7
© Springer-Verlag 2009 wobl Wohnrechtliche Blätter 22, 29 – 35 (2009) DOI 10.1007/s00719-008-1132-2 Printed in Austria Hon.-Prof. Dr. Johannes Stabentheiner, Bundesministerium für Justiz Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung? Am 29. und 30. November 2007 veranstaltete das BMJ gemeinsam mit dem Institut für Zivil- recht der Universität Wien ein rechtswissenschaftliches Symposium unter dem Titel „ABGB 2011“. Mit dieser Tagung sollte ausgelotet werden, welcher Reformbedarf am ABGB heute zu erkennen ist und welche Erneuerungsschritte sich dafür empfehlen. Die Veranstaltung sollte den Auftakt für ein systematisch angelegtes, weit greifendes Projekt zur Modernisierung des ABGB bilden, durch das unser ehrwürdiges Gesetzbuch an die Bedürfnisse der Gegenwart angepasst und anlässlich des 200jährigen Jubiläums seines Bestehens unter grundlegender Beibehaltung seines Aufbaus und seiner Wertungen erneuert werden soll. Freilich soll dies nicht durch eine umfassende Neukodifikation (die sich bei diesem großen Gesetzeswerk nicht als notwendig erweist), sondern durch abschnittsweise und sukzessive Überarbeitung des Regelungsbestandes geschehen. Bei diesem Reformprozess soll es darum gehen, die Sprache, die Begriffswelt, die Einzelregelungen und die Problemlösungskapazität des ABGB auf die Höhe der Zeit zu bringen, freilich mit Behutsamkeit und sorgfältigem Blick auf die Abwä- gungen, von denen sich der historische Gesetzgeber hatte leiten lassen. Dabei sollten über- holte Regelungen beseitigt, aktuelle Vertragstypen – soweit erforderlich – im Gesetzesrecht erfasst und Rechtsfragen, die sich im jeweiligen Kontext heute typischerweise stellen, gelöst werden, dies alles unter Bedachtnahme auf die dazu in der Rechtsprechung und in der Rechtswissenschaft erarbeiteten Überlegungen. Besonders wäre darauf zu achten, möglichst einfache und für die Bürgerinnen und Bürger verständliche Bestimmungen zu schaffen. Beim Symposium wurde auch die Frage behandelt, ob zivilrechtliche Sondernormen wieder in das ABGB als Stammgesetz zurückgeführt werden sollten. Für den Bereich des Wohn- rechts war diese Fragestellung dem Autor anvertraut, der seine Analyse dazu im folgenden Beitrag dem wohnrechtlichen Publikum vorlegt. Der Vortragsstil wurde beibehalten. Alle beim Symposium gehaltenen Referate sind in dem von Fischer-Czermak/Hopf/ Kathrein/Schauer herausgegebenen, bei Manz erschienenen Tagungsband zu dieser Veran- staltung nachzulesen. Deskriptoren: Wohnrecht als Überbegriff, Bestandvertrag, Sondermietrecht, Raummiete, Vertragsfrei- heit, zwingendes Recht, Anwendungsschichten des MRG, Äquidistanz, Mieterschutz, Verbraucherschutz, Gesellschaftspolitik, Kasuistik, Ein- oder Zwei-Objekte-Gebäude, Veräußerung der Bestandsache, Zwangsversteigerung, Vertragsauflösung, Kündigung, Klausel-Entscheidungen, Erhaltungspflicht, Auf- wandersatz, Verlängerungsoption; §§ 1090 ff, 1096, 1120, 1121 ABGB, §§ 1, 3, 16, 29, 30 MRG, KSchG. wohnrechtliche blätter:wobl Herausgegeben von RA Hon.-Prof. Dr. Wolf-Dieter Arnold Dr. Wolfgang Dirnbacher Univ.-Prof. Dr. Attila Fenyves RA Mag. Dr. Till Hausmann HR Dr. Elisabeth Lovrek Univ.-Prof. Dr. Paul Oberhammer Dir. Theodor Österreicher a. Univ.-Prof. Dr. Raimund Pittl Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer a. Univ.-Prof. Dr. Andreas Vonkilch Hon.-Prof. Dr. Helmut Würth Schriftleitung: RA Mag. Dr. Till Hausmann a. Univ.-Prof. Dr. Andreas Vonkilch Redaktionsassistenz: Ass. Dr. Olaf Riss LL.M. SpringerWienNewYork Heft 2 Februar 2009 22. Jahrgang ISSN 0933-2766 WOBLEA 22 (2) 29 – 64 (2009)

Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung?

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung?

© Springer-Verlag 2009

woblJ. Stabentheiner, Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung? 292009, Heft 2

Februar

woblWohnrechtliche Blätter 22, 29–35 (2009)DOI 10.1007/s00719-008-1132-2Printed in Austria

Hon.-Prof. Dr. Johannes Stabentheiner, Bundesministerium für Justiz

Wohnrecht und ABGB –Integration oder optimierte Verschränkung?

Am 29. und 30. November 2007 veranstaltete das BMJ gemeinsam mit dem Institut für Zivil-recht der Universität Wien ein rechtswissenschaftliches Symposium unter dem Titel „ABGB2011“. Mit dieser Tagung sollte ausgelotet werden, welcher Reformbedarf am ABGB heute zuerkennen ist und welche Erneuerungsschritte sich dafür empfehlen. Die Veranstaltung sollteden Auftakt für ein systematisch angelegtes, weit greifendes Projekt zur Modernisierung desABGB bilden, durch das unser ehrwürdiges Gesetzbuch an die Bedürfnisse der Gegenwartangepasst und anlässlich des 200jährigen Jubiläums seines Bestehens unter grundlegenderBeibehaltung seines Aufbaus und seiner Wertungen erneuert werden soll. Freilich soll diesnicht durch eine umfassende Neukodifikation (die sich bei diesem großen Gesetzeswerk nichtals notwendig erweist), sondern durch abschnittsweise und sukzessive Überarbeitung desRegelungsbestandes geschehen. Bei diesem Reformprozess soll es darum gehen, die Sprache,die Begriffswelt, die Einzelregelungen und die Problemlösungskapazität des ABGB auf dieHöhe der Zeit zu bringen, freilich mit Behutsamkeit und sorgfältigem Blick auf die Abwä-gungen, von denen sich der historische Gesetzgeber hatte leiten lassen. Dabei sollten über-holte Regelungen beseitigt, aktuelle Vertragstypen – soweit erforderlich – im Gesetzesrechterfasst und Rechtsfragen, die sich im jeweiligen Kontext heute typischerweise stellen, gelöstwerden, dies alles unter Bedachtnahme auf die dazu in der Rechtsprechung und in derRechtswissenschaft erarbeiteten Überlegungen. Besonders wäre darauf zu achten, möglichsteinfache und für die Bürgerinnen und Bürger verständliche Bestimmungen zu schaffen.Beim Symposium wurde auch die Frage behandelt, ob zivilrechtliche Sondernormen wiederin das ABGB als Stammgesetz zurückgeführt werden sollten. Für den Bereich des Wohn-rechts war diese Fragestellung dem Autor anvertraut, der seine Analyse dazu im folgendenBeitrag dem wohnrechtlichen Publikum vorlegt. Der Vortragsstil wurde beibehalten.Alle beim Symposium gehaltenen Referate sind in dem von Fischer-Czermak/Hopf/Kathrein/Schauer herausgegebenen, bei Manz erschienenen Tagungsband zu dieser Veran-staltung nachzulesen.

Deskriptoren: Wohnrecht als Überbegriff, Bestandvertrag, Sondermietrecht, Raummiete, Vertragsfrei-heit, zwingendes Recht, Anwendungsschichten des MRG, Äquidistanz, Mieterschutz, Verbraucherschutz,Gesellschaftspolitik, Kasuistik, Ein- oder Zwei-Objekte-Gebäude, Veräußerung der Bestandsache,Zwangsversteigerung, Vertragsauflösung, Kündigung, Klausel-Entscheidungen, Erhaltungspflicht, Auf-wandersatz, Verlängerungsoption; §§ 1090ff, 1096, 1120, 1121 ABGB, §§ 1, 3, 16, 29, 30 MRG, KSchG.

wohnrechtlicheblätter:wobl

Herausgegeben vonRA Hon.-Prof. Dr. Wolf-Dieter ArnoldDr. Wolfgang DirnbacherUniv.-Prof. Dr. Attila FenyvesRA Mag. Dr. Till HausmannHR Dr. Elisabeth LovrekUniv.-Prof. Dr. Paul OberhammerDir. Theodor Österreichera. Univ.-Prof. Dr. Raimund PittlUniv.-Prof. Dr. Martin Schauera. Univ.-Prof. Dr. Andreas VonkilchHon.-Prof. Dr. Helmut WürthSchriftleitung:RA Mag. Dr. Till Hausmanna. Univ.-Prof. Dr. Andreas VonkilchRedaktionsassistenz:Ass. Dr. Olaf Riss LL.M.

SpringerWienNewYork

Heft 2 Februar 2009 22. JahrgangISSN 0933-2766 WOBLEA 22 (2) 29–64 (2009)

Page 2: Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung?

© Springer-Verlag 2009

wobl30 J. Stabentheiner, Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung? 2009, Heft 2

Februar

I. EinleitungA. Begriff und Umgrenzung des „Wohnrechts“

Zu dem mir zugedachten Thema muss ich zu-nächst eine Klarstellung anbringen: Es gibt eigent-lich keinen Systembegriff des Wohnrechts; daraufhat Schauer schon vor acht Jahren hingewiesen.1)Dennoch wird in der rechtspolitischen Diskussion,in der Rechtswissenschaft und letztlich auch vomGesetzgeber selbst – man denke nur an die so be-zeichneten „Wohnrechts-Novellen“ – immer wiederder Terminus „Wohnrecht“ als zusammenfassenderÜberbegriff für inhaltlich miteinander zusammen-hängende zivilrechtliche2) Vorschriften verwendet.Die Bezeichnung ist einerseits zu eng, weil es janicht nur um Wohnen geht, sondern beispielsweiseauch um Geschäftsräumlichkeiten; sie ist anderer-seits aber auch zu weit, weil nicht alle Normen, dieeinen Bezug zum Lebensbereich „Wohnen“ haben,dem Wohnrecht zugerechnet werden.3)

Der Versuch einer klaren definitorischen Kontu-rierung des Begriffs ist also zum Scheitern verur-teilt. Wir wollen stattdessen eine beschreibendeAnnäherung unternehmen. Man unterscheidet dreigroße („klassische“) Wohnrechtsmaterien, nämlichdas Mietrecht, das Wohnungseigentumsrecht unddas Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht. Um diesedrei Normenkomplexe herum ranken sich Vor-schriften, die man als – zum Teil nur einer der dreiHauptmaterien zuzuordnende, zum Teil übergrei-fende – Hilfsmaterien bezeichnen könnte, wie zumBeispiel das Heizkostenabrechnungsgesetz oderdas Richtwertgesetz. An diesen inneren Kreis vonWohnrechtsmaterien lagern sich weitere Wohn-rechtsgesetze an, wie etwa das Bauträgervertrags-gesetz, das Maklergesetz, das Kleingartengesetzoder das Landpachtgesetz. Daneben gibt es sons-tige Zivilrechtsnormen, die durchaus bedeutsam indas Wohnrecht hereinreichen, wie etwa das Kon-sumentenschutzgesetz oder das Grundbuchsgesetzoder eben das ABGB (dieses einerseits mit seinem16. und dem 25. Hauptstück, andererseits mit demVertrags- und zum Teil auch mit dem Sachen-recht). Schließlich sind im äußersten Kreis auchnoch jene Vorschriften zu erwähnen, die zumindest„verwandte“ Regelungsbereiche erfassen, wie bei-spielsweise das Baurechtsgesetz, das Recht der Su-perädifikate, das Teilzeitnutzungsgesetz oder dasNachbarrecht.

1) Schauer, Sachlicher und persönlicher Anwendungs-bereich des Mietrechtsgesetzes, in BMJ/Schauer/Sta-bentheiner (Hrsg), Erneuerung des Wohnrechts (2000) 17.

2) In einem weiteren Sinn könnte man auch öffentlich-rechtliche Vorschriften, wie etwa das Wohnbauförde-rungsrecht, zum Wohnrecht zählen; wir wollen uns hieraber auf das „Wohnzivilrecht“ beschränken.

3) So haben beispielsweise die Regelungen über dieMietzinsbeihilfe, über die Wohnungnahme von Ehegat-ten, über die Ehewohnung und ihr nacheheliches Schick-sal, die mit dem Gewaltschutzgesetz geschaffenen Be-stimmungen oder auch etwa baurechtliche Vorschriftendurchaus mit dem Lebenssachverhalt „Wohnen“ zu tun,werden aber nach allgemeinem Verständnis dennochnicht vom Begriff „Wohnrecht“ erfasst.

B. Abhandlung am Beispiel des Mietrechts

Allein die Aufzählung all dieser Vorschriftenmacht deutlich, dass eine Untersuchung der Wech-selbeziehungen zwischen ihnen und dem Normen-bestand des ABGB und die Entwicklung möglicherReformperspektiven dazu selbst in einem mehr-stündigen Referat zeitlich kaum unterzubringenwäre. Ich habe mich deshalb dazu entschlossen,unsere wohnrechtliche Thematik exemplarisch amBeispiel des außerhalb des ABGB gelegenen Son-dermietrechts zu behandeln. Die daraus zu gewin-nenden Ergebnisse lassen sich nämlich sehr weit-gehend auch auf andere wohnrechtliche Bezie-hungs- und Spannungsfelder übertragen, wie etwajenes von „schlichtem“ Miteigentum nach ABGBund dem Wohnungseigentumsrecht.

So eingeschränkt, geht also die mir anvertrauteFragestellung primär dahin, ob das ABGB wiederder ausschließliche oder zumindest der haupt-sächliche Regelungsort für das Mietrecht werdenkönnte, anders formuliert, ob die mietrechtlichenSondernormen in das ABGB integriert werdenkönnten. Für den Fall der Verneinung dieser Fragekönnten auch Überlegungen darüber angestelltwerden, inwieweit die derzeitige Koexistenz vonABGB-Bestandrecht und solchen Sondervor-schriften optimiert werden könnte. Neuerlich isthier aber eine thematische Einengung vonnöten:Neben dem Mietrechtsgesetz als Zentralnorm desvom allgemeinen bürgerlichen Recht abweichen-den Sondermietrechts gibt es ja noch zahlreicheandere, zum Teil durchaus wichtige bestand-rechtliche Sondervorschriften, von denen ich hiereinmal nur das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzausdrücklich erwähnen möchte. Um die Unter-suchung nicht unnötig zu erschweren, wollen wiruns im Folgenden jedoch auf das Mietrechtsgesetzkonzentrieren.

Auf Seiten des ABGB ist selbstverständlich das25. Hauptstück des Zweiten Teiles, also der Ab-schnitt über den Bestandvertrag, der Ankerpunktunserer Überlegungen. Auch hier ist wegen derZugehörigkeit des Bestandvertrags zum Schuld-recht Weiteres zu beachten, nämlich das allge-meine Vertragsrecht des ABGB.

II. Die Idee einer Reform des Mietrechtsdurch Beseitigung des Sondermietrechtsund Schaffung entsprechender Schutz-regelungen im ABGB

An die Spitze meiner Überlegungen sei ein Zitatgestellt:

„Die wirtschaftlichen Verhältnisse während desersten Weltkrieges und der ersten Zeit nach diesemhaben die Gesetzgebung zu Eingriffen in die Ver-kehrsfreiheit veranlaßt, welche den Schutz derMieter und Pächter gegen Mißbrauch der Mangel-lage durch Vermieter und Verpächter bezweckten.[. . .] Während des zweiten Weltkrieges ist einegroße Anzahl neuer Verordnungen erlassen wor-den, welche die Schutzbestimmungen geändert, inder Regel verschärft, manchmal aber auch gelo-

Page 3: Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung?

© Springer-Verlag 2009

woblJ. Stabentheiner, Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung? 312009, Heft 2

Februar

ckert haben. Nach der Befreiung Österreichs sinddiese Vorschriften in Geltung geblieben und wei-tere erlassen worden, [. . .]. Das Recht des Bestand-vertrages ist dadurch in einen geradezu chaoti-schen Zustand geraten. Es wäre eine der vordring-lichsten Aufgaben der Gesetzgebung, in diesemChaos Ordnung zu schaffen. Leider ist bisher jederVersuch in dieser Richtung unterblieben, und, wiedie Dinge liegen, aus politischen Gründen mit ei-ner solchen Ordnung auch in absehbarer Zeit nichtzu rechnen.“

Diese Diagnose und Einschätzung klingt zeitge-nössisch, ja geradezu hochaktuell. Man glaubt ei-nen wohnrechtlichen Kommentator aus unserenTagen zu hören. Indes – dieser Text wurde im Jahr1954 veröffentlicht. Der Autor heißt HeinrichKlang, der in seinem ABGB-Kommentar den Zu-stand des Bestandrechts beklagt.4) Und einige Sei-ten weiter setzt Klang unter der Rubrik „Reformdes Mietrechtes“ fort:

„Innerhalb der Miete müßte zwischen jener vonbeweglichen und unbeweglichen Sachen und beiden letzteren zwischen Wohnungsmiete und Mietevon Betriebsräumen unterschieden werden, diezum Teil verschiedener Regelung bedürfen.“5)

Und zur Anpassung des Gesetzesrechts an diegeänderten Lebensbedürfnisse und Verhältnisseschlägt er stichwortartig vor:

„Schaffung neuer Vertragstypen, Anerkennungder Dinglichkeit bei Bestandverhältnissen, die un-bewegliche Sachen zum Gegenstand haben, undBeschränkung der Vertragsfreiheit in Bezug aufZinsbildung und Vertragslösung. Wenn in derletzterwähnten Beziehung an die Stelle der starrenVorschriften der Schutzgesetze passende General-klauseln gesetzt würden, könnte dies zur Vermin-derung der Streitigkeiten und Vereinfachung derunübersehbar gewordenen Rechtsprechung beitra-gen.“6)

Wir sehen: Die gerade in der jüngsten Vergan-genheit vermehrt geäußerten Überlegungen übereine Reform des Mietrechts durch Beseitigung desMietrechtsgesetzes bei gleichzeitiger Adaptierung –man könnte auch sagen: „Aufrüstung“ – des ABGBin Richtung eines verstärkten Bestandnehmer-schutzes bei unbeweglichen Sachen, diese Überle-gungen sind nicht neu.

Diese Idee soll der Gegenstand der folgendenUntersuchung sein. Wir wollen also die §§ 1090ffABGB einerseits und das seit dem Jahre 1982 inGeltung stehende Mietrechtsgesetz andererseits ingegenüberstellender Betrachtung auf Integrations-möglichkeiten prüfen, und zwar unter systemati-schen, dogmatischen, legistischen und rechtspoli-tischen Aspekten.

III. Rechtssystematische ÜberlegungenUnter rechtssystematischen Gesichtspunkten ist

vor allem nach dem Anwendungsbereich und dem

4) Klang in Klang, V2 1f.5) Klang in Klang, V2 5.6) Klang aaO (FN 5).

Gegenstand der beiden Normensysteme zu fragenund zu erwägen, ob nach diesen Kriterien eine Zu-sammenführung denkbar wäre.

A. Anwendungsbereiche

Das 25. Hauptstück regelt den Bestandvertragschlechthin, also dessen klassischerweise unter-schiedene Erscheinungsformen von Miete undPacht, und zwar jeweils, ohne nach dem Bestand-gegenstand zu differenzieren. Soweit Miete ange-sprochen ist, gilt dieses Hauptstück also für dieMiete einer Wohnung ebenso wie für die wochen-endweise Anmietung eines Kleinwagens. DasMietrechtsgesetz beschränkt sich hingegen auf denBereich der Raummiete, den es – von einer ver-nachlässigbaren Exklave zwischen Wohn- und Ge-schäftsräumen abgesehen – grundsätzlich einmalvollständig erfasst. Dieser unterschiedliche Gel-tungsumfang der beiden Normensysteme sprächeallerdings – für sich genommen – nicht dagegen, siemiteinander zu verweben. Dazu bedürfte es einerUntersuchung, welche Regelungen des Mietrechts-gesetzes auch für die Miete beweglicher Sachenund für die Flächenmiete sinnvoll sein könnten;solche Bestimmungen könnten – wohl in grund-legend modifizierter Gestalt – in den AllgemeinenTeil eines neu gefassten Bestandrechts aufgenom-men werden; und daran könnten besondere Be-stimmungen über die Raummiete angefügt wer-den.

Undenkbar wäre dies jedoch im gegenwärtigenZustand des Mietrechtsgesetzes mit seinen gänz-lich zersplitterten Anwendungsschichten. Wennman sich die nach den unterschiedlichsten Ge-sichtspunkten und politischem Belieben ohnesystematische Rücksichten gebildeten Teilanwen-dungsbereiche mit ihren zahlreichen Stichtagenvor Augen hält, wenn man sich weiters die imSachbereich der Mietzinsbildung neuerlich anzu-stellenden Differenzierungen in ihrer Kasuistikvergegenwärtigt und wenn man schließlichauch noch die mannigfaltigen intertemporalenSchnittlinien des Sondermietrechts ins Kalkülzieht, kann daraus nur ein Schluss gezogen wer-den: Jeder Versuch, ein derart zerklüftetes Rege-lungsgebilde selbst in punktuell vereinfachterForm in das allgemeine bürgerliche Recht zu im-plantieren, ergäbe ein geradezu groteskes Bild,weil der im Wesentlichen doch flüssige und strin-gente Regelungszug des ABGB durch das Schach-telgeschachtel unseres Sondermietrechts jämmer-lich konterkariert würde. Eine Integration desSondermietrechts in das allgemeine Zivilrechtoder auch nur eine Transposition einzelner Rege-lungsbereiche für die Raummiete in das ABGBkann nur in Betracht gezogen werden, wenn zu-vor oder zumindest gleichzeitig eine grund-legende Reform des Mietrechts im Sinn einer ra-dikalen Vereinfachung und Zusammenfassungseiner unterschiedlichen Anwendungsschichtenstattfände – im Übrigen eine Zielvorstellung, diedas Bundesministerium für Justiz seit etlichenJahren propagiert.

Page 4: Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung?

© Springer-Verlag 2009

wobl32 J. Stabentheiner, Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung? 2009, Heft 2

Februar

B. Regelungsgegenstände

Ganz anders sieht der Befund aus, wenn maneinmal isoliert die einzelnen Regelungsgegen-stände des 25. Hauptstücks einerseits und desMietrechtsgesetzes andererseits ins Blickfeldrückt. Hier sind keine unüberbrückbaren Ab-gründe auszumachen, die einer Annäherung derbeiden Regelungsfelder entgegenstünden. Da wiedort geht es um ähnliche Fragen in der Beziehungzwischen den Vertragsparteien. Da wie dort gehtes um die Rechte und Pflichten der Vertrags-partner während des aufrechten Mietverhältnisses,um die Erhaltung des Mietobjekts, um Verände-rungen daran und sonstige Investitionen und derenAbgeltung, um den Mietzins, um den Einfluss einerRechtsnachfolge auf der einen und auf der anderenSeite und schließlich um den Fragenkreis über dieAuflösung des Vertragsverhältnisses. Soweit manalso nur die Überschriften ins Auge fasst und sichansieht, was geregelt wird, scheinen allgemeinesbürgerliches Recht und Sondermietrecht durchausmiteinander kompatibel. Dringt man freilich tie-fer, indem man das Wie der jeweiligen Regelungengegenüberstellt, so treten sofort die grundlegendenUnterschiede hervor. Doch das gehört schon zumsogleich nachfolgenden Punkt.

IV. Rechtsdogmatische ÜberlegungenDas ABGB regelt den Bestandvertrag im We-

sentlichen auf dem Boden der römisch-rechtlichenlocatio conductio rei und etabliert nach den an-fänglichen Begriffsumschreibungen ein Normen-werk, das einen möglichst ausgewogenen Aus-gleich zwischen den jeweiligen und in etlichenPunkten eben auch gegenläufigen Interessen derVertragspartner herzustellen versucht. Wie bei denanderen schuldrechtlichen Vertragstypen gingendie Redaktoren des ABGB auch beim Bestand-vertrag vom Leitbild ebenbürtiger, gleich starkerVertragsteile aus, die auch ohne besonderen ge-setzlichen Schutz ausreichend in der Lage sind,schon bei den Vertragsverhandlungen, aber auchim Zuge des Vertragsverhältnisses ihre Interessengegenüber dem Kontrahenten wahrzunehmen. AufBasis dieses Grundverständnisses hatten dieSchöpfer des ABGB auch keinen Anlass gesehen,einem der Vertragsteile – etwa dem Bestandneh-mer – einen ausgeprägten gesetzlichen Schutz an-gedeihen zu lassen, seine Stellung gegenüber demAnderen durch spezifische Gesetzesbestimmungenzu stärken. Nein, der Regelungszugang war durch-wegs äquidistant zu den beiden Vertragsseiten,was sich vor allem auch daran zeigt, dass sämt-liche Bestimmungen des 25. Hauptstücks in ihrerStammfassung dispositiv waren. Es stand also imfreien Belieben der Vertragspartner bzw. desjeni-gen, der sich bei den Vertragsverhandlungen mitseinen Standpunkten durchsetzte, das Bestand-verhältnis durch vertragliche Vereinbarungen ab-weichend vom Gesetzesrecht auszugestalten. Esherrschte uneingeschränkte Vertragsfreiheit. Auchdie zentralen Fragenkreise um den Mietzins, die

Befristung und die Auflösung des Vertragsverhält-nisses wurden gänzlich dem Ergebnis des Par-teienkonsenses überlassen.

Hingegen errichtet das Mietrechtsgesetz jeden-falls in seinem Vollanwendungsbereich bekannter-maßen ein striktes Schutzregime zugunsten desMieters. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dassdem Vermieter aus verschiedenen Gründen, ins-besondere infolge unausgeglichener Marktverhält-nisse, gegenüber dem Mieter strukturelle Über-macht zukommt, dass der Vermieter bei Vertrags-abschluss die stärkere Verhandlungsposition innehat und deshalb der Vertragsinhalt ganz überwie-gend nach seinem Willen gestaltet wird und dasssich der Vermieter auch während des laufendenVertragsverhältnisses in der stärkeren Position be-findet. Auf Basis dieser Prämisse greift das Miet-rechtsgesetz durch relativ zwingendes Gesetzes-recht parteilich für den als schutzwürdig angese-henen Mieter in das Geschehen ein, und zwar auchdann, wenn die Annahme von der Schutzwürdig-keit in concreto auf den Mieter gar nicht zutrifft.7)

Wenn man von den einzelnen Norminhalten zu-nächst abstrahiert, würde dieser gänzlich unter-schiedliche Regelungszugang – nämlich Äquidis-tanz beim ABGB und parteilicher Rechtsschutzbeim MRG – einer stärkeren Verwebung der bei-den Normensysteme nicht entgegenstehen. Auchdas ABGB kennt Schutzbestimmungen, auch imABGB gibt es ius cogens. Auch im Hauptstück überden Bestandvertrag finden wir mittlerweile zu-gunsten des Mieters zwingendes Recht, nämlichdie Bestimmungen über die Mietzinsminderung8)und über die Mieterkündigung wegen Gesund-heitsschädlichkeit von Wohnraum9). Grundsätzlichwäre es also kein Systembruch, in das ABGB-Miet-recht weitere Mieterschutzvorschriften aufzuneh-men. Zu einem anderen Ergebnis muss man frei-lich kommen, wenn man die entsprechenden Nor-men jeweils im Einzelnen gegenüberstellt. Die Re-gelungsdichte des sondermietrechtlichen Schutz-regimes, seine Vielgliedrigkeit und Detailverliebt-heit sind mit den eher im Grundsätzlichen blei-benden Normen des ABGB, mit seiner Typenbil-dung nicht kompatibel. Die Abstraktionsebenen,auf der einerseits das ABGB und andererseits dasMRG angesiedelt sind, sind zu unterschiedlich.Druckseitenlange Verrechnungsvorschriften wiejene über die Hauptmietzins- und die Betriebs-kostenabrechnung, hochkomplexe Normen überPreisregelung und Preiskalkulation wie etwa dasRichtwertsystem10), Investitionsersatzbestimmun-gen, die den Anspruch an insgesamt neun kasuis-tisch ausgestaltete Voraussetzungen knüpfen, undähnliche Schöpfungen des Mietrechtsgesetzes pas-

7) Wir sprechen daher von „typisiertem Rechtsschutz“.8) § 1096 Abs 1 zweiter und dritter Satz ABGB (Fas-

sung gemäß § 135 der 3. TN).9) § 1117 zweiter Satz ABGB (Fassung gemäß § 146 der

3. TN).10) Als besonders anschauliches Beispiel dazu sei etwa

die Bestimmung des § 16 Abs 3 MRG über die Berech-nung des Lagezuschlags genannt.

Page 5: Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung?

© Springer-Verlag 2009

woblJ. Stabentheiner, Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung? 332009, Heft 2

Februar

sen schon aus rechtsdogmatischem Blickwinkelnicht ins ABGB; auf Legistisches werde ich so-gleich zu sprechen kommen.

Es kommt aber noch ein Weiteres hinzu. Geradeim zurückliegenden Jahr wurde den Teilnehmernam mietrechtlichen Geschehen und hier vor allemden Vermietern von der Judikatur brennend insBewusstsein gerufen, dass es noch ein weiteres Ge-setzeswerk gibt, dessen Schutzbestimmungen auchbeim Abschluss von Mietverträgen zu beachtensind, nämlich das Konsumentenschutzgesetz. Umein ganzheitliches Normengefüge zu schaffen,müssten die drei so unterschiedlichen Regelwerkedes ABGB-Mietrechts, des MRG und des KSchGinhaltlich und regelungstechnisch stimmig zusam-mengefügt werden. Dass es aber möglich wäre, aufdiese Weise ein dogmatisch konsistentes Ganzeszu schaffen, scheint mir angesichts der so unter-schiedlichen Normkonstruktionen schwer vorstell-bar.

V. Legistische AnmerkungenMit diesem Punkt will ich mich nicht lange auf-

halten, obwohl es dazu Einiges zu sagen gäbe. Ichgehöre nicht zu jenen, die beim Blick auf dasABGB in Ehrfurcht erstarren und für die es einSakrileg wäre, das altehrwürdige Gesetzbuch kri-tisch zu betrachten und daran auch gesetzgeberi-sche Hand zu legen. Aber ein ganz grundsätzlicherRespekt ist diesem Corpus und seinen Schöpfern –aber auch späteren Bearbeitern, wie beispielsweiseSchey als einem der „Väter“ der Dritten Teil-novelle – sehr wohl zu zollen; und das gilt demGrunde nach durchaus auch für die legistischeQualität des ABGB. Dem gegenüber fällt die allge-meine Einschätzung der legistischen Güte etwa desMietrechtsgesetzes signifikant ungünstiger aus;über benachbarte Vorschriften, wie etwa das Woh-nungsgemeinnützigkeitsgesetz, lege ich in diesemZusammenhang einmal gänzlich den gnädigenMantel des Schweigens. Allerdings – und das seizur Ehrenrettung aller Beteiligten deutlich betont –liegt die Ursache für den dürftigen legistischenStandard des Sondermietrechts nicht etwa in derUnfähigkeit der Redaktoren des Mietengesetzesoder der an der Ausarbeitung des Mietrechtsgeset-zes tätigen Legisten. Es ist dies viel eher eineFrage der politischen Schwerpunktsetzung. Fürdie rechtspolitisch Verantwortlichen stand undsteht bei diesen Vorschriften einzig die normativeUmsetzung eines bestimmten Regelungswillens imVordergrund, die Erzielung ganz bestimmter, po-litisch gewünschter Steuerungseffekte durch dasGesetz, die autoritative Lösung aktuell auftreten-der Problemfragen und die Einflussnahme aufganz spezifische Konstellationen. Ob daraus eingeschlossenes, stringentes, gut les- und nachvoll-ziehbares Normensystem entsteht, ist dem gegen-über für die Wohnrechtspolitik kaum von Bedeu-tung. Die doch immer wieder erhobene Forderung,auch solche Gesetzesvorschriften sollten möglichsteinfach und für den einzelnen Rechtsanwendernach Möglichkeit auch ohne juristischen Beistand

verständlich sein, ist für die Exponenten dieserSichtweise gewissermaßen eine Art legistischerÄsthetizismus, auf den nicht weiter Bedacht zunehmen ist. Wir kennen Ähnliches auch in anderenRechtsbereichen, wie beispielsweise im Sozialver-sicherungs- oder im Steuerrecht. Für unseren Zu-sammenhang lässt sich jedenfalls resümieren, dasssich ein mit einem solchen Verständnis geschaffe-nes Regelwerk nicht für eine Aufnahme in den er-habenen Hain des ABGB eignet. Auch unter die-sem Aspekt ist somit zu sagen, dass der ersteSchritt in einer grundlegenden Mietrechtsreform –auch mit dem Ziel einer substantiellen Verbesse-rung der legistischen Qualität – liegen muss, bevoran eine Integration in das allgemeine Zivilrecht ge-dacht werden kann.

VI. Rechtspolitische GegebenheitenUnter diesem Gesichtspunkt nimmt das Recht

der Raummiete innerhalb des Zivilrechts eine mar-kante Sonderstellung ein. Keiner anderen zivil-rechtlichen Materie kommt dauerhaft eine so aus-geprägte gesellschaftspolitische Komponente zu,nicht einmal dem doch auch immer wieder in deröffentlichen Diskussion stehenden Familienrecht.Die Gründe dafür wurden schon häufig genanntund analysiert; ich halte mich daher schlagwort-artig kurz. Es geht einerseits um ein menschlichesGrundbedürfnis, nämlich das Wohnen; und derMietwohnungssektor hat in Österreich für dieWohnversorgung eine besonders hohe Bedeutung.Andererseits führen auch die meisten Gewerbe-treibenden ihr Unternehmen in einer angemietetenGeschäftsräumlichkeit, weshalb die Fragen rundum die Geschäftsraummiete für das Wirtschafts-leben insgesamt durchaus von Wichtigkeit sind. Sosind letztlich die meisten Menschen in Österreichin irgendeiner Weise von der Raummiete berührt,sei es als Wohnungsmieter, sei es als Geschäfts-raummieter, sei es als Vermieter von Räumlichkei-ten. Das Mietrecht reicht also in die soziale Fragehinein, hat einen signifikanten wirtschaftlichenEinfluss und hat große Breitenwirkung.11) All dieshat geradezu zwingend zur Folge, dass sich politi-sche Parteien und sonstige politische Kräfte fürdas Mietrecht insgesamt deutlich mehr interessie-ren als für die anderen Segmente des Zivilrechts,dass sie auf seine Ausgestaltung und Entwicklungin besonderem Maße Einfluss zu nehmen versu-chen, dass also der rechtspolitische Diskurs um dasMietrecht wesentlich stärker als in anderen Zivil-rechtsfeldern partei- und gesellschaftspolitisch ge-prägt ist.

11) Hinzu kommt, dass sich dabei typischerweise Be-teiligtengruppen gegenüberstehen, die in weiten Teilender Bevölkerung oft mit einschlägigen Konnotationennach Gesellschaftsklassen versehen werden: da der satu-rierte, wohlhabende Hausbesitzer, dem es auf Profit-maximierung ankommt, dort die – oft jungen und/oderfinanziell schlecht ausgestatteten – Wohnungssuchen-den, die sich eine Wohnversorgung im Eigentum nichtleisten können.

Page 6: Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung?

© Springer-Verlag 2009

wobl34 J. Stabentheiner, Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung? 2009, Heft 2

Februar

Daraus wiederum ergibt sich eine zweifacheKonsequenz, nämlich zum einen die zuvor bereitsbesprochene Tendenz zu kasuistischen Regelun-gen, zu Gesetzesbestimmungen, die sich in ihremKern nur auf ganz bestimmte praktische Konstel-lationen beziehen, und damit zur Zersplitterungund Unübersichtlichkeit des Normensystems. Zumanderen folgt daraus aber auch eine gewisse Insta-bilität der Rechtslage durch häufige Änderungendes Gesetzesrechts, abhängig von der jeweiligenZusammensetzung von Bundesregierung und Par-lament, nicht selten aber auch als Reaktion auf un-erwünschte Judikaturentwicklungen.12) Eine der-art flüchtige, stetigem Wandel ausgesetzte Rechts-materie, die aus tagespolitischen Überlegungeneinmal in die und dann wieder in die andere Rich-tung verändert wird, ist kein geeigneter Bestand-teil eines großen Zivilgesetzbuchs.

VII. Schlussfolgerungen und Zukunftsszena-rien

A. Keine Integration

Aus welchem Blickwinkel immer man es alsobetrachtet – eine Integration der Regelungsinhalteetwa des jetzigen Mietrechtsgesetzes in das ABGBkann keinesfalls empfohlen werden, auch wennman an diesen Inhalten zuvor einige Straffungen,Vereinfachungen und Retuschen vornähme. Einesolche Verquickung könnte – wenn überhaupt –nur im Zusammenhalt mit einer ganz grundlegen-den Reform des Rechts der Raummiete in Erwä-gung gezogen werden, die sich vor allem einenbefreienden Kahlschlag durch die mannigfaltigenDifferenzierungen nach sachlichen und zeitlichenAnwendungsschichten und eine fundamentaleVereinfachung der einzelnen Normen zum Zielsetzen müsste. Dass sich solches in absehbarerZeit realisieren ließe, steht jedoch nicht zu erwar-ten. Das Bundesministerium für Justiz strebt ei-nen solchen Reformschritt nun bereits seit achtJahren an, doch mangelt es an dem dafür erfor-derlichen breiten politischen Konsens. Daher istzu resümieren, dass von einer Verwebung derbeiden Normwelten jedenfalls bis auf weiteresabgesehen werden sollte. Die „Lebenskraft desABGB“, die Franz Klein aus Anlass des damalshundertjährigen Bestehens des Gesetzeswerks zuRecht hervorgehoben hatte,13) sollte nicht durcheine mietrechtliche Überfrachtung unnötig ge-schwächt werden.

12) Ich rufe dazu nur das Stakkato der Wohnrechts-novellen seit Beginn der neunziger Jahre in Erinnerung,die im Schnitt in einem Abstand von rund zwei bis dreiJahren beschlossen wurden. In jüngster Zeit hat sich dieRegelungsgeschwindigkeit des Wohnrechtsgesetzgebersetwas verlangsamt; dennoch handelt es sich bei dieser In-stabilität um ein Strukturmerkmal des Mietrechts, dasauch früher – also etwa auch während der Geltung desMietengesetzes – festzustellen war.

13) Klein, Die Lebenskraft des allgemeinen bürgerli-chen Gesetzbuches, FS zur Jahrhundertfeier des ABGB(1911), Band I, 1.

B. Schutzrechtliche „Aufmöbelung“ des ABGB-Mietrechts?

An dieser Stelle erhebt sich allerdings die Frage,ob sich möglicherweise andere Perspektiven fürdie Weiterentwicklung des Mietrechts als jene derIntegration skizzieren lassen. In jüngerer Zeit hatsich im Gefolge besonders der Mietrechtsnovelle2001, durch die die so genannten Ein- oder Zwei-Objekte-Gebäude14) zur Gänze aus dem Anwen-dungsbereich des Mietrechtsgesetzes ausgenom-men und in das ABGB-Mietrecht überstellt wur-den, im Gefolge also dieser und auch andererDurchlöcherungen des Anwendungsbereichs desMietrechtsgesetzes die Erkenntnis breit gemacht,dass das größtenteils noch aus dem Jahre 1811stammende 25. Hauptstück keinen ausreichendenund befriedigenden Gesetzesrahmen für die Raum-miete abgibt. Auf Basis dieser Erkenntnis wurdevorgeschlagen, man solle doch das ABGB-Miet-recht – unabhängig vom weiter bestehenden MRG –an die heutigen praktischen Erfordernisse und Be-dürfnisse bei der Vermietung von Wohn- und Ge-schäftsräumen adaptieren, da und dort Klar-stellungen treffen und auch die eine oder andereSchutzbestimmung zugunsten der Mieter einzie-hen. Als Beispiel für die letztgenannte Überlegungsei etwa der Vorschlag erwähnt, die §§ 1120 und1121 ABGB dahin abzuändern, dass der Erwerberder Liegenschaft dann keine Kündigungsmög-lichkeit haben solle, wenn er einen allfälligen Kün-digungsverzicht seines Rechtsvorgängers kannteoder kennen musste.

Grundsätzlich könnte den Stimmen, die einenAusbau und eine Modernisierung des ABGB-Miet-rechts propagieren, bei isolierter Betrachtungdurchaus beigepflichtet werden; ich darf hier diezuvor zitierten Ausführungen von Klang in Erin-nerung rufen. Doch wer die rechtspolitische Aus-einandersetzung um das Mietrecht kennt, der weiß,dass mit diesem Vorschlag ein weiterführendesKalkül verbunden ist, nämlich die letztlich beab-sichtigte Eliminierung des bei manchen so sehrungeliebten Mietrechtsgesetzes. Man könnte die-sen Gedanken kurz so umschreiben: Wenn erst ein-mal die einschlägigen Bestimmungen des ABGB„raummiettauglich“ ausgestaltet wären, könnte imWeiteren argumentiert werden, dass das – aus die-ser Sicht – antiquierte Mietrechtsgesetz mit seinemaus den Kriegs- und Nachkriegsverhältnissen mo-tivierten Mieterschutz nicht mehr gebraucht werdeund zur Gänze aufgehoben werden könne. Einersolchen Sichtweise und Perspektive kann ich abernicht das Wort reden. Meiner Überzeugung nachwird es noch längere Zeit einen Bedarf nach einemin sich geschlossenen Schutzregime durch zwin-gendes Gesetzesrecht zugunsten von Raummie-tern, jedenfalls zugunsten von Wohnungsmietern,geben. Ich werde dies hier nicht näher ausführen,zumal unsere heutige Veranstaltung dem ABGBund nicht dem MRG gewidmet ist und Begründun-

14) Das erweiterte Pendant zu den früheren Ein- undZweifamilienhäusern.

Page 7: Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung?

© Springer-Verlag 2009

woblJ. Stabentheiner, Wohnrecht und ABGB – Integration oder optimierte Verschränkung? 352009, Heft 2

Februar

gen auch für die künftige Notwendigkeit eines –freilich reformierten – Mieterschutzes bereits ananderer Stelle umfassend gegeben wurden.15) Fürhier und heute mag die Feststellung genügen, dassdas Mietrechtsgesetz, seine prinzipiellen Rege-lungsanliegen und Schutzinstrumente auch in denkommenden Jahrzehnten keineswegs obsolet seinwerden.

C. Reform des Sondermietrechts plus Modernisie-rung des ABGB-Mietrechts

Meiner Überzeugung nach darf die Grundhal-tung, von der sich der Gesetzgeber künftig leitenlassen sollte, nicht in einem Entweder-Oder liegen.Die beiden Handlungsstränge, einerseits wiederstärkeres Augenmerk auf das ABGB als Regelungs-ort auch für die Raummiete zu richten und ande-rerseits eine Erneuerung des Sondermietrechts an-zustreben, sollten nicht als Alternativen verstan-den werden, die einander wechselseitig ausschlös-sen. Gerade die rezente Mietvertragsklausel-Judi-katur hat gezeigt, dass zentrale Fragenkreise desMietrechts, wie etwa jener rund um die eigentlicheLeistungspflicht des Vermieters bzw die ihm oblie-gende Gewährleistung gerade im Zusammenhangmit der Erhaltung des Mietobjekts, ohnehin nichtmehr unilateral etwa im Mietrechtsgesetz gelöstwerden können, weil hier auch noch das ABGB-Mietrecht, das allgemeine Vertragsrecht und be-

15) Stabentheiner (Hrsg), Mietrecht in Europa (1996),darin im Besonderen Stabentheiner, Ein neues Bezugs-feld der mietrechtlichen Betrachtung, 21, Ostermayer,Anforderungen an das Mietrecht aus Sicht der Mieter, 59,und H. Böhm, Das Mietrecht in Österreich, 125; BMJ/Schauer/Stabentheiner (Hrsg), Erneuerung des Wohn-rechts (2000); Stabentheiner, Wohnrechtliche Streiflich-ter in bewegten Zeiten, in Tades/Danzl/Graninger (Hrsg),FS Robert Dittrich (2000) 839; Gutknecht/Amann (Hrsg),Zukunftsperspektiven zum Wohnrecht (2003), darin imBesonderen Vonkilch, Reformbedarf beim Anwendungs-bereich des MRG, insbesondere bei seinem Teilanwen-dungsbereich, 41, und Rosifka, Optionen einer termino-logischen und inhaltlichen Harmonisierung des Wohn-rechts, 95; Stabentheiner, Delogierungsprävention – Ei-gentümervertreter – Mietrechtsreform. Markierungs-punkte zur Legislative im Wohnrecht, in FS GerhardHopf (2007) 179.

sonders auch das Verbraucherschutzrecht herein-wirken. Erforderlich ist also eine umfassendere,ganzheitliche Sicht. Es braucht beides, nämlichzum einen eine Reform des Sondermietrechts undzum anderen eine auf die heutigen Gegebenheitender Raummiete zugeschnittene und die Einwirkun-gen des Konsumentenschutzrechts miteinbezie-hende Adaptierung des 25. Hauptstücks.

Bei Letzterem liegt das allgemeine Interesse aufGrund der beiden Klausel-Entscheidungen desOGH derzeit besonders bei der Zentralnorm überdie Pflichten des Vermieters, also bei § 1096ABGB. Das begreift auch Fragestellungen rund umdie Veränderung und Verbesserung des Mietob-jekts sowie um den dem Mieter zu leistenden Auf-wandersatz mit sich. Meines Erachtens wäre aberauch eine durchgreifende Erneuerung der Bestim-mungen über die Auflösung des Mietvertrags drin-gend vonnöten, weil erstens die diesem Problem-kreis gewidmeten Bestimmungen des ABGB rege-lungstechnisch von geringer Qualität und schwerverständlich sind, zweitens gewisse materiell-rechtliche Anordnungen gar nicht mehr im ABGB,sondern in der Zivilprozessordnung zu finden sindund weil es schließlich drittens dem ABGB-Miet-recht in diesem Kontext an jeglichem wohlverstan-denen Mieterschutz mangelt. Hier wären die Ein-führung zumindest eines gewissen Kündigungs-schutzes bei nicht befristeten Mietverträgen sowiezwingende Regelungen über eine Mindestvertrags-dauer bei befristeten Wohnungsmietverträgen zuüberlegen. Wenn man sich dazu nicht entschließenkann, sollte dem Mieter zumindest eine unabding-bare Vertragsverlängerungsoption bei Kündigung –beispielsweise auf ein Jahr – eingeräumt werden,und zwar – im Hinblick auf §§ 1120 und 1121ABGB – mit Rechtswirksamkeit auch gegen denErwerber oder Ersteher der Sache.

In diesem Sinn sollte die bereits im Jahr 1999eingeleitete, zuletzt aber nicht mehr weiterver-folgte Diskussion um eine Reform des gesamtenMietrechts wieder aufgenommen werden.

Korrespondenz: Hon.-Prof. Dr. Johannes Staben-theiner, Bundesministerium für Justiz, Museum-straße 7, 1010 Wien, Österreich.