr ,,a different aspect of the relation- ship" bestAtigen diese Feststellung. FUr Isokr. 4,99 ist der Koloniestatus der kleinasiatischen Poleis ein Motiv unter anderen, das den Anspruch Athens auf F(hrung im Krieg brlt T'ro cappdpow begrUlndeL FUr Wolski (Anm. 76), 42 ff. steht der proionisch orientierten Politik Athens die entgegengesetzte dorische Spartas gegentiber. Vgl. auch Smarczyk (Anm. 72) pass. Ferner Alty (Anm. 84), 14. Zum Koloniestatus als Herrschaftsmittel in einer spateren Phase des Seebundes W. Schuller, Die Herrschaft der Athener im ersten Attischen Seebund, Berlin 1974, 112 ff.

88 Her. 5,38,2; 49-51. 89 Immerhin erinnerte er hier an die Blutsverwandtschaft."Iwvas! ... 6bIa(jovas' (Her. 5,49,2).

Vgl. die Gesandtschaft der Aioler und Ioner nach Sparta, als Kyros Lydien unterwarf (Her. 1,152-153).

Page 15: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die GrUindung des Delisch-Attischen Seebundes - I 431

Anspruch auf Unterstutzung hAtten90. Die Botschaft des Themistokles an die Ioner nach der Schlacht am Artemision lautete deshalb: dv8pEs I wvcs!, o0 TTOLtETE UKca=a btT TO'S TraTpacs CJTpaTEu6gLEVOL91, wobei er nicht vergaf, daran zu erinnem, daB den Athenern die Feindschaft der Perser wegen ihrer Hilfe im ionischen Aufstand zugewachsen war. Von hier aus ist die Haltung der Athener auf der Konferenz von Samos verstAndlich zu machen.

H. D. Meyer92 geht von der Darstellung des Ephoros via Diodor93 aus und nimmt an, die Athener seien zunachst fiir die Umsiedlung der loner eingetreten, hatten aber, als die Ioner und Aioler nach Klirung von Detailfragen ihr Einver- staindnis kundtaten94, ihre Haltung pl6tzlich geandert und den Umsiedlungsplan als Ganzes abgelehnt. Da er die in den Quellen gegebene Begrindung des Wider- spruchs als ,,antidorische Agitation"95 und damit die Frage der Metropolis Athen als reinen Vorwand abtut, ist er genotigt, nach einer anderen Erklirung zu suchen. Diese fmdet er in der den Athenem untersteilten Annahme, daB mit dem ,,Umsied- lungsplan der Seekrieg ein fur allemal zu Ende" und damit auch die athenischen seepolitischen Plane in ihrer bisherigen Form gescheitert sein wiirden. Denn dann werde die Aktivitdt der Hellenensymmachie ,,in eine Richtung gelenkt, die Sparta erwunscht sei", niich auf die ,,ndkriegsfuhrung gegen die Perserfreunde in Mittelgriechenland". Den plotzlichen Sinneswandel sucht Meyer damit zu erkla- ren%, daS die Athener auf einen MiBerfolg des Umsiedlungsplanes vertraut hatten, dann aber, iiberrascht von der Zustimmung der Ioner, grundsaitzlichen Einspruch erhoben. Abgesehen davon, daB den Quellen an athenischen Planen nichts auBer dem erstrebten Flottenkommando zu entnehmen ist, fragt man sich, wie die Athener nach Ephoros loner und Aioler zu tiberreden suchen konnten, den Umsiedlungsplan anzunehmen, wenn sie fest mit einem Milerfolg rechneten. 90 Her. 5,97,2. Heinrichs (Anm. 47), 101 meint, die Vorstellung vom GroBkOcnig als dem Herrn

ganz Asiens sei AusfluB ,,zeitgendssischen griechischen Denkens", ,,die Reichsuntertanigkeit der loner" fur Aischylos ,,keineswegs unakzeptabel" (S. 94). Der Dichter kennzeichnet jedoch die persische Herrschaft (fber die loner als erzwungen (Pers. 771: Ptc; vgl. Thuk. 1,16: 1T6XLSL c80cdA.a) und legt den gesamtasiatischen Anspruch in den Mund der Atossa und des Dareios (vgl. Her. 9,116,3). Das Simonides-Epigramm (109 D) ist nichl beweiskrAftig (S. 99), ein Wandel in der Auffassung des ,,Jonerproblems" im 5. Jh. nicht erkennbar. Andererseits ist die Tese von Robertson (Anm. 72), 75 ff., der' EXMjVLK6Sg w6XERo (Thuk. 1,128,3) habe sich gegen ,,medisierende" Griechen, vorab die loner in Kleinasien, gerichtet, nicht tlberzeu- gend, weil sie weitgehend der tJbertieferung widerspricht und ihr die innere Plausibilitgt fehlt, wenn man sich die historische Situation vor Augen hallt.

91 Her. 8,22,1. Vgl. Her. 7,9a,1. Diod. 10,34,3. Die HistorizitAt einer auf den Koloniestatus abhebenden Argumentation bestatigt aus dem Munde des Euphemos (TMuk. 6,82,4).

92 (Anm. 21),416 ff. 93 11,37,1-3, eine schon von A. Kirchhoff, Der Delische Bund im ersten Decennium seines

Bestehens, Hermes 11, 1876, 1-48, hier: 6 abgelehnte tJberlieferung. 94 Dazu Powell (Anm. 8), der beachtenswerte Grtlnde gegen eine solche Reaktion der loner

anftihrt. Herodot berichet darfiber nichts. 95 aO 418. Zur politischen Bedeutung der Metropolis-Rolle Athens Smarczyk (Anm. 72), 423 ff. 96 aO417.

Page 16: Petzold - Athen Seeherrschaft

432 K^m-ERNsr POrz

Diese Widerspruche l6sen sich auf, wenn man, wie man eigentlich sollte, Herodot zur Grundlage der Interpretation macht, da bekannt ist, daB der Bencht Diodors Ungenauigkeiten und Irrtumer enthklt. Herodot andererseits gerade ftr die Vorgfinge auf Samos wegen seines Aufenthalts als Fliichtling dort eine besonders kenntnisreiche Quelle darstellt97. Wihrend bei Diodor ausdriicklich ot lrrpt Evdnr- nov als diejenigen bezeichnet werden, die zusammen mit Leutychides und den Peloponnesiem den Umsiedlungsplan aktiv vertreten, sind es bei Herodot allge- mein die Griechen, die gewif3 die Athener einschlieBen konnen, aber nicht miissen. DaB das letztere der Fall ist, sagt Herodot ausdriicklich. Mit gLtv und 8 stellt er dem Vorschlag der fuhrenden Peloponnesier die Meinung der Athener gegenilber. Fer- ner gehort in der Wendung oOKc 86KCEE d&pXv die Negation auch zu dem adverbial gebrauchten accusanvus respectus &pXlv 98 und wird dadurch verstiarkt: 'hinsicht- lich des Anfangs nicht' = 'iuberhaupt nicht'99. Die Athener waren demnach - wie man auch erwarten soilte - 'von Anfang an nicht' mit dem Umsiedlungsplan einverstanden1??, nicht einmal (ob&) damit, da3 die Peloponnesier uberhaupt uber ihre Kolonisten ratschlagten. Wenn diese darauffiin bereitwillig (1TpoObpIT) nach- gaben, kann Sparta nicht die Absicht gehabt haben, aus dem Seekrieg einen Feldzug zu Lande zu machen, wie Meyer untersteilt Vielmehr ist aus dieser Wendung die Erleichterung der Peloponnesier herauszuhoren, die Verantwortung fur die Ioner, die eines dauemden Schutzes bedurften, los zu seinll. Dabei konnte die bekannte Abneigung Spartas gegen uberseeische Untemehmungen eine Rolle gespielt ha- ben102. Wichtiger erscheint mir, daB sie vor einer militdrischen Bindung auf unab- sehbare Zeit zuriickschreckten103.

Die Begrenztheit ihrer Zielsetzung104 wird bei dem nun folgenden Untemeh- men der Symmachie an den Hellespont deutlich. Man gedachte, die dort von Xerxes angelegte Schiffsbriicke zu zerstoren, was Themistokles angeblich bereits

97 Vgl. Sealey (Anm. 72), 235. Meiggs (Anm. 22), 413 f. Quinn (Anm. 75), 6 Anm. 30. 98 Die Abweichung gegenUber der Normalform dpAv oi erkirt sich aus dem BedUrfnis, die

gegensgtzlichen Meinungen TkXowovvrt)v jU1,V TOtaL V TtXEL EOaOaL 8&EEE ... 'AOrvatota & o K66K16cc dpXiv ... sprachlich herauszuarbeiten. Man vgl. Her. 7,90,1: o0i8 Xtyw dpxjv.

99 So schon v. Fritz (Anm. 9), 602, jedoch ohne Begrtlndung. 100 Daraus ist aber nicht mit Meyer (Anm. 21), 415 ff. eine Weichenstellung in ,,Richtung auf

eine weiterreichende Hegemonieabsicht Athens" zu erschlieBen. Ein MiBverstAndnis dieser Stelle auch bei Heinrichs (Anm. 47), 69 ff., der deshalb nicht vorhandene WidersprUche und Probleme bei Herodot feststellt, die zu einer (nicht Uberzeugenden) Uminterpretation der Konferenz von Samos fUlhren.

101 Mit der Aufnahme der Inseln in die Hellenensymmachie (Her. 9,106,4) war der Umsiedlungs- plan endgUiltig vom Tisch. Anders Heinrichs (Anm. 47), 76.

102 Von Heinrichs (Anm. 47), 30 bestritten. 103 I. A. 0. Larsen, The Constitution and Original Purpose of the Delian League, HSPh 51, 1940,

175-213; hier: 181. Weitere Aspekte, welche die besondere soziale Struktur Spartas betref- fen, bei Balcer (Anm. 1), 277. Smarczyk (Anm. 72), 408 ff.

104 Dazu auch Wolski (Anm. 76), 43 f.

Page 17: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die Grindung des Delisch-Attischen Seebundes - I 433

unmittelbar nach der Schlacht bei Salamis ins Auge gefaBt hatte, damals allerdings aus der strategischen Erwagung, die Flotte zu verfolgen und dem Landheer unter Mardonios den Ruckzug zu sperren. Als man die Brucke nicht mehr vorfand, fuhr der spartanische Oberbefehlshaber der Symmachie samt den Peloponnesiern nach Hause und uberlieB die ubrigen Bundesgenossen, zu denen jetzt neben Samiem, Chiem, Lesbiem und Nesioten, die noch auf Samos in den Bund aufgenommen worden waren1o5, auch die Ioner und HellespontierI16 gehorten, ihrem SchicksalI07. Letztere setzten sich in erster Linie aus Ionem und Aiolern zusammen. Sie werden sich bei Ankunft der Symmachie vor Abydos dieser angeschlossenI08 und mogli- cherweise die Einnahme der persischen Festung Sestos durchgesetzt haben, wo der Statthalter Artayktes seinen Sitz hatte, von dem sie wegen ihres Abfalls (h8ri d1CEUThK6TET dT6 ParLXt&)s) vom GroBkonig eine Strafaktion nach Abzug der Verbiindeten bei Wintersanfang befirchten muBten. Offenkundig zeigten die Spar- taner und der Peloponnesische Bund an dieser Aktion kein Interesse mehr, auch wenn Eurybiades ein Jahr zuvor den Krieg auf persischem Territorium als nachste Aufgabe der Hellenensymmachie bezeichnet hatte. Das Verhalten der Peloponnesi- er auf Samos wie am Hellespont laJt vermuten, daB ihnen die Weiterfuhrung des Krieges in Kleinasien nicht Herzenssache war.

Diese Tatsache wird in den Quellen stark hervorgehoben'09, ohne daB die Forschung ihr die gebUhrende Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Herodot betontl 10, daB die Athener unter Xanthippos zuruickblieben (inroviivav-rEs), wihrend Leu- tychides mit den Peloponnesiem davonfuhr. Die gleiche Kontrastierung finden wir

105 Her. 9,106,4; 114,1. 106 Thuk. 1,89,2. Ein Gegensatz zwischen Herodot und Thukydides besteht nicht (so aber Sealey

[Anm. 72], 236), da dererstere orEXXi1ves nah Sestos fahren 1gBt und nur die Peloponnesier dort ausscheiden. Vgl. Thuk. 6,77,1. Von der Aufnahme der loner und Hellespontier in die Hellenensymmahie wird nichts berichtet Vgl. Hornblower (Anm. 87), 134 f. ad 1,89,2; 141 f. ad 1,95,1. Zu den Truppen vor Sestos gehOrten, wenn man Her. 9,104 mit Thuk. 1,89,2; 95,1 kombiniert ot MXot'wvCs (Her. 9,103,2), die nicht in die Hellenensymmachie aufge- nommen waren, neben den Hellespontiemn. Vgl. Leo (Anm. 75), 63-65. Weshalb diese 'MitkAmpfer' nur Nesioten gewesen sein sollen - so Balcer (Anm. 1), 279 -, ist nicht erkennbar.

107 Das spricht gegen die Vermutung Woodheads (Anm. 64), 180, die Unternehmungen gegen Sestos und Byzanz hutten noch dem Ziel der spartanisch gefUhrten Hellenensymmachie gedient, die Perser aus der Aggis zu verdrangen. DaB andererseits die Athener nicht allein vor Sestos operierten, ergibt sich aus genauer Interpretation des Herodot, der neben den Athenemn auch von"EXMnves spricht: 9,116,3; 119,2; 121,11. Vgl. Thuk. 1,89,2. Meiggs (Anm. 22), 35 Anm. 1. Quinn (Anm. 75), 7 f. Leo (Anm. 75), 63 f.

108 Diese Venmutung findet sich bereits bei Kirchhoff (Anm. 93), 9. 109 Selbst der Rhetor Aelius Arisiides sieht hier einen Einschnitt (Ende der sog. 2. Phase), indem

er das Ausscheiden Spartas und der Peloponnesier im Jahre 478 mit der Entstehung des Seebundes in Zusammenhang bnrngt 13 D p. 246; 276. Day (Arum. 17), 40 ff. zeigt die Unterschiede in der Gesamtinterpretation zwischen dem Redner und Thukydides auf.

110 9,114,2.

Page 18: Petzold - Athen Seeherrschaft

434 KcAL-ERNsT PEZOLD

bei Thukydides unter Verwendung desselben Ausdrucks fir die Haltung der Athe- ner und ihrer Bundesgenossen (rmojicCvavTrc)III. Vor Ausbruch des Peloponnesi- schen Krieges rechtfertigen die Athener ihre Arch6 damit, daB sie sie nicht gewalt- sam an sich gerissen, sondem die Bundesgenossen sie um die Fiihrung gebeten hatten, weil die Spartaner nicht dableiben wollten (oiK IOXfCdwv TrapajLvELvaL) 12,

um den Rest der persischen Streitmacht zu bekrnpfen - in Anspielung auf die Ereignisse des Jahres 47817. Im Jahre 428 bestatigen die Lesbier in Olympia diesen Kausalkonnex vor den Lakedaimonieml 13: ,,Unsere Bundesgenossenschaft", so sagen sie ,,rnit den Athenern kam in der Zeit zustande, als ihr euch aus dem Krieg mit den Medem zuriickzogt, wMhrendjene dablieben (TrapaCELViVTWV) fur das, was noch zu tun uibrig blieb". Diodor114 formuliert sogar, daB danach die griechische Streitmacht gespalten wurde (aXLa&fvaL). Die Konsequenz aus dieser Haltung der Spartaner zieht Thukydides in dem historischen Uberblick zu Beginn seines Wer- kes, der sogen. Archaologie. Dort hei3t es1 15: ,,Nachdem sie gemeinsam (KOv() den Barbaren zuruckgeschlagen hatten, trennten sie sich (8LEKptL&aav) nicht viel spa- ter1 16, indem die Griechen, die vom GroMktnig abgefallen waren, einerseits und die Mitglieder der Hellenensymmachie (tugnroXcffiraatrcs; vgl. ? 2: ot AaKe&Xt6vlOL T(3V tWuToX rncadvTwv' EXWvwv yfry'avTo), andererseits auf die Seite der Athener bzw. Lakedaimonier tratenl17 ... Zwar blieb die Karnpfgenossenschaft (6paLXR4a 118 = Her. 7,145,2 = Hellenensymmachie) noch kurze Zeit bestehen'19, aberdann (462/ 1) entzweiten sich die Lakedaimonier und Athener120 und bekirnpften einander mit den jeweiligen Bundesgenossen". Die Wurzeln der delisch-attischen Symmachie werden von der Uberlieferung demnach in dem bereits im Jahre 479 sichtbaren Ruckzug der Peloponnesier aus dem Perserkrieg gesehen.

Der Bericht des Herodot iuber die Belagerung von Sestos macht deutlich, daB diese Aktion unter dem Kommando des Xanthippos durchgefiihrt wurde und seine Athener die Hauptlast des Untemehmens zu tragen hatten. Ihre Ungeduld ist verstindlich, als die Belagerung keine Fortschritte machte und der Herbst sich dem

111 1,89,2. 112 Thuk. 1,75,2. 113 Thuk.3,10,2. 114 11,37,4. 115 1,18,2. 116 A. Giovannni - G. Gotdieb, Thukydides und die Anfinge der athenischen Archd, SHAW

1980, 9 erkennen infolge unscharfer Interpretation nicht, daB hier ,,ein Sonderbund im Hellenenbund entstanden ist".

117 So auch N. G. L. Hammond, The Origins and the Nature of the Athenian Alliance of 478/77 B.C., JHS 87, 1967, 41-61, hier: 51.

118 Vgl. Thuk. 3,58,4. 119 Vgl.Thuk. 1,102,1.4.Diod. 11,55,4. 120 Thuk. 1,102,4. Laen (Anm. 103), 204 ff. sieht in der Wendung a$vTcs' rT?v ... cu,4LaXlav

keine Aufktlndigung der Mitgliedschaft in der Hellenensymmachie, da sie noch wAhrend des Peloponnesischen Krieges existent gewesen sei.

Page 19: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die GrUndung des Delisch-Atischen Seebundes - I 435

Ende zuneigtel2l. Anders als Leutychides weigerten sich jedoch die athenischen Strategen, dem Wunsch ihrer Landsleute nach Ruckkehr in die Heimat zu willfah- ren, ohne die Festung eingenommen zu haben. Man wird Xanthippos dabei die Uberlegung unterstellen diirfen, daB hier zum ersten Mal sein Versprechen, den Schutz der ionischen Griechen zu iibemehmen, auf seine Glaubwiirdigkeit hin ilberpruft werden konnte. AuBerdem mochte er seine politische Stellung in Athen nach dem Ostrakismos dadurch festigen wollen, daB er dem Sieg bei der Mykale noch die Sicherung der GetreidestraBe vom Schwarzen Meer in die Agais anschloB. Die Bemerkung, eine Ruckkehr, ohne die Festung eingenommen zu haben, kommne nur in Frage, wenn das Koinon der Athener die Flotte zuriickhole, ldBt den SchluB zu, daB diese neben der Kriegfiihrung gegen Persien keinen bestimmten Auftrag hatte'22. Details, wie Verfolgung der Flotte und Abbruch der Schiffsbriicke Uber den Hellespont, wurden im Strategenrat diskutiert und verworfen. H?tte, wie Stein- brecher meint, eine ,,1angerfristige Konzeption" bestanden, nach der ,,Athen aktiv auf den AbschluB eines Biindnisses mit den ionischen Gemeinden hinarbeitete", oder nach Meyer eine letztlich auf die Hegemonie ausgerichtete ,,Flottenpolitik" existiert, so ware jetzt die Gelegenheit gegeben gewesen, die Fiihrung der Flotte und womoglich das Oberkommando in der Symmachie an sich zu reiBen. Aber sie wurde nicht genutztI23. Die aus der Sicht der Athener notwendige Voraussetzung jedoch fur eine Ubernahme des Kommandos, nimlich ein Desinteresse der Sparta- ner an der Fiihrung, schien nahergeriickt'24.

Herodot scheint den Vorgdngen auf der dhrakischen Chersones einen symboli- schen Wert beigemessen zu haben, den er durch die Artayktes-Geschichte zum Ausdruck brachteI25. Dieser Perser bemachtigte sich, wie er sich selbst ausdrUckte, ,,des Hauses eines Griechen, damit ein jeder daraus die Lehre ziehe, nicht gegen das Land des GroBkonigs zu Felde zu ziehen". Damit war die Pliunderung und Profanie-

121 Her. 9,117. 122 Neben Her. 9,114,2 geht dies aus Her. 9,117 hervor, einer Stelle, aus der Ch. A. Fomara, The

Athenian Board of Generals from 501 to 404, Historia Einz.Schr. 16, 1971, 18 allerdings mit anderen den entgegengesetzten SchluB zieht. Da der Ausgang des Flottenuntemehmens nicht vorhersehbar war, kann der EntschluB, die BrUicken uiber den Hellespont zu zerstoren, erst im Strategenrat auf Samos gefaBt worden sein (Her. 9,106,4). Die Entscheidung der Athener, Ioner und Hellespontier, Sestos zu belagem, ergab sich aus der gleichfalls nicht vorhersehba- ren und auch nicht erwarteten Situation, daB die Brilcken nicht mehr vorhanden waren. Ein entsprechender vorausschauender Auftrag des athenischen Demos ist undenkbar. Auch die knappe Darstellung des lTukydides 1,89,2-3 bietet das gleiche Bild. Ich ftihIe mich bestArkt durch Kirchhoff (Anm. 93), 9, der schon vor mehr als hundert Jahren fornulierte: .der gewisserrnaBen private Charakter des athenischen Unternehmens ....

123 Anders im Jahr darauf, als sich wahrend der Abwesenheit des Pausanias der neue Bund forrnierte: Thuk. 1,95,4.

124 Dazu Larsen (Anm. 103), 182, der allerdings meint, es habe vielleicht schon in diesem Jahr den Plan fUir die Bildung einer ,,special league" gegeben. Doch das bleibt uns verschlossen.

125 9,116-121. Dazu D. Boedeker, Protesilaos and the End of Herodotus' Histories, Classical Antiquity 7, 1988, 30-48 (Hinweis von K. Raaflaub).

Page 20: Petzold - Athen Seeherrschaft

436 KsmL-EkNrS PE-oLD

rung des Heiligtums des Heros Protesilaos in Elaius gemeint, der nach der Sage als erster auf dem Flottenzug gegen Troja auf asiatisches Land sprang und sein Leben verlor. Herodot bezieht sich damit auf die mythische Erkldarung des Ost-West- Gegensatzes zuriick, die er im Pro6minun26 gegeben hatte. Als Land des GroBko- nigs wurde von Artayktes ganz Asien verstanden 27, wobei er, wie Herodot im letzten Kapitel'28 seines Werkes mitteilt, an eine Auferung seines Ahnherrn gegen- iuber Kyros ankniipfte. Wenn die Griechen, voran die Athener, ihn nach nichthelle- nischer Art, fur Perser aber bedeutungsvoll, an der Stelle kreuzigten, wo Xerxes die Schiffsbrdcke befestigt hatte, und deren Taue als Weihegaben fur ihre Heiligtumer mitnahmen, so mochte damit verdeutlicht werden, daB nach dem Scheitern des Xerxeszuges die Initiative in der groBen Auseinandersetzung wieder auf den We- sten, hier speziell auf Athen, ubergegangen war, um den hybriden Anspruch des GroBkinigs zu widerlegen. Vielleicht hat Herodot nicht ohne Absicht diese Ge- schichte am Vorabend der Entstehung des Delisch-Attischen Seebundes erzWhlt, dessen Aktionen allerdings nicht mehr in den von ihm gesetzten Zeitahmen fielen.

Zur Klarung dieses epochalen Vorgangs kehren wir zu unserem Ausgangs- punkt, das Urteil Herodots 8,3,2, zuruck. Wir sahen, daB der Historiker unter fyqLRov(tn in dem vorliegenden Kontext nur das militarische Kommando Uiber die Flotte, nicht das Oberkommando und schon gar nicht die politische Fiihrung versteht. Weiterhin konnte gezeigt werden, daB sich die athenischen Strategen der einmal getroffenen Entscheidung fulgten, ohne jedoch ihren sachlich gerechtfertig- ten Wunsch nach dem Flottenkommando aufzugeben. Die Gelegenheit, ihn zu realisieren, stellte sich unter dem Oberkommando des Pausanias im Jahre 478 ein. Wir sahen, daB Herodot die Art und Weise, wie die Athener das erstrebte Flotten- kommando an sich nahmen, kritisiertl29, indem er das Gewaltsame an diesem Vorgang betont, um die dahinterstehende, bisher unterdriickte Willensrichtung der Athener zu verdeutlichen. Da aus dem weiteren Kontext bei Herodot eine durchaus loyale Einstellung der athenischen Strategen gegenuber dem spartanischen Ober- kommandierenden herausprapariert werden konnte, stellt sich die Frage, worauf die Kritik des Historikers zielt.

Sie steht auBerdem im Widerspruch zu der von Thukydides gegebenen Inter- pretation der Vorgange, der davon spricht'30, daB die Athener die Hegemonie ,,ubernahmen" (ffapaX\a6v-rc), und sie in ihrer Rede vor den Spartanern ausdriick- lich - vielleicht als Replik auf jene Kritik - jede Gewaltanwendung dabei zuruck-

126 Unter diesem Begriff werden hier die ersten fiinf Kapitel subsumiert, in denen die eigentliche Menschengeschichte von der heroischen abgehoben wird. Auf die philologische Diskussion sei hier nicht eingegangen.

127 Vgl. Thuk. 8,58,2. 128 Zu dessen Interpretation T. Krischer, Herodots SchluBkapitel, seine Topik und seine Quellen,

Eranos 72, 1974, 93-100, der hier eine WUirdigung des geschlagenen Gegners erkennen will. 129 Oben S. 422 130 1,96,1.

Page 21: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die GriUndung des Delisch-Attischen Seebundes - I 437

weisen l&Btl3l. Dem entspricht seine Darstellung der Vorgange, wonach die Ver- bundeten zu den Athenern ,,iberwechselten" (1,95,4: ETaTdtacrOaL, 1,130,2: ILEOLUTaUOaL). Besonderes Interesse verdient der ausfiihrlichere Bericht in der Aristeides-Vita des Plutarchl32. Dieser gebraucht das fast bedeutungsgleiche Kom- positium lTapaLpetrOaL, betont aber ausdricklich das Nicht-Gewaltsame des Vor- gangs: ,,Mit Rucksichtnahme und kluger Politik entzog er unmerklich den Lakedai- moniern die Hegemonie". Plutarch stutzt sich dabei auf die Uberlieferung, daB die Fiihrer der bundesgenossischen Griechen wegen des herrischen Wesens des Pausa- niasI33 Aristeides zu bereden suchten, die Hegemonie zu iibernehmen: ,,Schon lange wunschten sie, von den Spartiaten loszukommen" (? 4: &1TraxxayVaL TdIV

ZTrapTLaTdIV).

Thukydides bestatigt diese Version, wenn er davon spricht, daB die Ioner und die kiirzlich vom GroBkonig befreiten GriechenI34 - womit die Hellespontier gemeint sein diirften - immer wieder (4oLTd5vTEs) an die Athener herantratenI35 mit der Aufforderung, zu ihrem Schutz die Fiihrung zu ubemehmen, wobei sie nicht vergaBen, an ihre Verwandtschaft (Tb tuyyEvis-) zu erinnern136. Das war ein deutli- cher Hinweis auf die Argumentation der Athener in der Konferenz von Samos, mit der sie den Umsiedlungsplan verhindert und damit eine moralische Verpflichtung zum Schutz der kleinasiatischen Griechen auf sich genommen hatten. Auch den ubrigen Griechen (ol d4XOC'EXXrnVES)137 war der spartanische Regent ein Argernis, und Diodor weiB zu berichtenI38, daB sogar die Peloponnesier ihn verlieBen und durch Gesandte in der Heimat Anklage erhoben, was Thukydides bestatigtI39. Bemerkenswert ist, daB Aristeides zwar die Antrage der Verbundeten wohlwollend aufnahm (? 2 Aoyovs 8ttav-ro) und eine alle befriedigende Regelung in Aussicht stellte, gleichwohl aber das spartanische Oberkommando noch nicht antastete. Plutarch weiB sogar von einer vorherigen Erprobung der Zuverlassigkeit des bun- desgenossischen Votums fur Athen, von der er seine Entscheidung abhangig ma-

131 1,75,2. M. Finley, in: Garnsey - Wittaker (Anm. 1), 125, versteht hier unter hlyqiovta ,,accepting empire".

132 23,1. Vgl. Kim. 6,2. 133 Thuk. 1,130,2 bestatigt dies und bringt das Verhalten des Pausanias in Zusammenhang mit

seiner gerade zum GroBkonig hergestellten Verbindung. Quinn (Anm. 75), 8 halt den vermu- teten Verrat an die Perser fUr eine wesentliche Motivation der Toner.

134 1,95,1. Diese kOnnen sich eigentlich nur unter Xanthippos vor Sestos an die Griechen angeschlossen haben.

135 In Anbetracht der Tatsache, daB Thukydides die AnonymitAt bevorzugt, kann man hinter den ,,Athenern" Aristeides (und Kimon) vermuten und nicht eine ,application to Athens itself', wie Woodhead (Anm. 64), 180 meint.

136 Diese Tatsache spricht gegen die These von Giovannini - Gottlieb (Anm. 116), daB der Seebund und die Hellenensymmachie identisch seien.

137 Thuk. 1,95,1. 138 11,44,6. 139 1,95,3.

Page 22: Petzold - Athen Seeherrschaft

438 KAjtL-EaNsr P=Ou

chen wolltel40. Thukydides steilt fest, daB zu dem Zeitpunkt, da Pausanias nach Sparta zuruckbeordert wurde, um sich zu verantworten, die Bundesgenossen aus Feindschaft ihm gegenuber (T41 IKE(VOU IXOEL) auf die Seite Athens uberschwenkten (? 4). Er sieht demnach die Initiative auf ihrer Seite und schlieBt sich damit der Darstellung an, die der atbenische Gesandte vor Ausbruch des Krieges in Sparta gegeben hatte141. AuBerdem betont er, daB die Hegemonieubemahme erfolgte, als die Fiibrung der Symmachie verwaist war142.

Anstelle des Pausanias sandten die Spartaner einen gewissen Dorkis mit eini- gen anderen Feldherrn, die nur eine kleine Streitmacht mit sich fUihrten143. Schon diese Tatsache zeigt, da, Sparta und die Peloponnesier nur noch geringes Interesse an der Weiterfuihrung des Krieges hatten. Die weit ausgreifenden Untemehmungen des Pausanias nach Zypem und Byzanz144 waren offensichtlich Fnichte seines personlichen Ehrgeizes145. Als die Bundesgenossen die spartanische Fiihrung nicht mehr akzeptierten, verlieBen Dorkis und seine Begleitung den Schauplatz, ohne Widerstand zu leisten146. Das paBt in die Entwicklung, die sich im Jahr zuvor am Hellespont angebahnt hatte und hat deshalb auch die innere Wahrscheinlichkeit fur sich.

Die gleiche Tendenz zeigt die Tatsache, daB die Spartaner kiinftig keine Kommandeure mit Truppen entsandten, weil sie, wie Thukydides erklarend hinzu- fugt, den Racheklieg gegen Persien lossein wollten147. Das ist in gewisser Weise sogar verst9ndlich angesichts der Tatsache, daB sie selbst durch den Krieg keinen Schaden erlitten hatten, wie etwa Athen, und die Peloponnesier von dem Hegemo- niewechsel nicht betroffen waren. Auch die anderen von ihm genannten Motive

140 Arist.23,5. 141 So kann Isokr. 12,52 im Gegensatz zu Herodot sagen: d4-X6CVOL AaK8aLRov(ous TV9nV

hfyqov(av ot MKWvvvLYtGavTE TOt$ 1tS) hETpOL9s wrapM8av. Aristod. FrGrHist 104F7 formuliert Ihnlich wie TMukydides: oVEXXTvEs' daLaTdi4vVOL dwrb TdV AdK1c8aLLOVI.V

WTpO(KCT(Ocv1TO ots' A vatows. 142 Larsen (Anm. 103), 182. 143 Thuk. 1,95,6. 144 Olberlegungen zu beiden Untemehmungen bei Heinrichs (Anm. 47), 83 ff. u. 86 ff. Er betont

mit Recht das Interesse der loner an diesen Operationen. 145 Vgl. W. Loomis, Pausanias, Byzantion and the Formation of the Delian League, Historia 39,

1990,487-492, hier: 490 f. Zum Problem auch Lotze (Anm. 40), 271 ff. 146 Mdglicherweise waren auch innere Probleme (Argos, Arkadien) fUr Sparta mitentscheidend.

Vgl. Meiggs (Anm. 22), 41. 147 Zum Widerspruch zu Her. 8,3,2 und [Arist.] Ath. Pol. 23,2 Hornblower (Anm. 87) ad 1,95,7,

S. 142 f. und ders., The Greek World 479-323, London ... 1985, 21 ff. Er meint, Thuk. 1,89- 93 entstammten einer frtiheren Schaffensperiode des Historikers und widersprchen der c. 95 gebotenen Argumentation. Jedoch ist der Arger der Spartaner tIber das ThuschungsmanOver des Themistokles und den trotz ihren Vorhaltungen durchgesetzten Mauerbau bei einer Landmacht ebenso verstAndlich wie deren relativer Gleichmut beim Verlust des Seekomman- dos. Zur Kltrung des scheinbaren Widerspruchs zu Herodot s.u.

Page 23: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die GrUndung des Delisch-Attischen Seebundes - 1 439

diirften zutreffen und keine Erklirung im Nachhinein sein 48. Wie Steinbrecher149 zu der Meinung kommt, daB ,Sparta die Hegemonie weiter ausuiben wollte, Athen dies aber nicht zulieB", obwohl das letztere von Thukydides ausdriicklich den Bundesgenossen zugeschrieben wird, bleibt sein Geheimnis.

Probabel ist auch, was Plutarch Arist. 23,7 abschliefend feststellt: (Z1apTLdTaL) dL4jcav KcouvarS Ti)v fyycqovlav150. Denn diese Haltung stellt eine geradlinige Fortsetzung der im Vojahr auf Samos bezogenen Position dar, wo nach Herodot die Peloponnesier den Athenem das Patronat uber die Ioner uberlieBen, und Thuky- dides bestatigt ausdriicklich die Gewaltlosigkeit des Vorgangs, wenn er formuliert, daB die Athener die Hegemonie ubernahmen tK6V-rWv Td3V uIjIcI&XWV 8Ld Tb TOO Tauvavlou Ctaosgl5l. Unter tO(iaXoL versteht Thukydides hier die IonerI52 und die kiirzlich aus persischer Oberhoheit befreiten Griechen, speziell die Hellespon- tierl53, whrend die tbOp}axoL auf der Peloponnes eine den Athenem gegenuber feindselige Haltung einnahmen, als diese sich daran machten, die niedergerissenen Stadtmauern wieder aufzurichten, weil sie die neu entstandene Seemacht fiurchte-

148 Man vgl. hierzu die pragmatische Analyse spartanischer Politik dieser Zeit, spez. am Beispiel des Mauerbaus und der Hegemonieubernahme durch Athen, von Lotze (Anm. 40), 256-260, sowie die weiteren Oberlegungen zum Hegemonieverzicht Spartas S. 269 f. Sie scheinen mir uberzeugender als die Verwerfung des lhukydides-Urteils als "later aspect of Athenian propaganda" (Balcer [Anm. 1], 500 Anm. 24 mit weiterer Literatur).

149 (Anm. 6), 75. Balcer (Anm. 1), 336 spricht die MOglichkeit an, daB die Bundesgenossen vielleicht von den Athenern zu diesem Schritt veranlaBt wurden - doch ohne Beleg.

150 Aus Diod. 11,50 hat man die Existenz von zwei entgegengesetzten politischen Richtungen in Sparta erschlossen: Iarsen (Anm. 103), 182. 184. Meiggs (Anm. 22), 40. Versuch einer Erkilirung Lotze (Anm. 40), 268 ff.

151 1,96,1. Vgl. 1,75,2 (Athener). 6. 76,3 (Syrakusaner) Isokr. 7,17. 8,30; 76. 16,27. Dem 3,24. Zu den moglichen Motiven der t6gliaxot neben der Hybris des Pausanias vgl. Powell (Anm. 8), 9f .

152 So auch Thuk. 6,76,3: rycg6vc5s yev6lievoL tK6vrr)V Tr6v TE 'I vwv Kal &YOL dirb a43v Acrav (tbLaXoL. Giovannini -Gottlieb (Anm. 116), 10 vermissen die Angabe, daB es sich bei den ttLILaXOL um einen Sonderbund innerhalb der Hellenensymmachie handele. Doch dies ist impliziert in der Formel 'loner und alle stammverwandten Verbftndeten', da die Hellenen- symmachie in erster Linie aus Peloponnesien bestand, die den Seitenwechsel nicht mitvoll- zogen (Ibuk. 1,94,4) und die in 1,95,1 als ot d&Xot'EXXT1vES deutlich von den Ionern und anderen 'Befreiten' abgesetzt werden. Wenn sie glauben (aO 25), daB unter tO,uaXOL stets die Hellenensymmachie als Ganze zu verstehen sei, so zeigen die Kapitel 1,89,2-90,1 und 94,1 -97,1 deutlich, daB sprachliche Termini in literarischen Texten nicht den Wert mathema- tischer Fonneln haben. So spricht auch Herodot 9,119,2 vor Sestos von ot 'EXxAnvCs!, obwohl mit den Peloponnesiem der grNSte Teil der Hellenensymmachie abgezogen war. Steinbrecher (Anm. 6), 68 weist demgegenflber zu Recht auf die off lzielle epigraphisch bezeugte Bezeich- nung fir den Seebund hin. Vor seiner BegrUhndung waren loner und Hellespontier nur 'Mitknmpfer'. Im Ibnigen gibt Thuk. 1,18,2 zu erkennen, daB er von einer Spaltung (8&eKpt-

ncav) innerhalb der Hellenensymmachie (b&aLXgCa) weiB. 153 Thuk. 1,95,1; 89,2. Soauch Kirchhof (Anm. 93), 11.

Page 24: Petzold - Athen Seeherrschaft

440 KARL-ERNST PEZO,LD

ten154. Der Historiker beginnt demnach seine Darstellung mit der Spaltung der antipersischen Front in die vom GroBkonig abgefallenen Griechen unter der Hege- monie Athens, die zu einem GroBteil nicht der Hellenensymmachie angehorten, und die unter spartanischer Fubrung verbliebenen Teile der Hellenensymmachie' ss (eugnroXEMcravTEs), welch letztere an der Weiterfiihrung des Krieges kein Interesse mehr hatten. So erklaren sich seine Urteile von der Gewaltlosigkeit der Hegemonie- ubemahme und dem fehlenden Widerstand, ja der stillschweigenden Zustimmung Spartas1 , die Plutarch in eine offene verwandelt'57.

Demgegenuber sieht Herodot den Vorgang, derjenseits des von ihm behandel- ten Zeitraums lag, noch im Rahmen der Hellenensymmachie, in der das Komman- do uber die Flotte den Spartanem zustand. Seine Kritik richtet sich demnach auf den Umstand, da.B die Athener, ohne die Zustimmung Spartas eingeholt zu haben - von der sie noch Gelon gegeniiber ihre Entscheidung abhRngig gemacht hatten -, die Hegemonie zur See ,,an sich rissen", ohne jedoch ,,den Kampf in der Perser eigenem Land" auf athenische Initiative zuruckzuftihren. In Ausgestaltung dieser Kritik spricht die Ath. Pol.158 sogar davon, daB der Hegemoniewechsel gegen den Willen der Lakedaimonier erfolgt sei. Dem Aristeides werden Aktivitaten zur Gewinnung der unzufriedenen Bundesgenossen zugeschrieben, und auch Ephoros hat Herodot in diesem Sinne verstanden159, was ihn veranlaBte, es in Sparta wegen des Hegemonieverlustes zu schweren Auseinandersetzungen kommen zu lassen16, die Jacoby zu Recht als erfunden gekennzeichnet hat'6 .

Wenn Herodot die Hybris des Pausanias als einen von den Athenern vorge- schutzten Grund bezeichnet, so kann dies nicht bedeuten, daB er als solcher fiktiv war. Dagegen sprechen eindeutig die Zeugnisse der verschiedenen Autoren, insbe- sondere des Thukydides162, der sich sogar zu der Behauptung versteigtl63, Pausa- nias habe mit Hilfe des GroBkonigs nach der 'EXXinVLd &PXf gestrebt - also dem

154 Thuk. 1,90,1. 155 Thuk. 1,18,2, der unter tvupaoXqdaavrTes' die Hellenensymmachie versteht. 156 So Larsen (Anm. 103), 11. 157 [Arist.] Ath. Pol. 23,7. Eine Verklrung der Vorgalnge bereits Xen. Hell. 6,33-35 aus dem

Munde spartanischer Gesandter unter dem Eindruck der Bedrohung des Jahres 370/69. Der Wahrheit nlher Isolar. 4,72. 8,30.

158 Vermutungen zu den Quellen der Ath. Pol. und Diodors bei Hammond (Anm. 117), 43. Mcglicherweise wurde der Unwille der Spartaner aus der ZurUickweisung des Dorkis durch die at6?LXoL herausgesponnen.

159 Diod. 11,44,6. Vgl. Ath. Pol. 23,4, wo Steinbrecher (Anm. 6), 74 durch die tibersetzung von -qpetv mit 'ausnutzen' die Initiative dem Aristeides unterstellt.

160 o. Anm. 50. 161 Kommentar zu FrGrHist 70 Fl 89-190, S. 89; von Forschern wie Hornblower (Anm. 147), 23

oder Steinbrecher (Anm. 6), 137 f. fUir historisch gehalten. 162 1,130,2;95,1-5. 163 1,128,3. Her. 5,32,2 ist sich nicht sicher, ob Pausanias nach der 'Tyrannis uber Griechenland'

strebte. Zum Problem Lotze (Anm. 40), 274.

Page 25: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die Grindung des Delisch-Attischen Seebundes - I 441

Ziel, das einzelne Forscher den Athenern unterstellen. Vielmehr kann er damit nur andeuten wollen, daB die Athener ihr eigentliches Motiv, das Kommando iuber die Flotte zu erhalten, zuriickstellten und sich der Argumentation der Bundesgenossen bedientenl64, die sie allerdings insoweit tangierte, als sie gewissermai3en den Schutz der kleinasiatischen Griechen auf der Konferenz von Samos ubernomn hatten und daher gegen die Ubergriffe des Pausanias vorzugehen moralisch gen6- tigt waren, was Thukydides mit der Wendung Ws oO irepLoE46iEvoL165 zum Ausdruck bringt. Entscheidend war nach der Meinung Herodots in den Augen der athenischen Strategen, daB sie wegen des Kriegsschauplatzwechsels nicht mehr auf die Hilfe der Peloponnesier angewiesen waren, die Zeit somit fiir die Erfullung ihres alten Wunsches, der Ubernahme des Flottenkommandos, reif warl66, womit auch die neue auf Samos Ubemommene Aufgabe wirkungsvoll erfillt werden konnte. Weil sie dies verstindlicherweise nicht aussprachen, sondem sich auf die Beschwerden uber die Hybris des Pausanias beriefen, konnte Herodot von einem vorgeschutzten Grund sprechen167.

So jedenfalls wird man die Herodotstelle interpretieren miissen. Allerdings darf man dabei nicht vergessen, daI der Historiker hier seine Interpretation der Fakten vorlegt, die wir nicht unbedingt ubernehmen muissen. Moglicherweise hat er das Gewaltsame des Vorgangs in der Absicht betont, seine Deutung der Fakten plausi- bel zu machen. Damit wird das Gewicht des Passus, der in der Forschung eine so grundlegende Rolle spielt, doch etwas gemindert. Aus der Tatsache, daB die Athener wihrend des Abwehrkampfes im griechischen Mutterland auf das Flotten- kommando verzichteten, es aber mit der Kriegfuhrung im kleinasiatischen Raum an sich nahmen, wird Herodot den SchluB gezogen haben, daB ihr Nachgeben dem wohlverstandenen eigenen Interesse, nanlich dem Selbstschutz, entsprang: ,Nur solange sie der Peloponnesier bedurften, gaben sie nach". Als Beweis (69 84L&Eav) dient ihm der Hegemoniewechsel nach Verlegung des Kriegsschauplatzes, der deshalb auf athenische Initiative zurickgehen muBte. Daneben hat er noch eine zweite Erkilrung parat: Die Athener hatten nachgegeben, weil sie die Rettung Griechenlands hoher stellten als ihren militarischen Ehrgeiz und damit ein Ausein- anderbrechen der Symmachie verhindem woilten. Diese panhellenisch gefarbte Argumentation mag Herodot bei seinem Aufenthalt in Athen geh6rt haben, wah- rend die erste mehr pragmatische seinem Nachdenken entsprungen sein diurfte und als Ausdruck von Realpolitik durchaus plausibel erscheint.

164 Thuk. 1,96,1; 95,1.3. 165 1,95,2. 166 Euphemos geht in Kamarina einen Schriu weiter, wenn er - allerdings aus taktischen Griinden

- den Hegemoniewechsel als Befreiung von der Vorherrschaft (dLpA KaI fryeqov(a) der Spartaner bezeichnet (Thuk. 6,82,3).

167 Man vgl. Her. 6,132-133, wo Miltiades die Unterstiltzung derPerserdurch Paros als irp6oa- aLeg dient, um gegen die Insel vorzugehen, wahrend er vor der Ekklesie seinen Antrag auf Stellung von Schiffen mit der in Aussicht stehenden Beute begrUndet.

Page 26: Petzold - Athen Seeherrschaft

442 KARL-ERNsT PErZDLD

Sie bedarf jedoch der ErgEinzung durch eine Mitteilung, die uns Herodot gewissermaBen unabsichtlich macht im Zusammenhang mit der Gesandtschaft nach Syrakus, indem er dort die Bedeutung herausstellt, welche das Interesse der Spartaner am Flottenkommando fur das Verhalten der Athener habe 68. Wie wir beobachten konnten, haben sich die athenischen Strategen loyal dem spartanischen Oberkommando gegenuber verhalten, auch noch, als das Desinteresse der Lakedai- monier an der Weiterfuihrung des Perserkrieges in Kleinasien zutage getreten war. Aber dieses Desinteresse mag es ihnen andererseits leicht gemacht haben, mit dem Verlangen der Ioner nach Ubernahme des Kommandos durch Athen auch ihren eigenen Wunsch zu erfullen, wobei der von Herodot genannte Grund als weiteres Motiv hinzugekommen sein mag, den Kairos zu nutzen, ohne daI die Lakedaimo- nier offiziell schon auf das Kommando verzichtet hatten.

Mehr noch als der von Herodot genannte Grund diirfte jedoch die Tatsache ihren EntschluB erleichtert haben, daB die Mitglieder des Peloponnesischen Bun- des, die sich einst ihrem Fuhrungsanspruch widersetzt hatten, jetzt selbst gegen den spartanischen General opponiertenI69 und auch ihrerseits kein Interesse mehr an der Fortfuihrung des Krieges unter den gegebenen Umstanden zeigten: Daher die geringe Beteiligung an der Untemehmung des Dorkis und schlieBlich ihr Ausschei- den vom Kampfplatz. Was Herodot in seiner Beurteilung der Hegemonieiibernah- me durch Athen ubersieht, ist der ausschlaggebende Umstand, daB es sich nicht mehr um die Flotte der Hellenensymmachie im bisherigen Verstande handelte, sondern um ionische und Insel-Griechen, von denen ihr nur die letzteren angehort hatten, sowie um Hellespontier, die erst kurzlich zu dem Verband gestoBen, wMh- rend andererseits die Peloponnesier ausgeschieden waren170. Eine Hegemonieiiber- nahme unter Gewaltanwendung entbehrt so auch der inneren PlausibilitAt. Femer wird der Charakter eines ,,Sonderbundes"'71 noch dadurch unterstrichen, daB die

168 Her. 7,161,2. 169 Thuk. 1,95,3. Diod. 11,44,6. 170 Diese Vernderungen werden von Giovannini - Gottlieb (Anm. 116), 32 ff. vernachlassigt.

Dagegen Steinbrecher (Anm. 6), 67. Vgl. Thuk. 6,82,3: TdSV iuT6 paaXLEt irp6TEpoV 6VT&V fyrE6veCS KaTaa'TdvTes- OIKOOieV. Nach Kirchhoff (Anm. 93), 11 ff. gehCrten dem Sonder- bund an: die Hellespontier in ihrer Mehrheit, Chios, Samos mit Amorgos, Lesbos mit der Peraia, Euboia (auBer Karystos), Keos, Tenos, Naxos, Kythnos, Siphnos, Mykonos, los, Syros, Delos, Paros, Lemnos, Imbros, Ikaros, Nisyros. Leo (Anm. 75), 66 fflgt ,,die ionischen und golischen KilstenstAdte von Sigeion bis Teichiussa" hinzu. Vgl. die Liste von Poleis der kleinasiatischen Westkiiste, die nach Meinung Balcers (Anm. 1), 331 ff. ,,may have sought the League's protection" (im Laufe des Jahres 478), und die vermutlichen Teilnehmer an der Konferenz von Delos (337). Andererseits A. French, The Guidelines of the Delian Alliance, Antichthon 22, 1988, 12-25, hier 13 f., der die Zahl der beteiligten Festland-Ioner gering einschAtzt, also eher wieder auf Kirchhoff zurtickkommt

171 Dieser Terminus schon bei Kirchhoff (Anm. 93), 2. Vgl. ATL 3, 191-193.

Page 27: Petzold - Athen Seeherrschaft

Die Grelndung des Delisch-Atfischen Seebundes - I 443

Hellenensymmachie, wenn auch nur formal, danebenI72 weiterbestand. Lediglich mit EinschrWnkung lRUt sich demnach eine durchgehende Linie vom Anspruch auf das Flottenkommando in der Hellenensymmachie bis hin zur Ubernahme der Hegemonie uber eine im wesentlichen anders zusammengesetzte Einheit im Jahre 478177 ziehen und nur unter dieser Perspektive konnte man verstehen, wenn die Athener die Notwendigkeit empfunden haitten, ihr Vorgehen mit der Hybris des Pausanias zu erklaren, um die Kommandoubemahme ohne offiziellen Verzicht Spartas zu rechtfertigen. Diese innere Unklarheit der herodoteischen Argumentati- on nimt ihr viel von ihrer Uberzeugungskraft und macht sie wenig geeignet, als Ausgangsbasis fur die Beurteilung der athenischen Politik als einer 'imperialisti- schen' zu dienen.

Universitat Tubingen Karl-Ernst Petzold

172 Als Teil innerhalb der Hellenensymmachie sieht Larsen (Anm. 103), 184 den Zusammen- schluB. Giovannini - Gottlieb (Anm. 116), 44 f. meinen, ,,der delisch-attische Seebund" sei ,,der Hellenenbund selbst". M6glicherweise deutet das Philochoros-Fragment (FrGrHist 328 Fl 17) darauf, daB mit den VorgAngen nach Ithome dieser Status der Symmachie beendet war.