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1 Web 2.0 verändert die Welt Januar 2012 Christian H. Leeb Was ist denn nun mit diesem Web2.0? Es ist wie bei vielen Dingen, die noch relativ neu sind. Sie fragen zwei Experten und bekommen drei Meinungen. Hier ist meine... Wir sind über Jahrzehnte gewohnt, die Welt aus lauter Objekten bestehend zu betrachten. Wir teilen sie ein und auf: in Atome und Moleküle, in Lebewesen und Gegenstände, in Körper und Geist, in Kunden und Lieferanten, in Abteilungen, in Stellen und Rollen. Diese Abgrenzungen haben sich ja auch jahrzehntelang bewährt, weil sich damit ein riesengroßes Schubladensystem ergibt und Ordnung ermöglicht wird. Und diese Art von Ordnung gibt auch heute noch vielen Menschen Anhaltspunkt und Sicherheit. Auch unsere (deutsche) Sprache ist so aufgebaut, z.B. das Wort „Gegen- Stand“ zeigt, dass etwas mir entgegensteht, also etwas anderes ist als ich – oder das Wort „Abteilung“ bedeutet ja, dass wir die Firma abgeteilt haben. Aus dieser Perspektive haben wir auch ein Kommunikationsmodell, das aus Sender und Empfänger, Kanal und Nachricht besteht. Wenn wir nun beide Sichten verbinden, ist es klar, dass Informationen über unser Unternehmen und unsere Produkte von uns konzipiert und geschrieben werden und dann über unterschiedliche Kanäle an den Kunden herangetragen werden. Sales-Leute suchen das persönliche Gespräch in Telefonaten und Meetings, Marketing-Leute nutzen Briefe und Postwurfsendungen, E-Mails, TV- und Radiospots, um möglichst kostengünstig möglichst viele potentielle Kunden zu erreichen. Und in derselben Logik versuchen wir die Kunden in Zielgruppen aufzuteilen und jeder Zielgruppe die unserer Meinung nach am besten geeignete Information zukommen zu lassen. Aus Sicht des Kunden stellt sich dies aber ganz anders dar. Er wird fast überall mit Werbung bombardiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde genau zur Zielgruppe gehört und gleichzeitig aufmerksam ist und gleichzeitig auch aufnahmefähig und –willig ist, ist denkbar gering und fast schon Zufall. Auch wenn wir dem Kunden die Möglichkeit geben, mit uns in Dialog zu treten, dann sind es unsere Spielregeln und unsere Kanäle, die wir ihm freigeben. Ouvertüre

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Web 2.0 verändert die Welt

Januar 2012 Christian H. Leeb

Was ist denn nun mit diesem Web2.0?Es ist wie bei vielen Dingen, die noch relativ neu sind. Sie fragen zwei Experten und bekommen drei Meinungen. Hier ist meine...

Wir sind über Jahrzehnte gewohnt, die Welt aus lauter Objekten bestehend zu betrachten. Wir teilen sie ein und auf: in Atome und Moleküle, in Lebewesen und Gegenstände, in Körper und Geist,

in Kunden und Lieferanten, in Abteilungen, in Stellen und Rollen.Diese Abgrenzungen haben sich ja auch jahrzehntelang bewährt, weil sich damit ein r i e s e n g r o ß e s Schubladensystem ergibt und Ordnung ermöglicht wird. Und diese Art von Ordnung gibt auch heute noch v ie len Menschen A n h a l t s p u n k t u n d Sicherheit. Auch unsere (deutsche) Sprache ist so aufgebaut, z.B. das Wort „Gegen-

Stand“ zeigt, dass etwas mir entgegensteht, also etwas anderes ist als ich – oder das Wort „Abteilung“ bedeutet ja, dass wir die Firma abgeteilt haben.

Aus dieser Perspektive haben wir auch ein Kommunikationsmodell, das aus Sender und Empfänger, Kanal und Nachricht besteht. Wenn wir nun beide Sichten verbinden, ist es klar, dass Informationen über unser Unternehmen und unsere Produkte von uns konzipiert und g e s c h r i e b e n w e r d e n u n d d a n n ü b e r untersch ied l iche Kanä le an den Kunden herangetragen werden.

Sales-Leute suchen das persönliche Gespräch in Telefonaten und Meetings, Marketing-Leute nutzen Briefe und Postwurfsendungen, E-Mails, TV- und Radiospots, um möglichst kostengünstig möglichst viele potentielle Kunden zu erreichen.Und in derselben Logik versuchen wir die Kunden in Zielgruppen aufzuteilen und jeder Zielgruppe die unserer Meinung nach am besten geeignete Information zukommen zu lassen.

Aus Sicht des Kunden stellt sich dies aber ganz anders dar. Er wird fast überall mit Werbung bombardiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde genau zur Zielgruppe gehört und gleichzeitig aufmerksam ist und gleichzeitig auch aufnahmefähig und –willig ist, ist denkbar gering und fast schon Zufall. Auch wenn wir dem Kunden die Möglichkeit geben, mit uns in Dialog zu treten, dann sind es unsere Spielregeln und unsere Kanäle, die wir ihm freigeben. 

Ouvertüre

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Neue Ideen und Innovationen werden klassischerweise in unseren Firmen ohne viel Wirkung von außen gemanagt. Sie sollen ja irgendwie und irgendwann in neue Produkte münden. Der potentielle Kunde kommt in dem ganzen Spiel sehr spät zum Zug, meistens erst, wenn das Produkt bereits fertig ist und die Marketing- und Sales-Lawine rollt.

Die MitarbeiterInnen erfüllen ihre A u f g a b e n g e m ä ß i h r e r Stellenbeschreibungen, ihrer definierten Rollen im Ablauf der Businessprozesse d e s U n t e r n e h m e n s . Änderungen des Marktes w e r d e n v e r s p ä t e t i m Unternehmen reflektiert. Oft b l e i b e n d a n u r m e h r Massenentlassungen, um eine kurze Zeit etwas Luft zu bekommen. Nachhaltig ist dies jedoch nicht.

Schauen wir uns kurz an, was im Internet derzeit passiert und seit einiger Zeit Web2.0 genannt wird.Für mich persönlich ist interessant, dass sich nun Menschen untereinander im Internet vernetzen und gemeinsame Sache machen. D ies kann ganz unterschiedliche Schwerpunkte und Ausprägungen haben.Sie speichern Fotos auf Flickr und Videos auf YouTube, sie haben ihre Powerpoint-Vorträge auf Slideshare, sie machen gemeinsame Mindmaps mit Mindmeister, sie sagen, welche Bücher sie lesen und we l c he s i e w i e gu t f i n d en au f GoodReads, sie bewerten Restaurants auf Qype, sie speichern ihre bookmarks auf Delicious, sie bloggen, was das Zeug

hält, wie man sich unschwer auf Technorati, der Blogsuchmaschine, überzeugen kann.Jeder, der will, kann mit fast keinen Kosten, eigentlich nur mit seiner persönlichen Zeit, die er investiert, etwas von sich preisgeben.

Warum machen so viele Menschen das bloß?

Weil Menschen eben so sind. Wenn wir uns kurz das Internet wegdenken, dann machen sie es ja so auch. Sie treffen

sich mit ihren Freunden, sie tauschen sich aus, erzählen von Erlebnissen, schauen sich F o t o s u n d F i l m e a n , diskutieren, bewerten, haben Spaß, singen, tanzen und gehen ihren Hobbys nach.

Warum soll das im Internet nicht oder ganz anders sein? Wäre eigentlich unlogisch.J e t z t k o m m t a b e r d e r springende Punkt, das Neue, der „Community-Effekt“, wie ich ihn zu nennen pflege.

Wenn nun viele Menschen etwas von sich geben, dann kann das Internet einfach nachsehen, welche Menschen ähnliche Dinge tun und versuchen diese Menschen gegenseitig vorzustellen. Aus Benutzersicht hab ich die Chance durch die Preisgabe meiner Interessen neue Freunde zu finden. Ich nenne das „passives Kontaktieren“. Wie hätten wir das ohne Internet machen können? Gar nicht oder mit einem enormen Aufwand.

Menuett

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Und auch hier gibt es keine Grenzen an Einfallsreichtum. Weblin verbindet Menschen, die zufällig gerade dieselbe Website ansurfen. Auf Twitter sagen Menschen freiwillig was sie gerade machen und andere können folgen, mit Paper.li gestalten Menschen ihr eigenes Online-Magazin und andere können es abonnieren, auf CouchSurfing bieten Menschen anderen ihre Gästebetten zum Übernachten an. Klarerweise lernt man so viel besser eine fremde Stadt kennen, weil sich der Gastgeber meistens auch um einen kümmert. Und der Gastgeber lernt interessante Menschen kennen, denen er sonst wohl nie begegnet wäre.

Mit dem Handy in der Hand teilen Menschen ihren momentanen Ort auf FourSquare. Sie sehen dann, welche Person sich zufällig in Ihrer Nähe aufhält und können Kontakt aufnehmen. Oder sie hinterlassen Tipps und Warnungen zu diesem Ort.

Und dann gibt es noch das „aktive Kontaktieren“ auf „social networks“. Ich melde mich an, gebe die E-Mails von Menschen an, die ich bereits kenne und lade sie über das System ein. Wer will, nimmt diese Einladung an und ist dann mit mir verbunden.Interessant ist, dass die Anzahl der Kontakte exponentiell wächst, d.h. wenn alle meine Kontakte wiederum ihrerseits Kontakte einladen, dann sind die Kontakte meiner Kontakte schon sehr sehr viele, die Kontakte meiner Kontakte meiner Kontakte noch sehr viel mehr, usw.

Sie können sich davon auch selbst überzeugen. Gehen Sie auf Xing oder LinkedIn, auf MySpace oder FaceBook oder andere social networks. Suchen sie mich und schauen Sie sich meine Kontakte an. Am besten Sie steigen über einen Aggregator ein, der quasi meine virtuel le Vis i tenkarte ist: Christian H. Leeb

Diese exponentielle Kurve bedeutet, dass ich von jedem beliebigen anderen Menschen auf dieser Welt nur durch maximal sechs Menschen dazwischen g e t r e n n t b i n ( „ s i x d e g r e e s o f seperation“)

Stellen Sie sich das vor! Sie können jeden Menschen erreichen in dem Sie i h r e K o n t a k t e e r s u c h e n , d e n Kontaktwunsch weiterzureichen. Und nach nur sechs Stufen sind Sie am Ziel!

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Was bedeutet das nun für Marketing und S a l e s , f ü r u n s e r e I d e e n u n d Innovationen, für MitarbeiterInnen in ihren Funktionen? Können wir nun in diesen Communities einfach unser in der Ouvertüre beschr iebenes Model l anwenden? Können wir Community als neuen Kanal verwenden? Können wir unsere Organisationsentwicklung so weiter machen wie bisher?

Na tü r l i c h n i c h t . Wenn S i e d a s versuchen, wird Sie die Community sehr schnell rauswerfen. Und zwar nicht der Betreiber der Community, sondern die Menschen, die Sie mit Ihrer A r t , Werbe inha l te zu pushen oder I d e e n o h n e D a n k u n d Anerkennung ab zu saugen , verärgern. Sie löschen einfach ihre Verbindung z u I h n e n . U n d i n n o v a t i v e , un te rnehmer i s ch denkende und agierende MitarbeiterInnen bekommen sie erst gar nicht; und die wenigen, die Sie derzeit noch haben, aktivieren schon ihr persönliches social network um neue Herausforderungen anzunehmen.

Klar ist, dass jede Firma natürlich Ideen und Informationen sowohl sammeln als auch von sich preisgeben muss. Diese Informationen müssen aber sehr au thent i s ch se in , de r Wahrhe i t entsprechen. Und jede Firma muss sich

bemühen, dass ihr Produkt das Leistungsversprechen nicht nur erfüllt, s onde rn d i e Kunden so r i c h t i g begeistert. Ist dies der Fall, fängt die Community an, darüber zu berichten: in Blogs, in Votings, in Chats, egal wo. Und wenn die Community irgendwo anfängt zu reden, dann breitet sich diese Information ebenfalls exponentiell aus.

Wenn ich das nun bis zum Ende denke, so behaupte ich, dass es dann Marketing in der uns heute bekannten Form nicht mehr geben wird.

Die Meinungsforschung ist immer im Netz. Ich muss nur zuhören. Hier sind die Ideen und Innovationen. Und nicht mehr (nur) in meiner Firma.

Public Relations ist gar nicht mehr notwendig. Die Leute reden sowieso. Und wenn sie es nicht tun, dann kann ich auch mit enormem Aufwand sie nicht dazu br ingen. Im Gegentei l . Meine potentiellen Kunden fühlen sich gestört und w e n d e n s i c h a b . I m schlimmsten Fall warnen sie

ihre Freunde im Netz sogar vor Ihrer Firma.

Firmen-Homepages werden anders sein müssen. Sie müssen Informationen bieten, Self-Service ermöglichen, wirkliche Menschen der Firma erreichbar machen, usw. Der alte Weg, sich selbst darzustellen und dann die Webadresse zu pushen, ist nicht zielführend.

Finale Furioso

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Weil sich Inhalte und Aufgaben von Marketing und Business Development so sehr und rapide ändern, wird es sinnvoll sein, einen neuen Begriff dafür zu wählen. Marketing, wie wir es heute verstehen, hat keine Überlebenschance und den alten Begriff mit den vielen neuen Inhalten aufzuladen, wird schwer sein.

Ideen- und Innovationsmanagement in d e r h e u t i g e n Fo r m w i r d n i c h t funktionieren. Wie wollen sie die vielen Menschen m i t i h ren Ideen und Innovationen in den Communities denn managen oder kontrollieren? Sie lassen das gar nicht zu und nehmen Dinge selbst in die Hand.

Wenn Banken nur dann Kred i te vergeben, wenn sie Sicherheiten in mindestens derselben Höhe bekommen, wird die Community es lösen, weil Bank sein heißt, dass der eine Geld braucht, und ein anderer Geld hat und herborgt und die Bank dazwischen vermittelt. So entstehen Kredit-Marktplätze wie Smava oder Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter.

Wenn Versicherungen Schäden nicht m e h r v e r s i c h e r n o d e r d i e Versicherungssummen raufschrauben, dann wird die Community dies in Eigenregie ohne viele Mitarbeiter und Glaspaläste tun, denn Versicherung sein heißt, dass die Gemeinschaft zahlt, w e n n e i n e m e i n z e l n e n e t w a s Außergewöhnliches zustößt.

Wenn Zeitungen den Geschmack der Leser nicht treffen, dann macht die Community die Zeitung, weil Zeitung machen heißt, Informationen über Ereignisse zeitnahe zu berichten. Und irgendwer aus der Community ist mit Handykamera sicher in der Nähe eines Ereignisses; und durch Abstimmen in

der Community bestimmt diese selbst die Schlagzeilen.

Wenn Menschen meinen, dass sie etwas gerne hätten, dann werden sie es gemeinsam erfinden. Wir werden begriffe wie „social brainstorming“ oder „social innovation“ lernen müssen. Wir müssen eintauchen in die Weiten des Netzes mit seinen vielen Menschen drin. Und dieses Netz umfasst nicht nur die M i t a r b e i t e r I n n e n i n u n s e r e m Unternehmen und in den Unternehmen der Kunden, Lieferanten und Partner, sondern auch in denen der Kunden der Kunden, der Lieferanten der Lieferanten und der Partner der Partner.

D i e U n t e r n e h m e n s g r e n z e n verschwimmen zunehmend, auch die Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit ist fast nicht mehr ausfindig zu machen.

Unternehmen wie wir sie heute kennen, werden so nicht mehr funktionieren.

Nur weil Sie bisher keinen schwarzen Schwan gesehen haben, heißt das nicht, dass alle Schwäne weiß sind!

Fangen Sie an und tauchen Sie ein!