Transcript

Stand: 11.03.2014

Lange Mediation „made easy“

Konfliktmanagementdurch

Mediation/Wirtschaftsmediation&

Kommunikationstechniken

für FOM Sommersemester 2014

- 2 -Lange Konfliktmanagement

Inhaltsverzeichnis Seite:

Vorwort 5

Konfliktmanagement durch Mediation – Einführung - 7

I. Philosophie der Mediation 11

II. Geschichte der Mediation 13

III. Grundlagen der Kommunikation und Mediation 16

Kommunikationstechniken/Werkzeugkoffer 16

1. Aktives Zuhören/Spiegeln 192. Fragen 233. Paraphrasieren 284. Ich-Botschaften/Du-Botschaften 295. Synchronisieren, Einzel-/Gruppenrapporte 316. Der Anker, Anchoring 367. Chunking up/down 398. Refraiming 419. Pacing and Leading 4210. Deeskalationsmethoden 4411. Trennung von Sach- und Beziehungsebene 4512. Allgemeine Regeln für kreative Prozesse, .. 4713. Die Haltung des Mediators, seine Neutralität .. 52

u. Co-Mediation

- 3 -Lange Konfliktmanagement

IV. Konfliktarten – und Analyse 60

1. Persönlichkeitstypologie nach Freud und Harris 602. Konfliktarten 663. Konfliktanalyse (Schulz von Thun, Skizze) 684. Konflikteskalation (Glasl) 715. Bedürfnisse, Emotionen, Konflikt (Skizze) 73

V. Das Harvard-Konzept 74

VI. Die Juristische Methode vs. Mediation 80

VII. Das Mediationsverfahren - im Überblick - 85

VIII. Das Mediationsverfahren, die 5 Phasen 86

1. Phase: Das Arbeitsbündnis und Mediationsvertrag 862. Phase: Themensammlung und Klärung 92 des Sachverhaltes 3. Phase: Interessenfindung/-Klärung (Konfliktanalyse) 964. Phase: Optionssammlung 1005. Phase: Abschluss/Vereinbarung 105

IX. ADR-Verfahren, Überblick 106

X. Wirtschaftsmediation 109

XI. Innerbetriebliche Mediation 117

Warum ist Mediation für Unternehmen vorteilhaft? 117

1. Phase Auftragsklärung 1192. Phase Themensammlung 1213. Phase Interessen/Konfliktfelder 1224. Phase Optionssammlung/Konfliktlösung 1235. Phase Abschluss einer Vereinbarung 124

XII. Rechtliche Grundlagen für Mediatoren (Mediationsgesetz) 125

XIII. Kostenvergleich: Gerichtsverfahren – Mediation 128

Anhang 1: Der Mediationsvertrag 129

Anhang 2: Der Verfasser 130

XIV. Literaturverzeichnis 131

- 4 -Lange Konfliktmanagement

Dieses Skript ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung ohne Zustimmung des Verfassers verstößt gegen Urheberrecht. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigung, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Vorwort:

Dieses Skript soll für die angehenden MediatorenInnen* eine Arbeitsgrundlage und

Begleiter in der Ausbildung sein. Darüber hinaus ist das notwendige Basiswissen hier

zusammengefasst, sodass der zukünftige Mediator diese Unterlagen immer wieder

nutzen kann.

Die Vorlesung auf Grundlage dieses Skripts wird durch regelmäßige Workshops

ergänzt, die den Transfer und die Nachhaltigkeit der theoretischen Ausführung in den

praktischen Alltag gewährleisten sollen.

In den unterschiedlichen Modulen der Veranstaltungen wird besonderer Wert darauf

gelegt, ausgewählte Aspekt aus dem Unternehmensalltag aber auch aus dem

privaten Problemkreis Familie und Gesellschaft des Konfliktmanagers/In zu

behandelt, wie

Anwendung von Kommunikationstechniken (Werkzeugkoffer des Mediators)

strukturierte Gesprächsführung zur Konfliktvermeidung

Kenntnisse zur Durchführung eines Mediationsverfahrens

- 5 -Lange Konfliktmanagement

persönlicher Umgang mit Konflikten und eigenes Konfliktverhalten

erfolgreiche Gruppen- und Teamleitung

Das Skript ist so gestaltet, dass zunächst ein Überblick geschaffen wird über die

bewährten Kommunikationstechniken, über die Arten und Analyse der Konflikte im

privaten und beruflichen Umfeld. Sodann wir in das eigentliche Mediationsverfahren

eingeführt und zwar über Familienmediation, Konflikte zwischen Unternehmen (B2B)

bis hin zur Bearbeitung betriebs- und konzerninterner Konflikte. Darüber hinaus wird

die herkömmliche Konfliktkultur (juristische Methode) mit der zukunftsorientierten

kooperativen Konfliktlösungsmethode (z. B. Mediation) gegenübergestellt.

Auch Beispiele aus eigenen Erfahrungen der Seminarteilnehmer in ihrem

Unternehmen und persönliche Konfliktsituationen sollen von den Teilnehmern

diskutiert und eventuell im Workshop bearbeitet werden.

* Wenn der Verfasser im nachfolgenden Text „Mediator“ schreibt, sind selbstverständlich auch seine

geschätzten Kolleginnen angesprochen.

Die Anwendung alternativer Konfliktmanagementmethoden bzw. die Mediation ist

eine Möglichkeit, besser, schneller, kostengünstiger und zufriedenstellender Konflikte

bewältigen zu können und eröffnet darüber hinaus dem einzelnen Teilnehmer die

Chance, das eigene Konfliktverhalten besser zu verstehen und mit Konflikten

professioneller umgehen zu können.

- 6 -Lange Konfliktmanagement

Konfliktmanagement durch Mediation -Einführung-

Konflikte und das Verhandeln darüber gehören zum Leben. Verhandelt wird täglich,

ob Sie wollen oder nicht.

Sie verhandeln mit Ihrem Partner über den Urlaub, mit dem Vermieter über die Höhe

der Miete oder mit Ihren Geschäftspartnern über Preise und Lieferfristen.

Betriebsräte verhandeln mit dem Unternehmensvorstand über Tariflöhne und

Arbeitszeiten, Unternehmer mit Kunden über unterschiedlichste Probleme, Anwälte

über einen Streit zwischen Unternehmen über Sach- und Rechtsmängel,

Gewährleistung und Lieferfristen, der Vertreter der Stadtverwaltung mit der

Bürgerinitiative über den Bau von Kindergärten, Fluglärm und Landezeiten usw.

Verhandlungen begegnen uns in bildhafter Form im Theater, z. B. in Shakespeares

„Kaufmann von Venedig“. Dort verhandelt der Anwalt des Kaufmanns darüber vor

Gericht, ob ein Pfund Fleisch ohne das Vergießen eines Tropfen Blutes aus dem

Körper seines Mandanten geschnitten werden kann; in Goethes „Faust“ verhandelt

Faust mit Gretchen über ein verhängnisvolles Rendezvous und mit dem Teufel über

seine Seele.

- 7 -Lange Konfliktmanagement

Verhandlungen in Konfliktsituationen sind eine ausgesprochene Wachstumsbranche

und die Mediation als ein innovatives Verhandlungsinstrument spielt dabei eine

entscheidende Rolle.

Jeder verhandelt, und trotzdem stellt sich nicht immer der gewünschte Erfolg ein.

Entweder ist die Gegenseite ein besserer Verhandler oder die bekannten Standard-

strategien sind unzureichend. Die bekanntesten und einfachsten

Verhandlungskonzepte, die jeder beherrscht, bestehen darin, eine bestimmte

Position zu vertreten mit dem Ziel, dass man möglichst viel vom zu verteilenden

„Kuchen“ erhält. Es handelt sich dabei um das so genannte „Nullsummenspiel“. In

diesem bekannten Verhandlungskonzept wird vereinfacht davon ausgegangen, dass

der eine abgeben muss, was der andere mehr bekommt und umgekehrt (der

„Kuchen“, der zu verteilen ist, bleibt jedoch gleich groß).

Im Gegensatz dazu steht das sachbezogene oder kooperative, interessensorientierte

Verhandeln, welches vereinfacht zusammen gefasst wird in dem Prinzip der „Win-

Win-Situation“.

Diese Art der Konfliktbearbeitung wird besonders deutlich im Fall des Orangen-

Beispiels, in dem es einen überraschenden Kooperationsgewinn (- der „Kuchen“ wird

größer -) gibt.

Orangen-Beispiel:

Zwei Geschwister streiten um eine Orange. Jeder möchte die Orange für sich

allein haben.

Die beiden verhandeln und streiten, und weil sie sich nicht einigen können,

gehen sie zur Mutter, die entscheiden soll, wer die Orange bekommt.

Normalerweise würde die Mutter die Orange teilen und jedem der beiden

eine Hälfte geben.

Wenn die Mutter die Grundsätze der Mediation zugrunde legen würde, fragte

sie die Kinder, was sie mit der Orange anfangen möchten (sie fragt nach

dem Interesse)

Die Tochter benötigt die Schale der Orange für einen Kuchen, während der

Sohn den Saft der Orange will. Wenn die Mutter nach den Interessen fragt,

die hinter der Position (ich will die Orange) stehen, kommt es zu einer Win-

Win-Situation, eben den bereits genannten Kooperationsgewinn. Beide,

Sohn und Tochter erhalten jeweils 100 Prozent anstelle des üblichen

Kompromisses.- 8 -

Lange Konfliktmanagement

Den Wünschen beider Geschwister kann optimal Genüge getan werden,

wenn nach ihren Interessen gefragt wird.

Dies ist ein schönes Bild und Beispiel; der Verfasser weiß aus zahlreichen Wirt-

schaftsmediationen, dass dieses interessenorientierte kooperative

Verhandlungsmethode fast immer in eine Win-Win-Situation für die Konfliktparteien

mündet.

Wenn die Interessen den Parteien wechselseitig klar geworden sind, wird das

Ergebnis in der nächsten Verhandlungsphase noch nicht einer endgültigen Lösung

zugeführt, in diesem Verfahrensstadium werden vielmehr von den Parteien unter

Anleitung des Mediators Optionen entwickelt.

Damit ist eine Vielzahl von möglichen Verhandlungsergebnissen gemeint, die von

den Parteien im Rahmen der Optionssuche mit kreativen Methoden gefunden

werden.

Erst wenn möglichst viele Optionen gesammelt wurden - z. B. im Wege des Brain-

stormings - wird durch das interessengerechte Verhandeln, welche Optionen für

beide Parteien die beste Lösungsmöglichkeit darstellen, eine Abschlussvereinbarung

erzielt.

Der Teamgedanke und die Kooperation mit der Gegenseite stehen im Vordergrund

und bewirken, dass ein Wechsel von gegensätzlichen Positionen zu einem

interessenausgleichenden Miteinander stattfindet, um eine Win-Win-Situation zu

erzeugen.

Ein kooperativer Verhandler muss allerdings - wie jeder Verhandler - über seine

Alternativen informiert sein, welche Möglichkeiten ihn beim Scheitern der Verhand-

lungen zur Verfügung stehen. Erst dieser Kenntnisstand gibt ihm den Überblick, ggfs.

die Verhandlungen beenden zu können oder eine nachhaltige interessengerechte

Win-Win-Lösung zu verhandeln.

- 9 -Lange Konfliktmanagement

1 v. Schlieffen/Wegmann, Walz „Mediation in der notariellen Praxis“, S. 106, Karl-Heymann-Verlag 2002

Der Verhandler soll offen ohne bestimmte Positionen in die Verhandlung gehen, im

Gegensatz zu den kompetitiven Verhandlern, die ihre zu erzielende Position bereits

endgültig festgelegt haben und unbeweglich und unabhängig von anderen sinnvollen

Vorschlägen auf ihr Ziel fixiert sind.

Streitfragen werden somit nach Interessen entschieden, die hinter den Positionen

stehen und werden nicht mehr im Prozess des Feilschens nach der Basarmethode

gelöst, in dem jede Seite das letzte und allerletzte Angebot mit vielen Tricks und

Imponiergehabe abgibt.

Gute Verhandler versuchen den gegenseitigen Nutzen heraus zu arbeiten und dort,

wo widersprechende Interessen nicht ausgeräumt werden, auf das Prinzip der

Fairness zu setzen.

Interessengerechtes Verhandeln, wie es in der Mediation Grundlage ist, bedeutet

somit, dass die Konfliktpartner (Medianten) ihre beiderseitigen Interessen

berücksichtigen und selbstbestimmt und eigenständig ein Ergebnis erzielen, das die

beiderseitigen Interessen zum gemeinsamen Nutzen berücksichtigt.

Interessengerechtes Verhandeln kann in allen Situationen genutzt werden, sei es in

Konflikten zwischen Unternehmen oder in innerbetrieblichen Differenzen, in

Familienproblemen bis hin zum Konflikt in Erbauseinandersetzungen.

Dieses Skript wird Sie Schritt für Schritt an das interessenorientierte Verhandeln und

an das Mediationsverfahren heranführen.

- 10 -Lange Konfliktmanagement

IV. Konfliktarten und -Analyse

1. Persönlichkeitstypologie nach Freud und Harris

Psychologie der Mediation nach dem Persönlichkeitsmodell von Siegmund Freud

und der Transaktionsanalyse nach Harris

Welche Methoden und Erkenntnisse gibt es, die es dem Mediator ermöglichen, die

Denk- und Verhaltensweise der Medianten einigermaßen richtig einzuschätzen und

zu erörtern?

Hier können im Rahmen des Skripts keine grundlegenden Kenntnisse vermittelt

werden, jedoch sollen einige einfache tiefenpsychologische Erkenntnisse bezüglich

der Struktur des Menschen aufgezeichnet werden, mit denen der Mediator zu tun hat

und die ihm helfen, Verhaltensweisen besser zu beurteilen.

(1)

Der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud* liefert fundamentale

Denkansätze, die trotz späterer Revisionen in ihrer wesentlichen Aussage noch

immer Aktualität haben.

Die Denkansätze helfen dem Medianten in Situationen, die Begriffe des

Unbewußten, Vorbewußten und Bewußten zu verstehen durch stellungnehmende,

wertenden und dynamischen INSTANZEN der Persönlichkeit:

das ES, das ICH, das ÜBER-ICH

a) Das ES (Es= Die Vitalenergie)

Das ES entspricht weitgehend dem Unbewußten, es wird zur tragenden Schicht der

Persönlichkeit und umfasst nicht nur Verdrängtes. Es ist der dunkle Fundus der

Persönlichkeit schlechthin und bedeutet die Vitalenergie.

Freud (Das ICH und das ES) beschreibt das ES wie folgt:

- 11 -Lange Konfliktmanagement

„Wir nähern uns dem ES mit Vergleichen, nennen es Chaos, einen Kessel voll

brodelnden Erregungen … Von den Trieben her erfüllt es sich mit Energie, aber es

*„Das Ich und das Es“, Frankfurt/Main 1952“.

hat keine Organisation, bringt keinen Gesamtwillen auf, nur das Bestreben, den

Triebbedürfnissen unter Einhaltung des Lustprinzips Befriedigung zu verschaffen.

Für die Vorgänge im ES gelten die logischen Denkgesetze nicht … Gegensätzliche

Regungen bestehen nebeneinander, ohne einander aufzuheben. Selbstverständlich

kennt das ES keine Wertungen, kein Gut und kein Böse, keine Moral.“

Das Kleinkind lebt aus dem ES (Lustprinzip).

b) Das ICH

Das ICH ist nicht scharf getrennt vom ES. Freud vergleicht das ICH mit dem Reiter

auf dem Pferd (= ES). Das ICH lenkt, das ES gibt die Kraft. Das ICH hat die Aufgabe,

als eine Art Steuerungszentrum Triebimpulse aus dem ES mit den Anforderungen

des ÜBER-ICHs und der Realität in Einklang zu bringen.

Zu den wichtigsten Funktionen des ICHs zählen:

-Wahrnehmen, Erinnern, Denken,

-motorische Willkürbewegungen,

-Kontrolle und Abwehr.

Erst mit zunehmender Reifung der ICH-Funktionen, vor allem der Ausbildung des

Bewußtseins, nach zahlreichen Lernerfahrungen wird das ICH immer mehr zur

Kontrollinstanz, die für die Anpassung an die Realität zu sorgen hat

(Realitätsprinzip).

Das ICH soll die Triebansprüche des ES in einer sozial akzeptierten Weise, also

realitätsgerecht befriedigen.

- 12 -Lange Konfliktmanagement

Wenn die Ansprüche des ES zu groß und zu vehement werden, entsteht die Angst

im ICH, die entweder flexible Kontrollmechanismen oder rigide Abwehrmaßnahmen

hervorruft.

Kontrollmaßnahmen sind u.a.:

-Unterdrücken,

-Verschieben,

Sublimieren (Verlagerung der Motivationskräfte auf eine andere Handlung, die sozial

akzeptiert ist, z.B. Neid wird zu Ehrgeiz).

Zu den Abwehrmechanismen, die unbewußt verlaufen, zählen:

-Verdrängen (z.B. auch sogenannte Freudsche Fehlleistungen wie vergessen,

Verlieren, Versprechen),

-Verleugnen,

-Projizieren (eigene Fehlhaltungen, die man an sich selbst nicht akzeptiert, werden

anderen Menschen unterstellt – Sündenbocksyndrom).

Je nachdem, welche Motivationskräfte verdrängt werden, führt die Entwicklung zu

idealtypologischen Persönlichkeitsstrukturen.

c) Das ÜBER-ICH

Das ÜBER-ICH entwickelt sich am spätesten (ca. ab dem dritten Lebensjahr) und ist

abhängig von moralischen, gesellschaftsimmanenten Normen und

Wertvorstellungen, die durch Verbote und Gebote der Erzieher (Eltern, Lehrer…)

dem Kind im Laufe des Heranwachsens vermittelt werden.

Das ÜBER-ICH wird als „über“ erlebt, weil Erwachsene „über“ dem Kind stehen, die

größer und mächtiger sind und wissen, was „gut“ und was „böse“ ist

(Gewissensbildung nach den jeweiligen Modellen der zuständigen Erwachsenen und

damit der Gesellschaft oder zumindest eines relevanten Teils der Gesellschaft).

Freud sprach vom ICH-Ideal einer Person, das sich nach dem Vorbild der

idealisierten Eltern bildet und für die Selbstbewertung ausschlaggebend ist. Verstöße

gegen das ÜBER-ICH bewirken Schuldgefühle („schlechtes Gewissen“).

- 13 -Lange Konfliktmanagement

Kann man den Anforderungen des ÜBER-ICHs nicht gerecht werden, sind Scham-

und Minderwertigkeitsgefühle die Folge.

Hier wird Ihnen die schicksalhafte Auswirkung der Erziehung durch elterliche Modelle

auch den Heranwachsenden bewusst werden.

Zusammenfassende Übersicht:

ES ICH ÜBER-ICH

Motivationskräfte Wahrnehmung Ich-Ideal

(Triebe und Gedächtnis „Gewissen“

Bedürfnisse= Denken

Vitalenergie)

Verdrängtes gezielte Motorik

Lustprinzip Realitätsprinzip

Bereich des Bereich des teils bewußt, teils unbewußt

Unterbewußten Bewußten

Leidensfähigkeit

Konfliktsituationen mit Leidensdruck ergeben sich, wenn das ICH vom ES und vom

ÜBER-ICH bedrängt wird. Das ES erhebt gegenüber dem ICH Triebansprüche; das

ÜBER-ICH verbietet als moralische Instanz die Befriedigung nicht akzeptierter

Triebansprüche. Der Betroffene befindet sich nun in einem Zustand der Ambivalenz,

wird hin- und hergerissen und erlebt sich ohnmächtig und entscheidungsunfähig.

- 14 -Lange Konfliktmanagement

(2)

Transaktionsanlyse nach Harris

Die Transaktionsanalyse ist aus der Instanzenlehre von Freud hervorgegangen. Ihre

Grundlage sind die drei ICH-Zustände:

Harris Freud (zum Vergleich)

Eltern-ICH ÜBER-ICH

Erwachsenen-ICH ICH

Kind-ICH (Kindheits-ICH) ES

Primär geht es hier darum, welche Auswirkungen die drei ICH-Zustände auf unsere

Kommunikationsfähigkeit und die Beziehung zu anderen haben.

Den drei ICH-Zuständen werden folgende Eigenschaften und Verhaltensweisen

zugeordnet:

Eltern-ICH: ist kritisch, belehrend, autoritär,

hat strenge Ge- und Verbote,

beinhaltet Moral, Kultur, Wissen,

läßt sich von Vorurteilen leiten

hat Angst vor Neuem

bewertet, bemängelt, behindert,

ist fürsorglich, lobt, tröstet, hilft

gibt „gute“ Ratschläge, erdrückt

Erwachsenen-ICH: prüft Fakten,

hinterfragt Vorurteile,

denkt, verarbeitet,

versteht sich als Kontrollinstanz

- 15 -Lange Konfliktmanagement

zwischen Normen (Eltern-ICH) und

Gefühlen (Kind-ICH)

Kind-ICH: beinhaltet Gefühle (Trauer, Wut

Ohnmacht, Freude)

ist egozentrisch, kreativ, spontan, trotzig

angepaßt, voller Charme, hat „gute“

Manieren, jammert, nörgelt, ist neidisch

ironisch, angeberisch, rechtfertigt sich

Nach Harris lassen diese Verhaltensweisen erkennen, auf welcher Ebene

kommuniziert wird.

In der Praxis wird sich eine Mischung aus den drei Kategorien finden.

Ausschlaggebend ist, welche Eigenschaften und Verhaltensweisen aus welcher

Kategorie am ausgeprägtesten vorkommen.

Als Mediator/in sollten Sie bemüht sein, auf die Aktionsebene des Erwachsenen-

ICHs empathisch und taktisch klug hinzuführen, da nur dort eine Lösung zu erwarten

ist, welche die Parteien befriedigen kann.

Das soll jedoch keinesfalls heißen, der Kreativität und Spontanität sowie den

begleitenden Gefühlen aus dem Kind-ICH eine Absage zu erteilen.

Ganz im Gegenteil, konstruktive Lösungen brauchen Kreativität und sollen von

„angenehmen“ Gefühlen begleitet werden, d.h., Sie werden die positiven

Äußerungen auf der Ebene des Eltern-ICHs und des Kind-ICHs sich zunutze machen

und in das angestrebte Ergebnis auf der Ebene des Erwachsenen-ICHs integrieren.

Soweit dieser kleine Ausflug in die Persönlichkeitstypologien nach Freud und Harris,

eine Vertiefung wird empfohlen und ist darüber hinaus auch sehr interessant.

- 16 -Lange Konfliktmanagement

2. Konfliktarten

(1) Definition

An einem Konflikt sind mindestens 2 Personen beteiligt, die miteinander in

Interaktion stehen. Einer von ihnen erlebt subjektiv eine Unvereinbarkeit der

Standpunkte und will entsprechend handeln.

Konflikt ist ein Sonderfall der Kommunikation.

Zwei Parteien können selbst bei großen inhaltlichen Differenzen ein positives

Ergebnis erzielen, solange nur eine positive Beziehung vorliegt.

Sobald jedoch ein Beziehungsproblem zwischen den Parteien vorliegt, können selbst

inhaltlich unbedeutende sachliche Differenzen ein elementares Problem werden.

Wenn Karin einen Vorschlag macht, lehnt Kevin ihn ab, weil er von Karin kommt.

(2) Konfliktarten

Es gibt viele verschiedene Ansätze, Konflikte zu kategorisieren.

Die hier verwendete Einteilung richtet sich nach der Konfliktebene*.

Demnach gibt es in der übergeordneten Kategorie zwei Konfliktarten:

- Sachkonflikte

- Wertekonflikte

Geld, Qualität etc. Grenze ist fließend

Weltanschauungen Gerechtigkeitsvorstellungen

Wenn man den Konflikt nach inhaltlichen Kategorien unterteilt finden sich:

- Verteilungskonflikte

- 17 -Lange Konfliktmanagement

Sachkonflikte

Werte

- Rollenkonflikte, Konflikte in und zwischen Hierarchieebenen

- Beziehungskonflikte

- Wahrnehmungskonflikte

- Motiv- und Zielkonflikte

Verteilungskonflikte: Beispiel: Abteilung zieht um in 6 unterschiedlich groß und ausgestattete Büroräume; Gehälter, Anzahl der Mitarbeiter, Gehalts- und Beförderungsfragen, Urlaubsregelung.

Rollenkonflikt bzw.Konflikt auf Hierarchie-ebenen: Person kann sich nicht mit der Rolle zurecht finden.

Beispiel: Abteilungsleiter ist Freund / Kumpel.Geschlechterkonflikt: Vorgesetzter ist weiblich.

Beziehungskonflikte: Chemie stimmt nicht, das Fühlen, Denken und Wollen zur anderen Person ist unterschiedlich und verursacht Konflikte.

Wahrnehmungskonflikte: unterschiedliche religiöse, politische Weltsichten.Beispiel: Gentechnikdebatte, fundamentalistische Denkweise.

Motiv- und Zielkonflikte: unterschiedliche Ziele sollen durch ein Verhalten erreicht werden. Beispiel Produktion: magisches Dreieck = schnell, billig und gut. Unterschiedliche Bedürfnisse, Motive und Zielsetzungen können zwischen Hierarchien, Individuen, Gruppen, Abteilungen auftreten.

- 18 -Lange Konfliktmanagement

3. Konfliktanalyse

Beispiel 1:

Ein Beispiel aus dem Leben:

Mann und Frau fahren morgens gemeinsam im Auto zur Arbeit, die Zeit drängt.Frau fährt. Er: „Die Ampel da vorn ist grün.“ Sie (wütend): „Fährst du oder fahr ich?“

Die Frau fühlt sich auf der Beziehungsebene angegriffen und reagiert wütend auf die Sachinformation des Mannes.

Im so genannten Kommunikationsquadrat hat Schulz von Thun * die vier Seiten

einer Äußerung / Botschaft als Quadrat dargestellt und dem entsprechend dem

Sender „vier Schnäbel“ und dem Empfänger „vier Ohren“ zugeordnet.

Wenn wir miteinander reden müssen wir uns vergegenwärtigen, dass auf beiden

Seiten der kommunizierenden Personen vier Schnäbel und vier Ohren beteiligt sind

und die Qualität des Gesprächs davon abhängt in welcher Weise und auf welcher

Ebene (gleicher Ebene) der Sender und Empfänger kommunizieren.

Nachstehende Skizze von Schulz von Thun verbildlicht das Kommunikationsquadrat.

Sachinformation (worüber ich informiere) - blau Selbstkundgabe (was gebe ich von mir zu erkennen) - grün - Beziehungshinweis (was halte ich von dem anderen) - gelb - Appell (was ich bei dir erreichen möchte) - rot -

Demnach hat jede Nachricht / Botschaft vier Ebenen:

- 19 -Lange Konfliktmanagement

- Sachebene:

Wertfreie sachliche Information steht im Vordergrund. Daten, Fakten und

Sachverhalte werden mitgeteilt.

* Schulz von Thun: „Miteinander reden“, Seite 25 ff

Für den Sender gilt es, den Sachverhalt klar und verständlich zu vermitteln. Der

Empfänger, der das „Sachohr“ aufgesperrt hat, erfährt Daten, Fakten und

Sachverhalte und hat die entsprechenden Möglichkeiten nachzufragen.

- Selbstkundgabe:

Unter Selbstkundgabe versteht man Dasjenige, was der Sprecher von sich zu

erkennen gibt, z.B. was in mir vorgeht, welche Gefühle ich habe, wofür ich stehe und

wie ich meine Rolle auffasse. Diese Selbstkundgabe macht die dahinterstehende

Persönlichkeit deutlich. Der Empfänger erfährt etwas über den Anderen, was ist das

für einer? Wie ist er drauf? Wie sieht er sich selbst in unserer Beziehung? etc.

- Die Beziehungsseite:

Die Beziehungsseite deckt bewusst oder unbewusst auf, wie ich zu dem

Gesprächspartner stehe, z. B. durch verbale oder nonverbale Kommunikation,

Tonfall, Mimik oder Gestik.

Ich gebe bewusst oder unbewusst preis, wie ich zu dem Anderen stehe und was ich

von ihm halte, zumindest bezogen auf den aktuellen Gesprächsgegenstand.

Der Empfänger erfährt über die Beziehungsseite, was der Andere von mir hält und

wie er zu mir steht.

Ist die Beziehungsseite gestört, ist auf der Sachebene schwer vernünftig zu

kommunizieren und schwierig eine Regelung zu finden.

- Appellseite:

Wenn jemand das Wort ergreift und diese Nachricht an seinen

Kommunikationspartner vermittelt, will er in der Regel auch etwas damit bewirken. Er

will Einfluss nehmen.

Auf dieser Ebene werden offen oder verdeckt Wünsche, Appell, Ratschläge,

Handlungsweisen und ethische Grundsätze versucht zu implementieren.

Das Appellohr des Empfängers ist folglich besonders empfangsbereit für die Frage:

Was soll ich jetzt machen, denken oder fühlen?1

1

- 20 -Lange Konfliktmanagement

Wichtig: Als Konfliktvermittler sollte man darauf achten, auf welcher Ebene die

Konfliktparteien sich gerade befinden. Nur wenn sie sich auf einer Ebene befinden

(Beziehungsebene) und nicht auf unterschiedlichen Ebenen (Sachebene und

Beziehungsebene), ist eine Kommunikation sinnvoll.

Beispiel 2:

- 21 -Lange Konfliktmanagement

4. Konflikteskalation nach Glasl

- 22 -Lange Konfliktmanagement

Einem Konflikt wohnt eine Eigendynamik inne. Die Geschwindigkeit seiner Entwick-

lung nimmt laufend zu. Dabei sind die Schwellen zwischen den Stufen wie Dämme

bei Hochwasser. Wenn der Druck zu groß wird, brechen sie. Der Weg zurück ist

nicht möglich.

Je mehr der Konflikt sich ausbildet, umso weniger ist der eigentliche Anlass

noch erkennbar.

I. Stufe

Wille vorhanden, eine

Win-Win Lösung zu finden II. Stufe

die Auseinandersetzungen Gegner soll verlieren

finden hauptsächlich auf der Win-Loose-Lösung

Sachebene statt mit verbalen

Ausrutschern; Gruppenbildung III. Stufe

schwarz-weiß Malerei, rüde Gegner soll

Sprache, Gesichtsverluste, vernichtet werden

Drohungen Loose-Loose- Lö-

sung

Hass und Gewalt

gute Chancen zum Ausstieg winzige Chance zum Ausstieg nichts geht mehr

aus dem Konflikt aus dem Konflikt

Konflikteskalation nach Friedrich Glasl*

- 23 -Lange Konfliktmanagement

1. Verhärtung

2. Polarisierung & Debatte

3. Taten statt Worte

4. Sorge um Image & Koalition

5. Gesichtsverlust

6. Drohstrategien

7. Begrenzte Vernichtungsschläge

8. Zersplitterung

9. Gemeinsam in den Abgrund

I. II. III.

I------------ „win-win“ -----------I I------------ „win-loose“ ------------I I-------------- „loose-loose“ ------------I

Glasl stellt ein neunstufiges Modell zur Verfügung, um Konflikte besser analysieren und

während ihres Verlaufs besser reagieren zu können. Die neun Stufen lassen sich in drei

Ebenen mit jeweils drei Abstufungen teilen. Ein geradezu lehrbuchmäßige Darstellung aller

Eskalationsstufen nach Glasl liefert der Film „Der Rosenkrieg“ von Danny de Vito.

In der ersten Ebene können beide Konfliktparteien noch gewinnen („win-win“). In der zweiten

Ebene verliert die eine Partei, während die andere gewinnt („win-loose“). In der dritten Ebene

verlieren beide Parteien („loose-loose“).

Das Modell beschreibt, wie sich die Konfliktparteien verhalten. Lösungen zur Deeskalation

werden in diesem Modell nicht angeboten.

Glasl weist den verschiedenen Eskalationsstufen jedoch folgende Strategiemodelle zur

Deeskalation zu:

- Stufe 1 – 3: Moderation

- Stufe 3 – 5: Prozessbegleitung

- Stufe 4 – 6: sozio-therapeutische Prozessbegleitung

- Stufe 5 – 7: Vermittlung/Mediation

- Stufe 6 – 8: Schiedsverfahren/gerichtliches Verfahren

- - Stufe 7 – 9: Machteingriff

Die Fähigkeit zum Erkennen und Eliminieren von konfliktauslösenden Kräften zum

Zwecke der Konfliktbearbeitung bietet insbesondere Führungskräften, Beratern und

Sozialarbeitern große Vorteile.

* Glasl, Konfliktmanagement

5. Bedürfnisse, Emotionen, Konflikt (Skizze)

- 24 -Lange Konfliktmanagement

Physiologische Bedürfnisse

Sicherheitsbedürfnisse

Soziale Bedürfnisse

Ich-BedürfnisseErfüllung

Nicht-Erfüllung

Glück, Lust, Zufriedenheit Emotionen Spannung, Bedrohung, Druck, Unruhe, Angst, Bodenhaftung und

Mitte verloren

Energie, Selbstvertrauen Verhalten/ Ohnmacht, Fliehen, Sticheln, Konflikt Machtspiele, Provokationen,

selektive Wahrnehmung Depression, Burn-Out, innere Immigration

Physiologisch Bedürfnisse = Nahrung , Erholung , Sexualität , Gesundheit,

Sicherheitsbedürfnisse = Schutz vor körperlicher und seelischer Bedrohung,

Soziale Bedürfnisse = Kontakte , Nähe ,Zugehörigkeit, WERTSCHÄTZUNG,

Bestätigung , Gerechtigkeit , Unterstützung

Ich- Bedürfnisse = Freiheit , Autonomie , Identität , Kompetenz

- 25 -Lange Konfliktmanagement


Recommended