32
Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 von Ludwig Remling Bei der Abiturprüfung am Gymnasium Georgianum im Februar 1933 hieß eines der vier im Fach Deutsch gestellten Aufsatzthemen: „Wie kann man im Alltagsleben Mut zeigen?“ Dieses Thema wurde nur von einem Schüler bearbeitet. 1 In seinen Ausführungen ging der Abiturient zunächst auf einige Situationen seines Lebens ein, in denen er seine eigene Mutlosigkeit überwunden hatte. Im zweiten Teil seines Aufsatzes schilderte er einige Berufe, für deren Ausübung be- sonderer Mut erforderlich sei. Er schreibt dabei u.a.: „Mut zeigen heute in einer Zeit des Parteienhaders alle Leute, die sich offen zu einer politischen Partei beken- nen. Besonders unsere Staatsmänner, Politiker und Wahlredner begeben sich bei je- dem öffentlichen Auftreten in Lebensgefahr. Wie oft geschieht es doch, dass ir- gendein politischer Fanatiker einen politisch anders denkenden Menschen rück- sichtslos erschießt, ihm die Fensterscheiben einwirft oder ihn sonst schädigt. Es ge- hört Mut dazu, heute seine Meinung und seine Absicht 2 auszusprechen.“ Mit tref- fenden Worten hat der damals knapp 24-jährige Abiturient aus dem Oldenburger Münsterland, der mit Abstand älteste Schüler der Klasse, die politischen Verhältnis- 75

Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933v o n L u d w i g R e m l i n g

Bei der Abiturprüfung am Gymnasium Georgianum im Februar 1933 hieß einesder vier im Fach Deutsch gestellten Aufsatzthemen: „Wie kann man im AlltagslebenMut zeigen?“ Dieses Thema wurde nur von einem Schüler bearbeitet.1

In seinen Ausführungen ging der Abiturient zunächst auf einige Situationenseines Lebens ein, in denen er seine eigene Mutlosigkeit überwunden hatte. Imzweiten Teil seines Aufsatzes schilderte er einige Berufe, für deren Ausübung be-sonderer Mut erforderlich sei. Er schreibt dabei u.a.: „Mut zeigen heute in einerZeit des Parteienhaders alle Leute, die sich offen zu einer politischen Partei beken-nen. Besonders unsere Staatsmänner, Politiker und Wahlredner begeben sich bei je-dem öffentlichen Auftreten in Lebensgefahr. Wie oft geschieht es doch, dass ir-gendein politischer Fanatiker einen politisch anders denkenden Menschen rück-sichtslos erschießt, ihm die Fensterscheiben einwirft oder ihn sonst schädigt. Es ge-hört Mut dazu, heute seine Meinung und seine Absicht2 auszusprechen.“ Mit tref-fenden Worten hat der damals knapp 24-jährige Abiturient aus dem OldenburgerMünsterland, der mit Abstand älteste Schüler der Klasse, die politischen Verhältnis-

75

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 75

Page 2: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

se am Ende der Weimarer Republik beschrieben. Es herrschten damals in Deutsch-land bürgerkriegsähnliche Zustände. Vielerorts war an die Stelle von Diskussion undArgumentation die nackte Gewalt getreten. Die politische Auseinandersetzung wargeprägt von Beleidigungen und Tätlichkeiten, Überfällen und Brandstiftungen,Mord und Totschlag.3 Fast täglich wurde in den Zeitungen darüber berichtet.

In den Aufsätzen der übrigen 16 Schüler finden sich keinerlei Anklänge an dasZeitgeschehen.4 Deren Themen lauteten: „Mensch und Gestirne“, ein Thema, dassowohl aus physikalischer wie auch aus geistesgeschichtlicher Sicht bearbeitet wer-den konnte, „Individuum und Gemeinschaft im Schauspiel Antigone des antikenDichters Sophokles“, gestellt im Anschluss an den Griechisch-Unterricht, undschließlich „Meine Erfahrungen im Vereinsleben“. Wenigstens beim Sophokles-The-ma mit seinem Widerstreit zwischen unveräußerlichen individuellen Rechten undder Staatsraison hätte man durchaus Ansatzpunkte für einen Bezug zur politischenEntwicklung Anfang der dreißiger Jahre finden können. Doch keiner der Abiturien-ten ging darauf ein.5

Der Schein der Normalität im Alltag

Den Anschein alltäglicher Normalität fernab der heißen politischen Auseinan-dersetzungen, wie er dem Leser in fast allen damaligen Abituraufsätzen des Gym-nasiums Georgianum begegnet, bieten weithin auch die Lokalseiten der wichtig-sten Lingener Zeitungen: Lingener Volksbote und Lingener Tageblatt, beide dem„Zentrum“ nahe stehend, sowie das Lingener Kreisblatt. Wir lesen von Vereins- undGeschäftsjubiläen, Verkehrsunfällen und Bränden, Geschäftsgründungen und Kon-kursen, den Wettkämpfen der Sportvereine und den Erfolgen des aufstrebendenMotorrad-Rennfahrers Bernd Rosemeyer6, den Aktivitäten des Heimat- und Ver-kehrsvereins und seines Theaterausschusses und natürlich auch von politischenVersammlungen und Kundgebungen sowie den lokalen Ergebnissen der verschie-denen Wahlen.

Anfang 1932 zählte Lingen 11267 Einwohner, darunter 55 Ausländer.7 Die Ki-velinge fanden bei Jahresbeginn für ihren Heimatabend mit Volkstänzen, platt-deutschen Gedichten, Liedern und Theaterstücken viel Beifall.8 Betriebsjubiläenfeierten 1932 das Kaufhaus Johannigmann (gegründet 1877), die Bäckerei AntonKemper, das Bekleidungsgeschäft August John (beide 1902 gegründet), das Maler-geschäft Hermann Berning, die Färberei Ubl am Markt, die Bäckerei Dees (jeweils1907 gegründet).9 Vereinsjubiläen begingen der 60 Jahre alte Evangelische Volks-bildungsverein, der Sportverein TV 1882 Gut Heil10 und der 1907 gegründete Orts-verein Lingen des Katholischen Deutschen Frauenbundes.11 Neu gegründet wurde

76

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 76

Page 3: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

77

die Ortsgruppe Lingen der DLRG; fertiggestellt wurden die Emsbadeanstalt und dieneue Turnhalle des Reichsbahn-Turn- und Sportvereins.12 Der junge Heino Deekenließ sich bei seinem Onkel Wilhelm Rosemeyer in der Bahnhofstraße 14 als Archi-tekt nieder. Wilhelm Pasi eröffnete in der Burgstraße ein Geschäft für Gemüse, Obstund Südfrüchte, Gerhard Dlugay ein Kurzwarengeschäft.13

Der 1930 gegründete Heimat- und Verkehrsverein veranstaltete im Juni 1932im Wacholderhain in Wachendorf seinen ersten Heimatnachmittag, der sehr gutbesucht war; ferner führte er einen Blumenwettbewerb zur Verschönerung desStadtbildes und einen Fotowettbewerb durch.14 Eingeweiht wurde der Neubau derkatholischen Volksschule in Lingen-Ost. Sie erhielt bei dieser Gelegenheit den Na-men Hindenburgschule aus Dankbarkeit für die Unterstützung, die der Reichspräsi-dent nach der Wirbelsturmkatastrophe von 1927 der Stadt Lingen hatte zukommenlassen.15 Feierlich eröffnet wurde das Evangelische Vereinshaus, Marienstraße 16.Die neue Städtische Siedlung an der Haselünner Straße erhielt den Namen Her-mann-Platz.16 Die Stadt erwarb Anfang 1932 das Gerichtsgefängnis im Amtsge-richtsgarten, um es fortan als Polizeigefängnis zu nutzen. Im April wurde auf demTurm des Historischen Rathauses eine elektrische Brandsirene installiert, da die bis-her übliche Alarmierung durch die große Glocke der St. Bonifatius-Kirche nichtmehr ausreichte.17

Die Festwiese beim Heimatnachmittag 1932 im Wachendorfer Wacholderhain (Foto: Clemens Korte, Stadtarchiv Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 77

Page 4: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

78

Die „Notgemeinschaft Lingen“ hilft über den Winter 1931/32

Die geschilderte alltägliche Normalität hatte jedoch eine Kehrseite, die nur ganzselten ihren Weg in den Lokalteil der Zeitungen fand. Infolge der wirtschaftlichenKrise und der zunehmenden Arbeitslosigkeit herrschte bei einem großen Teil derLingener Bevölkerung bittere Not. Diese Not wurde noch dadurch verschlimmert,dass aufgrund der Sparmaßnahmen der öffentlichen Haushalte für eine Unterstüt-zung der Arbeitslosen nur in beschränktem Umfang finanzielle Mittel zur Verfü-gung standen. Durch die Notverordnungen der Regierung vom 14. und 16. Juni1932 wurden die Unterstützungssätze für die Arbeitslosenunterstützung und dieKrisenunterstützung um 23 % gesenkt. Außerdem fielen wegen der langen Dauerder Wirtschaftskrise viele Langzeitarbeitslose aus der Arbeitslosen- und Krisenun-terstützung heraus, was zu einem Ansteigen der Wohlfahrtserwerbslosen führte, dieder öffentlichen Fürsorge zur Last fielen.

Im September 1931, als im Bereich der Stadt Lingen 511 Arbeitslose gezähltwurden18, hatte Bürgermeister Gilles Wohltätigkeitsvereine und Kirchen, die Berufs-stände und die Behörden zur Bildung einer „Notgemeinschaft Lingen 1931“ aufge-rufen.19 Er befürchtete für den bevorstehenden Winter das Schlimmste. Durch einegemeinsame Sammelaktion sollten die Mittel beschafft werden, um denen zu hel-fen, die in Not geraten waren. In seinem öffentlichen Appell heißt es:

Die wirtschaftlichen Verhältnisse in unserem Land sind unbefriedigender dennje, dunkel und unheildrohend liegt die Zukunft vor uns. Das Heer der Arbeitslosenwächst! Die Not steigt, die Not des Einzelnen unter den Arbeitslosen, den Rent-nern, den Kriegsopfern, Witwen und Waisen! Mit Bangen sehen sie dem Winterentgegen! Woher sollen Kohlen und Kartoffeln, die nötigste warme Winterkleidungkommen, um Weib und Kinder vor Kälte und Hunger zu schützen? ... Die öffentli-chen Mittel reichen nicht aus, den unabweisbaren Bedürfnissen dieser Notleiden-den zu begegnen. Viel Geld, viele Sachen sind notwendig, um ihnen das Unerläss-liche geben zu können.

Trotz einiger Anlaufschwierigkeiten wurde die „Notgemeinschaft Lingen 1931“ein voller Erfolg. Von den zahlreichen Spendern in Stadt und Kreis Lingen wurdenzur Verfügung gestellt: circa 4 500 RM an Bargeld, 3 700 Zentner Kartoffeln, 600Zentner Gemüse, 14 Zentner Obst, große Mengen Brot, Milch und andere Lebens-mittel, Kleidung und Brennmaterial. Die Arbeit der Notgemeinschaft endete An-fang Mai 1932. Insgesamt 421 Familien und 497 alleinstehende Personen wurdenunterstützt.

Die Befürchtungen von Bürgermeister Gilles vor einem schweren Winter mitsteigenden Arbeitslosenzahlen und zunehmender Not der ärmeren Schichten derBevölkerung waren berechtigt. Von Dezember 1931 bis Februar 1932 erreichte die

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 78

Page 5: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

79

Arbeitslosigkeit in Lingen mit durchschnittlich 665 Arbeitssuchenden einen neuenHöchststand. Nach einem wahrscheinlich saisonal bedingten leichten Rückgang inden Frühjahrsmonaten verschlechterte sich die Lage ab Juni 1932 erneut. Im Sep-tember 1932 wurde mit 806 Arbeitslosen der absolute Höchststand erreicht. VonOktober 1932 bis März 1933 lagen die Monatszahlen zwar etwas niedriger, bliebenaber mit 770 bis 740 Arbeitslosen stets auf einem hohen Niveau. Die in den Wirt-schaftsberichten der Behörden signalisierte leichte Umkehrung des negativenTrends machte sich zwar auch in Lingen bemerkbar, die mehrfach gemeldetenNeueinstellungen reichten aber nicht aus, um die Zahl der Arbeitslosen entschei-dend zu senken. Erst in der zweiten Jahreshälfte 1933 wurde der Stand vom Som-mer 1931 wieder erreicht.20

Eine Hilfsaktion, wie sie im Winter 1931/32 durch Bürgermeister Gilles initiiertworden war, gab es trotz des erneuten Anstiegs der Arbeitslosigkeit im Winter1932/33 in Lingen nicht mehr. Einer der Gründe dafür dürfte die weitere Ver-schlechterung der wirtschaftlichen Lage gewesen sein, von der zunehmend auchHändler und Gewerbetreibende betroffen waren. Die Spenden wären dieses Malwohl deutlich geringer ausgefallen. Möglicherweise spielten auch die Querelen, diees über die gerechte Verteilung der Hilfsgüter bei der Hilfsaktion 1931/32 gegebenhatte, eine Rolle. Die Erinnerung an die teilweise parteipolitisch gefärbten Vorwür-

Eine Gruppe des Freiwilligen Arbeitsdienstes im Raum Lingen um 1932 (Foto: Clemens Korte, Stadtarchiv Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 79

Page 6: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

80

fe war in der politisch angespannten Situation des Winters 1932/33 für die Initia-toren der Notgemeinschaft 1931 sicher nicht sonderlich motivierend, erneut eineHilfsaktion zu starten. Jedoch veranstalteten die evangelischen Kirchen unter Lei-tung von Pastor Städtke und der Caritasverband in der katholischen St. Bonifatius-Pfarrei im Winter 1932/33 eigene Hilfsaktionen.21

Fast 20 Prozent Arbeitslose in Lingen im Winter 1932/33

Von der Arbeitslosigkeit waren im Emsland vor allem junge Leute betroffen. IhrAnteil lag deutlich über dem der Familienväter.22 Die Arbeitslosigkeit war außerdemim Emsland wie auch in anderen Regionen ein vorrangig städtisches Phänomen. ImAugust 1932 gab es im gesamten Kreis Lingen 1118 Arbeitslose, wovon 703 in derStadt Lingen wohnten.23 Ein Jahr später, im Juni 1933, wurden im Kreis Lingen1 247 Erwerbslose gezählt, in der Stadt Lingen 841. Das bedeutete für den gesam-ten Kreis Lingen eine Arbeitslosenquote von 5,3 %, für die Stadt Lingen aber 19 %.Lingen gehörte damals neben Osnabrück (19,3 %), Papenburg (21,7 %) und Emden(21,1 %) sowie Bramsche (23,3 %) zu den Städten mit den höchsten Arbeitslosen-quoten im gesamten nordwestdeutschen Raum.24

Zunahme und Rückgang der Arbeitslosen und Unterstützungsempfänger in der Stadt Lingenvom Herbst 1931 bis Mitte 1933

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 80

Page 7: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

81

Auffällig ist in der Stadt Lingen auch der hohe Anteil von Wohlfahrtsempfän-gern unter den Arbeitssuchenden. Er beträgt von Juli 1932 bis Juli 1933 beständigum die 30 %.25 Der Anteil von Wohlfahrtsempfängern wäre wahrscheinlich nochhöher gewesen, wenn nicht ab Frühjahr 1932 eine zunehmende Zahl Arbeitsloserim Freiwilligen Arbeitsdienst, der im Raum Lingen vor allem von katholischen Ju-gendorganisationen getragen wurde, oder bei Notstandsarbeiten eine vorüberge-hende Beschäftigung gefunden hätte.26

Ein Hinweis auf die anhaltende Not in der Bevölkerung ist auch die Zusammen-setzung der Arbeitslosen entsprechend der Art der Unterstützung, die sie bekamen.Als typisch mögen die Zahlen des Monats September 1932 gelten, als die Arbeits-losigkeit in Lingen ihren Höchststand erreichte. Von den 806 erfassten Arbeits -suchenden waren 246 Wohlfahrtsempfänger, 148 erhielten Arbeitslosenunterstüt-zung, 118 die niedrigere Krisenunterstützung, 62 waren bei Notstandsarbeiten be-schäftigt, 188 in einer Maßnahme des Freiwilligen Arbeitsdienstes. Das heißt, dassnur 18,3 % die normale Arbeitslosenunterstützung bekamen, der größte Teil derArbeitslosen aus der Arbeitslosenversicherung ausgesteuert war und eine entspre-chend geringere Unterstützung erhielt. Von September 1932 bis Mai 1933 nahmnun die Zahl der Empfänger von Arbeitslosenunterstützung immer mehr ab, wäh-rend gleichzeitig die Zahl der Empfänger von Reichskrisenunterstützung immergrößer wurde und im Mai 1933 ihren Höhepunkt erreichte.27

Wie wirkte sich nun die hohe Arbeitslosigkeit in Lingen auf das parteipolitischeLeben in der Stadt aus? Kam es auch hier wie in anderen Gebieten des DeutschenReiches zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, zu Beleidigungen und tätlichenÜbergriffen, zu Saal- und Straßenschlachten?

Die Parteienlandschaft in Lingen gegen Ende der Weimarer Republik

Anfang der 1930er-Jahre verfügten fast alle wichtigen im Reichstag vertretenenParteien in Lingen über Ortsgruppen.28 Lediglich die Ortsgruppe der DNVP hattesich bereits vor 1929 aufgelöst, die Ortsgruppe der NSDAP war im Entstehen. Übergenauere Mitgliederzahlen und den Organisationsgrad ist durchweg wenig be-kannt. Doch konnten sich vor allem das Zentrum wie auch die SPD auf eine Reihevon Nebenorganisationen stützen, die erheblich zur Festigung und Abgrenzungdes jeweiligen Milieus beitrugen. Bei der Lingener SPD waren dies beispielsweiseder Arbeitergesangverein Hoffnung, der Arbeiter-Turn- und Sportverein Vorwärts,die Arbeiterwohlfahrt, die Sozialistische Arbeiter-Jugend, die Freien Gewerkschaf-ten. Zum Zentrumsmilieu gehörten neben den verschiedenen örtlichen kirchlichen

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 81

Page 8: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

82

Gruppen und Vereinen derKatholische Jungmänner-Verein, der Gesellenverein,der auch ein Haus für grö-ßere Veranstaltungen be-saß, der Caritasverband,der Katholische Frauen-bund, der Sportverein DJKLingen und, wenn auchmit Einschränkungen, dieChristlichen Gewerkschaf-ten.

Die Parteien des prote-stantischen BürgertumsDDP, DVP und DNVPkonnten sich nicht auf einen derart vielgestal -tigen Kranz von nahe -stehenden Organisationenstützen. Insofern waren siein ihren Aktivitäten einge-schränkt und konnten ihreAnhänger auch wenigereng an sich binden.

Zwar gab es seit 1872den Evangelischen Arbei-ter-Bildungsverein, späterumbenannt in Volksbil-dungsverein, doch diesererhielt erst 1932 ein eige-nes Vereinsheim.

Die NSDAP war in Lingen29 Ende 1929 erstmals in Erscheinung getreten, als sie-ben NSDAP-Aktivisten um Stimmen für das Volksbegehren gegen den Youngplanwarben. Im Juli 1930 gab es laut Bericht des Lingener Landrats Dr. Pantenburg inder Kreisstadt keine Ortsgruppe der NSDAP, jedoch fünf Bezieher von NS-Partei-blättern.30 Dass damals wahrscheinlich bereits ein NSDAP-Stützpunkt bestand,lässt sich den Äußerungen des Forstgeometers i.R. Kurt Hilscher in einem von ihmim Februar 1935 angestrengten Ehrgerichts-Verfahren entnehmen. Nach seinenAngaben hatte er am 5. März 1930 fünf ihm als politisch zuverlässige Gesinnungs-

In den Räumen des Katholischen Gesellenhauses an derBaccumer Straße fanden häufig Versammlungen des LingenerZentrumsvereins statt (Foto: Stadtarchiv Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 82

Page 9: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

83

genossen zu einem internen Werbeabend für die NSDAP in das Nichtraucherzim-mer der Lingener Bahnhofs-Gaststätte eingeladen. Bei dieser Gelegenheit sei unterHinzuziehung des Parteigenossen Hans Gronewald aus Osnabrück der StützpunktLingen gegründet worden. Er und vier weitere Anwesende seien damals der NSDAPbeigetreten.31

Vor der Reichstagswahl vom 14. September 1930 wurde die NSDAP erstmals miteiner Veranstaltung in Lingen öffentlich aktiv. Organisator der Wahlversammlung,bei der Gauleiter Röver aus Oldenburg auftrat, war der damals 62-jährige LingenerKaufmann und Weinhändler Bernhard Kramer. Er wurde im Sommer 1931 als Orts-gruppenleiter durch den 23 Jahre alten Medizinstudenten Erich Plesse abgelöst,der während seines Studiums in Rostock am 1. September 1929 der dortigen Orts-gruppe der NSDAP beigetreten war. Die NSDAP-Ortsgruppe Lingen zählte im Okto-ber 1931 circa 50 Mitglieder, wobei einige in der Umgebung wohnten. Sie gehörtezunächst organisatorisch zum NSDAP-Bezirk 26, dessen Kreisleiter der GrafschafterNSDAP-Führer Dr. Josef Ständer war. Zum 1. Juli 1932 wurde der Kreis Lingen imNSDAP-Organisationsgefüge selbständig und erhielt in Erich Plesse einen eigenenKreisleiter.

Die Eltern von Erich Plesse waren 1925 aus beruflichen Gründen nach Lingengezogen, ihr Sohn Erich war jedoch am bisherigen Wohnort Nienburg an der Weserverblieben und hatte dort 1927 sein Abitur abgelegt. Zum Sommersemester 1927nahm er das Studium der Medizin auf. Nachdem er Anfang März 1931 in Rostockdie ärztliche Vorprüfung bestanden hatte, exmatrikulierte er sich und kehrte MitteMärz zu seinen Eltern nach Lingen zurück.32 Da sich das geplante ärztliche Prakti-kum aber hier offensichtlich nicht realisieren ließ, widmete er sich mit großem Ein-satz der Parteiarbeit in Stadt und Kreis Lingen und übernahm den Vorsitz der Orts-gruppe. Zumindest seit er in Personalunion das Amt des Ortsgruppen- und Kreislei-ters innehatte, dürfte er kaum noch Zeit für berufliche Aktivitäten gehabt haben.Durch die Wahlen zum Preußischen Landtag, die beiden Urnengänge zur Ermitt-lung des Reichspräsidenten und zwei Reichstagswahlen war er 1932 voll bean-sprucht.33

Trotz seiner Jugend gelang es Plesse, die Organisation der Lingener Ortsgruppezu festigen und auszubauen. Im April 1932 bestand ein SA-Trupp mit 26 Mitglie-dern, der nach dem zeitweiligen SA-Verbot bis zum Oktober des gleichen Jahresauf 30 SA-Männer anwuchs. Wohl im Sommer 1932 wurde eine kleine HJ-Gruppegegründet, bis zum Oktober 1932 kam eine NS-Beamten-Arbeitsgemeinschaft hin-zu. Am 1. Juni 1932 eröffnete die NSDAP-Ortsgruppe Lingen im Haus Gymnasial-straße 3 eine eigene Geschäftsstelle.34

Unter Plesses Leitung entfaltete die Lingener NSDAP eine beträchtliche Aktivi-tät, die mehrfach zu Auseinandersetzungen mit den sozialistischen Parteien KPD

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 83

Page 10: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

84

und SPD, aber auch mit dem Zentrum führte. Insgesamt ist bei allen Parteien, nichtnur bei der NSDAP, im Jahre 1932 eine deutliche Zunahme an Veranstaltungen zubeobachten. Es fanden Kundgebungen auf öffentlichen Plätzen wie dem Markt-platz und in den großen Sälen im Hotel Nave beziehungsweise auf der Wilhelms -höhe statt, Umzüge durch die Straßen der Stadt, Film- und Theateraufführungen,Deutsche Abende.35 Letztlich ging es darum, die eigenen Anhänger zu mobilisieren,den öffentlichen Raum zu beherrschen und den politischen Gegner zu beeindru -cken, zu entmutigen und einzuschüchtern.

Diskussionen und gewaltsame Auseinandersetzungen bei Parteikundgebungen

Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen KPD und NSDAP kam es – so-weit bekannt ist – 1932 in Lingen nicht mehr. Wohl aber hatte es solche in denJahren zuvor gegeben. Ursachen für die Übergriffe waren allerdings nicht allein diepolitische Radikalisierung, sondern auch die in der Weimarer Zeit übliche Form vonParteiveranstaltungen. Von den Zuhörern wurde Eintritt verlangt und es wurdeauch dem politischen Gegner die Möglichkeit zur Teilnahme an der Diskussion ein-geräumt, ja dieser teilweise direkt dazu eingeladen. So lief laut Polizeibericht die

Das Haus Gymnasialstraße 3, in dem die NSDAP-Ortsgruppe Lingen am 1. Juni 1932 eineGeschäftsstelle eröffnete (Foto: Stadtarchiv Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 84

Page 11: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

85

erste öffentliche Veranstaltung der NSDAP mit dem Oldenburger Gauleiter Röveram 8. September 1930 im großen Saal des Hotels Nave ziemlich tumultuarisch ab.Circa 600 Personen waren anwesend, darunter etwa 200 SPD/KPD-Anhänger, derRest meist Neugierige, aber auch circa 60 junge Leute aus der Grafschaft Bentheim,die Kreisleiter Dr. Ständer mit Lastwagen und Autobus herangeschafft hatte. DerLingener SPD-Vorsitzende Heinrich Melcher, ein Vertreter der sozialistischen Ge-werkschaft namens Heinze und der KPD-Mann Franz Seidler traten als Gegenred-ner auf. SPD- und KPD-Leute sangen die Internationale, die Nationalsozialistenversuchten, sich mit der Nationalhymne durchzusetzen. Es entstand ein großerKrach, sodass die Versammlung von der Polizei aufgelöst wurde.36 Das Zentrumhielt zum gleichen Zeitpunkt seine Hauptversammlung für die bevorstehendeReichstagswahl im Gesellenvereinshaus ab.37

Bei ihrer nächsten großen Kundgebung am 14. März 1931, als ein führenderParteigenosse aus München in Lingen auftrat, hatte die NSDAP vorgesorgt. Mitacht Autobussen und einem LKW waren etwa 200 Anhänger aus der gesamtenGrafschaft Bentheim herangebracht worden. Die Kommunisten versuchten mit circa200 Personen, die zum Teil auch aus Rheine und Nordhorn gekommen waren, un-ter Leitung des bereits erwähnten Franz Seidler den Saal zu stürmen, was die Poli-zei jedoch zu unterbinden wusste. Die KPD-Anhänger änderten daraufhin ihre Tak-tik. Sie stellten sich friedlich und bezahlten den geforderten Eintritt, so dass sieeingelassen wurden.38 Über den weiteren Verlauf berichtet der Lingener Volksbote:„Die Auseinandersetzung der beiden Gegner begann alsbald nach der Eröffnungder Veranstaltung. Die Kommunisten störten durch ihre Zwischenrufe und Tram-peln den Redner. Und ehe man sich versah, kam die handgreifliche Betätigung, beider eine ganze Anzahl Stühle auseinandergebrochen und Verschiedenes demoliertwurde. Dank dem energischen Eingreifen der Polizei konnten die Gegner getrenntund die Kommunisten aus dem Saale entfernt werden“.39

Friedlicher ging es bei einer Wahlveranstaltung der Lingener DVP Ende April1932 zu. Zahlreiche Nationalsozialisten waren anwesend, Ortsgruppenleiter Plesseund sein Parteikollege Studienrat Trappe lieferten Diskussionsbeiträge, ohne dass eszu irgendwelchen Vorkommnissen kam.40 Zur NSDAP-Versammlung mit dem Par-teiredner Gronewald zum Thema „Gewerkschaften und Nationalsozialisten“ warendie Funktionäre der Gewerkschaften und der anderen Parteien von den Veranstal-tern sogar schriftlich zur Diskussion eingeladen worden, stießen damit aber bei denörtlichen Arbeitervereinigungen auf wenig Gegenliebe.41

Auch das Zentrum hatte im Emsland seit 1930 Vertreter in die NSDAP-Ver-sammlungen geschickt, mit denen es die Diskussion teilweise auch dominierte,doch verzichtete man ab Mitte 1932 darauf, Gegenredner zu stellen. Man wolltedem „politischen Gegner nicht Saal und Kasse füllen“, zumal den Vertretern der

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 85

Page 12: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

86

anderen Parteien in NSDAP-Versammlungen ohnehin nur eine sehr bescheideneRedezeit eingeräumt wurde.42

Auch wenn es 1932 in Lingen – im Gegensatz zu Nordhorn – relativ ruhig bliebund von größeren Ausschreitungen nichts überliefert ist, so wurde die Lingener Be-

Flugblätter aus den Wahlkämpfen des Jahres 1932 in Lingen, gesammelt vom zwölfjährigenGymnasiasten Josef Möllenbrock (Quelle: Privatbesitz)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 86

Page 13: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

87

völkerung Mitte Juli 1932 doch mitden schlimmen Folgen der parteipo-litischen Radikalisierung konfron-tiert. Bei einem von etwa 6 000 SA-Leuten aus ganz Norddeutschlandbesuchten Gautreffen in Bremenwurde der aus Lingen stammende,24 Jahre alte OberwachtmeisterGottfried Talle, der bei dieser Veran-staltung als Mitglied der Schutzpoli-zei Dienst getan hatte, durch eineSprengbombe getötet. Er hatte mitseinen Kollegen einige Kommunis-ten beobachtet, die sich am Randeder SA-Veranstaltung an einer Ei-senbahnbrücke zu schaffen gemachthatten. Als die Verdächtigen von denPolizisten kontrolliert wurden, stellte sich heraus, dass alle mit Pistolen bewaffnetwaren und selbstgefertigte Handbomben bei sich trugen. Durch die plötzliche Ex-plosion einer der Bomben wurde Talle auf der Stelle getötet. Er fand auf dem AltenFriedhof in Lingen sein Grab. Obwohl Gottfried Talle kein Nationalsozialist gewe-sen war, wurde er nach der Machtübernahme von der Lingener NSDAP als „Märty-rer der Bewegung“ propagandistisch vereinnahmt.43

Die NSDAP hatte sich als erste der Parteien der Weimarer Zeit mit der SA einemilizartige Schutztruppe zugelegt. Sie diente sowohl dem Schutz der eigenen Par-teiveranstaltungen wie auch der Einschüchterung und Terrorisierung des politi-schen Gegners. Die Lingener SA wuchs – wie bereits erwähnt – im Laufe des Jahres1932 auf eine Stärke von 30 Mann, dürfte Anfang 1933 jedoch bald wesentlichstärker gewesen sein. SA-Führer war 1932 der Lingener Kaufmann Heinrich Schüt-te, der 1933 jedoch durch einen auswärtigen Parteigenossen abgelöst wurde.44 Wiespätere Berichte erkennen lassen, kam dem Lingener SA-Trupp für den Erfolg derLingener NSDAP-Ortsgruppe neben dem Einsatz von Plesse eine entscheidendeRolle zu, da zunächst neben der SA andere Parteigliederungen – wenn überhaupt –nur rudimentär vorhanden waren.45 Versammlungslokal und Stützpunkt der SA war1933 der Niedersachsenhof, auch Clubrestaurant genannt, an der Ecke Karolinen-straße/Clubstraße. Ob er dies auch bereits 1932 war, ließ sich nicht feststellen.

Die Lingener KPD-Ortsgruppe hatte 1925 nach den Berichten der Polizei 33 Mit-glieder, wuchs bis 1929 auf über 60. Der Kampfverband der KPD, der „Rote Front-kämpferbund“, verfügte 1929 in Lingen über 60 Mitglieder, wovon die Hälfte auch

Fahrradwimpel mit den drei Pfeilen derEisernen Front aus dem Nachlass eines ehe-maligen Mitglieds der Sozialistischen Jugendin Lingen (Quelle: Emslandmuseum Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 87

Page 14: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

88

dem „Roten Jungsturm“ angehörte.46 1932 verfügte die Lingener KPD über dreiParteizellen (Ost, West und Betriebszelle RAW) sowie über einzelne Anhänger inLaxten, Lengerich, Freren und Meppen. Die technische Ausstattung der LingenerKPD war nur gering; so mussten offizielle Schreiben an die Behörden oder dieHandzettel für die öffentlichen Kundgebungen in Rheine gefertigt werden, weil inLingen die Voraussetzungen dafür nicht vorhanden waren.47

Die republikanische Wehrorganisation „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ war inLingen 1924 gegründet worden. Ihre Anhängerschaft stammte hauptsächlich ausder SPD. Kleinere Gruppen von Mitgliedern lieferten auch der linke Zentrumsflügelund die DDP. Um bürgerliche und nichtsozialistische Mitglieder zu gewinnen,stand in Lingen von Anfang an der DDP-Vorsitzende Ludwig Weinmann, Leiter deshiesigen Preußischen Hochbauamtes, an der Spitze des Reichsbanners. Sein Stell-vertreter war der SPD-Vorsitzende Heinrich Melcher, Schriftführer der städtischeKriminalsekretär Niggemann, ein Zentrumsmitglied. Das Lingener Reichsbanner tratselten in der Öffentlichkeit in Erscheinung, sein Hauptgegner waren zunächst dieKommunisten, später auch die Nationalsozialisten.48

Um die personelle Basis des Widerstands gegen die Feinde der Demokratie zuverbreitern, schloss sich das Reichsbanner mit verschiedenen örtlichen Gewerk-schaftsgruppen und sozialdemokratischen Vereinen im Februar 1932 zur „EisernenFront“ zusammen. Im Juni/Juli 1932 war die „Eiserne Front“ an einigen Veranstal-tungen beteiligt, veranstaltete selbst auch einen Umzug durch die Stadt, doch sieerreichte nicht die von ihren Initiatoren erwünschte politische Bedeutung.49 Siemusste die Lingener Straßen der SA und dem deutschnationalen Stahlhelm über-lassen.

Behördliche und juristische Maßnahmen gegen die Lingener NSDAP

In den Lokalteilen der Lingener Zeitungen spielte die sich langsam etablierendeOrtsgruppe der NSDAP lange Zeit nur eine marginale Rolle. Weder wurde auf ihreVeranstaltungen hingewiesen noch wurden Anzeigen abgedruckt. In den beidenZentrumszeitungen fand die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus imüberregionalen Teil statt oder durch Aufrufe der Reichspartei zum Wahlkampf. Werim Lokalteil etwas über die Aktivitäten oder Argumente der NSDAP im Emslandoder Nordhorn erfahren wollte, suchte vergebens.50 Für die Zentrumszeitungenstand der Gegner links und nicht rechts. Das Lingener Kreisblatt sah sich zur Zu-rückhaltung gezwungen, da es den Charakter des Amtlichen Mitteilungsblattesnicht aufs Spiel setzen wollte. Ab April 1932 wich es mit einigen kleinen Anzeigen

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 88

Page 15: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

89

zunächst zaghaft, dann aber immer offensichtlicher von seiner bisherigen Haltungab. In den Wochen vor der Reichstagswahl von Ende Juli 1932 bekundete es seineSympathie für die Nationalsozialisten immer deutlicher.51 Die SPD-Zeitung „FreiePresse“ aus Osnabrück widmete in ihrem Lokalteil regelmäßig den Lingener Natio-nalsozialisten ihre Aufmerksamkeit, jedoch in einem solch spöttischen und polemi-schen Ton, dass für eine argumentative Auseinandersetzung keine Ansatzpunkteblieben.52

Eine klare Linie gegen die unruhigen Lingener Nationalsozialisten und ihrenFührer Plesse verfolgte Bürgermeister Gilles, ein Zentrumsmann, der zugleich Poli-zeileiter der Stadt war. Er ließ die NSDAP-Ortsgruppe intensiv überwachen und lie-ferte regelmäßig detaillierte Berichte über deren größere Veranstaltungen an denRegierungspräsidenten in Osnabrück. Mehreren NSDAP-Flugblättern versagte er dieGenehmigung.53

Am 9. April 1932 löste der Kriminalbeamte Heinrich Niggemann eine NSDAP-Veranstaltung im Saal des Hotels Nave auf, nachdem der Gastredner Mitglieder derRegierung Brüning diffamiert und die anwesenden Polizeibeamten dadurch einzu-schüchtern versucht hatte, indem er ihnen entgegenhielt, es herrsche hier wohl beieinigen die Vorstellung, dass dieses System ewig dauern würde.54 Bemerkenswertist die stark voneinander abweichende Berichterstattung über diese Veranstaltung.Geschickt nutzte die NS-Presse das Vorgehen der Polizei propagandistisch aus undmünzte die Niederlage gewissermaßen in einen Sieg um.

Das Stadthaus am Marktplatz – Sitz der Lingener Stadtverwaltung (Foto: Clemens Korte, Stadtarchiv Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 89

Page 16: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

90

Nach den Angaben des Polizeibeamten Niggemann ging die Auflösung glattvonstatten, da die zum Einsatz bereiten Polizeibeamten sofort im Saal erschienen,als er die Auflösung verfügt hatte. Unter der Überschrift „Reichsbanner-Kripo löstVersammlung auf“ berichtet dagegen Rudolf Lippelt, der Kassenwart der LingenerNSDAP, in der „Osnabrücker Zeitung“ vom 12. April 1932 unter anderem Folgen-des:

Zugleich stürzten sich Polizeiwachtmeister in den Saal, um das anwesende Bür-gerpublikum zum Saale hinauszuwerfen. Der Ruf „Heil Hitler“ brauste wie ein Ent-rüstungsschrei aus sämtlichen Kehlen, womit alsdann die Versammlungsteilnehmerunter Absingung des „Horst-Wessel-Liedes“ in aller Ordnung den Saal verließen,angefeuert durch die „freundlichen“ Ermunterungsreden der anscheinend überreiz-ten Polizeibeamten. Vor dem Lokal bildeten sich einzelne Gruppen, die dieses un-erhörte Vorgehen der Polizei erörterten, woraufhin sofort von der Polizei der Gum-miknüppel in Tätigkeit trat, wobei keine Rücksicht genommen wurde, daß geradeim gegenüberliegenden Bahnhof Züge eingetroffen waren, deren Reisende amBahnhofshotel vorbei mussten und ebenfalls mit dem Radiergummi begrüßt wur-den.

Ein SA-Mann, der die Polizei darauf aufmerksam machte, dass es nicht fair ist,auf Frauen einzuschlagen, und der „Deutschland erwache“ ausrief, wurde von demobenerwähnten Herrn Niggemann mit folgenden Worten angefahren: „Rufen Sienoch einmal ,Deutschland erwache’ und ich sperre Sie ein, das ist deutsch.“ ... Es isterschütternd, dass ein Beamter, der dem Staat und dem Volke dienen soll, eine der-artige Auffassung vom Deutschtum beweist, wie sie hier zutage getreten ist.

Soweit die Ausführungen des NS-Berichterstatters. Die Selbststilisierung zumunschuldigen Opfer, die Umwertung der Begriffe und der emotionale Appell, umdie eigene Märtyrer-Rolle zu betonen, sind überdeutlich. Nun dürfte die NS-naheOsnabrücker Zeitung in Lingen nur wenige Leser gehabt haben, aber andernortswird der zitierte kurze Bericht auf Menschen, die der Weimarer Republik kritischgegenüberstanden, seine beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt haben.

Eine totale, nicht zu beschönigende Niederlage musste die Lingener NSDAP we-gen eines Flugblattes hinnehmen, das sie vor der Reichstagswahl vom November1932 verbreitet hatte. In diesem Flugblatt war dem emsländischen Zentrumsführer,Studienrat Dr. Gerhard Schwenne aus Lingen, vorgeworfen worden, er hätte sich alsLingener Kommunalpolitiker energisch für den Abbau von finanziellen Hilfen fürWohlfahrtsempfänger eingesetzt. Nach längeren Verhandlungen nahmen Kreislei-ter Plesse und sein Parteifreund Lippelt, die als verantwortliche örtliche NS-Führervor dem Lingener Amtsgericht in dieser Sache wegen Beleidigung und Bedrohungangeklagt waren, die unwahren Behauptungen zurück und erklärten ihr Bedauernüber die im Flugblatt enthaltenen kränkenden Äußerungen. Sie mussten eine öf-

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 90

Page 17: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

91

fentliche Ehrenerklärung für Dr. Schwenne abgeben, die in der gesamten Zen-trumspresse des Emslandes auf Kosten der beiden Beklagten veröffentlicht wurde.Außerdem musste die Erklärung auch innerhalb einer Woche 24 Stunden lang imSchaukasten der NSDAP-Geschäftsstelle in Lingen aushängen.55

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Lingener NSDAP sehr aktiv war, si-cher weitaus aktiver als die übrigen Parteien. Ihre Mitglieder waren sehr engagiertund schreckten auch nicht vor ungewöhnlichen Aktionen zurück. So gelang es ei-nem ihrer Mitglieder im Sommer 1932, auf dem Fabrikschornstein der Firma Kluk-kert am Alten Hafen eine Hakenkreuzfahne zu hissen.56 Sowohl in ihrem Auftretenwie auch in ihrer Programmatik war die Lingener NSDAP weniger radikal und ge-walttätig als in den Großstädten. Deutlich zeigte sie ihre Ablehnung der Demokra-tie, ihren Antisemitismus und ihren Nationalismus, war aber bemüht, den Eindruckeiner antichristlichen Partei zu vermeiden. Bezeichnend für ihre Haltung ist der beider erwähnten Veranstaltung vom 14. März 1931 verteilte Handzettel.57 „Stützeder christlichen Religionen“ heißt es da als Charakterisierung der Hitler-Bewegung.Den Angaben über den Eintrittspreis ist hingegen die Bemerkung angefügt: „Judenhaben keinen Zutritt!“

Flugblatt zur NSDAP-Veranstaltung vom 9. April 1932, die von Lingener Polizeikräftenaufgelöst wurde (Quelle: Privatbesitz)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 91

Page 18: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

92

Trotzdem gelingt es der NSDAP in Lingen vor 1933 nur schwer, unter den Ho-noratioren oder der alteingesessenen Bürgerschaft aktive Anhänger zu finden. Diemeisten NS-Aktivisten dieser Zeit kamen von auswärts und lebten oft erst seit kur-zem in Lingen. Führende Funktionäre wie Erich Plesse, Rudolf Lippelt, Erich Thie-mer, Friedrich Würdemann und Heinrich Knacke sind dafür typische Beispiele.58

In Lingen keine Mehrheiten für die NSDAP bei den Wahlen 1932und März 1933

Die hohe Arbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise und die sich darausentwickelnde wirtschaftliche Notlage weiter Bevölkerungskreise werden gemeinhinals eine der Hauptursachen für die politische Radikalisierung und das Anwachsender NSDAP bezeichnet. Aufgrund der 1932 in Lingen herrschenden hohen Arbeits-losigkeit von 19 %, die sogar noch leicht über dem Reichsdurchschnitt von 18,3 %lag, hätte man deshalb erwarten können, dass die Wahlergebnisse in Lingen mitdenen auf Reichsebene weitgehend übereinstimmen würden. Dies ist jedoch ein-deutig nicht der Fall.59 Das Zentrum konnte bei allen Wahlen von 1930 bis 1932 inLingen seinen Stimmenanteil von durchschnittlich 41 % behaupten. Die KPD, diewährend der gesamten Weimarer Republik mit der SPD um den Vorrang als stärksteArbeiterpartei in Lingen im Wettstreit lag, konnte bei den Reichstagswahlen im No-vember 1932 mit 17,3 % ihr bestes Ergebnis überhaupt erzielen und übertraf andiesem Wahltag die SPD, die 14,3 % erreichte, deutlich.

Die NSDAP hatte bis 1928 in Lingen bei überregionalen Wahlen nur marginaleStimmanteile erreicht. Bei der Reichstagswahl 1930 konnte sie mit 449 Stimmen,was 8,1 % entspricht, erstmals ein respektables Ergebnis verbuchen, lag damit abernoch deutlich hinter den 9,7 % der KPD. Bis 1932 gelang es der NSDAP, die Zahlihrer Anhänger in Lingen fast zu verdreifachen. Bei der Wahl zum PreußischenLandtag im April 1932 und bei der Reichstagswahl im Juli des gleichen Jahres er-reichte sie 1 283 beziehungsweise 1 291 Stimmen, was einem Anteil von 22 % ent-spricht. Sie ist damit nach dem Zentrum, aber vor der SPD die zweitstärkste politi-sche Gruppierung in der Stadt.

Bei der Reichstagswahl im November 1932 erlitt die NSDAP in Lingen wie imgesamten Reichsgebiet deutliche Verluste. Sie kam lediglich auf 18,0 % der Stim-men und lag damit nur knapp vor der KPD, die bei diesem Urnengang mit 17,3 %ihr bestes Ergebnis in Lingen erzielte und offensichtlich zahlreiche Protestwählerfür sich gewinnen konnte. DDP, DVP und DHP waren 1932 in Lingen zur Bedeu-tungslosigkeit geschrumpft. Zum Teil auf deren Kosten hatte sich die rechtsnatio-nalistische DNVP bis zum November 1932 auf 4,7 % Stimmenanteil erholt.

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 92

Page 19: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

93

Die radikalen antidemokratischen Parteien NSDAP und KPD nahmen in Lingenvon 1930 bis Ende 1932 also deutlich zu, im Unterschied zu den Wahlergebnissenim gesamten Emsland sogar sehr deutlich. Lingen lag sowohl bei den Stimmantei-len der KPD wie auch der NSDAP im Emsland an der Spitze.60 Die Stadt war glei-chermaßen KPD- und NSDAP-Hochburg im Emsland. Vergleicht man die LingenerErgebnisse mit denen auf Reichsebene, so fällt auf, dass die KPD im Juli 1932 inLingen den gleichen Prozentanteil an Stimmen erreichte wie im Reichsdurchschnitt,die NSDAP in Lingen aber trotz ihres starken Zuwachses ganze 15,5 % hinter ihremErgebnis auf Reichsebene zurückblieb. Dies bedeutet, dass die demokratischen, dieRepublik verteidigenden Kräfte in Lingen weiterhin über eine deutliche Mehrheitverfügten, während im Reichstag seit 1932 die republikfeindlichen Parteien dieOberhand gewonnen hatten.

Die Märzwahlen 1933 änderten an dieser Grundtendenz in Lingen wenig. Beieiner Wahlbeteiligung von 91,7 % konnte die NSDAP bei den Reichstagswahlen ih-ren Stimmenanteil auf 27,9 % steigern. Sie profitierte dabei vor allem vom Rück-

Kundgebung vor dem Historischen Rathaus am Volkstrauertag 1933. Im Haus mit der Ha-kenkreuzfahne am rechten Bildrand befanden sich Redaktion und Druckerei des LingenerKreisblatts (Foto: Stadtarchiv Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 93

Page 20: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

94

gang der KPD (-5,2 %). Es gelang ihr, einen Teil der 1932 zur KPD gewechseltenProtestwähler zu sich herüberzuziehen. Das Zentrum behauptete sich bei 39 % undhatte an Stimmen sogar noch hinzugewonnen. Die SPD erlitt nur geringe Verluste(-1,3 %). Der sogenannte nationale Rechtsblock aus NSDAP und DNVP erhielt inLingen etwa ein Drittel der Stimmen, während ihm auf Reichsebene der Durch-bruch zur absoluten Mehrheit mit 51,9 % gelang.61

Eine Woche nach der Reichstagswahl fanden Kommunalwahlen statt. In Lingenbewarben sich acht Listen um die 21 Sitze im Bürgervorsteherkollegium, wie derStadtrat damals genannt wurde. Bei einer Wahlbeteiligung von knapp 78 % erhieltdie NSDAP einen Stimmenanteil von 25,5 %, was sechs Sitzen im Ratsgremiumentsprach. Das Zentrum blieb mit einem Stimmenanteil von 32,5 % und acht Man-daten die stärkste Partei in Lingen; ihre deutlichen Verluste gegenüber der Reichs-tagswahl gingen auf das Konto der Liste der christlichen Gewerkschaften, die mit7,3 % ein Mandat erringen konnten. Die Stimmenanteile beider Gruppierungen er-geben addiert ziemlich genau die circa 40 %, mit denen das Lingener Zentrum nor-malerweise bei Wahlen rechnen konnte. Der NSDAP gelang also auch bei dieserletzten Wahl, bei der neben der NSDAP noch andere Parteien antreten konnten,kein Einbruch in die Wählerschaft des Zentrums. Die SPD und die KPD verloren ge-genüber den vorhergegangenen Wahlen deutlich, behaupteten jedoch zwei Sitzebeziehungsweise einen Sitz im Bürgervorsteherkollegium. Die großen Verlierer die-ser Kommunalwahl waren die sogenannten unpolitischen Listen. Ihr Stimmenanteilging um die Hälfte zurück, weshalb ihnen drei Mandate blieben. Ihre Wähler undteilweise auch die Protestwähler der KPD hatten sich in starkem Maße der NSDAPzugewandt oder hatten an der Wahl nicht teilgenommen.62

Gewaltsame Ausschaltung des politischen Gegners durch die NSDAP

Die Wahlen im März 1933 fanden schon unter erschwerten Bedingungen statt.Durch Verordnung der Reichsregierung vom 28. Februar 1933, erlassen wenige Ta-ge nach dem Reichstagsbrand, wurden wichtige demokratische Grundrechte wiedas Recht auf freie Meinungsäußerung, das Vereins- und das Versammlungsrechtaußer Kraft gesetzt.

Zwar konnte die KPD am 21. Januar noch unbeeinträchtigt eine öffentliche Ver-anstaltung auf dem Marktplatz mit etwa 150 Teilnehmern durchführen, am 3. Fe-bruar aber wurden ihr alle Umzüge und Versammlungen unter freiem Himmel ver-boten.63 Ende Februar und erneut am 3. März kam es bei verschiedenen KPD-Mit-gliedern zu Hausdurchsuchungen, bei denen Flugblätter und Plakate beschlag-

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 94

Page 21: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

95

nahmt wurden. Einige KPD-Funktionäre wurden verhaftet.64

Das Zentrum hielt eine Wochevor der Reichstagswahl seine gro-ße Wahlkundgebung mit Reichs-minister a.D. Dr. Bell als geschlos-sene Veranstaltung auf der Wil-helmshöhe ab und ging somit al-len Unwägbarkeiten aus demWeg.65

Die NSDAP hingegen konntebei mehreren Großveranstaltun-gen ungehindert ihre öffentlichePropaganda entfalten. Mitte Fe-bruar führte sie einen DeutschenTag durch mit öffentlicher Kund-gebung auf dem Marktplatz undanschließendem Propaganda-marsch durch die Stadt. Ihre Red-ner warben für eine Zusammen-fassung aller nationalen Kräftezur Erneuerung Deutschlands.Etwa 3 000 Zuhörer sollen nachAngaben der parteinahen Presseden Marktplatz gefüllt haben.66 Offene Unterstützung wurde der NSDAP im Linge-ner Kreisblatt zuteil, wo es hieß: „Sollte nicht auch in Lingen langsam die Erkennt-nis Platz greifen, daß jeder sich dem Moskowiter-Verbrechertum zurechnen lassenmuß, der am 5. März dem nationalen Rechtsblock seine Stimme versagt?“67

Der Lingener Volksbote und die anderen emsländischen Zentrumszeitungenwurden massiv eingeschüchtert. Als sie Mitte Februar eine Erklärung von dreizehnkatholischen Verbänden veröffentlichten, in denen „gewisse Machthaber“ als „Ur-heber eines nationalen Verderbens“ angeklagt wurden, verhängte Göring als preu-ßischer Innenminister kurzerhand drei Tage Erscheinungsverbot. Zwar wurde dieVerbotsverfügung noch rechtzeitig wieder aufgehoben und in eine Verwarnungumgewandelt, die psychologische Wirkung auf die Verleger war jedoch beträcht-lich.68

Am 3. März verpflichtete Landrat Dr. Pantenburg zur Unterstützung der Polizei30 Hilfspolizisten – je 15 Mitglieder des Stahlhelm und der SA. Sie wurden an-schließend der Polizei der Stadt Lingen und den Landjägereibeamten des Kreises

„Erstmaliges Hissen der Hakenkreuzfahne auf demAmtsgericht im März 1933“

(Foto: Stadtarchiv Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 95

Page 22: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

96

Lingen zugeteilt.69 Am Dienstag nach der Reichstagswahl feierte der Rechtsblockseinen Sieg, indem er auf dem Stadthaus die Hakenkreuzfahne, auf dem Histori-schen Rathaus die schwarz-weiße und die schwarz-weiß-rote Fahne hisste. Tadelndmerkte das Lingener Kreisblatt an, dass die Spitzen der Stadtverwaltung dabei ge-fehlt hätten.70 Zwei Tage später wurde auf den übrigen öffentlichen Gebäuden derStadt wie Gymnasium Georgianum, Behördenhaus, Postamt, Finanzamt und Land-ratsamt die Hakenkreuzfahne gehisst.71

Als sich Ende März das neugewählte Bürgervorsteherkollegium zu seiner konsti-tuierenden Sitzung traf, zeigten die Nationalsozialisten zunächst eine deutlicheKooperationsbereitschaft. Der Zentrumsführer Schulrat Meyer wurde wieder zumSprecher des Kollegiums gewählt, die Senatorenposten nach bisherigem Brauchentsprechend dem Kräfteverhältnis der Fraktionen aufgeteilt: Gewählt wurden dieZentrumsmitglieder Josef Terstiege und Franz Berling sowie Georg van der Brelie(Evangelische Liste) und ein NSDAP-Mitglied.72

Zur gleichen Zeit versuchte Kreisleiter Plesse durch Intervention bei den überge-ordneten Regierungs- und Parteistellen das Kräfteverhältnis in der Lingener Kom-munalpolitik zugunsten der NSDAP zu verändern. Er wandte sich am 3. April 1933schriftlich an den neuen nationalsozialistischen Regierungspräsidenten BernhardEggers und beklagte sich über den scharfen Kampf, dem die NSDAP in Lingen aus-gesetzt sei. Er legte dem Regierungspräsidenten dar, dass zur Etablierung der Parteiin Lingen unbedingt folgende fünf Männer aus ihren Ämtern entfernt werden undaus der Stadt verschwinden müssten: der Polizeikommissar Fritz Heine, der die Par-tei stets drangsaliert habe, sein Vorgesetzter, der Zentrumsbürgermeister HermannGilles, der ein Gegner des Nationalsozialismus sei, der geistliche Studienrat GerhardSchwenne, der Vorsitzende des Zentrums im Kreis Lingen und der „Zentrumsverei-nigung Emsland“ sowie Vorstandsmitglied des Zentrums auf Provinzial- undReichsebene, Schulrat Heinrich Meyer, Fraktionsführer des Lingener Zentrums undein enger Verbündeter von Schwenne, und Regierungsrat Ludwig Weinmann, derlangjährige Vorsitzende der örtlichen „Deutschen Demokratischen Partei“ bezie-hungsweise der „Deutschen Staatspartei“ und des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“, der außerdem ein getaufter Jude und daher „einer der eifrigsten Verfechterdes Marxismus“ sei.

Der Regierungspräsident reagierte prompt. Alle beanstandeten Personen wurdenumgehend beurlaubt oder aus ihren Ämtern entlassen, Kreisleiter Plesse am 6. Aprilzum kommissarischen Bürgermeister von Lingen bestimmt.73 Da Bürgermeister Gil-les auf Lebenszeit zum Bürgermeister ernannt war und nicht ohne Weiteres abge-setzt werden konnte, inszenierten die Nationalsozialisten gegen ihn eine Diffamie-rungskampagne wegen Unterschlagung und Korruption. Um die Haltlosigkeit derVorwürfe zu beweisen, beantragte Gilles ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst.

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 96

Page 23: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

97

Ohne den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, wählte das inzwischen mehrheitlichnationalsozialistisch ausgerichtete Bürgervorsteherkollegium Anfang Juli 1933 ge-gen die Stimmen der letzten noch verbliebenen Zentrumsleute Kreisleiter Plessezum hauptamtlichen Bürgermeister von Lingen. Um weiteren Auseinandersetzun-gen zu entgehen, beantragte Gilles am 19. September 1933 aus Gesundheitsgrün-den seine Versetzung in den Ruhestand zum 1. November 1933. Das Disziplinar-verfahren wurde am 3. Januar 1934 eingestellt, ohne dass die Vorwürfe bestätigtwerden konnten.74

Ab Mai 1933 verfügte die NSDAP im Bürgervorsteherkollegium über die Mehr-heit. Die Vertreter des Zentrums blieben, soweit sie nicht wie Schulrat Meyer aus-scheiden mussten, in zunehmendem Maße den Sitzungen fern. Die KPD- und SPD-Bürgervorsteher wurden nach dem Verbot ihrer Parteien ausgeschlossen. EinigeMandatsträger der bürgerlichen Parteien und unpolitischen Listen schlossen sichals Hospitanten der NSDAP-Fraktion an oder traten der NSDAP bei. Als Ende Juni1933 Kreisleiter Plesse zum neuen hauptamtlichen Bürgermeister der Stadt gewähltwurde, nahmen nur 14 von 21 Bürgervorstehern an der Sitzung teil. Auf Plesse ent-fielen acht Stimmen bei sechs Enthaltungen. Ein ähnliches Bild ergab sich EndeJuli 1933 bei der Abwahl des Zentrumssenators Josef Terstiege, dem mit den Stim-

Sitzung des Bürgervorsteherkollegiums im Historischen Rathaus im Frühjahr 1933 mit demvortragenden kommissarischen Bürgermeister Erich Plesse (NSDAP) und den beiden Zen-trumsmitgliedern Josef Terstiege (r.) (Foto: Stadtarchiv Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 97

Page 24: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

98

men der NSDAP bei nur einer Gegenstimme das Misstrauen ausgesprochen wurde.An dieser Sitzung beteiligten sich nur noch drei der acht Zentrumsvertreter im Bür-gervorsteherkollegium.75 Von ihrer Stimmenmehrheit hatten die bürgerlichen Frak-tionen nach der Kommunalwahl vom März 1933 kaum Gebrauch gemacht.76

Bei ihren Maßnahmen zur Entfernung politisch missliebiger Mitglieder der öf-fentlichen Verwaltung beschränkten sich die Nationalsozialisten nicht auf die lei-tenden Beamten. Durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentumsschufen sie sich eine Handhabe, um auf allen Ebenen im öffentlichen Dienst Be-amte zu entlassen. In Lingen traf dies zum 15. Juli1933 aus politischen Gründenden städtischen Arbeiter Johann Többen. Ihm wurde vorgeworfen, dass er der KPDangehört habe und als deren Funktionär andauernd gegen die nationale Erneue-rung aufgetreten sei. Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung wurde die Sparkas-senangestellte Selma Hanauer zum 31. Juli1933 entlassen.77

Im Mai 1933 mussten alle Mitarbeiter der Stadtverwaltung einen mehrseitigenFragebogen über ihre arische Abstammung und bisherige politische Betätigungausfüllen.78 Im Reichsbahn-Ausbesserungswerk Lingen wurden alle Mitarbeiter imOktober 1933 darauf hingewiesen, dass jede auch nur lose Beziehung zur Kommu-nistischen und zur Sozialdemokratischen Partei verboten sei. Von allen war eine Er-klärung zu unterschreiben, dass sie „keine Beziehung zur Kommunistischen und

Im rechten Teil des Hauses Am Markt 1 befand sich das Weißwarengeschäft der GeschwisterEisenstein, vor dem im Rahmen der Boykottaktion am 1. April 1933 ein SA-Posten stand.

(Foto: Stadtarchiv Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 98

Page 25: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

99

zur Sozialdemokratischen Partei, ihren Hilfs- und Ersatzorganisationen und ihrenVertretern im Ausland unterhalten würden“.79

Die Drohung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes oder die tatsächliche Entlas-sung war nur eines der Mittel, mit denen die Nationalsozialisten die Bevölkerungeinzuschüchtern versuchten. Während es 1931/32 – wie berichtet – in Lingenziemlich ruhig geblieben war, kam es nach der Machtübernahme mehrfach zu tät-lichen Übergriffen durch die SA. Ziele solcher Übergriffe waren sowohl die jüdi-schen Bürger Lingens wie auch die politischen Gegner der Nationalsozialisten.

Obwohl die Lingener Zeitungen darüber nichts berichten, müssen die reichswei-ten Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte am 1. April 1933 auch in Lingendurchgeführt worden sein. Der heute in England lebende Bernhard Grünberg erin-nert sich, dass damals vor der Schlachterei Silbermann, die am Bahnübergang Ge-orgstraße in der Nähe seines Elternhauses lag, zwei SA-Männer Posten standen.80

Am 28. Juni 1933 wurde der jüdische Viehhändler Wilhelm Heilbronn aus Lingen inder Gaststube des Hotels Nave von einem SA-Mann zusammengeschlagen und an-schließend in Schutzhaft genommen. Sein „Vergehen“ war, dass er sich gegen dieantisemitischen Beleidigungen des Nationalsozialisten zur Wehr gesetzt und diesenauf seinen Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg und die dabei erworbenen Auszeich-nungen hingewiesen hatte.81 Belegt ist für den Frühsommer 1933 auch das Singenantisemitischer Lieder vor den Häusern mit jüdischen Bewohnern durch die Linge-ner SA.82

Standkonzert der Lingener SA-Kapelle 1933 auf dem Marktplatz (Foto: Stadtarchiv Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 99

Page 26: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

100

Kundgebung anlässlich des „Tags der nationalen Arbeit“ am 1. Mai 1933 auf der Wilhelmshöhe (Fotos: Stadtarchiv Lingen)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 100

Page 27: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

101

Was nationalsozialistischer Terror bedeutete, erlebte die Lingener Bevölkerung,als am 26. März 1933 eine circa 30 Mann starke SS-Einheit aus Wuppertal in dieStadt kam und zusammen mit der Lingener SA eine Kundgebung auf dem Markt-platz und einen Propagandamarsch durch die Stadt veranstaltete. Die SS- und SA-Leute drangen dabei in Privathäuser und die Geschäftsstelle der Freien Gewerk-schaften (Schneewall Nr. 2) ein und beschlagnahmten schwarz-rot-goldene Fah-nen, die sie abends gegen 9 Uhr auf dem Marktplatz bei einer öffentlichen Ver-brennung dem Feuer übergaben.83 Am 8. April wurden die Büros der ChristlichenGewerkschaften (Gymnasialstraße) und der Freien Gewerkschaften von der Linge-ner SA vorübergehend besetzt und ein Teil der Akten beschlagnahmt.84 Im Rahmender reichsweiten Zerschlagung der Gewerkschaften wurden am 4. Mai der Gewerk-schaftssekretär und SPD-Vorsitzende Heinrich Melcher und drei weitere Gewerk-schaftsfunktionäre verhaftet.85

Am 8. Juli war die Lingener SA an einer Aktion gegen den Nationalen Siedler-bund beteiligt, da dieser Anzahlungen kassiere, aber keine Siedlerstellen verschaffe.Nachdem man den Geschäftsführer Wintringer vergeblich zu finden versucht hatte,ging die Menge – wie das Lingener Kreisblatt berichtet – „gegen den juristischenBeistand des Bundes, Rechtsanwalt Veltmann, vor, holte ihn aus der Wohnung undsagte ihm auf der Straße deutlich die Meinung“. Nach dem Bericht des LingenerKreisblatts handelte es sich bei dieser Aktion um einen „großen Volksauflauf aufdem Marktplatz“.86 Wie sich ein Zeitzeuge erinnert, wurde Rechtsanwalt Veltmannvon der als Hilfspolizei fungierenden SA festgenommen, wobei das Opfer „über dieTreppen in seinem Haus geschleift wurde, ohne dass überhaupt jemand die Gründefür diese Aktion kannte“.87

Was die Stunde geschlagen hatte, erfuhren die Lingener Zeitungsleser nicht nuraus dem Bericht über diese Aktion, sondern auch durch die regelmäßigen Hinweiseauf die im nördlichen Emsland eingerichteten Lager. So heißt es in einer kurzenNotiz am 1. Juli 1933: „In dem bei Papenburg errichteten Internierungslager sindinzwischen die ersten etwa einhundert kommunistischen Schutzhäftlinge ange-kommen. Das Lager soll nach und nach Tausende von politischen Häftlingen auf-nehmen.“88 Eine Nachricht, die sowohl der Information wie auch der Einschüchte-rung diente!

*

Trotz der hohen, überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit erzielte die NSDAP inLingen nur Ergebnisse, die weit unter dem Reichsdurchschnitt lagen. Die demokra-tischen Kräfte, verkörpert durch das Zentrum, die SPD und geringe Reste des bür-gerlichen Parteienspektrums, behielten stets eine deutliche Mehrheit. Für einen be-

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 101

Page 28: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

102

achtlichen Teil der Protestwähler war die KPD lange Zeit attraktiver als die NSDAP.Der Stimmenanteil der NSDAP bei der Kommunalwahl im März 1933 reichte nichtaus, um in Lingen auf legalem Weg an die Macht zu kommen. Das Zentrum konnteseine Position als stärkste politische Kraft behaupten. Um in Lingen die Macht zuübernehmen, bedienten sich die Nationalsozialisten der Hilfe von außen und unge-setzlicher Machenschaften. Aus sich selbst war die Lingener NSDAP nicht zurMachtübernahme in der Lage. Die Parteiorganisation war vor den Märzwahlen von1933 nur schwach entwickelt, die Zahl der Parteimitglieder gering.

Vor der Machtübernahme der NSDAP auf Reichsebene hielten sich die LingenerNationalsozialisten in der politischen Auseinandersetzung mit tätlichen Übergriffenzurück. Sie versuchten, die starken Vorbehalte von Seiten des Bürgertums oder derKirchen zu zerstreuen. Erst nach der Machtübernahme zeigte die Lingener NSDAPihr wahres Gesicht, beschränkte sich bei ihren Übergriffen aber weitgehend auf diesozialistischen Parteien, die Gewerkschaften und die Juden. So nahm die Zahl derNSDAP-Mitglieder und Anhänger nach den Märzwahlen von 1933 auch in Lingenstark zu, was neben der Gleichschaltung des öffentlichen Lebens und der Ausschal-tung der politischen Gegner ein wesentlicher Faktor für die Stabilisierung der Herr-schaft der NSDAP in Lingen war.

Die Große Straße in Lingen, geschmückt mit Hakenkreuzfahnen aus Anlass der Reichshand-werkerwoche im Oktober 1933 (Repro: Fotoarchiv Leisner)

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 102

Page 29: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

103

Anmerkungen

1 Niedersächsisches Landesarchiv, Staatsarchiv Osnabrück (künftig StAOs), Rep. 729 Akz. 39/97, Nr. 293.

2 Ebd., in der Reinschrift: Absicht, im Entwurf, der der Akte beiliegt: Ansicht.3 Vgl. etwa allgemein: Heinrich August Winkler, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten

deutschen Demokratie. München 1993, S. 477–520.4 StAOs, Rep. 729 Akz. 39/97, Nr. 293.5 Zu den Namen der Abiturienten vgl. Martin Skutella (Bearb.), Die Lingener Abiturienten 1832–

1933, hrsg. von Oskar Viedebantt. Lingen 1933, S. 87. Die schriftliche Abiturprüfung im FachDeutsch fand am Gymnasium Georgianum 1933 etwa Mitte Februar statt. Die Korrektur derAufsätze erfolgte in der zweiten Februarhälfte (StAOs, Rep. 729 Akz. 39/97, Nr. 293).

6 Vgl. Ludwig Remling, Die Anfänge der Rennsportkarriere Bernd Rosemeyers. In: Kivelingszeitung2008. Bürgersöhne-Aufzug zu Lingen. Lingen 2008, S. 149–155.

7 Lingener Kreisblatt (künftig LKB) vom 16.2.1932.8 Lingener Volksbote (künftig LVB) vom 11.1.1932.9 LVB, 16.7.1932; LKB vom 1.3.1932; LVB vom 30.6.1932; LKB vom 9.3.1932 u. 1.4.1932; LVB

vom 2.1.1932.10 Vgl. Turnverein Gut Heil Lingen-Ems 1882, 50 Jahre 1882–1932. Festheft-Programm. Lingen

1932; LKB, 6.9.1932. 11 LKB, 27.9.1932 u. 4.9.1932; LVB, 8.6.1932.12 Osnabrücker Zeitung vom 14. 8.1932. Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Eisenbahn-Turn-

u. Sportvereins. Lingen 1953; Bernhard Rehring, Das Ausbesserungswerk Lingen. Zur Bahngeschichtedes Emslandes. Lübbecke 1986, S. 306.

13 LKB vom 14.10.1932; LVB vom 6.4.1932; LKB vom 24.4.1932.14 Helmut Lensing, Der Heimat- und Verkehrsverein Lingen (1930–1963). Ein Beitrag zur Geschichte

der Heimatvereine und des Fremdenverkehrs im Emsland (Materialien zur Lingener Geschichte 4).Lingen 2004, S. 30 u. 37.

15 LVB vom 18.3.1932, 21.3.1932, 5.4.1932 u. 6.4.1932.16 LKB vom 21.2.1932 u. 8.5.1932.17 LVB vom 19.1.1932; LKB vom 30.3.1932 u. 14. 3. 1932.18 StAOs, Rep. 610 Lin, Nr. 20. Bericht des Bürgermeisters Gilles vom 1. Oktober 1931.19 Stadtarchiv Lingen (künftig StALIN), Nr. 2692 und 5805. Vgl. ausführlich: Lingen in Not.

Wettbewerbsarbeit des Wahlpflichtkurses Geschichte der Marienschule, eingereicht 1997 beimSchülerwettbewerb „Deutsche Geschichte“ um den Preis des Bundespräsidenten zur Geschichtedes Helfens (Mskr.).

20 StAOs, Rep. 610 Lin, Gewerbeaufsichtsamt Lingen Nr. 20 u. 21.21 LKB vom 3.2.1933. Pfarrarchiv St. Josef Lingen-Laxten, Visitationsakten 1933.22 Martin Löning, Die Durchsetzung nationalsozialistischer Herrschaft im Emsland (1933–1935). In:

Emsland/Bentheim. Beiträge zur Geschichte 12. Sögel 1996, S. 30, Anm. 51. 23 Ebd., S. 33, Anm. 66.24 Ebd., S. 24 f. u. S. 30.25 StAOs, Rep 610 Lin, Gewerbeaufsichtsamt Lingen, Nr. 21.26 Löning (wie Anm. 22), S. 31 f.27 StAOs, Rep 610 Lin, Gewerbeaufsichtsamt Lingen Nr. 21.28 Wolf-Michael Catenhusen, Parteien und Wahlen in Lingen 1871–1933. In: Lingen 975–1975.

Zur Genese eines Stadtprofils, hrsg. von Wilfried Ehbrecht. Lingen (Ems) 1975, S. 214–249, spez.227–229; Adreßbuch der Stadt und des Kreises Lingen an der Ems 1930. Lingen 1930, Teil II, S. 7 f; Adreßbuch der Stadt und des Kreises Lingen an der Ems 1925. Lingen 1925, Teil III, S. 38.

29 Über die Anfangsjahre der NSDAP in Lingen vgl. Catenhusen (wie Anm. 28), S. 234–237; Löning(wie Anm. 22), S. 7–353, spez. 117–143; Helmut Lensing, Art. Plesse, Erich. In: Emsländische

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 103

Page 30: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

104

Geschichte 14. Haselünne 2007, S. 284–305. Heranzuziehen ist neuerdings auch: Die RegionEmsland/Grafschaft Bentheim von der Gründungsphase des Kaiserreichs bis zur NS-Machtergreifung.Handreichung für den Unterricht in den Sekundarbereichen I und II. Teil 2: Quellen von der No-vemberrevolution 1918 bis zur Konsolidierung der NS-Diktatur Ende 1933, Bde. I und II. Sögel2009.

30 Lensing (wie Anm. 29), S. 285.31 StAOs, Rep. 940 Akz. 2004/037, Nr. 20. Zu den am Werbeabend neu gewonnenen NSDAP-

Mitgliedern gehörte der Fotograf Hermann de Haas aus Lingen; der ebenfalls eingeladene Stahl-helm-Führer, Justizinspektor Hermann Thiedemann, lehnte den Beitritt ab. Hilschers Äußerung,dass er dem auf seine Veranlassung gegründeten Stützpunkt Lingen bis zu seiner Abreise ausLingen am 1. März 1931 vorgestanden habe, bedarf noch der weiteren Überprüfung. Bei denNSDAP-Veranstaltungen im Winter 1930/31 trat Hilscher nicht in Erscheinung.

32 Xerokopie der Meldekarte Erich Plesse im Nachlass Heinrich Niggemann (Privatbesitz). Lensing(wie Anm. 29), S. 284.

33 Ebd., S. 286.34 LKB vom 1.6.1932. Osnabrücker Zeitung vom 3. 6. 1932. Das Mobiliar für die Geschäftsstelle soll

von Lingener Geschäftsleuten zur Verfügung gestellt worden sein (Freie Presse vom 20.7.1932).35 Vgl. ausführlich: Lensing (wie Anm. 29), S. 286–288.36 StAOs, Rep. 430 Dez. 201 Akz. 5/66, Nr. 12, Bd. 1.37 LVB vom 8.9. u. 9.9.1930.38 StAOs, Rep. 430 Dez. 201 Akz. 5/66, Nr. 12, Bd.1.39 LVB vom 16.3.1931; vgl. auch: Die Region Emsland/Grafschaft Bentheim … (wie Anm. 29),

M 7.211.40 LKB vom 24.4.1932.41 Freie Presse vom 9.1.1932. 42 Löning (wie Anm. 22), S. 93.43 LVB vom 14.7.1932; LKB vom 12.7.1932, 10.11.1934, 10.11.1935; Neue Volksblätter vom

30.1.1938; vgl.: ausführlich: Vom „Lingener Wind“ verweht …? Spurensuche. Wettbewerbsarbeitdes Wahlpflichtkurses Geschichte der Marienschule, eingereicht 1993 beim Schülerwettbewerb„Deutsche Geschichte“ um den Preis des Bundespräsidenten (Mskr.).

44 StAOs, Rep. 430 Dez. 201 Akz. 5/66, Nr. 12, Bd. 2. Schreiben der Polizeibehörde Lingen vom14.4. und 5.10.1932.

45 Neue Volksblätter Nr. 172 vom 24.6.1939; vgl.: Die Region Emsland/Grafschaft Bentheim … (wieAnm. 29), M 7.210.

46 Löning (wie Anm. 22), S. 98.47 Vgl. ausführlich: Staatsarchiv Münster, KPD und kommunistische Verbände Nr. 2 u. 3.48 Lingener Tageszeitung vom 26.9.1924; Freie Presse vom 16.4.1929; Helmut Lensing, Art.

Weinmann, Ludwig. In: Emsländische Geschichte 11. Haselünne 2004, S. 323–328, spez. 324 f;Löning (wie Anm. 22), S. 99.

49 Freie Presse vom 8., 10., 15., 18. u. 19.2.1932, 8., 11. u. 12.7.1932, 20. u. 29. 9.1932; Löning(wie Anm. 22), S. 105.

50 Vgl. Wilfried Hinrichs, Die emsländische Presse unter dem Hakenkreuz. Selbstanpassung undResistenz im katholischen Milieu. In: Emsland/Bentheim. Beiträge zur Geschichte 6. Sögel 1990,S. 7–253, spez. S. 182–186; Löning (wie Anm. 22), S. 140.

51 Hinrichs (wie Anm. 50), S. 194–199; Löning (wie Anm. 22), S. 138; vgl. LKB vom 8.7.1932 u.3.1.1934.

52 Vgl. vor allem die „Briefe aus Lingen“ in den Jahrgängen 1931/32 der „Freien Presse“ (StAOs).53 StAOs, Rep. 430 Dez. 201 Akz. 5/66, Nr. 12, Bde.1–3.54 Abschrift des Berichts an den Regierungspräsidenten vom 10.4.1932 im Nachlass Heinrich

Niggemann (Privatbesitz).55 LVB vom 24.11.1932; Löning (wie Anm. 22), S. 143; Lensing (wie Anm. 29), S. 287.

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 104

Page 31: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

105

56 StAOs, Rep. 980, Nr. 49923: vgl. auch: Freie Presse vom 28.7.1932 („Brief aus Lingen“).57 Abgebildet bei Löning (wie Anm. 22), S. 122.58 Erich Plesse, geb. 13.7.1908 in Essen, von Rostock am 16.3.1929 nach Lingen; Rudolf Lippelt,

geb. 31.12.1903 in Altona, von Itzehoe am 8.7.1929 nach Lingen; Erich Thiemer, geb. 9.5.1896in Charlottenburg, von Wilhelmshaven am 13.2.1930 nach Lingen; Friedrich Würdemann, geb.10.9.1876 in Lüerte, Krs. Wildeshausen, nach Lingen 1926; Heinrich Knacke, geb. 1.8.1890 inDiepenau (bei Nienburg), in den 1920er-Jahren nach Laxten, Krs. Lingen.

59 Zu den Wahlergebnissen in Lingen in den Jahren 1919–1933 vgl. ausführlich: Catenhusen (wieAnm. 28), S. 229–236 u. S. 242–244; Löning (wie Anm. 22), S. 57–68; Die Region Emsland/GrafschaftBentheim … (wie Anm. 29), S. 596.

60 Der Stimmenanteil der NSDAP war nur bei den Reichstagswahlen im November 1932 in Haselünne(18,5 %) und im März 1933 in Haselünne (33,6 %) und in Aschendorf (28,6 %) höher als inLingen (vgl. Löning (wie Anm. 22), S. 66; Die Region Emsland/Grafschaft Bentheim … (wie Anm. 29), S. 584 u. S. 593.

61 Catenhusen (wie Anm. 28), S. 235.62 Catenhusen (wie Anm. 28), S. 236.63 LVB vom 23.1.1933; LKB vom 5.2.1933.64 LVB vom 2. u. 4.3.1932; LKB vom 2. u. 3.3.1933.65 LVB vom 25.2. u. 1.3.1933.66 LKB vom 17.2. u. 21.2.1933; LVB vom 20.2.1933.67 LKB vom 2.3.1933; vgl. auch Catenhusen (wie Anm. 28), S. 235.68 Hinrichs (wie Anm. 50), S. 107 u. S. 184.69 LVB vom 4.3.1933. 70 LKB vom 9.3.1933; LVB vom 8.3.1933.71 LVB vom 11.3.1933. 72 LKB vom 7.3.1933; Catenhusen (wie Anm. 28), S. 237. Die Wahl von Franz Berling zum Senator

wurde vom Regierungspräsidenten nicht bestätigt (ebd.).73 StAOs, Rep. 430 Dez. 101 acc. 7/43, Nr. 539. Vgl. auch Lensing, Art. Plesse, Erich (wie Anm. 29),

S. 288 f., und spez. zu Ludwig Weinmann vgl. auch Löning (wie Anm. 22), S. 181 f.74 Vgl. Helmut Lensing, Art. Gilles, Hermann. In: Emsländische Geschichte 8. Haselünne 2000,

S. 196–199, spez. S. 198 f.75 Catenhusen (wie Anm. 28), S. 237; Lensing, Art. Plesse, Erich (wie Anm. 29), S. 290 f.76 Löning (wie Anm. 22), S. 203.77 StALIN, Nr. 6366, Bestand 17.01 Personalamt Nr. 47; Catenhusen (wie Anm. 28), S. 236.78 Vgl. StALIN, Bestand 17.01, Nr. 50 f.79 Rehring (wie Anm. 12), S. 157.80 Gespräch des Verfassers mit Bernhard Grünberg am 13.9.1991. Laut Anzeige im Lingener Volksboten

vom 17.9.1927 hatte der Fleischermeister Hermann Rühl aus Lingen „die Schlachterei von HerrnSilbermann Georgstraße zum 15. September“ übernommen. Zum gleichen Zeitpunkt hatte sichHermann Silbermann bei der Stadtverwaltung Lingen nach Berlin-Lichtenberg abgemeldet. Vondort kehrte er – inzwischen 76 Jahre alt – im November 1932 nach Lingen zurück, um seinBesitztum Georgstraße 6 zu verkaufen, was ihm im Juli 1933 auch gelang. Es ist anzunehmen,dass die Schlachterei Silbermann trotz der Verpachtung an Fleischermeister Rühl von denNationalsozialisten als jüdisches Geschäft betrachtet wurde. – Von einem SA-Posten vor demWeißwarengeschäft Wolff-Eisenstein, Am Markt 1, am 1.4.1933 berichtet Cornelius Wilkens, einerder Abiturienten am Gymnasium Georgianum im Jahre 1933, in seiner Biographie; vgl. CorneliusWilkens, Bekenntnis und Ordnung. Ein Leben zwischen Kirche und Politik. Hannover 1993, S. 15.

81 LKB vom 28.6.1933; LVB vom 28.6.1933; Bericht von Ruth Foster geb. Heilbronn (Video-Interviewder Shoa-Foundation).

82 Wilkens (wie Anm. 80), S. 15.83 LKB vom 26.3.1933; LVB vom 27.3.1933.

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 105

Page 32: Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 · Von der Demokratie zur Diktatur – Lingen 1932–1933 v o n L u d w i g R e m l i n g Bei der Abiturprüfung am Gymnasium

106

84 LVB vom 10.4.1933.85 LKB vom 4.5.1933.86 LKB vom 9.7.1933. – Nikolaus Wintringer, geb. 19. 2. 1905, verlässt im Juli 1933 Lingen und

zieht nach Trier. Fritz Veltmann, geb. 23. 12.1885, wohnt mit seiner Familie Am Markt 18, ziehtim August 1935 nach Berlin-Wilmersdorf (StALIN, Meldekartei III).

87 Wilkens (wie Anm. 80), S. 15 f. – Wilkens war im März 1933 unmittelbar nach dem bestandenenAbitur der Lingener SA beigetreten. Zuvor war er in der evangelischen Jugendarbeit (CVJM) aktivgewesen. Wie er in seiner Biographie schreibt, war er über das Vorgehen gegen RechtsanwaltVeltmann derart entsetzt, dass er sich „über die Übergriffe der örtlichen SA“ bei deren Führungbeschwerte. „Es kam zu einem kräftigen Disput mit dem zuständigen SA-Sturmbannführer Fr. indessen Wohnung.“ Kurze Zeit später wurde er angesichts seines „eigens dazu auf dem Pferdemarktin Lingen feierlich angetretenen SA-Sturmes von dem SA-Führer Kn. aus der SA ausgestoßen“(ebd., S. 16).

88 LKB vom 1.7.1933.

Jb1_Remling_Von der Demokatie_EHB_Musterseite 16.10.13 11:55 Seite 106