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Cicero Besuchen Sie uns im Internet unter www.cicero.biz. Wir freuen uns über Ihren Besuch! Entwicklung Beratung Training Coaching Wie funktioniert unser Gedächtnis? Gedächtnismoleküle und die Theorie der Großmutterzelle Schon lange haben Forscher nach dem Sitz des Gedächtnisses gefahndet. Dabei kamen allerlei merkwürdige Vorstellungen auf. In den 50er und 60er Jahren beispielsweise versuchte man, sogenannte "Gedächtnismoleküle" nachzuweisen. Erinnerung sollte nach dieser Theorie in Form verschiedenster Eiweißstoffe im Gehirn existieren. Einer der Anhänger dieser Richtung, der Neurophysiologe James McConnell, stellt einige recht ausgefallene Experimente an: Er brachte Plattwürmern bei, Licht zu meiden. Taten sie es, so zerkleinerte McConnell sie in einem Mixer und verfütterte sie an Artgenossen, die dann angeblich auch das Licht mieden. Die New York Times titelte daraufhin: "Verspeisen Sie Ihren Professor". McConnells aufsehenerregender Versuch ging später als Irrtum in die Wissenschaftsgeschichte ein. Bis in die 70er Jahre war die Theorie der Großmutterzelle aktuell. Danach sollte eine Erinnerung, zum Beispiel die an die eigene Großmutter, in einer einzigen Nervenzelle gespeichert sein. Eine einfache Überlegung widerlegte schließlich diese Idee: Da im Gehirn laufend Nervenzellen absterben, würde es zu einem dauernden Auslöschen von einzelnen Gedächtnisinhalten kommen. Auch die Erinnerung an die Großmutter würde irgendwann einfach ausgeknipst - was offensichtlich nicht der Realität entspricht. Die Theorie konnte sich nicht halten. Neuerdings scheint ein anderer Ansatz vielversprechender: die Transplantation von Gehirnzellen. Das Gehirn als Basis des Gedächtnisses Alle geistigen Funktionen beruhen auf chemischen und elektrophysikalischen Vorgängen in verschiedenen, klar voneinander abgrenzbaren Bereichen des Gehirns und sind als Folge der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt evolutionär entstanden. Die gegenüber den Primaten besonders herausragenden Leistungen des Menschen bezüglich des räumlichen Sehens und Vorstellungsvermögens, des Lernens und des Gedächtnisses sowie des sprachlichen Ausdrucksvermögens und der Begriffsbildung haben sich im Verlaufe der letzten 4 Millionen Jahre entwickelt und sind an archäologischen Funden nachweisbar. Insbesondere das Gedächtnis als Grundlage aller höheren geistigen Aktivitäten beruht auf einer chemischen Verfestigung bestimmter evolutionär angelegter Hirnstrukturen

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Cicero • Besuchen Sie uns im Internet unter www.cicero.biz. Wir freuen uns über Ihren Besuch!

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Wie funktioniert unser Gedächtnis?

Gedächtnismoleküle und die Theorie der Großmutterzelle

Schon lange haben Forscher nach dem Sitz des Gedächtnisses gefahndet. Dabei kamen allerlei merkwürdige Vorstellungen auf. In den 50er und 60er Jahren beispielsweise versuchte man, sogenannte "Gedächtnismoleküle" nachzuweisen. Erinnerung sollte nach dieser Theorie in Form verschiedenster Eiweißstoffe im Gehirn existieren. Einer der Anhänger dieser Richtung, der Neurophysiologe James McConnell, stellt einige recht ausgefallene Experimente an: Er brachte Plattwürmern bei, Licht zu meiden. Taten sie es, so zerkleinerte McConnell sie in einem Mixer und verfütterte sie an Artgenossen, die dann angeblich auch das Licht mieden. Die New York Times titelte daraufhin: "Verspeisen Sie Ihren Professor".

McConnells aufsehenerregender Versuch ging später als Irrtum in die Wissenschaftsgeschichte ein. Bis in die 70er Jahre war die Theorie der Großmutterzelle aktuell. Danach sollte eine Erinnerung, zum Beispiel die an die eigene Großmutter, in einer einzigen Nervenzelle gespeichert sein. Eine einfache Überlegung widerlegte schließlich diese Idee: Da im Gehirn laufend Nervenzellen absterben, würde es zu einem dauernden Auslöschen von einzelnen Gedächtnisinhalten kommen. Auch die Erinnerung an die Großmutter würde irgendwann einfach ausgeknipst - was offensichtlich nicht der Realität entspricht. Die Theorie konnte sich nicht halten.

Neuerdings scheint ein anderer Ansatz vielversprechender: die Transplantation von Gehirnzellen.

Das Gehirn als Basis des Gedächtnisses

Alle geistigen Funktionen beruhen auf chemischen und elektrophysikalischen Vorgängen in verschiedenen, klar voneinander abgrenzbaren Bereichen des Gehirns und sind als Folge der Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt evolutionär entstanden. Die gegenüber den Primaten besonders herausragenden Leistungen des Menschen bezüglich des räumlichen Sehens und Vorstellungsvermögens, des Lernens und des Gedächtnisses sowie des sprachlichen Ausdrucksvermögens und der Begriffsbildung haben sich im Verlaufe der letzten 4 Millionen Jahre entwickelt und sind an archäologischen Funden nachweisbar. Insbesondere das Gedächtnis als Grundlage aller höheren geistigen Aktivitäten beruht auf einer chemischen Verfestigung bestimmter evolutionär angelegter Hirnstrukturen

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und Nervenverschaltungen, die durch häufigen Gebrauch bis zu einem Grade stabilisiert werden können, dass die Gedächtnisinhalte für das ganze Leben erhalten bleiben.

Biologie und Psychologie billigen auch den höheren Tieren ein Bewusstsein zu, das zunächst nichts weiter ist als die Integration verschiedener sensorischer Nervenimpulse zu einer Ganzheit, von der aus das Verhalten zur Bewältigung von Aufgaben effektiver gesteuert werden kann. Das tritt zweifellos auch bei Vögeln und Säugetieren auf. Die Emergenz von Bewusstsein ist also mit ziemlicher Sicherheit ein Produkt der natürlichen Selektion in der Evolution. Experimentelle Untersuchungen zeigen, dass bei Tieren wie bei Menschen eine motorische Muskelreaktion gleichermaßen von der Großhirnrinde ausgeht, die über einen Impuls an das Kleinhirn die Muskelbewegung auslöst. Auch das Selbstbewusstsein des Menschen ist eine weitere emergente Entwicklung, die sich aus einem immer komplexeren Bewusstsein ergibt.

Während Struktur und anatomischer Aufbau der beiden Hälften des Gehirns anscheinend keinerlei Unterschiede aufweisen, entwickelt sich nur bei den Hominiden eine ausgeprägte funktionale Asymmetrie. In der linken Hälfte des Gehirns entwickeln sich die sprachlichen, arithmetischen und begrifflichen Funktionen, in der rechten das räumliche Vorstellungsvermögen und das Musikverständnis. Die unterschiedlichen Funktionen der beiden Hälften sind in den phylogenetisch am spätesten ausgebildeten Regionen der Hirnrinde konzentriert und bilden sich ontogenetisch erst im Kindesalter aus. Deshalb gibt es auch die seitenumgekehrte Asymmetrie und bei Hirnschäden im Kindesalter kann die andere Hirnhälfte die Funktionen der geschädigten Seite übernehmen. Auch die im frühen Kindesalter noch offene und spätere Festlegung ausgeprägter Fähigkeiten und Neigungen verweist auf diese Tatsachen. Durch die funktionale Asymmetrie konnte die Potenz der Hirnrinde des Menschen gegenüber dem Schimpansen auf das 5,4-fache gesteigert werden bei einem Anwachsen des Volumens auf das nur 3,2-fache. Inwiefern das Selbstbewusstsein auf beide Gehirnhälften verteilt ist, konnte noch nicht eindeutig geklärt werden, weil der rechten, untergeordneten Hälfte die sprachliche und begriffliche Ausdrucksfähigkeit fehlen, emotionale Reaktionen wegen der tieferen Verbindungen beider Gehirnhälften über das ungeteilte limbische System bisher aber nicht hinreichend getrennt werden konnten. Man nimmt jedoch an, dass das

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Selbstbewusstsein in der dominanten linken Hälfte seinen Sitz hat.

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Netzwerk Gehirn

Erst in den letzten Jahren haben die Forscher etwas mehr über das Gedächtnis erfahren. Das Speichermedium sind die Nervenzellen des Gehirns und ihre Verbindungen untereinander. Es gibt 100 Milliarden dieser Zellen, und jede einzelne ist mit bis zu 10000 anderen verbunden. Das Gehirn ist also im Prinzip ein gigantisches Kabelnetz mit mehreren 100 000 Kilometern Länge. Und wie in einem Stromkabel fließt auch entlang der Nervenbahnen Strom. Wird eine Nervenzelle durch einen ankommenden Reiz stimuliert, dann verändert sie innerhalb kürzester Zeit ihren Zustand: Entweder sie wird erregt (sie "feuert", wie man sagt) oder sie wird gehemmt. Wenn eine Zelle feuert, dann werden über Botenstoffe auch die dahinterliegenden Nervenzellen veranlasst zu feuern.

Nervenimpulse werden von den Axonen durch Ausschüttung chemischer Substanzen in den Synapsen an die Dendriten von im Durchschnitt 1000 und bis zu 6000 anderen Neuronen weitergeleitet. Neuronen bilden somit die unterste Ebene der neuronalen Architektur. Sie sind zu lokalen Schaltkreisen in den einzelnen Rindenregionen und subkortikalen Kernen verknüpft. Die Verknüpfungsstruktur hängt von den unterschiedlichen Aufgaben ab. Rindenregionen und subkortikale Kerne sind miteinander zu Systemen verbunden, die jeweils komplexere Funktionen erfüllen und ihrerseits zu übergeordneten Systemen zusammengefasst sind. Solche spezifischen Funktionssysteme gibt es für alle Sinnesorgane zur Auswertung von Empfindungen und für Organe, deren Motorik von Gehirn gesteuert werden kann, sowie für alle lebenswichtigen Funktionen, die unbewusst gesteuert werden. Ferner gibt es Regionen für Sprache und Begriffsverarbeitung, für das logisch-rationale Denken und ein davon völlig autonomes System für die Entscheidungsfindung. Das letztere ist stark korreliert mit der Fähigkeit zur Emotionsverarbeitung und der Verarbeitung von körpereigenen Empfindungen sowie dem Sozialverhalten und befindet sich meist in der vorderen rechten Hirnhälfte.

Was passiert nun, wenn wir uns erinnern, zum Beispiel an unsere Großmutter? Die derzeitige Antwort der Gedächtnisforscher: Ein spezielles Gesicht entspricht im Gehirn einer ganz bestimmten Kombination vieler Nervenzellen, die gemeinsam feuern. Durch die gemeinsame elektrische Aktivität entsteht ein Muster im Gehirn, das die Großmutter repräsentiert. Andere Gesichter, Gegenstände, Telefonnummern - für alles gibt es ein spezielles Muster von Nervenzellen, die gemeinsam aktiv sind.

Warum kann man ein solches Muster manchmal noch nach

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Jahrzehnten aktivieren? Oder anders gefragt: Was unterscheidet das Kurz- vom Langzeitgedächtnis? Müssen wir uns beispielsweise nur kurzfristig eine Telefonnummer merken, dann verblasst das entsprechende Muster schnell, weil nur wenige Nervenzellen beteiligt sind und die Verbindung zwischen ihnen sehr locker ist. Demgegenüber vermuten die Wissenschaftler, dass bei dauerhaften Erinnerungen zwei Faktoren entscheidend sind: Erstens sind dann mehr Nervenzellen beteiligt, das Signal ist also stärker. Und zweitens sind die Verbindungen zwischen den beteiligten Nervenzellen wesentlich stärker; denn "wichtige" Erinnerungen werden häufig aktiviert, die entsprechenden Verbindungen werden dadurch stabilisiert.

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Aufgaben des Gehirns Das Gehirn hat primär die Aufgabe, die Funktionen und das Verhalten so zu steuern, dass der Organismus sich an seine Umwelt anpasst und in dieser seine Überlebenschancen erhöht. Hierzu dienen folgende Aktivitäten:

• Fast jeder Körperteil sendet über die peripheren Nerven Signale zum Gehirn, die in den somatosensiblen Rindenfeldern und Kernen empfangen werden.

• Durch Körperaktivität werden chemische Stoffe erzeugt, die das Gehirn über den Blutkreislauf erreichen und die Funktionsweise des Gehirns direkt oder durch Aktivierung bestimmter Gehirnregionen beeinflussen.

• Das Gehirn wirkt über das autonome und das willkürliche Nervensystem auf alle Teile des Körpers ein. Die Signale für das autonome Nervensystem entstehen in den evolutionär älteren Regionen (Amygdala, Gyrus cinguli, Hypothalamus und Gehirnstamm), die für das willkürliche System in den motorischen Rindenfeldern und Kernen unterschiedlichen evolutionären Alters.

• Befehle zur Herstellung von chemischen Substanzen und ihre Ausschüttung in den Blutkreislauf (Hormone, Transmitter und Modulatoren) Empfang von Reizen aus den Sinnesorganen für Sehen, Hören, Tasten, Schmecken und Riechen in den entsprechenden frühen sensorischen Rindenfeldern.

Die verschiedenen Ein- und Ausgabefelder des Gehirns sind nicht direkt, sondern nur über verschiedene andere Gehirnregionen mit unterschiedlichen Funktionen miteinander verbunden. Dabei gibt es kein Zentrum, in dem etwa alle unterschiedlichen Eingaben zusammenlaufen. Jedes Sinnessystems verfügt über eigene lokale Apparate für Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis, mit denen ein globales Aufmerksamkeitszentrum zeitlich nacheinander koordiniert zusammenarbeitet.

Wahrnehmungsbilder werden von den Sinnesorganen topographisch organisiert auf die frühen Rindenfelder projiziert, von wo aus sie komprimiert als dispositionelle Repräsentation in speziellen Konvergenzzonen durch Lernvorgänge ins Gehirn eingespeichert werden. Von dort aus werden sie bei Denkvorgängen auf die gleichen Rindenfelder rückprojiziert und als Erinnerungsbilder wahrgenommen, die jedoch nicht die gleiche Detailtreue der ursprünglichen Wahrnehmungsbilder besitzen, sondern infolge der Komprimierung Informationsverluste

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zeigen, aber das uns während der Wahrnehmung Wesentliche noch enthalten. Diese Erinnerungsbilder sind flüchtig, müssen aber für den Zeitraum eines Denkvorganges (bis zu einigen Sekunden) aufrechterhalten werden. Gespeichert werden also nicht topografisch organisierte Bilder, sondern nur die Mittel, um diese Bilder später wieder rekonstruieren zu können. Der dabei verwendete Code ist noch unbekannt.

Als solche dispositionellen Repräsentationen wird unser gesamtes Wissen abgelegt. Das angeborene Wissen ist dabei im Hypothalamus, im Hirnstamm und im limbischen System eingespeichert, während das durch Lernen erworbene Wissen in höheren Rindenfeldern und subkortikalen Kernen abgelegt wird. Bei Denkvorgängen aktivieren wir diese dispositionellen Repräsentationen zu Vorstellungsbildern, operieren mit ihnen und legen sie verändert wieder ab. Diese visuellen, akustischen oder symbolischen Bilder oder Bewegungen müssen dabei nicht unbedingt ins Bewusstsein treten, dispositionelle Repräsentationen von ihnen können aber nur in den Assoziationsfeldern gespeichert werden, wenn sie vorher topografisch in den frühen sensorischen oder motorischen Rindenfeldern dargestellt wurden. Das für lebenswichtige Funktionen erforderliche Wissen und der Grundaufbau des Gehirn ist durch Gene festgelegt. Die weiter detaillierte Struktur des Gehirns und das erlernte Wissen entsteht während der Ontogenese durch den Gebrauch des Gehirn in der jeweils spezifischen Umwelt, wobei jedoch die evolutionär älteren Gehirnstrukturen weiterhin auf die Gestaltung und Arbeitsweise der höheren Strukturen Einfluss nehmen. Lebenswichtige Prozesse, wie Atmung, Ernährung, Kampf- und Fluchtverhalten bei der Verteidigung gegen Feinde werden durch angeborene Triebe und Instinkte geregelt, die in den unbewussten Regionen des Gehirns gespeichert sind. In komplizierteren und wechselhaften Umwelten reicht das jedoch nicht aus. Inwieweit Umweltsituationen nützlich oder schädlich für das Überleben des Organismus sind, muss dann genauer analysiert werden und in den verschiedenen Situationen jeweils zweckmäßige Verhaltensweisen sind zu lernen und für spätere ähnliche Situationen aufzubewahren. Dies leisten in erster Linie die höheren Regionen des Gehirns, wobei viele Auswirkungen unterschiedlicher Verhaltensweisen durch Körperempfindungen als gut oder schlecht erfahren und entsprechend bewertet werden. In die Entscheidungsfindung zwischen alternativen Verhaltensweisen ist deshalb als letzte Instanz immer der angeborene und unbewusste Teil der Gehirnfunktionen eingeschaltet. (Entscheidung aus dem Bauch). Die angelernten Verhaltensweisen haben immer eine soziale Komponente und betreffen das Verhalten in einer

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Sozialgemeinschaft, deshalb sind diese Eigenschaften auch nicht allein durch das Individuum, sondern immer auch durch die Umwelt bestimmt, selbst wenn nützliche Traditionen für das Verhaltens des Individuums eine entscheidende Rolle spielen. Das ist auch Ursache dafür, das Sozialverhalten entsteht, welches nicht allein egoistisch, sondern vielfach altruistisch orientiert ist.

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Erinnerungen sind überall

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Erinnerungen sind also immer durch Netzwerke vieler Nervenzellen festgehalten. Ein weiteres Funktionsprinzip des Gedächtnisses: Arbeitsteilung.

Beispiel: Die Erinnerung an einen Bleistift. Die Informationen über die Farbe, Form und Funktion des Stifts sind an jeweils verschiedenen Orten im Gehirn gespeichert. Sie scheinen den Gehirnregionen zugeordnet zu sein, die auch für die Wahrnehmung der entsprechenden Eigenschaft zuständig sind. So wird die Farbe des Stifts an einem anderen Ort verarbeitet als zum Beispiel die zylindrische Form. Das Gedächtnis funktioniert wie ein Orchester: Die Geigen sind für die Farbe des Stifts zuständig, die Querflöten für die Form, die Pauke für die Funktion. Alle zusammen lassen in Sekundenbruchteilen das Bild des Stifts vor dem geistigen Auge entstehen.

Die Frage ist, woher das Gehirn weiß, dass die verschiedenen Informationen zu ein und demselben Objekt gehören. Einen Dirigenten, der mit seinem Taktstock alles im Griff hat, gibt es nämlich nicht im Gehirn. Die Vermutung der Forscher: Entscheidend ist der Takt, in dem die Nervenzellen feuern. Alle Nervenzellen, die mit der Erinnerung an den Bleistift beschäftigt sind, feuern beispielsweise fünfzigmal in der Sekunde. Andere Zellen, die sich an ein Blatt Papier erinnern, entladen sich nur dreißigmal. So wäre sichergestellt, dass weit auseinanderliegende Informationsdetails zu einem Gesamtbild zusammengefasst werden können.

Speicherabhängige Gedächtnisformen

Es gibt verschiedene Gedächtnissysteme. Am bekanntesten ist die Einteilung in Kurz- und Langzeitgedächtnis.

Weniger bekannt sind die sensorischen Gedächtnissysteme, die es uns ermöglichen, die Umwelt wahrzunehmen. Wenn Sie in einem dunklen Zimmer eine glühende Zigarette hin- und herbewegen, dann werden Sie feststellen, dass diese eine Leuchtspur hinterlässt, mit der man lesbare Wörter in die Luft schreiben kann. 1740 machte sich der schwedische Forscher Segner diesen Effekt zunutze, um zu messen, wie lange die Spur eines mit dem Auge aufgenommenen Eindrucks im Gedächtnis bleibt.

Er befestigte ein glühendes Stück Kohle an einem rotierenden Rad. Wenn sich das Rad sehr schnell drehte, dann konnte er einen vollen Kreis wahrnehmen, da die am Anfang der Drehung entstandene Spur

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immer noch leuchtete, wenn das Kohlestück wieder am Startpunkt anlangte. Bei einer langsameren Drehung war nur das Teilstück eines Kreises zu sehen, weil die Spur des ersten Abschnitts verblasst war, bis die Kohle wieder den Ausgangspunkt erreicht hatte. Segner wählte nun eine Geschwindigkeit, mit der gerade noch ein vollständiger Kreis zustande kam und maß die Zeit für eine Umdrehung. Er schätzte sie korrekt auf ungefähr eine Zehntelsekunde.

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Das ikonische Gedächtnis Dieses optische Gedächtnissystem wird "Ikonisches Gedächtnis" genannt. Seine Dauer kann noch einfacher demonstriert werden:

Spreizen Sie die Finger einer Hand und bewegen Sie sie vor Ihren Augen hin und her. Tun Sie das zuerst ganz langsam: Sie werden feststellen, dass der Hintergrund sich stückweise bewegt, weil die Wahrnehmung immer wieder durch die Finger unterbrochen wird. Jetzt wiederholen Sie den Vorgang sehr schnell. Nun bleibt der Hintergrund stabil und ist höchstens etwas verwischt. Bei der schnellen Bewegung wird die Szene nur ganz kurz unterbrochen, so dass die Information, die Ihr Auge aufnimmt, sich erneuern kann, bevor sie verblasst.

Einen ähnlichen Gedächtnisvorgang gibt es auch beim Hören. Wenn in einer Zimmerecke ein kurzes, klickendes Geräusch ertönt, können Sie sofort bestimmen, aus welcher Richtung es gekommen ist. Diese Fähigkeit beruht darauf, dass Sie sich bei der Peilung den winzigen Unterschied zwischen der Ankunftszeit des Klickens an jedem Ohr zunutze machen, also eine ähnliche Arbeit ausführen wie ein Sonar. Damit Sie jedoch die geringfügige Zeitdifferenz auswerten können, muss ein System vorhanden sein, welches das erste Klicken bis zur Ankunft des zweiten speichert.

Inhaltsabhängige Gedächtnisformen

Bei den bisher erwähnten Gedächtnissystemen war die Frage wichtig, wie lange die Gedächtnisinhalte gespeichert werden. Seit einigen Jahren tritt aber immer mehr in den Vordergrund, was gespeichert wird. Nicht mehr die Zeit, sondern der Inhalt ist der Faktor, mit dem die Wissenschaftler verschiedene Gedächtnissysteme unterscheiden. Dass Inhalte möglicherweise verschieden abgespeichert werden, darauf kamen die Forscher bei der Untersuchung von Menschen, die ihre Erinnerungen teilweise verloren hatten. Diese sogenannten Amnesien werden durch Unfälle oder psychische Belastungen verursacht. Amnestiker haben ganz spezielle Ausfälle: Die meisten können sich nicht mehr an ihre eigene Lebensgeschichte erinnern, sie wissen buchstäblich nicht mehr, wer sie sind. Andere sind plötzlich unfähig, Neues zu lernen.

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Das episodische Gedächtnis

Fälle wie dieser veranlassten die Wissenschaftler, das Gedächtnis zu unterteilen: Einerseits gibt es das autobiographische oder wissenschaftlich ausgedrückt das episodische Gedächtnis; dort ist das gespeichert, was zu unserer ganz persönlichen Lebensgeschichte gehört. Allgemeiner: Jede Erinnerung, zu der wir die dazugehörige Zeit und den Ort angeben können.

Für die Wissenschaft ist die Frage interessant, wo sich die verschiedenen Gedächtnissysteme im Gehirn befinden. Nach einer neuen Theorie des Kanadiers Endel Tulving, der sogenannten HERA-Theorie (Hemispheric Encoding and Retrieval Asymmetry), existiert beim episodischen Gedächtnis eine Art Arbeitsteilung zwischen linker und rechter Gehirnhälfte: Danach werden nach Zeit und Raum benennbare Erinnerungen in der linken Hälfte des Großhirns eingeprägt. Das Abrufen der Erinnerungen geschieht dagegen in der rechten Hälfte. Solche Erkenntnisse gewinnen die Forscher mit moderner Technik: Mittels der Positronen-Emissions-Tomographie können sie dem Gehirn quasi bei der Arbeit zuschauen, ohne es zu verletzen. Dabei wird der Versuchsperson ein radioaktives Kontrastmittel gespritzt, das sich im Gehirn ansammelt - und zwar überall dort, wo es gerade besonders aktiv ist. Die radioaktiven Signale registriert ein spezielles Empfangsgerät und wandelt sie in Bilder um.

Durch die Untersuchung von Amnestikern (Amnesie ist eine Erkrankung, die Erinnerungslosigkeit und Gedächtnisschwund mit sich bringt) können die Wissenschaftler überprüfen, ob die HERA-Theorie stimmt: Da sie bei diesen von der Familie Details über ihr Vorleben erfahren können, konfrontieren sie diese während einer PET-Untersuchung mit diesen Erinnerungen. Wie erwartet zeigen sich keine Signale auf der rechten Seite, da diese Erinnerungen nicht mehr zugänglich waren. Anders bei nicht-geschädigten Versuchspersonen: Befragt man sie nach intensiven Erlebnissen aus ihrer Kindheit und ruft diese Erinnerungen in einer PET-Untersuchung zurück, dann zeigen sich deutliche Signale auf der rechten Seite des Großhirns. Persönliche Erinnerungen werden anscheinend in der rechten Gehirnhälfte gespeichert.

Das semantische Gedächtnis Andererseits gibt es das Gedächtnis für Gelerntes: In Fällen wie dem oben beschriebenen weiß der Betroffene zum Beispiel, dass der Kilimandscharo in Tansania und Kenia liegt; das hat er gelernt. Dass er selbst schon den Berg bestiegen hat, davon weiß

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er allerdings nichts mehr, da sein episodisches Gedächtnis ausgefallen ist. Wissenschaftler nennen den Speicher für Gelerntes das.

Das prozedurale Gedächtnis Außerdem gibt es noch das sogenannte prozedurale Gedächtnis. Hier sind zum Beispiel Bewegungsabläufe gespeichert wie das Fahrradfahren oder Schwimmen - Gedächtnisinhalte, die weitgehend unbewusst sind und so gut wie nie durch Unfälle zerstört werden.

Ein viertes Gedächtnissystem? Zu guter Letzt gibt es noch ein viertes Gedächtnissystem, das völlig unbewusst arbeitet. Auch diesem kamen die Wissenschaftler durch Menschen auf die Spur, deren Erinnerungsfähigkeit gestört war. So zum Beispiel der berühmteste Fall der Neuropsychologie: Ein Patient namens H. M. litt in den fünfziger Jahren unter starken epileptischen Anfällen. In einer Operation entfernte man ihm Teile beider Schläfenlappen. Nach der Operation zeigte sich, dass der Patient die Fähigkeit verloren hatte, neue Eindrücke zu speichern. H. M. begrüßte Bekannte, als sähe er sie zum erstenmal; eine halbe Stunde nach dem Mittagessen wusste er nicht mehr, ob er etwas zu sich genommen hatte, geschweige denn was; über Todesfälle in der Familie war er jeden Tag aufs Neue geschockt. Bei Gedächtnistests zeigte sich jedoch, dass auch Patienten wie H. M. noch bestimmte Arten von Information bleibend aufnehmen können.

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Cortex-Schnitt Quelle: http://linux1.pae.asn-

graz.ac.at/ linux2/tutor-

bu/images/CORTEX1.JPG

Doris Marszk berichtet 2001 in "bild der wissenschaft"

Erstmals erfolgreich frische

Gehirnzellen transplantiert

http://www.wissenschaft.de/ sixcms/detail.php?id=88962

(01-04-21)

Amerikanischen Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen, Ratten menschliche neuronale Stammzellen einzupflanzen und dadurch bei den Tieren eine verbesserte Gedächtnisleistung zu erreichen. Ihre Ergebnisse haben die Forscher in der Zeitschrift "NeuroReport" veröffentlicht.

Das Forscherteam unter der Leitung von Kiminobu Sugaya von der University of Illinois at Chicago hat im Labor entwickelte menschliche neuronale Stammzellen älteren Ratten eingepflanzt. Um zu sehen, ob dieser Eingriff tatsächlich zu einer verbesserten Gedächtnisleistung führt, haben die Wissenschaftler eine Gruppe von 32 Ratten darauf trainiert, in einem Wasser-Irrgarten zu einer versteckten Plattform zu schwimmen. In der Versuchsgruppe befanden sich sowohl die älteren, mit frischen Stammzellen versorgten Ratten als auch unbehandelte ältere und jüngere Ratten.

Vier Monate später überprüften die Wissenschaftler, wie gut die 32 Ratten die Aufgabe, die Plattform zu finden, noch beherrschten. Es zeigte sich, dass jene älteren Ratten, denen die Stammzellen eingepflanzt worden waren, die Aufgabe genauso gut meisterten wie die jungen Ratten. Eine der behandelten Ratten stach sogar die jüngeren aus. Die unbehandelten älteren Ratten, die die Kontrollgruppe darstellten, blieben in ihrer Leistungsfähigkeit deutlich zurück.

Eine Untersuchung der Gehirne der behandelten Ratten nach ihrem Tod ergab, dass sich die neuronalen Stammzellen im Gehirn der Ratten nicht nur ausdifferenziert und sich der neuen

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Umgebung angepasst hatten, sondern dass auch die eigenen Nervenfasern der Ratten im Bereich des räumlichen Gedächtnisses stark gewachsen waren.

Sugaya nimmt an, dass die transplantierten Stammzellen die alten oder beschädigten neuronalen Zellen entweder ersetzt oder erweitert haben. Außerdem könnte es sein, dass die Stammzellen eine schützende Substanz abgesondert haben, die die Funktion der Gehirnschaltkreise der Ratten verbessert haben.

Frühere Versuche, neuronale Zellen zu transplantieren, sind immer wieder gescheitert. Sugaya ist überzeugt, dass die neuronalen Zellen abgestoßen wurden, weil es sich um fötale Zellen gehandelt habe und nicht um Stammzellen, die im Labor entwickelt worden seien. Die Labor-Zellen seien im Gegensatz zu den fötalen Zellen nicht ausdifferenziert gewesen und hätten sich daher in die Gehirnschaltkreise des Tieres integrieren können.

Die Ergebnisse der Chicagoer Forschungsgruppe könnten den Grundstein für eine neue Behandlung von Alzheimer und Parkinson legen.

In der Badischen Zeitung fand sich ein Bericht von Joachim Rogosch:

Wie die Psyche das Gehirn baut

http://www.badische-zeitung.de/

nachrichten/mantel/kultur/ 2001/05/kul.3895256.htm

(01-05-21)

Wenn Neurobiologen auf Psychotherapeuten treffen, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Neurobiologen erklären, dass das Seelische nur eine elektrische oder chemische Reaktion des Gehirns ist. Oder die Psychotherapeuten behaupten, dass das Eigentliche der Seele nicht in der Materie des Gehirns zu finden sei. Bei den 51. Psychotherapiewochen in Lindau passierte Erstaunliches: Ein Neurobiologe, der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther, erklärte den Psychotherapeuten, dass die Seele die Materie des Gehirns gestaltet.

Der Einbruch der Neurobiologie in die Psychotherapie ist dramatisch. Hüther sprach von einem Paradigmenwechsel. Das wichtigste - für die Psychotherapie umwälzende - Ergebnis der neueren Hirnforschung: Das Gehirn ist nicht mit Abschluss der Entwicklungsphase fertig und baut danach nur noch ab, sondern es ist plastisch. Es bleibt lebenslang entwicklungsfähig. Seine Entwicklung ist abhängig von der Erfahrung. Hüther berichtete von einer Untersuchung an Taxifahrern aus London, bei der man messen konnte, dass das Zentrum für räumliche Vorstellung, der Hypothalamus, umso größer ist, je länger jemand Taxi fährt. Erleben formt das Gehirn. Hüther: "Ich kann das auch erst denken, weil in den letzten zehn Jahren in der Hirnforschung so viel passiert ist."

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Gemeinhin erforschen Neurobiologen, "wie das Gehirn die Seele macht". Eine zugespitzte Formulierung, wie der Direktor am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen, Gerhard Roth, einräumte. Aber er nannte eine Fülle von Beispielen, die zeigen, dass die Neurochemie des Zellgeschehens im Gehirn die Grundlage für dessen Arbeit ist. In Millisekunden tauschen sich Ionen aus, laden und entladen sich Spannungen, die heute exakt messbar sind. Wer die elektrisch oder chemisch ausgelösten Reaktionen kennt, kann sie auch herstellen. "Wir können Wünsche per Mikroelektrode auslösen", sagte der Hirnforscher. Er konnte auch zeigen, dass Wünsche in unbewussten Regionen des Gehirns entstanden sind, bevor das "Ich" sie ins Bewusstsein übernimmt.

Die Kartierung des Gehirns ist weit fortgeschritten. Man kennt Gesichtererkennungsneuronen und den Sitz der Raumwahrnehmung, man hat verschiedene Bewusstseinszustände lokalisiert. Menschen mit geschädigten Hirnteilen haben Schmerzen, aber "sie tun ihnen nicht weh". Andere haben kein "Gewissen". Für Roth ist das nur eine metaphorische Ausdrucksweise. "Aber der Effekt ist genau dieser: Diese Menschen sind aufgrund der Gehirn-Fehlfunktion nicht sozialisierbar." Roth wies auch darauf hin, dass die entsprechenden Modulatoren nicht nur durch eine äußere Verletzung geschädigt werden können, sondern auch "durch die Zurückweisung durch die Mutter."

Hüther sieht in Roths Arbeiten "die Pfeiler" für eine Brücke zwischen Neurobiologie und Psychotherapie. Es sind Messungen, nicht Ideen, die zu den neuen Erkenntnissen geführt haben. Die Organisatoren der Lindauer Psychotherapiewochen wittern die Chance, dass ihr Beruf durch die naturwissenschaftliche Begründung ihres Tuns an Anerkennung gewinnt, wie der Heidelberger Psychiater Manfred Cierpka betonte.

Der Neurobiologe Hüther hat wenig Scheu davor, über nicht Messbares zu sprechen: über die Erfahrung, jenen nicht angeborenen Einflussfaktor, der irgendwie im Gehirn und im ganzen Körper verankert ist. "Wem nichts mehr unter die Haut geht, der kann auch keine Erfahrung mehr machen", so Hüther. Umgekehrt stellte er fest, dass Erfahrung tatsächlich unter die Haut geht und dort Zellen zu verändern vermag. Die Unbefangenheit, über nicht messbare Faktoren zu sprechen, nimmt er aus der Erfahrung mit dem Messbaren. Seit das Dogma vom nicht mehr änderbaren Gehirn gefallen ist, öffnet sich eine

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neue Welt. Wenn Hirnforscher sehen, wie sich bei Blinden, die Brailleschrift lesen, das Gehirn verändert, ist ein Leugnen des Einflussfaktors Erfahrung sinnlos. Wie der Körper Hornhaut bildet an beanspruchten Stellen, so auch das Gehirn.

Für die Neurobiologen ist das Gehirn das Reaktionsorgan auf Veränderung. Es muss mit Stress fertig werden. Hüther schilderte ein Beispiel: Wird einer plötzlich arbeitslos, wird zuerst im Unbewussten die Amygdala aktiviert, die auf das limbische System im Gehirn wirkt. Das Gehirn strebt nun danach, aus einem asynchronen wieder in einen synchronen Zustand zu gelangen. Vier Möglichkeiten zählte Hüther auf: Drogen wie Extasy, die den Botenstoff Serotonin ausschütten und damit chemisch wirken, Rhythmen wie Gehen oder "Rosenkranzbeten, das mantrische Aufsagen von immer Gleichem", Entspannung, wie sie in asiatischer Meditation bewirkt wird, und die Bewältigung des Stress auslösenden Faktors.

Wer ohne Drogen zur Bewältigung seiner Probleme ansetzt, braucht, so Hüther, drei Unterstützungsmittel: das Vertrauen in eigene Fähigkeiten: die Erfahrung, das Vertrauen in die Fähigkeiten anderer: die Bindung, und das Vertrauen in vorgestellte Kräfte: der Glaube. Hat das Gehirn Vertrauen erfahren, kommt es in den Flow. Aus einem Problem wird ein gelöstes Problem, mit dem entsprechenden Lustgewinn. Macht es keine Vertrauenserfahrung, gelangt es in einen Teufelskreis: Zu dem Problem kommt die Erfahrung, dass es nicht gelöst wurde. Nicht die Lösung des Problems wird zum Halt im Leben, sondern der Weg vom Problem zur Lösung. "Der Weg ist das Ziel", übersetzt Hüther. Für ihn ist das kein Glaubenssatz, sondern eine neurochemisch gewonnene Erkenntnis aus der Untersuchung von Opiatausschüttungen im Gehirn.

Die Konsequenzen für die Psychotherapie sind einschneidend. In Lindau wurde Hüther nach Therapiemöglichkeiten für aufmerksamkeitsgestörte Kinder gefragt. Man weiß, dass bei ihnen das dopaminergene System unzureichend arbeitet und versucht, mit Psychopharmaka Ausgleich zu schaffen. Die Hirnforscher sehen darin eine eher grobe Methode, zumal laut Hüther eine Erkrankung des dopaminergenen Systems bisher nicht dokumentiert werden konnte. Dagegen kennt man jetzt einen anderen Einflussfaktor auf die Botenstoffe im Gehirn: soziale Kontakte. Je fester und vielfältiger diese seien, desto stärker sei das dopaminergene System.

Dogmen fallen, Weltbilder verändern sich. Das ist der Lauf der

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Wissenschaftsgeschichte. In Lindau wurde dies auch deutlich im Umgang mit der Wissenschaftssensation des vergangenen Jahres: dem Human Genome Project. Schon der Zellforscher Friedrich Cramer hatte zum Auftakt die Konzentration auf das menschliche Genom als "völlig veraltetes Konzept " abgetan. Phänomene wie die Seele sagten wesentlich mehr aus über den Menschen. Hüther legte nach. Craig Venter habe mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms nur herausgefunden, dass dort das Geheimnis des Lebens nicht zu finden sei. "Das Menschenhirn ist so wenig wie möglich genetisch geprägt, damit wir so viel wie möglich lernen können". Für die Psychotherapeuten heißt das: an die Arbeit. Für die Menschen heißt das: Es gibt keine Ausrede mehr.

In ZDF-online fand sich ein Bericht von Andrea Schreiber und Christine

Gottlob über das zweitgrößte Nervensystem des Körpers:

Das "Bauchhirn"

http://www.zdf.de/

ratgeber/monalisa/archiv/45661/

Im Darm liegt mit 100 Millionen Nervenzellen ein Netz, das von der Speiseröhre bis hin zum Enddarm reicht. Dieses sogenannte Bauchhirn arbeitet unabhängig vom Gehirn, die Nervenzellen treffen alle für den Darm wichtigen Entscheidungen selbstständig, alles, was mit Verdauung und Transport zu tun hat. Das Gehirn mischt dabei nicht mit. Die Wissenschaft untersucht jetzt, ob der Darm nicht nur für unsere Verdauung, sondern auch für unsere Gefühle aus dem Bauch verantwortlich ist.

Wie es funktioniert, weiß zwar keiner, aber eine Informations- und Gedächtnisbildung im Darm ist möglich. Unklar ist auch noch, ob das so komplexe Prozesse wie Emotionen umfasst. Es ist aber denkbar, dass wir mit dem Bauch fühlen. Bewiesen ist bislang aber nur: Das Bauchhirn reagiert selbstständig auf Reize von außen.

Ein Beispiel: Wenn der Anblick einer bestimmten Person X unangenehme Gefühle auslösen würde, dann bedeutet das: Das Gehirn erhält über das Auge zunächst die Information und liefert gleichzeitig diese Information als Stressreiz zum Beispiel an den Darm. Der assoziiert dann etwa diese Person mit Durchfall und führt sein Programm aus. Anders gesagt: Das Auge sieht, der Darm reagiert - und zwar unabhängig vom Gehirn. Das Bauchhirn hat abgespeichert: Person X ist gleich Stress.

Ist dieser Automatismus also unsere Intuition? Ja, aber nur, wenn man ihn wahrnimmt und für sich nutzt. Es ist vorstellbar, das es bei einigen Menschen zu einer ausgeprägten Sensibilisierung gegenüber diesen Informationen kommt, während andere ihrem Bauch gegenüber völlig insensitiv sind, dafür möglicherweise

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stärker aufs Herz oder andere Körperempfindungen hören. Wieder andere ignorieren ihren Körper komplett und reagieren überhaupt nicht auf Signale, sondern entscheiden nur im Kopf.

Doch nicht der Bauch allein bestimmt unsere Intuition. Auch unsere anderen Sinne liefern uns wichtige Informationen. Sie spielen bei intuitiven Entscheidungen eine wichtige Rolle. So interpretiert auch die Psychologie das Phänomen "Intuititon". Man ist leicht geneigt, Intuition oder Gefühl im Bauch anzusiedeln, den Verstand dagegen im Gehirn. Intuition zeigt, dass alles miteinander vernetzt ist. Intuition ist in jeder Faser unseres Wesens verankert. Selbst wenn wir nicht sehen oder hören, nur fühlen, riechen, schmecken oder einen trockenen Hals bekommen, kann auch das der Motor unserer Entscheidung, unseres Verhaltens sein. Es kann wesentlich mitbestimmen, was wir für richtig und falsch halten. Und das kann uns vielleicht sogar das Leben retten. Die Empfindungen aus dem Bauch sind also nur ein Teil dessen, was wir als den sechsten Sinn bezeichnen. Aber dennoch: Ob bei lebenswichtigen oder alltäglichen Entscheidungen, diese Gefühle aus dem Bauch bleiben für uns wichtige Wegweiser.

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Gedächtnis funktioniert am besten für Bilder in natürlichen

Farben

Das menschliche Gedächtnis funktionier für Bilder mit natürlichen Szenen besser, wenn diese Bilder farbig sind und nicht schwarz-weiß, aber dieser Gedächtnisvorteil gilt nur, wenn die Bilder in ihren natürlichen Farben gezeigt werden. Aus vorangegangenen neurophysiologischen Arbeiten zur visuellen Wahrnehmung war bekannt, dass im Gehirn von Primaten Nervenzellen des visuellen Kortex auf Licht verschiedener Wellenlängen unterschiedlich reagieren.

Doch trotz der Vielzahl dieser Befunde über das farbliche Unterscheidungsvermögen des Menschen oder die Farbkonstanz unter verschiedenen Beleuchtungen waren Ergebnisse selten, die eine entsprechende Rolle von Farbe bei der visuellen Kognition nahe legten: Farbe schien für die Objekterkennung als solche nicht wichtig zu sein. In einer Serie von fünf Experimenten haben Felix Wichmann und Karl Gegenfurtner gezeigt, dass Farbe einen nachweisbaren Einfluss auf das menschliche Gedächtnis für natürliche Szenen hat.

Es scheint, als ob sich das menschliche Gedächtnis durch Evolution und Entwicklung an die Farben der natürlichen Umwelt angepasst hat. Bilder, die zu sehr von der natürlichen Norm abweichen, werden offenbar auch nicht so gut gespeichert. Dabei ist der Farbvorteil natürlicher Bilder nicht einfach dadurch zu erklären, dass farbige Bilder informationstheoretisch mehr Information, also mehr "bits" besitzen, denn Falschfarben-Bilder enthalten genauso viele "bits" wie natürlich gefärbte Bilder.