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Page 1: Kirchenzeitung für das am 26. Februar 2012 · Kirchenzeitung für das Bistum Speyer Sonderbeilage zur Eröffnung der MISEREOR -Fastenaktion am 26. Februar 2012 Eindrücke, die unter

Kirchenzeitungfür das

Bistum Speyer

Sonderbeilage zur Eröffnungder MISEREOR-Fastenaktionam 26. Februar 2012

Eindrücke, dieunter die Haut gehenWeihbischof Otto Georgens übereine Kalkuttareise und die Arbeitvon MISEREOR. Seite 16

Startschuss in SpeyerAm 26. Februar wird in Speyer dieFastenaktion eröffnet. Seite 17

Weltkirche zu GastBischöfe und engagierte Laien be-richten über ihre Heimat, die Men-schen, ihre Kirche. Seite 18

Asien, Afrikaund LateinamerikaMillionen Kinder leben in Slums:Bedrückende Fakten. Seite 19

Kinder in Kalkutta:Suche nach WürdeWie die Hoffnung auf ein Stückmenschenwürdiges Leben wachsenkann. Seiten 20 und 21

AnnäherungenAusstellungen über Leben der Käfig-Menschen in Hongkong und das MI-SEREOR-Hungertuch. Seiten 22, 24

Solilaufund SchulprojektStadtlauf in Kaiserslautern und An-regungen für den Unterricht. Seite 23

Pfälzer wird ChefPfarrer Spiegel ab 21. MärzMISE-REOR-Hauptgeschäftsführer. Seite 26

Liebe Leserinnen und Leserdes „pilger“,

rund 400 Millionen Kinder und Ju-gendliche weltweit leben unter un-zumutbaren Umständen in denElendsvierteln der Großstädte inAfrika, Asien und Lateinamerika.Sie haben kein sicheres Dach überdem Kopf. Genügend Essen undsauberes Trinkwasser fehlen. Da-durch sind sie besonders anfälligfür Krankheiten. Aber ihre Fami-lien sind zu arm, um Medikamentebesorgen zu können oder einenArzt zu bezahlen. Ein Schulab-schluss oder eine Ausbildung blei-ben vielen verwehrt. Stattdessenmüssen viele Kinder schuften, umein paar Cent hinzuzuverdienenund so das Überleben der Familienzu sichern. Die Startchancen dieserKinder ins Leben sind schlecht.

Aber dafür, wo jemand geborenwird, kann kein Mensch etwas! DieKinder in den Elendsvierteln wol-len jedoch genau so hoffnungsfrohin die Zukunft blicken wie die Kin-der bei uns. Sie brauchen eine Per-spektive für ihr Leben! Sie hoffenund vertrauen auf unsere Solidari-tät.

Jesus sagt: „Wer ein solches Kindum meinetwillen aufnimmt, dernimmt mich auf“. Stellen wir unsdoch an die Seite dieser Kinder undihrer Familien! Dazu lädt uns MI-SEREOR mit dem Leitwort „Men-schenwürdig leben. Kindern Zu-kunft geben!“ ein. Denn gelebte So-lidarität schenkt Hoffnung und ver-ändert unsere Welt. Wir laden Siedeshalb herzlich ein: Machen Siemit und beteiligen Sie sich an derMISEREOR-Fastenaktion 2012.

Im Dom zu Speyer wird mit ei-nem Gottesdienst am 26. Februardie 54. MISEREOR-Fastenaktioneröffnet. Gäste aus MISEREOR-Projekten in Kalkutta, Nairobi,Guatemala und Hongkong kom-men aus diesem Anlass in Ihre Di-özese und berichten über das Le-ben in ihrer Heimat. Wallfahrer ausganz Deutschland kommen mitdem aktuellen Hungertuch nachSpeyer. Zu diesem Gottesdienst undzu den vielen Veranstaltungen über-all in der Diözese Speyer im Rah-men der Fastenaktion sind Sie herz-lich eingeladen! Für Ihr Mitwirkenein herzliches Vergelt’s Gott.

Diese beidenMädchen, die auf einemder Müllberge von Kalkutta (Indien)arbeiten, träumen von der Schule.

Kinder in Guatemala-Stadt. Ihr Le-ben auf der Straße ist von Gewalt ge-prägt. Von MISEREOR geförderteProjekte bieten ihnen eine Zukunft.

Bildung ist der Schlüssel für Ent-wicklung. Dieses ehemalige Stra-ßenmädchen in Nairobi (Kenia)lernt mit großer Begeisterung.

Hinter den glänzenden Fassaden –wie hier Hongkong – wohnt dieNot. Fotos: Radke, Rönn, dapd

Ihr PrälatJosef Sayer,Hauptgeschäfts-führer

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Herr Weihbischof, in Speyer wird füralle deutschen Diözesen die diesjäh-rige MISEREOR-Fastenaktion eröff-net. Freuen Sie sich auf diesen Tag,oder bedeutet er angesichts der vielenArbeit doch eher eine Belastung?

Professor Josef Sayer, der Hauptge-schäftsführer von MISEREOR, hat imletzten Jahr bei unserem Bistum ange-

fragt, ob der bundesweite Auftakt derFastenaktion in Speyer stattfindenkönne. Ich habe ihm gern zugesagt.Seitdem laufen die Vorbereitungsarbei-ten in enger Abstimmung mit den Mit-arbeiterinnen und Mitarbeitern vonMISEREOR. Die Schulabteilung desOrdinariates, der BDKJ, die Pfarrei St.Martin in Kaiserslautern und anderehaben gemeinsam mit MISEREORein Programm erstellt, dass sich sehenlassen kann. Die Eröffnung der MISE-REOR-Fastenaktion ist ja eingebettet,in eine Reihe von Ausstellungen, Ak-tionen und Veranstaltungen, die in derDiözese stattfinden. Der erste Fasten-sonntag, an dem die MISEREOR-Fa-stenaktion eröffnet wird, ist der öffent-lichkeitswirksame Höhepunkt, auf denich mich freue.

MISEREOR rückt besonders die Le-benssituation von Kindern in denMega-Städten der südlichen Länder inden Blick. Eine gute Schwerpunktset-zung?Das Thema der Fastenaktion „Men-

schenwürdig leben – Kindern Zukunftgeben“ – und das besonders im Blickauf die Mega-Städte der südlichen

Länder – ist hervorragend gewählt.Ohne Kinder gibt es keine Zukunft.Kindern Wege zu einem menschen-würdigen Leben zu ebnen und ihnenZukunftschancen zu eröffnen, nimmtuns in die Pflicht. Dabei spielt die Bil-dung eine Schlüsselrolle.

Sie haben in Vorbereitung auf die MI-SEREROR Aktion Indien besucht,vor allem Projekte in Kalkutta. Waswaren da prägende Eindrücke und Er-fahrungen, die jetzt auch in die MISE-REOR-Aktion einfließen?Die Eindrücke und Erfahrungen,

die ich mitnehmen konnte, sind mirbuchstäblich zu Herzen und unter dieHaut gegangen. Ich denke besondersan die Menschen in den Slums der Mil-lionenstadt Kalkutta, an den Aufent-halt auf demMüllberg und bei den ille-galen Slumbewohnern an den Bahn-gleisen. Ich habe unbeschreiblichesElend gesehen, Frauen und Kinder, dieals Müllsammlerinnen und Müllsamm-ler arbeiten, immer im Kampf umsÜberleben, ganze Familien, die amStraßenrand in primitiven Behausun-gen leben und schlafen. Diese Ein-drücke teile ich mit allen Teilnehme-

rinnen und Teilnehmern unserer Reisenach Kalkutta, aber auch die Erfah-rung, wie segensreichMISEREORmitPartnerorganisationen vor Ort zusam-menarbeitet. Unvergesslich sind mirauch die Gespräche mit den Verant-wortlichen von Tiljala Shed, die bei ih-rem Einsatz für die Rechte der Ärm-sten Vorbildliches leisten. Es gibt gro-ßes Elend in der Millionen-MetropoleKalkutta, die man auch „Stadt derFreude“ nennt, aber auch bewegendeZeugnisse der Nächstenliebe und Soli-darität. Beispielhaft nenne ich PaterFranklin Rodrigues und die Schwes-tern vonMutter Teresa.

Die Not gerade in Millionen-Metro-polen ist himmelschreiend. Beschlei-chen Sie angesichts der schrecklichenBilder manchmal Ohnmachtsgefühle?In dieser Situation denke ich an ein

Wort von Mutter Teresa: „Wir spürenselbst, dass das, was wir tun, nur einTropfen im Ozean ist. Aber wenn esdiesen Tropfen im Ozean nicht gäbe,würde der Ozean, glaube ich, wenigersein wegen der fehlenden Tropfen.“Unsere Zuwendung zu den Armenund Bedürftigen ist nur ein „Tropfen

im Ozean“, aber ohne diese Zuwen-dung wäre noch weniger Hoffnung inder Welt. Bei MISEREOR, dem Hilfs-werk, das kirchliche, aber dennoch ab-sichtslose bzw. interessensfreie Ent-wicklungshilfe leistet, verbinden sichviele „Tropfen“ im Einsatz für einmenschenwürdiges Leben, dazu kannjeder von uns seinen Beitrag leisten.

In den „leitenden Perspektiven“ zumProzess „Gemeindepastoral 2015“wird ausdrücklich auf die weltkirchli-che Dimension verwiesen. Ihre Ein-schätzung: Ist dies in der Breite unse-res Bistums angekommen? Ist derEine-Welt-Gedanken – auch mit sei-nen Chancen – ausreichend verankert?Zunächst bin ich froh, dass im Kon-

zept „Gemeindepastoral 2015“ dieweltkirchliche Dimension als „leitendePerspektive“ gewichtet wird. Die Of-fenheit für die Weltkirche gehört zuden Essentials einer Diözese, weil siemit der Katholizität unserer Kircheeng zusammenhängt. Die katholischeKirche versteht sich nach dem Wortder Bischöfe „Allen Völkern Sein

Heil“ als Lerngemeinschaft, Gebetsge-meinschaft und Solidargemeinschaft.Das Bewusstsein dafür zu wecken undwach zu halten, ist sicher eine blei-bende Aufgabe. Umgekehrt bin ichsehr dankbar, wie stark der Eine-Welt-Gedanke in unserem Bistum veran-kert ist. Deutschlandweit sind wir alsdas „Hungermarschbistum“ bekannt.Die „Aktion Silbermöwe“, die seitüber 50 Jahren von den Leserinnenund Lesern des „pilger“ getragen wird,sucht ihresgleichen. Es gibt die Part-nerschaft der Diözesen Cyangugu undSpeyer, dazu Gemeindepartnerschaf-ten. Ich könnte viele Projekte nennen,die wir von der Diözesanstelle fürweltkirchliche Aufgaben unterstützen.Dazu gehört die Arbeit unserer Mis-sionare und Entwicklungshelfer undder Einsatz von jungen Erwachsenenin den Freiwilligendiensten. Auch imaußerkirchlichen Bereich gibt es zahl-reiche Aktionen und Initiativen, vonderen Ideenreichtum wir profitierenkönnen.Ich wünsche mir, dass wir noch mehr

als bisher von unseren Partnern in derWeltkirche lernen, indem wir Impulseaus anderen Kontinenten aufgreifenund für unsere Pastoral fruchtbar ma-chen, wie etwa die Option für die Ar-men und die Orientierung am WortGottes. Interview: Norbert Rönn

Eindrücke, die unter die Haut gehenWeihbischofOttoGeorgensübereineReisenachKalkuttaunddieArbeit vonMISEREOR

Beilage MISEREOR-Fastenaktion – Seite 216 – 7/2012 der pilger

„Eindrücke einer unvorstellbarenNot, aber auch bewegende Zeugnisseder Nächstenliebe und Solidarität.“

Weihbischof Otto Georgens übereinenAufenthalt in Kalkutta

Am Sonntag, 26. Februar, wird imBistum Speyer für alle deutschen Di-özesen die diesjährige MISEREOR-Fastenaktion eröffnet. Die Fädenhierzu laufen beim Bischofsvikar fürweltkirchliche Aufgaben, Weihbi-schof Otto Georgens, zusammen. ImNovember vergangenen Jahres hatteer mit Blick auf die anstehende Fa-stenaktion mit einer kleinen Delega-tion MISEROR-Projekte in Kal-kutta besucht. „der pilger“ hat mitihm gesprochen.

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Zu der Feier, die von Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann geleitet wird, wer-den zahlreiche Gäste aus der Weltkir-che erwartet, unter anderem Erzbi-schof Samuel Kleda (Kamerun), Bi-schof Salvadore Lobo (Indien) und Bi-schof Jesús Juárez Párraga (Bolivien).Zu den Konzelebranten zählen zudemPrälat Professor Josef Sayer, Hauptge-schäftsführer von MISEREOR, sowiedessen zukünftiger Nachfolger, der ausdem Bistum Speyer stammende Pfar-rer Pirmin Spiegel.

Thematisch wird es besonders umdie Lebenssituationen benachteiligterMenschen in den Megacitys der Erdegehen. Das kommt auch durch dasgroße MISEREOR-Hungertuch zumAusdruck, das Wallfahrer in den Domhineintragen werden. Die MISERE-OR-Fastenaktion 2012, für die am24./25. März bundesweit in allen katho-lischen Gottesdiensten eine Kollektestattfindet, lenkt unter dem Leitwort„Menschenwürdig leben. Kindern Zu-kunft geben!“ den Blick vor allem aufKinder und Jugendliche in den Elends-vierteln großer Städte.

Im Anschluss an den Gottesdienst,der musikalisch vom Domchor sowieeiner afrikanischen Trommelgruppegestaltet wird, steht ein Empfang imHistorischen Museum der Pfalz aufdem Programm. In kurzen Gesprächs-runden erläutern Prominente und En-gagierte aus der Diözese, warum derEinsatz für mehr Gerechtigkeit in derWelt immer wichtiger wird. Bei Musikund Imbiss bleibt zudem genügendRaum für Gespräche mit den Gästen.Als Einlasskarte dient das Liedheft desGottesdienstes.

Bereits ab dem 23. Februar heißt es

im Bistum Speyer „MISEREOR vorOrt“. Im Rahmen der Fastenaktion be-richten internationale Gäste von MI-SEREOR-Partnerorganisationen ausKalkutta, Nairobi, Guatemala-Stadtund Hongkong auf zahlreichen Veran-staltungen über ihre Arbeit und Erfah-rungen an der Seite der Armen inAfrika, Asien und Lateinamerika.

Auf zwei verschiedenen Routenkommt das Hungertuch ins BistumSpeyer – aus Regensburg und aus

Nackenheim bei Mainz (Beiträge aufden Seiten 22 und 24). Schon seit EndeJanuar macht im Bistum Speyer dieAusstellung „Daheim auf zwei Qua-dratmetern – Vom Leben im Käfig“Station. Über 100000 Menschen lebenin Hongkong in kleinen Käfigen. Fürdie sogenannten „Käfigmenschen“(Cage People) setzt sich die MISE-REOR-Partnerorganisation Societyfor Community Organization ein(siehe Beitrag Seite 22). is/pil

Infos: Christoph Fuhrbach, Telefon06232/102-365, E-Mail: [email protected] undwww.bistum-speyer.de

MISEREOR vor Ort in SpeyerStartschuss zur Fastenaktion 2012: BundesweiterEröffnungsgottesdienst am ersten Fastensonntag im Dom

MISEREOR ist eines der größtenHilfswerke der katholischen Kirche inDeutschland und hat seinen Sitz inAachen. Es erhält Zuwendungen ausdrei Quellen: aus der Fastenkollekteund Direktspenden, aus Zuwendun-gen der kirchlichen Haushalte (Diöze-sen) und dem Budget der Katholi-schen Zentralstelle, über die öffentli-che Geldgeber wie das Bundesent-wicklungsministerium die Arbeit von

MISEREOR finanzieren. Seit seinerGrÜndung 1958 hat MISEREORüber 100000 Projekte mit rund sechsMilliarden Euro gefördert. Im Jahr2011 erzielte MISEREOR Gesamt-einnahmen in Höhe von rund 179,2Millionen Euro. Davon stammten 63,5Millionen Euro von Spenden, 8,3 Mil-lionen Euro aus dem kirchlichenHaushalt und 107,4 Millionen Eurovon der Katholischen Zentralstelle.

Mit lediglich rund 6,7 ProzentWerbe- und Verwaltungskosten er-hält MISEREOR regelmäßig guteNoten vom Deutschen Institut fürsoziale Fragen (DZI), das in jedemJahr das sogenannte Spendensiegelan gemeinnützige Organisationenvergibt. Im Jahr 2011 konnte MISE-REOR insgesamt Spendeneingängevon rund 63,5 Millionen Euro ver-zeichnen.

Zum Stichtag 31. Dezember 2011wurden 3 548 laufende Projekte inrund 90 Ländern gefördert, viele erst-mals: Afrika und Naher Osten 428neue Projekte (50,33 Millionen Euro),Asien und Ozeanien 472 neue Pro-jekte (45,02 Millionen), Lateiname-rika und Karibik: 552 neue Projekte(50,06 Millionen), Internationale Pro-jekte 133 neue Projekte (Bewilli-gungssumme 26,02 Millionen). mi

Gute Noten: Verantwortungsvoller und wirksamer Umgang mit Spenden

Beilage MISEREOR-Fastenaktion – Seite 3 der pilger 7/2012 – 17

Sieh mich an!Dies ist meine Welt:Sieben Stunden am Tag auf derMüllkippe in Howrah,vor den Toren Kalkuttas.Immer auf der Suchenach Plastik, Leder, Metallund einem Leben in Würde.

Besuch mich hier!Dies ist mein Reich:16 Meter hoch getürmter Unrat,Weggeworfenes und tote Rattenstinken zum Himmel.Immer auf der Suchenach Träumen, Zukunft, Respektund einem Leben in Würde.

Komm mit mir!Dies ist mein Korb:2 Kilo gesammelter Müllpro Stunde,hart erarbeitete Überlebenshilfefür meine Elternund sechs Geschwister.Immer auf der Suchenach Essen, Kleidung, Wohnraumund einem Leben in Würde.

Bleib bei mir!Dies ist deine Chance:ein Mehr im Lebenmit Leidenschaft teilen,wovon du genug hast.Gemeinsam auf der Suchenach Gerechtigkeit, Wahrheit,Friedenund einem Leben in Würde.

Jörg Nottebaum (MISEREOR)

Mit einem festlichen Gottesdienst imSpeyerer Dom, der live in der ARDübertragen wird, eröffnet das bi-schöfliche Hilfswerk MISEREORam ersten Fastensonntag, 26. Fe-bruar, bundesweit für alle Diözesenseine diesjährige Fastenaktion.

Am ersten Fastensonntag ist die Weltkir-che zu Gast in Speyer. Der Blick richtetsich dabei auch auf Armut, Ungerechtig-keit und Unterentwicklung in der Welt.Fotos: MISEREOR/rn

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Marco Castillo:Lehrer gegen Gewalt

Marco Castillo ist ausgebildeter Leh-rer in Guatemala Stadt. Er ist maß-geblich verantwortlich für den Auf-bau von Grupo Ceiba: „Gewalt mussman als komplexes, soziales Phäno-men betrachten. Weder Arbeits-plätze noch Bildung allein lösen dasProblem. Es muss an der Mentalitätder Menschen und am gesamtenUmfeld gearbeitet werden.“ – DieGroupo Ceiba leistet bereits seit

mehr als zwanzig Jahren in der mit-telamerikanischen Metropole Frie-densarbeit und Gewaltprävention. Ineigenen Ausbildungszentren werdenfür Jugendliche und junge Erwach-sene aus schwierigen Verhältnissenunter anderem Qualifizierungskurseangeboten.

Lai Chan Sze:Freundin der „Käfigmenschen“

Lai Chan Sze ist 41 Jahre alt und ar-beitet seit 1995 als Sozialarbeiterinfür eine Organisation, die in Hong-kong Menschen und Familien hilft,die in Käfigen und engen Kabinenleben müssen, weil sie kein Geld füreine Wohnung haben. Sie besuchttäglich die Hilfsbedürftigen, etwa umsie beim Kontakt mit Behörden zuunterstüzen. Sie vernetzt ihre Arbeitauch mit anderen Organisationenund hält Kontakt zu Politikern undParteien, um deren Aufmerksamkeitauf die Situation dieser vernachläs-sigten Gruppe zu lenken. Lai ChanSze versucht mit allen Mitteln, denBetroffenen eine menschenwurdigeUnterkunft und gleichberechtigteEntfaltungsmöglichkeiten zu ermög-lichen.

Mary Njeri Gatitu undRegina Nduku Kakue:An der Seite von Frauen

Mary Njeri Gatitu (rechts) hat Sozi-alarbeit und Betriebswirtschaft stu-diert. „Wer einer Frau hilft, hilft ei-ner ganzen Familie“, so Mary Ga-titu. Denn viele Frauen werden vonihren Männern verlassen und blei-ben mit ihren Kindern allein zurück.Mary Njeri Gatitu stammt selbst aussehr armen Verhältnissen. Seit 2005arbeitet sie im „Rescue Dada Cen-tre“, seit September 2006 als Leiterindes Projektes. In dem Zentrum küm-mert man sich schwerpunktmäßigum Mädchen zwischen vier und 16Jahren, die auf der Straße leben oderdie in ihren Familien seelische oderkörperliche Gewalt erfahren haben.Ebenfalls im „Rescue Dada Cen-

tre“ arbeitet Regina Nduku Kakue.Als siebtes von acht Kindern gebo-ren, wird sie – mit einem sehr gutenGrundschulabschluss – bereits nachwenigen Tagen von der weiterführen-den Schule verwiesen, da ihre Fami-lie das Schulgeld nicht aufbringenkann. Sie geht nach Nairobi, wo siejetzt mit ihrer Familie in den Mat-hare Slums lebt. Sie bildet sich weiterund arbeitet jetzt als Sozialarbeiterin.Durch ihren persönlichen Lebenswegversucht sie den Mädchen gleichzei-tig Vorbild und Mutter zu sein.

Mohammed Shafkat Alam:„Stratege“ der Müllsammler

Mohammed Shafkat Alam ist 28Jahre alt, Muslim und wohnt und ar-beitet in Kalkutta. Er ist für die stra-tegische Planung des Tiljala Shed-Bildungszentrums verantwortlich,das auf vielfältige Weise Slumbe-wohner in Kalkutta fördern. Der 28-jährige – er hat Wirtschaftswissen-schaft und Menschenrechte studiert,führt Kampagnen durch und hältKontakt mit staatlichen Stellen undder Wirtschaft, um die Projekte vorallem für Müllsammler möglich zumachen. Er arbeitet eng mit seinemVater zusammen, der die Nichtregie-rungsorganisation gegründet hat.(Siehe auch Beitrag auf den Mittel-seiten.)

Erzbischof Samuel Kleda:Bildung für junge MenschenSamuel Kleda ist 52 Jahre alt, wurde1986 zum Priester und 2000 zum Bi-schof von Batouri geweiht. Seit Ende2009 leitet er als Erzbischof die Di-özese Douala. Samuel Kleda ist Vi-zepräsident der Kamerunischen Bi-schofskonferenz sowie Präsident derUnterkommission für religiöses Le-ben und Präsident des Rates fürwirtschaftliche und finanzielle Ange-legenheiten in der KamerunischenBischofskonferenz. Erzbischof Kledasetzt sich seit Jahren für die Verbes-serung der Ausbildung der jungenMenschen in Kamerun ein.

Gäste ausAfrika, Asien und LateinamerikaViele Begegnungen in Pfarrgemeinden und in Schulen

18 – 7/2012 der pilger Beilage MISEREOR-Fastenaktion – Seite 4

Im Rahmen der MISEREOR-Fa-stenaktion besuchen zahlreicheGäste aus Asien, Afrika und La-teinamerika das Bistum Speyer.Mit Blick auf den inhaltlichenSchwerpunkt – die Lebenssituationvon Menschen in großen Städten –berichten sie in Pfarrgemeindenund Schulen von ihren Erfahrun-gen in Kalkutta, Hongkong, Nai-robi und Guatemala-Stadt. Gleich-zeitig bekommen sie mit Hilfe derCaritas in Ludwigshafen und derdiözesanen Betriebsseelsorge Aus-schnitte aus der städtischen Wirk-lichkeit in Deutschland gezeigt –am Beispiel von Ludwigshafen.

Bischof Salvadore Lobo:Ein Prozent Christen

Bischof Salvadore Lobo ist 66 Jahrealt und Bischof der Diözese Barui-pur südlich von Kalkutta. In seinerDiözese leben zehn Millionen Men-schen, viele davon in absoluter Ar-mut. Christen machen nur ein Pro-zent der Bevölkerung aus, die Mehr-heit sind Hindus und Moslems. DieSozialprogramme der Diözese kom-men allen Menschen, unabhängigvon ihrer Religionszugehörigkeit, zu-gute. Bischof Lobo unterstützt dieArbeit des MISEREOR-Projekt-partners Tiljala Shed, die den Müll-sammlerfamilien und insbesonderederen Kindern zu Gute kommt.

Begegnung in Kalkutta beim Zentrum der Mutter Teresa-Schwestern: Bischof Sal-vadore Lobo und Weihbischof Otto Georgens. Zur Eröffnung der MISEREOR-Fastenaktion kommt Bischof Lobo nach Speyer. Foto: Radke/MISEREOR

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Über vier Milliarden Bewohnerwerden die Städte Asiens, Afrikasund Lateinamerikas im Jahr 2030aufnehmen und versorgen müssen.Heute sind es erst 2,5 Milliarden.

Drei von fünf Menschenwerden im Jahr 2030 Stadtbewohnersein. Bereits heute lebt zum erstenMal in der Geschichte die Mehrheitder Menschen in der Stadt.

Eine Milliarde Menschenfristen laut UN ihr Leben in ver-schiedenen Formen von städtischen

Armensiedlungen. 400 Millionen da-von sind Kinder und Jugendliche.Von den UN werden diese Siedlun-gen pauschal als „Slum“ bezeichnet.

Jeder sechste Menschlebt damit heute in einem Slum. Diesentspricht etwa einem Drittel derstädtischen Bevölkerung weltweit.

Um 27 Millionen Menschenwächst die Slum-Bevölkerung jedesJahr.

Zwei Milliarden Menschenwerden nach einer UN-Schätzung imJahr 2030 in Slums leben; im Jahr2050 werden es sogar 3,5 Milliardensein.

Mehr als 250 Millionen Menschenleben allein in Afrika in Slums oderSelbstbausiedlungen – über 25 Pro-zent der Gesamtbevölkerung aufdiesem Kontinent.

8,3 Milliarden Menschenwerden Prognosen zufolge im Jahr

2030 auf der Erde leben. Derzeitsind es etwa sieben Milliarden.

Auf 250 Hektarzusammengedrängt leben in Kibera,dem größten Slum Nairobis, fast eineMillion Menschen, das entsprichtvier Personen auf zehn Quadratme-tern.

Mehr als zehn Millionen Kinderunter fünf Jahren sterben jährlichweltweit; die meisten aus Mangel anHygiene und medizinischen Grund-diensten.

Mehr als 1,5 Millionen Kinderunter fünf Jahren sterben jährlich,weil sie verschmutztes Wasser trin-ken.

Fast jedes fünfte Kindstirbt im Slum Kibera vor seinemfünften Geburtstag.

Größter Slum Asiensist Dharavi in Mumbai (Indien).Etwa eine Million Menschen habenhier ihr Zuhause.

Um 1820tauchte der Begriff „Slum“ zum ers-ten Mal in London auf. Damals be-zeichnete er die armseligen Unter-künfte von Arbeitern nahe den Fa-briken.

Nach UN-Definitionheißt ein Stadtgebiet Slum, wenn sta-bile, dauerhafte Wohnungen fehlen;sich mehr als drei Personen einenRaum teilen; der Zugang zu saube-rem Wasser fehlt; keine private oderöffentliche Toilette vorhanden ist.

Elendsviertelhaben viele Namen: in ArgentinienVilla Miseria, in Brasilien Favela, inPeru Pueblos Jovenes, in KolumbienBarrios Piratas, in Mexiko BarriosPopulares und in der Türkei Gece-kondus, in Pakistan Katchi abadi,zwischen Mexiko und den USA Co-lonias, in Indien Bustees.

5,6 Millionen Menschenwurden allein von 2003 bis 2006durch staatliche Maßnahmen aus ih-ren Häusern und Vierteln vertrieben(von Menschenrechtlern dokumen-

tierte Zahlen). Experten gehen voneiner Dunkelziffer von bis zu zehnMillionen Menschen aus.

200000 Slumsgibt es Schätzungen zufolge auf derWelt. Menschen siedeln in Sümpfenund Überschwemmungsgebieten, aufVulkanen, rutschigen Hängen, Müll-bergen und Chemiemülldeponien, anRangiergleisen und Wüstenrändern,neben Pipelines, Chemieanlagen undRaffinerien.

Leben mehr als zehn MillionenMenschen in einer Stadt, handelt essich laut den UN um eine „Mega-Stadt“. 2010 gab es weltweit insge-samt 30 Megastädte, davon 16 al-leine in Asien, vier in Afrika, unddrei in Südamerika.

Mehr als 50 Prozentder Menschen in den Großstädtender Welt müssen ohne ausreichendesanitäre Einrichtungen und geregelteAbwasserentsorgung leben, was zuvielen Krankheiten führt.

Die Slumsiedlungen wachsenBedrückende Daten und Fakten

Beilage MISEREOR-Fastenaktion – Seite 5 der pilger 7/2012 – 19

Im Hochland von Guatemala wer-den die Menschen von Konzernenvertrieben, die hier in großem StilGold abbauen. Die Familien, be-sonders die Kinder, haben hier wieauch in den Städten kaum eineChance auf Zukunft.

Viele Menschen in den Armen-siedlungen dieser Welt leben vonder Hand in den Mund.

Kinder müssen oft zum Lebens-unterhalt ihrer Familien beitragen.

Mit etwa 250 Pro-jektpartnern

bekämpft MISE-REOR die Armut inden Städten der Welt.

Zu diesem Zweckstellt das Hilfswerkjährlich im Durch-

schnitt 25 MillionenEuro zur Verfügung,

davon etwa 15 Millio-nen Euro pro Jahr

für Siedlungsentwick-lung, Wohnen, Was-serversorgung undsanitäre Anlagen.

Fotos: MISEREOR

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Verdienst der Müllsammler

Durchschnitts-Tagesverdiensteiner erwachsenen Müllsammle-rin: 50 Rupien (0,75 Euro)

Durchschnitts-Tagesverdiensteines sechsjährigenKindes: 10 Rupien (0,15 Euro)

Sammellohn für 1 KilogrammFlip-Flop-Sohlen: 1 Rupie (0,015Euro)

1 Kilogramm dünne Plastikfolie:4-6 Rupien (0,06-0,09 Euro)

1 Kilogramm Hartplastikbecher:16 Rupien (0,24 Euro)

1 Kilogramm Eisen: 13 Rupien(0,19 Euro)

Ausgaben der Müllsammler

Miete pro Monat 300-400 Ru-pien (4,50-6,00 Euro

Stromkosten monatlich 70 Ru-pien (1,05 Euro). Strom wirdmeist illegal abgezapft und vonHändlern zu Wucherpreisen ver-kauft

Fachärztliche Behandlung 600Rupien (9,00 Euro)

Behandlung durch einen Heil-praktiker 300-600 Rupien (4,50-9,00 Euro)

„Kindern Zukunft geben“ heißt inKalkutta: Die notwendigen Struktu-ren aufbauen, damit Menschen inWürde leben können. – Nazneen undNeha, neun und acht Jahre alt, besu-chen die informelle Schule von TiljalaSHED (Society for Human and Edu-cational Development) mitten in ei-nem Armenviertel in Kalkutta. DiePartnerorganisation von MISE-REOR setzt sich für umfassende Ent-wicklung und Bildung der Menschenin den Armensiedlungen ein, was be-reits im Namen zum Ausdruckkommt.

Mohammed Alamgir (56), derselbst im Viertel Tiljala Road großgeworden ist, hat die Organisation1987 gegründet. Auf den Straßen vonKalkutta sind unzählige Kinder un-terwegs, um Plastik- und Glasfla-schen, Papier und Aluminium aufzu-sammeln. Erwachsene, Kinder undJugendliche suchen auf den Abfall-halden der Millionenstadt nach Wert-stoffen, die sie an Zwischenhändlerweiterverkaufen. Auch Nazneen undNeha sind vor dem Unterricht alsMüllsammlerinnen unterwegs. Da-nach schlüpfen sie in ihre Schuluni-formen, die von Tiljala SHED gestelltwerden. Mit ordentlich gekämmtenHaaren und sauberer Bluse zurSchule zu gehen – das hat etwas mitWürde zu tun.

Der Vater, 27 Jahre alt, Analpha-bet, arbeitet als Rikschafahrer. DieMutter, 22, hat die Schule von TiljalaSHED bis zur vierten Klasse besucht.Die Eltern sind sich einig: Obwohldas Geld knapp ist, sollen die Mäd-chen eine Ausbildung und damit eineOption auf eine bessere Zukunft er-

halten. Für die Familie von Nazneenund Neha heißt Leben in Würde: einDach über dem Kopf zu haben undam Tag so viel zu verdienen, dass esfür ein Gemüsegericht reicht und dieKinder lernen können – damit sie,wie Vater Anwar sagt, „sich eines Ta-ges ein sicheres Haus leisten können,das nicht vom Regen wegge-schwemmt wird“. Leben in Würdebedeutet für die Familie von Nazneenund Neha darüber hinaus: liebevollmiteinander umzugehen und Frem-den gastfreundlich zu begegnen. Dasist nicht selbstverständlich in einerUmgebung, die vom täglichen Kampfums Überleben gekennzeichnet ist.

„Tomorrow is to late“ – ein Wort-spiel, das sich vom Klang her nichteins zu eins ins Deutsche übertragenlässt. „Morgen ist es zu spät“: Diese

Überzeugung führte zur Gründungvon Tiljala SHED. Ja, es könnte so-gar heute schon zu spät sein für vieleKinder, Jugendliche und Erwachseneaus den Armenvierteln – wenn nichtStrukturen geschaffen werden, die ih-nen ein menschenwürdiges Leben er-möglichen. Deshalb hat TiljalaSHED „Brückenschulen“ eingerich-tet, die den Kindern den Übergang ineine Regelschule ermöglichen sollen.Deshalb findet am unterrichtsfreienSamstag in den Schulräumen eineGesundheitssprechstunde statt: EineAllgemeinmedizinerin untersucht diePatienten, die häufig an Durchfall,Hautkrankheiten, Malaria oder Wür-mern leiden, verbindet Wunden undgibt kostenlose Medikamente aus.Ernstere Fälle werden an das Kran-kenhaus überwiesen.

Die projekteigene Nähwerkstattträgt den Namen „Learning and Ear-ning Center“. Hier erlernen jungeMenschen das Schneiderhandwerk,damit sie sich später mit einem eige-nen kleinen Betrieb selbständig ma-chen können. Das Nähcenter über-nimmt aber auch Auftragsarbeitenfür externe Schneidereien und finan-ziert sich so zum großen Teil selbst.

Ein weiterer Ort der Hoffnung istdie Gewürzmanufaktur im „Chine-senviertel“ Tangra. Vor drei Jahreninvestierte Tiljala SHED in eine Ge-würzmühle; seitdem werden in Tan-gra Gewürze gemahlen, erhitzt, ge-trocknet, gemischt und später ankleine Restaurants, Geschäfte undPrivathaushalte verkauft. Das sindkleine Ansätze, um die Fixierung aufdas Müllsammeln als Haupteinnah-

mequelle und die Abhängigkeit vonden Müllaufkäufern aufzubrechen.

Mit Unterstützung von TiljalaSHED haben die Menschen aus denArmenvierteln ihre eigene „Müll-sammlervereinigung“ gegründet undHallen errichtet, in der Abfälle ange-nommen und sortiert werden. Hierkönnen nun auch die Kinder dieWertstoffe abliefern, die sie vor derSchule gesammelt haben, erhalten einfaires Entgelt und werden in Ver-handlungsstrategien geschult, damitsie von Zwischenhändlern nicht mehrso leicht über den Tisch gezogen wer-den können. Mit dem Verdienst un-terstützen sie ihre Eltern. Den Über-schuss zahlen sie bei der kleinenBank ein, die die Müllsammlerinnenund Müllsammler von Tiljala selbstgegründet haben. Dort ist das Geldgegen Diebstahl gesichert. Erwach-sene und Kinder haben hier ihre eige-nen Sparbücher. So sorgen sie fürNotzeiten vor und sparen die Summe

an, die sie nachweisen müssen, umein Konto bei einer staatlichen Bankeröffnen zu können. Tausend Rupiensind derzeit Voraussetzung für denZugang zu Kleindarlehen, die es viel-leicht einmal ermöglichen werden,sich einen eigenen Verkaufsstand zuleisten oder eine Ausbildung zu ma-chen.

Viele Menschen leben im und vomMüll – doch dabei geht das Lebenverloren. Die Müllsammlerkinderwerden zu Ausgestoßenen der Ge-sellschaft, ja selbst zu „Müll“. „Wastecreates human waste“, so bringen esdie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitervon Tiljala SHED auf den Punkt:„Abfall produziert menschlichen Ab-fall“. Es klingt brutal, und es ist bru-tal. Doch Mohammed Alamgir undalle, die für Tiljala SHED arbeiten,

sind nicht bereit, sich damit abzufin-den. So gibt es nicht nur die infor-melle Schule, die Nähwerkstatt, dieGewürzmanufaktur, das „Girls‘ Cen-ter“, in dem Selbstverteidigungskursefür Mädchen und Computerlehr-gänge stattfinden, sondern auch einekleine Tanzschule. Hier werden tradi-tionelle und moderne Choreogra-phien erarbeitet. Für die Kinder ausden Armenvierteln ist das Tanzeneine Art von Therapie: Beim Singenund Tanzen können sie loslassen, dieExistenzsorgen vergessen und träu-men. Kind sein und sich freuen, träu-men dürfen, auch das hat mit men-schenwürdigem Leben zu tun – da istsich Nargis Khatoon, die 22-jährigeTanzlehrerin, sicher. Und Träumekönnen sogar zu einer besseren Weltführen. Jörg Nottebaum

Damit die KinderKalkuttas Zukunft habenMISEREOR und seine Partner setzen auf Bildung

Beilage MISEREOR-Fastenaktion – Seite 720 – 7/2012 der pilger der pilger 7/2012 – 21Beilage MISEREOR-Fastenaktion – Seite 6

Die Müllsammler von Kalkutta beginnen, sich zu organisieren. Zunehmend er-halten sie auch Aufträge von öffentlichen Einrichtungen und von Unternehmen.

Tausende von Menschen, darun-ter auch zahllose Kinder, sam-meln auf den Straßen und Abfall-halden der indischen GroßstadtKalkutta Müll, den sie anZwischenhändler weiterverkau-fen. Die MISEREOR-Partner-organisation Tiljala SHED unter-stützt die Familien der Müll-sammlerkinder seit vielen Jahren.Ausbildung und Mini-Darlehensollen die Gründung eigener klei-ner Unternehmen ermöglichen.Die Kinder aus den Armenvier-teln erhalten die Möglichkeit,„Brückenschulen“ zu besuchen,um Anschluss an das normaleSchulwesen zu finden.

Eine kleineGruppe aus dem

Bistum Speyer undvon Vertretern desHilfswerks MISE-REOR besuchtezur Vorbereitungauf die Fastenak-tion 2012 die Pro-

jekte für Müll-sammler in Kal-kutta. Hier ent-stand auch das

Plakat zur diesjäh-rigen Fastenaktion.

Tiljala SHED unterhält auch Slum-Schulen, in denen die Kinder auf den Besuchvon „normalen“ Schulen vorbereitet werden. Fotos: Radke/MISEREOR, Rönn

Teilweise barfußdurchwühlen Kinderden Müll auf der Su-che nach Brauchba-rem. In einer kleinenTanzschule werdenauch Rollenspiele ein-geübt, die sich mit derLebenssituation derMenschen auseinan-dersetzen.

„Ich träume von einer Welt, in derman vom Geben und Nehmen lebtund alle das teilen, was sie haben.“

Majida Khatoon (18), Kalkutta

„Ich träume von einer Welt, in derjeder Mensch so akzeptiert wird,wie er ist.“

Lara Mayer (16), Ludwigshafen

Wie eiserne Schlan-gen donnern die

Güter- und Perso-nenzüge durch dasArmenviertel ParkCircus im indischenKalkutta. Nur zweiMeter von den ge-fährlichen Bahn-

schienen entfernt rei-hen sich die Hüttenvon 350Müllsamm-ler-Familien aneinan-der, die hier illegal le-

ben und somit kei-nerlei Rechte haben.Tiljala SHED hilft

ihnen zumBeispiel inAuseinandersetzun-gen mit korrupten

Beamten.

MohammedAlamgir – hier imGesprächmit Weihbischof Otto Georgens – ist einmutiger Kämpfer für die Rechte derMüllsammler. Für viele Probleme machter mafiaähnliche Strukturen verantwort-lich, von denen auch viele Politiker profi-tieren. Inzwischen ist sein Sohn Moham-med Alamgir (28) in seine Fußstapfengetreten. Der Wirtschaftsfachmann undJurist kommt zur Eröffnung der MISE-REOR-Fastenaktion nach Speyer.

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Ein Käfig, nur zwei Quadratmetergroß, an den Gitterstäben hängenBlechdosen und Kleidungsstücke, aufdem Boden liegt eine dünne Decke,auf einem Brett in der Ecke stehen einpaar Plastikschüsseln – das ist das„Zuhause“ der sogenannten „Käfig-menschen“ (Cage People) in Hong-kong. Ein solcher Käfig ist auch in derAusstellung „Daheim auf zwei Qua-dratmetern“ in der Jugendkirche LU-MEN in Ludwigshafen zu sehen. 17Banner mit Fotos und Texten vermit-teln außerdem einen Eindruck vomLeben dieser „Cage People“. Weihbi-schof Otto Georgens eröffnete dieAusstellung, die das katholische Hilfs-werk MISEREOR zusammengestellthat.

An der Vernissage nahmen auchSchülerinnen und Schüler der Jahr-gangsstufe 12 und des Schülercafés desGeschwister-Scholl-Gymnasiums teil.Sie hatten nicht nur die Brezeln für dieAusstellungseröffnung gespendet, son-dern in ihrer Schule einen Kuchenver-kauf unter demMotto „Wir backen fürdie Menschenwürde“ organisiert. DenErlös von 500 Euro überreichten siegemeinsam mit ihrem ReligionslehrerPfarrer Heinz-Jürgen Sommer anWeihbischof Georgens – als Spende für

die MISEREOR-PartnerorganisationSociety for Community Organization(SoCO), die sich für die „Käfigmen-schen“ in der chinesischen Millionen-stadt engagiert.

Der Chor des Geschwister-Scholl-Gymnasiums unter Leitung von SabineNebel sorgte für den musikalischenRahmen der Vernissage. Im Namendes Bundes der Deutschen Katholi-

schen Jugend (BDKJ), Mitträger derJugendkirche, begrüßte BDKJ-Diöze-sanvorsitzende Kirsten Glaser die etwa150 Gäste. „Auch für uns als Kinder-und Jugendverband ist das Recht aufWohnung wichtig, und deshalb zeigenwir hier in unserer Jugendkirche dieseAusstellung“, so Glaser.

In die Ausstellung und die Arbeitvon SoCO führte Anna-Maria Kohler-Ulrich aus Bockenheim ein. Sie arbei-tet ehrenamtlich in einem Arbeitskreis„Eine-Welt-Arbeit im dritten Lebens-alter“ mit und konnte auf einer Reisenach Hongkong „Cage People“ besu-chen. Sie schilderte, wie beklemmenddas Leben dieser mehr als 100000Menschen ohne Rückzugsmöglichkeitoder Privatsphäre ist. cwz

„Käfigmenschen“: Lebenauf zwei QuadratmeternBeklemmende Einsichten in den Alltag der Armen von Hongkong

Ungewohnte Trommelklänge erfüll-ten die Rhein-Galerie – und locktenzahlreiche Besucher an. MagatteBousso entführte sie auf seinerTrommel nach Afrika. Die Liederdes aus Togo stammenden Musikerserzählen von der Sehnsucht nach ei-ner besseren Welt. Sie tragen Titelwie „Seiko Geset“ (was so viel heißtwie: „Lasst uns eine bessere Weltschaffen“) oder „Hoffnung undZweifel, aber auch Zweifel undHoffnung“. Das aktuelle Hunger-tuch, das neben anderen gezeigtwird, stammt von Sokey Edorh, ei-nem Künstler aus dem westafrikani-schen Togo. Es trägt den Titel „Wasihr dem Geringsten tut“. Im Vorder-grund stehen, wie bei Jesus, die klei-nen Leute, die Armen, die Entrech-

teten, die Geschundenen, die nichtgenug zum Leben haben. Aber auchdie Menschen kommen ins Bild, diesich nicht unterkriegen lassen, dieprotestieren, die Solidarität üben –und dafür ihre Kraft aus dem Glau-ben schöpfen.

Oberbürgermeisterin Eva Lohse

dankte während der kleinen Feierdem Management der „Rhein-Gale-rie“ für ihre Bereitschaft zur Aus-richtung der Ausstellung und für denMut, dem Spannungsfeld zwischenArmut auf der einen und Konsumauf der anderen Seite Raum zu ge-ben. Ludwigshafen als größte Stadt

der Pfalz sei Lebensmittelpunkt vie-ler Menschen; daher sei die Ausstel-lung hier genau am richtigen Ort.

Weihbischof Georgens schlug denBogen zwischen der Ausstellung unddem Sinn des Fastens. Er machte deut-lich, dass Fasten viel tiefer reicht als dieFrage des Essens, den ganzen Men-schen betrifft. Georgens verwies aufdie vielen Angebote und Anregungender MISEREOR-Fastenaktion, die indiesem Jahr bundesweit im BistumSpeyer eröffnet wird. hh/zg

Hinweis: Die Ausstellung in der Rhein-Galerie ist noch bis 25. Februar zusehen (während der Öffnungszeiten).

Hungertücher im EinkaufszentrumOberbürgermeisterin Eva Lohse und Weihbischof Otto Georgens eröffnen Ausstellung in Ludwigshafen

22 – 7/2012 der pilger Beilage MISEREOR-Fastenaktion – Seite 8

Die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Eva Lohse und Weihbischof OttoGeorgens eröffneten die Ausstellung in der Rhein-Galerie. Foto: Heib

Trommelklänge entführten nach Afrika.Das aktuelle Hungertuch hat ein Künst-ler aus Togo geschaffen. Foto: Heib

Eine Ausstellung mit MISEREOR-Hungertüchern mitten in einem Ein-kaufszentrum? Genau der richtigeOrt, meinten bei der Austellungser-öffnung in der LudwigshafenerRhein-Galerie am 13. Februar Ober-bürgermeisterin Eva Lohse undWeihbischof Otto Georgens.

Viele junge Leute sahen die Ausstellung in der Jugendkirche. Foto: Lauer

Bis zum 17. Februar war die Cage-People-Ausstellung in Ludwigsha-fen zu sehen. Weitere Stationen derAusstellung sind das Edith-Stein-Gymnasium in Speyer, die Pfarrkir-che St. Martin in Kaiserslautern,das Johanneum in Homburg/Saarund das Heinrich Pesch Haus inLudwigshafen. Alle Termine findetman unter www.bdkj-speyer.de.Die Ausstellung gehört zu einerReihe von Veranstaltungen imRahmen der bundesweiten Eröff-nung der diesjährigen FastenaktionvonMISEREOR.

Auf wenigen Quadratmetern müssenganze Familien leben. Foto: Lauer

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Neben einem bunten Bühnenpro-gramm mit Live-Musik und Gästenaus der Einen Welt werden sich rundum die Martinskirche verschiedeneOrganisationen und Eine-Welt-Gruppen präsentieren. Einen Ein-druck davon, wie es ist auf nur zweiQuadratmetern in einem Käfig zu le-ben, vermittelt die Cage-People-Ausstellung von MISEREOR, die inder Kirche St. Martin gezeigt wird.Das kirchliche Hilfswerk unterstütztin Hongkong die Organisation SoCO(Society for Community Organiza-tion), die sich um diese Menschenkümmert. Es ist eines der Projekte,für die der Erlös des Solidaritätslaufsbestimmt ist, der um 14 Uhr gestartetwird. Bis 17 Uhr können Einzelper-sonen oder Gruppen jeden Alters dieetwa 800 Meter lange Strecke durchdie Altstadt laufen – wie oft bleibtden Teilnehmern und Teilnehmerin-nen selbst überlassen. Wer will, kannsich „Sponsoren“, die einen be-stimmten Betrag pro Runde spen-

den, suchen oder eine Startgebührvon fünf Euro zahlen. Die Anmel-dung erfolgt über die Homepagewww.solilauf-kl.de.

Wie mühsam es ist, Hindernisse zuüberwinden – zum Beispiel um ge-rechte Bildungschancen für alle zuermöglichen – können am Unions-platz Kinder und Jugendliche an ei-ner Kletterwand und einem Par-cours, der mit ferngesteuerten Autosbewältigt werden muss, erfahren. ImAktionszentrum in der „Kleinen Kir-che“ (am Unionsplatz) wird Moham-med Shafkat Alam von seiner Arbeitfür Tiljala SHED, einer Organisa-tion, die sich um Müllsammler im in-dischen Kalkutta kümmert, berich-ten. Für dieses Projekt ist ebenfallsein Teil des Erlöses des Solidaritäts-laufes bestimmt.

Beim Bau einer Slum-Hütte ha-

ben die Teilnehmer Gelegenheit,sich mit der Lebenssituation vonKindern und Jugendlichen, die alsMüllsammler arbeiten müssen, aus-einanderzusetzen.

Zum Abschluss des Aktionstageswird der Speyrer Weihbischof OttoGeorgens um 17.45 Uhr in St. Martineinen Jugendgottesdienst feiern. Diemusikalische Gestaltung übernimmtdie Band „Sanctos“. cwz

Infos: DieMISEREOR/BDKJ-Ju-gendaktion 2012 „Stadt, Rand,Schluss…?“ fragt nach der Situationvon Jugendlichen in Großstädten undihremKampf um ein Leben inWürde.Unter www.jugendaktion.de findetman anschauliche Reportagen undHin-tergrundinformationen, Interviews mitJugendlichen, Fastentipps und Vor-schläge für Aktionen in der Fastenzeit.

Eine-Welt-Fest und Solilauf„Stadt, Rand, Schluss...?: MISEREOR und BDKJ starten bundesweite Jugendaktion in Kaiserslautern

Erstmals wurde ein Bischofsbrief andie Schulen im Speyerer Bistumsgebietmit einem großen und kreativen Mate-rialpaket versandt. Weihbischof OttoGeorgens hat sich als Pate der Aktionmit einem Brief an alle Grund- und Se-kundarschulen im Bistum gewandt.Stark beeindruckt von seinem Besuchin Kalkutta wirbt er für das kreativeMaterialpaket von Misereor: „Geradedurfte ich in vielen Begegnungen vorOrt mir selbst ein Bild machen bei ei-nem Besuch in Kalkutta. Ich versi-chere Ihnen, die Menschen dort benö-tigen unsere Verbundenheit.“

Kinder und Jugendliche lernen dasLeben Gleichaltriger in Slums kennen,

die große Kluft zwischen armen undreichen Menschen in Großstädten derWelt oder aggressive Konflikte durchDrogen, Gewalt und familiärem Miss-brauch. Bilder und Stimmen aus derKinderperspektive lassen in den Klas-senzimmern hier die Enge des Lebens-raumes und das Leben auf der Straßein Südamerika, Afrika und Asien er-fahrbar werden. Dass vielen Kindernder Welt kein Schulbesuch möglich ist,findet oft Erstaunen bei hiesigen Schü-lern. Die authentischen Vorlagen der

Misereor-Aktion erzählen reale Ge-schichten aus der Arbeit mitMisereor.Schulisch gesprochen: „Für den schuli-schen Kontext ist es ein Ziel, Schüle-rinnen und Schüler für Globalisierungund das Leben in anderen sozio-kultu-rellen Kontexten zu sensibilisieren. Ih-nen werden damitMöglichkeiten zu in-terkulturellem und partizipierendemLernen und Handeln eröffnet,“ erklärtIrina Kreusch von der Schulabteilung.

Bereits am Tag der Religionsleh-rer/innen im August 2011 informierte

ein Stand zur Weltkirche und bot ersteMaterialien an. Die Studienseminarewurden einbezogen, und die Religions-pädagogischen Arbeitsstellen (RPAs)in Landau, Pirmasens, Kaiserslauternund St. Ingbert bieten ausführlichesMaterial an. Eigens erstellte Sequen-zen für die Sekundarstufe I stellt Fort-bildungsleiterin Edith Klenner vor. kr

Infos: Dr. Irina Kreusch,Telefon 06232/ 102-217, E-Mail:[email protected]

MISEREOR-Fastenaktion macht SchuleSchulabteilung im Bischöflichen Ordinariat und Hilfswerk bieten Unterrichtsmaterialien an – Alle Schulen sind eingeladen

Zu dem Eine-Welt-Fest und dem Soli-lauf laden die Kai-serslauterer PfarreiSt. Martin, derBDKJ-Diözesanver-band Speyer und dasTeam derMISE-REOR/BDKJ-Ju-gendaktion ein.

SSOOLL II LLAAUU FFzur Eröffnung der

MISEREOR/BDKJ-Jugendaktion

am Samstag, 1 0. März 201 2

in Kaiserslautern,

St.-Martins-Platzfür Verbandsgruppen, Ministrantinnen und

Ministranten, Firmlinge und andere

interessierte Jugendliche

Beilage MISEREOR-Fastenaktion – Seite 9 der pilger 7/2011 – 23

SolibrotJeden Tag satt werden – für übereine Milliarde Menschen weltweitein unerfüllbarer Wunsch. MillionenMenschen sterben an Krankheitenin Folge von Mangelernährung. Unddabei ist Nahrung ein Menschen-recht. Unser tägliches Brot gib unsheute – für uns selbstverständlich.

Auch im Bistum Speyer gibt es inder Fastenzeit die Aktion „Solibrot“.Rund 90 Bäckereien bieten ein „Soli-brot“ an (nach je eigenem Rezept).Mit jedem Brot geht ein Spendenan-teil und damit ein ganz konkretesStück Hilfe an die Menschen inAfrika, Asien, und Lateinamerika.MISEREOR: „Sie brauchen unsereUnterstützung, um satt zu werden.Aber auch um einen Weg zu finden,ihr Leben selbstbestimmt und mitWürde besser meistern zu können.Und den Mut aufzubringen, das zufordern, was ihnen zusteht.“ – Inder Bäckerei nach dem „Solibrot“fagen. Es schmeckt gut und tut gut.

Indien: Schulalltag in einem der Slumviertel von Kalkutta... ...und in Deutschland. Fotos: MISEREOR/dapd

Mit einem Eine-Welt-Fest und ei-nem Solidaritätslauf wird amSamstag. 10. März, in Kaiserslau-tern die bundesweite Jugendfasten-aktion des katholischen Hilfswer-kes MISEREOR und des Bundesder Deutschen Katholischen Ju-gend (BDKJ) eröffnet. Die Veran-staltung findet ab 13 Uhr rund umden St. Martins-Platz und am Uni-onsplatz statt.

Info: [email protected]

Die MISEREOR-Aktion 2012 „Men-schenwürdig leben – Kindern Zukunftgeben“ soll für viele Kinder und Ju-gendliche zugänglich sein. Mit diesemVorsatz hat Misereor in Zusammenar-beit mit der diözesanen Schulabtei-lung ein breites Angebot erarbeitetund an die Schulen gebracht.

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Auch in diesem Jahr sind wieder zweiWallfahrtsgruppen auf den Weg nachSpeyer, um das Hungertuch am 26. Fe-

bruar in den feierlichen Eröffnungsgot-tesdienst der Fastenaktion zu tragen.Die MISEREOR-Hungertuchwall-

fahrt macht sich am Dienstag, 21. Fe-bruar, von Regensburg aus auf denWeg nach Speyer, um das aktuelleHungertuch zur bundesweiten Eröff-nung der Fastenaktion zu bringen. Dierund 60 Wallfahrerinnen und Wallfah-rer sind in vier Kleingruppen abwech-selnd rund um die Uhr unterwegs. Dieerste gastgebende Gemeinde im Bis-tum Speyer, Mariä Himmelfahrt inWörth, werden sie am Freitag, 24. Fe-bruar, gegen Abend erreichen. WeitereStationen sind St. Gertrud/Leimers-

heim, St. Jakobus/Germersheim undSt. Sigismund/Heiligenstein.

Die Hungertuchwallfahrt des Erz-bistums Paderborn startet ebenfalls am21. Februar in Nackenheim bei Mainzzur fünftägigen Fußwallfahrt nachSpeyer. Sechzig Wallfahrerinnen habensich zu einer Hungertuchwallfahrt zu-sammengefunden.

Gestartet wird in Nackenheim; un-tergebracht wird die Gruppe am er-sten Abend in der Gemeindehalle inFriesenheim. An Aschermittwoch ver-läuft die Strecke rund 25 Kilometernach Alzey zur gastgebenden Ge-meinde St. Joseph. Die nächsten Sta-tionen sind am Donnerstag nach 27Kilometern Grünstadt, PfarrgemeindeSt. Peter, und am Freitag, 24. Februar,mit einer Tagesetappe von 30 Kilome-ter die Jugendherberge in Neustadt.

Nächstes Ziel ist Speyer, wo sichbeide Gruppen am Samstag, 25. Fe-bruar (13.15 Uhr), vor dem Dom tref-fen, um dort gemeinsam eine Statioabzuhalten und sich dann durch dieFußgängerzone auf den Weg nach St.Bernhard zu machen. Dort feiern sieeinen Gottesdienst mit Bischöfen ausBolivien, Indien, Kamerun und Weih-bischof Otto Georgens. Alle Gläubi-gen sind eingeladen, die Hungertuch-wallfahrer auf dieser letzten Etappe zubegleiten. pil

Info:MISEREOR-Servicestelle Pfarr-gemeinden,Telefon 0241/442-506,oder unterww.hungertuchwallfahrt.de

Auf Tuchfühlung gehenHungertuch gehört zurMISEREOR-Fastenaktion

Die Perspektive verändert sich, wennwir unseren Glauben, dass alle Men-schen Kinder Gottes sind und wireinander Schwestern und Brüder,ernstnehmen. Aus dem Blickwinkelunseres Glaubens gesehen handelt essich bei Armut in der Stadt um Pro-bleme mitten in unserer Familie. Un-

sere Verwandten leiden Not in denStädten des Südens – und wenn wirachtsam schauen – unübersehbarauch in den Städten des Nordens.

Nehmen wir das ernst, verändertes unseren Glauben und unsereWeise, als Christinnen und Christenzu leben. Nicht mehr „wir hier für diedort“, diese recht kurzsichtige Ver-sion der Nächstenliebe, sondern diegemeinsame Verantwortung und dasgeteilte Leiden rücken in die Mitteunseres Glaubens. ...

Bibel-Teilen: Kraftzur Veränderung

Die Methode scheint vielerorts be-kannt zu sein. Vielfältig wurde sie inkleinen Glaubens- und Bibelgruppeneingesetzt, um biblische Texte jen-seits exegetischer Fachkenntnisse zuerschließen. Aber Bibel-Teilen hatsich weiterentwickelt. Die Methode

ist längst ein Instrument der Kirchen-entwicklung geworden. Durch Bibel-Teilen entstehen überall in der WeltKleine Christliche Gemeinden. Bi-bel-Teilen hat die Kraft, Kirche undWelt zu verändern.

Die Schrittfolge ist dabei gleich ge-blieben. Aber der Schwerpunkt hatsich verändert. Ziel dieses erneuertenBibel-Teilens ist es, zu erspüren, wieGott uns durch sein Wort bewegt unduns zu seinen Boten: zu seinemAuge, zu seinem Mund, zu seinerHand, zu seinem Herz in und für un-sere Welt bekehrt. Bibel-Teilen zieltzuerst auf konkrete Praxis des Glau-bens und nicht auf Verständnis vonTexten.

Bibel-Teilen können zwei oderdrei Menschen miteinander. Seineganze Kraft entfaltet es jedoch in gro-ßen Gruppen. Je klarer die Verbin-dung in der Gruppe, je eindeutigerdie gemeinsame Aufgabe und Ver-

antwortung ist, desto reichere Fruchtträgt das Bibel-Teilen. Es eignet sichalso besonders für Gremien, für Ver-waltungsräte, für Teams, für Ver-bände, Caritas-Mitarbeiter, für Ar-beitskreise, Selbsthilfegruppen…

Bibel-Teilen kann aber auch eineEinladung an eine ganze Gemeindesein und für die Gemeinde am Ort zueinem Schritt in eine erneuerte Le-bendigkeit werden. Bibel-Teilenkann durchaus auch mit 60 bis 80Menschen gefeiert werden.

Hinweis: Eine kleine geistliche Reihe(dreimaliges Bibel-Teilen) will Anre-gung sein, um die diesjährige Fasten-zeit als Zeit der inneren und äußerenUmkehr und Buße zu leben. – Vorla-gen zum Herunterladen aus dem In-ternet unter www.fastenaktion.deWeitere Informationen bei ChristophFuhrbach, Telefon 06232/102-365, E-Mail: [email protected]

Armut in der Stadt – (nicht) unser Thema?Anregungen für Gruppen und Gemeinden, das Thema der MISEREOR-Fastenaktion geistlich zu vertiefen

24 – 7/2011 der pilger Beilage MISEREOR-Fastenaktion – Seite 10

Armut in der Stadt scheint vor al-lem für ländlich geprägte Regio-nen in der Wohlstandsgesellschaftder Bundesrepublik, abgesichertdurch Sozialgesetze und Rechts-staat, ein recht fernes Thema zusein. Auf den ersten Blick geht esum den globalen Süden, die Me-

gastädte und deren Elendsviertel –und um die Möglichkeiten unsererHilfe. Dr. Peter Hundertmark, Lei-ter der Abteilung Spirituelle Bil-dung im Bischöflichen Ordinariat,geht der Frage mit der Methode

des Bibelteilens nach.

Das Hungertuch und die Hunger-tuchwallfahrt sind zentraler Bestand-teil der MISEREOR-Fastenaktion.Jedes Jahr verwenden Gemeindenund Schulen das Hungertuch, umsich in der Fastenzeit und darüberhinaus mit drängenden Themen dersozialen Gerechtigkeit auseinanderzu setzen. Der togolesische KünstlerSokey A. Edorh gestaltete das aktu-elle Hungertuch „Was ihr dem Ge-ringsten tut“.

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EngagementbrauchtMutSeit mehr als 50 Jahren steht MISE-REOR für die gelebte Solidarität mitden Armen in Form eines tatkräftigenEngagements vieler Einzelpersonen,Pfarrgemeinden und Institutionen. Je-des Jahr finden in ganz Deutschlandzahlreiche Aktionen imGeiste und zu-gunsten vonMISEREOR statt, darun-ter viele Solidaritätsläufe, Fastenessenund Gemeindefeste. Tausende Men-schen unterstützen die Entwicklungs-arbeit von MISEREOR mit ihremganz persönlichen Beitrag. Eine be-sondere Bedeutung kommt dabei derjährlichen Fastenaktion zu: Mit ihrmacht MISEREOR deutlich, dass Fa-sten kein Selbstzweck ist. Es ist eineZeit des Innehaltens und des Nach-denkens und der praktizierten Näch-stenliebe: Menschen im Norden ent-decken ihre Verantwortung für die Ar-men in Afrika, Asien, Ozeanien undLateinamerika.

Bewahrungder SchöpfungbrauchtMut„Habt also Mut, Männer! Denn ichvertraue auf Gott, dass es so kommenwird, wie mir gesagt worden ist.“ (Apg27,25)

Gott hat den Menschen seine Schöp-fung anvertraut. Daraus ergibt sich die

Verantwortung, die Güter dieser Erdeso zu bewahren, dass sie auch dennachfolgenden Generationen zur Ver-fügung stehen. Daher verpflichtet sichMISEREOR bei seinen Projektenganz besonders dem Prinzip der Nach-haltigkeit.

In der ländlichen Entwicklung setztMISEREOR auf standortgerechtenLandbau, fördert erneuerbare Ener-gien und engagiert sich für denSchutz von Artenvielfalt und wichti-gen natürlichen Ressourcen wie Was-ser. Für die Menschen in den Indu-strieländern bedeutet Bewahrung derSchöpfung, ihr Konsumverhalten zuhinterfragen und zu verändern. Sokönnen sie ihren Beitrag zur Lösungglobaler Probleme wie dem Klima-wandel leisten.

GerechtigkeitbrauchtMut„Denkt an den, der von den Sündernsolchen Widerstand gegen sich erdul-det hat; dann werdet ihr nicht ermat-ten und den Mut nicht verlieren.“(Hebr 12,3)

Jeder Mensch hat das Recht auf einLeben in Würde, in Freiheit, mit aus-reichender Nahrung und medizinischerVersorgung. Daher hilft MISEREORunabhängig von Hautfarbe, Herkunft,Geschlecht und Religion und verzich-tet auf missionarische Tätigkeit.

Seit 1958 wurden 100000 Entwick-lungsprojekte mit über 5,7 Milliarden

Euro gefördert. So vielfältig die Ursa-chen von Armut und Ungerechtigkeitsind, so vielfältig sind auch die Kon-zepte: Sie reichen von der Gesund-heitsförderung bis zur Ernährungssi-cherung, vom Einsatz für den Friedenbis zum Kampf für Menschenrechte,von der Stärkung der Zivilgesellschaftbis zur Katastrophenprävention.

SelbsthilfebrauchtMut„Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihnher! Sie riefen den Blinden und sagtenzu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruftdich.“ (Mk 10,49)

MISEREOR setzt auf die Kraft, dieFähigkeiten und den Mut der Armen:Den Menschen die Möglichkeit geben,sich selbst zu helfen, aufzustehen, denersten Schritt zu tun. Das ist das wirk-samste Mittel gegen Armut. MISERE-ORS langjährige Erfahrung beweistdas. Sie zeigt, dass Entwicklung undBefreiung aus eigener Kraft tatsächlichgelingen kann, auch nach Katastro-phen und Kriegen. Dies setzt allerdingsLiebe, Mut, Ausdauer und Selbstver-trauen voraus. Daher zielen alle MI-SEREOR-Projekte immer darauf, dieEigeninitiative und SelbsthilfekräftederMenschen zu stärken.

PartnerschaftbrauchtMut„Von dort waren uns die Brüder undSchwestern … entgegen gereist. AlsPaulus sie sah, dankte er Gott undfasste Mut.“ (Apg 28,15)

Nähe zu den Menschen in Not undMut zusprechen – MISEREOR garan-tiert dies durch seine mehr als 2700Partner in rund 100 Ländern: Men-schen, die Tür an Tür mit den Armenin Elendsvierteln, in entlegenen Regio-nen oder Flüchtlingslagern leben.

MISEREOR-Projekte sind Part-nerprojekte. Denn nachhaltige Ent-wicklung gelingt nicht am grünenTisch, sondern ist das Ergebnis ge-meinsamer Planung, gemeinsamerMühen, gemeinsamen Handelns.Alle von MISEREOR gefördertenProjekte werden eigenverantwortlichvon den örtlichen Projektpartnerngeplant und durchgeführt. So ist si-chergestellt, dass die kulturellen, po-litischen und strukturellen Verhält-nisse vor Ort bei der Projektarbeitberücksichtigt werden. Denn MISE-REOR ist Partnerschaft. mi

Partnerschaft und gelebte SolidaritätWas die Arbeit des Hilfswerks MISEREOR mit dem Evangelium zu tun hat

Beilage MISEREOR-Fastenaktion – Seite 11 der pilger 7/2011 – 25

Wir unterstützen die Mutigen, die sich für Flüchtlinge in Afrika einsetzen. Ihre Spende hilft! www.misereor.de

M U T Z U T A T E N

„Was ihr für einen meiner geringstenBrüder getan habt, das habt ihr mirgetan.“ (Mt 25,40) – Getreu diesemWort Jesu setzt sich MISEREOR mitden Partnerinnen und Partnern welt-weit aktiv für die Armen und Benach-teiligten ein. Das Motiv ist Nächsten-liebe, aber auch ein politischer Ansatz,der sagt: Es darf nicht so bleiben, wiees ist, sondern es müssen sich grund-sätzliche Dinge ändern. Ungerechtig-keit ist das Problem, das Armutschafft. Daher setzt sich MISEREORgegen unfaire Handelsbedingungenauf demWeltmarkt ein, hinterfragt dieWirtschaftspolitik westlicher Staatenauf ihre Folgen für die Armen undprangert ungerechte Gesellschafts-strukturen in Entwicklungsländern an.Dies gehört zum Gründungsauftrag,den Kardinal Frings MISEREOR mitauf den Weg gab: „Den Mächtigen insGewissen reden.“

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Pirmin Spiegel fährt in seinem rotenKleinwagen auf der Hauptstraße imBundesstaat Maranhão im Nord-osten Brasiliens von São Luis Rich-

tung Inland. Er dreht das Autoradiolauter. Der berühmte brasilianischeVolkssänger Luis Gonzaga singt seinLied „Asa Branca“. Spiegel singtmit. „In dem Lied geht es um einenKleinbauern, der den Nordosten ver-lassen muss, weil es zu trocken ist.Er muss in den Süden gehen, umGeld für seine Familie zu verdie-nen“, erklärt Spiegel. „Ein herzer-greifender Text! Und er beschreibtdie Situation der Menschen hier imNordosten Brasiliens sehr gut“.Der gebürtige Pfälzer weiß, wo-

rüber er spricht. Insgesamt 14 Jahrelebte und arbeitete der Deutsche inMaranhão, einem der ärmsten Bun-desstaaten des Landes. Er be-treute 70 Gemeinden im Bistum Ba-cabal, reiste viele Jahre von Ort zuOrt, um mit den Menschen Messenzu feiern und mehr über ihr Leben,ihre Sorgen und Nöte zu erfahren.Er erzählt von Vertreibungen, Hun-ger, gewalttätigen Landkonflikten,Bildungsdefiziten, Unterdrückung,Korruption und behördlicher Will-kür. Ob als Pfarrer, als Ausbilderund Begleiter von Laienmissionarenoder Gründer einer Landwirtschafts-

schule: Spiegel setzte sich stets füreinen strukturellen Wandel ein, da-für, den Ausgegrenzten und Armeneine Stimme zu geben und ihnen zueinem menschenwürdigeren Lebenzu verhelfen. „Menschen und Naturwerden für Machtinteressen instru-mentalisiert, ausgebeutet. Das istgrässlich. Vor Gott hat jeder Menschden gleichen Stellenwert“, sagt er.Für Pirmin Spiegel ist die Mission

eine Berufung, geplant war sie nicht.„Eigentlich sollte ich den Hof mei-ner Eltern übernehmen“, sagt Spie-gel, der vor 54 Jahren im 600-Seelen-dorf Großfischlingen in der Pfalz ge-boren wurde. Seine Eltern führteneinen kleinen landwirtschaftlichenBetrieb mit zehn Hektar Land. VonKindheit an arbeiteten er und seinezwei Geschwister auf dem Hof der

Eltern mit. Nach dem Abitur stu-dierte er Agrarwissenschaften – al-lerdings nur für knapp ein Jahr.„Mein Interesse an philosophischenund politischen Fragen war einfachstärker“, erinnert er sich. Deshalb

wechselte er für ein Philosophie-Stu-dium nach Frankfurt. Spiegels Wegnach Brasilien und zur Theologie be-gann mit einem Zufall: „Lateiname-rika hat mich immer schon interes-siert. Aufgrund der Geschichte, derAgrarwirtschaft dort, aber auch derTheologie der Befreiung.“ Über eineSchulfreundin lernte er einen Pfarrerkennen, bei dem er dann sechs Mo-nate in Brasilien hospitierte: denspäteren MISEREOR-Chef NorbertHerkenrath. „Diese Zeit hat mein

Leben verändert und mein pastora-les Denken geprägt.“ Spiegel be-schloss, Priester zu werden. Nachdem Theologiestudium wurde er1986 Pfarrer in Kaiserslautern, bevorer 1990 nach Brasilien zurückkehrteund zu Padre Firmino wurde.Um der Not etwas entgegenzuset-

zen gründete er 1995 unter anderemdie Landwirtschaftsschule EFAC. 88Schüler von der fünften bis zur ach-ten Klasse leben und lernen hier mo-mentan. Die Kinder leben abwech-selnd zwei Wochen in der Schule undzwei Wochen in ihren Gemeinden.Gelernt wird mitten in der Natur.Auf dem Stundenplan stehen nebenFächern wie Mathe und Portugie-sisch unter anderem auch landwirt-schaftlicher Anbau und Produktion.Es gibt Beete, eine Art Gewächs-haus mit Jungpflanzen, eine Ace-rola-Plantage und ein Klassenzim-mer im Wald. „Die Kinder lernenhier, was ökologische und nachhal-

tige Landwirtschaft bedeutet. Sie be-schäftigen sich mit verschiedenenArten der Produktion und der Heil-wirkung von Pflanzen“, erklärt er.„Dieses Wissen sollen sie dann als

Multiplikatoren in ihre Gemeindentragen. Wir wollen gemeinsam mitden Armen neue Wege finden undso Zeichen der Hoffnung für einwürdevolleres Leben setzen.“Anfang der 90er Jahre organi-

sierte Pirmin Spiegel zusammen mitFreunden ein großes Treffen der so-genannten Basisgemeinden in SãoLuis. Diese christlichen Gemein-schaften wurden ab den 60er Jahrenals eins der zentralen Elemente derBefreiungstheologie in Lateiname-rika gegründet. Rund 5000 Men-schen nahmen an diesem Treffenteil. Für Spiegel ein sehr wichtigesEreignis: Es legte den Grundsteinfür seine weitere Arbeit: die Förder-rung von Basisgemeinden und dieAusbildung von Laien – zuletzt imAuftrag der brasilianischen Bischofs-konferenz. Laien sind heute maß-gebliche Träger des kirchlichen Le-bens in weiten Teilen Brasiliens.„Padre Firmino“ hinterlässt Spuren

in der weltkirchlichen Bewegung Bra-siliens. Und vor allem: in den Herzender Menschen! Daniela Singhal

Pfälzer wird MISEREOR-ChefPirmin Spiegel tritt im März sein neues Amt an

26 – 7/2011 der pilger Beilage MISEREOR-Fastenaktion – Seite 12

Pfarrer Pirmin Spiegel – in derWeltkirche zu Hause und in derKirche in Deutschland.

Die Arbeit an der Landwirtschafts-schule hat viele Freundschaften ent-stehen lassen. Fotos: MISEREOR

Priester mit einer Liebe zur Land-wirtschaft. Pfarrer Pirmin Spiegelstammt von einem Bauernhof.

„Das Evangelium hat eine unge-heuer befreiende Kraft, die in je-dem Menschen wirken und zu ei-nem menschenwürdigeren Lebenführen kann.“ Pirmin Spiegel

Am 26. Februar wird im SpeyererDom für die deutschen Diözesenim Rahmen eines festlichen Gottes-dienstes die diesjährige MISE-REOR-Fastenaktion eröffnet. Mitam Altar steht dann neben mehre-ren Bischöfen und dem bisherigenHauptgeschäftsführer des Hilfs-werks, Prälat Josef Sayer, der ausdem Bistum Speyer stammendePfarrer Pirmin Spiegel. Er wirdzum 23. März Nachfolger vonPrälat Sayer an der Spitze von MI-SEREOR. Bis vor wenigen Wo-chen arbeitete er in Brasilien. red

Pirmin Spiegel ist ein Geistlicher zumAnfassen. Zwei Mal arbeitete er inBrasilien – von 1990 bis 2004. Da-nach war er Pfarrer in der Pfarreien-gemeinschaft Blieskastel-Lautzkir-chen. Im Sommer 2010 kehrte er nocheinmal nach Brasilien zurück, um inder Ausbildung und Begleitung vonLaienmissionaren zu arbeiten.

Unter anderem mit einer Land-wirtschaftsschule gab er jungenMenschen eine Lebensperspektive.


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