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WRONG PLANETDeutschland 2008, Dokumentarfilm, 78 min., Regie und Buch: Chiara Sambuchi, Kamera: Peter Klotz / Patrick Popow, Schnitt: Melanie Schütze, Produktion: Lavafilm, ZDF, MDR. FSK.: o. A.

Preis1. “Preis für junge Journalisten” der Axel Springer Akademie für MEINE WELT HAT 1000 RÄTSEL – LEBEN UND DENKEN HOCHBEGABTER AUTISTEN, 2006. Diese Dokumentation Sambuchis enthält Sequenzen aus WRONG PLANET.

KurzcharakteristikDer “Wrong Planet”, der falsche Planet, das ist für einen Autisten unsere Welt und für einen Nicht-Au-tisten die seine. Der gleichnamige Dokumentarfilm erkundet die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Asperger-Syndrom, einer Form von Autismus. Nicole, eine Studentin, Hendrik, ein Jugendlicher, und Rainer, ein Mann mittleren Alters, haben Asperger. Alle drei sind kaum in der Lage, einen “norma-len” Alltag zu führen, nichtsdestotrotz sind sie außergewöhnlich talentierte, beeindruckende Persön-lichkeiten. Der Film begleitet sie bei der Arbeit, zu Hause und in der Universität bzw. Schule. Er zeigt, wie schwierig es für sie ist, mit anderen Menschen zu kommunizieren und sich in einer Umgebung zurechtzufinden, die sie überfordert. WRONG PLANET zeigt aber auch den Mut und die Kraft, mit der die drei mit Widerständen umgehen. Letztlich wirft der Film die Frage auf, wessen Planet der falsche ist – der der Autisten oder unserer.Die Regisseurin Chiara Sambuchi wurde 1975 in Pesaro / Italien geboren. Sie studierte Philosophie und Musik in Bologna. Danach arbeitete sie in Berlin im Korrespondentenbüro der RAI. 2001 war sie Mitbe-gründerin der Produktionsfirma Lavafilm. Seitdem ist sie als Autorin und Regisseurin für Reportagen von ARD, Arte, u.a. tätig.

Einsatzmöglichkeiten / LehrplanbezügeEinsatzalter: ab ca. 10 Jahren. Einsatzorte: Schule, außerschulische Jugendarbeit, Erwachsenenbildung, Aus-/ Fortbildung von Sozi-alarbeitern und in Pflegeberufen Tätigen, kirchliche Jugend- und Erwachsenenarbeit. Themen: Anderssein, Asperger-Autisten(-Syndrom), Autismus, Behinderung / Krankheit, (Hoch-)Bega-bung, Identität, Inselbegabung, Individuum und Gemeinschaft, Wrong Planet Syndrom, Savants, Sozi-alverhalten, soziale Kompetenzen.Schule: SEK I, SEK II (Lehrpläne: http://www.bildungsserver-hessen.de, http://www.rpp-katholisch.de)

● Ethik: Würde des Menschen (Klasse 5/9); Gewissen und Identität (Klasse 8); Recht und Gerechtigkeit (Klasse 6/10); Menschenbilder (Klasse 8/10/12).

● Katholische Religion: Mensch sein – Mensch werden (Klasse 6/8/10/Kursstufe); Welt und Verantwortung (Klasse 6/8/10/Kursstufe); Ich und die Gruppe (Klasse 6); Meine Stärken und Schwächen – Leben lernen in Freiheit und Verantwortung (Klasse 8).

● Evangelische Religion: Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen (Klasse 5), Miteinander handeln (Klasse 5); Leben in der multikulturellen Gesellschaft (Klasse 6); Helfend handeln (Klasse 7); Religion im Leben (Klasse 10); Als Mensch handeln (Klasse 12); Als Christ leben (Klasse 13).

● Deutsch: Lebensentwürfe (Klasse 11); Individuum und Gesellschaft (Klasse 12). ● Politik und Wirtschaft: Jugend in der modernen Gesellschaft (Klasse 7); Sozialstruktur und

sozialer/ sozioökonomischer Wandel (Klasse 11). ● Biologie: Aufnahme und Verarbeitung von Informationen (Klasse 9); Verhaltensphysiologie (Klasse 13).

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Kapitel im Überblick1. Kap. (00:00-06.12) Menschen mit Asperger-Syndrom – Vorstellung der Protagonisten2. Kap. (06.13-15.28) Leben mit einer autistischen Störung3. Kap. (15.29-21.30) Der Alltag der Protagonisten – Sicherheitsstreben, Spezialinteressen, u. ä. 4. Kap. (21.31-31.40) Die Wahrnehmung der Welt und der Gefühle anderer durch die Asperger5. Kap. (31.41-40.13) Das Verhältnis von Autist und Nicht-Autist I. Besondere Bedürfnisse bzw. Interessen von Autisten6. Kap. (40.14-48.28) Herausragende Talente und Leistungen von Autisten7. Kap. (48.29-57.52) Selbstbilder der Protagonisten. Die Schwierigkeiten vonAutisten in engen Beziehungen8. Kap. (57.53-70.40) Das Verhältnis von Autist und Nicht-Autist II9. Kap. (70.41-76.37) Wie mit Autismus umgehen? Abschlussbetrachtung der Protagonisten

1. Menschen mit Asperger-Syndrom – Vorstellung der ProtagonistenIm kurzen Vorspann werden spätere Szenen des Films vorweggenommen. Dann werden nacheinan-der die drei Protagonisten mit Asperger eingeführt. Dabei werden in nuce ihre für Autismus typischen Denk- und Verhaltensweisen dargestellt. Nicole und Hendrik berichten von ihren sozialen Schwierig-keiten, Rainer von seinen kognitiven Besonderheiten.

2. Leben mit einer autistischen Störung Nicole reflektiert über den Zusammenhang von Autismus und Genialität sowie über ihre Art der Kom-munikation. Ihre Eltern berichten über ihre Kindheit und über die Diagnose “Asperger-Syndrom”. Auch Rainer spricht über das Syndrom und über seine Position in der Welt der Normalen. Am Ende der Se-quenz steht eine Diskussion über Hendriks Bedürfnis nach weniger Beaufsichtigung. 3. Der Alltag der Protagonisten – Sicherheitsstreben, Spezialinteressen, u.ä. Nicole wird in ihrem häuslichen Umfeld beobachtet. Es wird deutlich, dass Sicherheit und Geordnetheit für sie oberste Priorität besitzen. Nicole erzählt, wie sie mit dem Etikett “behindert” umgeht. Danach sieht man Hendrik zu Hause. Er wird bei der Beschäftigung mit ihn faszinierenden Dingen gezeigt. 4. Die Wahrnehmung der Welt und der Gefühle anderer durch die AspergerIm Rahmen medizinischer Studien wird Rainers eingeschränkte Empathiefähigkeit untersucht. Rainer beschreibt, wie er Kommunikation mit anderen Menschen empfindet. Dies beschreibt auch Nicole auf ihrem Weg zur Universität und im Labor. Hendrik wird beim Gespräch mit Gleichaltrigen gezeigt. Da-bei werden Folgen seines Empathiemangels zum Thema gemacht.

5. Das Verhältnis von Autist und Nicht-Autist I. Besondere Bedürfnisse bzw. Interessen von AutistenRainer sinniert über sein Verhältnis als “Büchermensch” zu seinen Mitmenschen. Wieder bei der Haus-arbeit zu sehen, betont Nicole ihr Bedürfnis nach Routine im Alltag. Hendrik diskutiert mit seiner The-rapeutin über seine Betreuung und die Einstellung anderer zu ihm.

6. Herausragende Talente und Leistungen von AutistenRainer erzählt von seinem Beruf als Übersetzer und seiner Tätigkeit als Verfasser von Wikipedia-Arti-keln. Im Unterricht wird sowohl Hendriks Begabung als auch seine Isolation in der Klasse offenkundig. Nicole gibt eine Einschätzung ihrer Hochbegabung.

7. Selbstbilder von Autisten. Die Schwierigkeiten von Autisten in engen BeziehungenRainer schneidet erneut sein Verhältnis zu den normalen Menschen an. Das Gleiche gilt für Hendrik, der sich als Spielzeug und die anderen als seine Besitzer wahrnimmt. Nicole und Rainer erläutern ihre Vorbehalte gegenüber engen bzw. intimen Beziehungen.

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8. Das Verhältnis von Autist und Nicht-Autist IIHendrik wird beim Streit mit einer Angehörigen gezeigt. Dann ist Rainer bei Clubbesuchen zu sehen. Nicole erzählt von ihrem Streben nach Ordnung und ihren Versuchen, ein selbstständiges Leben zu führen. Nach Nicole wird wieder Rainer in den Blick genommen – beim Treffen mit Wikipedia-Autoren. Bei seinem Sporttraining redet Hendrik erneut über seinen Status als Autist gegenüber nicht-autisti-schen Personen.

9. Wie mit Autismus umgehen? Abschlussbetrachtung der Protagonisten Im letzten Kapitel werden die Schicksale der drei Protagonisten zusammengeführt. Nicole stellt in ei-ner Lesung in der Universität ihr Buch vor. Dabei fordert sie zu Toleranz gegenüber Autisten auf. In Rückblenden werden exemplarische Szenen des Films resümierend rekapituliert.

Die themen: interpretation und methodisch-didaktische AufbereitungBearbeitungshinweise: Dieses Kapitel stellt die zentralen Themen von WRONG PLANET vor. Jedes Thema kann als Unterrichtsbaustein verwendet werden. Zu jedem Baustein gibt es Materialien (M).

baustein 1: Das Asperger-Syndrom – eine besondere Art, die Welt zu sehenBemerkenswert bei den drei Protagonisten ist ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit. Vor allem am Bei-spiel Nicoles und Rainers wird beschrieben, inwiefern allein die schiere Existenz der Umwelt Autisten (über-)fordert. Nicole leidet an der Komplexität der Welt. Wenn sie die Universität besucht, laufen nach kurzer Zeit ihre kognitiven “Sicherungen heiß” und sie ist “fertig” (Kap. 4). Auf dem Weg zu ihren uni-versitären Veranstaltungen wird sie ebenso wie in diesen selbst von vielen verschiedenen Geräuschen, Gerüchen, Stimmen, u.a. auf einmal umgeben. Doch ihr Gehirn ist auf diese Reizüberflutung nicht eingestellt: Nicole kann all diese Reize nicht verarbeiten; sie wird von ihnen förmlich überrannt. Auch Rainer dringen Reize stärker bzw. selektiver ins Bewusstsein als üblich. Seine Detailfixiertheit lässt ihn beim Spaziergang durch die Großstadt die Häuser nicht als Ganzes, sondern nur deren Verzierungen und Muster registrieren. Derartige für Autisten typische Wahrnehmungsmodi setzt der Film auch for-mal um. Wenn die subjektive Kamera Rainer durch Berlin begleitet, gibt es kaum Totalen, aber viele Nah- und Detailaufnahmen, z.B. von Mauerklinkern. Auf Nicoles Weg vom Bahnhof in die Universität entsprechen Einstellung und Montage ihrem Blick auf die Dinge. Die Aufnahmen zeigen viele Gegen-stände aufgesplittet in Einzelheiten. Sie sind so montiert, dass sie nicht immer einen sinnvollen Zu-sammenhang bilden. Zudem ist die Schnittfrequenz hoch. Der Bild- entspricht die Tonebene. Unter-schiedlichste Geräusche (Zugquietschen, Gesprächsfetzen) sind gemeinsam oder kurz nacheinander zu hören. Wie die beiden anderen ist auch Hendrik auf Details fokussiert. Er liebt den Klang bestimm-ter Wörter, die er laut vor sich hin redet. Sich auf den Klang konzentrieren heißt andere Aspekte des Wortes, vor allem die Semantik, außen vor zu lassen. Und ein Wort einzeln “durchzukauen” impliziert seine Loslösung aus dem ganzen Satz. Angesichts der beschriebenen Art der Wahrnehmung verwundert es nicht, dass für Nicole und Rainer die Welt chaotisch und unbegreiflich ist. Dies hat Konsequenzen für die Gestaltung des Alltags. Vor allem Nicole verspürt ein starkes Bedürfnis nach Ritualen bzw. nach Routine. Sie isst jeden Tag das gleiche und zur gleichen Uhrzeit. Ihr Essen steht immer am selben Ort in einer bestimmten Reihen-folge. Aus einem geplanten und strukturierten Tagesablauf bezieht sie ein Gefühl der Sicherheit, mit dem sie sich gegen die Unübersichtlichkeit der Umwelt wappnet. Auch einige von Hendriks Vorlieben dürften Teil einer ähnlichen Strategie sein. Sein Faible für das Sortieren von Akten spricht für große Ordnungsliebe. Die Erfahrung der Welt als chaotisch und schwer kalkulierbar wirkt sich auch auf die Einschätzung des eigenen Lebens aus. So empfindet Rainer das menschliche Geworfensein beson-ders intensiv – was allerdings auch sozialen Schwierigkeiten geschuldet ist. Sein Leben ist für ihn eine Rolle, deren Text er nicht gelernt hat und die er trotzdem spielen muss.

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Methodisch-didaktische ideenDer Leiter (= L) zeigt der Gruppe zuerst Ausschnitte aus den Kap. 1 und 4. Aus Kap. 1 sind dies die Sze-nen mit Hendrik im Unterricht und Rainer in Berlin (01.33-06.12), aus Kap. 4 die Szene mit Nicole in der Universität (25.28-29.30). Anhand der drei Szenen erfahren die Teilnehmer (= T) etwas über die Wahr-nehmungs- und Denkweise der Asperger-Persönlichkeiten und ihr Streben nach Ordnung und Sicher-heit. Nach der Sichtung stellt L zuerst Fragen zu der speziellen Wahrnehmungsweise. Was macht das Erleben der Protagonisten aus? Wie wirkt es sich auf den Alltag aus? Zur Beantwortung der Fragen wird das Arbeitsblatt M1 verwendet. Anhand der auf M1 abgebildeten Screenshots wird auch die filmästhe-tische Umsetzung des Themas diskutiert. Ziel ist es, T für die autistische Sichtweise zu sensibilisieren. L kann dies dadurch erreichen, dass er T nach ihrer Reaktion auf Kameraführung und Montage fragt. Angesichts der für ein “normales” Bewusstsein abrupten, überraschenden Sprünge von Totalen oder Großaufnahmen zu Nahaufnahmen dürften T Verwirrung und Konfusion spüren. Damit können sie nachempfinden, wie sich Autisten ständig fühlen. L kann also durch das Zeigen des Kap. 1 eine Per-spektivenübernahme erreichen – etwa so, wie wenn man Sehende mit blickdichten Brillen versieht, um ihnen die Situation eines Blinden verständlich zu machen. Wenn L die medizinischen Grundlagen des Asperger-Syndroms behandeln möchte, kann er dazu M3 heranziehen (vgl. B5). In dem Augenblick, in dem L die Wahrnehmungsweise von Autisten nachvollziehbar gemacht hat, ist T auch deren Sicherheitsstreben leichter nahe zu bringen. Denn wer sich durcheinander fühlt, strebt – kompensatorisch – nach Ordnung. Als Beispiel für das autistische Ordnungsstreben führt L die Szenen mit Nicole aus den Kap. 3 und 5 vor (15.29-18.25; 35.15-36.51). Bei der anschließenden Diskussion mit T kann auch auf den Titel von Nicoles Buch, das am Ende vorgestellt wird, Bezug genommen werden. T sollen sich überlegen, wie “Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing” gemeint ist und durch welche Szene sich dies belegen lässt. Außerdem kann diskutiert werden, inwieweit die Bedürfnisse von Menschen wie Nicole mit der (Arbeits-)Welt kompatibel sind. Hierbei kann sich auch die Frage ergeben, welcher Planet der falsche ist. Mit ihrem Angewiesensein auf Routine und Monotonie steht Nicole der Forde-rung nach Flexibilität, also nach der heutigen beruflichen Sekundärtugend, diametral entgegen. Doch etliche wissenschaftliche Studien – etwa die von Chronobiologen – haben gezeigt, dass zu viel Flexibi-lität dem menschlichen Organismus zuwiderläuft. Nicoles Verhalten ist demnach gar nicht so abwei-chend. baustein 2: Kommunikationsweisen von Menschen mit Asperger-AutismusKommunikation mit anderen Menschen fällt jenen mit Autismus vor allem deshalb so schwer, weil sie zu weniger Empathie fähig sind, d.h. sie können sich schlechter in andere einfühlen. Dies wird beson-ders augenfällig bei Hendrik. Beim Schulsport fühlte er sich einmal von einem Klassenkameraden be-droht; er glaubte, dieser wolle ihn absichtlich verletzen. Um dies zu verhindern, schlug er zu. Aufgrund dieses Vorfalls muss Hendrik auf Anweisung des Jugendamtes in der Schule durch einen Betreuer be-gleitet werden. Hendrik selbst ist sich seines Fehlverhaltens teilweise bewusst. Er sieht ein, dass er ein Defizit in Empathie hat, beurteilt seine Aggression allerdings auch im Nachhinein noch als Notwehr. Und er lehnt es ab, weiterhin betreut zu werden. Seine Sehnsucht nach Freiheit steht hier der Sicher-heit der eigenen und der anderer Personen entgegen. Wie Hendrik hat auch Rainer Schwierigkeiten, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. WRONG PLANET zeigt ihn bei medizinischen Untersuchungen, die ein neurologisches Korrelat für seine man-gelnde Empathiefähigkeit nachweisen. Während Rainer Fotos von Menschen betrachtet, wird mit Hilfe eines MRTs geprüft, inwieweit er emotional auf die Bilder anspricht bzw. wie stark die entsprechenden Hirnregionen reagieren. Dabei zeigt sich, dass er starke Emotionen identifizieren kann, differenzierte aber kaum. Rainer selbst erklärt, dass ihn Objekte oder Sachverhalte mehr interessieren als Menschen. Sie sind für ihn leichter zu verstehen und vorherzusehen. Den Umgang mit anderen empfindet er als Chaos; der Umgang ist für ihn anstrengend. Er sieht sich als “Büchermensch” (Kap. 5) – in Büchern gibt es schließlich nur Text zu verstehen. Zugleich betont Rainer, dass Asperger-Autisten sehr wohl zu Em-pathie fähig seien. Viele hätten einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und könnten es nicht ertragen, wenn andere leiden.

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Wie für Rainer, sind auch für Nicole Gespräche “anstrengend” (Kap. 4). Eine Zeit lang hat sie außerhalb ihres Elternhauses mit Gleichaltrigen zusammengewohnt. Nach kurzer Zeit ist sie wieder zu Hause eingezogen, weil sie das Zusammenleben mit Gleichaltrigen unerträglich fand. Noch unerträglicher ist für sie unmittelbare körperliche Nähe. Nicole hat Angst vor unerwarteten Berührungen, diese lösen bei ihr Fluchtinstinkte aus. Sie weiß nicht, ob sie sich verlieben könnte und würde es auf jeden Fall vorziehen, allein zu sein, weil sie dann keine Rücksicht nehmen müsste. Kommunikation findet für sie nicht spontan, sondern geplant statt. So kann sie nicht mit ihren Eltern reden, wenn sie sich zufällig in der Küche treffen, sondern sie mailt ihnen lieber. Die Ursache für diese Art der Kommunikation ist ihre Unfähigkeit, mehrere Dinge auf einmal zu tun, und ihre gedankliche Abwesenheit bzw. Verinnerli-chung. Nicole fällt es auch schwer, sich verbal mitzuteilen. Bereits ihre Redeweise verweist auf ihren Autismus: Sie redet schleppend und wenig moduliert. Wie sehr sie von den anderen entfernt ist, wird im Film zum einen dadurch signalisiert, dass sie von anderen Personen räumlich isoliert wird. So wird mehrmals gezeigt, wie sie von Leuten, mit denen sie zu tun hat, weiter weg steht. Auch die unscharfe Darstellung von sie umgebenden Personen und die Tatsache, dass man deren Stimmen hört, ohne ihr Gesicht (vollständig) zu sehen, demonstriert Nicoles Entfremdung. Im Gegensatz zu Nicole ist Rainer durchaus an engen (Liebes-)Beziehungen interessiert. Allerdings ist er sich bewusst, dass es für ihn als Autisten in der Hinsicht Hindernisse gibt. In Aktivitäten wie Flirten ist er ungeschickt. Wenn er Orte aufsucht, an denen viele Menschen zusammen sind, macht er dies nicht, um ihnen nahe zu sein. Er geht nicht in Clubs, um jemanden kennenzulernen, sondern um al-leine die Nacht durchzutanzen. Die Kluft zwischen den Autisten und ihrer Umwelt wird auch durch die Montage verdeutlicht. Auf Einstellungen, in denen die sozialen Schwierigkeiten der drei Protagonisten dargelegt werden, folgen häufig Einstellungen, in denen “normale” soziale Interaktion gezeigt wird. So folgen auf Interviewpassagen mit Rainer Aufnahmen von knutschenden Paaren. Zwar stehen alle drei Protagonisten am Rand der Gesellschaft, doch sind sie alle zumindest ansatzweise in deren Kom-munikations- und Arbeitsprozesse integriert.

Methodisch-didaktische ideenUm T die Kommunikation(-sschwierigkeiten) von Autisten zu veranschaulichen, führt L Kap. 4 (21.31-31.40) vor. Außerdem kann er mit T Auszüge aus Kap. 2 und 7 sehen. Anhand von Kap. 4 werden T über den für Autismus entscheidenden Empathiemangel informiert. Erste Fragen L an T könnten lauten: Wie zeigt sich der Mangel an Empathie bei den drei Protagonisten? Welche Konsequenzen hat dies für das menschliche Miteinander – für die Autisten wie für ihre Um-welt? Anlass zu einer grundsätzlichen Diskussion bietet Hendriks Fehlverhalten in der Schule. Einer-seits hat Hendrik einen Menschen verletzt. Andererseits geschah dies nur bedingt vorsätzlich und nicht aus Bösartigkeit und Gewalttätigkeit heraus. Und – so sollte klar werden – auch ein Autist hat ein Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Dass Kontrolle, zumal sie ständig und vor den Au-gen anderer stattfindet, vor allem für einen Heranwachsenden schwer erträglich ist, dürfte nachvoll-ziehbar sein. Die Frage ist deshalb: Wie lässt sich die Freiheit des Einzelnen mit der Sicherheit der All-gemeinheit vereinbaren? Insbesondere im Ethik- und Religionsunterricht könnte auch diskutiert wer-den, ob Böses beim Denken oder beim Tun beginnt. In Kap. 7 können die Szenen mit Nicole und Rainer (53.11-57.52) dazu dienen, die Einstellung von As-perger-Autisten zu engen zwischenmenschlichen Beziehungen aufzuzeigen. Was macht für Nicole und Rainer Nähe kompliziert? Wo bestehen Parallelen, wo Unterschiede zwischen beiden? Anhand der Unterschiede kann L den T vor Augen führen, dass Autist nicht gleich Autist ist. Darin liegt auch eine Leistung des Films: er differenziert. Und er räumt mit Vorurteilen auf, etwa dem, dass Asperger nicht mitfühlen können. Allein die Existenz von WRONG PLANET weist darauf hin, dass Autisten offen-bar ein Bedürfnis danach haben, sich mitzuteilen und gehört zu werden.WRONG PLANET schildert Autismus aus der Sicht von Betroffenen. Dazu gehört der Verzicht auf jeden erläuternden Kommentar durch die Autorin bzw. Regisseurin, aber auch der weitgehende Verzicht auf Interviews mit Angehörigen. Wenn L die Sicht von Außenstehenden miteinbeziehen möchte, kann er dafür das 2. Kap. (06.13-10.30) heranziehen, in dem Nicoles Eltern zu Wort kommen. Während Nicole

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vor allem auf ihre eigenen Probleme mit ihrer Störung eingeht, erläutern ihre Eltern, wie sie und die Verwandten mit dem Autismus umgehen. Falls L Material benutzen will, kann er T das Arbeitsblatt M4 bearbeiten lassen.

baustein 3: Autismus und (Hoch-)BegabungAlle drei Protagonisten sind überdurchschnittlich intelligent bis hochbegabt. Rainer und Hendrik ver-fügen über ein besonderes sprachliches Talent. Hendrik weist sehr gute schulische Leistungen in Eng-lisch und Latein auf, was angesichts seiner häufigen Unaufmerksamkeit besonders eindrucksvoll ist. Für sein Alter untypisch, für einen Asperger aber typisch, verfügt er über einen großen Wortschatz inklusive vieler Fremdwörter und Fachausdrücke. Rainer, der ständig “Hirnfutter” (Kap. 5) braucht, ar-beitet als Übersetzer. Er schreibt regelmäßig für Wikipedia Artikel und hat bereits 25.000 Beiträge ver-öffentlicht. Diese Beiträge betreffen neben historischen Themen auch religionswissenschaftliche, phi-losophische und soziale Fragestellungen. Hier zeigt sich, wie interdisziplinär und weitgefächert seine Interessen sind. Damit widerspricht er dem Klischee des Asperger-Patienten, der merkwürdig spezi-elle, eng umgrenzte Interessen hat und mehr rezeptiv als produktiv stark ist. Ein typisch hochintelli-genter Asperger-Autist ist Rainer, was sein phänomenales Gedächtnis bzw. lexikalisches Wissen anbe-langt. Er kann zu fast jedem Berliner Straßennamen Daten abrufen. Auch naturwissenschaftlich be-gabt sind Hendrik und Nicole. Hendrik fällt im Chemieunterricht durch Fragen auf, die erst in höheren Jahrgangsstufen thematisiert werden. Nicole studiert erfolgreich eine Naturwissenschaft. In der Schule übersprang sie eine Klasse.Für Nicole ist ihre Hochbegabung weniger ein Wert an sich, sondern vielmehr ein Instrument zur Kom-pensation des Autismus. Ihre geistigen Fähigkeiten gleichen die durch das Asperger-Syndrom beding-ten Defizite aus. Ihre Hochbegabung eröffnet für sie eine Möglichkeit, durch den Alltag zu kommen. Ihre Eltern berichten, dass sie über den Intellekt, nicht intuitiv lernt. Dies gilt auch für den zwischen-menschlichen Bereich: Nicole las bereits als Kind Psychologie-Lehrbücher, um zu erfahren, wie Men-schen “funktionieren”. Auch Rainer erzählt, dass er über den Verstand lernt. Auch bei ihm eröffnet die Begabung den Zugang zu einer Welt, die vielen geistig behinderten Autisten versperrt ist. Soziale Kontakte kommen bei Rainer über geistige Interessen zustande. Treffen mit anderen Wikipedia-Auto-ren fallen ihm im Gegensatz zu anderer sozialer Interaktion leicht, da es dort um Fachgespräche geht und nicht darum, die eigene Persönlichkeit einzubringen. In einem Punkt mag die hohe Intelligenz den dreien auch etwas im Weg stehen. Die ohne Intelligenz kaum denkbare (Selbst-)Reflexivität scheint den Protagonisten ihre Schwierigkeiten bewusst und sie damit tendenziell depressiv zu ma-chen.Nicole weist auf einen Zusammenhang von Autismus und Genialität hin und führt Newton und Ein-stein als Repräsentanten hochbegabter Autisten an. Dies ist insofern legitim, als etliche Forscher bei diesen Wissenschaftlern Autismus vermuteten. Diese Diagnosen wurden allerdings erst posthum ge-stellt. Empirische Studien belegen, dass viel weniger Autisten geistig retardiert sind als früher ange-nommen wurde; hochbegabt sind aber die wenigsten von ihnen.

Methodisch-didaktische ideenAnhand von Ausschnitten aus den Kap. 1 und 6 behandelt L das Thema “Autismus und Begabung”. Die spezifischen Talente von Aspergern werden exemplarisch an Rainers Person festgemacht – an seinen Gedächtnisleistungen (Kap. 1: 04.33-06.12) und an seiner Wikipedia-Autorenschaft (Kap. 6: 40.14-43.00). Im Anschluss daran wird Nicoles Einstellung zu ihrer Hochbegabung vorgeführt (Kap. 6: 45.47-48.28).Falls T nicht den gesamten Film gesehen haben und diese Sequenzen noch nicht kennen, kann L sie vor der Sichtung zu ihrer Vorstellung von Hochbegabten im allgemeinen sowie von autistischen Hoch-begabten im Speziellen befragen. Wie viele Menschen, dürften etliche T Hochbegabte für alltagsun-taugliche, abgehobene “Freaks” halten. Da die wenigsten sich mit Autismus auskennen, dieser aber als geistige Behinderung gilt, wird der Großteil T Autisten Hochbegabung nicht zutrauen. Evtl. werden einige Autismus auch mit in den Medien eher präsenten Inselbegabungen (also nicht mit allgemeiner

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Hochbegabung) assoziieren. Diese Positionen kann L mit den entsprechenden Sequenzen kontrastie-ren. T werden dann aufgefordert, ihre zuvor geäußerte Position mit ihren durch den Film gewonne-nen Eindrücken zu vergleichen. Dabei dürften einige zu einer Revision oder Relativierung ihrer Ein-schätzung gelangen. Die oben erwähnten Klischees über Hochbegabte erweisen sich in WRONG PLA-NET zugleich als zutreffend wie unzutreffend. Einerseits sind die drei Protagonisten offensichtlich un-fähig, ihren Alltag wie jeder andere zu organisieren. Doch ermöglicht gerade ihre Begabung, dass sie sich wenigstens ansatzweise im Alltag behaupten können. L könnte T WRONG PLANET mit den Filmen vergleichen lassen, die sie bereits kennen, z.B. mit RAIN MAN. Dabei dürfte folgendes klar werden: Wie andere Filme über Autisten konzentriert sich WRONG PLANET auf (hochbegabte) Sonderfälle und vernachlässigt damit den durchschnittlichen autistischen Menschen (aus der Verzerrung ins Negative wird eine ins Positive). Allerdings bezeugt WRONG PLA-NET kaum die Lust am Exotischen, sondern das Interesse an den Schicksalen von Menschen mit Asper-ger ist deutlich spürbar. WRONG PLANET führt diese nicht wie Zootiere vor; er ist keine voyeuristische Homestory über Behinderte. Die Differenziertheit und Unaufgeregtheit, die dem Film eignet, fehlt nicht nur Spielfilmen, sondern auch vielen “seriösen” Zeitungsartikeln. Eine Gegenüberstellung mit einem solchen Artikel ist für T lohnenswert. Zum einen lernen sie dadurch, wie das Thema Autismus generell aufbereitet wird, zum anderen üben sie eine medienkritische Sichtweise ein. Dazu zieht L das Arbeitsblatt M5 heran.

baustein 4: Identitätsfindung auf dem “Wrong Planet” Die Bewertung des eigenen Autismus fällt bei den Protagonisten zumindest teilweise negativ aus. Hendrik schätzt an seinem Asperger-Syndrom die Sprachbegabung. Als unangenehm empfindet er seinen Mangel an Empathie. Nicole fühlte sich durch das mit der Diagnose Autismus assoziierte Etikett “behindert” anfangs stigmatisiert. Vor der Diagnose hatte sie sich einfach nur für komisch gehalten und noch die Hoffnung gehegt, dass sich dieses Anderssein legen würde. Doch sie war nach der Dia-gnose – wie ihre Eltern – auch erleichtert, da seitdem Gewissheit herrscht. Positiv an ihrem Autismus ist für Nicole ihre Hochbegabung, da ohne diese ihr Weg vorgezeichnet gewesen wäre. Wie viele Au-tisten wäre sie vermutlich als schwerer Fall in der Psychiatrie, in der Behindertenwerkstatt, o.ä. getto-isiert worden. Für sie ist ihre Hochbegabung identitätsstiftend: “Sie macht mich zu dem, was ich bin” (Kap. 6). Nicole hat sich dafür entschieden, nicht ohne Autismus leben zu wollen. Richtig mit Autismus umzugehen, bedeutet für sie “nicht die schlechte Seite wegzudenken, sondern die gute Seite einmal anzuschauen” (Kap. 9). Nicole schafft es, negative und positive Aspekte zu integrieren. Hendriks Ma-xime dagegen lautet: “lieber tot als autistisch” sein (Kap. 7). Auf den ersten Blick markiert er mit dieser Aussage den Gegenpol zu Nicole. Sie will kein Leben ohne Autismus, er kein Leben mit Autismus. In beiden Fällen wird die Krankheit jedoch zum Fluchtpunkt der Selbstdefinition. Bei Hendrik prägt die Krankheit auch insofern das Selbstbild, als er die Vorliebe von Autisten für materielle Objekte auf Men-schen überträgt. Hendrik fühlt sich nicht als Mensch, sondern als Maschine. Er vergleicht sich mit ei-nem Tamagotchi, das man – was nervt – nicht abstellen kann.Für die Einschätzung der eigenen Person spielt auch die der Gesellschaft eine Rolle. Alle drei Protago-nisten im Film hadern mit Vorurteilen gegenüber andersartigen Menschen. Hendrik wird im Che-mieunterricht ausgelacht, Nicole berichtete in einer Talkshow von Schikanen in ihrer Schulzeit. Hen-drik möchte seinen Betreuer auch deshalb loswerden, weil er befürchtet, dies würde andere Kinder bzw. Mitschüler (innen) gegen ihn einnehmen. Teilweise haben die drei Vorurteile soweit verinnerlicht, dass sie ihr Fühlen und Verhalten formen. Hendrik macht sein Schwimmabzeichen, weil er beweisen möchte, dass auch Autisten etwas können. Und der Film soll – so sein Wunsch – zeigen, dass Autisten keine “zwecklose Existenz” (Kap. 9) sind. Dies lässt vermuten, dass er sich sonst als überflüssig und wertlos (in den Augen der anderen) erlebt. Alle drei definieren sich in Abgrenzung von den “Norma-len”. Rainer charakterisiert sich – in Anlehnung an den auch WRONG PLANET-Syndrom genannten Asperger-Autismus – als Außerirdischer. Die Welt betrachtet er von außen und wie durch eine Glas-wand. Sein Grundgefühl besteht darin, zu einer “anderen Sorte Mensch” (Kap. 2) zu gehören. Der Großteil seiner Probleme resultiert für ihn aus seiner Kluft zu den “NTs”, den „Neurologisch Typischen“,

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wie er die normalen Menschen nennt. Auch für Nicole impliziert ihr Syndrom eine Polarisierung von normal und nicht-normal. Autisten haben es für sie auch deshalb so schwer, weil sie aus der Masse herausstechen. Sie geraten vor allem dort in Konflikte, wo ihnen Vorstellungen von außen oktroyiert werden und wo sie gegen ihre Natur leben müssen. Für die Hindernisse, die den Autisten in den Weg gelegt werden, stehen vermutlich die Windräder, deren Aufnahmen sich leitmotivisch durch den Film ziehen (Vielleicht sollen die Windräder auch nur ein Gefühl der von Autisten ersehnten Ruhe und Gleichmäßigkeit vermitteln). In ihrer Lesung ermutigt Nicole Autisten, “ja zu sich zu sagen gegen innere und äußere Widerstände” (Kap. 9). Wie sie die Autisten zur Annahme der eigenen Person auffordert, verlangt sie von der Umwelt mehr Verständnis und mehr Rücksicht gegenüber andersartigen Menschen. Dazu gehört auch die Einschätzung von Autismus als besondere Denk- und Handelsweise und nicht als zu heilende Krank-heit. Nicoles Forderungen stehen am Schluss des Films und fassen noch einmal einige Punkte zusam-men, die bereits vorher erwähnt wurden. Sie gewinnen so den Charakter eines Schlussplädoyers. Da-bei werden auch die drei Protagonisten von WRONG PLANET zusammengeführt. Rainer wohnt Nico-les Lesung als Zuschauer bei und Hendrik, der eigentlich zu Hause ist, wird durch filmische Gestal-tungsmittel an die beiden angebunden. Während Hendrik beim Lesen gezeigt wird, ist Nicoles Stimme durch Voice Over noch präsent. Da man in der vorhergehenden Einstellung Nicole aus ihrem Buch le-sen hörte und Hendrik dann beim Lesen gezeigt wird, wird suggeriert, er sei in ihr Buch vertieft.

Methodisch-didaktische ideenDie Außenseiter- und Identitätsproblematik kann L mit Hilfe der Kap. 2, 5, 7 und vor allem 9 bespre-chen. Bevor er die Kapitel zeigt, können sich T mit dem Titel auseinandersetzen. Was ist mit dem Titel gemeint? Welche Assoziationen ruft er hervor? Die Aussagen T kann L sehr gut zu der Szene mit Rainer in Kap. 2 (10.31-13.30) in Bezug bringen. Rainer geht hier selbst auf die Bezeichnung des Asperger- als Wrong Planet-Syndrom ein. Anschließend zeigt L eine weitere Szene mit Rainer (Kap. 5: 31.41-35.14), eine Szene mit Hendrik (Kap. 7: 49.13-53.10) und das gesamte Kap. 9 (70.41-76.37). T sollen die Positio-nen der drei Protagonisten miteinander vergleichen. Wer hat welche Einstellung zu sich selbst und zur Gesellschaft? Wie dürfte sich diese Einstellung auf das jeweilige Leben auswirken? Zur Beantwortung dieser Fragen kann L das Arbeitsblatt M2 verwenden. Nachdem die Positionen der Protagonisten ausgelotet worden sind, diskutieren T, wie der Dokumen-tarfilm und wie sie selbst die drei Asperger-Persönlichkeiten sehen. Dies ist insofern besonders wich-tig, als in den anderen Bausteinen – ausgenommen B2 – ethische Fragestellungen nur implizit thema-tisiert werden. Wie soll man mit Menschen, die „behindert“ sind und ein abweichendes Verhalten ha-ben, umgehen? WRONG PLANET bezieht recht eindeutig Stellung. Er behandelt seine Protagonisten nicht als Behinderte, sondern einfach als Menschen mit bestimmten Besonderheiten. Er blendet zwar die Schwächen von Autisten nicht aus, rückt aber ihre Stärken immer wieder ins Zentrum. Durch die Anwendung der subjektiven Kamera und durch die Wiedergabe von Nicoles Schlussplädoyer stellt sich der Film auf die Seite seiner Protagonisten. Auch L hat die Aufgabe, T Respekt vor Autisten bzw. andersartigen Menschen vermitteln. Um dies zu erreichen, lässt er T nach Gemeinsamkeiten zwischen den Autisten und der eigenen Person fahnden. T sollen sich fragen: Wo kann ich mich in ihnen wieder-finden? Übereinstimmungen könnten u.a. folgende sein: Wenn Rainer in Single-Börsen nach potenzi-ellen Partnerinnen sucht, ist dies ebenso gewöhnlich wie seine zugrunde liegende Unsicherheit. Wenn Nicole ihr Unbehagen am Studentenwohnheim auch mit der gemeinsamen Badbenutzung begrün-det, dürfte sie damit viel Zustimmung ernten. T werden anhand solcher Beispiele merken, dass man-che Symptome des Asperger-Syndroms nur extreme Ausprägungen des Normalen sind. Um das Be-wusstsein T für die Stärken von Autisten zu schärfen, fordert L sie auf, sich aufzuschreiben, was ihnen positiv an den Protagonisten aufgefallen ist. T sollen letztlich lernen, sich selbst als die anderen wahr-zunehmen. Dieses Lernziel macht vor allem dort Sinn, wo es um das Einüben von Toleranz geht. In den Schulfächern Politik und Wirtschaft oder Religion kann dies im Rahmen des Themas “multi-kulturelle Gesellschaft” geschehen. In Religion bieten sich auch Bezüge zum Leben Jesu an. Dabei kann z.B. Jesu Umgang mit Kranken – und damit Gottes Heilshandeln – besprochen werden.

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baustein 5: Das Asperger-Syndrom aus medizinischer Sicht ● Zum Begriff Asperger-Syndrom (= AS): Die “Entdeckung” des AS erfolgte durch den Arzt Hans As-

perger in den 1940er Jahren. Er bezeichnete sie noch als “autistische Psychopathie”, seit Mitte der 90er Jahre wird sie als AS oder Highfunctioning Autismus zu den tiefgreifenden Entwicklungsstö-rungen bzw. zu Störungen des autistischen Spektrums gezählt. Dabei unterscheidet man das AS vom frühkindlichen und vom atypischen Autismus. Im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus tritt die Asperger-Störung später auf oder wird zumindest später erkannt. Auch sind Asperger nur selten geistig behindert.

● Symptomatik:Diagnostische Kriterien für Asperger Störung nach DSM-IV (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen.) A: Qualitative Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion, die sich in mindestens zwei der folgenden Bereiche manifestieren:

1. ausgeprägte Beeinträchtigung im Gebrauch multipler nonverbaler Verhaltensweisen, wie beispielsweise Blickkontakt […] zur Regulation sozialer Interaktionen, 2. Unfähigkeit, entwicklungsgemäße Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen, 3. Mangel, spontan Freude, Interessen oder Erfolge mit anderen zu teilen (z.B. Mangel, anderen Menschen Dinge, die für den Betroffenen von Bedeutung sind, zu zeigen […], 4. Mangel an sozioemotionaler Gegenseitigkeit.

B: Beschränkte repetitive und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten in mindestens einem der folgenden Bereiche:

1. umfassende Beschäftigung mit einem oder mehreren stereotypen und begrenzten Interessen, wobei Inhalt und Intensität abnorm sind, 2. auffällig starres Festhalten an bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten oder Ritualen, 3. stereotype und repetitive motorische Manierismen (z.B. Biegen oder schnelle Bewegungen von Händen oder Fingern oder komplexe Bewegungen des ganzen Körpers), 4. ständige Beschäftigung mit Teilen von Objekten.

C: Die Störung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder ande-ren wichtigen Funktionsbereichen. D: Es tritt kein klinisch bedeutsamer allgemeiner Sprachrückstand auf […]. E: Es treten keine klinisch bedeutsamen Verzögerung der kognitiven Entwicklung oder der Entwicklung von al-tersgemäßen Selbsthilfefähigkeiten, im Anpassungsverhalten (außerhalb der sozialen Interaktionen) und bezüg-lich des Interesses des Kindes an der Umgebung auf. F: Die Kriterien für eine andere spezifische Tiefgreifende Entwicklungsstörung oder für Schizophrenie sind nicht erfüllt.

● Verlauf / Prognose: Das AS beginnt in der frühen Kindheit und dauert bis ins Erwachsenenalter. Da-bei schwächen sich bei machen die Symptome ab, teilweise kommt es aber noch zu Begleiterkran-kungen wie Phobien oder Depressionen. Die Prognose ist umso besser, je eher der Betreffende in der Lage ist, seine Schwierigkeiten intellektuell zu kompensieren und mit ihnen umzugehen.

● Verbreitung: Da es noch nicht viele bzw. keine einheitlichen Studien über das Vorkommen des ASs in der Bevölkerung gibt, ist dies schwer zu sagen. Die Angaben schwanken zwischen 1 Fall bis 50 Fälle auf 10.000 Einwohner. Gesichert ist jedoch die Tatsache, dass wesentlich mehr Jungen als Mädchen betroffen sind.

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● Behandlungsmöglichkeiten: Heute werden Psychopharmaka und Verhaltens-therapie bzw. spezi-elle pädagogische Maßnahmen (z.B. TEACCH-Programm) angewandt.

● Ursachen: Auch im Hinblick auf die Ursachen des ASs ist die Quellenlage dünn. Bis in die 80er Jahre wurde eine gescheiterte Mutter-Kind-Beziehung unterstellt; die Rede war von sog. “Kühl-schrankmüttern”. Diese These gilt heute als widerlegt. Die Tatsache, dass AS teilweise familiär ge-häuft auftritt, lässt einen Einfluss genetischer Faktoren vermuten. Es gibt jedoch auch Hinweise auf Hirnschädigungen bzw. -funktionsstörungen. Sowohl strukturelle als auch funktionelle Auffäl-ligkeiten lassen sich im Gehirn von Aspergern finden. Dies betrifft insbesondere solche Hirnregio-nen, die für eben jene Fähigkeiten zuständig sind, an denen es Aspergern mangelt. Einige Unter-suchungen deuten auf Veränderungen im Transmittersystem (u. a. des Dopamins) hin. In letzter Zeit sind Ansätze populär, die Asperger neuropsychologisch mit dem Versagen bestimmter ko-gnitiver Mechanismen begründen. Eine weit verbreitete Theorie kreist um die “Theory of Mind”. “Theory of mind” umschreibt die Fähigkeit, psychische Zustände sich selbst und anderen Perso-nen zuzuschreiben, d.h. die Fähigkeit, die Gedanken, Gefühle und Absichten von sich und ande-ren zu erkennen, zu verstehen und vorauszusagen. Autisten geht die „Theory of mind“ mehr oder weniger ab. Dieses Manko erklärt das Hauptsymptom von Autismus – die mangelnde Empathie und die damit zusammen-hängenden sozialen Schwierigkeiten. Eine Rolle spielt auch das Versa-gen sog. exekutiver Funktionen. Exekutive Funktionen sind Denkprozesse höherer Ordnung, die für die Verhaltensplanung und -kontrolle notwendig sind. Sie umfassen auch Handlungsplanung und Impulskontrolle – Fähigkeiten, die bei Autisten weniger gut funktionieren. Eine wichtige exe-kutive Funktion ist die zentrale Kohärenz. Sie zielt auf die Angewohnheit des normalen menschli-chen Gehirns ab, Reize bzw. Informationen nicht für sich, sondern im Kontext und als etwas Kohä-rentes wahrzunehmen bzw. zu verarbeiten. Informationen werden zusammengefügt, womit die höherwertige Bedeutung erfasst werden kann. Da bei Autisten eine bruchstückhafte Verarbei-tung (Detailorientiertheit) auffällt und dies auch die soziale Interaktion erschwert, dürfte ein Man-gel an zentraler Kohärenz Autismus mit verursachen.

Methodisch-didaktische ideenBaustein 5 kann L gesondert oder in Verbindung mit einem anderen Baustein verwendet werden. Falls L letzteres vorzieht, bietet sich vor allem eine Kombination aus Baustein 1 oder 2 und 5 an. Die in Baustein 1 beschriebene autistische Wahrnehmungsweise kann als Verdeutlichung der in Baustein 5 beschriebenen neuropsychologischen Grundlagen des Asperger-Syndroms dienen. Der in Baustein 2 behandelte Empathiemangel wird dort mit entsprechenden neurologischen Studien in Verbindung gebracht, so dass sich auch hier eine Verknüpfung mit Baustein 5 anbietet. Die Bearbeitung der medi-zinischen Aspekte bietet sich für bestimmte Zielgruppen besonders an. Zu diesen Zielgruppen gehö-ren zum einen in pflegerischen Berufen Tätige, zum anderen Schüler(innen) der Biologie. Bei der Bear-beitung des Bausteins kann M3 als Arbeitsblatt ausgeteilt werden.

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literatur und links zu Asperger-AutismusFachliteratur und Ratgeber

● Attwood, Tony: Das Asperger-Syndrom. Ein Ratgeber. Stuttgart: Trias, 2000. ● Breuer, Hubertus: Atomphysik im Kindergarten. In: Der Spiegel Nr. 43/2000.

Online verfügbar unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-17649348.html ● Hermelin, Beate: Rätselhafte Begabungen. Eine Entdeckungsreise in die faszinierende Welt außer-

gewöhnlicher Autisten. Stuttgart: Klett-Cotta 2002. ● Lang, Jörgen: Wenn das Denken einsam macht. In: Die Zeit Nr. 36/2004. Online verfügbar unter:

http://www.zeit.de/2004/36/Asperger-Syndrom ● Remschmidt, Helmut: Das Asperger-Syndrom – eine Autismus-Spektrum-Störung.

In: Deutsches Ärzteblatt Nr. 104 (13), 2007. S. 873-882. Online verfügbar unter: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=55038

● Remschmidt, Helmut Kamp-Becker, Inge: Asperger-Syndrom. Berlin, u.a.: Springer 2006. ● Saß, Henning / Wittchen, Hans-Ulrich/ Zaudig, Michael: Diagnostisches und statistisches Manual

psychischer Störungen (DSM-IV). Göttingen: Hogrefe 2003. ● Vermeulen, Peter: “Ich bin was Besonderes”. Arbeitsmaterialien für Kinder und Jugendliche mit Au-

tismus / Asperger-Syndrom. Dortmund: Verlag Modernes Lernen 2002.

Erfahrungsberichte Betroffener ● Brauns, Axel: Buntschatten und Fledermäuse. Hamburg: Hoffmann und Campe 2002. ● Kosog, Simone / Keulen, Konstantin und Kornelius: Zu niemandem ein Wort. In der Welt der autisti-

schen Zwillinge Konstantin und Kornelius Keulen. München: Piper 2003. ● Schuster, Nicole: Ein guter Tag ist ein Tag mit Wirsing. Berlin: Weidler 2007. ● Tammet, Daniel: Elf ist freundlich und fünf ist laut. Ein genialer Autist erklärt seine Welt. Düssel-

dorf: Patmos 2007.

Verbände und (Online-) Plattformen von und für Autisten und interessierte ● Aspies e.V. – Verband von und für Menschen mit Asperger (http://www.aspies.de).

Hier erfährt man auch, wie WRONG PLANET von Aspergern rezipiert wurde. ● AUTEA – Gemeinnütziges Institut für Autismus (http://www.autea.de). ● Autismus Deutschland e.V. – Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus

(http://www.autismus.de). ● http://autismus-online.de – Onlineplattform für Betroffene. ● http://www.aspergia.net – Onlineplattform für Betroffene. ● http://www.asperger-online.de – Onlineplattform für Betroffene. ● http://www.wrongplanet.net – englischsprachige Onlineplattform für Betroffene.

Elena Marini

Materialien (M) für schule und außerschulische bildungsarbeitM1 Die Wahrnehmungsweise von Autisten und ihre Darstellung im FilmM2 Identitätsfindung auf dem “Wrong Planet” – die Protagonisten im Vergleich (Tafelbild) M3 Das Asperger-Syndrom – medizinisch gesehen M4 Gedichte einer AutistinM5 Zeitungsartikel über das Asperger-Syndrom

kfw-filmtipp:Ben X, SpielfilmRain Man, SpielfilmWachgeküsst - Tiere helfen Kindern, Dokumentation

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M01 Die Wahrnehmungsweise von Autisten und ihre Darstellung im Film

Aufgaben:1. Die folgenden Bilder sind aus der Perspektive von Hendrik und Rainer aufgenommen. Was sagen sie über deren Wahrnehmung von Menschen und Dingen aus?

2. Fallen dir andere ähnliche Szenen aus dem Film ein? Überlege, in welchem Kapitel Nicoles Wahr-nehmung auf vergleichbare Weise gezeigt wird.

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M02 Identitätsfindung auf dem “Wrong Planet” – die Protagonisten im Vergleich (Tafelbild)

einstellung zu sich selbst / zum Autismus

einstellung zu den Mitmenschen

Hendrik Schätzt an seinem AS die Sprachbe-gabung. Empfindet Empathieman-gel als Defizit. Wertet sich selbst ab; will lieber tot als autistisch sein. Ver-gleicht sich mit einer Maschine. Hat ein überwiegend schlechtes Selbst-wertgefühl.

Fühlt sich als Tamagotschi seiner Mitschüler, d.h. als etwas, das man nicht ausschalten kann – etwas, das nervt. Fordert, dass Autisten nicht als “zwecklose Existenz” wahrge-nommen werden. Wird von seinen Mitschülern gehänselt. Sein Empa-thiemangel führt zu Missverständ-nissen und Aggression seinerseits.

Nicole Schätzt an ihrem AS ihre Hochbega-bung. Die Hochbegabung ist identi-tätsstiftend: “Sie macht mich zu dem, was ich bin.” Fühlt sich durch das Etikett “behindert” stigmatisiert. Will aber nicht ohne AS leben. Kann gute und schlechte Aspekte des AS im Selbstbild integrieren.

Fordert von der Gesellschaft Tole-ranz gegenüber Autisten. Sie soll ih-nen nicht ihre Vorstellungen oktroy-ieren; Autisten sollen nicht gegen ihre Natur leben müssen. AS soll als Denkweise anerkannt werden, nicht als zu heilende Krankheit. Wurde in der Schule ausgegrenzt. Soziale In-teraktion ist für sie “anstrengend”; Nähe macht ihr Angst.

Rainer Fühlt sich als “Außerirdischer”; AS bedeutet, im Leben eine Rolle spie-len zu müssen, die man nicht ge-lernt hat. Versteht sich selbst als “Büchermensch”.

Begreift sich nicht als Teil der Gesell-schaft; sieht die anderen von außen bzw. wie durch eine Glaswand. Hat Probleme mit den “Normalen”. Sozi-ale Interaktion bedeutet für ihn “Chaos”, ist anstrengend. Er wünscht sich Nähe, ist aber unsicher.

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M03 Das Asperger-Syndrom – medizinisch gesehen Das Asperger-Syndrom ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung und gilt als Form von Autismus. Sie beginnt in der frühen Kindheit und dauert generell ein Leben lang. Sie kommt bei ca. 1% der Bevölkerung vor. Die Symptome betreffen vor allem Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Be-ziehungen. Die Ursachen sind nicht eindeutig geklärt. Neben genetischen Faktoren wird ein Zu-sammenspiel verschiedener organischer Fehlfunktionen des Gehirns verantwortlich gemacht.

Aufgaben:1. Informiere dich über Autismus und Asperger-Syndrom. Beachte dabei die Unterschiede zwischen beiden Störungen. Bringe auch in Erfahrung, was eine tiefgreifende Entwicklungsstörung ist.

2. Welche Symptome haben Menschen mit Asperger? Wie verläuft ihre Erkrankung? Vergleiche die Ergebnisse deiner Recherche mit dem Denken, Fühlen und Verhalten der Protagoni-sten in WRONG PLANET.

3. Informiere dich über die Ursachen des Asperger-Syndroms. Welche verschiedenen Erklärungs-modelle gibt es?

Folgende Internetadressen können für die Recherche u.a. sinnvoll sein: http://www.zeit.de/2004/36/Asperger-Syndrom; http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=55038

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M04 Gedichte einer Autistin

ich grüße den frühling, eines tages mit worten die erwachen werde ich zu weinen anfangen (die ich längst totglaubte, auf offener straße gestorben zwischen hirn und papier) aus meiner Welt herausquellenich grüße die sonne und träne für tränemeine muße die erde riechendie mich küsst endlich.mit sanftheit und feuerund meine welt von einem traum in einen schöneren traum wandeltich grüße michmenschenfrau, der lenz ist da!

Quelle: http://www.autismus-online.de/fee.htm

Aufgabe:Teilt euch in zwei Gruppen auf. Die eine Gruppe bearbeitet das erste Gedicht, die andere Gruppe das zweite. Die Gruppe, die das linksstehende Gedicht analysiert, soll sich vor allem mit dem Motiv des Traums (Zeile 9-10) und mit dem Motiv der Worte (Zeile 2-4) auseinandersetzen. Die Gruppe, die sich das rechtsstehende Gedicht vornimmt, sollte besonders die vierte Zeile untersuchen.

1. Wie würdet ihr das Lebensgefühl des lyrischen Ichs beschreiben?

2. Beschreibt, wie die Beziehung von Ich und Umwelt dargestellt ist.

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M05 Zeitungsartikel über das Asperger-Syndrom

Atomphysik im Kindergarten (von hubertus breuer)

Menschen mit Asperger-Syndrom jonglieren virtuos mit Fakten oder Zahlen - und sind doch soziale Krüppel. Jetzt soll die Untersu-chung des Leidens helfen, soziales Verhalten zu verstehen.

Bonjour“, sagt Michael Arsenome, 7, während er, auf der Achten Avenue in Manhattan neben seiner Mutter Michele hertrottend, auf den Bürgersteig stiert. Dann plappert er weiter: „Buenos días, Dobar dan, Buongiorno, Dzie n dobry ...“, den Blick immer stur auf den Boden gerichtet. In fast einem Dutzend Sprachen kennt der Kleine Begrüßungsformeln, darunter sogar drei ver-schiedene auf Japanisch. Nur eines kann er kaum: sie anderen Menschen gegenüber benutzen. Michael ist sozial behindert. Kurz darauf hat der Junge ein neues Thema aufgetan. In einem kleinen Café nahe des Central Parks erzählt er vom Film „Deep Impact“. Sechs Mal hat er das Drama vom Meteoriteneinschlag gesehen. Wenn er davon spricht, purzeln Zahlen aus seinem Mund: Geschwin-digkeit des kosmischen Brockens, Aufschlagwucht, Opferzahlen. […]Die Diplompädagogin Jeanne Angus suchte vor fünf Jahren eine passende Schule für ein Asperger-Kind. Als ihre Suche erfolglos blieb, entschied sie sich, ein eigenes Programm für diese Kinder zu starten. […] Der erste Eindruck einer herkömmlichen Grundschule verfliegt rasch: Ein Junge flattert wie ein hilfloser Vogel mit seinen Armen, ein anderer sitzt völlig in sich versunken auf seinem Stuhl. In der Essenspause schwätzen die Kinder kaum; konzentriert kauen sie ihr Müsli oder Sandwich. […] Asa, ein in sich gekehrter sechsjähriger Junge mit dicken Augengläsern und einer Vorliebe für Atomphysik, wälzte sich anfangs ständig auf dem Teppichboden, um dessen Textur zu spüren. „Der Junge hatte kein Gespür dafür, dass andere solches Verhalten unpassend finden könnten“ […]Tatsächlich gibt es Psychiater, die behaupten, geistige Leuchttürme des 20. Jahrhunderts hätten an Asperger gelitten. So sind die absonderlichen Eigenarten des Philosophen Wittgenstein legendär: In Cambridge monologisierte er stundenlang vor seinen Studenten. Seine Mitmenschen hielt er für eine Qual. Unordnung war ihm ein Gräuel. Sein Mittagsmahl nahm er stets um die gleiche Zeit ein, meist aß er das Gleiche. Sein Gesichtsausdruck schien wie aus Stein gemeißelt. Kein Wunder, dass der 14-jährige Junge schon an der Realschule in Linz auf seine Mitschüler „wie von einer anderen Welt“ wirkte. […]

Aufgaben:Lies dir den Zeitungsartikel durch. Falls du ihn komplett lesen möchtest, ist dies online möglich unter http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-17649348.html.

1. Wie schildert der Autor (Asperger-)Autisten? Um diese Frage zu beantworten, kann es hilfreich sein, wenn du dir notierst, welche Eigenschaften von Autisten der Autor besonders in den Mittelpunkt rückt. Aufschlussreich ist es, wenn du die Wörter (z.B. Verben, Adjektive) raus schreibst, mit denen er Au-tisten beschreibt.

2. Vergleiche den Artikel mit den Szenen, die du aus WRONG PLANET gesehen hast. Inwiefern unterscheiden sich die beiden in ihrer Darstellung von Autisten? Welche der beiden Darstellungen findest du besser?

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