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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Wolf Oschlies »Gro«-Staaten auf dem Balkan Ursprünge, Formen und Folgen des ethnischen Imperialismus in Südosteuropa S 30 September 2002 Berlin

Wolf Oschlies »Groß«-Staaten auf dem Balkan · PDF file2 Dazu und zum folgenden Dubravko Lovrenović (Interview), Historičari su sumnjiva lica [Historiker sind zweifelhafte

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SWP-StudieStiftung Wissenschaft und PolitikDeutsches Institut für InternationalePolitik und Sicherheit

Wolf Oschlies

»Groß«-Staaten auf demBalkanUrsprünge, Formen und Folgen des ethnischenImperialismus in Südosteuropa

S 30September 2002Berlin

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Nachweis in öffentlichzugänglichen Datenbankennicht gestattet.Abdruck oder vergleichbareVerwendung von Arbeitender Stiftung Wissenschaftund Politik ist auch in Aus-zügen nur mit vorherigerschriftlicher Genehmigunggestattet.

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Inhalt

Problemstellung und Empfehlungen 5

Einführung 7

Balkanische Groß-Projekte und europäische Werte 8

Südosteuropa zwischen integraler Größe undfragmentierten Groß-Projekten 10

Balkanische Groß-Projekte 12(Groß-)Albanien als nationsbildendes Surrogat undregionale Bedrohung 12(Groß-)Bulgarien als plebiszitäre Fata Morgana 15(Groß-)Griechenland als byzantinische Verwirrung 17(Groß-)Kroatien als Herrenvolk-Projektion 19(Groß-)Montenegro als staatliches Zufallsprodukt 21(Groß-)Rumänien als nationalistische Irrealität 22(Groß-)Serbien als Verlierer-Option 24(Groß-)Ungarn als nationalistischeSelbstschädigung 26

Resümee und Ausblick oder: Empfehlungen für»Badinter II« 29

Abkürzungen 32

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SWP-Berlin»Groß«-Staaten auf dem Balkan

September 2002

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Problemstellung und Empfehlungen

»Groß«-Staaten auf dem BalkanUrsprünge, Formen und Folgen des ethnischenImperialismus in Südosteuropa

»Groß-Albanien«, »Groß-Serbien« etc. sind programma-tische Losungen für grenzverändernde Pläne undProjekte, die im postkommunistischen Südosteuropanach jahrzehntelanger Pause erneut als möglicheLösungen für akute politische Probleme diskutiertund propagiert werden. Die Intensität der Debattenspiegelt sich in der publizistischen und wissenschaft-lichen Rezeption dieser Groß(staaten)-Projekte durchwestliche Medien wider. In dem Chor aus primärenInitiativen und sekundärer Resonanz fehlt indessendie wichtigste Stimme, die der politischen Akteure derinternationalen Gemeinschaft. Sie schauen gewisser-maßen indigniert zur Seite, wenn die kosovo-albanische UÇK den Umfang des von ihr geplantenGroß-Albanien bereits in ihrem Emblem zeigt, wennin Rumänien und Serbien extremistische Parteien»große« Territorial-Aspirationen schon im Namenausweisen, wenn in Kroatien die Tudjman-BewegungHDZ unverändert für einen »Anschluß« großer TeileBosniens wirkt, wenn in Ungarn Staatsbürger-Gesetzeund Wahlprogramme kaum verhüllt auf eine Wieder-herstellung des »Reichs der Heiligen Stefanskrone«abzielen und ähnliches mehr. Derartige Umtriebewerden, wenn überhaupt, von den Repräsentantenvon OSZE, NATO, UN und EU als legitime Inanspruch-nahme des Rechts auf freie Meinungsäußerung ver-merkt. Dabei weiß man von Brüssel bis Washingtonum die Gefährlichkeit balkanischer Groß-Projekte �die allein um den Preis von Grenzänderungen,Kriegen, ethnischen Säuberungen etc. realisiertwerden könnten.

Die immanente Militanz von Groß-Projekten tarntsich mit einer moderaten, »politisch korrekten«Sprache, was ihre Analyse und die politische Wertungihrer Gefährlichkeit erschwert. Diese Brisanz sollteman sich mittels einer assoziativen Anleihe bei derMakro-Seismik vergegenwärtigen: Wie es aktive undruhende Vulkane, Erdbeben und seismische Risiko-zonen gibt, so findet man aktive Großstaaten-Projekte(Groß-Kosovo), ruhende (Groß-Serbien), eine »bebende«Unruhe (angesichts einer realen oder potentiellenBedrohung durch Groß-Projekte) etc., was sich allesin einer notorischen Bebenzone lokalisiert � demBalkan.

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Problemstellung und Empfehlungen

SWP-Berlin»Groß«-Staaten auf dem BalkanSeptember 2002

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Sogar die tektonischen Plattenverschiebungen, diegroßflächige Beben auslösen, sind paradigmatischauszumachen: Die langwährende politische Fremd-bestimmung der Region erschwerte die Bildung vonIdentitäten, Nationen und Staaten � die Multiethnizi-tät Südosteuropas verhindert klare Territorialbegren-zungen, die dennoch unter Berufung auf das Selbst-bestimmungsrecht erhoben und mit mystisch-historischen Besitzansprüchen begründet werden.Hinzu kommt, daß die regionale Gefährlichkeit sichdurch Verbindungen mit weltweiten Bebenzonen (vonreligiösem Fundamentalismus bis zu organisiertemVerbrechen) potenziert.

Diesem Prozeß Grenzen zu setzen/gegenzusteuern,ist die internationale Gemeinschaft gefordert. Dererfolgversprechende Ansatz für eine lokale undinternationale Strategie gegen Groß-Projekte ist ineiner Rede enthalten, die die damalige US-Außen-ministerin Madeleine Albright am 19. Februar 2000 inTirana hielt. Sie warnte Albanien vor »expansionisti-schen Aspirationen« und führte weiter aus, daß»große« Ideen und Projekte, in nahezu allen Balkan-ländern anzutreffen, unabhängig von regionalemKontext und politischer Stilisierung für die interna-tionale Gemeinschaft inakzeptabel seien, denn sieführten direkt zu Krieg und Gewalt.

Groß-Projekte müssen bekämpft werden � alspotentielle Kriegsdrohung, als diametrale Gegenposi-tion zur europäischen Sicherheitsarchitektur, alsBilligung von Gewalt. Ihre Verfechter müssen isoliertwerden � durch verbesserten Grenzschutz (da dieProjekte vor allem auf eine Änderung von Grenzenabzielen), durch effizienteren Zoll (der die Finanzie-rung der Projekte durch Schmuggel unterbindet),durch eine wirksamere Justiz (zur Verteidigung vonMenschen- und Minderheitsrechten und zur Förde-rung des allgemeinen Rechtsbewußtseins), durchvermehrte Bemühungen um politische und kulturelleAufklärung (um die obsolete Mystik der Groß-Projektezu entlarven), durch deutlichere Distanz des Staateszur Kirche (die mitunter zu dieser Mystik viel beitrug).Sollten staatliche und andere Führungen zu entspre-chenden Maßnahmen nicht bereit sein, müssen siedurch direkten politischen und ökonomischen Druck(der die internationale Ablehnung von Groß-Projektenverkörpert) zum Einlenken gezwungen werden.

Auch das beste Schutz- und Aufklärungsprogrammkann nur ein Anfang sein, der durch komplementäreMaßnahmen zu erweitern ist. Diese müssen vor allemim interethnischen Bereich greifen, da die extensiveund historisch gewachsene Multiethnizität des

Balkans zugleich potentielle Konfliktpunkte für Groß-Projekte wie auch reale Ansatzpunkte für derenÜberwindung bietet. Konkret: Wenn Nachbarstaateneinträglich kooperieren, kommen keine Begehrlich-keiten nach Gebieten auf, die irgendwann einmal denBesitzer gewechselt haben. Wenn jeder Staat einenvernünftigen Minderheitenschutz nach europäischenNormen, praktiziert, beseitigt er die Möglichkeit, daßeine ethnische Diaspora von außen her fremd-bestimmt und als Fünfte Kolonne für Groß-Projekteinstrumentalisiert wird. Ein nach den Prinzipienregionaler Autonomie organisierter Staat wirdadministrative Machtteilung und partizipativeDemokratie zu so alltäglichen Erfahrungen machen,daß keine Absicht aufkommt, die dabei unvermeid-lichen Schwierigkeiten etwa in einem Groß-Reich insUnendliche zu vermehren.

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Einführung

SWP-Berlin»Groß«-Staaten auf dem Balkan

September 2002

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Einführung

Osteuropäische, speziell balkanische Großstaaten-Projekte erinnern »an die ungebrochene Tradition desKleinstaaten-Imperialismus, an die gegeneinandergerichteten Nationalismen und die bis heute er-schreckende Wirksamkeit der über Generationengepflegten Vorurteile und Feindbilder«1; sie sind dasProdukt von realem und aggressivem Nationalismusund mythologisierender Historiographie.2 Man hört sooft, der Balkan produziere ein Übermaß an Geschich-te, aber das Diktum sollte eher umgekehrt lauten: Aufdem Balkan wurde Geschichte gemacht, ohne daß dieRegion auf diesen Prozeß einen größeren Einflußausübte. Im 19. Jahrhundert war der Balkan Schau-platz von Großmacht-Manövern und -Rivalitäten, dieauf die lokalen Einwohner keine Rücksicht nahmen.Der Berliner Vertrag vom Juli 1878 änderte Grenzenund teilte Länder, was in keinem Fall den Interessender direkt Betroffenen entsprach. Diese vergrößertenspäter den Schaden noch, indem sie in einer Art»ideologischer Kontaminierung« das Beispiel der Groß-mächte nachzuahmen suchten, wobei Historiker dieRolle von Wortführern der jeweiligen Tribalismenübernahmen. Das führte umgehend zu verschiedenenGroßstaaten-Projekten, die als mythologische Kon-struktionen begonnen und als ethnokonfessionellepolitische Projekte propagiert wurden � zum Beispielmit den Thesen von Bosnien als »serbischem Land«bzw. als »historischem Teil des kroatischen Staatesund ethnischen Raums« �, die zuletzt in den jüngstenKriegen realisiert werden sollten. Historische Konfliktewiederholen sich ständig, weil der Balkan nicht dazukommt, seine lokalen Spezifika in regionaler Ver-bundenheit zu akzentuieren und so in den »main-stream« Europas einzubringen.

Seit dem Zusammenbruch von Hitlers territorialemKonstrukt »Groß-Deutschland« hat es in Europa keinenVersuch mehr gegeben, einen Groß-Staat zu schaffen.Die politisch-praktische Irrelevanz einer obsoletenStaatskonstruktion kontrastiert indessen mit

1 Paul Lendvai, Zwischen Hoffnung und Ernüchterung �Reflexionen über den Wandel in Osteuropa, Wien 1994,S. 116.2 Dazu und zum folgenden Dubravko Lovrenović (Interview),Historičari su sumnjiva lica [Historiker sind zweifelhafteLeute], in: Feral Tribune (Split), 3.3.2001, S. 36�37.

periodisch auftretenden »Wellen« entsprechenderVisionen und Deklarationen, Pläne und Konzeptionen:Mediatisierung statt Realisierung von Groß-Projekten.Daß diese vorwiegend in ethnischen Mischgebietenund politischen Spannungszonen wie dem Balkananzutreffen sind � »Groß-Serbien«, »Groß-Kroatien«,»Groß-Albanien«, »Groß-Kosovo« �, muß nicht ver-wundern. Die erste Erklärung dafür steht in Lehrbü-chern der Psychoanalyse: Unterdrückte übernehmen,sobald sie es können, die Repressionsmethoden undden aggressiven Sprachgestus ihrer Unterdrücker, undStreßopfer entwickeln nach geraumer Zeit Aversionengegen ihre Therapeuten. Hinzu kommt, daß sichgerade vor dem Hintergrund regionaler, ethnischerund historischer Gegebenheiten, allen voran dieverzögerte Nationenbildung der Südosteuropäer,3

wesentliche Grundkriterien derartiger Groß-Projekteenthüllen � »alle Angehörigen ihrer Ethnie in einemeinzigen, arrondierten, möglichst �reinen� National-staat zu vereinigen«, wobei sich wechselseitig aus-schließende Konkurrenzansprüche und Rivalitätenunter Staaten nur als Objekte kriegerischer Planungberücksichtigt werden.4

3 François Fejtö, Das zweiköpfige Ungeheuer � Die ideologi-schen Quellen der »ethnischen Säuberung« auf dem Balkan,in: Transit, (1994) 7, S. 77�86.4 Rafael Biermann, Die »Albanische Frage« auf dem Balkan, in:SOE-Monitor, (2001) 4, S. 1�2.

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Balkanische Groß-Projekte und europäische Werte

SWP-Berlin»Groß«-Staaten auf dem BalkanSeptember 2002

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Balkanische Groß-Projekte und europäische Werte

Ganz unverkennbar war die internationale Gemein-schaft überrascht von der in Vorzeiten wurzelndenNatur der regionalen Konzeptionen und von derherostratischen Entschlossenheit, sie um jeden Preisdurchzusetzen. Das lag zum großen Teil auch an derFülle der legitimatorischen Argumente in variierenderAnpassung des Ausdrucks und der Formulierung:• Das aktuell angestrebte »Groß-Reich« wurde als

rechtmäßige Restituierung historischer Besitz-tümer ausgewiesen � ohne daran zu denken, daßein historisches Reich mit einem modernen Staatallein geographische Gemeinsamkeiten aufweist,aber keine strukturellen Übereinstimmungen/Isometrien: Ausgangspunkt aller neuzeitlichenStaatskonzepte, wie immer sie im Detail auchgebildet sein mögen, ist stets der Mensch, währendder mittelalterliche Staat sich (bei Christen wieMuslimen) als die weltliche Ausprägung (neben derkirchlichen) von Gottes Herrschaft über die ganzeWelt verstand.5

• Die Tatsache, daß ein Groß-Reich nur auf dem Wegeeines ethnischen Verdrängungskampfs erreichtwerden kann, wurde durch die Berufung auf dasSelbstbestimmungsrecht der Völker verschleiert. Inder Mehrheit der Fälle sind Postulate, die nach dem19. Jahrhundert auf der Grundlage des Selbstbestim-mungsrechts erhoben wurden, sezessionistischeVorübungen für eine spätere »Wiedervereinigung«im Groß-Reich.

• Jedes Groß-Reich könnte gegenwärtig allein durchmilitärische Veränderung der Prinzipien europäi-scher Sicherheitsarchitektur seit Helsinki 1975realisiert werden, also durch einseitige und kriege-rische Beseitigung bestehender Grenzen. DieserZwangsläufigkeit wird mit demagogischer Beschwö-rung der Finalität eigener Unternehmungen begeg-net: »Fremdes wollen wir nicht, Eigenes geben wirnicht her.«

• Die nach außen gerichteten Beschwichtigungenprolongieren sich in internen Appellen, die dieGeographie gewissermaßen als Element zur Ver-stärkung ethnischer Binnenkohäsion instrumenta-

5 J. C. Bluntschli, Über den Unterschied der mittelalterlichenund der modernen Staatsidee, München 1855.

lisieren: Keinen »Fußbreit« des eigenen Bodenswerde man hergeben, denn in ihm ruhten die»Gebeine unserer Märtyrer«, etc.

• Erste Indizien potentieller Groß-Konzepte sindgewaltsame ethnische Säuberungen, die apologe-tisch als Inanspruchnahme grundlegender Rechte(»eigener Herr auf eigenem Grund sein«) und Wie-dergutmachung historischen Unrechts (»Kolonistenausweisen«) legitimiert werden.

• Die Berufung auf das »Selbstbestimmungsrecht derVölker« bedingt, daß die nicht zum eigenen Volkgehörigen Ethnika stigmatisiert (z.B. als »slawischeUntermenschen«) oder als historisch fehlgeleiteteApostaten für das eigene Ethnikum reklamiertwerden (z.B. die Makedonen in Griechenland als»slawophone Hellenen«).

• Groß-Projekte eignen sich besonders zu nationali-stischen Appellen an eine ethnische Diaspora.Deren Angehörige fühlen sich durch sie schondadurch angesprochen, daß sie in der »Fremde«leben, und der Appell selber läßt sich optimal alsAufruf zur Verbundenheit mit Heimatland undeigenem Volk tarnen.

• Zur internationalen Propagierung und Legitimie-rung aktivieren Groß-Projekte sozusagen das histo-rische schlechte Gewissen der Staatengemeinschaft:Als zum Beispiel nach 1989 die Kosovo-Albaneroffen auf die Sezession von Serbien zusteuerten (alsersten Schritt zur späteren Bildung eines Groß-Albanien), da deklarierten sie ihr Ziel als »Entkolo-nisierung«, die mit »Ghandi-Methoden« verfolgtwerde.6

Gerade im multiethnischen Balkan mit seinen schwerüberschaubaren Diffusions- und Assimilationsphäno-menen ist der Umgang mit eigenen und fremdenVolksgruppen von verwirrender Vielfalt.7 Um daskünftige Groß-Reich zu erlangen, erstrebten dieVölker eine Vergrößerung der eigenen Zahl durchVereinnahmung anderer Volksgruppen samt derenSiedlungsgebiet. Das geschah (wie noch detailliert zu

6 Shqëlzen Maliqi, Albansko Gandhijevstvo na Kosovu[Albanisches Ghanditum im Kosovo], Klagenfurt/Salzburg1993, S. 44ff.7 Edgar Hösch, Kulturgrenzen in Südosteuropa, in: Südost-europa, (1998) 12, S. 601�623.

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Balkanische Groß-Projekte und europäische Werte

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zeigen sein wird) bei den Bulgaren durch plebiszitärenAnschluß an die eigene Nationalkirche, bei denSerben durch Sammlung der Diaspora-Serben, bei denKroaten durch »Umwidmung« fremder zu eigenenVolksgruppen, bei den Albanern durch Vertreibungoder »ethnische Säuberung«.

Groß-Projekte sind in jedem Stadium, von derersten gedanklichen Annäherung an sie über ihrePropagierung bis zur realen Umsetzung, in mehrfa-cher Hinsicht eine Flucht. Man flieht vor densimpelsten Verpflichtungen, aus denen jeder Staatseine augenfälligste Legitimation bezieht, nämlicheine Leistungs- und Versorgungsgesellschaft zuschaffen, zu ordnen und weiterzuentwickeln. Manflieht weiterhin vor staatlichen Zielnormen wie der,eine langfristige Daseinsvorsorge auch für kommendeGenerationen zu planen, also die eigene Verantwor-tungsethik zu konkretisieren. Und man flieht schließ-lich vor den Grundprinzipien der Demokratie, allenBürgern Gleichheit und Freiheit zu garantieren.Freiheit ist das ganz konkrete Freisein von Zwängen,besonders das Freisein von leidvoll erfahrener oder zuerfahrender Fremdbestimmung. Indem sie diese dreiStaatsaufgaben negieren, erweisen Groß-Projekte ihregrundsätzliche, unausweichliche Gefährlichkeit. Injedem Fall ist es dringend notwendig, das Problem derGroß-Projekte als gewichtigen potentiellen oder realenStörfaktor zu erkennen und ihm entgegenzuwirken.Solange das unterbleibt, werden die Projekte weiterpropagiert, in Angriff genommen oder gar als Lösungfür aktuelle Konflikte vorgeschlagen.

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Südosteuropa zwischen integraler Größe und fragmentierten Groß-Projekten

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Südosteuropa zwischen integraler Größe und fragmentiertenGroß-Projekten

Jahrhundertelang hatten die südosteuropäischenSlawen in der Sehnsucht des »Jugoslawismus« gelebt,8

also mit dem Wunsch, ihre ethnische, kulturelle und(weitgehende) sprachliche Einheit in einen gemein-samen Staat einzubringen.9 In diesem Streben fandensie zu allen Zeiten Unterstützung bei den größtenGeistern des Auslands � Leopold (von) Ranke betonteihre ethnische Einheit,10 die Gebrüder Grimm diesprachliche,11 der britische Historiker R.W. Seton-Watson ihre »jugoslawische« Gemeinsamkeit,12 derdeutsche SPD-Reichstagsabgeordnete HermannWendel (1884�1936), der gewiß beste Balkan-Kenner,den Westeuropa jemals besaß, fand keine Unterschie-de zwischen Südslawen und Deutschen: »Serben,Kroaten und Slowenen sind ein Volk. [...] wenn dieJugoslawen kein Volk sind, dann sind die Deutschenauch keins.«13

Der gemeinsame Staat der Südslawen (ohne Bulga-ren) entstand Ende 1918 als »Königreich der Serben,Kroaten und Slowenen« (SHS) unter so hoffnungsvol-len Auspizien, daß Robert W. Seton-Watson noch 1929ein optimistisches Urteil abgab: Alle neuen Staaten,die nach dem Krieg entstanden, würden politische,ökonomische und ethnische Probleme in Fülle haben,aber keiner böte »größere Entwicklungsmöglichkeitenals Jugoslawien, das offiziell unter dem sperrigenNamen eines Königreichs der Serben, Kroaten undSlowenen bekannt ist«.14

8 Ferdo �i�ić, Biskup �trosmajer i ju�noslovenska misao[Bischof S. und die jugoslawische Idee], Belgrad 1922 (Srpskaknji�evna zadruga, Nr. 162).9 Alexius U�eničnik, Um die Jugoslavija � Eine Apologie,Laibach 1918.10 Leopold Ranke, Die serbische Revolution � Aus serbischenPapieren und Mittheilungen, Hamburg 1829, S. 9.11 Detailliert dazu Vera Bojić, Jacob Grimm und Vuk Karad�ić� Ein Vergleich ihrer Sprachauffassungen und ihre Zusam-menarbeit auf dem Gebiet der serbischen Grammatik,München: Sagner, 1977 (Slavistische Beiträge, Bd. 106).12 Robert W. Seton-Watson, Die südslawische Frage im Habs-burger Reiche, Berlin 1913, S. 136ff.13 Herman Vendel, O Jugoslaviji, Italiji, Albaniji i Nemačkoj[Über Jugoslawien, Italien, Albanien und Deutschland],Belgrad 1921, S. 7, 15.14 Robert W. Seton-Watson, Yugoslavia and Its Problems � AnHistorical Retrospect, in: The Financial Times, 18.4.1929.

Die neuen Staaten, bei Kriegsende als Bruchstückedes Habsburger oder Russischen Imperiums entstan-den, waren von heterogener Natur:15 restituierte Staaten(Polen, Tschechoslowakei), minimalisierte Staaten(Ungarn), integrale Großstaaten (Rumänien), wiederherge-stellte?/redressierte Staaten (Bulgarien), affirmierte Staaten(Albanien) und zentralistische Staatenbünde (Jugoslawien).Sie alle waren ethnisch inhomogen, ökonomischschwach, landwirtschaftlich geprägt und politischungesichert.16 Die strukturellen Schwächen begün-stigten im Inneren ethnische Konflikte, die von außenher durch revisionistische Aspirationen verstärktwurden. Diese brisante Entwicklung führte per senoch nicht zu einem Krieg. Der Krieg wurde imFrühjahr 1941 von den verbündeten Diktatoren Hitlerund Mussolini auf den Balkan getragen, wo er diebekannten Veränderungen auslöste: ZerschlagungJugoslawiens, Entstehung des unabhängigen StaatesKroatien, revisionistische Dauerkonflikte zwischenden »Verbündeten« Rumänien und Ungarn, Kompli-zenschaft Bulgariens um Makedonien, etc. Sieger warletztendlich der jugoslawische Partisanenführer Tito,der fest überzeugt war, das leidvolle Kriegserlebenwerde die südslawische Einheit auf die solide Basiseines »Partisanen-Jugoslawismus« stellen.17 Die Absichtwar gut, die Realisierung katastrophal schlecht. DerGrundfehler lag im Konstruktionsprinzip der inten-dierten Föderation, die gewissermaßen nach demPrinzip »Ein Volk � Eine Republik« gebildet wurde. Diezeitweilig in der Schweiz lebende und arbeitendeserbische Soziologin Lidija Basta-Posavec hat dasProblem intensiv untersucht und die zwei verderb-lichen Folgen von Titos Staatsgründung dargestellt:18

Wer Ethnizität hoch über Demokratie stellt, begün-stigt nationalistische Eliten, die ihre Machtposition

15 Der wirtschaftliche Aufbau der neuen Südoststaaten, in:Ueberseedienst (Berlin), 4.11.1920.16 Zu einem zeitgenössischen Überblick vgl. Julius R. Kaim,Der Balkan und seine Probleme, Mönchen-Gladbach 1928.17 Der Begriff wurde von L. Tadić als »partizansko jugoslo-venstvo« geprägt (Ljubomir Tadić, O »velikosrpskom hegemo-nizmu« [Über den »großserbischen Hegemonismus«], Belgrad1992, S. 21).18 Vortrag von L. B.-P. am 18. Februar 1995 in Bern, privateTonaufnahme des Verfassers, W.O.

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Südosteuropa zwischen integraler Größe und fragmentierten Groß-Projekten

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und die Binnenkohäsion »ihrer« Völker dadurchstärken, daß sie Konflikte mit allen Nachbarn fördern;wer kollektive Volksgruppenrechte über individuelleMenschenrechte positioniert, ermuntert ethnischeMinderheiten, dieselbe Aggressivität anzunehmen wieTitularnationen � wie es die Kosovo-Albaner seit 1968mit eskalierender Gewaltbereitschaft taten.19

1974 glaubte Tito, daß seine Losung »Bratstvo-Jedinstvo« (brüderliche Einheit) von allen BürgernJugoslawiens so stark verinnerlicht sei, daß man dieFöderation entsprechend verändern könne. Die neueVerfassung löste den gemeinsamen jugoslawischenMarkt auf, um die Republiken und AutonomenProvinzen zu einem kreativen Wettbewerb zugunstenJugoslawiens zu veranlassen. Das Gegenteil trat ein:Die ehedem zentrale Staats- und Parteibürokratieerlebte eine Verachtfachung, und die alten Gegensätzeeskalierten auf ein nie gekanntes Maß. Im Grundebegann mit der Verfassung von 1974 der späterejugoslawische Krieg, was indessen nur wenigen klarwar.20

19 Srdja Popopvić, Kosovoski čvor � Dre�iti ili seći? [DerKosovo-Knoten � aufknüpfen oder durchhauen?], Belgrad1990.20 Stipe �uvar, Svi na�i nacionalizmi [Alle unsere Nationa-lismen], Valjevo 1986, S. 250ff.

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Balkanische Groß-Projekte

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Balkanische Groß-Projekte

Wer immer im zentralen Balkan neue Groß-Reichekartographieren will, kann dies unter Berufung aufältere Verwaltungs-, Gerichts-, Diözesan-, Wahlkreis-oder Dutzende andere Meßtischblätter beziehen,von denen eines gewiß auch den wildesten Groß-Phantasien entspricht.21 Dieses Grundmuster ist zwarbalkanweit verbreitet, aber darüber hinaus weisen alleGroß-Projekte eine solche Fülle variierender Eigen-schaften auf, daß sich eine Typologie des Phänomensan sich ergibt. Die groß-staatliche Genealogie soll imfolgenden kurz umrissen werden � der Einfachheithalber in alphabetischer Reihenfolge.

(Groß-)Albanien als nationsbildendesSurrogat und regionale Bedrohung

Die einleitend erwähnte Anleihe bei der Makro-Seismik empfiehlt sich insbesondere für Überlegun-gen zum Komplex Groß-Albanien: Es gibt den schein-bar ruhenden Vulkan »Groß-Albanien«, dessen Aus-bruch US-Außenministerin Madeleine Albright nochim Februar 2000 offenkundig als unmittelbar bevor-stehend empfand. Und ein Groß-Albanien, erläuterteEnde Februar 2002 der balkanerfahrene US-DiplomatRichard Holbrooke, schüfe ein »absolutes Chaos« aufdem Balkan. Weiterhin gibt es den noch gefährliche-ren Vulkan »Groß-Kosovo«, der Kommentatoren inOst22 und West23 mehr als vergleichbare Phänomenean Hitlers Bemühen um »Lebensraum« erinnert. Undes gibt schließlich die kleineren oder größeren Beben,die Albaner verursachen und damit Unruhe in balka-nischen Ländern bewirken: Im Juni 2002 erklärten1800 albanische Schüler im nord-makedonischenKumanovo, daß sie im Herbst in einen Streik treten

21 Branka Čuljić, Kratki kurs o granicama [Kurzer Lehrgangüber Grenzen], in: Osmica (Belgrad), 17.9.1991, S. 12�13.22 Dmitrij Trenin et al. (Hg.), Kosovo � Me�dunarodnye aspektykrizisa [Kosovo � Internationale Aspekte der Krise], Moskau1999; Ju. V. Morozov et al. (Hg.), Balkany segodnja i zavtra [DerBalkan heute und morgen], Moskau 2001.23 Hugo Roth, Non-Albanian Elements within the Fabric ofthe Albanian People, in: ders., Kosovo Origins, Belgrad 1996,Kapitel 4; www.kosovo.com/history/kosovo_origins/ko_chapter4.html (eingesehen am 5.8.2002).

würden, sofern sie nicht ein separates Schulgebäudebekämen, zu dem makedonische Schüler keinenZugang haben dürften. Gleichzeitig forderte inMontenegro Mehmet Bardij, Führer des dortigenDemokratischen Verbands der Albaner, daß eigene»albanische Gemeinden« gebildet, Personalausweisefür Albaner in albanischer Sprache ausgegeben undeine separate albanische Hochschule geschaffenwürden. Derartige Vorfälle ereignen sich ständig undüberall auf dem Balkan, wo Albaner leben, und siesorgen dafür, daß die Region nicht zur Ruhe kommt.

Soweit aktuelle groß-albanische Konzepte nicht anhistorische Vorläufer anknüpfen, sind sie ein indirek-ter Beweis für die Richtigkeit der (bereits erwähnten)Befunde von Lidija Basta-Posavec: Unter Tito wurde dasKosovo zum kulturellen Zentrum des gesamtenAlbanertums, weil aber die Albaner politisch deutlichhinter die serbische Titularnation gesetzt wordenwaren, drängten sie schon früh zur Republik Albani-en, die zwar von den Altstalinisten um Enver Hoxhabeherrscht wurde, aber als lockendes Gemeinwesenerschien, in welchem Albaner so dominierten wieSerben in Serbien.24

Gemeinhin sind Groß-Reiche entweder primärterritorial konzipiert � ein Land verlangt seine »histo-rischen Grenzen« zurück � oder ethnisch, wenn einVolk unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrechtseine »Wiedervereinigung« fordert. Im Falle derAlbaner werden beide Ansätze gleichlaufend vorgetra-gen,25 und das in extremer Aggressivität. PolitischePropaganda und »wissenschaftliche« Expertisenbehaupten unisono, daß Albaner das älteste VolkSüdosteuropas seien, daß sie auf zwei, drei Jahrtau-sende ungebrochener Existenz als »ethnisch reineBevölkerung« zurückblickten und die »alleinigenErben der balkanisch-illyrischen Region insgesamt«seien.26

24 Viktor Meier, Träume von einer albanischen Zukunft?Bericht aus Kosovo, in: Südosteuropa Mitteilungen, (1984) 4,S. 52�55.25 Detailliert dazu Peter Schubert, Zündstoff im Konfliktfelddes Balkan: Die albanische Frage, Baden-Baden 1997 (StiftungWissenschaft und Politik, Aktuelle Materialien zur Internationa-len Politik, Bd. 49).26 Roth, Non-Albanian Elements [wie Fn. 23].

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(Groß-)Albanien als nationsbildendes Surrogat und regionale Bedrohung

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Psychologen könnten gewiß erklären, daß dieaggressive Präsentation albanischer Postulate daraufzurückzuführen ist, daß alle Behauptungen schlicht-weg aus der Luft gegriffen sind. Die Albaner bezeich-nen sich selber als Nachfahren balkanischer Urein-wohner, der Pelasger aus dem 15. Jahrhundert vorChristus, tatsächlich taucht »Albanien« als Regional-name explizit erstmals im Jahre 1079 im Schrifttumauf.27 Eine »albanische Nation« wurde gar erst 1595namentlich erwähnt, von einem italienischen Autor.28

Wobei bis zur Gegenwart zu fragen bleibt, ob es eine»albanische Nation« wirklich gibt. Im Jahre 1914erklärte der serbische Autor Dmitrije Tucović dasdestruktive Wirken von Albanern damit, daß sieethnisch in die Großgruppen der Ghegen im Nordenund der Tosken im Süden gespalten seien, wobei sichbeide Gruppen ihrerseits in eine Vielzahl unterein-ander verfeindeter Clans differenzierten.29 Was vor90 Jahren konstatiert wurde, ist durch die Unruhen inAlbanien (Juni 1997), durch das Wirken der UÇK oderdurch das Wiederaufleben der Tradition der Blutrachenicht widerlegt worden.30

Erst 1478 eroberten die Osmanen Albanien undislamisierten es. Eine erste nationale Wende kam imJuni 1878, als albanische Honoratioren im kosovari-schen Prizren die Albanische Liga gründeten, diesogenannte Liga von Prizren, deren Ziel es war, dievon Albanern besiedelten Balkan-Regionen zu einemautonomen Territorium unter osmanischer Oberho-heit zusammenzufassen.31 Der radikale Flügel der Ligaging in seinen Forderungen weiter, nämlich bis zueiner albanischen Nationalregierung unter Berufungauf das Selbstbestimmungsrecht. 1912 nutzten dieAlbaner den ersten Balkankrieg, um sich auchpolitisch als eigener Staat vom Sultan zu emanzipie-ren.32 Den größten Einfluß übte später Italien aus,33

27 Rexhep Ismajli, The Origin of the Albanian Language, in:Kosova (Tirana), (1993) 1, S. 9�14.28 Roth, Non-Albanian Elements [wie Fn. 23].29 Dmitrije Tucović, Srbija i Arbanija [Serbien und Albanien],Belgrad 1914.30 Selbst albanische Intellektuelle kritisieren, daß diestärksten Gemeinsamkeiten unter den Albanern eine »Kulturder Gewalt« und der »Spaltung« seien; vgl. Peter Schubert,Groß-Albanien: Vision oder Mythos, unveröffentlichte Studie,Ebenhausen: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2000.31 Oskar Lehner, Die Entstehung des Staates Albanien undseine völkerrechtliche Identität im 20. Jahrhundert, in:Dardania (Wien), (1992) 2�3, S. 101�118.32 Peter Jordan, Ethnische Gruppen in Makedonien, in:Österreichische Osthefte, (1998) 1�2, S. 65�114, speziellS. 74ff.

das Albanien bereits 1926/27 durch die sogenanntenTirana-Verträge unter seine Botmäßigkeit gezwungenhatte.34 Im April 1939 wurde Albaniens Unabhängig-keit im Sinne einer Personalunion modifiziert � untereinem gemeinsamen Staatsoberhaupt existieren zweigetrennte Staaten, die ihre bilateralen Beziehungenweiterhin durch völkerrechtliche Verträge regeln. ImZweiten Weltkrieg proklamierte Italien eine »Wieder-vereinigung aller Albaner« in einem »Groß-Albanien«,das durch die Zusammenlegung von Albanien, demKosovo, Teilen Makedoniens, Montenegros und Nord-Griechenlands entstand. Formell war das Gebietitalienische Besatzungszone, real aber handelte es sichum ein Groß-Albanien, in dem Albaner wie in einemsouveränen Staat walteten � einschließlich des Rechtszum Waffentragen, eigener Polizei und Freiwilligen-Armee sowie der kaum begrenzten Möglichkeit,Serben und Montenegriner zu vertreiben.35 Daranänderte sich auch nichts (ausgenommen die grundle-gende Unterordnung Albaniens unter das italienischeKönigreich), als Italien 1943 kapitulierte und Deutsch-land die neue Vormacht Albaniens wurde.36 DieDeutschen gründeten im September 1943 die II. Ligavon Prizren (Lidhja së II. të Prizrendit) als militärisch-politische Organisation zur Verteidigung des neuenGroß-Albanien, und mit der Aufstellung eines Kosovo-Regiments und der 21. SS-Division Skenderbeg (diebereits im Juli 1944 von den Partisanen völligaufgerieben wurde) kamen sie diesen Wünschenentgegen. Andere Kämpfe gab es zunächst kaum, dennin ihren groß-albanischen Plänen waren sich Nationa-listen und Kommunisten absolut einig. Die Nationa-listen hatten sich im November 1942 in der BalliKombëtar (Nationale Front) zusammengefunden, diefür ein »freies, demokratisches, ethnisch reines Groß-Albanien« eintrat. Anfang August 1943 vereinte siesich mit den Kommunisten, deren Führer Fadil Hoxhaschon zuvor dem jugoslawischen PartisanenführerVukmanović-Tempo erklärt hatte: »Es bestand undbesteht nur ein Albanien, das [...] zerschnitten,zerstückelt, beschädigt sein kann und dennoch einsbleibt als Nation und als Land, gebildet von Menschengleichen Blutes, gleicher Sprache, gleicher Kultur,

33 Mussolinis Hand in Albanien, in: Vossische Zeitung,11.7.1928.34 Richard Busch-Zanter, Jenseits der Adria � Albanien unterdem Liktorenbündel, in: Das Reich (Berlin), 9.6.1940.35 Informativni priručnik o Jugoslaviji (Belgrad), (1952)10�12, S. 246ff.36 Bernd Huffschmied, Albaniens wirtschaftliche Zukunft, in:Südost-Echo (Budapest/Wien), 12.5.1944.

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Balkanische Groß-Projekte

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gleicher Geschichte, gleicher Psyche und gleichenNationalgefühls. [...] Wir sind weder für ein �großes�noch für ein �kleines� Albanien, sondern wir sind fürein Albanien, das als Land und als Nation ein und nurein Ganzes darstellt.«37

Ende 1944 zogen die Deutschen aus dem Kosovo ab,das daraufhin zum größten Teil von groß-albanischenKämpfern übernommen wurde. Als im restlichenJugoslawien der Krieg längst vorüber war, ging er imKosovo noch monatelang weiter, mit aller Härtegeführt zwischen Albanern und Titos Armee.38 Ver-mutlich waren die Kämpfe für Titos (anderweitigunverständliche) Maßnahmen verantwortlich, denwährend des Krieges vertriebenen autochthonen undzugewanderten Serben »zeitweilig« die Rückkehr zuverbieten, was auf eine nachträgliche Billigung der inGroß-Albanien waltenden Willkür hinauslief.

Frühere und gegenwärtige Balkan-Kenner sind sicheinig, daß groß-albanische Projekte eng mit einigenSpezifika der albanischen Geschichte und Gesellschaftzusammenhängen. Zum einen gab es kein alt-albani-sches »Groß-Reich« in der Vergangenheit, aus demman aktuelle »historische Rechte« ableiten könnte.Zum zweiten waren die Albaner im OsmanischenImperium durchaus heimisch, und ihre diversenAutonomie-Forderungen richteten sich nicht gegendieses, sondern waren von der Furcht diktiert,irgendwann in einem Serben-Staat aufzugehen. Zumdritten entstand der albanische Staat 1912/13 nur, umGroßmacht-Interessen an der Adria auszutarieren. Mitihm erst kam die »albanische Frage« auf, weil rund dieHälfte der albanischen Nation außerhalb der Staats-grenzen lebte. Und viertens schließlich ist die tradi-tionelle Binnendifferenzierung albanischer Regionenund Stämme nach wie vor so tief, daß es keine gesamt-albanische Option für ein Groß-Albanien gibt.39 Inhistorischer Kontinuität wird die gesamtalbanischeOption vor allem von Clan-Führern der sunnitischenGegend im Norden des albanischen Siedlungsgebietsgetragen. Hinzu kamen später politische Extremistenvon rechts und links, Kommunisten und Faschisten,

37 Zit. n. Miodrag Marović, Albanci i revoljucija [Die Albanerund die Revolution], in: NIN, 3.2. und 24.3.1985.38 Malte Olschewski, Der Krieg um den Kosovo � Serbiens neueSchlacht am Amselfeld, Bad Vilbel 1999, S. 170ff.39 Biermann, Die »Albanische Frage« [wie Fn. 4]; HermannWendel, Um Albanien, in: Die Neue Zeit, (4.4.1913) 27, S. 1�5;ders., Zwischen Krieg und Krieg, ebd., (9.5.1913) 32, S. 185�189.

die sich in dieser Frage nicht unterschieden.40 In den80er Jahren des 20. Jahrhunderts fanden beideStrömungen in der zahlenstarken kosovo-albanischenDiaspora im Westen erneut zusammen � 250 000 inDeutschland, 150 000 in der Schweiz und 600 000 inden USA �, die sich »zunehmend mit der Drogenmafiavernetzte«.41 Ein Resultat dessen ist die TerrortruppeUÇK � nach Ansicht eines französischen Autors »unmélange hétéroclite d�adepts d�un marxisme-léniniste,nationaliste, clanique et rural, une sorte des Khmersrouge des Balkans«42 � als bislang letzter Träger desgroß-albanischen Gedankenguts.43 Nach serbischerAnsicht gibt nur ein Motiv für die Errichtung einesGroß-Albanien, nämlich dieses als territoriale Basisder albanischen Drogen-Mafia zu schaffen, die eng mitder internationalen organisierten Kriminalitätverbunden ist.44 Diese Ansicht wird von Politikern wieJiří Dienstbier, dem UN-Menschenrechtsbeauftragten,geteilt,45 dazu von bosnischen,46 tschechischen,47

polnischen48 und russischen Analytikern,49 neuerdingsauch von deutschen50 und anderen westlichen.51

40 Stephan Lipsius, Untergrundorganisationen im Kosovo �Ein Überblick, in: Südosteuropa, (1998) 1�2, S. 75�82.41 Beate Andrees, Die kosovo-albanische Diaspora zwischenKrieg und Frieden, in: WeltTrends, (Herbst 2001) 32, S. 59�76.42 Christophe Chiclet, Les soldats perdus de l�UCK, in:Confluences Méditerranée, (2001) 38, S. 25�30.43 Slobodan Ikonić, Tajne �iptarske gerile � Profesionalniteror [Die Geheimnisse der albanischen Guerilla � Professio-neller Terror], in: NIN (Belgrad), 18.12.1997, S. 18�19.44 Entsprechende serbische Einschätzungen sind zitiert beiPiotr Pytlakowski, Albański ułamek [Albanisches Bruchstück],in: Polityka, (1998) 17, S. 100�104.45 Dienstbier: Extremisten nutzen Machtvakuum, in:Berliner Zeitung, 20.3.2001.46 Kre�imir Meler, Narko naoru�anje [Drogen-Bewaffnung],in: Svijet (Sarajevo), 19.7.1998, S. 30�31.47 Miroslav No�ina, Česká republika na kři�ovatkách me-zinárodího zločinu [Die Tschechische Republik am Kreu-zungspunkt des internationalen Verbrechens], in: Meziná-rodní politika (Prag), (1999) 2, S. 4�7.48 Jacek Potocki, Szpony orła [Krallen des Adlers], in: Wprost(Warschau), 4.3.2001, S. 95.49 Rossija � Jugoslavskij krizis � Zapad [Rußland � Jugoslawi-sche Krise � Westen], in: Otkrytaja politika (Moskau), (1999)5�6, S. 29�35; es handelt sich um das Protokoll einer Exper-ten-Debatte, bei welcher u.a. behauptet wurde, daß eine inder Schweiz ansässige albanische Mafia 70% des deutschenDrogenmarktes kontrolliere und daß 40% der in Europa undden USA konsumierten Drogen »im zentralen Kosovo« her-gestellt würden.50 Andreas Ulrich, Russisches Roulette, in: Der Spiegel, (2001)15, S. 62�64.51 Tim Judah, Greater Albania?, in: The New York Review ofBooks, 17.5.2001.

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(Groß-)Bulgarien als plebiszitäre Fata Morgana

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Damit ergibt sich die Frage, ob es sich tatsächlich umgroß-alba-nische Visionen handelt � oder um groß-kosovarische.

Die Pläne der UÇK für ein Groß-Kosovo sind histo-risch vorgeprägt, beispielsweise aus den Reden KönigAchmed Zogus, der 1927 verkündete, »mit Hilfe derMächte werde Albanien in Bälde seine Grenzenerweitern können. Diese Grenzen würden dann bisProkuplje, Skoplje und Prilep reichen, weiters Teiledes jugoslawischen und griechischen Mazedonienumfassen, sowie auch nach dem Nord-Epirus übergrei-fen.«52 Die apostrophierten Mächte waren vor allemMussolinis Italien, und die heutigen albanischenGroß-Pläne knüpfen bruchlos daran an. Auf entspre-chenden Karten sind die einzelnen Regionen bereitsaufgeführt: Kosovo, Ost-Kosovo (Süd-Serbien), Maljsija(Südost-Montenegro), Ilirida (West- und Zentral-Makedonien) und Çamerija (Nord-Griechenland).53

Diese Pläne wie auch die »Argumente« der Albani-schen Akademie in Tirana fanden sich in Programmenund »Pattformen« albanischer Extremisten ausMakedonien wieder: »Eine Nation muß ihren Staathaben«, und »die albanischen ethnischen Räume«müssen »in einem einzigen Nationalstaat wiederver-einigt« werden.54

Groß-Albanien ist zweifellos von allen balkanischenGroß-Projekten das aggressivste, weil es hinsichtlichseiner Legitimität noch illusorischer ist als alleanderen: Es geht von einer unbestimmten Sehnsuchtaus, »die in der Geschichte nicht erreichte Vereini-gung der ethnischen Albaner im nationalen wie auchim staatlich-politischen Sinne im Zuge einer Neuord-nung auf dem Balkan nachzuvollziehen«; es wird als»fatalistisches Fixieren auf die Unvermeidlichkeitgroßalbanischer Lösungen« inszeniert; es präsentiertsich nach außen als Lösung der »albanischen Frage«,wobei auch das »Stigma einer Drehscheibe für mafioseMachenschaften« entfiele; es bringt alte »Lebensraum«-Visionen in neuer Form ins Gespräch, indem es dieüberdurchschnittlichen Geburtsraten von Albanernim Sinne einer schleichenden Landnahme instrumen-talisiert und ähnliches mehr.55

52 Zit. bei Gilbert in der Maur, Die Jugoslawen einst und jetzt,Bd. II, Leipzig 1936, S. 158.53 Dokumentation und Kommentare in: Reporter (BanjaLuka), 27.2.2001, S. 29�32; Aleksandar Mićić, Nova Albanija,in: Mladina (Ljubljana), (2001) 13.54 Kommentar von Bla�e Ristovski, in: Dnevnik (Skopje),14.4.2001.55 Peter Schubert, Der albanische Faktor nach dem Kosovo-Krieg, in: WeltTrends, (Herbst 2001) 32, S. 41�58.

(Groß-)Bulgarien als plebiszitäre FataMorgana

Bulgarien könnte aus dem seismischen Vergleichs-raster dieser Darstellung völlig herausfallen, wird aberaufgrund schlechter Erfahrungen seiner Nachbarnimmer wieder in diesen zurückgestoßen. Als erstesLand überhaupt erkannte Bulgarien die RepublikMakedonien diplomatisch an, sperrte sich aber langeJahre gegen eine Anerkennung makedonischerSprache und Identität. Nun werden Sprachen undIdentitäten nie und nirgendwo anerkannt, aber indiesem Fall argwöhnten nicht nur Makedonen, daßsich dahinter alte, groß-bulgarische Aspirationenversteckten. Ähnlich war es, als der damalige bulga-rische Staatspräsident Petăr Stojanov Makedonien als»romantische Erinnerung für Bulgaren« bezeichnete �ein im Grunde versöhnliches Epitheton, das ihm aberdie monatelange Feindschaft der makedonischenMedien sicherte. Und ähnliche Vorfälle mehr, die dieFrage provozieren, ob Bulgarien noch Großstaaten-Aspirationen hat oder bei Nachbarn, die in derGeschichte einmal »bulgarische« Reichsteile waren,lediglich entsprechende Phantomschmerzen erzeugt.

Bulgarien ist ein Beispiel für die immanente Para-doxie, die Groß-Projekten mitunter anhaftet, denndieses Land ist im Laufe seiner Geschichte siebenmalein Groß-Staat gewesen, wobei die Größe stets in einerWeise aufkam oder endete, daß man sie sogar negie-ren könnte: Hat es Groß-Bulgarien siebenmal gegeben� oder niemals?56

Das erste Bulgarische Reich (7.�10. Jh.) etabliertesich zunächst als balkanische Großmacht, nach seinerChristianisierung (864) auch als europäische Machtund durch das Wirken der Schüler der SlawenapostelKyrill und Method schließlich als Wiege der slawi-schen Schriftkultur. Das zweite Reich, das des ZarenSamuil (10. Jh.) war eine verkleinerte Kopie des ersten,das dritte (12.�14. Jh.) zerfiel nach anfänglicher Blüteinfolge innerer Wirren (Aufkommen der häretischenLehre des Bogomilentums) und äußeren Drucks (durchByzanz, Kreuzzügler, Serben, Tataren etc.) und wurde1393 von den Osmanen erobert.57

Die drei mittelalterlichen groß-bulgarischen Reichehaben unzweifelhaft bestanden, doch ist es höchstfraglich, ob sie im Sinne der dieser Darstellungzugrundeliegenden Perzeption von Groß-Reich �

56 Hermann Schindler, Bulgarien, Dresden 1918, S. 50ff.57 Kurt Floericke, Geschichte der Bulgaren, Stuttgart 1913,S. 18ff.

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Balkanische Groß-Projekte

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Restitution des ethnischen Territoriums im Umfangseiner größten historischen Ausdehnung � heran-gezogen werden können. In Bulgarien selber ist dieserGedanke nie explizit geäußert worden, weil man wohldie historisch »unscharfe« Natur der alten Reiche unddie geringe Möglichkeit, sie in neuerer Zeit wiederer-richten zu können, in Betracht zog. Wenn Bulgarienin der Neuzeit sehr wohl Groß-Projekten anhing unddiese zeitweilig auch verwirklichte, dann forderte es,man müsse ihm die »Desannexion« oder »Reannexion«dessen erlauben, was ihm tausend Jahre zuvorgehörte.58 Die Bulgaren glaubten, ihre imperialenPostulate problemlos vorbringen zu können, weil siesie einem damals allseits favorisierten Verfahren fürdie Lösung interethnischer Konflikte unterordneten,dem Plebiszit: »Unter allen heute kämpfenden Staaten[...] ist Bulgarien vielleicht der einzige, der vor einemPlebiszit keine Furcht hat.«59

Man dachte an eine Neuauflage des 1870/71 vonden osmanischen Behörden gewährten nationalkirch-lichen Exarchats: Wo immer im Imperium die Bulga-ren ein Quorum von zwei Dritteln der Bevölkerungfanden, durften sie bulgarische Kirchengemeindengründen � was sie so geschickt und plebiszitär hand-habten, daß das Exarchat schon wenige Jahre nachseiner Einrichtung außer bulgarischen auch griechi-sche, makedonische, serbische und rumänischeRegionen umfaßte.60 Damit entstand eine nationalesund territoriales »Ideal«, das in den folgenden Jahr-zehnten immer neue Anstrengungen auslöste, dieaktuellen bulgarischen Grenzen denen des Exarchatsmöglichst kongruent zu gestalten. Das Exarchat warzwar kein Groß-Reich, wohl aber die ethnische undterritoriale Antizipation eines solchen, denn seineEntstehung und Ausweitung wurde gewissermaßenals groß-bulgarische Sammlungsbewegung praktiziert.

Bereits 1878 bot sich die Chance zur Bildung einesStaates, »dessen Bild jeder Bulgare als Ideal des bulga-rischen Staatsraumes in sich trägt«.61 Der russisch-türkische Krieg hatte im März 1878 zum Präliminar-frieden von San Stefano, einem Vorort von Konstanti-nopel, geführt, der ein Groß-Bulgarien schuf, das etwa

58 Die Bulgaren in ihren historischen, ethnographischenund politischen Grenzen (plus derselbe Titel in den erwähn-ten weiteren Sprachen), Berlin 1917, S. X.59 Rizov in: ebd., S. XVI.60 Todor Girginov, Istoričeski razvoj na săvremenna Bălgarija[Historische Entwicklung des modernen Bulgariens], Bd. I,Sofia 1934, S. 16ff, 56ff.61 H. Barten, Die territorialen Probleme Bulgariens, in:Geopolitik, (1941) 4, S. 216�227 (216).

vier Fünftel des Exarchatsgebiets umfassen sollte.Schon im Juni 1878 beendete der Berliner Kongreß62

dieses Gebilde wieder und setzte an seine Stelle dreiTerritorien: das Fürstentum Bulgarien im Norden desBalkan-Gebirges, die Provinz Ost-Rumelien (alsautonomes Gebiet im Osmanischen Imperium) undMakedonien (das im Imperium verblieb).63 1885 folgtedie Wiedervereinigung Bulgariens, das auch denanschließenden Krieg gegen Serbien gewann, dendieses provoziert hatte, als es keine »Kompensation«für Bulgariens Territorialvergrößerung bekam.64

Bulgarien wiederum sah sich von höheren Zieleninspiriert, nämlich »die höchste geschichtlicheAufgabe des Bulgarentums auf der Balkanhalbinselerfüllt zu sehen: den Anschluß sämtlicher bulgari-scher nationaler Minderheiten an das Mutterland«.65

Osmanischer Besitz blieb Makedonien, und aufdieses richteten sich die Begehren der Südslawen, wasum 1910 zu endlosen Verhandlungen (samt Markie-rung »strittiger Gebiete«) und 1912 zum ErstenBalkankrieg führte. Dabei verdrängten die verbünde-ten Länder Serbien, Montenegro, Bulgarien undGriechenland zwar die Türken fast gänzlich ausEuropa, aber da man sich über die »Beute« Makedo-nien absolut nicht einigen konnte, folgte 1913 derZweite Balkankrieg, in den auch Rumänien eingriff.Der kurze, aber sehr blutige Krieg brachte eine Neu-ordnung des Balkans (s. Tabelle 1).

Mit Ausnahme von Rumänien (das Bulgarien in derDobrudsha 7300 Quadratkilometer abgenommenhatte) und Montenegro vergrößerten sich die Länder,indem sie Makedonien unter sich aufteilten: Griechen-land erhielt mit Ägäisch-Makedonien rund die Hälftedes makedonischen Territorums, Serbien mit Vardar-Makedonien das ethnische Kerngebiet (das mit derheutigen Republik Makedonien identisch ist), Bulga-rien das kleine Pirin-Makedonien.66 Dabei blieb es,

62 Detailliert zu den Kongreß-Bestimmungen vgl. Diepolitische Umgestaltung des Türkischen Reiches in Europaund Vorder-Asien nach dem Berliner Vertrage vom 13. Juli1878, in: Petermann�s Geographische Mittheilungen, (1878)10, S. 365�368.63 Nikola Stanev, Bălgarija pod igo � Văzra�dane i osvo-bo�denie [Bulgarien unter dem Joch � Wiedergeburt undBefreiung], Sofia o.J. [1935], S. 503ff.64 Bulgarien in Berlin, in: Die Zukunft, 27.7.1895,S. 145�154.65 Dimitri Jotzoff, Bulgarien nach dem Befreiungskrieg von1878, in: Iwan Parlapanoff (Hg.), Königreich Bulgarien1878�1928. Jubiläums-Almanach, Leipzig 1928, S. 82�92.66 Hermann Otto Bolesch, Bulgariens Gebietsverluste seit1913, in: Volk im Osten (Bukarest), (1941) 3�4, S. 17�19.

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(Groß-)Griechenland als byzantinische Verwirrung

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Tabelle 1

Neuordnung des Balkans nach dem Zweiten Balkankrieg

Land Größe 1912

(qkm)

Größe 1913 Einw. 1912

(Mio.)

Einw. 1913

(Mio.)

Bulgarien 96 345 121 745 4,1 4,47

Serbien 48 303 90 300 2,96 4

Rumänien 131 353 138 653 7 7,3

Griechenland 64 650 110 000 2,6 4

Gilbert in der Maur, Die Jugoslawen einst und jetzt, Bd. I, Leipzig 1936, S. 157ff.

obwohl Sofia jahrzehntelang anderes erstrebte:»Bulgarien will die Vereinigung aller seiner Söhneinnerhalb seiner völkischen und geographischenGrenzen, die den Raum zwischen Donau, SchwarzemMeer, Ägäis und Ochrida-See umschließen. Für dieVerwirklichung dieses nationalen Ideals hat Bulgarienjahrhundertelange Kämpfe geführt.«67 In beidenWeltkriegen schaffte es Bulgarien, im Bündnis mitDeutschland Makedonien größtenteils wieder unterseine Herrschaft zu bekommen,68 gleichfalls Thrakienmit dem Zugang zur Ägäis69 � um es nach Kriegsendewieder räumen zu müssen.70 Das klassische Ziel eines»Celokupna Bălgarija« (integrales Bulgarien), wie es inder bulgarischen Literatur und Presse immer genanntwurde, wurde nur kurzfristig erreicht, und am Endemußte man neben den makedonischen auch thraki-sche Gebiete aufgeben. Immer war es Bulgarienvorrangig um den Besitz von Makedonien gegangen.Tausend Jahre einer gemeinsam verbrachten Ge-schichte lassen sich nicht auseinanderdividieren, undwenn man es versucht, landet man im schlimmstenFall bei eskalierenden Konflikten, im Normalfall beifruchtloser Propaganda.71

67 Wenclav Protich, Die nationalen Probleme Bulgariens, in:Volk im Osten, (1941) 8, S. 14�15.68 Barten, Die territorialen Probleme Bulgariens [wieAnm. 61].69 Werner Piesold, Bulgarien am Weißen Meer, in: National-Zeitung (Essen), 13.4.1944.70 Richard Busch-Zanter, Bulgarien, Leipzig 1941, S. 94ff;Marshall Lee Miller, Bulgaria during the Second World War,Stanford, Cal. 1975, S. 174ff.71 Max Fischer, Die Zukunft der Balkanslawen, in: BerlinerTagblatt, 3.4.1934.

(Groß-)Griechenland alsbyzantinische Verwirrung

Griechenland ist Mitglied von NATO und EU und solltefolglich als beruhigendes Element in der balkanischenBebenzone wirken. Partiell tat es das auch, beispiels-weise 2001 durch seine Unterstützung der RepublikMakedonien gegen den aus dem Kosovo importiertenUÇK-Terrorismus. Damals schlossen beide Länderfaktisch ein Schutzbündnis gegen den groß-albani-schen Imperialismus, der auch nach Nord-Griechen-land ausgriff.72 Ein Jahr später blockierte es dieÜbernahme der NATO-Mission in Makedonien durcheine EU-Eingreiftruppe.73 Zehn Jahre vorher hatte eszwei totale Blockaden gegen Makedonien verhängtund ein Verhältnis zu Milo�evićs Serbien gepflegt, dasso freundschaftlich war, daß der Diktator glaubte, inGriechenland einen Partner für seine Pläne einerAufteilung Makedoniens gefunden zu haben.74

Griechenlands balkanische Regionalpolitik mutetgelegentlich irrational an: Dauerstreit mit der Türkeium Seegrenzen in der Ägäis, mit Makedonien umdessen Staatsnamen und Verfassung und ähnlichesmehr, bei welchem immer eine griechische Hypersen-sibilität im Spiel ist, die dem Nachbarn und potentiel-len Partner feindliche Absichten und aggressive Pläneunterstellt, die buchstäblich niemand nachvollziehenkann.75 Direkt hat Griechenland nach dem Zweiten

72 Detailliert dazu das Dossier: �ta hoće Abanci � Mapa, pateritorija [Was die Albaner wollen � die Landkarte und dasTerritorium], in: Reporter (Banja Luka), 27.2.2001, S. 29�32.73 Bericht in: Handelsblatt, 8.5.2002, S. 5.74 (Präsident) Kiro Gligorov (Interview), Priznanje za mir[Anerkennung für den Frieden], in: Ekonomska politika(Belgrad), 13.9.1993, S. 24�27.75 Pavlos Tzermias, Die Identitätssuche des neuen Griechen-tums, Freiburg (Schweiz) 1994, S. 112ff.

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Weltkrieg niemals Territorialansprüche vorgebracht,aber unter einem weitergefaßten Blickwinkel hängennoch viele Griechen »großen Ideen« an, die vor Jahr-hunderten geboren wurden und bis zur Gegenwartzur allgemeinen Unruhe auf dem Balkan beitragen. Eshandelt sich um zwei Ideen, mit denen Griechenlandoffenkundig den kulturellen und politischen Primatin Südosteuropa einfordert: Für die internationaleGemeinschaft präsentiert man sich als direkterNachfolger des antiken Griechenland, der »Wiege derDemokratie«, für die engere Region rekurriert man aufdas »griechische« Großreich von Byzanz.

Das Ergebnis sind die erwähnten griechischen Über-reaktionen, wie sie sich vor allem im »Namensstreit«mit Makedonien zeigten. Griechische und andereAnalytiker vermuten, daß der ganze Streit anfänglichnur ein Ablenkungsmanöver der Papandreou-Führungwar: Sie hatte EU-Gelder verschleudert, um sich an derMacht zu halten, und das »Makedonien-Problem« ausinnenpolitischen Motiven eskaliert, um von eigenenFehlern abzulenken.76

Wie hängt das alles mit der balkanischen Geschich-te zusammen, die die Griechen mit ihren Nachbarnjahrhundertelang als Untertanen türkischer Sultaneteilten? Kein südosteuropäisches Land hat die osma-nische Fremdherrschaft als so schrecklich erlebt, wiein späteren Darstellungen jeweils beschrieben. Dengeringsten Anlaß dazu hatten die Griechen, die zuallen Zeiten des Imperiums eine relativ unbehelligte,zeitweilig sogar privilegierte Stellung besaßen. Ihnenwar � in Gestalt des Ökumenischen Patriarchen vonKonstantinopel � eine Art Primat unter den orthodo-xen Nationalkirchen zugestanden worden. Und diePhanarioten � die griechischen Einwohner desKonstantinopler Stadtteils Fener � lieferten demosmanischen Hof, der sprichwörtlichen Hohen Pforte,zahlreiche Diplomaten, Dolmetscher, Beamte etc.77

Das alles reichte nicht hin, um das spezifischegriechische Sendungsbewußtsein zu kompensieren,das aus der Bibel, aus den Anfängen der Ausbreitung

76 Walter Althammer (Hg.), Makedonien � Probleme undPerspektiven eines jungen Staates, München 1999 (Südost-Institut München, Aus der Südosteuropa-Forschung, Bd. 10),insbesondere die Beiträge von K. Schrameyer (S. 9ff), J. Niehoff-Panagiotidis (S. 59ff) und L. Stepan (S. 75ff).77 Soweit nicht anders ausgewiesen, folgt die Darstellunghier der mehrteiligen Geschichtsserie »Historical Settings« imInternet, www.GoGreece.com/learn/history (zuletzt eingese-hen am 5.8.2002). Vgl. weiterhin Pavlos Tzermias, Neugriechi-sche Geschichte � Eine Einführung, 3. Auflage, Tübingen/Basel 1999.

des Christentums durch die »ökumenische« grie-chische Sprache und aus der »Hellenisierung desChristentums« durch die klassische griechischePhilosophie herrührte.78

Im Jahre 1821 wagten die Griechen einen nationa-len Aufstand, der 1832 zu ihrer Befreiung führte. ZweiMomente hoben diesen Aufstand aus der langen Reihebalkanischer Unruhen gegen die Osmanen heraus.Zum einen war schon Jahrzehnte vor seinem Ausbre-chen mit der megali idea (große Idee) ein strategischesZiel gesetzt worden, nämlich »die Grenzen griechi-scher Kultur wie einst im Byzantinischen Reich nocheinmal wieder mit den griechischen Staatsgrenzengedeckt und in einem neuen Griechischen Großreichvereint zu sehen«.79 Dabei war niemandem recht klar,wie dieses Großreich beschaffen sein sollte. War es als»Hellenische Republik« geplant, also als staatlicheIntegration der von Griechen besiedelten Gebiete,oder als »multinationales Großgriechenland«, dasunter Berufung auf Byzanz das Erbe des OsmanischenImperiums in Europa und Kleinasien antrat?80 DieInitiatoren dieses Konzepts waren Adamantios Korais(1748�1833) und Rigas Velestinlis Fereos (1757�1798).

Das zweite Moment des griechischen Aufstandszeigte sich bereits in seinem Verlauf und danach � derschwärmerische Philhellenismus, der in ganz Europaprominente Individuen (wie Lord Byron) und dieGroßmächte für die griechische Sache Partei nehmenließ. Im Grunde war er ein einziges Mißverständnis,denn die sentimentale Neigung der Europäer galt derAntike, die wiederum den Griechen nichts mehr sagteund von ihnen auch nicht bedacht wurde, da ihrSinnen und Trachten allein der Wiederherstellung des»griechischen« Kirchenstaates von Byzanz galt. DieVerträge von Adrianopel (September 1829) undKonstantinopel (Juli 1832) markierten dann Grenzenund Regierungssystem Griechenlands, in dem alserster König Otto den Thron bestieg, zweiter Sohn desBayern-Königs Ludwig I.. Mit dem Groß-Griechenlandder »megali idea« hatte dieser Staat wenig gemeinsam,da er kaum das klassische Hellas umfaßte. In derTheorie war Griechenland eine Muster-Demokratie, inder Praxis ein halbdiktatorisches Regime tribaler

78 Ernst Benz, Die Bedeutung der griechischen Kirche für dasAbendland, Wiesbaden 1959 (Akademie der Wissenschaftenund der Literatur � Abhandlungen der geistes- und sozialwis-senschaftlichen Klasse Nr. 5/1959).79 Hans-Henning Pantel, Griechenland zwischen Hammerund Amboss, Leipzig 1942, S. 22.80 Pavlos Tzermias, Die Identitätssuche des neuen Griechen-tums, Freiburg (Schweiz) 1994, S. 151ff.

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(Groß-)Kroatien als Herrenvolk-Projektion

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Oligarchien, die Premier Ioannis Kolettis vor allemdurch eine Wiederbelebung der Großen Idee zusam-menhielt: Griechenland muß »wiedervereinigt«werden, indem es die osmanischen Regionen anseinen Grenzen annektiert. Der Krim-Krieg bot Mittedes 19. Jahrhunderts eine Gelegenheit dazu, undKönig Otto ließ durch seine Truppen Thessalien undEpirus besetzen. Im damaligen Ausland verfolgte manzwar die internen Auseinandersetzungen und auswär-tigen Aktivitäten Griechenlands, glaubte aber nicht aneine vollständige Realisierung der Großen Idee.81

In den folgenden Jahren ergaben sich kleinereErfolge im Sinne der »megali idea«. Der neue Herr-scher Georg I. bekam 1863 die Ionischen Inselnzurück, die England seit 1815 besetzt hatte. Späterwaren die Großmächte bereit, auf dem Berliner Kon-greß 1878 Griechenland große Gebiete in Thessalienzuzusprechen. Damit setzte die sozusagen additiveImplementierung der Großen Idee ein, die in denfolgenden Jahren zu bemerkenswerten Territorial-gewinnen führte: 1880 Thessalien und Süd-Epirus,1912 Kreta, 1913 Nord-Epirus und Süd-Makedonien,1919 Thrakien und Smyrna samt der kleinasiatischenKüste. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte sichGriechenland territorial um 68 Prozent erweitert,danach unternahm es unter Premier Venizelos �einem Kreter und leidenschaftlichen Befürworter der»megali idea«, konkretisiert als »Griechenland derzwei Kontinente und der fünf Meere« � einen Feldzugins Innere Kleinasiens. Dieses Unternehmen stachelteMustafa Kemal Pascha, als Ata Türk der spätereBegründer der modernen Türkei, zu verzweifelterGegenwehr auf, die Griechenland eine katastrophaleNiederlage einbrachte. Der bei Beendigung derKämpfe vereinbarte ethnische Austausch (ethnicexchange) zwang 500 000 Türken zum VerlassenGriechenlands und rund 1,5 Millionen Griechen zumVerlassen der Türkei, und die unvermeidliche »Flücht-lingskrise« brachte das Land ökonomisch und poli-tisch an den Rand des Abgrunds. Die »megali idea« warfrüh gescheitert, ganz verschwunden ist sie nicht, undwenn gegenwärtige griechische Kommentatoren rechthaben, dann ist es so, daß »elements of this policyremain in force today«.82

81 G. Hertzberg, Die Ethnographie der Balkan-Halbinsel im 14.und 15. Jahrhundert, in: Mittheilungen aus Justus Perthes�Geographischer Anstalt (Gotha u.a.), (1878) 24, S. 125�136.82 Historical Settings [wie Fn. 81].

(Groß-)Kroatien als Herrenvolk-Projektion

Balkanische großflächige Beben, die den ganzen Raumnicht zur Ruhe kommen lassen und gelegentlichkriegerische Eruptionen zeitigen, können sich mit-unter geradezu melodisch äußern: Hrvatska, Bosna iHerzegowina jedna domovina (Kroatien, Bosnien und dieHerzegowina sind eine Heimat) behauptete seit 1995ein beliebtes Lied im Kroatien des ehemaligen Tito-Generals Franjo Tudjman. Wie selbstverständlichhatte dieser die Kroaten in Bosnien-Herzegowinavereinnahmt und sie, alle Bürger eines fremdenStaates, mit dem Recht ausgestattet, in Kroatienwählen zu dürfen. Dennoch haben im Januar 2000 dieKroaten die Tudjman-Bewegung Kroatische Demokra-tische Union (HDZ) abgewählt. Aber das manischeStreben Tudjmans (der einen Monat zuvor verstorbenwar) nach einem Groß-Kroatien ist nicht verschwun-den.83 Im Lande selber wirkt ein festgefügter Block vonUnterstützern dieses Konzepts. In Bosnien-Herzego-wina fordern die dort lebenden Kroaten eine dritte,kroatische »Entität« � eine Forderung, die wie eineFortsetzung von Tudjmans Absicht anmutet, Bosnienunter Serbien und Kroatien aufzuteilen.

Bei Diaspora-Kroaten im westlichen Auslandscheint das Bild von Groß-Kroatien noch sehr lebendigzu sein, das kroatische Faschisten im Zweiten Welt-krieg schufen. Dabei wäre dieses Gebilde nur dieRealisierung des kleineren Groß-Kroatien gewesen,dessen Entstehung der kroatische Landtag bereits am23. August 1878 von Kaiser Franz Joseph geforderthatte, nämlich »Bosnien dem Königreich Kroatien,Slawonien und Dalmatien einzuverleiben«. Bereitszehn Jahre zuvor hatten die extremistischen Verfech-ter des »kroatischen Staatsrechts« � Ante Starčević,Eugen Kvaternik, Ðuro De�elić u.a. � in Büchern undArtikeln immer wieder ein Groß-Kroatien beschrieben,das von Österreich bis Makedonien alle Regioneneinschließen sollte: Über Kärnten, Steiermark,Slowenien, Istrien, Kroatien, Dalmatien, Slawonien,Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Kosovo,Nord-Albanien und Nord-Bulgarien sollte »endlich dieFlagge des reinen, ungeschändeten Kroatienswehen«.84

83 Vgl. die Ergebnisse einer Umfrage, in: Globus, 12.1.2001,S. 23�26.84 Ausführlich dokumentiert von Vasilije Đ. Krestić, Velikapodvala � Srbi su izvor rata. Genocid u slu�bi velikohrvatskeideje [Die große Unterstellung � die Serben sind eine Quelledes Krieges. Völkermord im Dienst der großkroatischen Idee],in: Srpsko nasleđe (Belgrad), Nr. 15�17/1999.

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Balkanische Groß-Projekte

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Kroatiens Anfänge verbergen sich im historischenDunkel, Gestalt nahm es erst an, als es 1102 anUngarn fiel, wo es bis 1918 verblieb. Die Formen undAbhängigkeitsgrade dieser Unterstellung ändertensich, aber von einer Autonomie Kroatiens konnte nurbedingt die Rede sein: Es gab das »dreieinige König-reich Slawonien-Kroatien-Dalmatien«, das zu Ungarngehörte und bis zuletzt auf die Umwandlung derDoppelmonarchie Österreich-Ungarn in ein »trialisti-sches« Reich hoffte. Letztlich richtete sich derkroatische Ehrgeiz auf ein Groß-Kroatien innerhalbHabsburgs. Die Legitimation dafür bezog man ausdem »historischen kroatischen Staatsrecht«, einerGeschichtsinterpretation der unnachvollziehbarenArt, daß nämlich Kroatien ungeachtet seiner Zugehö-rigkeit zu Ungarn (seit 1102) und Österreich (seit 1557)eine jahrhundertelange Kontinuität der staatlichenUnabhängigkeit und nationalen Individualitätrepräsentiere. In Wien und Budapest interessierte dasniemanden, und als dieses nationalistische Autoste-reotyp im 19. Jahrhundert mit der realen SouveränitätSerbiens kollidierte, dürfte es sogar bruchlos in dieDivide-et-impera-Philosophie Habsburgs gepaßt haben.Das Imperium war von einer irrationalen Furcht vordem »Panslawismus« beseelt, den es als Programm undHandlungsanweisung zur Zerstörung Österreich-Ungarns auffaßte, welches Rußland konzipiert hatteund Serbien exekutieren sollte.85 Vor diesem Hinter-grund waren groß-kroatische Gedankenspiele erlaubt,auch wenn sie die erwähnten Übermaße annahmen:Die Länder »von Kroatiens Staatsrecht [reichen] vonDeutschland bis Makedonien, von der Donau bis zumAdriatischen Meer«. Um diese Ansprüche zu unter-mauern, bediente man sich eigener Namen für fremdeRegionen und fremde Völker: Alpen-Kroaten (Slowe-nen), Kärtner Kroatien (Slowenien), Türkisch-Kroatien(Bosnien), Weiß- und Rot-Kroatien (Dalmatien undMontenegro) etc.86

Dieses Groß-Kroatien hat im Zweiten Weltkrieg mehroder minder Gestalt angenommen. NachdemDeutschland, Italien, Ungarn und Bulgarien imFrühjahr 1941 Jugoslawien angegriffen und besiegthatten, bildeten sie den »Unabhängigen StaatKroatien« (Nezavisna Dr�ava Hrvatska, NDH) unterdem Usta�a-Führer Ante Pavelić. Pavelić bot demitalienischen Königshaus Savoyen die »Krone von

85 Bresnitz von Sydačoff, Die panslavistische Agitation und diesüdslavische Bewegung in Oesterreich-Ungarn, 2. Auflage,Berlin/Leipzig 1900.86 Vasilije Krestic, Trough Genocide to a Greater Croatia,Belgrad 1997.

Kroatien« an, und König Victor Emanuele bestimmteeinen Verwandten, den Herzog von Spoleto Aimonedazu, diese als Tomislav II., also als Nachfolger einesangeblichen mittelalterlichen »Königs von Kroatien«,anzunehmen. König Tomislav II. hat sein Reichniemals besucht, da die wahren Herrscher des NDHder deutsche Kommandant Siegfried Kasche und derPoglavar (Führer) Pavelić waren.87 Als Italien im Herbst1943 kapitulierte, dachten die Deutschen nicht daran,dessen adriatische Besitztümer etwa an die Kroatenzurückzugeben � sie bildeten sie zur »OperationszoneAdriatisches Küstenland« um und übernahmen sie ineigene Regie.88

Im Grunde waren es die Siege von Titos Partisanen,die Kroatien wirklich vergrößerten, etwa um die bis-lang italienische Halbinsel Istrien, allerdings vollzogsich diese Ausweitung nur innerhalb der jugoslawi-schen Föderation. Weil diese aber die (erwähnten)demokratischen Defizite auswies, mußten sich alteUnzulänglichkeiten und historische »Groß-Ansprüche«bis zur Gegenwart perpetuieren.89 Denn die seit Januar1992 international anerkannte Republik Kroatienkrankte in den rund zehn Jahren des Tudjman-Regimes an klassischen und indogenen groß-kroati-schen Symptomen: Aufteilung Bosnien-Herzegowinasunter Kroatien und Serbien bereits im Programm derOpposition 1972,90 Bündnis mit der NDH-Emigrationin Westeuropa und Südamerika samt Übernahme vonderen groß-kroatischer Ideologie,91 Absprachen imFebruar/März 1991 mit Milo�ević über eine AufteilungBosnien-Herzegowinas,92 Instrumentalisierung dertraditionell nationalistischen Kroaten der Hecegovinain doppelter Weise � um Bosnien-Herzegowina fürgroß-kroatische Pläne gefügig zu machen und umdiese Pläne in Kroatien selbst, wo sie nur geringesEcho fanden, als »nationales Ziel« zu propagieren.93

87 Robert Lee Wolff, The Balkans in Our Time, Cambridge,Mass. 1956, S. 201ff.88 Srđa Trifković, Nemci su ih se stideli [Die Deutschen habensich für sie geschämt], in: Duga (Belgrad), 30.8.1991, S. 90�93.89 Jeffrey Smith, Croatia Rapidly Abandoning AuthoritarianPast, in: Washington Post Foreign Service, 13.2.2000, S. A23.90 So Miko Tripalo aus eigenem Erleben in einem Interview,in: Star (Zagreb), (1995) 1, S. 10�17.91 Detailliert dazu: Dossier Usta�ki revival, in: Feral Tribune(Split), 22.1.1996, S. 19�22.92 Davor Butković, Je li Bosna izgubljena za Hrvatsku? [IstBosnien für Kroatien verloren?], in: Globus (Zagreb),18.6.1993, S. 2.93 So die Einschätzung von Peter Galbraith, früherer US-Botschafter in Kroatien; erwähnt bei Jeffrey Smith, CroatiaRapidly Abandoning Authoritarian Past, in: Washington Post

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(Groß-)Montenegro als staatliches Zufallsprodukt

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So die Planung � die sich allen Warnungen verschloß,auch und gerade solchen aus kroatischen Kreisen,»daß das Projekt einer Schaffung Groß-Kroatiensgenau wie Herrn Milo�evićs Projekt eines Groß-Serbienin einer Katastrophe enden wird«.94 Tudjman ver-ursachte noch im Mai 1995 einen internationalenSkandal, als er in London auf einer Speisekarteskizzierte, wie er Bosnien zwischen Kroatien undSerbien aufzuteilen gedenke.95 Seine Stoßrichtungblieb immer Bosnien, das »als Anhängsel einesvergrößerten Kroatien« fortbestehen sollte.96 Diehistorische Begründung dafür lieferte der Historiker�ime Đodan, der auch eine Zeitlang Verteidigungsmi-nister Kroatiens war, mit Argumenten, wie sieStarčević hätten einfallen können: »Bosnien ist dieGeschichte hindurch ein integraler BestandteilKroatiens«, »die Muslime waren vom Entstehen diesesStaates [Pavelićs NDH 1941, W.O.] begeistert«, »nachdem ethnischen Ursprung ist Bosnien heute zu 90Prozent kroatisch«, etc.97 Die Krönung aber lieferteTudjman, als er 1997 von »genetischen FeindenKroatiens« sprach und dazu alle Bosnier und Serbenzählte.98

(Groß-)Montenegro als staatlichesZufallsprodukt

Solange in Serbien Milo�ević die uneingeschränkteMacht ausübte, war Montenegro der letzte »Hebel«,den die internationale Gemeinschaft gegen ihn in derHand hielt. Darum durfte Montenegro nicht nur allesunternehmen, was seine Unabhängigkeit von Belgradunterstrich � Boykott »jugoslawischer« Gesetze undInstitutionen, Einführung der D-Mark als nationaleWährung, etc. �, es wurde zudem international fastwie ein souveräner Staat behandelt. Jetzt soll Monte-negro nach dem Willen der internationalen Gemein-schaft einen »neu definierten« Staatenbund mitSerbien eingehen, dabei aber das Gros früherer

Foreign Service, 13.2.2000.94 Jelena Lovric, The Knife over Bosnia, in: The Independent,3.8.1992.95 Bericht und Karte in: Feral Tribune, 14.8.1995, S. 14�15.96 Bosnien � Tudjmans neue Grenzen, in: Der Spiegel, (1997)46, S. 159.97 �ime Đodan (Interview): Pravoslavci u BiH su Hrvati [DieOrthodoxen in Bosnien sind Kroaten], in: Njeljna Dalmacija,20.1.1999, S. 43�44.98 Miljenko Jergović, Predsjednikovo poigravanje genima [DesPräsidenten Spiel mit Genen], in: Tjednik, 31.10.1997,S. 16�17.

Sondervollmachten behalten dürfen. Nicht nur inSerbien bezweifeln berufene Experten, daß eine solcheKonstruktion eine Zukunft hat.99 Hat sie keine, danngibt es auf dem Balkan einen weiteren Kleinstaat, derseine Schwächen in der Ökonomie durch Schmuggelund seine Defizite an nationaler Identität mitPhantasien eines Groß-Staates kompensieren könnte.

Die Republik Montenegro � bis zum 4. März 2002Teil der Bundesrepublik Jugoslawien, seither (und fürdrei Jahre) Teil des »neu definierten« StaatenbundesSerbien-Montenegro � mißt heute 13 967 Quadratki-lometer, ist also deutlich kleiner als etwa das deutscheBundesland Schleswig-Holstein (15 764 qkm). In histo-rischer Sicht weist das montenegrinische Territoriumnicht ganz das Optimum dieses kleinen Staates auf,der in den Anfängen der osmanischen Eroberung desBalkans bis auf ein Zehntel seines heutigen Umfangszurückgedrängt war und um 1500 faktisch nur ausder alten Hauptstadt Centinje und ihrem engerenHinterland bestand und in seiner längsten Ausdeh-nung keine 100 Kilometer erreichte. Bis 1796 hatte dasUr-Montenegro eine Fläche von 1500 Quadratkilo-metern, dann verdoppelte es sein Territorium durchdie Aneignung der Region Bjelopavlići. Dieser erstenfolgten im Verlauf von 120 Jahren noch acht weitereErwerbungen, wodurch Montenegro bis 1913 seinTerritorium nahezu verzehnfachte (15 000 qkm).Serbien hatte dieser »groß-montenegrinischen«Ausdehnung nichts Vergleichbares entgegenzusetzen,da es 1804 gerade 24 000 Quadratkilometer umfaßte,die sich bis 1913 auf 87 000 vermehrten.100

Eine interessante Phase durchlebte Montenegro imZweiten Weltkrieg, an die freilich später aus begreif-lichen Gründen nicht mehr gern erinnert wurde. MitKriegsausbruch sah Italien sein Ziel greifbar nahe, dieAdria zum Mare nostrum zu machen, weswegen Romseinen Druck auf Montenegro bis zur faktischenInbesitznahme steigerte.101 Die italienische Dominanzwurde als »Unabhängigkeitserklärung« Montenegrosdeklariert und am 12. Juli 1941 von einer »konstituie-renden Nationalversammlung« verkündet.102

Dieses Montenegro war territorial nahezu identischmit der Zeta-Banovina, einer der neuen Territorialein-heiten, die 1929 anstelle der historischen Länder

99 Mlađan Dinkić, Evropska unija i reforme u Srbiji [Die EUund die Reformen in Serbien], in: Vreme, 13.6.2002, S. 32�34.100 �ivko M. Andrija�ević, Stvarne granice Crne Gore [Diewahren Grenzen Montenegros], in: Monitor, 25.1.2002,S. 32�33.101 Montenegro, in: Frankfurter Zeitung, 14.7.1941.102 Wortlaut in: Neue Zürcher Zeitung, 14.7.1941.

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Balkanische Groß-Projekte

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eingeführt worden waren. Es umfaßte also denSand�ak und Teile des Kosovo und kam dadurch aufeine Größe von rund 30 000 Quadratkilometern mitknapp einer Million Einwohnern. Im Grundewiederholte sich bei Montenegro das, was in dieserZeit auch mit Albanien geschah: Zwei balkanischeKleinstaaten gerieten unter die Botmäßigkeit Italiens,wurden territorial enorm vergrößert, politisch vonRom aus dirigiert und ökonomisch ausgebeutet. AlsItalien 1943 kapitulierte, erklärten am 11. SeptemberAlbanien und Montenegro ihre Unabhängigkeit � wasnur hieß, daß sie fortan unter deutschem Befehlstanden. Mitte Dezember 1943 bildeten die deutschenMilitärbehörden in Montenegro einen achtköpfigenNationalen Generalrat, der »Verfügungen mitministerieller Vollmacht« traf.103 Nach 1945 gab esnoch einige Territorialveränderungen für Montene-gro, das Gebiete an das Kosovo abgeben mußte, dafüraber den adriatischen Naturhafen Boka Kotorska samtHinterland bekam. Kroatische Nationalisten haben dasnie akzeptiert,104 neuerdings wollen auch serbischeNationalisten Montenegro diesen Besitz streitigmachen.105 Die einen wie die anderen behaupten, dieBoka gehöre historisch zu Kroatien bzw. sei 1918direkt von Österreich-Ungarn an Jugoslawien gelangt.

Wortführer der Serben in dieser Frage ist GavroPerazić, der dabei mit Ferhat Dinosha, dem Führer der(ca. 50 000) Albaner in Montenegro, eine Sprachefindet: Montenegro habe sich im Laufe seiner jünge-ren Geschichte auf Kosten Serbiens bzw. Albaniensvergrößert. Die Montenegriner halten dagegen, daßsie nur »eigene historische Territorien« zurückholten,das heißt, »der neuzeitliche montenegrinische Staatals legitimer Nachfolger des mittelalterlichen StaatesDuklja und Zeta hat mit der Anfügung benachbarterGebiete nur das erworben, was ihm bereits einmalgehört hat«. Von diesem Prinzip sei Montenegro nurzweimal abgewichen � als es 1915 nordalbanischeRegionen um Shkoder annektierte und als es imZweiten Weltkrieg das west-kosovarische Metohija zuseinem Bestand zählte �, was inzwischen längst korri-giert sei.106 Einen Anspruch auf weitere Territorienheute erneut aufzustellen, entspräche dem »Stil«gegenwärtiger balkanischer Groß-Projekte. Bei Monte-

103 Meldung in: Pester Lloyd, 18.12.1943.104 Josip Pečarić, Kako su komunisti »prodali« Boku Kotorsku[Wie die Kommunisten die Boka Kotorska »verkauft« haben],in: Hrvatsko Slovo (Zagreb), 24.7.1998.105 Bericht in: Jutarnje novine (Belgrad), 14.12.2001.106 �ivko M. Andrija�ević, Stvarne granice Crne Gore [Diewahren Grenzen Montenegros], in: Monitor, 25.1.2002.

negro käme noch ein weiterer potentieller Konfliktfallhinzu: Zwischen Serbien und Montenegro liegt derSand�ak, der zwischen beiden Ländern geteilt werdenmüßte, sollte Montenegro jemals ein unabhängigerStaat werden.

(Groß-)Rumänien als nationalistischeIrrealität

Von 1918 bis zum Zweiten Weltkrieg gab es in Süd-osteuropa den Staat România Mare (Groß-Rumänien),und dieser Staatsname wirkte damals so neutral wieanderweitig etwa Groß-Britannien. Das postkommuni-stische Rumänien nennt sich bündig România � ohnejeden Zusatz wie etwa Republica �, und bei eineretwaigen Prüfung auf Anfälligkeit für großstaatlicheIdeen würde das Land im Verein mit Bosnien undMakedonien zu den wenigen gehören, die als davonunbelastet angesehen werden könnten. Das wiegt umso mehr, als dem Land seit über einem Jahrzehnt dieWiedervereinigung mit seinen östlichen Landesteilen,der ehemaligen Sowjetrepublik Moldawien, verwei-gert wird. Was im Falle Deutschlands allgemein akzep-tiert war, daß nämlich »ein vereintes Europa miteinem gespaltenen Deutschland ein Unding ist undumgekehrt« (Václav Havel 1990), wird im FalleRumäniens schlichtweg vergessen. Die Rumänentragen es mit der für sie charakteristischen Geduld,und diese Geduld läßt auch jene Extremistengruppennicht zum Zuge kommen, die groß-rumänischesGedankengut in typisch balkanischer Weise zumpolitischen Programm erhoben haben.

Als »enigma şi miracolul istoric« (Rätsel und Wun-der der Geschichte) haben sich die Rumänen immerempfunden, weil die Geschichte ihres Landes undVolkes in völlig ungewohnten Bahnen verlaufen ist.Nur 170 Jahre war die Heimat der Daker und Getenunter römischer Herrschaft (105�275 n.Chr.), aberdiese relativ kurze Phase � erheblich kürzer als beianderen Völkern unter der Hoheit Roms � reichte aus,um nicht nur eine dauerhafte Romanisierung derautochthonen Bevölkerung zu initiieren, sondernauch die »romanitatea românilor« (Romanität derRumänen) zur »Grundkomponente rumänischenSelbstverständnisses« zu machen: Abstammung, ethni-scher Zusammenhang, Geschichtsinterpretation,kollektive Kulturrezeption und Überleben des Volkeswurden stets im Zusammenhang damit gesehen.107

107 Adolf Armbruster, Romanitatea Românilor � istoria unei

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(Groß-)Rumänien als nationalistische Irrealität

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Im 13. Jahrhundert war die Romanisierung abge-schlossen, das heißt, aus romanisierten Dakern undGeten waren Rumänen, aus der Regionalvarietät desVulgärlateins die rumänische Sprache geworden, undnördlich der Donau etablierte sich mit den Dako-Rumänen der größte Stamm des rumänischen Ethni-kums so fest, daß er selbst eindringende Slawen-stämme assimilierte.108 Zeitgleich entstanden dieersten rumänischen Fürstentümer: 1290 die Walachei(Oltenien) unter Basarab, 50 Jahre später die Moldauunter Bogdan, die sich geschickt gegen den vonUngarn und Serben ausgeübten Druck behaupteten.Im 18. Jahrhundert waren die rumänischen »Donau-Fürstentümer« sogar in der günstigen Lage, daß dieOsmanen sie nicht mehr völlig beherrschen konntenund die Russen, die unter Katharina II. zur »dominie-renden Ostmacht« geworden waren, sie im Interessedes europäischen Gleichgewichts nicht annektierendurften.

Die eigentliche Vereinigung Rumäniens folgte imVerlauf und nach dem Ende des Ersten Weltkriegs.Rumänien hatte lange gezögert, sich überhaupt amKrieg zu beteiligen. Erst im August 1916 trat es aufseiten der Entente ein, und am Kriegsende stand imHerbst 1918 die »unire« (Vereinigung) Transilvaniens,Besarabien und der Bukowina mit dem KönigreichRumänien, das sich fortan România Mare (Groß-Rumänien) nannte.109

Das Vechiul Regat (Alte Königreich) hatte 137 903Quadratkilometer gemessen und 7,9 Mio. Einwohnergezählt, Groß-Rumänien brachte es auf 294 244Quadratkilometer und 16,3 Mio. Einwohner. Dieseverteilten sich auf zahlreiche Volksgruppen:Rumänen � 11,8 Mio., Ungarn � 1,6 Mio., Juden �900 000, Ukrainer � 792 000, Deutsche � 725 000,Bulgaren � 290 000, Zigeuner 285 000, Türken �170 000, etc. Die ethnische Vielfalt und das enormeEntwicklungs- und Erfahrungsgefälle zwischen deneinzelnen Landesteilen von Groß-Rumänien bedingtenein sorgsam austariertes Verhältnis zwischen zentra-len und dezentralen Elementen in Administrationund Legislative, was in der Praxis so ausfiel, daß dieVerfassung vom März 1923 der rumänischen Titular-

idei [Die Romanität der Rumänen � Geschichte einer Idee],Bukarest 1993.108 Manfred Huber, Grundzüge der Geschichte Rumäniens,Darmstadt 1973 (Grundzüge Bd. 23), S. 10ff.109 Eine bemerkenswerte Vielfalt relevanter Dokumente zuKrieg und Vereinigung sind gesammelt bei Viorica Moisuc,Basarabia Bucovina Transilvania � Unirea 1918, Bukarest1996.

nation einen gewissen Vorrang einräumte, währenddie aus ihr folgenden Verwaltungsbestimmungen deneinzelnen Regionen ein hohes Maß an administrativerund politischer Autonomie zubilligten.110

Nach noch nicht einmal zwei Jahrzehnten warGroß-Rumänien wieder am Ende, obwohl es dieüblichen Balkan-Mängel � politische Radikalisierungund ökonomischen Niedergang � relativ gut über-standen hatte.111 Ende Juni 1940 wurde Rumäniendurch deutschen Druck gezwungen, Besarabien unddie Bukowina an die Sowjetunion abzugeben. Am30. August 1940 folgte der zweite Wiener Schieds-spruch, durch den Rumänien rund 44 000 Quadrat-kilometer in Nord-Transilvanien und ca. 2,5 Mio.Einwohner an Ungarn verlor. Und im Vertrag vonCrăiova überließ es am 7. September 1940 schließlichdie südliche Dobrudsha Bulgarien.112 Rumänien hatterund 33 Prozent seines Territoriums und 34 Prozentseiner Bevölkerung verloren und umfaßte noch193 569 Quadratkilometer, als es (wie auch Ungarn)auf deutscher Seite in den Krieg gegen die Sowjet-union eintrat.113 Im Krieg wurden Besarabien und dieBukowina zurückerobert, dazu Transnistrien bisOdessa annektiert � nicht für lange. Am 23. August1944 scherte Rumänien aus der deutschen Front ausund besiegelte so die Niederlage der deutschenTruppen in Südosteuropa.114

Der einstige administrative Begriff România Mareist im postkommunistischen Rumänien zum Signumeines rechtsextremen, nationalistischen Netzwerksgeworden, dessen Mittelpunkt Corneliu Vadim Tudorist (*1949), der »poet al casei« (Hofdichter) desDiktators Nicolae Ceauşescu. Lange nach dessen Sturzund der rumänischen Revolution (Dezember 1989)gründete er am 20. Juni 1991 seine Partidul RomâniaMare (Partei Groß-Rumänien, PRM), die zeitweilig eineRegierungskoalition mit Iliescus Sozialdemokraten(PDSR) eingegangen war. Im September 1992 wurdeTudor für Bukarest in den Senat des rumänischenParlaments gewählt, wo er als dessen Sekretär

110 C. G. Rommenhoeller, La Grande-Roumanie, La Haye 1926,passim.111 Wolf Oschlies, Rumäniendeutsches Schicksal 1918�1988:Wo Deutsch zur Sprache der Grabsteine wird..., Köln/Wien1988.112 Alfred Thoss, Die Umsiedlungen und Optionen imRahmen der Neuordnung Europas, in: Geopolitik, (1941) 3,S. 125�136.113 Walter Hoffmann, Rumänien von heute, Leipzig 1941,S. 6ff.114 Huber, Grundzüge [wie Fn. 108], S. 127ff.

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Balkanische Groß-Projekte

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amtierte. In seiner Zeitung »România Mare« pflegtTudor einen aggressiven Nationalismus, der ihm vieleProzesse eintrug und, erstmalig in der Geschichte desParlaments, eine Aufhebung seiner Immunität alsAbgeordneter. Geschadet hat ihm das nicht: Die PRMkann stets auf gut 20 Prozent der rumänischenWählerstimmen rechnen.

Die Programmdokumente der PRM, insbesondereihre »Doctrina Naţională«, sind Zeugnisse einesextremen Nationalismus nach innen und einerausgeprägten Xenophobie nach außen � typischeEigenheiten ehemaliger Mitarbeiter kommunistischerGeheimdienste, die den Kern der PRM bilden.115 DerenHand läßt sich auch in den »Prioritäten« der Partei-arbeit vom September 2000 erkennen, unter denenbeispielsweise genannt werden: »Rückholung des seit1917 in Rußland zurückgehaltenen Staatsschatzes«,»Rehabilitierung des Prestiges der RumänischenArmee«, »Gründung eines Komitees zur Untersuchungantirumänischer Aktivitäten« (Comitet pentruCercertare Activităţilor Antiromâneşti), »Wiederher-stellung der rumänischen Staatsautorität in denBezirken Harghita und Covasna« (in denen zahlreicheUngarn leben), »Beschleunigung einer friedlichen undirreversiblen Wiedervereinigung mit Besarabien undder Bukowina«, Festigung des »rumänischen nationa-len Einheitsstaates«.116

(Groß-)Serbien als Verlierer-Option

Die Serben sind das größte Volk unter den Südslawen.Nach Aussage des UNHCR hält es gegenwärtig nocheinen weiteren Rekord: Relativ zur Bevölkerungszahlbeherbergt es die meisten Flüchtlinge. Zudem ist esökonomisch das ärmste Volk (oder war es bis 2001),und für alle seine Mankos gibt es eine Ursache:Serbien ist in jüngster Zeit von Politikern zerstörtworden, die die »Macht im Namen der Geschichteverlangten«. Zu dieser Geschichte gehört vorrangig die»Idee von Groß-Serbien« (ideja o velikoj Srbiji), undbeide sollte man »an den Ort bringen, wo sie hingehö-ren, ins Archiv der Irrtümer des serbischen Volkes«.117

115 Edith Lhomel, Double langage du pouvoir roumain, in: LeMonde diplomatique, März 2001, S. 18.116 Wortlaut in: www.romare.ro/partid/50masuri.html(eingesehen am 5.8.2002).117 Nade�da Radović, Da li smo zavr�ili sa snovidjenjimaVelike Srbije? [Haben wir mit den Traumgebilden von Groß-Serbien Schluß gemacht?], in: Bulevar (Belgrad), 23.11.2001.

»Erst wenn es klein sein wird«, lästerte im März2002 der serbische Aphoristiker Zoran Rankić, »wirdGroß-Serbien bestehen.« So kann man es auch sagen �daß jeder Versuch, ein imaginiertes Groß-Serbien zuerlangen, damit endete, daß das real existente Serbienschmerzhaft verkleinert wurde. Milo�ević war, wasdie Minimierung Serbiens angeht, besonders aktiv,allerdings ohne jeden Konnex mit Groß-Serbien,obwohl ihm gerade dies in der internationalenPublizistik fast schon inflationär nachgesagt wird.Serbische Analytiker und Regimekritiker wie Neboj�aPopov haben Milo�ević als skrupellosen Populistenbeschrieben, der aber keinen Gedanken an ein »Groß-Serbien« verschwendete.118 Bei genauerer Prüfungwird es auch jedem anderen sehr schwer werden, jaunmöglich sein, in Milo�evićs Äußerungen entspre-chende Belege zu finden. Das betrifft vor allem diespäten 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, als er, damalskommunistischer Führer in Serbien, bei seinemrepressiven Vorgehen gegen den albanischen Nationa-lismus im Kosovo auf die Beseitigung des allgemeinenMißtrauens gegen Serbien und Beistand für dieseshoffte: »Serbien hat, wie bekannt ist, keinerlei An-sprüche auf Territorien anderer Republiken, aber eshat Anspruch auf das Territorium seiner eigenenRepublik. [...] Und dabei erwartet Serbien die Unter-stützung aller Republiken.«119

Es ist zwecklos und irreführend, von den eigent-lichen und nachweisbaren Verbrechen dieses Mannesablenkend in Milo�ević den Ideologen und Inspiratorgroß-serbischer Unternehmungen zu suchen. Dasbesorgten andere, vor allem Vojislav �e�elj, Vorsitzen-der der Serbischen Radikalen Partei (SRS), der sich imMärz 1991 in Belgrad so vernehmen ließ: »Wir habendoch heute gar keinen Staat Serbien. Denn der StaatSerbien, für den wir eintreten, ist ein Serbien, zudessen Bestand Kosovo, Metohija, Vojvodina, Makedo-nien, Montenegro, Bosnien, Herzegowina und weiteregehören.«120

Titos Partisanen hatten am 29. November 1943 imbosnischen Jajce eine Neugliederung Jugoslawiens»auf föderativer Grundlage« beschlossen. Eine exakteGrenzziehung hatte man für später vorgesehen, aber

118 Neboj�a Popov, Srpski populizam � Od marginalne dodominantne pojave [Serbischer Populismus � Von einermarginalen zur dominanten Erscheinung], Beilage zu: Vreme,24.5.1993.119 Slobodan Milo�ević, Godine raspleta [Jahre der Verwir-rung], 4. Auflage, Belgrad 1989, S. 264ff.120 Zit. in einem Film über Milo�ević im MontenegrinischenFernsehen (TVCG), 26.9.2000.

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(Groß-)Serbien als Verlierer-Option

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allein die Absicht, »für fünf Völker sechs föderativeEinheiten« zu schaffen, löste eine Gegenbewegungunter den Serben aus. Bei denen kämpften noch dieČetnici von Dragoljub Mihajlović, und die veranstalte-ten Ende Januar 1944 als Antwort auf Jajce ihren»Kongreß des Heiligen Sava«, auf welchem nochmalsdas 1941 entstandene Konzept eines »homogenenSerbien« bekräftigt wurde. Dieses umfaßte nicht nurdie von �e�elj genannten Territorien, sondern weiter-hin Gebiete in Südungarn (Pecs � Baja � Szeged),Südwestrumänien (Timişoara � Reşiţa), Westbulgarien(Vidin � Kjustendil), Nordalbanien (Shkodër) und fastganz Dalmatien samt der Adriaküste bis Zadar.121

In modifizierter Form hat das Konzept bis in diespäten 90er Jahre des 20. Jahrhunderts bestanden,getragen vor allem von dem Romancier Vuk Dra�kovićund seiner Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO).Dra�ković � ein Bewunderer von Mihajlović und denČetnici, für deren »Rehabilitierung« er streitet �konkretisierte 1997 seine groß-serbischen Visionen:»Natürlich ist eine neue Balkan-Föderation nötig, abersie kann allein unter der Ägide der serbischen Monar-chie gebildet werden, und zu ihr werden mit der Zeitalle Völker der Region stoßen. [...] In Zukunft werdenalle Völker Bosniens ihre nationalen Rechte als Teileines neuen Serbischen Commonwealth auslebenkönnen.«122

Als Urheber groß-serbischer Ansprüche (und ihrerBegründung mit »historischem Recht«) gilt IljaGara�anin (1812�1874). Als serbischer Innenministerentwarf er 1844 ein Regierungsprogramm, dessenaußenpolitischer Teil später als »Načertanije« (Ent-wurf) bekannt wurde. Darin verfolgte Gara�anin,beeinflußt von tschechischen und polnischen Vorläu-fern, zwei Gedanken: Serbien von den Osmanen völligzu befreien und es nicht unter den Einfluß Österreichsund Rußlands geraten zu lassen. Das Ende desOsmanischen Imperiums schien bevorzustehen, undRußland und Österreich betrachteten sich als dessenErben auf dem Balkan. Um die Befreiung Serbiens zufördern und seine erneute Fremdbeeinflussung zuverhindern, postulierte Gara�anin eine staatliche Kon-tinuität des Groß-Reichs Du�ans aus dem 14. Jahrhun-

121 Marko Pavlović, Od Velike do Male Srbije [Vom großenzum kleinen Serbien], in: Pogledi (Novi Sad), 6.9.1991, S. 12�15.122 Jean Arnault Dérens, Rude Awakening for the Orphans of»Greater Serbia«, in: Le Monde diplomatique, November 1997(englische Übersetzung in: www.en.monde-diplomatique.fr/1997/11/serbia.html).

dert, die als Vereinigung aller Serben realisiert werdensollte.123

Im Grunde gab es nur einen wirklichen Groß-Serben: Stevan Moljević (1888�1967), ein Jurist ausBanja Luka, der im Zweiten Weltkrieg Berater desČetnik-Führers Mihajlović war und diesem im Juni1941 sein Konzept für ein »homogenes Serbien«unterbreitete. Bei dessen Bemessung bediente sich derAutor ungehemmt bei ungarischen, rumänischen,bulgarischen, albanischen und kroatischen Territori-en.124 Zur Begründung hieß es, den Serben sei als ersteund grundlegende Pflicht auferlegt, ein homogenesSerbien zu schaffen und zu organisieren, das dasgesamte ethnische Gebiet umfaßt, auf dem Serbenleben, und in ihm notwendige strategische undVerkehrslinien und -knotenpunkte sowie Wirtschafts-gebiete zu sichern, damit für alle Zeiten ein freieswirtschaftliches, politisches und kulturelles Lebenund eine Entwicklung möglich und sicher würden.

Das Memorandum von Moljević ist gerade in Ser-bien noch immer als abschreckendes Beispiel bekannt,auch wenn man dort � nur dort � darauf hinweist,daß es zeitgleich zur Realisierung von Groß-Kroatienunter dem Regime der Usta�e entstand.125 Diese nichtunwesentliche Parallele fehlt anderswo, dafür gibt esaußerhalb Serbiens Aussagen über den Groß-Serbis-mus, die in Kenntnis der Details absurd wirken. Als»Groß-Serbe« wird etwa der (in Deutschland bestensbekannte) Geograph Jovan Cvijić (1865�1927) ange-führt, aus dessen Werken126 man nur erfahren kann,was »Grenzen« auf dem Balkan sind und welcheProbleme sich ergeben, wenn man natürliche Grenzenund ethnische Abgrenzungen im Dienste einer »Selbst-bestimmung der Völker« zu staatlichen Demarkations-linien umwidmen will. Als Groß-Ideologe wirdweiterhin Vasa Ćubrilović angesehen. Ćubrilović(1897�1991) war in jungen Jahren ein serbischerTerrorist in Bosnien, später ein extrem nationalisti-scher Historiker, der in den 30er und 40er Jahren desvorigen Jahrhunderts in zwei Memoranden die totaleVertreibung aller Albaner aus Jugoslawien propa-gierte.127 Dieser Autor wäre längst vergessen, würden

123 Edgar Hösch, Geschichte der Balkanländer. Von derFrühzeit bis zur Gegenwart, 2. Aufl., München 1993, S. 155.124 Vgl. die Karte in: Pogledi (Kragujevac), 6.�20.9.1991.125 Nenad Canak et al., Regional Integrations? The Wars thatCame and Might Yet Come, in: East European ConstitutionalReview, (2001) 2�3.126 Vgl. vor allem Jovan Cvijić, Govori i članci [Reden undArtikel], Belgrad 1921.127 Text und Kommentar bei Wolfgang Petritsch et al., Kosovo

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seine Tiraden nicht von Zeit zu Zeit in albanischenMedien nachgedruckt.128 Ćubrilović war ein Volksver-hetzer und ähnliches mehr, aber kein Groß-Serbe.

Verfehlt erscheint es auch, das sogenannte Akade-mie-Memorandum vom September 1986 als groß-serbisches Plädoyer einzuordnen. Streng genommenhat es niemals ein solches Memorandum gegeben,vielmehr einen Entwurf einer kleinen Gruppe vonMitgliedern der Serbischen Akademie der Wissen-schaften und Künste (SANU),129 den die Institutionselber nicht akzeptierte.130 Als erste Auszüge aus demEntwurf im Westen auftauchten, empfand man sie als»sensationelles Papier« und druckte sie nach.131 Unddas war der Entwurf auch � der zum größeren Teil dieWirtschaftsschwächen Jugoslawiens, zum kleinerendie Lage der Serben innerhalb und außerhalb Serbiensanalysiert und dabei einige gefährliche Tatsachenerwähnte, beispielsweise die offene oder versteckteBenachteiligung Serbiens als Teilrepublik und derSerben in anderen Teilrepubliken.132 Das SANU-»Memorandum« war direkt weder gefährlich nochgroß-serbisch. Allerdings wurde es rasch dazu,nachdem sich inferiore Machtpolitiker wie Milo�evićseiner eklektizistisch bedienten und zum Beispiel diePassagen über die geminderte Staatlichkeit Serbiensnutzten, um im Namen einer »Restitution der Staat-lichkeit Serbiens« ihr diktatorisches Regime über dieautonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo aus-zuweiten. Das war kein Groß-Serbismus (den Milo�evićohnehin nur in der nichtssagenden Simplifizierungseines Diktums »Alle Serben in einem Land« rezipierthatte).

Ob man Milo�ević groß-serbischer Aspirationenbeschuldigt oder nicht, ist insofern unwesentlich, alser lange Jahre die Zentralfigur eines extremistischenSpektrums war, in dem sich groß-serbische Gedankenohnehin mit rassistischen, aggressiven, militaristi-schen, xenophoben, konspirativen Überlegungen undTaten vermengten. Die schillerndste Figur in diesemKreis war �e�elj (*1954) als Führer der Serbischen

� Kosova. Mythen, Daten, Fakten, Klagenfurt/Wien/Ljubljana/Tuzla/Sarajevo 1999, S. 114ff.128 In: Dardania (Wien), (1993) 2�3, S. 180�200; Kristaq Priftiet al. (Hg.), The Truth on Kosova, Tirana 1993, S. 178ff.129 Velizar Zečević, Memorandum jedne akademije [DasMemorandum einer Akademie], in: NIN, 26.10.1986, S. 14�15.130 Details in einem »Dossier«, in: Vreme (Belgrad),17.7.1995, S. 40�47.131 In: Die Welt, 10.11.1986.132 Wortlaut in: Na�e teme (Zagreb), (1989) 1�2, S. 128�163;umfangreiche Auszüge bei Detlef Kleinert, Inside Balkan �Opfer und Täter, Wien/München 1993, S. 98ff.

Radikalen Partei (SRS). Deren Parteiblatt heißt bezeich-nenderweise »Velika Srbija« (Groß-Serbien). Ende der80er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde �e�elj inWesteuropa als bedauernswerter »Dissident« herum-gereicht, obwohl er zu keiner Zeit ein Hehl aus seinengroß-serbischen Ansichten gemacht hat. Noch Anfang1996 erklärte er in einem Interview,133 daß »wir« gernin die NATO-Partnerschaft für den Frieden eintretenwürden, allerdings nur unter der Bedingung, daß manserbischen Truppen die Kontrolle über etwa zweiDrittel des kroatischen Territoriums überließe; dasseien serbische Gebiete, »die wir nie aufgeben undunter geeigneten historischen Umständen zurückbe-kommen werden«. 1998 bekannte er sich dazu, dieWestgrenze Serbiens entlang der Linie Virovitica�Karlovac�Karlobag ziehen zu wollen, also außer ganzBosnien auch ganz Slavonien und Dalmatien zuvereinnahmen.134

(Groß-)Ungarn als nationalistischeSelbstschädigung

Hat sich die NATO im März 1999 mit Ungarn einentypisch balkanischen Unruhestifter in die Allianzgeholt, der ständig mit unnötigen, unbedachtenErinnerungen an Groß-Ungarn politische Beben imregionalen Umfeld auslöst? Ende 2001 und im Früh-jahr 2002 haben ungarische Spitzenpolitiker dienationale Karte gespielt � in einer Weise, die in Ost-und Südosteuropa für beträchtliche Aufregung sorgte.Budapests Versuch, die Ungarn im Ausland per»Statusgesetz« enger an Ungarn zu binden � ausge-nommen die »österreichischen Ungarn, denn denengeht es so gut, daß sie keine Hilfe von Budapestbenötigen« �, stieß in Bratislava, Kiew, Bukarest,Belgrad, Zagreb, Ljubljana etc., also in allen Staatenmit ungarischen Minderheiten, auf deutliche Ableh-nung.135 Die Erklärung des ungarischen PremiersViktor Orbán, Tschechien und die Slowakei dürftenerst dann in die EU kommen, wenn sie die »Bene�-Dekrete« (mit denen der tschechoslowakischePräsident im Sommer 1945 Repressalien gegenDeutsche und Ungarn im Lande verfügt hatte) außerKraft setzten, wurde im Ausland als arrogante Anma-

133 In: Vreme, (1996) 2�3.134 Interview in: Dani (Sarajevo), 25.11.1998.135 Srdjan Ba�ić, Istorijski uspeh ili diplomatiski fijasko[Historischer Erfolg oder diplomatisches Fiasko], in: Bulevar,22.2.2002.

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(Groß-)Ungarn als nationalistische Selbstschädigung

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Tabelle 2Verluste Ungarns im Vertrag von Trianon 1920

Ungarn bis 1918 nach 1920

Größe (qkm) 282 870 91 114

� Territorium an Rumänien 102 114

� Territorium an Tschechoslowakei 62 937

� Territorium an Jugoslawien 20 956

� Territorium an Österreich 4 798

Bevölkerung (Mio.) 18,264 7,481

� Bevölkerung an Rumänien 5,265

� Bevölkerung an Tschechoslowakei 3,578

� Bevölkerung an Jugoslawien 1,499

� Bevölkerung an Österreich 0,344

Alexander Matlekovits, Ungarn nach dem Friedensschluß, in: Neue Freie Presse, 5.12.1922.

ßung empfunden.136 Generell registriert man imbenachbarten Ausland (das bis 1918 zum groß-ungarischen Reich der Stefanskrone gehört hatte), daßBudapest seit 1990 offenbar groß-ungarische Konzeptezur Basis seiner Außenpolitik macht und dafür dieUngarn in der Diaspora gewissermaßen als FünfteKolonne einzusetzen gedenkt.137

Das postkommunistische Ungarn ist ein mustergül-tiger Partner der internationalen Gemeinschaft, seitMärz 1999 vollwertiges Mitglied der NATO und erst-rangiger Kandidat für eine EU-Mitgliedschaft. Wenn esseine internationalen Partner durch seine ethnozen-trische Außenpolitik verwirrt138 � wie seit Jahresende2001 mit dem sogenannten Statusgesetz über dieDiaspora-Ungarn als Teile der »einheitlichen ungari-schen Nation« �, dann steckt dahinter ein Komplex,den Nicht-Ungarn nicht verstehen können. FürUngarn aber ist er konstitutiv, wie Miklos Patrubany,Vorsitzender des Ungarischen Weltkongresses, kurznach seiner Wahl 2000 erklärte: »Ein Ungar istjemand, der unter Trianon leidet.« Das heißt, daß manals Ungarn noch immer den Friedensvertrag vonTrianon 1920 verdammt, der das habsburgischeUngarn sozusagen auf sein magyarisches Kernlandverkleinerte. Seither beklagen die Ungarn, daß ein

136 Srdjan Ba�ić, Egzodus i kolektivna krivica [Exodus undKollektivschuld], in: Bulevar, 29.3.2002.137 Detailliert dazu Rudolf Chmel, Syndrome of Trianon inHungarian Foreign Policy and Act on Hungarians Living inNeighboring Countries, in: Slovak Foreign Policy Affairs(Bratislava), (Frühjahr 2002), S. 93�106.138 Daniel Brössler, Auf der Zielgeraden � Ungarn wird unterden Neuzugängen sein, in: Süddeutsche Zeitung, 15.11.2001.

Streifen von 120 Kilometern jenseits der Landesgren-zen von Leuten ungarischer Muttersprache besiedeltsei, und sehnen sich nach Groß-Ungarn zurück, indem weit größere Landstriche von Nicht-Ungarnbevölkert wurden. Wie zur Bestätigung dessen kam esMitte Januar 2002 zu einer slowakisch-ungarischenAuseinandersetzung. Der slowakische AußenministerEduard Kukan verwahrte sich gegen eine Äußerungdes ungarischen Premiers Viktor Orban, der imlaufenden Wahlkampf über die »Wiedervereinigungvon Großungarn« gesprochen haben soll. Nachslowakischen Pressemeldungen hatte Orban Tagezuvor gefordert, daß sich das ganze ungarische Volknach achtzig Jahren endlich wiedervereinige undGroßungarn bilde, womit es seine Geschichte erfülle.

»Wiedervereinigung nach achtzig Jahren«, »Groß-Ungarn« etc. sind die spezifisch ungarischen Schlüs-selbegriffe, die augenblicklich auf Trianon verweisen.Der am 4. Juni 1920 nach monatelangen Verhandlun-gen mit Österreich und Ungarn geschlossene Friedens-vertrag brachte für Ungarn folgende Verluste an Terri-torien und Bevölkerung (s. Tabelle 2).

Die Bestimmungen von Trianon hatten drei verhee-rende Konsequenzen für das Land. Zum einen war die»goldene Periode«, die Ungarn von 1867 bis 1914 einewirtschaftliche Blütezeit verschafft hatte, definitiv zuEnde.139 Zum zweiten wurde die Vorstellung, Trianon

139 Paul Jonas, The Economic Consequences of Trianon, in:Total War and Peacemaking. A Case Study on Trianon, NewYork: Brooklyn College Press distrib. by Columbia UniversityPress, 1982 (B. K. Kiraly/P. Pastor/I. Sander [Hg], War andSociety in East Central Europe, Bd. VI: Essays on World War I,

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um jeden Preis revidieren zu müssen, zur nationalenObsession, die jedwede politische, ökonomische undsoziale Konsolidierung verhinderte und ungarischerPolitik einen unverkennbar reaktionären Charakterverlieh.140 Zum dritten wurde Ungarn förmlich an dieSeite von Hitlers Deutschland gedrängt: »Ungarnwürde höchstwahrscheinlich seine territorialenAnsprüche in einem Bündnis mit diesem durchsetzen,und unter den Großmächten ist Deutschland in jedemFall Ungarns unvermeidlicher natürlicher Partner.«141

Ende 1938 sollte sich Ungarns Zusammengehen mitDeutschland erstmals »auszahlen«, allerdings etwasgeringer, als das Land gehofft hatte. Nach demMünchner Abkommen, das das Sudetenland von derTschechoslowakei »amputierte«, hatte Ungarn dieRückgabe von 14 153 Quadratkilometern slowaki-schen und karpato-ukrainischen Gebiets mit 1,090Einwohnern gefordert. Nach dem ersten WienerSchiedsspruch (2. November 1938) bekam es 12 400Quadratkilometer mit ca. 1,7 Mio. Einwohnern.142

Dieses Gebiet war überwiegend agrarisch, aber dieindustriell-urbane Blutzufuhr folgte umgehend:Durch den zweiten Wiener Schiedsspruch (30. August1940) wurden Ungarn 43 492 Quadratkilometerrumänischen Territoriums mit 2,5 Mio. Einwohnern,darunter fast die Hälfte Rumänen, zugesprochen; erstdadurch bekam Ungarn jene Rohstoffe und Industrie-kapazitäten, die es als »Achsenpartner« für Deutsch-land interessant machten.143

Die Komplizenschaft mit Deutschland hatte fürUngarn Folgen, gegen die sich Trianon noch mildeausnahm: Seit Ende 1943 versuchte es vergeblich, ausder Kriegsallianz mit Hitler herauszukommen. ImMärz 1944 wurde es von deutschen Truppen besetzt,da Berlin befürchtete, Ungarn werde wie zuvor Italiendie Seiten wechseln. Im Oktober 1944 übernahmen diefaschistischen Pfeilkreuzler die Macht und verfügteneine »Totalmobilisierung« der Bevölkerung. Die Kon-ferenz von Teheran überantwortete Ungarn denSowjets zur Besetzung. 1945 wurde ein Waffenstill-

Teil 4: The Settlement and Its Repercussions), www.hungary.com/corvinus/lib/tria/tria40.htm.140 William Batkay, Tianon: Cause or Effect � HungarianDomestic Politics in the 1920�s, ebd.; www.hungary.com/corvinus/lib/tria/tria38.htm.141 Suspense in Hungary � The Eternal »If«, in: The Times,21.7.1938.142 Berichte in: Pester Lloyd, 10.11. und 9.12.1938; Karte dererworbenen Gebiete in: Frankfurter Zeitung, 4.11.1938.143 Wilhelm F. Packenius, Ungarn als Achsenpartner, in:Deutsche Allgemeine Reichszeitung (Berlin), 24.11., 28.11.,30.11., 5.12. und 7.12.1940.

stand geschlossen, am 1. Februar 1946 die Republikausgerufen. Die seit 1938 inkorporierten Territorienmußte Ungarn im Friedensvertrag von Paris 1947zurückgeben � mit 93 032 Quadratkilometern war esnur unwesentlich größer als zu Zeiten von Trianon.

Wollte Viktor Orbán eine revisionistische Wendeeinleiten, Jahrzehnte nach dem Krieg und nachlangen Jahren eines postkommunistischen Neuan-fangs? Wenige Politiker kennen Orbán so gut wie derslowakische Premier Mikulá� Dzurinda, dem auch die»riskanten« Überlegungen des Ungarn ein Begriffwaren: Orbán wollte den Rechtsradikalen IstvánCsurka kaltstellen und »ihm die Wähler wegnehmen«.Deshalb bezeichnete er sich im Wahlkampf als»Premier von 15 Millionen Ungarn«, addierte alsoMillionen Landsleute im Ausland zur Bevölkerung inUngarn hinzu, und wagte den bedenklichen Flirt mitdem untergegangenen Groß-Ungarn. Sein Konzeptging nicht auf. Er verlor die Wahl gegen den Opposi-tionsführer, den Sozialisten Péter Medgyessy.144

144 Interview mit Dzurinda in: Týden (Prag), (2002) 18, S. 47.

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Resümee und Ausblick oder: Empfehlungen für »Badinter II«

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Resümee und Ausblick oder: Empfehlungen für »Badinter II«

Im Jahre 1991 schickte die damalige EuropäischeGemeinschaft � um Deutschlands Drängen nachAnerkennung Kroatiens zu begegnen � den franzö-sischen Verfassungsrichter Robert Badinter nachJugoslawien, um zwei Fragen zu klären: Wollen,erstens, die präsumptiven Nachfolgestaaten von TitosJugoslawien überhaupt anerkannt werden? Undkönnen sie, zweitens, mit Blick auf die in ihnenwaltenden demokratischen Freiheiten und Minder-heitenrechte auch anerkannt werden? Diese Prüfunghaben nur zwei Staaten bestanden: Makedonien undSlowenien (in dieser Reihenfolge). Aber anerkanntwurden am 15. Januar 1992 Kroatien und Slowenien.Käme im Jahre 2002 erneut eine Badinter-Kommissionauf den Balkan und prüfte etwa die EU-Tauglichkeitder dortigen Länder anhand der Frage, wie sie es mitMythen, Projekten und Plänen eigener Groß-Reichehielten, dann käme heraus, daß nahezu alle Balkan-länder mehr oder weniger an dem Virus Groß-Staaten-Illusionen bzw. -Erinnerungen kränkeln, und dieserZustand zwänge die (imaginierte) Kommission»Badinter II« zu einigen Befunden.

Der erste Befund wäre, daß die Propagierung vonGroß-Projekten prinzipiell kein strafwürdiger Tat-bestand ist. Daan Everts, ehemaliger OSZE-Repräsen-tant für das Kosovo, hat anläßlich der dortigenWahlen im November 2001 mehrfach bekundet, daßer »keine Probleme« damit habe, ob die eine Gruppedas Kosovo bei Serbien belassen, die andere es einem»ethnischen« Albanien anschließen wolle. Die einenwie die anderen nähmen lediglich ihr demokratischesRecht auf freie Meinungsäußerung wahr. Die (zeit-weilige) rechtliche Unbedenklichkeit des politischenDiskurses in »Groß-Termini« täuscht indessen nichtdarüber hinweg, daß dieser immer eine Drohungenthält, sei sie nur verbal oder bereits real. Wenn siereal ist, etwa in der Form kroatischer und serbischerBeteiligung am Krieg in Bosnien 1991�1995, dann istdie internationale Gemeinschaft zur Interventiongezwungen, und allein dieser Zwang verdeutlicht, daßman zu spät gekommen ist. Rechtzeitig Einfluß zunehmen bedingt jedoch, eine klare Vorstellung vonder Art, Vielfalt, Form und »Tarnung« dieser Groß-Projekte zu haben.

Wie real eine solche Drohung ist, läßt sich mit-unter nicht auf den ersten Blick erkennen, ist aber beigenauerem Hinsehen unverkennbar. Beispielsweisehielt im Sommer 2001 die Nationale Bewegung für dieBefreiung Kosovas (LKÇK) in Prishtina ihren 5. Partei-tag ab, auf welchem die Forderung nach einer»nationalen Vereinigung« aller Albaner sämtlicheDebatten beherrschte; nur eine solche Vereinigungkönne die »albanische Frage« lösen und zur Stabilisie-rung des Balkans beitragen, da nur dann die Albanernicht weiter als »Unruhepotential« auftreten würden.145

Natürlich wurde mit keinem Wort erwähnt, wievielUnruhe bei Nicht-Albanern aufkäme, wenn dieerstrebte »nationale Vereinigung« der Albaner derartabliefe. Nun kann man sagen, daß die LKÇK einebedeutungslose Splitterpartei ist, die bei den Wahlenim November 2001 ganze 8725 Stimmen (1,11%)erreichte. Aber eine solche Sicht könnte eine Selbst-täuschung sein: Auf dem Parteitag sprachen auchhohe UÇK-Vertreter, die die LKÇK dafür lobten, daß sieals einzige politische Gruppe diese Idee der Vereini-gung propagiere. Die UÇK ist offiziell zwar aufgelöst,real aber noch sehr wirksam, so daß solches Lobeiniges zu denken gibt.

Vereinigungen wie die LKÇK und ihre Gleichgesinn-ten verdeutlichen exemplarisch eine bestimmteAusprägung von Groß-Projekten und deren Ideologi-en: Man redet ständig von ihnen und tut buchstäblichnichts, um sie in irgendeiner Weise vorzubereiten.Wie einleitend ausgeführt, sind Groß-Projekte in allerRegel eine Flucht vor aktuellen Realitäten, und die seitJuni 1999 im Kosovo bestehende Realität mutet wieeine Bestätigung dessen an: Die Arbeitslosigkeit isthoch und steigt weiter, Industrie und Schulwesenstagnieren auf niedrigstem Niveau, Administrationund Justiz sind Kampfplätze, auf denen Clans undParteien um Pfründen streiten, um ihre jeweiligeKlientel unterzubringen, Kultur und Literatur sindkaum mehr als die Membranen einer nationalistisch-heroischen Propaganda, etc. Das alles läuft imUmkreis einer sehr »jungen« Gesellschaft ab, deren

145 Stephan Lipsius, »Die nationale Vereinigung dient derpolitischen Stabilität in der Region«, in: Südosteuropa, (2001)4�6, S. 190�197.

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Altersdurchschnitt deutlich unter 30 Jahren liegt, undes läuft innerhalb von Strukturen ab, die sich immerwieder als ungeeignet erweisen, gerade jungenMenschen eine »zivile« Perspektive zu eröffnen. Dierealpolitische Inferiorität der Strukturen wird durchdie ideologischen und stilistischen Eigenheiten derGroß-Projekte übertönt, wobei sich heroische Appellean die eigene Bevölkerung, die durchgehend politisch-»korrekte« Stilisierung an die internationale Gemein-schaft richten. Dahinter steht die Absicht, die eigenenLeute durch Verheißungen ruhig zu halten und dieinternationale Gemeinschaft durch Insistieren auf(scheinbar) berechtigten Zielen mürbe zu machen. DerVersuch ist (wie jeder Versuch) nicht strafbar, könnteim Erfolgsfall jedoch zu höchst strafwürdigen Konse-quenzen führen. Man stelle sich nur vor, die Verhält-nisse im gegenwärtigen Kosovo würden auf dieNachbarregionen ausgeweitet � unter den Augen vonUNMIK, KFOR, EU, NATO etc. Der Horror, den einesolche Antizipation unweigerlich enthält, sollte hin-reichen, schon beim Auftauchen erster Anzeicheneinzuschreiten.

Wo es auf dem Balkan »Groß-Ideen« gibt, verweistihr bloßes Vorhandensein auf Defizite � in derNationenbildung früherer Zeiten, in der politischenKultur aktueller Regime, im demokratischen Bewußt-sein der Bürger. Diese Defizite sind ihrerseits indikativfür die Natur eines Regimes, für die Denkart einesPolitikers, für den Umgang mit der Geschichte, für dieFriedensfähigkeit gegenüber Nachbarn, für das staats-bürgerliche Niveau einer Gesellschaft und anderesmehr. Daran ändert auch das Faktum nichts, daß esdas eine Modell dieser Ideen nicht gibt. Die vorliegen-de Darstellung hat auf die ethnische, regionale,historische etc. Variabilität dieser Ideen und Projekteverwiesen, die etwa folgende Kategorien der imagi-nierten Groß-Reiche erkennen läßt:• historisch-restitutiv: »Vereinigung des historischen

Kosovo«, »Bosnien ist historisch ein Teil Kroatiens«,»Wiederherstellung von Zar Du�ans Imperium«usw.;

• ethnisch-integral: »nationale Vereinigung der Alba-ner«, »alle Serben in einem Land«, »Makedonen sindWest-Bulgaren« usw.;

• territorial-transzendental: »Große Idee vom Grie-chenland der zwei Kontinente und fünf Meere«,»Reich der Heiligen Stefanskrone« usw.Allein diese Zusammenstellung von Slogans zur

Eigenpräsentation verdeutlicht, daß jedes »Groß-Projekt« entweder auf der territorialen Ebene beginntund erst später ethnische Aspekte ins Auge gefaßt

werden, oder daß man zunächst das eigene Ethnikumin seiner aktuellen territorial-staatlichen Streusied-lung betrachtet und dann die Grenzen des gewünsch-ten Groß-Reichs entsprechend ausweitet. In beidenFällen wird die historische Legitimation bedarfsge-recht stilisiert: Territorial angelegte Projekte berufensich auf historische Besitzstände (»albanische Vilajetsim Osmanischen Imperium«) oder historische Vor-leistungen in exponierter geographischer Lage(»Kroatien als antemurale Christianitatis«). Die ethni-sche Rechtfertigung von Groß-Projekten bindet dieBesitzstandswahrung an eine in den Uranfängen derGeschichte einsetzende Präsenz des eigenen Volkes,was »Fremdvölkische« automatisch zu neuzeitlichenEindringlingen, Okkupanten, Kolonisten etc. stempelt,die es aus dem eigenen »Lebensraum« zu vertreibengilt.

Die solchermaßen markierten Besitzstände undVerdienste werden in einer weiteren Phase terminolo-gisch so stilisiert, daß sie »politisch korrekt« in dieinternationale Debatte eingebracht werden können:»Selbstbestimmungsrecht«, »regionale Stabilisierung«und ähnliches mehr. Diese terminologische Apologieist mittlerweile so ausgefeilt, daß man hinter der»politisch korrekten« Form der Forderungen oftmalsnicht deren destruktiven, aggressiven Charakterauszumachen vermag. Die Aggressivität bestehtindessen seit langem und verstärkt sich aus erkannterhistorischer Erfolglosigkeit und uneingestandenerGegensätzlichkeit zu aktuellen Werteinteressen derinternationalen Gemeinschaft: Geographie kann mannicht ändern, Nachbarn nicht auswechseln, Bezie-hungen müssen geregelt werden, wobei der Verlaufalter oder neuer Grenzen keine Rolle spielen darf.146

Jede Politik im Zeichen von Groß-Projekten erweistsich als Widerspruch zu und Negation von allen Trendsder Gegenwart. Der Haupttrend ist die »globalizedeconomy«, die ihrerseits auf der Wettbewerbsfähigkeitder Regionen beruht. Wettbewerbsfähigkeit (competi-tiveness) ist wiederum nur ein Sammelbegriff für alleEigenschaften und Vorkehrungen, die eine Regionaufweisen muß, um mithalten zu können: Sozio- undinfrastrukturelle Bedingungen, die regionalen Gegeben-heiten und internationalen Erfordernissen entspre-chen; Bildungsinstitutionen, die zu innovativenStrategien für heimische Märkte in überstaatlicher

146 Ulrich Schneckener, Regulierung ethnischer Konflikte inSüdosteuropa � Die Politik der Anerkennung, in: Internatio-nale Politik, 54 (September 1999) 9 (Ethnische Konflikte),www.dgap.org/IP/ip9909/schneckener.htm.

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»competitiveness« befähigen; flexible Disponibilitätder Beschäftigten für variierende ökonomischeOptionen; Partnerschaftsmodelle für regionaleAdministration und detaillierte Entscheidungsfin-dung; Kommunikationsformen für Information undüberregionalen Austausch.147

Konzepte und Ideologie von Groß-Projekten wider-setzen sich der international empfundenen Notwen-digkeit zu Ausgleich und Kooperation. Ihre spezifischeGefährlichkeit liegt zudem darin, daß sie ein eventuellpragmatisch ausgeglichenes Verhältnis zwischen»Wohnstaat« und »Patronagestaat« laufend stören:148

In der Spätphase Milo�ević ging es den Serben in derbosnischen Republika Srpska erheblich besser alsdenen in Serbien, aber durch ständig neue groß-serbische Emissäre (Nikola Popla�en u.a.) konnte derbescheidene Wohlstand nicht für einen politischenAusgleich genutzt werden.

Dieses Problem könnte durch Verträge aus der Weltgeschafft werden, in denen Basis und Entwicklungs-möglichkeiten des bilateralen Verhältnisses festge-schrieben sind (Grundlagenverträge), sofern sie nichtimmer wieder propagandistisch unterlaufen werden.Ungarn unterhält solche Verträge mit der Slowakei(1995) und Rumänien (1996), sorgt durch gelegent-liche groß-ungarische »Rückfälle« aber dafür, daßbei seinen Nachbarn alte Ängste neue Nahrungbekommen.

Im Inneren jedes Landes könnte ein umfassenderMinderheitenschutz für eine Befriedung sorgen �unter der Bedingung, daß der Schutz real ist undinternational kontrolliert wird. Serbien hatte unterMilo�ević völlig ausreichende Bestimmungen fürMinderheiten in seiner Verfassung, denen indessen diepolitische Wirklichkeit Hohn sprach. Im Januar 2000wurde in Kroatien das Tudjman-Regime durch Wahlenbeseitigt, aber die Rückkehr der von Tudjman vertrie-benen Hunderttausenden Serben hat noch kaumbegonnen.

In diesem verwirrenden Umfeld kann sich dieinternationale Gemeinschaft nur orientieren, wennsie eine strikte Vermeidung doppelter Standardspraktiziert � um einen Fehler wie den von Daytonkünftig zu vermeiden, als man nur die engstebosnische Umgebung in die Pflicht nahm, die

147 Detailliert dazu F. M. Zimmermann/S. Janschitz (Hg.),Regional Policies in Europa � Key Opportunities for Regionsin 21st Century, Graz 2001.148 Schneckener, Regulierung ethnischer Konflikte [wieFn. 146].

Hauptkriegsschuldigen in Belgrad und Zagreb aberohne jede Auflage davonkommen ließ.149

Ein erster Schritt zur ausgewogenen Klarheit lägeauch in einer Disziplinierung der politischen Sprache:Es ist zum Beispiel absolut kontraproduktiv, erfah-rungsgemäß sogar konfliktfördernd, wenn immerwieder vom »ungeklärten Status des Kosovo« gespro-chen wird. Dieser Status war nie ungeklärt und ist esauch nicht: Laut UN-Resolution 1244 vom 10. Juni1999 bekommt das Kosovo »eine substantielleAutonomie« und verbleibt bei Jugoslawien.150

Autonomie sollte man so gestalten, daß etwaigeGroßstaat-Illusionen dadurch verblassen, ja ver-schwinden, daß ihre Träger sich in einem autonomregierten Teilterritorium von der Kompliziertheitpraktischer Politik überzeugen und das Interesseverlieren, mit größeren Territorien noch größereProbleme zu bekommen. Wenn eine politischeGegenwart in einem bisherigen Konfliktgebiet sostrukturiert wird, daß politische Autonomie, Minder-heitenschutz, interethnisches »power sharing« usw.möglichst im Höchstmaß kombiniert werden,151 dannsollte doch erlebter Gemeinnutz einen baldigen Siegüber erträumte Groß-Reiche davontragen. Noch ist derBalkan eine »Kampfzone« (fighting region), und schondie bloße verbale Präsenz von Groß-Projekten ver-deutlicht diesen Grundmakel. Um eine »Lernzone«(learning region) zu werden, muß der Balkan einedynamische Entwicklung auf lokalem und regionalemNiveau erreichen, also einen koordinierten Kursgemeinsamer »Visionen, Strategien, Ziele, Absichten,Aktionen und Kooperationen« verfolgen, wobei dieStrategien die Region insgesamt angehen, die Aktio-nen sich aber nach Kommunen und Teilregionenunterscheiden. Teilregionen sind hinsichtlich ihrerethnischen Komposition, natürlichen Gegebenheiten,sozioökonomischen »(dis)advantages« verschieden,und diese Unterschiede sind dort, wo solches über-haupt möglich ist, nach Maßgabe regionaler ökono-mischer und sozialer Kohäsion zu überwinden. Wermit wem zu welchem Zweck eine Partnerschafteingeht, ist auf zahllosen Wegen vorstellbar: Es gehtdarum, gemeinsame Risiken zu minimieren, und daswird leichter möglich sein, wenn man überlebteWerte, Gewohnheiten, Technologien, Entscheidungs-findungen, Programmentwürfe ablegt und sich

149 Ebd.150 Wortlaut der Resolution in: Erich Reiter (Hg.), Der Kriegum das Kosovo 1998/99, Mainz 2000, S. 222�228.151 Schneckener, Regulierung ethnischer Konflikte [wieFn. 146].

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bemüht, zu Lösungen zu gelangen, von denen alleBeteiligten Nutzen haben (win-win situations). Andersgesagt: Wenn Groß-Projekte überhaupt einen Sinnhaben, dann nur den eines »schlechten Beispiels«, vordessen Hintergrund sich kontrastiv Wege und Formenzu friedlicher Kooperation ablesen lassen.

Abkürzungen

HDZ Hrvatska Demokratska Zajednica(Kroatisch-Demokratische Gemeinschaft)

KFOR Kosovo ForceLKÇK Levizja Kombetare per Çlirimin e Kosovës

(Nationale Bewegung für die Befreiung Kosovas)NDH Nezavisna Dr�ava Hrvatska (Unabhängiger Staat

Kroatien)OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in

EuropaPDSR Partidul Democraţiei Sociale din România

(Sozialdemokratische Partei Rumäniens)PRM Partidul România Mare (Partei Groß-Rumänien)SANU Srpska Akademija Nauka i Umetnosti (Serbische

Akademie der Künste und Wissenschaften)SHS Kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca (Königreich der

Serben, Kroaten und Slowenen)SRS Srpska Radikalna Stranka (Radikale Partei Serbiens)UÇK Ushtrisë Çlirimtare të Kosovës (Kosovo-Befreiungs-

armee)UN United NationsUNHCR United Nations High Commissioner for RefugeesUNMIK United Nations Interim Administration Mission in

Kosovo