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II. Aus dem chirurgisehen Stadtlazareth zu Danzig. (Director: Prof. Barth.) Zur Aetiologie der Coxa vara. Von Dr. M. "l:lae~lre, ehem. I. Assistenzarzt am Stadtlazareth, z. Z. in Kolberg. (Mit Tafel I und 1 Abbildung im Text.) Seit den Ver~ffentliehungen yon Kocher und Hofmeister iiber Coxa vara ist die Literatur fiber dies Gebiet der chirurgischen Patho- logic so sehr angewachsen, dass heute ein recht reiehes casuistisches Material iiber Schenkelhalsverbiegung zur Yeffiigung steht. Ist in Folge dessen die Symptomatologie des Leidens hinreichend klargestellt 7 so hat doeh tiber das Wesen der Erkrankung selbst geniigende Klar- heit nicht gesehaffen werden kSnnen. Denn es besteht bisher noch keine Einigkeit unter den Autoren tiber die Art des Processes, welcher zu der abnormen Stcllung fiihrt. Naeh den Mittheilungen S p r e n g e 17s auf dem Chirurffencongress yon 1898 konnte man weniffstcns eine Gruppe yon Fiillen aussondern 7 welehc nicht eigentlich zur Coxa vara geh(iren, Fiille, die in Folge yon Epiphysenl(isung oder intra- capsulKrer Halsfraetur bei jugendlichen Individuen allerdings das klinische Bild der Sehenkelhalsverbiegung bieten, bei denen abet der anatomische Befund einer Continuitiitstrennung die Bereehtigung er- giebt, sie als Coxa vara traumatiea yon den iibrigen abzusondern, wobei es dahingestellt bleiben mag, inwieweit in einzelnen derselben die Geringfiigigkeit des Traumas und die leiehten Hiiftsehmerzen, welehe schon vorher bier und da bestanden haben, den Zweifel K r e d e l's gerechffertigt erscheinen lassen, ob das Trauma hier einen vielleieht noch intaeten Knochen getroffen habe. Fiir die Masse der

Zur Aetiologie der Coxa vara

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I I .

Aus dem chirurgisehen Stadtlazareth zu Danzig. (Director: Prof. Barth.)

Z u r Aet io log ie de r Coxa vara.

Von

Dr. M. "l:lae~lre, ehem. I. Assistenzarzt am Stadtlazareth, z. Z. in Kolberg.

(Mit Tafel I und 1 Abbildung im Text.)

Seit den Ver~ffentliehungen yon K o c h e r und H o f m e i s t e r iiber Coxa vara ist die Literatur fiber dies Gebiet der chirurgischen Patho- logic so sehr angewachsen, dass heute ein recht reiehes casuistisches Material iiber Schenkelhalsverbiegung zur Yeffiigung steht. Ist in Folge dessen die Symptomatologie des Leidens hinreichend klargestellt 7 so hat doeh tiber das Wesen der Erkrankung selbst geniigende Klar- heit nicht gesehaffen werden kSnnen. Denn es besteht bisher noch keine Einigkeit unter den Autoren tiber die Art des Processes, welcher zu der abnormen Stcllung fiihrt. Naeh den Mittheilungen S p r e n g e 17s auf dem Chirurffencongress yon 1898 konnte man weniffstcns eine Gruppe yon Fiillen aussondern 7 welehc nicht eigentlich zur Coxa vara geh(iren, Fiille, die in Folge yon Epiphysenl(isung oder intra- capsulKrer Halsfraetur bei jugendlichen Individuen allerdings das klinische Bild der Sehenkelhalsverbiegung bieten, bei denen abet der anatomische Befund einer Continuitiitstrennung die Bereehtigung er- giebt, sie als Coxa vara traumatiea yon den iibrigen abzusondern, wobei es dahingestellt bleiben mag, inwieweit in einzelnen derselben die Geringfiigigkeit des Traumas und die leiehten Hiiftsehmerzen, welehe schon vorher bier und da bestanden haben, den Zweifel K r e d e l's gerechffertigt erscheinen lassen, ob das Trauma hier einen vielleieht noch intaeten Knochen getroffen habe. Fiir die Masse der

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iibrigen F~ille hat man sich schon frith zu einer Eintheilung ent- schlossen, die, auf rein kliniseher Beobachtung beruhend, nach Analogie der entsprechenden Erkrankung an den anderen Gelenken der Unter- extremit~t eine Sonderung in eine friihzeitige rhachitische und eine dem Pubert~tsalter eigenthiimliche stafische Form der Verbiegung erstrebte. Die anatomischen Beobachtungen yon L a u e n s t e i n und R o t t e r er- wiesen zuerst sicher~ dass der Rhachitis am k i n d l i c h e n Femur fiir das Zustandekommen einer ttalsverbiegung die gleiche Bedeutung zu- kommt, wie an anderen Theilen des Skelets. Dementsprechend lag es nahe, auch fiir die in der PubertKtszeit einsetzende Form der Er- krankung an die gleiche Sch~dlichkeit zu denken und eine Sp~it- rhachitis zu supponiren, wie sie fiir die Ausbildung des Genu valgum yon M i k u l i c z nachgewiesen ist. Indessen gaben die Pr~parate, welche die vielgeiibte Resection den Operateuren in die Hiinde lieferte, fiir diese angenommene Spiitrhaehitis an der oberen Femurepiphyse keine Beweise. Eine abnorme Weichheit und Nachgiebigkeit des Knochens musste aber vorliegen. Diese erkannte K o c h e r in den mikroskopischen Priiparaten seiner beiden Fiille in ether Art juveniler 0steomalacie, ausgezeichnet durch ,,makroskopisch leicht zu constatirende tIyper~imie und Erweichung der Spongiosa des Kopfes, Stellen fein- poriger Verdichtung und mikroskopisch nachweislieher Erweiterung der Markr~iume mit HyperKmie und grossem Reiehthum an Mark- zellen neben Fettzellen bet Fehlen yon Osteoblasten und Osteoklasten, dutch kalkfreie osteoide Siiume und an v. R e c k l i n g h a u s e n ' s Gitterfiguren erinnernde Zeichnungen in den' Knochenbiilkchen." ~)

Auf Grund solcher positiven Befunde und da ein einwandsfreier Nachweis rhaehitischer Veriinderungen bet der juvenilen Form der Coxa vara bisher nicht vorliegt, ist man zur Zeit mehr und mehr ge- neigt, einen Erweiehungsprocess nach Art des in den K ocher 'sehen FKllen nachgewiesenen fiir die Entstehung des in Frage stehenden Krankheitsbildes im Pubertiitsalter allgemein anzuschuldigen. Wenn nun auch in vielen F~llen oder selbst in der grossen Mehrzahl derselben in solchen osteomalacischen Vorg~ngen das Wesen des zur Verbiegung ftihrenden Processes bestehen mag, abgesehen yon den in Betracht kommenden statisehen Momenten, so hat uns doeh die nachstehend mitgetheilte Beobachtung die Ueberzeugung gegeben, dass doeh in einem gewissen Procentsatz der F~tlle juveniler Schenkelhalsverbiegung sp~ i t rhaeh i t i s eh e V e r ~ n d e r u n g e n die Grundlage fiir dasZustande- kommen der DcformitKt abgeben:

1) Zeitschr. f. Chirm'gie. Bd. 38. S. 54S.

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Der 17j~ihrige Knecht E. K., aufgenommen 11. October 1899, ist auf dera Lande aufgewachsen und immer rait liindlicher Arbeit besch~iftigt ge- wesen. Bin zura Frilhjahr war er bisher stets gesund. Dann begann die jetzige Erkrankung allmi~hlich mit leichten Schraerzen in der reehten IItlfte, die besonders nach I~ingerera Sitzen auftraten. Auch warcn zcitweise Sehracr- zen ira reehten Knie vorhanden. Er begann dann zu hinken. Anfang Juni lag er auf iirztliche Anordnung 8 Tage zu Bett~ olme dass wesentliche Besserung eintrat. Von nun an nahmcn die Beschwerden bei der Arbeit erheblich zu, besonders war alas Btlcken erschwert. Aueh raerkte Patient, dass das rechte Bein kUrzer wurde. Anfang August sptlrte er einraa[ beira Heben eines sehweren Kornsacks einen sehr heftigen Schraerz und rausnte nun wegen dauernder heftiger Sehraerzen die Arbeit ganz einstellen.

S t a t u s 1 I. October 1899. Mittelkr~fftiger grobknochiger junger Mann, der an seinera Skelet keine Zeiehen yon Rhachitis aufweist. Das rechte Bein erseheint ira Ganzen an Umfang schwitcher als alas linke. Der Trochanter steht 2 cm tiber der R o s e r - N 6 l a t o n ' s c h e n Linie, w~hrend die Maasne vom Trochanter zur Spitze den Mall. ext. beiderseits gleich sind. Beugung ira Htlftgelenk ist activ und passiv ura 300 ausftthrbar~ alle llbrigen Bewegungen~ insbenondere Abduction, sind wegen starker Muskelspannnng vSllig aufgehoben. Der Gang ist stark hinkend. Das wohlgelungene RSntgenbild (Fig. I) liisst den Grund des Trochanterhoch~ standes und der Bewegungsbeschr~inkung klar erkennen: der rechte Schenkelkopf ist pilzfSrmig gestaltet nnd abgeplattet, die Epiphysenlinie bogenfSrraig gestaltet und tier Schenkelhals dergestalt verbogen, class er ungef~ihr rechtwinklig gegen das Femur gerichtet crscheint.

Es wurde hiernaeh die Diagnose auf Coxa vara gestellt und nach an-

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f~nglicher Extensionsbehandlung, welehe Besserung der subjeetiven Be- schwerden nicht gab, am 27. October 1899 die typische Resection nach L a n g e n b e c k vorgenommen. Ueber den weiteren Verlauf mag nut kurz gesagt sein, dass Patient am 4. Mai 1900 geheilt entlassen wurde. Er war jetzt beschwerdefrei, wenn auch der Gang nieht wesentlich ge- bessert war. Die Stellung des Beins war gut.

R e s e e t i o n s p r ~ p a r a t : Die Femuraohse bildet mit dem Sehenkel- halse einen Winkel yon etwa 100 o. In der Frontalebene besteht eine miissige Convexit~it des ColIum nach vorn, der Kopf selbst ist noeh st~lrker naeh hinten geriehtet. Ausserdem l~isst sich eonstatiren eine Anomalie im Sinne einer geringen Drehung um die Achse des Sehenkelhalses selbst. Der Knorpelttberzug des Kopfes ist durehweg gut erhalten und glatt. Im unteren Drittel der Oberfi~iehe ist er abet deutlieh verdt|nnt, so dass die 8pongiosa dunkel durehseheint. Ferner ist der Kopf pilzfSrmig naeh unten bin ausgezogen, derart, dass er in seinem unteren Theile dem Trochanter immer ausserordentlich nahe gerllekt ist (Fig. 2, Tar. I). Diese Ann~iherang des Kopfes an den kleinen RollhUgel tritt besonders gut auf dem Durchsehnitt horror, wo die beiden einander fast berilhren. Auf tier Durehsehnittss~igefl~ehe erseheint die Epiphyse naeh unten bin ganz auffallend in die Liinge gezogen. Die Epipbysenlinie ist nut im medialen odor unteren Theil auf wenige Millimeter gradlinig wie es sein soil. Weiterhin zeiehnet sic sich dutch eine sehr erheblicbe Unregel- miissigkeit in ihrem Verlauf aus. Dankelrothe Partieen jungen Knoehens unterbreehen sic hier and da, w~hrend kleinere und grfissere Inseln yon bl~tuliehem Knorpelgewebe zu beiden Seiten, besonders nach der Diaphyse bin, liegen geblieben sind. Ja, solche isolirte Knorpelinseln finden sich am oberen Umfang des Halses sogar zum Theil noeh bis unter die Periost- bekleidung herunter, so dass man den Eindruck erh~ilt, aueh diese Ge- biete gehfirten zum Bereieh der enchondralen Ossification and es habe eine scheinbare Verlagerung nut dutch eine Wanderung, ein allm~.hliehes HerabrUeken der oberon Calotte stattgefunden. Ganz besonders stark ist der A d a m ' s e h e Bogen entwickelt, weleher dutch eine 7--8 mm weite Masse yon Compaeta dargestellt wird.

Von einer der Mitre des Kopfes entnommenen Lamelle wurden naeh Fixirung in Formalinl~sung, Entkalkung und Einbettung in Celloidin Sehnitte angefertigt, welehe die gesammte Epiphysenlinie zur Anschauung braehten. Schon bei sehwaeher Vergr~sserung kann in diesen Sehnitten yon einer Einheitlichkeit im Verlauf der Linie kaum die Redo sein. In grossen Ausbuehtungen dringt junges Knochengewebe in den Knorpel ein, w~hrend andererseits, naoh der Diaphyse hin, theils nut noeh dutch mehr weniger schmale Brtlcken mit der Epiphysenlinie verbundene, theils vfillig isolirte kleinere und grSssere Knorpelinseln in die junge Spongiosamasse eingebettet liegen. Zwischen denselben besteht die Spongiosa vielfach aus nieht verkalktem osteoiden Gewebe. Gegen die Epiphyse ist der Verlauf der Knorpelknochengrenzlinie, abgesehen yon den gesehilderten groben Unregelmlissigkeiten, mikroskopisch leidlich gut abgegrenzt; naoh der Diaphyse zu ist der Uebergang zum fertigen Knochen ein sehr wenig seharfer. Die Zone der s~.ulenartigen Schiehtung der Knorpelzellen ist steUenweise ganz ausserordentlich verbreitert und wird vielfach yon go-

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wuchertem Knorpel ohne siiulenartige Schichtung gebildet. Auf sie folgt eine theilweise recht machtige Lage~ in weleher osteoide Substanz masehen- artig in den Knorpel eingelagert ist~ so dass sie den Eindruck eines grossen Netzwerks macht, welches in den Knorpel eindringt. Das Mark besteht hier aus einem zellenreichen fibrillii.ren Gewebe, dessen Zellen ohne seharfe Grenze in die osteoiden Balkchen ilbergehen. Osteoklasten finden sieh an manchen Stellen dort, wo der Knorpel dureh osteoides Gewebe ersetzt wird, reiehlieh. An anderen Stellen wiederum geht die Anbildung yon kalkhaltigem Knoehengewebe in regelreehter Weise vor sieh, ebenso wie das osteoide Gewebe naeh dem Sehenkelhalse zu alsbald in normale Spongiosa ilbergeht. Hier sind weder an dem fettzellenhaltigen Mark noch am Rande der Knoehenb~ilkchen Veranderungen nachweisbar.

Fassen wir zusammen, so bildet also unser Pr~parat das Bild einer Coxa vara mit Verkleinerung des Schenkelhalsschaftwinkels und leichter~ nach vorn convexer Verbiegung in der transversalen, sowie einer Rotation des Schenkelhalses um die eigene Achse. Sehr auf- fallend ist die Verschiebung der epiphys~tren Kopfcalotte anf der Diaphyse in der Epiphysenlinie~ welche zu einer pilzartigen Verun- staltung des Kopfes geftihrt hat. Die Epiphysenlinie bietet makro- skopisch ein Aussehen, wie es der Rhachitis eigenthiimlieh ist. Mikro- skopisch wird diese Diagnose durchaus best~itigt dureh das Verhalten des Knorpels und die Gegenwart osteoider Substanz.

Das Bestehen eines rhachitischen Processes ist also siehergestellt~ und es fragt sich nnr, ob demselben fiir das Zustandekommen der Deformit~it ~itiologische Bedeumng beizumessen ist. Es verdient hier hervorgehoben zu werden~ dass auch in unserer Krankengeschichte das bekannte Trauma nicht fehlt. Indess abgesehen davon 7 dass die Beschwerden des Patienten lange vor diesem Ereigniss bestanden hatten und h(iehstens eine Verschlimmerung des Zustandes dutch das- selbe angenommen werden kiinnte, kann nach dem Befunde am Pr~iparat yon einer Coxa vara traumatiea ganz und gar nieht die Rede sein. Es handelt sieh nieht um eine L i i sung der Epiphyse wie in den Sprengel~schen und ~hnlichen F~illen~ sondern um eine V e r s c h i e b u n g , eine W a n d e r n n g derselben. Und dass diese nieht durch einmaliges Trauma, sondern durch einen a l lm~th l ieh fort- schreitenden Process zu Stande gekommen ist~ diiffte ausser Frage sein. Das Trauma hat vielmehr anf ein schon erkranktes Femnrende eingewirkt und nur die subjeetiven Besehwerden verst~rkt~ ohne einen erkennbaren Einfluss auf den pathologischen Vorgang in der Epiphysen- linie auszuiiben. Dieser letztere hat-zu einer abnormen Erweichung nnd Nachgiebigkeit der Gewebe gefiihrt, und zwar nicht nur in der Epiphysenlinie selbst~ sondern aueh im Schenkelhalse. In Folge der

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verminderten Widerstandsfiihigkeit yon Knoehen und Knorpel ist es unter Einwirkung statischer Momente zu ciner Verkleinerung des Schcnkclschafthalswinkels und ganz besondcrs zu einem allm~ihliehen Herabgleiten der Epiphyse an der Diaphyse gekommen. In Ueber- einstimmung mit den Ergebnissen der sehSnen Untersuchungen yon Man z (Bcitr~ige z. klin. Chir., August 1900)wfirde die schwere Arbeit des vielfach lastentragcnden jungen Knechtes in g e b e u g t e r KSrper- haltung die Form der Deformit~it mit Torsion und Verbiegung in der Transversalen erkl~iren. Grade die hochgradige Verschiebung in der E p i p h y s e n li n i e, also innerhalb der relativ weichsten und schw~ich- sten Partie des erkrankten Knochens, l~sst es uns ausser Zweifel, dass es eben auf Grund dieser rhaehitischen Ver~nderungen zu der Deformirung gekommen ist und dass ffir unsern Fall Rhachitis, und zwar eine Sp~it- rhachitis den ~itiologisch allcin in Betracht kommenden Factor abgiebt. Der Nachweis dieser Sp~itrhachitls in der Pubert~it scheint besonderer Be- tonung werth gegenfiber den neueren Bestrebungen, der Rhachitis ffir die Entstehung der Coxa vara adolcscentium alle Bedeutung abzusprcchen. Sti e d a 1) verlangt, dass ,,mit der Diagnose Coxa vara sehlechtwcg nur diejenigen F~ille zu bezeichnen sind, welche analog dem Genu valgum, der Skoliose, auf einer nicht n~ihcr gekannten Malacie der knSchernen Gelenkenden im Wachsthumsalter beruhen (Coxa vara adolescentium, statische Sehenkelhalsverbiegung) und auch yon den ersten Beob- aehtern gemeint sind (Mfiller, K o c h e r , Hofmei s t e r ) . " Es dfiffte nun schwierig sein, diese F~ille ohne anatomische Untersuchung immer genau herauszufinden. Auch unser Fall war fiir eine echte statische Schenkelhalsverbiegung gehalten worden, wozu die Berechtigung nach den bishcrigen Erfahrungen wohl vorlag. Aber das Pr~parat bewies, dass diese Annahme nicht zutreffend war: es lag eben eine rhachitisehe, keine statische Form vor. Allerdings war fiber das Verhalten der Kniesehnenreflexe, auf welche S t i e d a dankenswerther Weise die Aufmerksamkeit lcnkt, nichts bekannt. Vielleicht h~itten wir sie nieht gesteigert gefunden, und das h~itte dann dem sonstigen Verhalten bei der Rhachitis entsprochen im Gegensatz zu der rein statischen Form, wo S t i eda die Reflexe jedesmal gesteigert fand. In Zukunft mag viclleicht dies Symptom einen Fingcrzeig in dieser Richtung ab- geben. Wir waren jedenfalls iiberraseht~ am resecirten Knochenstfick ausgepr~igter Rhachitis zu begegnen, wo ein cinfach statisch deformirter Schenkelhals erwartet wurde. Aehnlich dfirlte es nach dieser Beob- aehtung aueh in anderen F~illcn sein~ wenn auch vielleicht nieht sehr

I) Langenbeck's Archiv. Bd. 63. S. 748.

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h~ufig. Nur ist der Beweis nicht immer als demonstratio ad aculos zu erbringen, da wir ja jetzt bei Coxa vara mit der Resection spar- samer geworden sind. Es handelt sich doch um ein nicht grade sehr h~ufiges Krankheitsbild, und da die Resection in Zukunft nur ffir die hochgradigsten F/illc reservirt bleiben dfirfte, so werden auch die PrKparate seltener werden. Vielleicht gelingt es, mit der Zeit durch das RSntgenbild fiber solche F/ille Aufkl/irung zu bringen, denn sicherlich hat die Form des Schenkelkopfes und der Epiphysenlinie in dem Skiagramm unseres Falles etwas bSchst Charakteristisches. Wir geben jedoch zu bedenken, dass eine mit Verschiebung geheilte EpiphysenlSsung ganz das n~mliche RSntgenbild geben kann, wie uns die Beobachtung eines frfiheren Falles gelehrt hat. Wir haben daher in dieser Frage alle Veranlassung, in der Beurtheilung der R~ntgenbilder, m~gen sie auch noch so gut gelungen sein, Vorsieht zu fiben.

Das pilzfSrmige Ueberstehen des unteren Kopfrandes wird in der Literatur wiederholt beschrieben, nirgends aber finden wir ein Zu- sammentreffen dieser Formver/inderung mit rhachitischen Merkmalen am Knochcn. I Iofmeis ter , welcher auch dieser Theilerseheinung der Deformit~t eingehendere Wiirdigung zu Theil werden l~st, hat yon seinen Pr~iparaten den Eindruck, ,,als sei die Epiphyse fiber die Dia- physe hinabgerutscht oder eigentlich noch mehr hinabgeknetet". Das Skiagramm vom todten Pr~parat seines Falles 4, welches er Beitr~ige 21, Tafel XII giebt, war ffir uns yon besonderem Interresse, da es eine auffallende Aehnlichkeit mit dem unsem aufweist. Abgesehen davon, dass die Ann/iherung des nnteren Kopfrandes gegen den Troeh. min. dort nicht so stark ist~ wird in beiden F/fllen die so hochgradig convexe Krfimmung der Epiphysenlinie und die dadurch bedingte mondsichelfSrmige Durchschnittsfigur der Epiphyse auf's SchSnste zur Anschauung gebracht. Aber auf Grund dieses Bildes Rhachitis anzu- nehmen, dfirfte in keinem der F/ille ang~ngig sein, auch in dem unseren nieht, wo doeh die Epiphyscnlinienzeichnung nicht ganz so seharf ist. Hierzu berechtigt allein die Betrachtung der Durchschnitts- fl~che resp. die mikroskopische Untersuchung.

Wenn wir also vor der Hand auch wohl kaum dahin kommen werden~ angeben zu kSnnen, wie h~iufig Rhachitis im Pubert~tsalter Veranlassung giebt znr Entstehung der Schenkelhalsverbiegung~ die wir naeh dem klinischen Bilde keine Veranlassung haben, anders denn als Coxa vara statica aufzufassen, so beweist doch die mitgetheilte Beobachtung, dass in der That solche F/~lle vorkommen, und man ist daher nicht berechtigt, die Rhachitis einfach aus der Aetiologie der

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96 II. t]AEDKE, Zur Aetiologie der Coxa vara.

Coxa vara adolescentium zu streiehen. Selbstvers~ndlich bleibt daneben und wohl fiir die Hauptzahl der F/ille K o e h e r ' s juvenile 0steo- malacie und vielleicht aueh eine weitere bisher nicht n~iher bekannte Malaeie als ~itiologisehes Moment bestehen. Wir miiehten aber den ersten Satz yon H o f m e i s t e r in seiner Bearbeitung der Coxa vara yon 1894 nicht aufgeben: ,dass es am oberen Femurende eine den sogenannten Belastungsdeformi~ten zuzurechnende Affection giebt, welehe analog dem Genu valgum infantum und adolescentium in friiher Jugend im Zusammenhang mit der gewiihnliehen Rhaehitis, in d e r Ze i t der P u b e r t ~ t s e n t w i c k l u n g als F o l g e de r s o g e n a n n t e n S p ~ t r h a e h i t i s zur Ausbildung gelangt.

Herrn Professor B a r t h , meinem verehrten friiheren Chef~ danke ich aueh an dieser Stelle fiir die Ueberlassung des Materials und die Anregung zu dieser Mittheilung. - -