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Professur für Biblische Einleitung • Gerd Häfner Von Gott erzählen. Narrative Theologie im Neuen Testament Vorlesung Wintersemester 2012/13

Von Gott erzählen. - kaththeol.uni-muenchen.de · Narrative Theologie §1,2 5 Geschichte und Diskurs •Der narratologische Begriff der Geschichte bezeichnet den Inhalt einer Erzählung,

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Professur fuumlr Biblische Einleitung bull Gerd Haumlfner

Von Gott erzaumlhlen Narrative Theologie im Neuen Testament

VorlesungWintersemester 201213

Narrative Theologie

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Uumlbersicht

I Narratologische Grundlagen

sect1 Was ist eine Erzaumlhlung ndash Abgrenzungsfragen

sect2 Erzaumlhlinstanzen Autor Erzaumlhler Leser Adressat

sect3 Erzaumlhlweisen Parameter der Darstellung

sect4 Das Markus-Evangelium als Erzaumlhlung

II Gott als Erzaumlhlfigur im MkEvsect5 Die zuruumlckhaltende Erzaumlhlweise sect6 Das Auftreten als Stimme sect7 Das Erscheinen als zitierte Stimme

III Gott im Figurentext des MkEv

sect8 Der verkuumlndete Gott die Botschaft Jesu vom Reich Gottes

sect9 Der erschlossene Gott Jesus als Lehrer seiner Juumlnger

sect10 Der angerufene Gott Jesus als Betersect11 Der umstrittene Gott Debatten uumlber

den Willen Gottes zwischen Jesus und Gegenspielern

sect12 Der auferweckende Gott die Sonderstellung von Mk 166

IV Gott im Erzaumlhlertext des MkEv

sect13 Der Beginn des Werkssect14 Mk 114sect15 Gebetsnotizensect16 Mk 1538

V Das Bild Gottes in der Jesus-Erzaumlhlung des Markus

Narrative Theologie sect11

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Was ist eine Erzaumlhlung ndash Abgrenzungsfragen

Vorbemerkungbull Der Begriff bdquoErzaumlhlungldquo ist aus der Alltagssprache bekannt und scheint keine

Klaumlrung zu benoumltigen bull Da sich aber Alltags- und Fachsprache nicht decken und im wissenschaftlichen

Zugang die Begriffe klar sein muumlssen ist zunaumlchst zu klaumlren was unter einer Erzaumlhlung zu verstehen ist

Zwei unterschiedliche Ansaumltzebull Der klassische Begriff hebt auf die Existenz einer Vermittlungsinstanz ab

Zwischen Autor und erzaumlhlte Welt tritt anders als in der szenischen Anlage eines Dramas der Erzaumlhler als Vermittler

bull Dem strukturalistischen Erzaumlhlbegriff zufolge ist die Art und Weise wie das praumlsentierte Material aufgebaut wird entscheidend fuumlr das Vorliegen einer Erzaumlhlung Erzaumlhlungen haben eine zeitliche Struktur und zeichnen sich durch Veraumlnderungen aus (Gegenbegriff ist nicht das Drama sondern die Beschreibung)

Narrative Theologie sect11

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Zusammenfuumlhrung beider Ansaumltze in der Narratologie Wolf Schmids

bdquoNarrativ im weiteren Sinne sollen entsprechend der strukturalistischen Konzeption Repraumlsentationen genannt werden die die Veraumlnderung eines Zustands oder einer Situation darstellen Narrativitaumlt im engeren Sinne verbindet die Merkmale der strukturalistischen und der klassischen Definition die Zustandsveraumlnderung wird von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiertldquo

Die Existenz von Motivierungen (kausal final aumlsthetisch) fuumlr die dargestellten Zustandsveraumlnderungen ist fuumlr die Definition einer Erzaumlhlung nicht gefordert

Die Evangelien koumlnnen als Erzaumlhlungen im literaturwissenschaftlichen Sinn verstanden werden bull In ihnen ist eine Vermittlungsinstanz praumlsent ein Erzaumlhler der vom ersten

Satz an durch das Werk fuumlhrt bull Sie praumlsentieren Zustandsveraumlnderungen in kleinen Abschnitten wie auch

in groumlszligeren erzaumlhlerischen Boumlgen

Narrative Theologie sect12

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Geschichte und Diskursbull Der narratologische Begriff der Geschichte bezeichnet den Inhalt einer

Erzaumlhlung die Abfolge von Ereignissen die in einer Erzaumlhlung vorkommen bull Diskurs bezieht sich auf die Art und Weise der Darstellung im Erzaumlhlwerk

Da eine Geschichte im Regelfall eine Vielzahl von Zustandsveraumlnderungen enthaumllt fragt sich wie diese in ihrer Art und Bedeutung fuumlr den Gang der Erzaumlhlung erfasst werden koumlnnen Dies kann uumlber den Begriff des Ereignisses geleistet werden

EreignisDieser Begriff bezeichnet eine Zustandsveraumlnderung die bestimmte Bedingungen erfuumlllt Grundlegend ist dass es sich um eine unerhoumlrte Begebenheit handelt in der eine gewoumlhnlich gegebene Grenze uumlberschritten wird Naumlherhin erfuumlllt ein Ereignis zwei Bedingungen bull Die Begebenheit zeichnet sich durch Faktizitaumlt (in der erzaumlhlten Welt) aus

(existiert also nicht nur in der Vorstellung einer Figur) bull auszligerdem durch Resultativitaumlt ist also nicht nur begonnen versucht oder ohne

ende vollzogen

Narrative Theologie sect12

6

Die beiden Bedingungen sind notwendig fuumlr ein Ereignis aber nicht hinreichend Laumlsst sich der Bezug auf eine unerhoumlrte Begebenheit definitorisch erfassen Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an A Tschechov folgende Kriteriologie vor bull Am wichtigsten sind Relevanz und Abweichung vom Erwarteten (Impraumldiktabilitaumlt)

jeweils bezogen auf die erzaumlhlte Weltbull Nachgeordnet sind Folgenhaftigkeit (Konsekutivitaumlt) Unumkehrbarkeit

(Irreversibiltitaumlt) und Einmaligkeit (Non-Iterativitaumlt)

Anwendung Jesus als Wundertaumlter bull Einerseits koumlnnte die Praumlsentation Jesu als Wundertaumlter als wenig ereignishaft

eingestuft werden Nicht gegeben sind Einmaligkeit sowie fuumlr einzelne Erzaumlhlungen Folgenhaftigkeit und Relevanz

bull Andererseits koumlnnen die Kriterien von Irreversibilitaumlt und Impraumldiktabilitaumlt (Staunen bdquoChorschlussrdquo) angewendet werden

bull Tritt der Erzaumlhlzug des Staunens zuruumlck wird der Fokus nicht auf das Geschehen gerichtet sondern auf die Reaktion auf Seiten der Erzaumlhlfiguren Von dieser schwaumlcher entwickelten Ereignishaftigkeit aus kann dann etwa der metaphorische Charakter der Blindenheilung Mk 822-26 (Bezug auf Blindheit der Juumlnger) begruumlndet werden

Vom narratologischen Begriff der Ereignishaftigkeit her laumlsst sich zeigen wie nicht die geschilderte Veraumlnderung das Entscheidende ist diese vielmehr zum Traumlger einer anders ausgerichteten Aussage wird (Fokus auf die Juumlnger)

Narrative Theologie sect13

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Fiktionales und faktuales Erzaumlhlenbull Die Literaturwissenschaft befasst sich mit fiktionalen Erzaumlhlungen also Werken deren

dargestellte Welt fiktiv ist Die Begriffe fiktional und fiktiv sind aufeinander bezogen aber nicht

deckungsgleich Die Kennzeichnung fiktional bezieht sich auf den Charakter von Texten fiktiv benennt den Seinsstatus der dargestellten Welt

Frage Was bestimmt einen Text als fiktional

ndash Im Anschluss an die Sprechakt-Theorie wird die bdquoAlso-ob-Strukturldquo als entscheidend erkannt Nur der Form nach bietet ein fiktionaler Text Feststellungen tatsaumlchlich will der Autor diese nicht treffen

ndash Aumllteres Konzept Entscheidend ist nicht die Sprechintention des Autors sondern der Seinsstatus des Textes Mimesis als Darstellung des Moumlglichen Ob es ein textinternes Merkmal gibt das Texte als fiktional ausweist ist

umstritten Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an Kaumlte Hamburger die Darstellung einer fremden Innenwelt als textbasiertes Kriterium vor

bull Die Evangelien sind keine fiktionale Literatur Dafuumlr dass sie eine nur dargestellte Welt entwerfen wollten gibt es keine Indizien umgekehrt wird deutlich dass sie die Geschichte einer realen Person erzaumlhlen wollen mit Bezug zu einer auszligersprachlichen Wirklichkeit

Narrative Theologie sect12

8

bull Die Unterscheidung zwischen fiktionalem und faktualem Erzaumlhlen ist im Horizont historisch-kritischen Bewusstseins entstanden Dies kann weder fuumlr die Evangelien noch fuumlr die antike Geschichtsschreibung vorausgesetzt werden

Die Evangelien sind also auch nicht rein faktuale Texte Darauf weisen nicht nur Fiktionalitaumltssignale im narratologischen Sinn sondern grundlegend die zT gravierenden Unterschiede zwischen den Erzaumlhlungen die doch alle die Geschichte des Jesus von Nazareth erzaumlhlen

Die Evangelien sind bdquofaktuale Erzaumlhlungen mit fiktionalen Elementenldquo

Narrative Theologie sect21

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Erzaumlhlinstanzen ndash Autor Erzaumlhler Leser Adressat

Kommunikationsebenenbull Grundsaumltzlich kann man unterscheiden zwischen Autor- Erzaumlhler- und

Figurenkommunikation Zu jeder Ebene gehoumlren Sender und Empfaumlnger

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

bull Die Figurenkommunikation ist nicht konstitutiv aber doch gewoumlhnlich in einem Erzaumlhlwerk verwirklicht sie ist eindeutig innerhalb der erzaumlhlten Welt angesiedelt und deshalb in theoretischer Hinsicht nicht weiter problematisch

Narrative Theologie sect21

10

bull In einem fiktionalen Erzaumlhltext wird nun aber nicht einfach erzaumlhlt sondern es wird ein Erzaumlhlen dargestellt dadurch dass die Rolle des Erzaumlhlers geschaffen wird Diesem fiktiven Erzaumlhler entspricht der fiktive Leser auf der Empfaumlngerseite

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Narrative Theologie sect21

11

bull Diese dargestellte Welt geht zuruumlck auf einen Autor der als Person unabhaumlngig von seinem Werk existiert also im Blick auf Kommunikationsebenen auszligerhalb anzusiedeln ist ebenso wie der konkrete Leser

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Literarisches Werk

Abstrakter rarrabstrak-Autor ter Leser

Kon

kret

er A

utor

rarrK

onkr

eter

Les

er

Narrative Theologie sect22

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Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

28

bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

29

Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

30

Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

31

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie

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Uumlbersicht

I Narratologische Grundlagen

sect1 Was ist eine Erzaumlhlung ndash Abgrenzungsfragen

sect2 Erzaumlhlinstanzen Autor Erzaumlhler Leser Adressat

sect3 Erzaumlhlweisen Parameter der Darstellung

sect4 Das Markus-Evangelium als Erzaumlhlung

II Gott als Erzaumlhlfigur im MkEvsect5 Die zuruumlckhaltende Erzaumlhlweise sect6 Das Auftreten als Stimme sect7 Das Erscheinen als zitierte Stimme

III Gott im Figurentext des MkEv

sect8 Der verkuumlndete Gott die Botschaft Jesu vom Reich Gottes

sect9 Der erschlossene Gott Jesus als Lehrer seiner Juumlnger

sect10 Der angerufene Gott Jesus als Betersect11 Der umstrittene Gott Debatten uumlber

den Willen Gottes zwischen Jesus und Gegenspielern

sect12 Der auferweckende Gott die Sonderstellung von Mk 166

IV Gott im Erzaumlhlertext des MkEv

sect13 Der Beginn des Werkssect14 Mk 114sect15 Gebetsnotizensect16 Mk 1538

V Das Bild Gottes in der Jesus-Erzaumlhlung des Markus

Narrative Theologie sect11

3

Was ist eine Erzaumlhlung ndash Abgrenzungsfragen

Vorbemerkungbull Der Begriff bdquoErzaumlhlungldquo ist aus der Alltagssprache bekannt und scheint keine

Klaumlrung zu benoumltigen bull Da sich aber Alltags- und Fachsprache nicht decken und im wissenschaftlichen

Zugang die Begriffe klar sein muumlssen ist zunaumlchst zu klaumlren was unter einer Erzaumlhlung zu verstehen ist

Zwei unterschiedliche Ansaumltzebull Der klassische Begriff hebt auf die Existenz einer Vermittlungsinstanz ab

Zwischen Autor und erzaumlhlte Welt tritt anders als in der szenischen Anlage eines Dramas der Erzaumlhler als Vermittler

bull Dem strukturalistischen Erzaumlhlbegriff zufolge ist die Art und Weise wie das praumlsentierte Material aufgebaut wird entscheidend fuumlr das Vorliegen einer Erzaumlhlung Erzaumlhlungen haben eine zeitliche Struktur und zeichnen sich durch Veraumlnderungen aus (Gegenbegriff ist nicht das Drama sondern die Beschreibung)

Narrative Theologie sect11

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Zusammenfuumlhrung beider Ansaumltze in der Narratologie Wolf Schmids

bdquoNarrativ im weiteren Sinne sollen entsprechend der strukturalistischen Konzeption Repraumlsentationen genannt werden die die Veraumlnderung eines Zustands oder einer Situation darstellen Narrativitaumlt im engeren Sinne verbindet die Merkmale der strukturalistischen und der klassischen Definition die Zustandsveraumlnderung wird von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiertldquo

Die Existenz von Motivierungen (kausal final aumlsthetisch) fuumlr die dargestellten Zustandsveraumlnderungen ist fuumlr die Definition einer Erzaumlhlung nicht gefordert

Die Evangelien koumlnnen als Erzaumlhlungen im literaturwissenschaftlichen Sinn verstanden werden bull In ihnen ist eine Vermittlungsinstanz praumlsent ein Erzaumlhler der vom ersten

Satz an durch das Werk fuumlhrt bull Sie praumlsentieren Zustandsveraumlnderungen in kleinen Abschnitten wie auch

in groumlszligeren erzaumlhlerischen Boumlgen

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Geschichte und Diskursbull Der narratologische Begriff der Geschichte bezeichnet den Inhalt einer

Erzaumlhlung die Abfolge von Ereignissen die in einer Erzaumlhlung vorkommen bull Diskurs bezieht sich auf die Art und Weise der Darstellung im Erzaumlhlwerk

Da eine Geschichte im Regelfall eine Vielzahl von Zustandsveraumlnderungen enthaumllt fragt sich wie diese in ihrer Art und Bedeutung fuumlr den Gang der Erzaumlhlung erfasst werden koumlnnen Dies kann uumlber den Begriff des Ereignisses geleistet werden

EreignisDieser Begriff bezeichnet eine Zustandsveraumlnderung die bestimmte Bedingungen erfuumlllt Grundlegend ist dass es sich um eine unerhoumlrte Begebenheit handelt in der eine gewoumlhnlich gegebene Grenze uumlberschritten wird Naumlherhin erfuumlllt ein Ereignis zwei Bedingungen bull Die Begebenheit zeichnet sich durch Faktizitaumlt (in der erzaumlhlten Welt) aus

(existiert also nicht nur in der Vorstellung einer Figur) bull auszligerdem durch Resultativitaumlt ist also nicht nur begonnen versucht oder ohne

ende vollzogen

Narrative Theologie sect12

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Die beiden Bedingungen sind notwendig fuumlr ein Ereignis aber nicht hinreichend Laumlsst sich der Bezug auf eine unerhoumlrte Begebenheit definitorisch erfassen Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an A Tschechov folgende Kriteriologie vor bull Am wichtigsten sind Relevanz und Abweichung vom Erwarteten (Impraumldiktabilitaumlt)

jeweils bezogen auf die erzaumlhlte Weltbull Nachgeordnet sind Folgenhaftigkeit (Konsekutivitaumlt) Unumkehrbarkeit

(Irreversibiltitaumlt) und Einmaligkeit (Non-Iterativitaumlt)

Anwendung Jesus als Wundertaumlter bull Einerseits koumlnnte die Praumlsentation Jesu als Wundertaumlter als wenig ereignishaft

eingestuft werden Nicht gegeben sind Einmaligkeit sowie fuumlr einzelne Erzaumlhlungen Folgenhaftigkeit und Relevanz

bull Andererseits koumlnnen die Kriterien von Irreversibilitaumlt und Impraumldiktabilitaumlt (Staunen bdquoChorschlussrdquo) angewendet werden

bull Tritt der Erzaumlhlzug des Staunens zuruumlck wird der Fokus nicht auf das Geschehen gerichtet sondern auf die Reaktion auf Seiten der Erzaumlhlfiguren Von dieser schwaumlcher entwickelten Ereignishaftigkeit aus kann dann etwa der metaphorische Charakter der Blindenheilung Mk 822-26 (Bezug auf Blindheit der Juumlnger) begruumlndet werden

Vom narratologischen Begriff der Ereignishaftigkeit her laumlsst sich zeigen wie nicht die geschilderte Veraumlnderung das Entscheidende ist diese vielmehr zum Traumlger einer anders ausgerichteten Aussage wird (Fokus auf die Juumlnger)

Narrative Theologie sect13

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Fiktionales und faktuales Erzaumlhlenbull Die Literaturwissenschaft befasst sich mit fiktionalen Erzaumlhlungen also Werken deren

dargestellte Welt fiktiv ist Die Begriffe fiktional und fiktiv sind aufeinander bezogen aber nicht

deckungsgleich Die Kennzeichnung fiktional bezieht sich auf den Charakter von Texten fiktiv benennt den Seinsstatus der dargestellten Welt

Frage Was bestimmt einen Text als fiktional

ndash Im Anschluss an die Sprechakt-Theorie wird die bdquoAlso-ob-Strukturldquo als entscheidend erkannt Nur der Form nach bietet ein fiktionaler Text Feststellungen tatsaumlchlich will der Autor diese nicht treffen

ndash Aumllteres Konzept Entscheidend ist nicht die Sprechintention des Autors sondern der Seinsstatus des Textes Mimesis als Darstellung des Moumlglichen Ob es ein textinternes Merkmal gibt das Texte als fiktional ausweist ist

umstritten Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an Kaumlte Hamburger die Darstellung einer fremden Innenwelt als textbasiertes Kriterium vor

bull Die Evangelien sind keine fiktionale Literatur Dafuumlr dass sie eine nur dargestellte Welt entwerfen wollten gibt es keine Indizien umgekehrt wird deutlich dass sie die Geschichte einer realen Person erzaumlhlen wollen mit Bezug zu einer auszligersprachlichen Wirklichkeit

Narrative Theologie sect12

8

bull Die Unterscheidung zwischen fiktionalem und faktualem Erzaumlhlen ist im Horizont historisch-kritischen Bewusstseins entstanden Dies kann weder fuumlr die Evangelien noch fuumlr die antike Geschichtsschreibung vorausgesetzt werden

Die Evangelien sind also auch nicht rein faktuale Texte Darauf weisen nicht nur Fiktionalitaumltssignale im narratologischen Sinn sondern grundlegend die zT gravierenden Unterschiede zwischen den Erzaumlhlungen die doch alle die Geschichte des Jesus von Nazareth erzaumlhlen

Die Evangelien sind bdquofaktuale Erzaumlhlungen mit fiktionalen Elementenldquo

Narrative Theologie sect21

9

Erzaumlhlinstanzen ndash Autor Erzaumlhler Leser Adressat

Kommunikationsebenenbull Grundsaumltzlich kann man unterscheiden zwischen Autor- Erzaumlhler- und

Figurenkommunikation Zu jeder Ebene gehoumlren Sender und Empfaumlnger

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

bull Die Figurenkommunikation ist nicht konstitutiv aber doch gewoumlhnlich in einem Erzaumlhlwerk verwirklicht sie ist eindeutig innerhalb der erzaumlhlten Welt angesiedelt und deshalb in theoretischer Hinsicht nicht weiter problematisch

Narrative Theologie sect21

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bull In einem fiktionalen Erzaumlhltext wird nun aber nicht einfach erzaumlhlt sondern es wird ein Erzaumlhlen dargestellt dadurch dass die Rolle des Erzaumlhlers geschaffen wird Diesem fiktiven Erzaumlhler entspricht der fiktive Leser auf der Empfaumlngerseite

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Narrative Theologie sect21

11

bull Diese dargestellte Welt geht zuruumlck auf einen Autor der als Person unabhaumlngig von seinem Werk existiert also im Blick auf Kommunikationsebenen auszligerhalb anzusiedeln ist ebenso wie der konkrete Leser

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Literarisches Werk

Abstrakter rarrabstrak-Autor ter Leser

Kon

kret

er A

utor

rarrK

onkr

eter

Les

er

Narrative Theologie sect22

12

Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

13

Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

19

Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

20

Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

21

Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

22

Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

23

Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

28

bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

29

Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

30

Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

31

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

32

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

34

Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

35

ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

40

Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

42

ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

Narrative Theologie sect62

43

Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Was ist eine Erzaumlhlung ndash Abgrenzungsfragen

Vorbemerkungbull Der Begriff bdquoErzaumlhlungldquo ist aus der Alltagssprache bekannt und scheint keine

Klaumlrung zu benoumltigen bull Da sich aber Alltags- und Fachsprache nicht decken und im wissenschaftlichen

Zugang die Begriffe klar sein muumlssen ist zunaumlchst zu klaumlren was unter einer Erzaumlhlung zu verstehen ist

Zwei unterschiedliche Ansaumltzebull Der klassische Begriff hebt auf die Existenz einer Vermittlungsinstanz ab

Zwischen Autor und erzaumlhlte Welt tritt anders als in der szenischen Anlage eines Dramas der Erzaumlhler als Vermittler

bull Dem strukturalistischen Erzaumlhlbegriff zufolge ist die Art und Weise wie das praumlsentierte Material aufgebaut wird entscheidend fuumlr das Vorliegen einer Erzaumlhlung Erzaumlhlungen haben eine zeitliche Struktur und zeichnen sich durch Veraumlnderungen aus (Gegenbegriff ist nicht das Drama sondern die Beschreibung)

Narrative Theologie sect11

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Zusammenfuumlhrung beider Ansaumltze in der Narratologie Wolf Schmids

bdquoNarrativ im weiteren Sinne sollen entsprechend der strukturalistischen Konzeption Repraumlsentationen genannt werden die die Veraumlnderung eines Zustands oder einer Situation darstellen Narrativitaumlt im engeren Sinne verbindet die Merkmale der strukturalistischen und der klassischen Definition die Zustandsveraumlnderung wird von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiertldquo

Die Existenz von Motivierungen (kausal final aumlsthetisch) fuumlr die dargestellten Zustandsveraumlnderungen ist fuumlr die Definition einer Erzaumlhlung nicht gefordert

Die Evangelien koumlnnen als Erzaumlhlungen im literaturwissenschaftlichen Sinn verstanden werden bull In ihnen ist eine Vermittlungsinstanz praumlsent ein Erzaumlhler der vom ersten

Satz an durch das Werk fuumlhrt bull Sie praumlsentieren Zustandsveraumlnderungen in kleinen Abschnitten wie auch

in groumlszligeren erzaumlhlerischen Boumlgen

Narrative Theologie sect12

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Geschichte und Diskursbull Der narratologische Begriff der Geschichte bezeichnet den Inhalt einer

Erzaumlhlung die Abfolge von Ereignissen die in einer Erzaumlhlung vorkommen bull Diskurs bezieht sich auf die Art und Weise der Darstellung im Erzaumlhlwerk

Da eine Geschichte im Regelfall eine Vielzahl von Zustandsveraumlnderungen enthaumllt fragt sich wie diese in ihrer Art und Bedeutung fuumlr den Gang der Erzaumlhlung erfasst werden koumlnnen Dies kann uumlber den Begriff des Ereignisses geleistet werden

EreignisDieser Begriff bezeichnet eine Zustandsveraumlnderung die bestimmte Bedingungen erfuumlllt Grundlegend ist dass es sich um eine unerhoumlrte Begebenheit handelt in der eine gewoumlhnlich gegebene Grenze uumlberschritten wird Naumlherhin erfuumlllt ein Ereignis zwei Bedingungen bull Die Begebenheit zeichnet sich durch Faktizitaumlt (in der erzaumlhlten Welt) aus

(existiert also nicht nur in der Vorstellung einer Figur) bull auszligerdem durch Resultativitaumlt ist also nicht nur begonnen versucht oder ohne

ende vollzogen

Narrative Theologie sect12

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Die beiden Bedingungen sind notwendig fuumlr ein Ereignis aber nicht hinreichend Laumlsst sich der Bezug auf eine unerhoumlrte Begebenheit definitorisch erfassen Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an A Tschechov folgende Kriteriologie vor bull Am wichtigsten sind Relevanz und Abweichung vom Erwarteten (Impraumldiktabilitaumlt)

jeweils bezogen auf die erzaumlhlte Weltbull Nachgeordnet sind Folgenhaftigkeit (Konsekutivitaumlt) Unumkehrbarkeit

(Irreversibiltitaumlt) und Einmaligkeit (Non-Iterativitaumlt)

Anwendung Jesus als Wundertaumlter bull Einerseits koumlnnte die Praumlsentation Jesu als Wundertaumlter als wenig ereignishaft

eingestuft werden Nicht gegeben sind Einmaligkeit sowie fuumlr einzelne Erzaumlhlungen Folgenhaftigkeit und Relevanz

bull Andererseits koumlnnen die Kriterien von Irreversibilitaumlt und Impraumldiktabilitaumlt (Staunen bdquoChorschlussrdquo) angewendet werden

bull Tritt der Erzaumlhlzug des Staunens zuruumlck wird der Fokus nicht auf das Geschehen gerichtet sondern auf die Reaktion auf Seiten der Erzaumlhlfiguren Von dieser schwaumlcher entwickelten Ereignishaftigkeit aus kann dann etwa der metaphorische Charakter der Blindenheilung Mk 822-26 (Bezug auf Blindheit der Juumlnger) begruumlndet werden

Vom narratologischen Begriff der Ereignishaftigkeit her laumlsst sich zeigen wie nicht die geschilderte Veraumlnderung das Entscheidende ist diese vielmehr zum Traumlger einer anders ausgerichteten Aussage wird (Fokus auf die Juumlnger)

Narrative Theologie sect13

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Fiktionales und faktuales Erzaumlhlenbull Die Literaturwissenschaft befasst sich mit fiktionalen Erzaumlhlungen also Werken deren

dargestellte Welt fiktiv ist Die Begriffe fiktional und fiktiv sind aufeinander bezogen aber nicht

deckungsgleich Die Kennzeichnung fiktional bezieht sich auf den Charakter von Texten fiktiv benennt den Seinsstatus der dargestellten Welt

Frage Was bestimmt einen Text als fiktional

ndash Im Anschluss an die Sprechakt-Theorie wird die bdquoAlso-ob-Strukturldquo als entscheidend erkannt Nur der Form nach bietet ein fiktionaler Text Feststellungen tatsaumlchlich will der Autor diese nicht treffen

ndash Aumllteres Konzept Entscheidend ist nicht die Sprechintention des Autors sondern der Seinsstatus des Textes Mimesis als Darstellung des Moumlglichen Ob es ein textinternes Merkmal gibt das Texte als fiktional ausweist ist

umstritten Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an Kaumlte Hamburger die Darstellung einer fremden Innenwelt als textbasiertes Kriterium vor

bull Die Evangelien sind keine fiktionale Literatur Dafuumlr dass sie eine nur dargestellte Welt entwerfen wollten gibt es keine Indizien umgekehrt wird deutlich dass sie die Geschichte einer realen Person erzaumlhlen wollen mit Bezug zu einer auszligersprachlichen Wirklichkeit

Narrative Theologie sect12

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bull Die Unterscheidung zwischen fiktionalem und faktualem Erzaumlhlen ist im Horizont historisch-kritischen Bewusstseins entstanden Dies kann weder fuumlr die Evangelien noch fuumlr die antike Geschichtsschreibung vorausgesetzt werden

Die Evangelien sind also auch nicht rein faktuale Texte Darauf weisen nicht nur Fiktionalitaumltssignale im narratologischen Sinn sondern grundlegend die zT gravierenden Unterschiede zwischen den Erzaumlhlungen die doch alle die Geschichte des Jesus von Nazareth erzaumlhlen

Die Evangelien sind bdquofaktuale Erzaumlhlungen mit fiktionalen Elementenldquo

Narrative Theologie sect21

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Erzaumlhlinstanzen ndash Autor Erzaumlhler Leser Adressat

Kommunikationsebenenbull Grundsaumltzlich kann man unterscheiden zwischen Autor- Erzaumlhler- und

Figurenkommunikation Zu jeder Ebene gehoumlren Sender und Empfaumlnger

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

bull Die Figurenkommunikation ist nicht konstitutiv aber doch gewoumlhnlich in einem Erzaumlhlwerk verwirklicht sie ist eindeutig innerhalb der erzaumlhlten Welt angesiedelt und deshalb in theoretischer Hinsicht nicht weiter problematisch

Narrative Theologie sect21

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bull In einem fiktionalen Erzaumlhltext wird nun aber nicht einfach erzaumlhlt sondern es wird ein Erzaumlhlen dargestellt dadurch dass die Rolle des Erzaumlhlers geschaffen wird Diesem fiktiven Erzaumlhler entspricht der fiktive Leser auf der Empfaumlngerseite

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Narrative Theologie sect21

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bull Diese dargestellte Welt geht zuruumlck auf einen Autor der als Person unabhaumlngig von seinem Werk existiert also im Blick auf Kommunikationsebenen auszligerhalb anzusiedeln ist ebenso wie der konkrete Leser

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Literarisches Werk

Abstrakter rarrabstrak-Autor ter Leser

Kon

kret

er A

utor

rarrK

onkr

eter

Les

er

Narrative Theologie sect22

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Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

63

bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect11

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Zusammenfuumlhrung beider Ansaumltze in der Narratologie Wolf Schmids

bdquoNarrativ im weiteren Sinne sollen entsprechend der strukturalistischen Konzeption Repraumlsentationen genannt werden die die Veraumlnderung eines Zustands oder einer Situation darstellen Narrativitaumlt im engeren Sinne verbindet die Merkmale der strukturalistischen und der klassischen Definition die Zustandsveraumlnderung wird von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiertldquo

Die Existenz von Motivierungen (kausal final aumlsthetisch) fuumlr die dargestellten Zustandsveraumlnderungen ist fuumlr die Definition einer Erzaumlhlung nicht gefordert

Die Evangelien koumlnnen als Erzaumlhlungen im literaturwissenschaftlichen Sinn verstanden werden bull In ihnen ist eine Vermittlungsinstanz praumlsent ein Erzaumlhler der vom ersten

Satz an durch das Werk fuumlhrt bull Sie praumlsentieren Zustandsveraumlnderungen in kleinen Abschnitten wie auch

in groumlszligeren erzaumlhlerischen Boumlgen

Narrative Theologie sect12

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Geschichte und Diskursbull Der narratologische Begriff der Geschichte bezeichnet den Inhalt einer

Erzaumlhlung die Abfolge von Ereignissen die in einer Erzaumlhlung vorkommen bull Diskurs bezieht sich auf die Art und Weise der Darstellung im Erzaumlhlwerk

Da eine Geschichte im Regelfall eine Vielzahl von Zustandsveraumlnderungen enthaumllt fragt sich wie diese in ihrer Art und Bedeutung fuumlr den Gang der Erzaumlhlung erfasst werden koumlnnen Dies kann uumlber den Begriff des Ereignisses geleistet werden

EreignisDieser Begriff bezeichnet eine Zustandsveraumlnderung die bestimmte Bedingungen erfuumlllt Grundlegend ist dass es sich um eine unerhoumlrte Begebenheit handelt in der eine gewoumlhnlich gegebene Grenze uumlberschritten wird Naumlherhin erfuumlllt ein Ereignis zwei Bedingungen bull Die Begebenheit zeichnet sich durch Faktizitaumlt (in der erzaumlhlten Welt) aus

(existiert also nicht nur in der Vorstellung einer Figur) bull auszligerdem durch Resultativitaumlt ist also nicht nur begonnen versucht oder ohne

ende vollzogen

Narrative Theologie sect12

6

Die beiden Bedingungen sind notwendig fuumlr ein Ereignis aber nicht hinreichend Laumlsst sich der Bezug auf eine unerhoumlrte Begebenheit definitorisch erfassen Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an A Tschechov folgende Kriteriologie vor bull Am wichtigsten sind Relevanz und Abweichung vom Erwarteten (Impraumldiktabilitaumlt)

jeweils bezogen auf die erzaumlhlte Weltbull Nachgeordnet sind Folgenhaftigkeit (Konsekutivitaumlt) Unumkehrbarkeit

(Irreversibiltitaumlt) und Einmaligkeit (Non-Iterativitaumlt)

Anwendung Jesus als Wundertaumlter bull Einerseits koumlnnte die Praumlsentation Jesu als Wundertaumlter als wenig ereignishaft

eingestuft werden Nicht gegeben sind Einmaligkeit sowie fuumlr einzelne Erzaumlhlungen Folgenhaftigkeit und Relevanz

bull Andererseits koumlnnen die Kriterien von Irreversibilitaumlt und Impraumldiktabilitaumlt (Staunen bdquoChorschlussrdquo) angewendet werden

bull Tritt der Erzaumlhlzug des Staunens zuruumlck wird der Fokus nicht auf das Geschehen gerichtet sondern auf die Reaktion auf Seiten der Erzaumlhlfiguren Von dieser schwaumlcher entwickelten Ereignishaftigkeit aus kann dann etwa der metaphorische Charakter der Blindenheilung Mk 822-26 (Bezug auf Blindheit der Juumlnger) begruumlndet werden

Vom narratologischen Begriff der Ereignishaftigkeit her laumlsst sich zeigen wie nicht die geschilderte Veraumlnderung das Entscheidende ist diese vielmehr zum Traumlger einer anders ausgerichteten Aussage wird (Fokus auf die Juumlnger)

Narrative Theologie sect13

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Fiktionales und faktuales Erzaumlhlenbull Die Literaturwissenschaft befasst sich mit fiktionalen Erzaumlhlungen also Werken deren

dargestellte Welt fiktiv ist Die Begriffe fiktional und fiktiv sind aufeinander bezogen aber nicht

deckungsgleich Die Kennzeichnung fiktional bezieht sich auf den Charakter von Texten fiktiv benennt den Seinsstatus der dargestellten Welt

Frage Was bestimmt einen Text als fiktional

ndash Im Anschluss an die Sprechakt-Theorie wird die bdquoAlso-ob-Strukturldquo als entscheidend erkannt Nur der Form nach bietet ein fiktionaler Text Feststellungen tatsaumlchlich will der Autor diese nicht treffen

ndash Aumllteres Konzept Entscheidend ist nicht die Sprechintention des Autors sondern der Seinsstatus des Textes Mimesis als Darstellung des Moumlglichen Ob es ein textinternes Merkmal gibt das Texte als fiktional ausweist ist

umstritten Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an Kaumlte Hamburger die Darstellung einer fremden Innenwelt als textbasiertes Kriterium vor

bull Die Evangelien sind keine fiktionale Literatur Dafuumlr dass sie eine nur dargestellte Welt entwerfen wollten gibt es keine Indizien umgekehrt wird deutlich dass sie die Geschichte einer realen Person erzaumlhlen wollen mit Bezug zu einer auszligersprachlichen Wirklichkeit

Narrative Theologie sect12

8

bull Die Unterscheidung zwischen fiktionalem und faktualem Erzaumlhlen ist im Horizont historisch-kritischen Bewusstseins entstanden Dies kann weder fuumlr die Evangelien noch fuumlr die antike Geschichtsschreibung vorausgesetzt werden

Die Evangelien sind also auch nicht rein faktuale Texte Darauf weisen nicht nur Fiktionalitaumltssignale im narratologischen Sinn sondern grundlegend die zT gravierenden Unterschiede zwischen den Erzaumlhlungen die doch alle die Geschichte des Jesus von Nazareth erzaumlhlen

Die Evangelien sind bdquofaktuale Erzaumlhlungen mit fiktionalen Elementenldquo

Narrative Theologie sect21

9

Erzaumlhlinstanzen ndash Autor Erzaumlhler Leser Adressat

Kommunikationsebenenbull Grundsaumltzlich kann man unterscheiden zwischen Autor- Erzaumlhler- und

Figurenkommunikation Zu jeder Ebene gehoumlren Sender und Empfaumlnger

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

bull Die Figurenkommunikation ist nicht konstitutiv aber doch gewoumlhnlich in einem Erzaumlhlwerk verwirklicht sie ist eindeutig innerhalb der erzaumlhlten Welt angesiedelt und deshalb in theoretischer Hinsicht nicht weiter problematisch

Narrative Theologie sect21

10

bull In einem fiktionalen Erzaumlhltext wird nun aber nicht einfach erzaumlhlt sondern es wird ein Erzaumlhlen dargestellt dadurch dass die Rolle des Erzaumlhlers geschaffen wird Diesem fiktiven Erzaumlhler entspricht der fiktive Leser auf der Empfaumlngerseite

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Narrative Theologie sect21

11

bull Diese dargestellte Welt geht zuruumlck auf einen Autor der als Person unabhaumlngig von seinem Werk existiert also im Blick auf Kommunikationsebenen auszligerhalb anzusiedeln ist ebenso wie der konkrete Leser

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Literarisches Werk

Abstrakter rarrabstrak-Autor ter Leser

Kon

kret

er A

utor

rarrK

onkr

eter

Les

er

Narrative Theologie sect22

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Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

28

bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

Narrative Theologie sect62

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

Narrative Theologie sect62

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

Narrative Theologie sect62

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

Narrative Theologie sect62

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

Narrative Theologie sect62

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Geschichte und Diskursbull Der narratologische Begriff der Geschichte bezeichnet den Inhalt einer

Erzaumlhlung die Abfolge von Ereignissen die in einer Erzaumlhlung vorkommen bull Diskurs bezieht sich auf die Art und Weise der Darstellung im Erzaumlhlwerk

Da eine Geschichte im Regelfall eine Vielzahl von Zustandsveraumlnderungen enthaumllt fragt sich wie diese in ihrer Art und Bedeutung fuumlr den Gang der Erzaumlhlung erfasst werden koumlnnen Dies kann uumlber den Begriff des Ereignisses geleistet werden

EreignisDieser Begriff bezeichnet eine Zustandsveraumlnderung die bestimmte Bedingungen erfuumlllt Grundlegend ist dass es sich um eine unerhoumlrte Begebenheit handelt in der eine gewoumlhnlich gegebene Grenze uumlberschritten wird Naumlherhin erfuumlllt ein Ereignis zwei Bedingungen bull Die Begebenheit zeichnet sich durch Faktizitaumlt (in der erzaumlhlten Welt) aus

(existiert also nicht nur in der Vorstellung einer Figur) bull auszligerdem durch Resultativitaumlt ist also nicht nur begonnen versucht oder ohne

ende vollzogen

Narrative Theologie sect12

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Die beiden Bedingungen sind notwendig fuumlr ein Ereignis aber nicht hinreichend Laumlsst sich der Bezug auf eine unerhoumlrte Begebenheit definitorisch erfassen Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an A Tschechov folgende Kriteriologie vor bull Am wichtigsten sind Relevanz und Abweichung vom Erwarteten (Impraumldiktabilitaumlt)

jeweils bezogen auf die erzaumlhlte Weltbull Nachgeordnet sind Folgenhaftigkeit (Konsekutivitaumlt) Unumkehrbarkeit

(Irreversibiltitaumlt) und Einmaligkeit (Non-Iterativitaumlt)

Anwendung Jesus als Wundertaumlter bull Einerseits koumlnnte die Praumlsentation Jesu als Wundertaumlter als wenig ereignishaft

eingestuft werden Nicht gegeben sind Einmaligkeit sowie fuumlr einzelne Erzaumlhlungen Folgenhaftigkeit und Relevanz

bull Andererseits koumlnnen die Kriterien von Irreversibilitaumlt und Impraumldiktabilitaumlt (Staunen bdquoChorschlussrdquo) angewendet werden

bull Tritt der Erzaumlhlzug des Staunens zuruumlck wird der Fokus nicht auf das Geschehen gerichtet sondern auf die Reaktion auf Seiten der Erzaumlhlfiguren Von dieser schwaumlcher entwickelten Ereignishaftigkeit aus kann dann etwa der metaphorische Charakter der Blindenheilung Mk 822-26 (Bezug auf Blindheit der Juumlnger) begruumlndet werden

Vom narratologischen Begriff der Ereignishaftigkeit her laumlsst sich zeigen wie nicht die geschilderte Veraumlnderung das Entscheidende ist diese vielmehr zum Traumlger einer anders ausgerichteten Aussage wird (Fokus auf die Juumlnger)

Narrative Theologie sect13

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Fiktionales und faktuales Erzaumlhlenbull Die Literaturwissenschaft befasst sich mit fiktionalen Erzaumlhlungen also Werken deren

dargestellte Welt fiktiv ist Die Begriffe fiktional und fiktiv sind aufeinander bezogen aber nicht

deckungsgleich Die Kennzeichnung fiktional bezieht sich auf den Charakter von Texten fiktiv benennt den Seinsstatus der dargestellten Welt

Frage Was bestimmt einen Text als fiktional

ndash Im Anschluss an die Sprechakt-Theorie wird die bdquoAlso-ob-Strukturldquo als entscheidend erkannt Nur der Form nach bietet ein fiktionaler Text Feststellungen tatsaumlchlich will der Autor diese nicht treffen

ndash Aumllteres Konzept Entscheidend ist nicht die Sprechintention des Autors sondern der Seinsstatus des Textes Mimesis als Darstellung des Moumlglichen Ob es ein textinternes Merkmal gibt das Texte als fiktional ausweist ist

umstritten Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an Kaumlte Hamburger die Darstellung einer fremden Innenwelt als textbasiertes Kriterium vor

bull Die Evangelien sind keine fiktionale Literatur Dafuumlr dass sie eine nur dargestellte Welt entwerfen wollten gibt es keine Indizien umgekehrt wird deutlich dass sie die Geschichte einer realen Person erzaumlhlen wollen mit Bezug zu einer auszligersprachlichen Wirklichkeit

Narrative Theologie sect12

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bull Die Unterscheidung zwischen fiktionalem und faktualem Erzaumlhlen ist im Horizont historisch-kritischen Bewusstseins entstanden Dies kann weder fuumlr die Evangelien noch fuumlr die antike Geschichtsschreibung vorausgesetzt werden

Die Evangelien sind also auch nicht rein faktuale Texte Darauf weisen nicht nur Fiktionalitaumltssignale im narratologischen Sinn sondern grundlegend die zT gravierenden Unterschiede zwischen den Erzaumlhlungen die doch alle die Geschichte des Jesus von Nazareth erzaumlhlen

Die Evangelien sind bdquofaktuale Erzaumlhlungen mit fiktionalen Elementenldquo

Narrative Theologie sect21

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Erzaumlhlinstanzen ndash Autor Erzaumlhler Leser Adressat

Kommunikationsebenenbull Grundsaumltzlich kann man unterscheiden zwischen Autor- Erzaumlhler- und

Figurenkommunikation Zu jeder Ebene gehoumlren Sender und Empfaumlnger

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

bull Die Figurenkommunikation ist nicht konstitutiv aber doch gewoumlhnlich in einem Erzaumlhlwerk verwirklicht sie ist eindeutig innerhalb der erzaumlhlten Welt angesiedelt und deshalb in theoretischer Hinsicht nicht weiter problematisch

Narrative Theologie sect21

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bull In einem fiktionalen Erzaumlhltext wird nun aber nicht einfach erzaumlhlt sondern es wird ein Erzaumlhlen dargestellt dadurch dass die Rolle des Erzaumlhlers geschaffen wird Diesem fiktiven Erzaumlhler entspricht der fiktive Leser auf der Empfaumlngerseite

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Narrative Theologie sect21

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bull Diese dargestellte Welt geht zuruumlck auf einen Autor der als Person unabhaumlngig von seinem Werk existiert also im Blick auf Kommunikationsebenen auszligerhalb anzusiedeln ist ebenso wie der konkrete Leser

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Literarisches Werk

Abstrakter rarrabstrak-Autor ter Leser

Kon

kret

er A

utor

rarrK

onkr

eter

Les

er

Narrative Theologie sect22

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Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect12

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Die beiden Bedingungen sind notwendig fuumlr ein Ereignis aber nicht hinreichend Laumlsst sich der Bezug auf eine unerhoumlrte Begebenheit definitorisch erfassen Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an A Tschechov folgende Kriteriologie vor bull Am wichtigsten sind Relevanz und Abweichung vom Erwarteten (Impraumldiktabilitaumlt)

jeweils bezogen auf die erzaumlhlte Weltbull Nachgeordnet sind Folgenhaftigkeit (Konsekutivitaumlt) Unumkehrbarkeit

(Irreversibiltitaumlt) und Einmaligkeit (Non-Iterativitaumlt)

Anwendung Jesus als Wundertaumlter bull Einerseits koumlnnte die Praumlsentation Jesu als Wundertaumlter als wenig ereignishaft

eingestuft werden Nicht gegeben sind Einmaligkeit sowie fuumlr einzelne Erzaumlhlungen Folgenhaftigkeit und Relevanz

bull Andererseits koumlnnen die Kriterien von Irreversibilitaumlt und Impraumldiktabilitaumlt (Staunen bdquoChorschlussrdquo) angewendet werden

bull Tritt der Erzaumlhlzug des Staunens zuruumlck wird der Fokus nicht auf das Geschehen gerichtet sondern auf die Reaktion auf Seiten der Erzaumlhlfiguren Von dieser schwaumlcher entwickelten Ereignishaftigkeit aus kann dann etwa der metaphorische Charakter der Blindenheilung Mk 822-26 (Bezug auf Blindheit der Juumlnger) begruumlndet werden

Vom narratologischen Begriff der Ereignishaftigkeit her laumlsst sich zeigen wie nicht die geschilderte Veraumlnderung das Entscheidende ist diese vielmehr zum Traumlger einer anders ausgerichteten Aussage wird (Fokus auf die Juumlnger)

Narrative Theologie sect13

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Fiktionales und faktuales Erzaumlhlenbull Die Literaturwissenschaft befasst sich mit fiktionalen Erzaumlhlungen also Werken deren

dargestellte Welt fiktiv ist Die Begriffe fiktional und fiktiv sind aufeinander bezogen aber nicht

deckungsgleich Die Kennzeichnung fiktional bezieht sich auf den Charakter von Texten fiktiv benennt den Seinsstatus der dargestellten Welt

Frage Was bestimmt einen Text als fiktional

ndash Im Anschluss an die Sprechakt-Theorie wird die bdquoAlso-ob-Strukturldquo als entscheidend erkannt Nur der Form nach bietet ein fiktionaler Text Feststellungen tatsaumlchlich will der Autor diese nicht treffen

ndash Aumllteres Konzept Entscheidend ist nicht die Sprechintention des Autors sondern der Seinsstatus des Textes Mimesis als Darstellung des Moumlglichen Ob es ein textinternes Merkmal gibt das Texte als fiktional ausweist ist

umstritten Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an Kaumlte Hamburger die Darstellung einer fremden Innenwelt als textbasiertes Kriterium vor

bull Die Evangelien sind keine fiktionale Literatur Dafuumlr dass sie eine nur dargestellte Welt entwerfen wollten gibt es keine Indizien umgekehrt wird deutlich dass sie die Geschichte einer realen Person erzaumlhlen wollen mit Bezug zu einer auszligersprachlichen Wirklichkeit

Narrative Theologie sect12

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bull Die Unterscheidung zwischen fiktionalem und faktualem Erzaumlhlen ist im Horizont historisch-kritischen Bewusstseins entstanden Dies kann weder fuumlr die Evangelien noch fuumlr die antike Geschichtsschreibung vorausgesetzt werden

Die Evangelien sind also auch nicht rein faktuale Texte Darauf weisen nicht nur Fiktionalitaumltssignale im narratologischen Sinn sondern grundlegend die zT gravierenden Unterschiede zwischen den Erzaumlhlungen die doch alle die Geschichte des Jesus von Nazareth erzaumlhlen

Die Evangelien sind bdquofaktuale Erzaumlhlungen mit fiktionalen Elementenldquo

Narrative Theologie sect21

9

Erzaumlhlinstanzen ndash Autor Erzaumlhler Leser Adressat

Kommunikationsebenenbull Grundsaumltzlich kann man unterscheiden zwischen Autor- Erzaumlhler- und

Figurenkommunikation Zu jeder Ebene gehoumlren Sender und Empfaumlnger

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

bull Die Figurenkommunikation ist nicht konstitutiv aber doch gewoumlhnlich in einem Erzaumlhlwerk verwirklicht sie ist eindeutig innerhalb der erzaumlhlten Welt angesiedelt und deshalb in theoretischer Hinsicht nicht weiter problematisch

Narrative Theologie sect21

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bull In einem fiktionalen Erzaumlhltext wird nun aber nicht einfach erzaumlhlt sondern es wird ein Erzaumlhlen dargestellt dadurch dass die Rolle des Erzaumlhlers geschaffen wird Diesem fiktiven Erzaumlhler entspricht der fiktive Leser auf der Empfaumlngerseite

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Narrative Theologie sect21

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bull Diese dargestellte Welt geht zuruumlck auf einen Autor der als Person unabhaumlngig von seinem Werk existiert also im Blick auf Kommunikationsebenen auszligerhalb anzusiedeln ist ebenso wie der konkrete Leser

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Literarisches Werk

Abstrakter rarrabstrak-Autor ter Leser

Kon

kret

er A

utor

rarrK

onkr

eter

Les

er

Narrative Theologie sect22

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Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

28

bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

29

Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

31

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Fiktionales und faktuales Erzaumlhlenbull Die Literaturwissenschaft befasst sich mit fiktionalen Erzaumlhlungen also Werken deren

dargestellte Welt fiktiv ist Die Begriffe fiktional und fiktiv sind aufeinander bezogen aber nicht

deckungsgleich Die Kennzeichnung fiktional bezieht sich auf den Charakter von Texten fiktiv benennt den Seinsstatus der dargestellten Welt

Frage Was bestimmt einen Text als fiktional

ndash Im Anschluss an die Sprechakt-Theorie wird die bdquoAlso-ob-Strukturldquo als entscheidend erkannt Nur der Form nach bietet ein fiktionaler Text Feststellungen tatsaumlchlich will der Autor diese nicht treffen

ndash Aumllteres Konzept Entscheidend ist nicht die Sprechintention des Autors sondern der Seinsstatus des Textes Mimesis als Darstellung des Moumlglichen Ob es ein textinternes Merkmal gibt das Texte als fiktional ausweist ist

umstritten Wolf Schmid schlaumlgt im Anschluss an Kaumlte Hamburger die Darstellung einer fremden Innenwelt als textbasiertes Kriterium vor

bull Die Evangelien sind keine fiktionale Literatur Dafuumlr dass sie eine nur dargestellte Welt entwerfen wollten gibt es keine Indizien umgekehrt wird deutlich dass sie die Geschichte einer realen Person erzaumlhlen wollen mit Bezug zu einer auszligersprachlichen Wirklichkeit

Narrative Theologie sect12

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bull Die Unterscheidung zwischen fiktionalem und faktualem Erzaumlhlen ist im Horizont historisch-kritischen Bewusstseins entstanden Dies kann weder fuumlr die Evangelien noch fuumlr die antike Geschichtsschreibung vorausgesetzt werden

Die Evangelien sind also auch nicht rein faktuale Texte Darauf weisen nicht nur Fiktionalitaumltssignale im narratologischen Sinn sondern grundlegend die zT gravierenden Unterschiede zwischen den Erzaumlhlungen die doch alle die Geschichte des Jesus von Nazareth erzaumlhlen

Die Evangelien sind bdquofaktuale Erzaumlhlungen mit fiktionalen Elementenldquo

Narrative Theologie sect21

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Erzaumlhlinstanzen ndash Autor Erzaumlhler Leser Adressat

Kommunikationsebenenbull Grundsaumltzlich kann man unterscheiden zwischen Autor- Erzaumlhler- und

Figurenkommunikation Zu jeder Ebene gehoumlren Sender und Empfaumlnger

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

bull Die Figurenkommunikation ist nicht konstitutiv aber doch gewoumlhnlich in einem Erzaumlhlwerk verwirklicht sie ist eindeutig innerhalb der erzaumlhlten Welt angesiedelt und deshalb in theoretischer Hinsicht nicht weiter problematisch

Narrative Theologie sect21

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bull In einem fiktionalen Erzaumlhltext wird nun aber nicht einfach erzaumlhlt sondern es wird ein Erzaumlhlen dargestellt dadurch dass die Rolle des Erzaumlhlers geschaffen wird Diesem fiktiven Erzaumlhler entspricht der fiktive Leser auf der Empfaumlngerseite

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Narrative Theologie sect21

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bull Diese dargestellte Welt geht zuruumlck auf einen Autor der als Person unabhaumlngig von seinem Werk existiert also im Blick auf Kommunikationsebenen auszligerhalb anzusiedeln ist ebenso wie der konkrete Leser

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Literarisches Werk

Abstrakter rarrabstrak-Autor ter Leser

Kon

kret

er A

utor

rarrK

onkr

eter

Les

er

Narrative Theologie sect22

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Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

28

bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

36

Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

Narrative Theologie sect62

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

Narrative Theologie sect62

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

Narrative Theologie sect62

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

Narrative Theologie sect62

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

Narrative Theologie sect62

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect12

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bull Die Unterscheidung zwischen fiktionalem und faktualem Erzaumlhlen ist im Horizont historisch-kritischen Bewusstseins entstanden Dies kann weder fuumlr die Evangelien noch fuumlr die antike Geschichtsschreibung vorausgesetzt werden

Die Evangelien sind also auch nicht rein faktuale Texte Darauf weisen nicht nur Fiktionalitaumltssignale im narratologischen Sinn sondern grundlegend die zT gravierenden Unterschiede zwischen den Erzaumlhlungen die doch alle die Geschichte des Jesus von Nazareth erzaumlhlen

Die Evangelien sind bdquofaktuale Erzaumlhlungen mit fiktionalen Elementenldquo

Narrative Theologie sect21

9

Erzaumlhlinstanzen ndash Autor Erzaumlhler Leser Adressat

Kommunikationsebenenbull Grundsaumltzlich kann man unterscheiden zwischen Autor- Erzaumlhler- und

Figurenkommunikation Zu jeder Ebene gehoumlren Sender und Empfaumlnger

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

bull Die Figurenkommunikation ist nicht konstitutiv aber doch gewoumlhnlich in einem Erzaumlhlwerk verwirklicht sie ist eindeutig innerhalb der erzaumlhlten Welt angesiedelt und deshalb in theoretischer Hinsicht nicht weiter problematisch

Narrative Theologie sect21

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bull In einem fiktionalen Erzaumlhltext wird nun aber nicht einfach erzaumlhlt sondern es wird ein Erzaumlhlen dargestellt dadurch dass die Rolle des Erzaumlhlers geschaffen wird Diesem fiktiven Erzaumlhler entspricht der fiktive Leser auf der Empfaumlngerseite

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Narrative Theologie sect21

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bull Diese dargestellte Welt geht zuruumlck auf einen Autor der als Person unabhaumlngig von seinem Werk existiert also im Blick auf Kommunikationsebenen auszligerhalb anzusiedeln ist ebenso wie der konkrete Leser

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Literarisches Werk

Abstrakter rarrabstrak-Autor ter Leser

Kon

kret

er A

utor

rarrK

onkr

eter

Les

er

Narrative Theologie sect22

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Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

18

ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

19

Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

20

Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

21

Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

22

Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

23

Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

24

Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

27

Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

28

bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

29

Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

30

Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

31

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

32

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

34

Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

35

ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

40

Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

42

ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

Narrative Theologie sect62

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Erzaumlhlinstanzen ndash Autor Erzaumlhler Leser Adressat

Kommunikationsebenenbull Grundsaumltzlich kann man unterscheiden zwischen Autor- Erzaumlhler- und

Figurenkommunikation Zu jeder Ebene gehoumlren Sender und Empfaumlnger

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

bull Die Figurenkommunikation ist nicht konstitutiv aber doch gewoumlhnlich in einem Erzaumlhlwerk verwirklicht sie ist eindeutig innerhalb der erzaumlhlten Welt angesiedelt und deshalb in theoretischer Hinsicht nicht weiter problematisch

Narrative Theologie sect21

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bull In einem fiktionalen Erzaumlhltext wird nun aber nicht einfach erzaumlhlt sondern es wird ein Erzaumlhlen dargestellt dadurch dass die Rolle des Erzaumlhlers geschaffen wird Diesem fiktiven Erzaumlhler entspricht der fiktive Leser auf der Empfaumlngerseite

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Narrative Theologie sect21

11

bull Diese dargestellte Welt geht zuruumlck auf einen Autor der als Person unabhaumlngig von seinem Werk existiert also im Blick auf Kommunikationsebenen auszligerhalb anzusiedeln ist ebenso wie der konkrete Leser

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Literarisches Werk

Abstrakter rarrabstrak-Autor ter Leser

Kon

kret

er A

utor

rarrK

onkr

eter

Les

er

Narrative Theologie sect22

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Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

31

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

37

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

62

Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

63

bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

64

Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect21

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bull In einem fiktionalen Erzaumlhltext wird nun aber nicht einfach erzaumlhlt sondern es wird ein Erzaumlhlen dargestellt dadurch dass die Rolle des Erzaumlhlers geschaffen wird Diesem fiktiven Erzaumlhler entspricht der fiktive Leser auf der Empfaumlngerseite

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Narrative Theologie sect21

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bull Diese dargestellte Welt geht zuruumlck auf einen Autor der als Person unabhaumlngig von seinem Werk existiert also im Blick auf Kommunikationsebenen auszligerhalb anzusiedeln ist ebenso wie der konkrete Leser

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Literarisches Werk

Abstrakter rarrabstrak-Autor ter Leser

Kon

kret

er A

utor

rarrK

onkr

eter

Les

er

Narrative Theologie sect22

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Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

29

Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

30

Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

32

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

57

Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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bull Diese dargestellte Welt geht zuruumlck auf einen Autor der als Person unabhaumlngig von seinem Werk existiert also im Blick auf Kommunikationsebenen auszligerhalb anzusiedeln ist ebenso wie der konkrete Leser

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Dargestellte Welt

Fiktiver rarrfiktiverErzaumlhler Leser

Literarisches Werk

Abstrakter rarrabstrak-Autor ter Leser

Kon

kret

er A

utor

rarrK

onkr

eter

Les

er

Narrative Theologie sect22

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Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Abstrakter Autor und abstrakter Leser bull In der bisherigen Darstellung wurde ein Teil des obigen Schemas ausgeklammert Mit

der Instanz des abstrakten Autors wird beruumlcksichtigt dass jede sprachliche Aumluszligerung in sich das Bild seines Urhebers enthaumllt Im Lauf der Lektuumlre eines Werkes entsteht ein Bild von seinem Urheber das ausschlieszliglich von den Daten des Werkes gesteuert wird (nicht vom eventuellen Wissen uumlber den konkreten Autor)

Der abstrakte Autor ist also innerhalb des literarischen Werkes anzusiedeln aber nicht innerhalb der dargestellten Welt Er ist keine Erzaumlhlinstanz hat keine Rolle im Werk

Die Beruumlcksichtigung dieser Kommunikationsinstanz verdeutlicht dass der Erzaumlhler des Werkes keine autonome Groumlszlige sondern selbst Teil der dargestellten Welt ist

bull Der abstrakte Leser die Entsprechung zum abstrakten Autor ist nicht einfach die Spiegelung auf der Empfaumlngerseite also nicht die Vorstellung die der konkrete Autor vom Leser hat Vielmehr handelt es sich um das Bild vom Leser das sich aus der Erhebung des abstrakten Autors durch den konkreten Leser ergibt

Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

23

Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

28

bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

Narrative Theologie sect62

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

Narrative Theologie sect62

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

Narrative Theologie sect62

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

Narrative Theologie sect62

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

Narrative Theologie sect62

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

Narrative Theologie sect81

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect23

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Fiktiver Erzaumlhler und fiktiver Adressatbull Der Erzaumlhler gehoumlrt zur dargestellten Welt Fiktionale Erzaumlhlliteratur erzaumlhlt nicht

einfach sondern stellt ein Erzaumlhlen dar Er ist die Instanz die den erzaumlhlten Stoff auswaumlhlt komponiert konkretisiert

sprachlich praumlgt Bewertungen und Kommentare einbringt

bull Was die Typologie betrifft so kann man mit Wolf Schmid zwei Typen des Erzaumlhlers unterscheiden ndash Der diegetische Erzaumlhler kommt selbst als Figur in der Erzaumlhlung vor ndash Der nichtdiegetische Erzaumlhler bleibt auf die Ebene des Erzaumlhlens beschraumlnkt

bull Auszligerdem kann man verschiedene Ebenen unterscheiden auf denen ein Erzaumlhler angesiedelt ist ndash Der primaumlre Erzaumlhler ist der Erzaumlhler der Rahmengeschichte (notwendig)ndash Ein sekundaumlrer Erzaumlhler kann auftreten wenn eine Figur die innerhalb der

Rahmengeschichte auftritt selber zum Erzaumlhler einer Geschichte wird ndash Tritt dann innerhalb der sekundaumlr erzaumlhlten Geschichte ein weiterer Erzaumlhler auf

waumlre dies ein tertiaumlrer Erzaumlhler usw

bull Der fiktive Adressat kann in unterschiedlichem Ausmaszlig markiert sein Je profilierter die Erzaumlhlerrolle ist desto klarer laumlsst sich auch der fiktive Adressat herausarbeiten

Narrative Theologie sect23

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

Narrative Theologie sect21

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

19

Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

20

Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

21

Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

22

Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

23

Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

28

bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

29

Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

30

Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

31

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

32

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

34

Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

35

ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

36

Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

40

Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

42

ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

Narrative Theologie sect62

43

Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Erzaumlhlinstanzen in den Evangelienbull Die dargestellten Erzaumlhlinstanzen lassen sich nicht unmittelbar auf die Evangelien

uumlbertragen Dies legt sich schon aufgrund der Tatsache nahe dass die Evangelien nicht der fiktionalen Literatur zuzuordnen sind

bull So meldet sich im Vorwort des LkEv auch nicht der fiktive Erzaumlhler sondern der konkrete Autor wie man an Bezuumlgen auf realgeschichtliche Personen und Vorgaumlnge erkennen kann

bull Auch in den anderen Evangelien geht es in staumlrkerem Maszlig um die Mitteilung von Inhalten als um die Profilierung der Erzaumlhlerstimme

bull Deshalb ist im Anschluss an Christian Blumenthal das Kommunikationsmodell fuumlr die Evangelien zu modifizieren (s naumlchste Folie)ndash Nicht uumlbernommen ist die Doppelstruktur fiktionalen Erzaumlhlens Es wird kein

Erzaumlhlen dargestellt Der Autor uumlbernimmt die Rolle des Erzaumlhlersndash Auch der Adressat ist real Teil eines realen Kommuniaktionsgeschehens

bull Wenn sich der Erzaumlhler als reale Person einbringt ist auch die Instanz des abstrakten Autors der allein aus den bdquoindizialen Zeichenldquo des Werkes erschlossen wird hinfaumlllig De facto bleibt die Evangelienasulegung aber insofern auf den abstrakten Autor

verwiesen als wir die reale Kommunikation nur aus dem Werk selbst (in seinem geschichtlichen Rahmen) erschlieszligen koumlnnen Belastbare Informationen uumlber den realen Autor haben wir nicht

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Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

16

Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

20

Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

28

bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

31

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

32

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect21

15

Modifiziertes Modell der Kommunikationsebenen fuumlr die Evangelien

Zitierte Welt

Erzaumlhlte Welt

F1 rarr F2

Literarisches Werk

Realer rarrrealerErzaumlhler Erzaumlhl-

adressat

Konkreter Autor

rarrKonkreter Adressat

Narrative Theologie sect31

16

Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

17

bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

18

ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

20

Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

21

Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

22

Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

23

Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

30

Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

31

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

32

Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

Narrative Theologie sect62

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

Narrative Theologie sect62

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

Narrative Theologie sect62

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

Narrative Theologie sect62

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

Narrative Theologie sect81

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Erzaumlhlweisen ndash Parameter der Darstellung

Die Unterscheidung von Erzaumlhler- und Figurenredebull Der Erzaumlhltext wird aus zwei Komponenten gebildet

ndash Die Erzaumlhlerrede ist jener Teil des Erzaumlhltextes der sich bdquoerst im Erzaumlhlakt herstelltldquo (W Schmid)

ndash Die Figurenrede wird so dargestellt dass sie bereits vor dem Erzaumlhlakt existiert und nur wiedergegeben wird Sie dient der Charakterisierung der Figuren und treibt die Handlung voran (narrative Rolle der Figurenrede)

Der Erzaumlhler ist die (uumlbergeordnete) Instanz die Erzaumlhler- und Figurenrede vereinigt

bull Die Verteilung von Erzaumlhler- und Figurenrede ist ein wesentliches Mittel der Gestaltung

bullDie Figurenrede kann unterschiedlich in den Erzaumlhltext eingepasst werden und damit unterschiedliche Grade von Unmittelbarkeit zur Figur erzeugen ndash Rede wird zitiertndash Rede wird erzaumlhlt (zB Mk 130 934 extreme Form Mk 94)ndash Rede wird transponiert indirekte Rede (zB Mk 102 Problem Menschensohnworte)

oder erlebte Rede (Erzaumlhler aumluszligert sich aus der Perspektive der Figur bdquoAber am Vormittag hatte sie den Baum zu putzen Morgen war Weihnachtenldquo in den Evangelien houmlchstens Mk 621 aber wohl nur zum Zweck der Verkuumlrzung)

Narrative Theologie sect32

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

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bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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bull Charakterisierung der Figuren durch Erzaumlhler- und Figurenredendash direkt Der Erzaumlhler aumluszligert sich uumlber seine Figuren (Mk 652 96) oder Figuren aumluszligern

sich uumlber sich selbst (Mk 217) oder andere Figuren (Mk 76-13) ndash indirekt Schilderung von Handlungen (Mk 653-56) durch Verteilung von Erzaumlhler- und

Figurenrede durch die Art der Einpassung der Figurenrede (s vorigen Punkt)

Erzaumlhlperspektive Wolf Schmid schlaumlgt ein Modell vor in dem die Perspektive von fuumlnf Parametern bestimmt ist (in absteigender Reihenfolge im Blick auf die Wichtigkeit der Parameter)bull Perzeption Mit wessen Augen wird wahrgenommen bull Ideologie Welche Wertungshaltungen und Interessen bestimmen die Wahrnehmungbull Raum Wo befindet sich der Wahrnehmende bull Zeit Welcher Abstand besteht zwischen urspruumlnglichem Erfassen und spaumlterem Darstellenbull Sprache Welcher Sprachstil wird gewaumlhlt setzt sich der Erzaumlhler von seinen Figuren in

dieser Hinsicht ab Die Perspektive ist entweder die des Erzaumlhlers oder die einer Figur mehr Moumlglichkeiten

gibt es nicht Die Perspektive des Erzaumlhlers muss nicht eindeutig markiert sein Die Evangelien sind narratorial bestimmt In ihnen kann zwar die Wahrnehmung einer

Figur beschrieben sein der Text selbst gestaltet aber nicht die Wahrnehmung aus der Perspektive der Figur

Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

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bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

Narrative Theologie sect62

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

Narrative Theologie sect81

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect33

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ZeitDie Zeitverhaumlltnisse einer Erzaumlhlung haben grundsaumltzlich zwei unterschiedliche Bezugspunkte bull Erzaumlhlzeit Zeit die der Erzaumlhler fuumlr das Erzaumlhlen benoumltigt bull Erzaumlhlte Zeit Dauer der erzaumlhlten Geschichte

Naumlherhin lassen sich die Zeitverhaumlltnisse anhand von drei Analysefragen erfassen bull In welcher Reihenfolge wird erzaumlhlt

Die Chronologie des Erzaumlhlens muss nicht mit der Chronologie der Geschichte uumlbereinstimmen Abweichungen (Achronien) erfolgen in zwei Formen In Analepsen wird nachtraumlglich in Prolepsen vorwegnehmend erzaumlhlt

bull Welche Dauer beansprucht die Darstellung des GeschehensDie Darstellung kann zeitdeckend zeitraffend zeitaussparend oder zeitdehnend sein Im Fall der Pause wird die Erzaumlhlung unterbrochen

bull Mit welcher Frequenz wird ein wiederholtes oder nichtwiederholtes Geschehen erzaumlhlt Drei Typen von Wiederholungsbeziehungen lassen sich unterscheiden ndash singulativ Die Erzaumlhlfrequenz entspricht der Geschehnsfrequenzndash repetitiv Ein einmaliges Geschehen wird wiederholt erzaumlhltndash iterativ Ein wiederholtes Geschehen wird einmal erzaumlhlt

Narrative Theologie sect34

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Raum Katrin Dennerlein will Alltagskonzepte von Raum narratologisch fruchtbar machen und setzt bei der Vorstellung des Containers an Diesen zeichnen vor allem zwei Charakteristika aus bull Er existiert unabhaumlngig von der Wahrnehmung bull Er ist durch ein Innen und Auszligen gekennzeichnet

Ein Ort ist eine Stelle innerhalb dieses (Container-)Raumes der von einem Lebewesen oder einem Objekt besetzt sein kann So gehoumlren Raumlume zur Umgebung von Erzaumlhlfiguren und koumlnnen zu deren Charakterisierung dienen

Raumvorstellungen koumlnnen auch durch indirekte Hinweise hervorgerufen werden und die Vorstellungskraft der Leser beanspruchen

Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect41

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Das Markusevangelium als Erzaumlhlung

Ein nichtdiegetischer Erzaumlhlerbull Im MkEv werden Zustandsveraumlnderungen mitgeteilt bisweilen innerhalb einzelner

Abschnitte (Krankenheilungen) aber auch im Blick auf den Weg der Hauptfigur im Ganzen

bull Diese Zustandsveraumlnderungen werden von einer Vermittlungsinstanz praumlsentiert Der Erzaumlhler des MkEv steht auszligerhalb der Erzaumlhlung Ich-Formen gibt es nur in

woumlrtlicher Rede Hinweise darauf dass der Erzaumlhler mit einer der auftretenden Figuren zu identifizieren ist finden sich nicht (auch nicht in Mk 1451f)

Der Erzaumlhler nimmt zwar keine figurale Perspektive ein weiszlig aber viel uumlber das Innenleben seiner Figuren (zB 141 28 530 1510)

Der Erzaumlhler weiszlig weniger als seine Hauptfigur ist also nicht bdquoallwissendldquo Vor allem Zukunftsaussagen uumlberlaumlsst er der Hauptfigur

Bisweilen wird die Hauptfigur zum sekundaumlren Erzaumlhler (Gleichnisse)

Narrative Theologie sect42

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Figuren bull Die Hauptfigur wird gleich im ersten Satz markiert Der Bogen der Erzaumlhlung spannt sich vom

Anfang bis zu einem Ende das uumlber die erzaumlhlte Geschichte hinausweist (s 167) bull Neben der Hauptfigur tritt eine Fuumllle von Nebenfiguren auf zT namentlich genannt Nicht in

jedem Fall koumlnnen erzaumlhlerische Gruumlnde fuumlr die Namensnennung angegeben werden Offensichtlich sind dafuumlr auch die Zufaumllligkeiten der Uumlberlieferungslage verantwortlich ndash ein weiterer Hinweis darauf dass das MkEv nicht der fiktionalen Literatur zugehoumlrt

bull Dennoch koumlnnen zeitgeschichtliche Figuren mit fiktionalen Elementen versehen sein (Pilatus Herodes Herodias)

bull Die groszlige Masse der Nebenfiguren bleibt namenlos Auch die Gegner Jesu treten gewoumlhnlich ohne individuelles Profil als Gruppe auf

bull Manche Figuren erscheinen nur im Rahmen der Figurenrede sind also keine eigentlichen Figuren der Erzaumlhlung (David Jesaja Mose und Elija [auszliger in 92-10]) Eine Zwischenstellung nimmt Barabbas ein Uumlber ihn wird nur gesprochen allerdings ist seine Anwesenheit in der erzaumlhlten Welt vorausgesetzt

Der Figurbegriff wird hier rein erzaumlhltheoretisch verwendet Es ist nicht gemeint diese seien nur im Rahmen der Erzaumlhlung existent Es handelt sich um eine methodische Abstraktion nicht um eine ontologische Aussage

Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

Narrative Theologie sect61

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

Narrative Theologie sect61

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

Narrative Theologie sect62

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

Narrative Theologie sect62

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

Narrative Theologie sect62

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

Narrative Theologie sect62

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

Narrative Theologie sect62

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect43

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Zeit bull Achronien finden sich aufs Ganze nur wenig im MkEv Meist wird die Geschichte ohne

zeitliche Brechungen fortlaufend erzaumlhlt Ausnahmen ndash Analepse in Mk 617-29 (auch 918) ndash Prolepse in 410-20 (erkennbar allerdings erst in 433f) Keine eigentliche Stoumlrung der Zeitstruktur sind zukunftsgewisse Prolepsen im Mund Jesu die sich auf das Geschehen innerhalb der Erzaumlhlung (zB Leidensankuumlndigungen) aber auch auf die extradiegetische Zukunft beziehen koumlnnen (zB Endzeitrede Mk 13)

bull Im Blick auf die Erzaumlhlfrequenz ist allein die singulative Wiederholungsbeziehung belegt

bull Was die Dauer betrifft so ist die ndash Erzaumlhlzeit leicht zu bestimmen laut gelesen beansprucht das MkEv etwa zwei Stunden ndash Das Gegenteil trifft wegen der meist nur vagen Zeitangaben fuumlr die erzaumlhlte Zeit zu

Hinweise wie die bdquosechs Tageldquo in Mk 92 oder der Tag in Kapharnaum (Mk 121-34) sind die Ausnahme

ndash Allerdings werden die Zeitangaben mit der Ankunft Jesu in Jerusalem genauer (111) Fuumlr den Jerusalemaufenthalt wird eine Tagesstruktur erkennbar die bis zum Sonntag nach dem Karfreitag reicht (1111 1119f 141 1412 15142 161) Nur vom Schluss her von der Zuordnung des Todestages Jesu und der Grabeserzaumlhlung zum Sabbat kann man die zuvor genannten Wochentage bestimmen Das MkEv selbst nennt in diesen Faumlllen keine Wochentage sondern jeweils nur Abend und Morgen eines Tages

Narrative Theologie sect43

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

Narrative Theologie sect51

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Das letzte Drittel des MkEv deckt also eine Woche ab Im Fall der Kreuzigung findet sich sogar ein Stundenschema Dass die Kreuzestheologie im Zentrum der markinischen Jesusdarstellung steht bildet sich auch in der Zeitstruktur der Erzaumlhlung ab

bull Ludger Schenke hat vorgeschlagen ausgehend von der letzten Woche in Jerusalem unter Ruumlckgriff auf die Erwaumlhnungen des Sabbats dem MkEv ein Sieben-Wochen-Schema zugrundezulegen 114-31 21-36 37-613 613-826 827-929 930-1052 111-161

Die textlichen Indizien sind allerdings schwach die Leser werden kaum auf die Spur einer Wochenstruktur gelenkt ndash Ausdruumlcklich genannt ist der Sabbat nur in 121 22331 61 161 ndash Nicht einmal die Erwaumlhnungen des Sabbats sind so gestaltet dass sie als

aufeinanderfolgende Sabbate erkennbar wuumlrden ndash Erst vom Schluss her kann man uumlberhaupt auf die Idee kommen dass die vorherige

Erzaumlhlung eine Wochenstruktur haben koumlnnte Ein Erzaumlhler der seine Leser auf eine durchgehende Wochenstruktur stoszligen wollte haumltte sicher fruumlher entsprechende Signale gesetzt

bull Im Ganzen wird zeitraffend erzaumlhlt allerdings auch mit zeitdeckenden Passagen in jenen Abschnitten in denen Worttradition bestimmend ist (Gleichniskapitel Endzeitrede Juumlngerbelehrungen) Zeitaussparungen werden bisweilen ausdruumlcklich gemacht (132 21 61f 82 92 161) Gewoumlhnlich aber wird nicht offengelegt dass die erzaumlhlten Begebenheiten einen viel groumlszligeren Zeitraum abdecken als zu ihrer Erzaumlhlung noumltig ist

Narrative Theologie sect44

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Raumbull Die topographische Grobstruktur ist dreigeteilt Galilaumla und Umgebung Weg nach Jerusalem

Jerusalem bull Jenseits dieses topographischen Rahmens haben einzelne Ortsangaben symbolische

Bedeutung (See Berg Haus) bull Ein Beispiel fuumlr die Bedeutung des Bezugs auf innen und auszligen begegnet in Mk 320-35 Die oumlrtliche Aufteilung von innen und auszligen auf Anhaumlnger und Zuhoumlrer Jesu einerseits

und Gegner andererseits praumlgt die Szene Die Schriftgelehrten sind demnach nicht im Haus anwesend ihre Aussage wird nur vom

Erzaumlhler zitiert Jesus ruft nicht die Schriftgelehrten zu sich um ihren Vorwurf zu entkraumlften sondern die im Haus anwesenden Zuhoumlrer

bull Ein Beispiel fuumlr die Beanspruchung der Leser zur Schaffung von Raumvorstellungen findet sich in Mk 51-20 Dass es sich um heidnisches Gebiet handelt wird nicht gesagt laumlsst sich aber aus der Geschichte schlieszligen (Schweinehaltung) ndash mit Auswirkungen auf 731-826

bull Es kann auch zu Umwertungen kommen und die Erwartung der Leser durchkreuzt werden (Jerusalem negativ gewertet)

bull Schlieszliglich finden sich Faumllle in denen eine sparsam beschriebene angedeutete Szenerie die Phantasie der Leser anregt sich den Ort des Geschehens naumlher vorzustellen (zB 112f 22 39 320 41 633 131-13) Den Rezipienten wird Freiraum zur Konstruktion des Schauplatzes gelassen

Narrative Theologie sect51

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Gott als Erzaumlhlfigur in atl Geschichten

Ur- und Abrahamsgeschichte bull Gen 11-24 stellt die Erschaffung durch das Wort in den Vordergrund auch wenn es

einige Aussagen uumlber das Tun des Schoumlpfers gibt bull In Gen 24b-324 wird das Handeln Gottes nach Art eines Menschen viel detaillierter

beschrieben Gott ist nur durch die ihm zukommende Schoumlpfermacht vom Menschen unterschieden ansonsten ist er als normale Erzaumlhlfigur inszeniert

bull Auch Gen 18 (Gotteserscheinung vor Abraham) bietet eine recht plastische Inszenierung Gottes als Erzaumlhlfigur Unausgeglichenheiten sind wohl weniger ein Ausdruck des Bewusstseins Gott als

Erzaumlhlfigur nur gebrochen darstellen zu koumlnnen als vielmehr das Ergebnis einer literarischen Entstehungsgeschichte Die Kommunikation laumluft wie zwischen menschlichen Gespraumlchspartnern

Im Gespraumlch uumlber das Geschick von Sodom erscheint Gott trotz des deutlichen Autoritaumltsgefaumllles wie ein menschlicher Verhandlungspartner

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

Narrative Theologie sect62

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Exoduserzaumlhlungen bull Die Gottesoffenbarung am Dornbusch in Ex 3 ereignet sich ohne dass Mose JHWH sieht

(36)

bull Mose ist Mittler zwischen Gott und Volk was vom Volk ausdruumlcklich gewuumlnscht wird (Ex 2018f)

bull Naumlhe und Distanz des Mose zu Gott werden unterschiedlich dargestelltndash JHWH redet mit Mose von Angesicht zu Angesicht bdquowie ein Mann mit seinem Freund

redetldquo (Ex 3311 sa Ex 249-11) ndash Der Wunsch des Mose die Herrlichkeit des Herrn zu sehen wird dagegen abschlaumlgig

beschieden (Ex 3320-23)

ProphetenberufungenAumlhnlich wie an der zuletzt genannten Stelle wird in Jes 6 und Ez 1 das Erscheinen des transzendenten Gottes inszeniert das auf der Seite des Menschen Erschrecken ausloumlst

In Ez 1 sind sehr ausfuumlhrlich die Wesen beschrieben die Gottes Erscheinung begleiten mit dieser Langatmigkeit ist die Distanz zu Gott erzaumlhlerisch umgesetzt

Narrative Theologie sect51

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

Narrative Theologie sect51

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Das Esther-Buch bull Das Buch hat eine komplizierte Uumlberlieferungsgeschichte kurze hebraumlische Fassung

dazu zwei griechische Versionen in wesentlich erweiterter Form

bull In der kuumlrzesten Fassung wird Gott nicht erwaumlhnt es findet sich allein ein subtiler Hinweis auf sein Handeln in der Rede Mordechais an Esther (414)

bdquoDenn wenn du zu diesem Zeitpunkt wirklich schweigst so wird Befreiung und Errettung fuumlr die Juden von einem anderen Ort her erstehen Du aber und das Haus deines Vaters ihr werdet umkommen Und wer erkennt ob du nicht gerade fuumlr einen Zeitpunkt wie diesen zur Koumlnigswuumlrde gelangt bistldquo Wenn sich Esther weigert fuumlr ihr Volk vor dem Koumlnig einzutreten wird den

Juden bdquovon einem anderen Ort herldquo Rettung erstehen zuruumlckhaltender laumlsst sich der Gottesbezug kaum ausdruumlcken

Auszligerdem bringt Mordechai eine versteckte Regie hinter Esthers Biographie ins Spiel wenn er andeutet dass sie moumlglicherweise nur aus dem Grund Koumlnigin wurde um durch ihren Einfluss beim Koumlnig ihr bedrohtes Volk zu retten

Die Worte Mordechais koumlnnen als Schluumlssel angesehen werden der den Lesern fuumlr die theologische Deutung der Erzaumlhlung gegeben wird (s 91)

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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bull Die Zusaumltze in der griechischen Uumlberlieferung machen den Bezug auf das Wirken Gottes ausdruumlcklich ndash Der Erzaumlhlung wird ein Traum Mordechais vorangestellt zu dem die Deutung

mitgeliefert wird Mordechai hat gesehen was Gott zu tun beschlossen hatte (A10f) ndash Am Ende wird der Bogen zum Anfang geschlagen und der Traum auf das Handeln

gedeutet (F1f) ndash Auszliger in diesen Rahmenteilen verstaumlrkt die griechische Uumlberlieferung den

Gottesbezug durch die Einfuumlgung von Gebeten die den beiden Hauptfiguren zugeordnet werden

Die Beispiele aus der Prophetentradition und dem Estherbuch zeigen dass es nicht darum gehen kann eine primitive oder naive theologische Erzaumlhlweise im AT einem theologisch reflektierteren und subtiler erzaumlhlenden NT gegenuumlberzustellen Es soll die Vielfalt erzaumlhlerischer Umsetzungen vom Wirken Gottes und die Besonderheit der Erzaumlhlweise in den Evangelien aufscheinen

Narrative Theologie sect52

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

Narrative Theologie sect52

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

Narrative Theologie sect61

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

Narrative Theologie sect61

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

Narrative Theologie sect61

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

Narrative Theologie sect61

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

Narrative Theologie sect62

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

Narrative Theologie sect62

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

Narrative Theologie sect62

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

Narrative Theologie sect62

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

Narrative Theologie sect62

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Charakterisierung des markinischen Befundes

Ein anderer Ausgangspunkt bull Dass von Jesus anders als von Abraham oder Mose erzaumlhlt wird legt sich schon wegen

der Bedeutung dieser beiden Figuren als bdquoGrundgestaltenldquo nahe

bull Nach Abschluss des Pentateuchs sind noch andere theologische Traditionen wirksam geworden (Uumlberzeugung vom Verstummen der Prophetie Apokalyptik mit der Betonung der Transzendenz Gottes Kommunikation durch Engel)

Gott als StimmeZweimal erscheint Gott als Stimme aus dem Himmel (bzw der Wolke) ndash Dies wahrt zum einen die Transdenzenz Gottes ndash schneidet aber die Verbindung zwischen Gott und den Menschen nicht ab Den wenigen Worten die Gott als Erzaumlhlfigur spricht kommt umso groumlszligeres Gewicht

zu

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Gott als zitierte Stimme bull Gemeint sind hier Zitate aus der Schrift (also dem Alten Testament) in denen ein

Gotteswort in Ich-Form angefuumlhrt ist Im Blick sind jene Aussagen die auf der literarischen Ebene des MkEv eindeutig als Gotteswort erkennbar sind (das Zitat von Jes 69f in Mk 411 zB faumlllt nicht in diese Kategorie)

bull Als Belege kommen in Frage ndash Mk 12 (Zitat aus Ex 2320Mal 31)ndash Mk 76f (Zitat aus Jes 2913)ndash Mk 1117 (Zitat aus Jes 567Jer 711)ndash Mk 1226 (Zitat aus Ex 36)ndash Mk 1427 (Zitat aus Sach 137)Eine besondere Form begegnet in Mk 1236 Hier wird ein Psalm Davids zitiert (1101) in dem wiederum die Gottesstimme zitiert wird

bull Wenn der Prophet als Urheber des Spruches genannt ist (so in Mk 76f) mindert dies die Qualitaumlt der zitierten Gottesstimme nicht Der Prophet ist in diesem Fall als Gottes Sprachrohr gedacht der den Spruch des Herrn weitergibt

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

Narrative Theologie sect61

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

Narrative Theologie sect62

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

Narrative Theologie sect62

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash I

Abgrenzung bull Recht unvermittelt tritt eine neue Figur auf die schon dadurch als Hauptfigur angedeutet

wird dass ihre Taufe in einer Einzelerzaumlhlung erscheint (dagegen Sammelbericht in 15)

bull Dass die Perikope mit der Stimme aus den Himmeln schlieszligt ergibt sich vor allem aus dem Ortswechsel in 112 und dem eigenen Zeitraum von vierzig Tagen der 112f zugewiesen wird

Kontextbull Die Perikope ist wesentlich durch ihre Stellung am Beginn des Werkes bestimmt Nach der

Uumlberschrift und dem angeredeten Du im Zitat in Mk 12 ging der Blick zunaumlchst auf den Wegbereiter der einen anderen ankuumlndigt Allein mit kompositorischen Mitteln schafft Markus die Verbindung von Taumluferbotschaft und Jesus

bull Die Offenbarung Jesu als des Sohnes Gottes eroumlffnet eine Linie die im Wissen der Daumlmonen um die Identitaumlt Jesu aufgenommen wird (134 311) Damit wird ein Signal gesetzt Warum sollen die Daumlmonen schweigen wenn sie doch offensichtlich Recht haben

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Die Himmelsstimme nach der Taufe (Mk 19-11) ndash II Zur Verteilung von Erzaumlhler- und Figrenrede bull Es ist eine deutliche Zweiteilung gegeben Der Erzaumlhler uumlbernimmt fast den ganzen Text

allein der letzte Satz der die Stimme aus den Himmeln wiedergibt ist als Figurenrede gestaltet

bull So wird die Himmelstimme besonders betont Zielpunkt der Erzaumlhlung und einzige Figurenrede

Erzaumlhlerrede Zeit- und Raumkonzept

Die Einleitung Das Kommen Jesubull Die unbestimmte Zeitangabe (bdquoin jenen Tagenldquo) stellt einen Bezug zum Auftreten Johannes

des Taumlufers her Jesus erscheint als einer unter vielen Taumluflingen ndash aber besonders heraus-gehoben weil seine Taufe eigens erzaumlhlt wird vor allem weil noch eine Szene nachfolgt

bull Die ausdruumlckliche Lokalisierung der Taufe im Jordan faumlllt auf Die Wiederholung hat den Effekt dass topographische Angaben deutlicher miteinander konfrontiert werden

So wird die Besonderheit Jesu betont Mit allen anderen Taumluflingen verbindet ihn dass er von Johannes im Jordan getauft wird Von ihnen unterscheidet er sich darin dass er nicht aus Jerusalem kommt sondern aus Nazaret und damit nicht aus Judaumla sondern aus Galilaumla

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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bullEin dritter Unterschied besteht im Ausfall des Suumlndenbekenntnisses Zwar wird bei Mk noch nicht das Problem bedacht warum der suumlndlose Jesus zur Umkehrtaufe kommt Aber zur Himmelsstimme haumltte sich eine schwer ertraumlgliche Spannung ergeben wenn Jesus als bekennender Suumlnder dargestellt waumlre Warum sollte Gott gerade an diesem Umkehrwilligen Gefallen gefunden haben

bull In zeitlicher Hinsicht ergibt sich dass in der Einleitung extrem zeitraffend erzaumlhlt wird Die Aufmerksamkeit wird nicht auf die mit dem Ortswechsel verbundene Reise gelenkt sondern auf die Ankunft Jesu bei Taumlufer

bull Dass es einfach heiszligt bdquoJesus kamldquo (ohne Zielangabe) ist nicht dem Phaumlnomen der Textinterferenz zuzuschreiben (Perspektive des Taumlufers) damit wird vielmehr die Verkuumlndigung des Taumlufers aus 17f aufgegriffen Was der Taumlufer angekuumlndigt hat verwirklicht sich im Kommen Jesu Markus erreicht dies

allein durch das Mittel der Komposition der Taumlufer identifiziert Jesus nicht ausdruumlcklich (zum Kommen nach Johannes [ὀπίσω μου] s 114)

Die TaufnotizDie Taufnotiz mit εἰς + Akkusativ kann eine raumlumliche Vorstellung hervorrufen Vom Hineingetauchtwerden in das Wasser des Jordans uumlber das Heraufsteigen zum Blick auf den sich spaltenden Himmel aus dem der Geist herabsteigt Das raumlumliche Szenario bereitet den Auftritt der Himmelsstimme gut vor Dass eine Kunde von oben kommt wird eingepasst in eine Erzaumlhlung die den Blick des Lesers seit der Taufnotiz auf die Vertikale lenkt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Die Vorbereitung der Himmelsstimmebull In zeitlicher Hinsicht faumlllt auf dass der Heraufstieg aus dem Wasser mit dem Temporaladverb

bdquosogleichldquo (εὐθύς) verbunden ist Jesus haumllt sich nicht laumlnger als noumltig beim Taumlufer auf Die nachfolgende Offenbarung wird vom Taufakt abgesetzt Waumlhrend der Taufakt extrem zeitraffend erzaumlhlt wird wird fuumlr die anschlieszligende Offenbarungsszene fast Zeitdeckung erreicht ndash ein deutlicher Hinweis auf die Gewichtung

bull Nach der Notiz uumlber das Heraufsteigen aus dem Wasser nimmt der Erzaumlhler zwar nicht die Perspektive seiner Figur ein aber er beschreibt doch eine Vision Jesu und kein allgemein wahrnehmbares Geschehen Johannes und der zuvor geschilderte Andrang (15) bleiben ausgeblendet Die Stimme aus dem Himmel wird nicht bdquogehoumlrtldquo sie bdquosprichtldquo nicht sondern bdquogeschahldquo (ἐγένετο) Das Geschehen ist im Erleben Jesu angesiedelt

bull Mit dem Bezug auf das Sehen himmlischer Vorgaumlnge wird Visionssprache angeschlagen die aus prophetischer und apokalypt Literatur bekannt ist (Jes 6 Ez 1 Offb 112 uouml Dan 7) Anders als in apokalyptischer Literatur wird allerdings nicht von der Himmelsoumlffnung

(ἀνοίγω) sondern von der Spaltung (σχίζομαι) erzaumlhlt Bedeutung ndash Was zerreiszligt bleibt offen Mit dem Kommen Jesu der Zugang zu Gott bleibend geoumlffnet

wenn auch jetzt noch nicht erkennbar sondern erst ndash im Tod Jesu Mk 1538 (Zerreiszligen des Tempelvorhangs) ist der einzige weitere Beleg fuumlr

σχίζομαι im MkEv

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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ndash Die Anspielung auf Jes 6311 (Bitte um das Zerreiszligen des Himmels) bietet in Verbindung mit dem Hoffnungsbild einen Ansatzpunkt fuumlr die Vorstellung von der endzeitlichen Ausgieszligung des Geistes

Das Motiv der Taubebull Der Vergleich mit der Taube ist am besten auf den Flug zu beziehen (bei Mt noch deutlicher)

nicht auf die aumluszligere Gestalt (so bei Lk) bull Zwar bleibt dann unklar was Jesus eigentlich sieht Solche Unbestimmtheit koumlnnte einer

Offenbarungsszene aber durchaus entgegenkommen Der Erzaumlhler teilt mit worauf es ankommt Da allein Jesus die Geistherabkunft sieht muss aufgrund seiner Vertrautheit mit der himmlischen Welt fuumlr die Leser nicht das Problem entstehen wie das Kommen des Geistes gesehen werden kann wenn eine aumluszligere Gestalt nicht mitgeteilt wird

bull Warum wird fuumlr die Verbindung zwischen Himmel und Erde das Bild einer Taube gewaumlhlt Vorgeschlagen werden ndash schoumlpfungstheologische Assoziationen uumlber die Motive Geist Gottes Wasser Bild eines

Vogels (Gen 12) Es ginge demnach um die eschatologische Neuschoumlpfung im Wirken Jesundash weisheitstheologische Assoziationen auf der Grundlage altorientalischer Ikonographie

(Tauben als Boten von Liebesgoumlttinnen) sei es bei Philo zu einer Verbindung von Weisheit und Taube gekommen an der wiederum eine weisheitliche Christologie ansetzen konnte die himmlische Stimme ist die der goumlttlichen Weisheit die ihren Erwaumlhlten gefunden hat (S Schroer)

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Die textlichen Anhaltspunkte reichen in beiden Faumlllen nicht aus Ob der Wahl gerade der Taube eine besondere Bedeutung zukommt kann kaum entschieden werden

Figurenrede die Himmelsstimme

bull Dass eine Stimme aus den Himmeln ergeht ist aus apokalyptischer Tradition vertraut Um wessen Stimme es sich handelt wird nicht gesagt ist aber fuumlr die lLeser aus ihrer Weltvorstellung leicht erschlieszligbar

Dass den Lesern der Schluss auf den Sprecher uumlberlassen wird koumlnnte gerade von narratologischen Raumkonzepten her erklaumlrt werden Raumlume dienen zur Charakterisierung von Figuren hier sogar zur Identifizierung

bull Inhaltlich bietet die Himmelsstimme eine bdquoKombination von Textsplittern der Heiligen Schriftldquo (Ludger Schenke) Der Text eroumlffnet verschiedene Rezeptionsmoumlglichkeiten

bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (1) bdquoMein Sohn bist du heute habe ich dich gezeugtldquo (Ps 27) Υἱός μου εἶ σύ ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε Ps 27 wurde im Urchristentum christologisch gedeutet (s Apg 1333 Hebr 15 55) Ein

Reflex an unserer Stelle liegt also nahe und wird auch durch woumlrtliche Anklaumlnge unterstuumltzt Das Ausfallen der Zeugungsnotiz ist sachlich und kontextuell verstaumlndlich

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

Narrative Theologie sect62

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (2) bdquo du hast deinen geliebten Sohn nicht geschont um meinetwillenldquo (Gen 221216) Οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι ἐμέ Nur die LXX bietet die Wendung von Isaak als geliebten Sohn (MT Gen 222 mit Bezug

auf Isaak als den bdquoSohn den du liebstldquo) die im MkEv noch einmal in 126 vorkommt Eine Aktivierung von Gen 22 duumlrfte davon abhaumlngen ob man in dem Weg Jesu aus der Tiefe des Wassers bis zu den geoumlffneten Himmeln eine Vorabbildung von Tod und Auferstehung Jesu erkennt Anspielung auf Isaak als Christus-Typos Der Anhaltspunkt bleibt schwach zumal es fuumlr das ἀγαπητός (bdquogeliebtldquo) auch einen anderen Bezug geben koumlnnte

(3) bdquoSiehe mein Knecht den ich halte mein Auserwaumlhlter an dem meine Seele Wohlge-fallen hat Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt er wird das Recht zu den Nationen hinausbringenldquo (Jes 421) Die Fassung der LXX ist recht eigenstaumlndig und bietet kaum einen Anhaltspunkt fuumlr Mk

111 Allerdings findet sich im Zitat von Jes 421 in Mt 1218 eine Fassung die dem hebraumlischen Text naumlher steht als die LXX und auf eine alternative Texttradition zuruumlckgehen koumlnnte

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

Narrative Theologie sect81

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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bdquoDu bist mein geliebter Sohn an dir habe ich Gefallen gefundenldquoσὺ εἶ ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός ἐν σοὶ εὐδόκησα (3) bdquoSiehe mein Knecht den ich erwaumlhlt habe mein Geliebter an dem meine Seele Gefallen gefunden hat Ich werde meinen Geist auf ihn legen und er wird das Gericht den Voumllkern verkuumlndenldquo (Jes 421 in Mt 1218)

Ἰδοὺ ὁ παῖς μου ὃν ᾑρέτισα ὁ ἀγαπητός μου εἰς ὃν εὐδόκησεν ἡ ψυχή μου θήσω τὸ πνεῦμά μου ἐπ αὐτόν καὶ κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἀπαγγελεῖ

Hier finden sich woumlrtliche Anklaumlnge kontextuelle Bezuumlge (bdquoGeist auf ihn legenldquo) und in der Mehrdeutigkeit von παῖς auch einen Ansatzpunkt fuumlr bdquoSohnldquo

bull In narratologischer Hinsicht ist es nicht nebensaumlchlich dass die Himmelsstimme aus atl Textsplittern zusammengesetzt ist Was Gott als Erzaumlhlfigur zu sagen hat wird aus einem bereits bestehenden bdquoFundusldquo von Gottesworten gebildet Der Erzaumlhler deutet auf diese Weise an dass er uumlber die Gottesstimme nicht einfach verfuumlgt

bull Die Himmelsstimme teilt nur mit was mit der Identitaumlt und Wuumlrde Jesu zu tun hat Theo-logie ist in ntl Sicht nicht von der Christologie zu trennen

bull Dass das angeredete Du (anders als im Psalmwort) am Anfang steht kann auf eine christologische Konkurrenzsituation hinter der urspruumlnglichen Uumlberlieferung weisen die allerdings fuumlr Mk kaum noch eine Rolle spielt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Mk 19-11 als Vorgriff auf das Geschick Jesu Richtet man den Blick auf das Raumkonzept so ergibt sich eine Abfolge die das ndash Getauchtwerden in den Jordan (ἐβαπτίσθη εἰς τὸν Ἰορδάνην) ndash das Heraufsteigen aus dem Wasser und ndash die Verbindung zur himmlischen Welt oben nacheinander in Szene setzt

Ob dies als Anspielung auf den Weg Jesu in Niedrigkeit und Erhoumlhung gelesen wird duumlrfte von zwei Voraussetzungen abhaumlngen (1) Kenntnis der Verbindung von Ps 27 und Auferstehung (s Apg 1333)(2) Kenntnis der metaphorischen Verwendung von Taufe fuumlr den Tod (s Mk 1038 auch Roumlm 6)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash I

Abgrenzung bull Am Beginn ergibt sich ein eindeutiger Einschnitt durch die auffaumlllige Zeitangabe (bdquonach

sechs Tagenldquo) und den Ortswechsel der durch den bdquohohen Bergldquo markiert ist

bull Beachtet man das Raumkonzept der Perikope muss man sie bis V13 laufen lassen also den Abstieg (nach Aufstieg und Aufenthalt auf dem Berg) zur Geschichte hinzunehmen und nicht als eigene Erzaumlhlug zu fassen

Kontextbull Die Verklaumlrungsgeschichte findet sich im Mittelteil des MkEv der besonders (nicht

ausschlieszligtlich) der Juumlngerbelehrung gewidmet ist Nun ist selbst der Juumlngerkreis eingeschraumlnkt was die Eigenart der Verklaumlrungsgeschichte unterstreicht die mit dem naumlheren Kontext inhaltlich und begrifflich kaum verbunden ist (erst in V9)

bull Die Auswahl der drei Juumlnger ist zwar nicht neu (537 sa 116-20 316f) wird aber nicht erlaumlutert Die besondere Naumlhe zu Jesus fuumlhrt sie nicht zu tieferer Einsicht (sa 832 932 1035-37 1432-42)

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Die Verklaumlrung Jesu (Mk 92-13) ndash II Zeit- und Raumkonzeptbull Bezugspunkt der Zeitangabe bdquonach sechs Tagenldquo ist die mit Caesarea Philippi verbundene

Szene (827-91) Da Mk an solch detaillierten Angaben vor dem Jerusalemaufenthalt Jesu nicht interessiert ist liegt das primaumlre Interesse wohl nicht in der erzaumlhlerischen Verknuumlpfung sondern in einem inhaltlichen Signal

In Anspielung auf Ex 2416f koumlnnte die Zeitangabe vor allem darauf vorbereiten dass von einer Gottesbegegnung erzaumlhlt wird (sa Motiv der Wolke Erscheinen des Mose)

bull Nach dem Abstieg erfahren die Leser von einer weiteren Handlung die sich zeitlich mit der in 92-13 geschilderten uumlberschneidet (918) Die Juumlnger die unten geblieben sind bestaumltigen ihre Entfernung von Jesus durch den Misserfolg beim Exorzismus und der darin begruumlndeten Kritik Jesu an ihnen

bull Die Verschiebung auf der Zeitachse bringt eine raumlumliche Verschiebung mit sich Die Szenerie verlagert sich auf den ndash Berg Er ist der irdische Bereich der der himmlischen Welt am naumlchsten und in der atl

Tradition mit der Erscheinung Gottes verknuumlpft ist ndash gerade im Zusammenhang mit den Personen die in der Verklaumlrungsgeschichte auftreten Mose und Elija (s zB Ex 19-24 1Koumln 19) Dem Erzaumlhler ist der symbolische Sinn des Berges wichtiger als dessen Lokalisierung oder die Identifizierung eines bestimmten Bergs

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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ndash Am Aufstieg ist allein der Aspekt der Trennung von den anderen wichtig Das Raumkonzept der Perikope ist also wesentlich durch Abgrenzung bestimmt Die Besonderheit der Gottesoffenbarung wird vorbereitet durch das Verlassen der uumlblichen raumlumlichen Naumlhe zum Juumlngerkreis und zum Volk

ndash Der Abstieg verbindet sich mit einem Gespraumlch zwischen Jesus und den Juumlngern das vom Verweis auf die Auferstehung zum Leiden fortschreitet und so den Weg nach unten im Gespraumlch spiegelt

Erzaumlhler- und Figurenrede

Erzaumlhlerrede I Aufstieg und bdquohimmlische Szeneldquo

bull Zum Aufstieg betont der Erzaumlhler die Initiative Jesu Er fuumlhrt die Juumlnger auf den Berg so dass das Bild von Nachfolge entsteht Die Besonderheit des Geschehens wird schon durch die Figurenkonstellation (Auswahl der Juumlnger) angedeutet

bull Ohne naumlhere Vorbereitung (nicht einmal die Ankunft am Gipfel ist erwaumlhnt) heiszligt es Jesus sei bdquoverwandelt umgestaltet wordenldquo (μετεμορφώθη) Anders als in Roumlm 122 2Kor 318 wird damit eine sichtbare Veraumlnderung der aumluszligeren

Gestalt genauer der Kleider Jesu ausgesagt Anders als 2Kor 46 ist nicht davon die Rede dass die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu strahlte

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

Narrative Theologie sect62

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

Narrative Theologie sect62

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Die Darstellung orientiert sich erklaumlrlicherweise nicht an Ex 3429-35 Das Strahlen auf dem Angesicht des Mose ruumlhrt von der Gottesbegegnung her Eine solche wird in Mk 9 nicht erzaumlhlt Jesus steht als Sohn in unmittelbarer Beziehung zum sich offenbarenden Gott

bull Adressaten des Vorgangs sind die drei Juumlnger (bdquovor ihnenldquo)

bull Der Hinweis das Weiszlig der Kleider Jesu sei auf der Erde nicht herstellbar kennzeichnet Jesus indirekt durch seine Kleider als himmlische Gestalt (sa Mk 165)

bull Dieses Signal wird in V4 aufgenommen mit der Rede vom Erscheinen

Die Formulierung mit ὤφθη (bdquoer erschienldquo) greift auf atl Sprachmuster zuruumlck Von Gott oder einem goumlttlichen Boten heiszligt es dass er erscheint wenn er in der irdischen Welt sichtbar undoder redend auftritt (Gen 127 171 181 Ex 32 uouml)

In Elija und Mose treten zwei Figuren auf die der Welt Gottes zugeordnet sindndash Elija ist neben Henoch (Gen 524) die zweite atl Gestalt zu der die Entruumlckung zu Gott

uumlberliefert wird Ohne zu sterben werden sie zu Gott entruumlckt und gelten somit als himmlische Gestalten

ndash In der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung wurde der Kreis der Entruumlckten erweitert und darin (trotz der Tradition von Tod und Begraumlbnis Dtn 345f) bisweilen Mose eingeschlossen

ndash Dass Mose und Elija als Repraumlsentanten von Gesetz und Propheten im Blick sind deutet der Text nicht an

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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ndash Entscheidend ist die Zuordnung der beiden Figuren zur himmlischen Welt (sie bdquoerscheinenldquo) was deutlicher an der Elija-Uumlberlieferung ansetzen kann (deshalb die Formulierung bdquoElija mit Moseldquo in V4)

ndash Diese himmlischen Figuren unterhalten sich mit Jesus (Betonung des durativen Aspekts ἦσαν συλλαλοῦντες)

Zum Gespraumlch dieser himmlischen Figuren wird nur mitgeteilt dass sie sich mit Jesus unterhalten (extreme Form der erzaumlhlten Figurenrede) Uumlber den Inhalt erfahren die Leser nichts Dies unterstreicht die Funktion der Erscheinenden als himmlische Gestalten Geschickt wird der Abstand zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre inszeniert ndash und die Zugehoumlrigkeit Jesu zur zweiten Sphaumlre

Deshalb ist es unangebracht uumlber den Inhalt des Gespraumlchs zu spekulieren Der erzaumlhlerische Kunstgriff des Mk besteht gerade darin keinen Inhalt anzugeben

bull Es entsteht in der Erzaumlhlung eine Figurenkonstellation aus zwei Dreiergruppen die dadurch zustandekommen dass Jesus einen Wechsel vollzieht

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

Narrative Theologie sect81

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Figurenrede I und Erzaumlhlerrede II Versuchter Einbruch des Petrus in die bdquohimmlische Szeneldquo

Petrus versucht die Grenze zwischen beiden Gruppen zu uumlberschreiten indem er Jesus anspricht ndash ohne auf der Ebene der Figurenkommunikation eine Reaktion zu erhalten Der Erzaumlhler kommentiert (96)

Er kennzeichnet den Vorschlag des Petrus als Ausdruck der Verlegenheit und Furcht Dies kann positiv ausgelegt werden Petrus hat erkannt dass er der himmlischen Welt begegnet

Andererseits laumluft der Vorschlag des Petrus ins Leere Der Versuch der Begegnung Dauer zu verleihen scheitert Dass die Kommunikation zwischen beiden Gruppen nicht gelingt ist das Entscheidende an diesem Punkt der Erzaumlhlung (endzeitliche Konnotationen oder ein Bezug auf das Laubhuumlttenfest werden nicht deutlich)

Erzaumlhlerrede III und Figurenrede II Offenbarunf durch die vernehmliche himmlische Stimme

bull Gott selbst uumlberbruumlckt die Grenze zwischen irdischer und himmlischer Sphaumlre Eine Wolke bdquouumlberschattet sieldquo gemeint sind die Juumlnger

bull Die Verbindung von Gotteserscheinung und Wolke ist aus der Exodustradition bekannt (zB 1321 1610 1916 2415f 339 Num 1125)

Funktion des Motivs Verbindung von Offenbarung und Entzogenheit Gottes

Narrative Theologie sect62

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

Narrative Theologie sect62

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

Narrative Theologie sect81

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Erhellend ist der Vergleich mit der Offenbarungsszene nach der Taufe Jesu Nun zerreiszligt der Himmel nicht es heiszligt nicht dass die Juumlnger irgendetwas sehen Wolke und Stimme geschehen (jeweils ἐγένετο) Gott gibt sich jetzt nur durch sein Wort zu erkennen Die Wolke veranschaulicht dass Gott fuumlr die Juumlnger verhuumlllt bleibt Ihre Gottesbegegnung unterscheidet sich von derjenigen des Gottessohnes

bull Trotz der Anpassung der Himmelsstimme an die andere Situation (Mitteilung bdquoDieser ist ldquo) sollen sicher die atl Anspielungen aus 111 auch in dieser Szene aktiviert werden Dabei faumlllt eine Aumlnderung besonders auf

Die Stimme endet mit der Aufforderung bdquoHoumlrt auf ihnldquo Hier wird gewoumlhnlich eine Anspielung auf Dtn 1815 erkannt die Verheiszligung eines bdquoPropheten wie Moseldquo die in der fruumlhjuumldischen Uumlberlieferung auf eine endzeitliche Gestalt bezogen wurde Da die Szene zeigt dass Jesus mehr ist als ein Prophet ist der Sinn der Anspielung Das Auftreten Jesu erfuumlllt die Heilsverheiszligungen in der Weise dass ein bdquoProphet wie Moseldquo nicht mehr zu erwarten ist

bull Dass die Himmelsstimme genau an der Stelle eingreift an der es Petrus nicht gelingt die Kommunikation mit der himmlischen Sphaumlre herzustellen zeigt Eine solche Kommunikation muss gewaumlhrt werden

Narrative Theologie sect62

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

Narrative Theologie sect81

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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bull Auszligerdem verschiebt sich die Wahrnehmung vom Sehen auf das Houmlren Das Houmlren ermoumlglicht eine Verbindung zur himmlischen Welt Auf Jesus zu houmlren ist auch abseits der Szene auf dem Berg moumlglich

Die Erzaumlhlung inszeniert dies insofern als die Juumlnger waumlhrend des Abstiegs wieder mit Jesus reden koumlnnen ein Impuls auch an die Leser Sie sollen sich nicht nach Offenbarunsszenen wie der erzaumlhlten sehnen Entscheidend ist auf Jesus zu houmlren ndash in der Gewissheit im Wort Jesu der Offenbarung Gottes durch den Sohn Gottes zu begegnen

Erzaumlhlerrede IV und Figurenrede III (dialogisch) Der Abstieg vom Berg

bull Auf das Schweigegebot Jesu (V9) reagieren die Juumlnger mit der Frage was bdquoAuferstehung der Totenldquo sei

Dies ist kaum in dem Sinne zu verstehen dass die Juumlnger nicht wissen was uumlberhaupt mit bdquoTotenauferstehungldquo gemeint sei Am ehesten richtet sich das Unverstaumlndnis der Juumlnger auf die Auferstehung des Menschensohns Denn dann erklaumlrt sich ganz zwanglos die Frage der Juumlnger nach der Wiederkunft des Elija im Fortgang des Gespraumlchs

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

63

bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect62

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bull Die zitierte Aussage der Schriftgelehrten greift die Erwartung der Wiederkunft Elijas vor dem bdquoTag JHWHsldquo auf Das zuerst bezieht sich also auf die Endzeitereignisse

Da die Totenauferstehung der Endzeit zugeordnet wird entsteht fuumlr die Juumlnger die Frage wie Jesus sie auf die Auferstehung des Menschensohns als Endpunkt des Schweigegebots verweisen kann wenn doch die Wiederkunft Elijas noch aussteht

Jesus loumlst das Problem indem er sagt dass sich diese Erwartung bereits erfuumlllt hat ndash mit erkennbarer Anspielung auf Johannes den Taumlufer

bull Bemerkenswert ist die starke Rolle die der Bezug auf den Willen Gottes spielt (bdquogoumlttliches mussldquo bdquowie geschrieben stehtldquo) Wie Gott auf seinen Sohn verwiesen hat so verweist dieser nun mit passionstheologischen Akzent auf den Willen Gottes wie er in der Schrift niedergelegt ist

bull Dass die drei Juumlnger nach ihrer Ankunft unten sich wieder in die Schar der unverstaumlndigen Juumlnger einreihen (s Mk 932 1035-37 1432-42) kann die Leser darin bestaumlrken nicht nach auszligergewoumlhnlichen Offenbarunsgerlebnissen Ausschau zu halten Entscheidend ist Sie haben das Wort Jesu darauf sollen sie houmlren

Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

Narrative Theologie sect81

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect81

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Die Zusammenfassung der Botschaft Jesu (Mk 115)

Vorbemerkungbull Dass mit der Rede von βασιλεία τοῦ θεοῦ (basileia tou theouReich oder Herrschaft Gottes) der

Zentralbegriff der Botschaft Jesu benannt ist ergibt sich im MkEv nicht aus dem statistischen Befund nur 5 von 13 Belegen sind der oumlffentlichen Verkuumlndigung zugeordnet

bull Auffaumlllig ist aber Keine andere Figur auszliger Jesus spricht von der Koumlnigsherrschaft Gottes der Erzaumlhler tut dies nur in 1543

Umso bedeutsamer ist die Tatsache dass in Mk 115 eine Zusammfassung der Botschaft Jesu gegeben wird So erscheinen die Stellen an denen Jesus vom Reich Gottes spricht als Entfaltung des Grundthemas seiner Botschaft

bdquoErfuumlllt ist die Zeitldquobull Der hier verwendete Begriff fuumlr bdquoZeitldquo (καιρόςkairos) wird im MkEv sonst im Sinn der

bdquofestgesetzten Zeitldquo gebraucht entweder fuumlr die durch den Reifeprozess von Fruumlchten bedingte Zeit (1113 122) oder fuumlr den von Gott bestimmten Termin der Vollendung (1333 (Ausnahme 1030 Welt[zeit])

bull Die Rede vom bdquoErfuumllltwerdenldquo enthaumllt den Gedanken des von Gott gesetzten eschatologischen Maszliges die Endzeit ist gekommen Die passivische Formulierung unterstuumltzt diese Deutung

Narrative Theologie sect81

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

Narrative Theologie sect81

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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bdquoNahe gekommen ist das Reich Gottesldquo bull Dass das Reich Gottes nahe gekommen ist fuumlhrt einerseits die vorherige Aussage fort das

Reich Gottes ist Gegenstand der Endzeithoffnung

bull Andererseits besteht eine Spannung Der Rede von der Erfuumlllung steht die Ausssage uumlber die Naumlhe gegenuumlber

Das griechische Wort βασιλεία hat einen Doppelsinn der im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann Es kann die Herrschaftsausuumlbung bezeichnen aber auch den Raum in dem diese Herrschaft ausgeuumlbt wird Koumlnigsherrschaft und Koumlnigreich

Exkurs Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Basileia-Botschaft

Vorstaatliche ZeitWahrscheinlich hat man hier die Rede von Gott als Koumlnig bewusst vermieden weil in der Umwelt solche Gottesbezeichnungen der Rechtfertigung koumlniglicher Machtstrukturen dienten ndash und aus diesen waren die Staumlmme Israels ausgezogen

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

Narrative Theologie sect82

54

Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

55

bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

57

Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

60

Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect81

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Staatliche Zeit (ca 1000 - 587 vC)Mit der Etablierung des Koumlnigtums gab es auch in Israel eine Zentralinstanz Nun kommt auch die Rede von JHWH als Koumlnig auf allerdings in zwei unterschiedlichen Richtungen entfaltet

bull Staatstragend im Sinn der zuvor bekaumlmpften Koumlnigsideologie Gott auf dem Zion in seinem Palast-Heiligtum dem Tempel thronend legitimiert das irdische Koumlnigtum in Israel

bull Staatskritisch Die Forderung nach einem irdischen Koumlnig steht in Konkurrenz zum Koumlnigtum JHWHs (zB 1Sam 87 126-7)

Nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeitbull Bei Deutero-Jesaja einem Propheten zur Zeit des Exils treten zwei Momente hervor

ndash Jahwe erscheint als Koumlnig Israels ndash Gottes Koumlnigsherrschaft wird offenbar werden in der Erloumlsung seines Volkes

bull Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Straumlngen verfolgen ndash Einverstaumlndnis mit dem status quo in dem sich die prophetische Verkuumlndigung vor dem Exil

erfuumlllt hat Gott herrscht gegenwaumlrtig als Koumlnig uumlber sein Volk erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel dem Ort der Gegenwart Gottes

Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

Narrative Theologie sect81

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

62

Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

63

bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect81

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ndash Die Koumlnigsherrschaft Gottes ist erst fuumlr die Zukunft zu erwarten Greifbar ist dieser Strang in Eintraumlgen in Prophetenbuumlcher (zB Jes 33 24-27) Er muumlndet in die Apokalyptik in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann Folgende Zusammenhaumlnge lassen sich nennen+ Entmachtung Satans + endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft + Sammlung Israels und Uumlbergabe der Herrschaft an Israel + Kommen einer neuen Welt diesseitig oder transzendent vorgestellt

Jesus verkuumlndet die Gegenwart dieser fuumlr die Endzeit erwarteten Herrschaft Gottes Allerdings steht deren Vollendung fuumlr die Zukunft noch aus (Spannung zwischen bdquoschonldquo und bdquonoch nichtldquo)

bull Die beiden Aussagen in Mk 115 setzen die zuletzt genannte Spannung sachgerecht um wenn man das Nahegekommensein der Basileia nicht als Hinweis auf die wirksame Gegenwart sondern als Ausdruck der noch ausstehenden Vollendung deutet Die Gegenwaumlrtigkeit ist deshalb aber nicht zuruumlckgedraumlngt wie auch die Komposition des

MkEv zeigt Die erste Machttat von der erzaumlhlt wird ist ein Exorzismus Die Macht des Boumlsen weicht zuruumlck wie es der Erwartung der endzeitlichen Gottesherrschaft entspricht (so bdquoEntmachtung Satansldquo auch Mk 322-30)

Narrative Theologie sect81

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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bdquoKehrt um und glaubt an das Evangeliumldquo bull Dass die Imperative an zweiter Stelle stehen entspricht der Botschaft Jesu Zuspruch vor

dem Anspruch

bull Die Rede von Umkehr ist im MkEv nicht besonders profiliert (14 612) Dass sie nur in summarischen Notizen erscheint deutet an Der Begriff buumlndelt das positive Eingehen auf die Botschaft Jesu

bull bdquoGlaubenldquo und bdquoEvangeliumldquo sind nur in 115 miteinander verbunden Es geht um die Annahme der Botschaft Jesu wie sie zuvor charakterisiert wurde

Den Begriff bdquoEvangeliumldquo bringt nicht die Jesusfigur ein sondern der Erzaumlhler (11 114 su sect13)

Nur in 115 bezeichnet die Jesusfigur ihre Botschaft als bdquoEvangeliumldquo Sonst sind bei der Verwendung des Begriffs nachoumlsterliche Situationen als Bezugsgroumlszlige erkennbar entweder ausschlieszliglich (835 1310 149) oder als hintergruumlndige Dimension (1029)

Dass in 114f ein gegenlaumlufiges Signal gesetzt ist weist auf die Absicht in die christliche Verkuumlndigung des Evangeliums (von Tod und Auferstehung Christi) die Botschaft Jesu von der Koumlnigsherrschaft Gottes einzuschlieszligen

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

58

Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

60

Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen (426-32) I

Vorbemerkungbull Der Erzaumlhler kennzeichnet recht ausfuumlhrlich die Lehrszene am See (41f) uumlberlaumlsst es aber

seiner Hauptfigur zwei Gleichnisse als Basileia-Gleichnisse zu kennzeichnen (426 430)

bull Die Redeform des Gleichnisses ist durch die Abschlussbemerkung des Erzaumlhlers (433f) wie auch durch eine Zwischenbemerkung der Jesusfigur (410-12) herausgehoben obwohl die Erzaumlhlung im Ganzen nicht besonders viele Gleichnisse bietet

Zur Gleichnsiauslegungbull Gleichnisse sind Texte mit bdquodoppeltem Bodenldquo (K Erlemann) Es ist zu unterscheiden

zwischen dem was auf der Textoberflaumlche begegnet und dem was damit eigentlich ausgesagt werden soll zwischen Bild und Sache

bull In der Jesus-Tradition gibt es drei Anhaltspunkte fuumlr das Vorliegen solcher symbolischen Texte ndash Der Erzaumlhler weist ausdruumlcklich darauf hin dass seine Erzaumlhlung eine Tiefendimension hat

die entdeckt werden muss (bdquoMit dem Reich Gottes verhaumllt es sich wie mit ldquo) ndash Die Extravaganz des Inhalts stoumlszligt die Houmlrer auf die symbolische Dimension (zB Mt 73-5) ndash Der Kontext macht deutlich dass die Aussage bildlich gemeint ist (zB Mk 221f)

Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect82

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bullEntsprechend der Doppelboumldigkeit bildhafter Texte ist zwischen Bild- und Sachebene zu unterscheiden das was auf der Textoberflaumlche mitgeteilt wird von dem was damit eigentlich gemeint ist

bull Die Verweischarakter (die bdquoReferenzldquo) erschlieszligt sich in den Gleichnissen Jesu nicht dadurch dass man fuumlr moumlglichst viele Bildelemente eine Entsprechung in der Sache sucht Vielmehr ist der Zielgedanke die Pointe zu bestimmen auf die das im Bild Erzaumlhlte zulaumluft

bull Allerdings kann es durchaus metaphorische Elemente geben gepraumlgte Bilder deren hintergruumlndiger Sinn in einer Sprach- und Uumlberlieferungsgemeinschaft erkennbar ist Sie koumlnnen als Rezeptionsmoumlglichkeit in einem zweiten Auslegungsschritt erhoben werden Das Phaumlnomen der metaphorischen Praumlgung muss dabei nachgewiesen werden es geht nicht um einen Freibrief fuumlr willkuumlrliche Assoziationen

bull Zwei Hauptformen lassen sich unter den Gleichnissen Jesu unterscheiden ndash Das Gleichnis im engeren Sinn ein erweiterter Vergleich mit wenigstens ansatzhaft

erzaumlhlerischen Elementen Argumentation mit dem Gewoumlhnlichen mit der Autoritaumlt der allen zugaumlnglichen Erfahrung meist im Praumlsens erzaumlhlt

ndash Die Parabel kleine spannende Geschichte die einen einmaligen Fall erzaumlhlt mit dramatischer Gestaltung Monologen Dialogen bietet Identifikationsfiguren an arbeitet mit dem Auszligergewoumlhnlichen in der Vergangenheitsform erzaumlhlt

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

57

Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

58

Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

59

Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

62

Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen II ndash Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 426-29)

Und er sprach Mit dem Reich Gottes ist es so wie wenn ein Mensch den Samen auf das Land wirft 27 und schlaumlft und aufsteht Nacht und Tag und der Same sprieszligt hervor und waumlchst er weiszlig selbst nicht wie 28 Die Erde bringt von selbst Frucht hervor zuerst Gras dann eine Aumlhre dann vollen Weizen in der Aumlhre 29 Wenn aber die Frucht es zulaumlsst so schickt er sogleich die Sichel denn die Ernte ist da

Analysebull Der Text bietet einige sprachliche Schwierigkeiten einfaches wj (bdquowieldquo) zu Beginn sowie das

Ende von V27 Im ersten Fall ist wohl eine Konjunktion zu ergaumlnzen (bdquowennldquo) im zweiten duumlrfte die obige Uumlbersetzung den Sinn treffen auch wenn eine ungewoumlhnliche Konstruktion vorausgesetzt werden muss

bull Der Schluss-Satz enthaumllt eine Anspielung auf Joel 413 Damit kommt ein Ausblick auf das Gericht in den Text der im Gleichnis selbst keine Rolle spielt Das Bild der Ernte passt durchaus die auf Joel 413 anspielende Formulierung koumlnnte dagegen sekundaumlr sein

bull Es handelt sich eindeutig um ein Gleichnis im engeren Sinn Erzaumlhlt wird ein alltaumlglicher Vorgang der nichts Auszligergewoumlhnliches an sich hat Parabelhafte Zuumlge lassen sich nicht finden

Narrative Theologie sect82

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Die Pointebull Bildebene Nach der Aussaat wird betont dass der Saumlende mit der folgenden Entwicklung

nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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nichts zu tun hat ganz deutlich durch die Abschlussbemerkung von V27 Der Mann weiszlig nicht wie das geschieht hat also keinen Einfluss auf das Geschehen Der naumlchste Vers verstaumlrkt weiter denselben Gedanken da nun gesagt wird die Ernte bringe von selbst Frucht Erst wenn die Frucht reif ist ndash woumlrtlich wenn sie es gewaumlhrt ndash wird der Mann bei der Ernte wieder aktiv

Der Bauer kann nichts anderes tun als nach der Aussaat zu warten bis die Frucht reif und die Erntezeit da ist

bull Sachebene Die Gottesherrschaft kommt ohne dass der Mensch etwas dazu beitragen koumlnnte Genau wie der Bauer nach der Aussaat nichts anderes tun kann als auf das Reifen der Saat zu warten so kann auch der Mensch fuumlr das Kommen der Gottesherrschaft nichts tun er kann sie nur als Geschenk von Gott annehmen

bull Abgrenzungen ndash Der Gedanke dass die Gottesherrschaft sicher kommt ist nur ein Nebengedanke Das Bild

von Aussaat Wachsen und Ernte schlieszligt den Erfolg des Saumlens ein aber zwischen Saumlen und Ernten ist das Bild so zugespitzt dass die Unfaumlhigkeit des Menschen zu einem eigenen Beitrag an den Vorgaumlngen betont ist

ndash Die Unkenntnis des Zeitpunktes der Vollendung ist dann ebenfalls nicht die entscheidende Aussage

Narrative Theologie sect82

58

Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

Narrative Theologie sect82

59

Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

60

Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

61

Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

62

Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

63

bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

64

Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Metaphorische Elemente bull Ist das Saumlen als Metapher fuumlr Wortverkuumlndigung zu deuten

ndash Zwar gibt es Belege fuumlr die Existenz einer solchen Metaphorik aber kaum Anhaltspunkte dafuumlr dass sie hier aktiviert ist Man muumlsste angesichts der Zuspitzung des Bildes voraussetzen dass Leistungsdenken und Burn-out-Problematik den Kontext des Gleichnisses bildeten (es wird ja die Untaumltigkeit des Saumlenden [also des Verkuumlndenden nach der angenommenen Metaphorik] betont)

ndash Dass Gott selbst fuumlr die Wirkung der Verkuumlndigung buumlrgt ist (anders als im Fall der Durchsetzung der Gottesherrschaft) ein fremder Gedanke in der Jesus-Uumlberlieferung

ndash Eine solche Saat-Metaphorik muumlsste sich gegen die Gleichniseinleitung durchsetzen die das Bild auf die Basileia bezieht

bull Die Ernte ist als Bild fuumlr das Endgeschehen recht haumlufig belegt im Zusammenhang mit dem Gericht (vor allem im Blick auf die Feinde Israels Jes 185 Jer 5133 Joel 413 Mi 412f syrBar 702 s aber auch Jes 175) und der Erloumlsung Israels (Jes 2712 sa Jes 92 Ps 1266 4Esra 4303239)

Das Bild von der Ernte passt sehr gut zum Gedanken der Vollendung der Basileia Der Aspekt des Gerichts wird nicht vorbereitet und hat mit der Unstimmigkeit zu kaumlmpfen dass der Saumlende der nichts zum Wachstum der Saat beitraumlgt ploumltzlich als Gerichtsherr auftraumlte

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

61

Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Solche Unstimmigkeiten im Bild sind gewoumlhnlich ein Indiz fuumlr eine nachtraumlgliche Allegorisierung Dass sie in der mk Fassung tatsaumlchlich stattgefunden hat legen recht deutliche Anklaumlnge an Joel 413 nahe die Verbindung der Sichel mit dem Senden die Verwendung von παριστάναι (parhistanai) zur Bezeichnung der Gegenwaumlrtigkeit der Ernte

Wird die Ernte-Metaphorik (Ernte als Bild fuumlr die endzeitliche Erloumlsung) aktiviert ist der Tatsache dass der Bauer am Ende wieder taumltig wird kein Verweisungscharakter zuzuschreiben (also Menschen als aktive Mitarbeiter bei der Vollendung des Reiches Gottes) Entscheidend ist dass das Ziel der Aussaat die Ernte ohne das weitere Zutun des Bauern nach der Aussaat erreicht wird

Wird Joel 413 im Hintergrund erkannt gaumlbe es erst recht keinen Anhaltspunkt fuumlr ein Mitwirken des Menschen Dann waumlre das Ende ja auf das Handeln des Gerichtsherrn zu beziehen

Dasselbe gilt aber auch wenn die Houmlrer ganz bei dem beschriebenen gewoumlhnlichen Vorgang bleiben Dass der Bauer bei der Ernte wieder handelt ist im gewaumlhlten Bild begruumlndet und bedeutet daruumlber hinaus nichts

Narrative Theologie sect82

60

Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Die Gottesherrschaft in Gleichnissen III ndash Das Gleichnis vom Senfkorn (Mk 430-32)

Und er sprach Wie sollen wir das Reich Gottes vergleichen Oder in welchem Gleichnis sollen wir es darstellen 331 Wie ein Senfkorn das wenn es auf die Erde gesaumlt wird kleiner ist als alle (Arten von) Samen die auf der Erde sind 32 und wenn es gesaumlt ist geht es auf und wird groumlszliger als alle Kraumluter und es treibt groszlige Zweige so dass unter seinem Schatten die Voumlgel des Himmels nisten koumlnnen

Analysebull Die Uumlbereinstimmungen der mt und lk Fassung gegen Mk sprechen dafuumlr dass das Gleichnis

auch in Q stand Lk ist im Wesentlichen diesem Text gefolgt (kennt aber auch den des Mk) Mt vermischt beide Versionen

bull Die mk Fassung macht nur in einem Punkt einen sekundaumlren Eindruck Sie wiederholt bdquowenn es gesaumlt istldquo die Notiz vom kleinsten Samenkorn haumlngt syntaktisch in der Luft Wahrscheinlich ist diese Notiz als Erklaumlrung spaumlter in den Text gekommen

bull Die kurze Erzaumlhlung ist ein Gleichnis im engeren Sinn Auch in der Fassung der Logienquelle (im Wesentlichen in Lk 1318f erhalten) wird keine Parabel erzaumlhlt ndash trotz der dort zu findenden Vergangenheitsform Mk bietet passenderweise ein konsequent in der Gegenwart erzaumlhltes Gleichnis das mit einem uumlblichen Vorgang arbeitet

Narrative Theologie sect82

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

Narrative Theologie sect82

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Die PointeBildebenebull Wahrscheinlich hat die Notiz vom Senfkorn als dem kleinsten aller Samenkoumlrner nicht zum

urspruumlnglichen Gleichnis gehoumlrt Doch duumlrfte das Gleichnis das Wissen um diesen Sachverhalt voraussetzen

bull Geht man also von der Vertrautheit der Houmlrer mit den erzaumlhlten Verhaumlltnissen aus dann ergibt sich ein Kontrast durch die Fortsetzung Wenn das Senfkorn das kleinste Samenkorn waumlchst wird es zur groumlszligten der Gemuumlsepflanzen

Aus dem kleinsten Samenkorn wird wenn es ausgesaumlt ist die groumlszligte Gemuumlsepflanze

SachebeneDa das Thema angegeben ist besteht uumlber den angezielten Sachzusammenhang kein Zweifel Und aus der Traditionsgeschichte zur Basileia Gottes ist das Problem leicht erschlieszligbar auf das dieses Gleichnis mit dem Kontrast zwischen unscheinbarem Anfang und groszligartigem Ende reagiert Woran ist denn die Ankunft der Gottesherrschaft zu erkennen

Das kleine Senfkorn wird zum Gleichnis Wie es zu einem groszligen Gewaumlchs wird wenn es einmal ausgesaumlt ist so ist es auch mit der Gottesherrschaft trotz des unscheinbaren Anfangs ist in diesem Anfang in ihrem Anbruch den Jesus verkuumlndet das groszligartige Ende verbuumlrgt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

Narrative Theologie sect83

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Metaphorische Elemente bull Die Suche nach metaphorischen Elementen konzentriert sich auf den Schluss die Erwaumlhnung

des Baumes und das Kommen und Nisten der Voumlgel in den Zweigen Ansonsten bietet das Gleichnis keinen Anhaltspunkt fuumlr vorgepraumlgte Bilder Da Mk den Baum nicht erwaumlhnt wird die mit ihm verbundene Metaphorik (Bild fuumlr koumlnigliche Herrschaft bisweilen mit dem Aspekt des gewaumlhrten Schutzes) nicht wachgerufen

bull Bisweilen wird auf den Unkrautcharakter der Senfpflanze abgehoben und das Anziehen von Voumlgeln als Feinde der Saaten negativ gewertet (die Gottesherrschaft waumlre dann als Durchkreuzung der akzeptierten Wertvorstellungen akzentuiert) Der Text bietet dafuumlr aber keinerlei Anhaltspunkt

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bdquoNicht fern vom Reich Gottesldquo (Mk 1234 91)

Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

65

bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Nur noch an zwei Stellen kommt Jesus im MkEv im Rahmen der oumlffentlichen Verkuumlndigung auf die Basileia zu sprechen Im ersten Fall geht es um eine relative zeitliche Naumlhe (91) im zweiten um die innere Naumlhere die sich aus der religioumlsen Position ergibt (1234)

Mk 91 bdquoAmen ich sage euch Es sind einige von denen die hier stehen die den Tod nicht schmecken werden bis sie das Reich Gottes in Macht haben kommen sehenldquo

bull Das Wort schlieszligt die in 834 beginnende Belehrung uumlber die Kreuzesnachfolge ab (fuumlr Juumlnger und Volk) Zuletzt ging der Blick auf die Wiederkunft des Menschensohns (838)

bull Die zeitliche Perspektive des Spruchs steht quer zu den diesbezuumlglichen Akzenten der Endzeitrede wo die Frage nach dem Zeitpunkt des Endes eher offen gehalten werden soll

bull Die Platzierung in 91 koumlnnte sich der Absicht verdanken den Spruch aus der Frage nach dem Wann der Vollendung herauszuhalten die im Kontext keine Rolle spielt

Der Blick richtet sich auf das Kommen der Basileia bdquoin Machtldquo als Ziel fuumlr jene die den Weg der Kreuzesnachfolge einschlagen Die Guumlltigkeit der ihnen gegebenen Verheiszligung wird unterstrichen

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect82

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Mk 12(28-)34 bull Die Einleitung durch den Erzaumlhler ist in zweifacher Hinsicht auffaumlllig

ndash Es tritt ein einzelner Schriftgelehrter auf ndash Der Schriftgelehrte stellt seine Frage in guter Absicht und nicht um Jesus auf die Probe zu

stellen bull Die Frage richtet sich auf das erste Gebot und erhaumllt eine entsprechende Antwort aus Dtn 64f

Die atl Stelle ist etwas erweitert (Gott lieben ais ganzem Herzen ganzer Seele ganzem Denken ganzer Kraft) Entscheidend ist Alle dem Menschen zur Verfuumlgung stehenden Kraumlfte sollen eingesetzt werden

bull Dass nicht allein das Gebot zitiert wird (Dtn 65) sondern auch die Erinnerung an Gottes Einzigkeit (64) zeigt Das Bewusstsein ist lebendig dass die Gottesliebe Antwort auf die Erwaumlhlung ist (bdquounser Gottldquo) Man kann hier auch einen Hinweis auf hellenistisch-judenchristliches Traditionsmilieu erkennen da die Einzigkeit Gottes vor allem im hellenistischen Diasporajudentum betont wurde

bull Ungefragt wird dem Schriftgelehrten mit der Naumlchstenliebe ein zweites Gebot genannt das dem ersten zwar nicht gleichgestellt aber mit ihm eng verbunden wird (1231)

bull Der Schriftgelehrte bringt nun seinerseits einen neuen Gedanken ein die Uumlberordnung von Gottes- und Naumlchstenliebe uumlber den Tempelkult

Darauf erfolgt die Zusage Jesu bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo Mit dieser Zusage schlieszligt die oumlffentliche Basileia-Verkuumlndigung

Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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Narrative Theologie sect83

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bull Nach laumlngerer Pause wird an dieser Stelle das Stichwort Basileia aufgegriffen und damit die oumlffentliche Verkuumlndigung Jesu abgeschlossen (nur noch zwei kurze Abschnitte folgen)

Damit ergibt sich ein Bogen vom Beginn des Auftretens Jesu zum Ende unter dem Thema der Basileia Gottes bdquodie Herrschaft Gottes ist nahe gekommenldquo ndash bdquonicht fern vom Reich Gottesldquo Die Verbindung nach vorne kann man unter zwei gegenlaumlufigen Aspekten betrachten ndash Dem Schriftglehrten wird zugesagt auf die Vollendung des Reiches Gottes

zuzugehen ndash Dass nicht vom bdquoEingehen in das Reich Gottesldquo (wie in Kapp 9f) gesprochen wird

koumlnnte darin begruumlndet sein dass der Schriftgelehrten nicht in der Nachfolge Jesu steht

Der Bogen laumlsst sich auch unter dem Aspekt von Zuspruch und Anspruch der Basileia schlagen in der Erinnerung an Israels Erwaumlhlung und im angefuumlhrten Gebot Die Einigkeit uumlber diesen Inhalt fuumlhrt ja zur Zusage bdquoDu bist nicht fern vom Reich Gottesldquo So wird auch zum Abschluss noch einmal die Basileia-Botschaft gebuumlndelt

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