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René Seyfarth Universität Leipzig Zschochersche Str. 53 Kulturwissenschaften (HF) 04229 Leipzig Ethnologie (NF) [email protected] Kunstgeschichte (NF – 8.FS))
Freiheit durch OrdnunFreiheit durch OrdnunFreiheit durch OrdnunFreiheit durch Ordnungggg
Le Corbusiers Ville Contemporaine pour trois millions d’habitants
Hausarbeit im Anschluss an das Seminar „Planstadt, Idealstadt, Stadtutopie“„Planstadt, Idealstadt, Stadtutopie“„Planstadt, Idealstadt, Stadtutopie“„Planstadt, Idealstadt, Stadtutopie“ Universität Leipzig Institut für Kunstgeschichte Prof. Dr. Michaela Marek SS 2005
1
Inhalt Seite
1. Einführung und Vorbemerkungen zur Entstehung des Entwurfs 2
1.1 Inspiration 1.2 Die Großstadt befiehlt alles 1.3 Geometrie – Lob des rechten Winkels & der Geraden 1.4 Einförmigkeit im Einzelnen, Bewegung im Ganzen 1.5 Der Tatsache des Geschäfts gerecht werden 1.6 Wo man baut, da pflanzt man Bäume
2. Plan einer Ville Contemporaine 11
2.1 Gliederung 2.2 Bautypen und Prädestination 2.3 Verkehrsplanung
3. Der Plan Voisin 20
3.1 Exkurs: Abrissmentalität
4. Rezeption und Wertung 24
5. Zusammenfassung 26
6. Quellenverzeichnis 28
Abb. Titelblatt aus Le Corbusier: Städtebau, S.154f.
2
1. Einführung und Vorbemerkungen zur Entstehung des
Entwurfs
Le Corbusiers Entwurf einer zeitgenössischen (nicht zukünftigen!) Stadt in einer
Arbeit mit derart begrenztem Umfang zu beschreiben, ist wahrlich eine
Herausforderung. Eine Eingrenzung dessen, was Eingang in die Arbeit finden
soll und was nicht, war dringend erforderlich. Ich habe mich dafür entschieden,
vor allem jene Aspekte genauer zu beleuchten, die auf das Leben der
„vorgesehenen“ Einwohner im geplanten baulichen Rahmen eingehen. Dies
geschah vorrangig auf Grundlage der Bücher „Ausblick auf eine Architektur (im
Original 1923)“ und „Städtebau (im Original 1925)“, sowie seiner
Schilderungen im „Œuvre Complète 1910 – 1929 (hg.v. Boesiger/Stonorov)“.
Die umfangreiche Quellenlage allein anhand dieser drei Bücher und der darin
enthaltenen Abbildungen versuchte ich bestmöglich auszunutzen und
miteinander zu vergleichen, wenngleich ich auch hier oft interessante
Gegenüberstellungen aus Platzgründen aussparen oder in Fußnoten
verschieben musste. Aus demselben Grund wird auch die Rezeptionsgeschichte
und kunsthistorische Diskussion nur schlaglichtartig beleuchtet. Der Vergleich
mit dem weiteren Schaffen Le Corbusiers, was vor allem im Zusammenhang mit
dem CIAM, der „Ville Radieuse“ und Chandigarh interessant gewesen wäre,
musste ganz entfallen, ebenso wie eine weiterführende Spurensuche nach
Motiven der Ville Contemporaine im Städtebau der Folgezeit.
1.1 Inspiration1.1 Inspiration1.1 Inspiration1.1 Inspiration
Es wäre vermessen, alle Anregungen, Vorgängerentwürfe und Inspirationen zum
Entwurf der Ville Contemporaine aufführen zu wollen. Allein in seinen beiden
Büchern jener Zeit „Vers une architecture“ und „Urbanisme“ nennt er derer
unzählige; wie viele mögen ungenannt geblieben sein? Im Laufe der Arbeit wird
augenfällig werden, aus wie vielen Quellen er seine Thesen und seine Entwürfe
speist, zurückgehend bis in die Vorgeschichte. Zahlreiche Reisen haben bei ihm
einen bleibenden Eindruck hinterlassen – sowohl die Ziele, z.B. Istanbul als
auch die Transportmittel, wie die häufigen Bezugnahmen auf Flugzeuge und
Schiffe zeigen. Auch das Leben in der Stadt Paris, die er liebt, hat starke
Wirkung auf ihn, ebenso wie die Männer, die dieser Stadt ihren Stempel
3
aufdrückten: die absolutistischen Könige, Napoleon, Haussmann. Gleichzeitig
ist Paris jedoch auch der Anlass zu der Beschäftigung mit dem Städtebau, da
den herrschenden Problemen seiner Meinung nach noch keine adäquaten
Lösungen entgegengesetzt würden. Wenngleich auch der Plan Voisin die
konkrete Anwendung auf Paris darstellt, so ist es doch meiner Meinung nach
kein Zufall, dass er eine Stadt für drei Millionen Einwohner entwirft – just jene
Zahl, die auch Paris seinerzeit beherbergt1.
Jenseits der Spekulation benennt Le Corbusier seine maßgeblichen Vorbilder
hingegen selbst mit L’Epplatenier, Perret und Garnier2. Seinen Lehrer
L’Eplattenier schätzt er vor allem, weil dieser ihm überhaupt erst einen Zugang
zur Kunst und zur Architektur ermöglichte3. In dieser Zeit, so Kruft, kam er auch
mit den Büchern „L’art de demain“ von Henri Provensal und „Les grands
initiés“ von Edouard Schuré (dass ihm L’Epplatenier schenkte) in Berührung,
die jeweils ein Elite-Denken befürworteten, das, so Kruft weiter, sein gesamtes
Werk bestimmen sollte. Besonders hervorzuheben ist dabei der Umstand, dass
das Buch „L’art de demain“ von 1904 in einem messianischen Stil absolute
Harmoniegesetze proklamiert, sowie eine kubische Architektur und ein am
Menschen orientierter Maßstab gefordert werden4.
Auguste Perret, bei dem er 15 Monate lang tätig war, führte ihn in die
Stahlbetonbauweise ein und prägte Charles-Edouard Jeanneret, wie Le
Corbusiers bürgerlicher Name ist, den Satz „Das Ornament verbirgt immer ein„Das Ornament verbirgt immer ein„Das Ornament verbirgt immer ein„Das Ornament verbirgt immer einen en en en
Konstruktionsfehler“Konstruktionsfehler“Konstruktionsfehler“Konstruktionsfehler“ ein5. Zudem verkündete Perret das Prinzip der
Wolkenkratzerstadt (in Frankreich), führte es jedoch erst später als Le Corbusier
zeichnerisch aus, wodurch sich mit einiger Verspätung herausstellte, dass diese
beiden Männer sehr verschiedene Bilder und Gedanken mit dem gleichen Wort
verbanden6.
Unbedingt zu nennen ist schließlich Tony Garnier, dessen „Ville industrielle“ mit
ihrer Funktionstrennung und den sich durch die ganze Stadt hindurchziehenden
1 Le Corbusier: Städtebau. Stuttgart 1979. S.73.
2 Boesiger, W./ Stonorov, O. (Hg.): Le Corbusier et Pierre Jeanneret. Œuvre Complète 1910 – 1929.
Zürich 1964. S.8f. 3 ebd., S.8.
4 Kruft, Hanno-Walter: Geschichte der Architekturtheorie. München 2004. S.457. Beispielhaft für Le
Corbusiers Elite-Orientierung ist die weiter unten beschriebene Segregation der Bevölkerungs-
gruppen, ist aber auch an anderer Stelle augenfällig. Vgl. z.B. Le Corbusier: Ausblick auf eine
Architektur. Basel, Boston, Berlin 2001.S.85, 96, 114. 5 Boesiger/ Stonorov (Hg.): LC, S.8.
6 LC: Ausblick, S.54. Le Corbusier kritisiert Perrets Entwurf in „Ausblick auf eine Architektur“ als
„gefährlichen Futurismus“.
4
Grünflächen großen Eindruck auf Le Corbusier machte, wenngleich er auch mit
Garniers Konzept generell unzufrieden war, vor allem aufgrund der niedrigen
Bevölkerungsdichte im Zentrum der „Ville industrielle“7.
Weiterhin bezieht er sich auf die jüngere Architektur Wiens und nennt darüber
hinaus Berlage, Tessenow, van de Velde und Behrens als bewundernswerte
Pioniere einer neuen architektonischen Einstellung neben vielen anderen
maßgeblichen Architekten und Künstlern seiner Zeit8.
Le Corbusier setzte sich schon vor der Präsentation der Ville Contemporaine mit
Stadtplanung auseinander. Bereits 1915 entwarf er das Modell einer Stadt auf
Stützen und 1920 als Alternative zu den von ihm verhassten Korridorstraßen
zwischen dichter Blockrandbebauung mit ungesunden Höfen eine neue
Bauordnung mit gegen die Bauflucht versetzten Blöcken, die man als Vorgänger
seiner Blocks auf Zahnschnittgrundriss ansehen kann9.
Fasziniert ist er zudem von der Fiat-Fabrik in Turin, auf deren Dach sich eine
Rennstrecke befindet, um die produzierten Wagen sogleich zu testen – die
Nutzung der Dachflächen soll auch in seinen Entwürfen eine große Rolle
spielen, „denn entbehrt es nicht jeder Logik, daß eine ganze Stadtoberfläche ungenutzt und „denn entbehrt es nicht jeder Logik, daß eine ganze Stadtoberfläche ungenutzt und „denn entbehrt es nicht jeder Logik, daß eine ganze Stadtoberfläche ungenutzt und „denn entbehrt es nicht jeder Logik, daß eine ganze Stadtoberfläche ungenutzt und
dem Têtedem Têtedem Têtedem Tête----àààà----tête der Dachziegel mit den Sternen vorbehalten bleibt?tête der Dachziegel mit den Sternen vorbehalten bleibt?tête der Dachziegel mit den Sternen vorbehalten bleibt?tête der Dachziegel mit den Sternen vorbehalten bleibt?10““““ Seine theoretischen
Grundannahmen, mit welchen er diesem Dilemma und vielen anderen mehr zu
begegnen gedenkt, sollen in Folge angerissen sein.
1.2 1.2 1.2 1.2 Die Großstadt befiehlt allesDie Großstadt befiehlt allesDie Großstadt befiehlt allesDie Großstadt befiehlt alles
Anlässlich seiner Präsentation des Entwurfs einer „Ville Contemporaine pour
trois millions d’habitants“ formuliert Le Corbusier ein Manifest über die
Großstadt. Er geht dabei auf die Umwälzungen der letzten fünfzig Jahre ein, die
in Folge der Industrialisierung, der Landflucht und des Wirtschaftswachstums
sowohl die Form als auch die Funktion der Großstadt verändert haben, wodurch
die Großstadt als solche, wie er sie zu seiner Zeit erlebt, eine gänzlich neue
Qualität (und Quantität) bildet, der man gleichermaßen originell und neuartig
begegnen muss. Er sieht die Großstadt erst am Beginn einer intensiven Krise11.
7 Boesiger/ Stonorov (Hg.): LC, S.9; sowie LC: Ausblick, S.54.
8 Boesiger/ Stonorov (Hg.): LC, S.10.
9 LC: Ausblick, S.58f.
10 Ebd., S.58, 214.
11 LC: Städtebau, S.73.
5
Die Lösung liegt seines Erachtens vorrangig im Städtebau: „Die heutigen Städte „Die heutigen Städte „Die heutigen Städte „Die heutigen Städte
vermögen den Ansprüchen des modernen Lebens nicht zu genügen, wenn man sie nicht den vermögen den Ansprüchen des modernen Lebens nicht zu genügen, wenn man sie nicht den vermögen den Ansprüchen des modernen Lebens nicht zu genügen, wenn man sie nicht den vermögen den Ansprüchen des modernen Lebens nicht zu genügen, wenn man sie nicht den
neuen Bedingungen anpaßt. Die Großstädte regieren das Leben der Völker. Ersticktneuen Bedingungen anpaßt. Die Großstädte regieren das Leben der Völker. Ersticktneuen Bedingungen anpaßt. Die Großstädte regieren das Leben der Völker. Ersticktneuen Bedingungen anpaßt. Die Großstädte regieren das Leben der Völker. Erstickt die die die die
Großstadt, so stirbt das Land mit ihr ab. Um die Städte umzuformen, muß man die Prinzipien Großstadt, so stirbt das Land mit ihr ab. Um die Städte umzuformen, muß man die Prinzipien Großstadt, so stirbt das Land mit ihr ab. Um die Städte umzuformen, muß man die Prinzipien Großstadt, so stirbt das Land mit ihr ab. Um die Städte umzuformen, muß man die Prinzipien
des modernen Städtebaus erforschen.des modernen Städtebaus erforschen.des modernen Städtebaus erforschen.des modernen Städtebaus erforschen.12“ “ “ “
Im Gegensatz zu zahlreichen zeitgenössischen Kollegen (z.B. die auf Ebenezer
Howard zurückgehende und anhaltend populäre Gartenstadtbewegung, Bruno
Taut, der die „Auflösung der Städte“ propagierte oder später Frank Lloyd
Wrights „Broadacre City“) sieht er die Alternative zu den Problemen jedoch nicht
auf dem Land oder in der Kleinstadt, sondern bekennt sich klar zur
Metropole13. Löst man die Probleme der Großstadt, so werden sich gleichzeitig
die Probleme des Landes lösen. Vernachlässigt man hingegen den Städtebau
drohen die Entartung, die Auflösung, das Verschwinden der Stadt und damit
der Niedergang des Landes14. Er bewertet das architektonische Problem sogar
als so gewichtig, dass man nur mehr die Wahl habe zwischen der Baukunst
oder einer Revolution15.
Dass es sich bei einer Großstadt nicht um eine ideale Lebensumwelt für
Familien handelt und „Schwache zermalmt“ werden, nimmt er billigend bis
feierlich zur Kenntnis; auch dies unterscheidet ihn von zahlreichen
Zeitgenossen, die sich intensiv mit sozialen Fragen auseinandersetzten und die
herrschenden Umstände durch eine andere Baukultur zu verbessern oder
mindestens zu mildern suchten. Gerade in der Gnadenlosigkeit der Großstadt
erkennt er die Maschinerie des Fortschritts und die Zelle zur stetigen
Erneuerung des ganzen Landes16. Diesem Umstand muss man sich auch
planerisch anpassen: „Mein Vorschlag ist brutal, weil der Städte„Mein Vorschlag ist brutal, weil der Städte„Mein Vorschlag ist brutal, weil der Städte„Mein Vorschlag ist brutal, weil der Städtebau brutal ist, weil das bau brutal ist, weil das bau brutal ist, weil das bau brutal ist, weil das
Leben brutal ist; das Leben kennt kein Mitleid; das Leben muß sich verteidigen (…)Leben brutal ist; das Leben kennt kein Mitleid; das Leben muß sich verteidigen (…)Leben brutal ist; das Leben kennt kein Mitleid; das Leben muß sich verteidigen (…)Leben brutal ist; das Leben kennt kein Mitleid; das Leben muß sich verteidigen (…)17.“.“.“.“
12
Ebd., S.74. 13
Durth, Werner: Utopie der Gemeinschaft. S.134ff; sowie Eaton, Ruth: Die ideale Stadt. S.147ff,
167f, 209ff; und de Bruyn, Gerd: Die Diktatur der Philanthropen. Braunschweig, Wiesbaden 1996.
S.235. 14
LC: Städtebau, S.11, 74, 85, 251f. 15
LC: Ausblick, S.25. 16
LC: Städtebau, S.79, 89, 250ff. sowie de Bruyn: Philanthropen, S.236, wo konstatiert wird, dass
Le Corbusier keine gesellschaftsutopischen Zielsetzungen habe (was so nicht richtig ist – keine
„sozialistischen“ oder „linken“ gesellschaftsutopischen Zielsetzungen wäre korrekter), sondern der
individuelle Genuss der Karriere an die Stelle von Solidarität getreten sei. 17
LC: Städtebau, S.250.
6
1.1.1.1.3333 Geometrie Geometrie Geometrie Geometrie –––– Lob des rechten Winkels & der Geraden Lob des rechten Winkels & der Geraden Lob des rechten Winkels & der Geraden Lob des rechten Winkels & der Geraden
„Die Stadt von heute stirbt daran, da„Die Stadt von heute stirbt daran, da„Die Stadt von heute stirbt daran, da„Die Stadt von heute stirbt daran, daßßßß sie nicht geometrisch ist. sie nicht geometrisch ist. sie nicht geometrisch ist. sie nicht geometrisch ist.18““““ Le Corbusier war
geradezu besessen von der Geraden und vom rechten Winkel als
Planungsmaßstäbe. Er verband damit einerseits praktische Vorteile wie z.B.
einen rascheren Verkehrsfluss, eine problemlose Dirigierbarkeit, eine bessere
Übersichtlichkeit, vor allem aber eine zivilisatorische Errungenschaft des
Menschen, die Herrschaft der Vernunft, der Regeln, der menschlichen Würde
über das Chaos der Natur. Im Gegensatz dazu entspricht die Krümmung und
das Zickzack (und analog dazu Camillo Sittes Vorstellungen von Städtebau) der
Gedankenlosigkeit und Blödheit des Esels19.
Vorbildhaft sind für ihn die Heerlager und daraus hervorgehenden Städte der
Römer ebenso wie die absolutistischen Achsen des Barock; auch in
außereuropäischen Kulturen wie z.B. im pharaonischen Ägypten, im alten
Babylon und im kaiserlichen China erkennt er die „augenfällige
Vollkommenheit“, „Idee des Ruhmes“ und „höchste Reinheit“, welche aus dem
ordnenden Prinzip des rechten Winkels folgen20. Die Horizontale stellt für ihn
als eine Konstante den „Inbegriff der Unbeweglichkeit“ dar, die Vertikale als
weitere Konstante bildet mit der Horizontalen den rechten Winkel als „Totpunkt
der Kräfte“. Diese unbestreitbaren und unverrückbaren Konstanten halten die
Welt im Gleichgewicht und sind für das menschliche Handeln dringende
Notwendigkeiten21.
Die Kurve dagegen verachtet er als verderblich und bringt sie mit diversen
nichtarchitektonischen Begriffen in Zusammenhang: „Aber ganz sachte, aus „Aber ganz sachte, aus „Aber ganz sachte, aus „Aber ganz sachte, aus
Lässigkeit, Schwäche, Anarchie, aus dem System ‚demokratischer’ Rücksichten, beginnt Lässigkeit, Schwäche, Anarchie, aus dem System ‚demokratischer’ Rücksichten, beginnt Lässigkeit, Schwäche, Anarchie, aus dem System ‚demokratischer’ Rücksichten, beginnt Lässigkeit, Schwäche, Anarchie, aus dem System ‚demokratischer’ Rücksichten, beginnt die die die die
Erstickung Erstickung Erstickung Erstickung [durch Nicht-Geradlinigkeit] von neuem. von neuem. von neuem. von neuem.22““““ Die Krümmung steht im
Gegensatz zu allem, was Le Corbusier für richtig hält. Geometrische Anlagen
können aus praktischen, ästhetischen, militärischen oder ökonomischen
Beweggründen geschaffen werden; jedoch sie allein zeugen von Kultur und
einem Bauherrn, der Ordnung zu schaffen vermag. Man muss, dies versteht er
18
Ebd., S.142. 19
LC: Städtebau, S.X, 5-7, 9, 172f. 20
Ebd, S. 7-9, 16, 23. 21
Ebd, S.18ff. 22
Ebd, S.9. Obwohl sich Le Corbusier selbst als unpolitischen Pragmatiker versteht, sind aus seinen
Ausführungen zur Geometrie politische Sympathien und Distinktionen deutlich lesbar. Seine
Sehnsucht nach strenger zentraler Ordnung jeglichen Daseins im Gegensatz zur Laschheit von
Demokratie oder gar dem Chaos der Anarchie wird in seinen Publikationen immer wieder deutlich.
7
als Aufgabe des Menschen, Geometrie in die Natur respektive in das Chaos
hineintragen23. Von Moos führt die Vorstellungen Le Corbusiers vom Verhältnis
Natur – Geometrie auf dessen Lehrer L’Epplatenier zurück24.
1.1.1.1.4444 Einförmigkeit im Einförmigkeit im Einförmigkeit im Einförmigkeit im EEEEinzelnen, Bewegung im inzelnen, Bewegung im inzelnen, Bewegung im inzelnen, Bewegung im GGGGanzenanzenanzenanzen
Aus dieser Forderung nach Geometrie und Ordnung im Städtebau ergibt sich
die Übertragung auf den Bereich der Architektur. Auch diese soll nach
geometrischen Grundsätzen ausgerichtet sein und insofern dem menschlichen
Bedürfnis nach Ordnung entsprechen, damit kein chaotisches Nebeneinander
verschiedenster Stile, Traufhöhen, Dachneigungen, Baumaterialien etc
entsteht, sondern vielmehr ein harmonisches Ensemble. Gerade in einer Zeit
der Verwirrung (wie Le Corbusier seine Epoche einschätzt) tut es Not, „dem
bitteren, blöden Sturm des Individualismus“ zu entsagen und auch
architektonisch Werte wie Gemeinschaftsgefühl, Mitleid und Liebe zum Guten
zu pflegen25.
Kunststädte wie zum Beispiel Brügge, Venedig, Siena oder Stambul (Istanbul)
entsprechen diesem Ideal, indem sie einerseits bestimmte große
Gesamtabsichten und andererseits eine auffallende Einförmigkeit bzw.
Gleichmäßigkeit des Bauens aufweisen. Die Gebäude sind um ein Zentrum
gruppiert und längs einer Achse geordnet26. Die Achse per se steht immer in
einem engen Zusammenhang mit organischer Erscheinung und einem
harmonischen Gesamteindruck27. Reine Formen („ewige Formen der reinen
Geometrie“) wie Prismen, Kugeln, Pyramiden und Zylinder bewirken Heiterkeit
und Freude des Stadtbilds; das Auge wird nicht ermüdet, sondern durch den
Geist und die Schöpferkraft, die in jeder Form kenntlich wird, belebt28.
Zu einer solchen Formensprache muss zurückgefunden werden, damit sich in
der modernen Großstadt ein Gefühl der Einigkeit und des Zusammenhangs
einstellen kann; dies könne unter Rückgriff auf eine Formel aus der Zeit Ludwig 23
S.16, 229. 24
Von Moos, Stanislaus: Le Corbusier. Elemente einer Synthese. Stuttgart 1968. S.396f: „Die
Geometrie ist sozusagen die Antwort der Vernunft auf die Natur. Zugleich die Fortsetzung der Natur
als Prinzip und die Antithese zur Natur als Zufall und Stimmung. Die Natur hingegen wird zur
Verkörperung kosmischer Gesetzmäßigkeiten, und dies war im Grunde der Gesichtspunkt, unter
dem L’Epplatenier seine Schüler zum Studium der Naturformen angewiesen hatte.“ 25
LC: Städtebau, S.53, 64f. 26
Ebd., S.54, 64. 27
LC: Ausblick, S.151ff. 28
LC: Städtebau, S.54, 57.
8
XIV geschehen, die Chaos und Aufruhr im Ganzen, d.h. eine Komposition, die
reich an kontrapunktierten Elementen ist, und Einförmigkeit im Einzelnen, d.h.
Zurückhaltung, Dezenz, „Ausrichtung“, fordert29.
Dies bedeutet für die zeitgenössische Architektur die Industrialisierung des
Baugewerbes und damit einhergehend als dringende Voraussetzung die
Standardisierung der Materialien und Formen30. „Das monotone, ruhige „Das monotone, ruhige „Das monotone, ruhige „Das monotone, ruhige
Aneinanderreihen unzähliger Zellen wird sich zu großen Architekturbewegungen auswachsen, Aneinanderreihen unzähliger Zellen wird sich zu großen Architekturbewegungen auswachsen, Aneinanderreihen unzähliger Zellen wird sich zu großen Architekturbewegungen auswachsen, Aneinanderreihen unzähliger Zellen wird sich zu großen Architekturbewegungen auswachsen,
Bewegungen, die ganz anderes vorstellen als die dürftige Straße in Gestalt eines KorrBewegungen, die ganz anderes vorstellen als die dürftige Straße in Gestalt eines KorrBewegungen, die ganz anderes vorstellen als die dürftige Straße in Gestalt eines KorrBewegungen, die ganz anderes vorstellen als die dürftige Straße in Gestalt eines Korridors.idors.idors.idors.31““““
Er sollte Recht behalten.
1.1.1.1.5555 Der Tatsache Der Tatsache Der Tatsache Der Tatsache des Geschäfts gerecht werden des Geschäfts gerecht werden des Geschäfts gerecht werden des Geschäfts gerecht werden
Wie bereits unter 1.2 angeklungen ist, sind vor allem veränderte
Rahmenbedingungen Anlass für Le Corbusier, den Städtebau neu zu definieren.
Im Vordergrund stehen für ihn dabei ökonomische Fragen: einerseits die
Anforderungen der Geschäftswelt an die urbane Umgebung (was heute
Standortpolitik heißt) und andererseits das Problem der Bodenspekulation mit
besonderem Augenmerk auf die diesbezügliche Rolle der Stadtverwaltung.
Anhand von Statistiken verfolgt er die beständig steigende Anzahl von
Büroräumen in den Zentren der Städte, wohingegen die Zahl der Wohnungen
abnimmt32. Darin sieht er die Bestimmung der Geschäftswelt – das Zentrum für
sich zu beanspruchen und der Stadt ihren (schnellen) Rhythmus zu diktieren; er
begrüßt ausdrücklich die Herausbildung von international agierenden
Schaltzentralen und feiert die (Geschäfts-)Zentren der Großstädte als „die
Lebenszellen der Welt“33. Allerdings bringt diese funktionale Konzentration
auch Probleme mit sich, vor allem das Problem des sich ebenfalls kontinuierlich
verdichtenden Verkehrs muss dringend gelöst werden (was ich unter Punkt 2.3
behandeln werde). Doch auch der Arbeitsumgebung der Beschäftigten schenkt
er seine Aufmerksamkeit – einerseits der Schmutz und Lärm des Verkehrs und
andererseits die dunklen, stickigen Räume in den kleinteiligen, nicht zu diesem
29
Ebd., S.62, 64. 30
Ebd., S.65f; Von Moos charakterisiert das Gebot der Uniformität und Proportionierung als „die
Verherrlichung der Bürokratisierung sämtlicher Formen des Zusammenlebens“. Von Moos: LC,
S.198. 31
LC: Städtebau, S.67. 32
Ebd., S.99. 33
Ebd., S.82, 84.
9
Zweck gebauten Stadtzentren beeinträchtigen negativ die Gedankenklarheit
und Tüchtigkeit der Angestellten. Nur anhand gut organisierter Stadt- und
Geschäftszentren, die gute Arbeitsbedingungen bieten, kann eine nationale
Wirtschaft die Übermacht über andere (nationale Wirtschaften; Nationen)
erlangen34. Diese Übermacht anzustreben gilt für Le Corbusier als
selbstverständlich und machbar.
Die Errichtung eines neuen Zentrums jenseits des alten Zentrums lehnt er
hingegen als widersinnig ab, da sämtliche Wege des Landes auf das alte
Zentrum der Großstadt ausgerichtet sind und notwendig nur dort Zentrum ist.
Zudem würde die Verlegung des Zentrums die Vernichtung von Staatsvermögen
bedeuten, da die Bodenpreise des alten Zentrums dadurch rapide sinken
würden35, womit ein weiterer wesentlicher Punkt angerissen ist.
Le Corbusier wirbt dafür, dass die Stadtverwaltung oder der Staat großflächig
Boden erwerben, bestehende Bebauung abreißen lassen und das gewonnene
Bauland als finanzielle Reserve oder Staatsvermögen zu betrachten, dass zu
einem späteren Zeitpunkt zu einem Vielfachen der Erwerbskosten veräußert
werden kann. Sowohl die Zentren der Städte als auch ein Gürtel um die Zentren
(„Schutzzone“ bzw. in der Planung der Ville Contemporaine „unfreie Zone“)
betrachtet er als mögliches Terrain für diese Bodenpreispolitik36; als Beispiele
führt er an verschiedener Stelle den Bau der Place Vendome durch Ludwig XIV
und Haussmanns Straßendurchbrüche durch das Zentrum an, die er jeweils als
ökonomische Erfolge bewertet37. Die Kosten, die man für den Erwerb der
Flächen, den Abbruch der Bebauung und den Neubau aufwenden würde sind
nach Meinung Le Corbusiers im Vergleich zur zu erwartenden
Grundwertsteigerung geringfügig; das Zentrum der Großstadt ist eine „Fabrik
von Kapitalien“ zur „Erzeugung von Milliarden und Milliarden“38.
Da man ausländische Investoren an diesem Projekt beteiligen würde, würde
sich darüber hinaus der positive Nebeneffekt einstellen, dass im Ausland eine
starke Lobby alles daran setzen wird, die Zerstörung ihres Kapitals zu
34
Ebd., S.84f. 35
Ebd., S.86. 36
Ebd., S.83, 141. 37
Ebd., S.123ff, 226. 38
Ebd., S.248.
10
verhindern, das heißt, ein solches Projekt würde die Großstadt ebenfalls vor
einem Luftkrieg beschützen39.
1.1.1.1.6666 Wo Wo Wo Wo man baut, pflanzt man Bäumeman baut, pflanzt man Bäumeman baut, pflanzt man Bäumeman baut, pflanzt man Bäume
Als weiteres wichtiges Element des Städtebaus wertet Le Corbusier Pflanzen
und vor allem Bäume; gleich, ob es sich um eine chaotische Stadt
individualistischen Zuschnitts oder eine nach seinen neuen Maßgaben
errichtete Stadt handelt, dienen Bäume als ein Mittel zu physischem und
geistigen Wohlergehen, sie wirken beruhigend und sind von daher in der
erdrückenden Großstadt umso notwendiger. Je mehr man eine Stadt wie ein
Garten oder eine Oase gestaltet, desto lebenswerter wird sie40. Zudem bilden
Bäume wichtige Proportionsmittel und Vermittler zwischen den beunruhigenden
„Riesenbauten“ und dem im Vergleich dazu so winzigen Menschen41.
Dementsprechend widmet sich eine seiner vier Forderungen an einen neuen
Städtebau diesem Thema: „Ve„Ve„Ve„Vergrößerung der Grünflächen rgrößerung der Grünflächen rgrößerung der Grünflächen rgrößerung der Grünflächen als einziges Mittel zur als einziges Mittel zur als einziges Mittel zur als einziges Mittel zur
Sicherung genügender Hygiene und der für die angespannte Arbeit, wie sie der neue Rhythmus Sicherung genügender Hygiene und der für die angespannte Arbeit, wie sie der neue Rhythmus Sicherung genügender Hygiene und der für die angespannte Arbeit, wie sie der neue Rhythmus Sicherung genügender Hygiene und der für die angespannte Arbeit, wie sie der neue Rhythmus
der Geschäfte verlangt, notwendigen Ruheder Geschäfte verlangt, notwendigen Ruheder Geschäfte verlangt, notwendigen Ruheder Geschäfte verlangt, notwendigen Ruhe42““““
Parks von der Größe der Tuilerien, des Jardin du Luxembourg oder des Palais
Royal sollen sich zwischen den von ihm vorgesehenen Wohnanlagen
erstrecken, die ganze Stadt soll ein Riesenpark mit bis zu 85% grüner Fläche
werden; jedoch im Unterschied zur Gartenstadtbewegung bei einer
Bevölkerungsdichte vergleichbar jener des Zentrums von Paris43.
Abstrakt, aber praktikabel umgesetzt sieht er all diese Ansprüche an den
Städtebau in seiner Studie „Ville contemporaine pour trois millions d’habitants“,
die er 1922 im Pariser Herbstsalon (Salon d’automne, ein Forum für Städtebau,
jedoch mit Schwerpunkt auf Detailplanungen wie z.B. Stadtmöblierung) einer
breiten Öffentlichkeit präsentierte. In jedem Fall erhöhte sich durch den Entwurf
sein Bekanntheitsgrad, was durchaus Kalkül gewesen sein könnte: ein
aufsehenerregendes Projekt als Werbung für ein junges Architekturstudio (Le
Corbusier assoziierte sich 1922 mit seinem Cousin Pierre Jeanneret). Aufgrund 39
Ebd., S.249. 40
Ebd., S.69. 41
Ebd., S.68, 197. 42
Ebd., S.87; Kursiv im Original. 43
Ebd., S.89, 195.
11
des großen Interesses, sowohl in Form von Ablehnung, ebenso wie begeisterte
Aufnahme, veröffentlichte er die zugrunde liegenden Annahmen und zahlreiche
bis ins Detail entwickelter Bestandteile seiner Studie als Buch „Urbanisme
(Städtebau)“, dass 1925 erschien44. Die auf diesen Grundlagen geplante Stadt
soll in Folge genauer betrachtet werden.
2. Plan einer Ville Contemporaine
Der Entwurf ist nicht an einen konkreten Landschaftsraum gebunden, sondern
kann wie eine Schablone auf jeden beliebigen Ort angewendet werden – den
Idealfall bildet ein ebenes Terrain in Flussnähe (für den Hafen)45. Der Grundriss
ist streng geometrisch und orthogonal ausgerichtet – sowohl die Gerade als
auch der rechte Winkel gelten Le Corbusier als wichtigste formale
Planungsgrundlagen, wie ich bereits unter Punkt 1.1. zusammengefasst habe.
Die Stadt ist zonal gegliedert in drei zentrale Zonen und des weiteren in eine so
genannte „unfreie Zone“, jenseits derer sich einerseits die Gartenstädte
ausbreiten und ebenfalls eine Industriestadt mit Hafenanlagen vorgesehen
ist46.
Der Straßen- und der Schienenverkehr verlaufen auf jeweils zwei Hauptachsen,
die nach den Himmelsrichtungen nord-südlich und ost-westlich ausgerichtet
sind und die Stadt in ganzer Länge absolut geradlinig durchziehen bzw.
unterqueren und gleichzeitig den Grundriss der Stadt wesentlich gliedern47. Am
Hauptverkehrsknotenpunkt und einigen weiteren wichtigen Verkehrsknoten-
punkten sind Platzdispositionen vorgesehen48. Daneben sind einige wenige,
nicht-funktionale Elemente in den Plan integriert, „klassizistische
Versatzstücke“ (von Moos) wie Triumphbögen an den Hauptachsen,
Säulenmonumente und Kuppelbauten (im öffentlichen Zentrum, s.u.)49, die
44
Von Moos, Stanislaus: LC, S.180; sowie: Boesiger/ Stonorov (Hg.): LC, S.9,34; und: de Bruyn:
Philanthropen, S.238. 45
LC: Städtebau, S.135. 46
Ebd., S.135f. 47
Ebd., S.137. Vgl. die Organisation der römischen Stadt mit den beiden Hauptstraßen decumanus
maximus und cardo maximus, zu denen jeweils parallel kleinere decumani und cardines verliefen.
Nach dem römischen bzw. etruskischen Ideal sollten diese jeweils nach den Himmelsrichtungen
organisiert sein, waren jedoch meist pragmatisch den Gegebenheiten der Landschaft angepasst
(Benevolo: Die Geschichte der Stadt, S.250, 256). 48
LC: Städtebau, S.139, 167. 49
Von Moos: LC, S.192f.
12
allerdings nur auf den Zeichnungen Le Corbusiers erscheinen, jedoch nie im
Text erwähnt werden.
2.1 2.1 2.1 2.1 GliederungGliederungGliederungGliederung
Das Zentrum besteht aus drei verschiedenen Zonen – um den zentralen
Verkehrsknotenpunkt, der gleichzeitig einen Platz mit den gigantischen
Ausmaßen von 2400 x 1500m bildet, gruppieren sich 24 Hochhäuser50. An die
zentrale Geschäftsstadt („City“) schließen sich ein innerer Wohnbereich mit
Blocks in Zahnschnittordnung (Luxuswohnungen) und ein äußerer Wohnbereich
mit um Höfe geschlossenen Blocks (Mittelklassewohnungen) an, in denen
insgesamt bis zu 600.000 „Insassen“ Platz finden sollen51.
Westlich der „City“ ist ein öffentliches Zentrum mit Bildungseinrichtungen,
Verwaltungsgebäuden, Museen, etc vorgesehen, an dass sich weiter westlich
der „Englische Garten“ mit diversen Erholungseinrichtungen anschließt. Dieser
kann jedoch jederzeit einer Stadterweiterung zum Opfer fallen52, wodurch das
eher am Rand befindliche öffentliche Zentrum eine etwas exponiertere,
zentralere Lage einnehmen würde. Da trotz oder gerade wegen der hohen
Bevölkerungsdichte53 eine starke Durchgrünung (von 48% Grünflächen im
Bereich der geschlossenen Häuserblocks bis 95% Grünflächen im Bereich der
„City“54) geplant ist, wäre der Verlust an Grün für die Stadt hinnehmbar.
Allerdings sieht Le Corbusier im Bereich des englischen Gartens eine Pferde-
und eine Radrennbahn, eine Autorennstrecke (umfassende Huldigung der
Geschwindigkeit), ein Stadion, ein Schwimmbad und einen Zirkus vor55, die
allesamt verlagert oder abgeschafft werden müssten.
Rings um diesen zentralen Bereich erstreckt sich die „unfreie Zone“, in welcher
absolutes Bauverbot herrscht. Erstes Ziel der Stadtverwaltung müsse es sein,
50
LC: Städtebau, S.139. 51
Ebd. Allerdings variieren die zugeschriebenen Bevölkerungszahlen (vgl.S.88). An anderer Stelle
hat das Zentrum gar eine Millionen Einwohner, da er auch im Bereich der Geschäftscity 400.000Ew
lokalisiert (Boesiger/ Stonorov (Hg.): LC, S.35). 52
LC: Städtebau, S.141. 53
300Ew/ha entsprechen 30.000Ew/km². 54
Prozentangaben nach LC: Städtebau. S.141, wobei jedoch fraglich ist, was Corbusier als
„Grünfläche“ versteht. Der zentrale Platz weist zwar nach den Entwurfszeichnungen Baumbestand
und Begrünung auf, wirkt jedoch schon aufgrund seiner Funktion kaum wie eine Grünfläche. Zudem
sieht er eine Begrünung der Dächer vor, was in die Berechung mit eingeflossen sein dürfte;
allerdings sind die Dächer nicht allein der Begrünung vorbehalten (s.u.). 55
Boesiger/ Stonorov (Hg.): LC. S.38.
13
dieses Gebiet zu erwerben und im Fall der Stadterweiterung gewinnbringend zu
veräußern. Bis dahin befinden sich in diesem Bereich der Flughafen, diverse
Sportstätten und naturnahe Gebiete (Wiesen und Wälder)56.
Jenseits der unfreien Zone breiten sich quasi ohne räumliche Begrenzung durch
Le Corbusier die Gartenstädte aus, die 2.000.000 oder mehr Menschen
Wohnraum bieten sollen57. Dabei handelt es sich um die „Vorörtler“, die nur
fern der Stadt zweckmäßig leben können und je nach ihrer sozialen Lage in
Villen, Arbeiterhäuschen oder Arbeitermietwohnungen untergebracht sind58.
Die soziale Segregation ist von ihm dabei planerisch vorweggenommen. Er
unterscheidet drei Bevölkerungsgruppen: die Vorstädter bzw. die
Arbeitermassen wohnen in der Gartenstadt und arbeiten in der Fabrikzone. Sie
„kommen nicht in die Stadt“. Zur sozialen Situation dieser Bevölkerungsschicht
wird lapidar angemerkt, dass sich ihr soziales Gleichgewicht leicht in den
Gartenstädten herstellen lassen wird. Ebenfalls in der Vorstadt wohnhaft,
jedoch im Zentrum arbeitend, sind die „Halbstädter“, welche täglich zwischen
Zentrum und Gartenstadt pendeln – dies mag familiäre Gründe haben oder im
Einkommen begründet sein, da für die „Hilfskräfte bis hinab zu den
allerbescheidensten, deren Anwesenheit zu einer bestimmten Zeit im Zentrum
der Stadt notwendig ist“, ein Luxusappartement unerschwinglich sein dürfte
(ebenso wie ihre Präsenz unerwünscht, wenn auch ein notwendiges Übel ist).
Vorstädter wie Halbstädter sind in den Augen Le Corbusiers Personen mit
beschränkterem Schicksal. Im Gegensatz zu diesen steht die dritte Gruppe,
jene der Städter oder Citybewohner, die im Zentrum leben und arbeiten. Bei
ihnen handelt es sich um die ehrgeizige Elite aus Wirtschaft, Politik,
Wissenschaft und Kunst59. Doch nicht nur die Wohnorte, sondern auch das
Verhalten bzw. der Tagesablauf sind den Bewohnern der Stadt von Le Corbusier
vorgegeben. Der Zusammenhang zwischen baulicher Ordnung und
vorweggenommenem Alltag soll in Folge näher ausgeführt werden.
56
LC: Städtebau, S.141. 57
Ebd., S.139. 58
Ebd., S.165. 59
Ebd., S.88, 135.
14
2.2 Bautypen und 2.2 Bautypen und 2.2 Bautypen und 2.2 Bautypen und PrädestinationPrädestinationPrädestinationPrädestination
Le Corbusier hat die Gebäude seiner Idealstadt nicht nur bis auf Elemente der
Innenausstattung durchdacht, sondern ebenso das Leben, das in ihnen
stattfinden soll, vorweggenommen. Er geht dabei von einer individuellen
Vorstellung vom guten Leben aus, die er unterschiedslos allen Einwohnern
„seiner“ Stadt alternativlos anempfiehlt.
Die zentralen Hochhäuser bilden in Le Corbusiers Sprache, die sich
nachdrücklich auf die Funktionalität der Körperorgane bezieht, das Gehirn der
Stadt: die Schaltzentrale der „Befehlsgewalt, nach der sich die Tätigkeit der
Gesamtheit regelt.60“ Jeder Wolkenkratzer erstreckt sich auf einem
Zahnschnittgrundriss, der sowohl ein Maximum an Standfestigkeit als auch an
Helligkeit der Büroräume gewährleisten soll, über 60 Stockwerke und erreicht
so eine Höhe von 220 Metern und ein Fassungsvermögen von 10.000 bis zu
50.000 Angestellten61. Eine optimale Anbindung an den Verkehr soll durch eine
interne U-Bahn-Station und PKW-Stellplätze im Souterrain erreicht werden. Die
Wegeorganisation im Inneren erfolgt mittels fünf Gruppen von Aufzügen und
Treppen62. Le Corbusier geht davon aus, dass einerseits durch die
Geschwindigkeit, die diese Organisation der Gebäude gewährleistet und
andererseits die Arbeitsbedingungen in den großen tageslichtbeleuchteten
Büros die Arbeitszeit der Angestellten wesentlich verkürzt wird, „daß kurz nach
dem Mittag das Tagwerk getan sein wird.63“
Die so gewonnene Freizeit verbringt der Städter nach dem Ansinnen Le
Corbusiers vorrangig mit sportlicher Betätigung, weshalb sich direkt an jeden
Wohnkomplex angegliedert mehrere Sportanlagen befinden64. Darüber hinaus
erstrecken sich zwischen den Blocks auf Zahnschnittgrundriss, den „immeubles
villas“, Abstände von 200, 400 oder 600 Metern, in denen sich Parks von der
Größe der Tuilerien zur Erholung und Muße ausbreiten65. Auch hier ist die
Bevölkerungsdichte sehr hoch: ein Häuserblock von einer Frontfläche von 400
Metern ergibt Viertel von 16 Hektar, in den 50.000 bis 60.000 Einwohner Platz
60
Ebd., S.153, sowie S.52, 61, 260f. 61
Ebd., S. 139, 156f. 62
Ebd., S.156f. 63
Ebd., S.158. Da Le Corbusier in der Regel vom Achtstundentag ausgeht (S.120, 163,165,169,
179), gibt es Grund zur Annahme, dass er den Beginn des Arbeitstags fünf Uhr morgens ansetzt (vgl.
S.120), was auch das Ende des Arbeitstags kurz nach Mittag erklären würde. 64
Ebd., S.168, 178f. 65
Ebd., S.89.
15
finden können; auch hier ist jeder Block mit einer eigenen U-Bahn-Station an
den öffentlichen Verkehr angeschlossen66.
Auch in den Gartenstädten soll durch Verdichtung eine größere Effektivität und
zeitgleich ein größerer Nutz- und Erholungswert für die Anwohner erreicht
werden. Auf der Grundlage eines angenommenen durchschnittlichen
zeitgenössischen Durchschnittshauses auf einem Grundstück von 400m²
berechnet Le Corbusier die Bodennutzung, wenn die Gartenstadthäuser
rationell in Wabenform gestapelt und das jedem Haus „zugehörige“ Grundstück
gemeinschaftlich genutzt wird67. Dadurch entstehen neben vielfältigen
Sporteinrichtungen ebenso landwirtschaftliche Nutzflächen von 4 Hektar
anstelle eines Mosaiks von zahlreichen, lächerlich kleinen individuellen
Gemüsegärten der „Schäferidyllen“ bisheriger Gartenstädte. Diese
landwirtschaftliche Nutzfläche wird wissenschaftlich und industriell von einem
„Landmann“ versorgt und kann von den Anwohnern nach Belieben bestellt und
zur Selbstversorgung genutzt werden. Die bis dato praktizierte Gartenarbeit als
eine „sehr unvollkommene, manchmal sehr gefährliche“ Körperkultur wird
überfällig68. Die romantisierenden Siedlungen mit „Balkönchen“ und
„Gewölbchen“ werden durch moderne, bequeme und annähernd autarke
Gartenstädte unter rationeller Ausnutzung des Terrains und mit ausnehmend
architektonischer Haltung abgelöst69.
In den vornehmen Blocks des Zentrums sorgen dagegen den Eingängen
zugeordnete Diener in lückenloser Schichtarbeit für das Wohlergehen der
Bewohner wie der Gäste, so dass jegliche Hausarbeit wie Kochen, Waschen und
Putzen entfällt – diese Aufgaben werden in zentralen Einrichtungen der Blöcke
von dienstfertigem Personal erledigt. Das für Le Corbusier allem Anschein nach
dringende Problem der unzuverlässigen (insbesondere der weiblichen
bretonischen) Dienstboten wird damit gleichermaßen endgültig gelöst. Die
Betreuung und gutgelaunte Rundumversorgung in den innenstädtischen
66
Ebd., S.138. 67
Ebd., S. 168-171. Vorgesehen sind 100m² Wohnfläche auf zwei Stockwerken und ein 50m² großer
„hängender Garten“ pro Wohneinheit. Die Wohnzeilen bestehen aus jeweils drei versetzt
übereinander gestapelten Wohneinheiten, sind also sechsstöckig. In den Entwurfszeichnungen
werden die Wohnzeilen von Bäumen überragt (S.170f), was die Frage nach den
Verhältnismäßigkeiten stellen lässt, wenn man sich vor Augen führt, wie niedrig entweder die
Deckenhöhe oder wie groß der Baum sein muss, auf dass sechs Stockwerke ohne weiteres überragt
werden können. Wollte auch Le Corbusier seine Gartenstädte „idyllischer“ präsentieren als sie je
hätten sein können? 68
Ebd., S.168f. 69
Ebd., S.169-171.
16
Wohnblöcken gleicht jener von Ressorthotels (sogar an „Turnlehrer“, die „alt
und jung täglich [!] zweckmäßige Übungen machen lassen“ ist gedacht)70.
Inwiefern bei diesem hochgradigen Versorgtsein überhaupt noch eine
Selbstversorgung möglich (und erwünscht) ist, wird aus der Literatur nicht
deutlich – angesichts der Tatsache, dass Zentralmarkthallen in Frage gestellt
werden71 und auf Konsum nur in Zusammenhang mit „Luxusläden“ Bezug
genommen wird72, präzisiert sich allerdings das Bild des zwar gut versorgten,
aber gleichzeitig auch hochgradig abhängigen Bewohners insbesondere des
Innenstadtbereichs. Zugunsten größerer Mobilität liebäugelt Le Corbusier
ebenfalls mit einer typisierten und normierten Möblierung (im Idealfall auf
internationaler Ebene) der (gleichermaßen standardisierten) Appartements73,
so dass sich die Frage nach der Restgröße der Individualität der Lebensräume
umso dringender stellt – ein menschliches Bedürfnis, das Le Corbusier
zugunsten seiner Ideale gänzlich auszublenden bzw. bestenfalls auf Details zu
beschränken bestrebt ist.
Ein Beispiel für ein solches Zugeständnis ist die generelle Organisation der
Wohnungsgrundrisse, die das Ausrichten geselliger Abende und die individuelle
Bestimmung des wohnungsinternen Geräuschpegels ermöglichen, und zwar
vermittels der Wabenform, die sich durch das Übereinanderstapeln von
zahlreichen einzelnen Häusern, jeweils mit einer Terrasse versehen
(„hängender Garten“) zu den großen Strukturen der geschlossenen Blocks bzw.
der Blocks auf Zahnschnittgrundriss herausbildet74. Neben der
Geräuschisolierung sorgt die Terrasse bzw. der Garten für eine umfassende
Belüftung der Wohnungen – die Blocks werden zu „einem Riesenschwamm, der
Luft saugt75“; man kann dies ebenso wie die Sonnenbäder auf den
Dachterrassen und die zahlreichen Sportangebote auf die gesteigerte
Aufmerksamkeit zurückführen, die in jener Zeit der Stadthygiene galt, wobei
man vor allem durch mehr Licht und Luft eine Verbesserung des
Gesundheitszustands der Stadtbewohner erreichen wollte76.
70
Ebd., S.177-179, 184. 71
Ebd., S.184. 72
Ebd., S.197. 73
Ebd., S.191. 74
Ebd., S.177ff. Für größere Gesellschaften befinden sich zusätzlich Festsäle auf den Dächern der
Blocks (S.179). 75
Ebd., S,179. 76
Ipsen, Detlev: Moderne Stadt – was nun? In: Becker, Heidede/ Jessen, Johann/ Sander, Robert:
Ohne Leitbild? Städtebau in Deutschland und Europa. Stuttart, Zürich 1998. S.48ff.
17
Jede dieser zu Blocks übereinander gestapelten Villen nimmt einen vollkommen
exakten Würfel ein und ist gänzlich unabhängig von den Nachbarvillen, von
denen sie durch den integrierten Garten getrennt ist. Geräumige Treppen- und
Korridoranlagen erschließen (stellenweise verschiedene Blocks miteinander
über die Fahrbahnen hinweg) jeweils etwa 100 bis 150 Villen77. Das
Erdgeschoss eines jeden Blocks ist der oben beschriebenen
Rundumversorgung der Bewohnerschaft gewidmet; es bildet „eine umfassende
Fabrik häuslichen Betriebes“ mit Kühlräumen, Magazinen, Lagern, Küchen,
Restaurants, Wäschereien, Dienst – und Verwaltungsräumen etc78. Die
Finanzierung all dessen soll mittels eines Kauf-Pacht-Systems funktionieren,
dass im Gegensatz zum „altersschwach gewordenen alten Eigentums-System“
den Vorteil habe, dass an die Stelle der Miete vergleichsweise niedrige
Zinstilgungen treten79. Die Organisation der Gebäude firmiert unter dem immer
wiederkehrenden Motto „Freiheit durch Ordnung“ und schließt mit der
quasireligiösen Glücksverheißung, dass der Griesgram nicht mehr griesgrämig
sein wird80.
2.32.32.32.3 Verkehrsplanung Verkehrsplanung Verkehrsplanung Verkehrsplanung
In seinen allgemeinen Ausführungen zur Großstadt (Urbanisme, Kapitel 7)
formuliert Le Corbusier vier Forderungen, die seiner Ansicht nach die
notwendigen Grundlagen des modernen Städtebaus darstellen – darunter
befindet sich je ein Punkt zur Steigerung der Bevölkerungsdichte und zur
Vergrößerung der Grünflächen, hingegen zwei Punkte zur Verkehrsplanung
(Entlastung des Zentrums und Steigerung der Verkehrsmittel), was gut
veranschaulicht, welche Bedeutung er diesem Thema beimisst81. Die alten
Städte können der modernen Wirklichkeit nicht mehr gerecht werden, da sich
zuerst durch die Eisenbahn und später durch das Automobil die Bewegung des
Verkehrs zuungunsten der Straßen des Zentrums geändert hat und darüber
hinaus die Konzentration des Geschäftslebens im Zentrum diese Entwicklung
77
LC: Städtebau. S.179. 78
Ebd., S.183f, auch „Erdgeschoßfabrik“. 79
LC: Ausblick, S.189. 80
LC: Städtebau, S.188. 81
Ebd., S.87.
18
noch verstärkt; Folge dessen ist die zunehmende Verkehrsverstopfung des
Zentrums, „die Grossstadt (…) b„die Grossstadt (…) b„die Grossstadt (…) b„die Grossstadt (…) begeht Selbstmord“egeht Selbstmord“egeht Selbstmord“egeht Selbstmord“82.
Diese Missstände von vornherein zu vermeiden (bzw. wie beim Plan Voisin zu
beseitigen) ist eine der grundlegendsten Intentionen Le Corbusiers und um
dieses Ziel zu erreichen beruft er sich auf seine vertrauten Werte: strenge
Ordnung, Geradlinigkeit, Zentralität und Effizienz. Dementsprechend sieht er
eine minutiöse Trennung von Straßen-, Schienen- und Fußgängerverkehr vor
und betont sowohl die Vergrößerung der Verkehrsfläche an sich, wie auch der
„rollende[n] Fläche (Gefährte)“ und der entsprechenden Stellplätze83. Da
Kreuzungen ein „Feind des Verkehrs“ sind, werden die 50 Meter breiten
Straßen in einem Abstand von 400 Metern zueinander angelegt84. Unbedingt zu
vermeiden sind aus hygienischen und ästhetischen Gründen Korridorstraßen
zwischen eng gedrängten Häuserblocks wie in alten Städten – was durch den
Bautyp des Zahnschnittblocks erreicht werden kann85. Straßenbahnen
identifiziert er als dem Autoverkehr hinderlich sowie „platzraubend“ und spricht
sich ausdrücklich gegen dieses Transportmittel aus86. Verkehrsbehinderungen
wegen Tiefbauarbeiten werden ebenso der Vergangenheit angehören, da die
Kanalisation in den Bereich des Lastverkehrs (s.u.) verlegt und dadurch an
jeder Stelle zugänglich sein wird87. Die Straße soll als „eine Art Fabrik von
Länge“ oder „Verkehrsmaschine“ fungieren88.
So ordnet er den Straßen-, ebenso wie den Schienenverkehr drei verschiedenen
Kategorien zu, auf dass jeder Verkehr seine eigene Verkehrsebene erhalte:
schwere Lastfuhrwerke und der gesamte Lieferverkehr verkehren unterirdisch,
wo ihre Fracht be- und entladen werden kann, ohne dass sie den restlichen
Verkehr aufhalten. Zu diesem Zweck stehen sämtliche Gebäude des Zentrums
auf Pfeilern, um diese Lieferzone zu schaffen. Auf Bodenhöhe findet der
kurzstreckige Verkehr der Anwohner und Pendler statt und schließlich führen
auf geräumigen Betonwällen zwei Durchgangsautobahnen in Nord-Süd, bzw.
82
Ebd., S.82, 99f. 83
Ebd., S. 89, 101, (gedeckte unterirdische Garagen unter den Hochhäusern) S.153, 156, („jede Villa
hat ihre Garage“)S.179. 84
Ebd., S.89, 137. 85
Ebd., S.67, 89, 136f, 196. sowie LC: Ausblick, S.58. Was jedoch, wenn nicht Korridorstraßen,
sind die Verkehrswege in den Wohngebieten des Zentrums in Blockstruktur? (vgl. insb. Abb. S.182f,
185) 86
LC: Städtebau, S.138; sowie LC: Ausblick, S.57. 87
LC: Städtebau, S.136; sowie LC: Ausblick, S.57. 88
LC: Städtebau, S.106, 136.
19
Ost-West-Ausrichtung mitten durch die Innenstadt, die aller 800 bis 1200 Meter
Auf- und Abfahrten zum Niveau der normalen Straßen aufweisen89.
Gleichermaßen auf drei Ebenen, allesamt unterirdisch, verläuft der
Schienenverkehr. Zwei Geschosse unterhalb der Durchgangsautobahn verläuft
die Untergrundbahn, die bis zu den äußersten Punkten der Gartenstädte führt.
Ein Geschoss tiefer verlaufen die Vorort-Ringbahnen, die schleifenförmig
geführt sind und schließlich, eine weiteres Geschoss tiefer, der
Schienenfernverkehr90. Sämtliche Schienenwege treffen sich im einzigen
Bahnhof, der gleichzeitig den Hauptverkehrsknotenpunkt des Straßenverkehrs
darstellt, den einer Radnabe gleich zentralen Punkt der geometrischen
Stadtanlage bildet und gleichzeitig sowohl als „zentraler Platz“ (mit
zweifelhaftem Platzcharakter) wie als Landepunkt für Lufttaxis fungiert91.
Dieser zentrale Verkehrsknoten funktioniert auf sieben übereinander
gelagerten Ebenen: auf der obersten Ebene die Lufttaxis, darunter in Folge der
Kreuzungspunkt der Autobahnen, der Kreuzungspunkt des Straßenverkehrs auf
Bodenniveau und der Zugang für Fußgänger zu den unterirdischen
Schienenwegen, wiederum tiefer auf zwei Ebenen der Kreuzungspunkt der
Metro, schließlich darunter die Vorortzüge und letztendlich im dritten
Untergeschoss der Bahnhof des Schienenfernverkehrs92. Die Vorortzüge
verkehren dabei wiederholt auf ihren Schleifen, „in ununterbrochener Fahrt (in
einer Richtung) alle paar Minuten“ – eine Anleihe aus dem zeitgenössischen
Berlin93.
Diese Verkehrsmaschinerie mag monumental anmuten, doch ist sie gleichzeitig
Zeugnis einer Zeit mit geringerem Verkehrsaufkommen und Le Corbusier
erweist sich nicht unbedingt als Vordenker, wenn man die Pläne genauer
betrachtet. So ist einerseits erstaunlich, dass er den Linienfernverkehr jeweils
in einem Kopfbahnhof enden lässt und nicht durchgängig passieren, obwohl er
89
Ebd., S.137. Der Abstand der Auf- und Abfahrten ergibt sich aus dem immer wiederkehrenden
Idealabstand von 400m, der sowohl zwischen zwei U-Bahnstationen als auch zwischen jeder
Kreuzung auf Bodenhöhe liegen sollte, um Stauungen zu vermeiden. Jede zweite oder dritte Straße
des Zentrums kann also unmittelbar von der Schnellstraße erreicht werden. Ob die Autobahnen
tatsächlich auf „Dämmen“ liegen sollten oder vielleicht auch auf Pfeilern lässt sich weder aus dem
Text noch aus den Zeichnungen eindeutig erschließen. 90
Ebd., S.138f. 91
Ebd., S.138. 92
Ebd., S.148f. 93
Ebd., S.147f.
20
einräumt, dass ein durchgängiger Verkehr von Vorteil wäre94 – was mindestens
eine weitere Verkehrsebene erfordern würde. Noch merkwürdiger jedoch mutet
die Planung des Autobahnkreuzes an: ausgerechnet der „Blitzverkehr“, der in
der „allergrößten Geschwindigkeit“ abgewickelt werden soll, trifft in einem
zentralen Kreisverkehr aufeinander. Eine „ins Unendliche“ gesteigerte Zahl von
Pkws, die mit „100 Kilometer[n] in der Stunde“ in einen belebten Kreisverkehr
einfährt95, kann man sich letztendlich nur als absurdes Katastrophenszenario
vorstellen. Möglicherweise hat sich Le Corbusier von den großen
Kreisverkehren Étoile und Nation in Paris inspirieren lassen, die seinerzeit dem
Straßenverkehr große Dienste erwiesen (heute jedoch nurmehr durch ihre
zentrale Bündelung zahlreicher Hauptverkehrsstraßen neuralgische Punkte
bilden).
Außerhalb des Zentrums, in der unfreien Zone, befindet sich ein Hauptflughafen
(dessen Nebenstelle der Hafen für Lufttaxis auf dem zentralen Platz bildet), der
vermittels einer Gürtelbahn an sämtliche existierende Schienenwege
angeschlossen ist96, sowie ein Flusshafen nahe den Industrieanlagen für die
Abwicklung des Güterverkehrs97.
3. Der Plan Voisin
Paris ist nach Meinung Le Corbusiers krank, von einem lebensgefährlichen
Krebs (das Verkehrsproblem) befallen und die Mediziner (die Stadtbauräte)
begegnen dieser Bedrohung unengagiert und feige; es werden keine Initiativen
zur Rettung der Stadt vor dem Untergang ins Chaos ergriffen, sondern nur
geredet und an den Symptomen herumgedoktort (punktueller Abriss und
Neubau, gelegentliche geringfügige Verbreiterung der Straßen)98. Dass Paris
während der Jahrhunderte seines Bestehens lebensfähig geblieben ist,
verdankt sich lediglich den gewagten Eingriffen des Absolutismus, Napoleons I
und vor allem Haussmanns, dank derer breite Schneisen durchs Zentrum
94
Ebd., S.138, 149. Offenbar hat er diese Unzulänglichkeit seiner Planungen selbst bemerkt und
räumt sie beim Plan Voisin aus (S.240). 95
Ebd., S.137, 144, 148, 153. 96
Ebd., S.138. 97
Ebd, S. 135. Eine weitere Bezugnahme auf einen Hafen befindet sich auf S.160, wobei es sich
jedoch nicht um eine Zeichnung Le Corbusiers handeln dürfte und die eher als Veranschaulichung
„rationeller Arbeitsweise“ dient, dementsprechend aber seinen Vorstellungen eines Hafens
wahrscheinlich sehr nahe kommt. 98
Ebd., S.213f.
21
geschlagen wurden und so die Arterien geschaffen wurden, dank derer Verkehr
in der Stadt überhaupt erst möglich wurde; gleichzeitig entstanden Platz- und
Grünanlagen, die die Stadt lebenswerter und schöner machten99. Le Corbusier
sieht für seine Zeit die dringende Notwendigkeit, wiederum massiv in die
Stadtstruktur einzugreifen, um aktuelle Probleme zu lösen: „Wohin eilen die „Wohin eilen die „Wohin eilen die „Wohin eilen die
Automobile? Ins Zentrum! Es gibt keine befahrbare Fläche im Zentrum. Man muß sie schaffen. Automobile? Ins Zentrum! Es gibt keine befahrbare Fläche im Zentrum. Man muß sie schaffen. Automobile? Ins Zentrum! Es gibt keine befahrbare Fläche im Zentrum. Man muß sie schaffen. Automobile? Ins Zentrum! Es gibt keine befahrbare Fläche im Zentrum. Man muß sie schaffen.
Man muß das Zentrum abreißen.Man muß das Zentrum abreißen.Man muß das Zentrum abreißen.Man muß das Zentrum abreißen.100““““ Und da die Probleme des Zentrums wesentlich
durch Automobile verursacht wurden und werden, bietet es sich regelrecht an,
das Patronat für dieses Projekt einem Automobilunternehmen anzutragen, was
im Falle des Unternehmens Voisin gelingt: so erhält der Plan Le Corbusiers, das
Zentrum von Paris gänzlich umzugestalten, den Titel „Plan Voisin“101.
Dieser Plan beinhaltet den großflächigen und umfassenden Abriss des
Zentrums mit Ausnahme einiger weniger unveräußerlicher Baudenkmäler und
den anschließenden Bau einer Hochhausstadt mit Wohn- und
Geschäftsfunktionen nach dem Muster der Ville Contemporaine, die von einer
Ost-West-Achse mit erhöhter Autobahn parallel zu den Champs-Elysées
durchzogen wird102. Die engen kreuzungsreichen Straßen des alten Paris sollen
durch bis zu 120 Meter breite Schneisen, die nur alle 400 Meter auf eine
Kreuzung treffen, ersetzt werden. Zwischen den Straßen erhebt sich eine
Hochstadt mit Wolkenkratzern auf kreuzförmigen Grundriss (entsprechend
jenen der Ville Contemporaine), um die herum sich große Parks und Parkplätze
erstrecken. Zwischen dem Grün erheben sich von Zeit zu Zeit einige der
wenigen verbliebenen Monumente des alten Paris103. Zwischen der westlichen
Wohncity und der östlichen Geschäftscity mit den Büros, Ministerien und Hotels
würde sich ein neuer unterirdischer Bahnhof befinden, der wesentlich zur
Abwicklung des Verkehrs beitrüge104. Le Corbusier beschreibt diese Planung in
dem für ihn charakteristischen Tonfall: „„„„Von nun an tritt an die Stelle und an den Platz Von nun an tritt an die Stelle und an den Platz Von nun an tritt an die Stelle und an den Platz Von nun an tritt an die Stelle und an den Platz
einer plattgewalzteeiner plattgewalzteeiner plattgewalzteeiner plattgewalzten Haufenstadt, die uns mit Entsetzen erfüllt, wenn sie sich, vom Flugzeug n Haufenstadt, die uns mit Entsetzen erfüllt, wenn sie sich, vom Flugzeug n Haufenstadt, die uns mit Entsetzen erfüllt, wenn sie sich, vom Flugzeug n Haufenstadt, die uns mit Entsetzen erfüllt, wenn sie sich, vom Flugzeug
99
Ebd., S.216-229. 100
Ebd., S.101. 101
Ebd., S.233. 102
Ebd., S.234ff. 103
Ebd., S.235f, 241. Da die Kirchen in den vollständig beseitigten Quartieren Marais und Temple
unbedingt bestehen bleiben sollen, stellt sich die Frage, wie diesen zu begegnen wäre, wenn sie dem
geraden Verlauf der Straßen oder der regelmäßigen Anordnung der Wolkenkratzer im Weg stünden.
Derartige Detailfragen bleiben jedoch unbeantwortet. 104
Ebd., S.234, 240.
22
aus gesehen, zum erstenmal unseren Augen so zeigt, wie sie wirklich ist, eine Hochstadt, aus gesehen, zum erstenmal unseren Augen so zeigt, wie sie wirklich ist, eine Hochstadt, aus gesehen, zum erstenmal unseren Augen so zeigt, wie sie wirklich ist, eine Hochstadt, aus gesehen, zum erstenmal unseren Augen so zeigt, wie sie wirklich ist, eine Hochstadt,
dargeboten der Luft und dem Licht, schimmernd in Klarheit und strahlend.dargeboten der Luft und dem Licht, schimmernd in Klarheit und strahlend.dargeboten der Luft und dem Licht, schimmernd in Klarheit und strahlend.dargeboten der Luft und dem Licht, schimmernd in Klarheit und strahlend.105““““
Dabei sieht er seine Geschäftscity nicht als etwas Wesensfremdes, das ins
Zentrum implantiert wird, sondern als eine Fortsetzung der urbanen
Traditionslinie von Ludwig XIV über Haussmann hin zu sich selbst. Darüber
hinaus erweist er seiner französischen Wahlheimat einen großen Dienst, indem
er ihr einen Mittelpunkt der Leitung und des Befehls schaffen würde; „Die „Die „Die „Die
vorgesehenen 18 Wolkenkratzer können also 500 000 bis 700 000 Personen bergen, die vorgesehenen 18 Wolkenkratzer können also 500 000 bis 700 000 Personen bergen, die vorgesehenen 18 Wolkenkratzer können also 500 000 bis 700 000 Personen bergen, die vorgesehenen 18 Wolkenkratzer können also 500 000 bis 700 000 Personen bergen, die
Armee, die das Land regiert.Armee, die das Land regiert.Armee, die das Land regiert.Armee, die das Land regiert.106““““
3.1 Exkurs: Abrissmentalität3.1 Exkurs: Abrissmentalität3.1 Exkurs: Abrissmentalität3.1 Exkurs: Abrissmentalität
Der Plan, den größten Teil der rive droite von Paris abzureißen, ruft heute
möglicherweise heftigeres Kopfschütteln als in den zwanziger Jahren hervor.
Zwar mokiert sich Le Corbusier schon präventiv und an verschiedenen Stellen
über Traditionsvereine und ihrem Festklammern an „schmiedeeisernen
Gittern“, sowie über traditionalistisches respektive antimodernes Denken im
Allgemeinen107, doch der Widerstand richtete sich damals nicht gegen
Corbusier, sondern gegen den Abriss alter Gebäude und Quartiere zugunsten
von Neubauten, der bereits allerorten im Gange war.
Dies hat zwar seinerzeit bereits Widerstand hervorgerufen, war jedoch
keineswegs eine unvorstellbare Ungeheuerlichkeit. In Paris dürften noch
genügend Zeitzeugen der Umbauarbeiten nach den Plänen Haussmanns am
Leben gewesen sein108, ebenso wie in den meisten anderen europäischen
Großstädten einerseits der Abbruch der Stadtmauern und andererseits die
großen Stadtumbau, -neubau und –erweiterungsmaßnahmen erst gut 30 Jahre
(oder weniger) Vergangenheit gewesen sein dürften. Massive Einschnitte in den
Stadtbestand waren weder technisch, noch ideell undenkbare Maßnahmen,
sondern oft genug Realität oder nahe Vergangenheit.
Zumal Le Corbusier mit seinem Wunsch nach tabula rasa keineswegs allein
war, und dies quer durch das gesamte politische Spektrum. Pointierter als
Steffen Krämer es tat, lässt es sich kaum ausdrücken: „Nicht nur die Ablehnung „Nicht nur die Ablehnung „Nicht nur die Ablehnung „Nicht nur die Ablehnung
105
Ebd. 235f. 106
Ebd., S.237. 107
Ebd., S.81, 214, 231, 238 (um nur einige Beispiele anzuführen). 108
Zumal diese von den 1850er Jahren bis in die 1890er Jahre anhielten. Benevolo, Leonardo: Die
Stadt in der europäischen Geschichte. München 1999. S.197, 213ff.
23
einer künstlerischen Dimension führte zu einer Vernachlässigung oder bewußten Mißachtung einer künstlerischen Dimension führte zu einer Vernachlässigung oder bewußten Mißachtung einer künstlerischen Dimension führte zu einer Vernachlässigung oder bewußten Mißachtung einer künstlerischen Dimension führte zu einer Vernachlässigung oder bewußten Mißachtung
der vorhandenen städtischen Strukturen. Eine generelle der vorhandenen städtischen Strukturen. Eine generelle der vorhandenen städtischen Strukturen. Eine generelle der vorhandenen städtischen Strukturen. Eine generelle Aversion gegen die bestehende Stadt, Aversion gegen die bestehende Stadt, Aversion gegen die bestehende Stadt, Aversion gegen die bestehende Stadt,
die nur als der klägliche Ausdruck einer rückständigen und für überholt erklärten Vergangenheit die nur als der klägliche Ausdruck einer rückständigen und für überholt erklärten Vergangenheit die nur als der klägliche Ausdruck einer rückständigen und für überholt erklärten Vergangenheit die nur als der klägliche Ausdruck einer rückständigen und für überholt erklärten Vergangenheit
aufgefaßt wurde, kennzeichnet die Denkweise einer Vielzahl moderner Architekten zu Beginn aufgefaßt wurde, kennzeichnet die Denkweise einer Vielzahl moderner Architekten zu Beginn aufgefaßt wurde, kennzeichnet die Denkweise einer Vielzahl moderner Architekten zu Beginn aufgefaßt wurde, kennzeichnet die Denkweise einer Vielzahl moderner Architekten zu Beginn
des 20. Jahrhunderts.des 20. Jahrhunderts.des 20. Jahrhunderts.des 20. Jahrhunderts.109““““
Die Vorbehalte waren einerseits hygienischer Natur, vor allem aber zielten sie
auf die Symbole der bzw. des „Alten“, ihre „karnevalistischen Dekorationen“
(Sant’Elia/ Marinetti) und ihren „Plunder“ (Taut)110. Ebenso fordern Gropius,
Hilberseimer und der Arbeitsrat für Kunst die „Beseitigung der künstlerisch
wertlosen Denkmäler sowie aller Bauten, deren Kunstwert im Missverhältnis zu
dem Wert ihres brauchbaren Materials steht“111 – was nach den Maßstäben
der Genannten ein nicht unwesentlicher Anteil alles Gebauten sein dürfte.
Das tiefe Gefühl der Krisenhaftigkeit, der Schwäche und Dekadenz der
zeitgenössischen Gesellschaft und ihrer Kultur rief die genannten heftigen
Reaktionen hervor, die sich an den Symbolen dieser Gesellschaft entladen
wollten; Le Corbusier formulierte es selbst so: „Die Vignetten, Lampen und Girlanden, „Die Vignetten, Lampen und Girlanden, „Die Vignetten, Lampen und Girlanden, „Die Vignetten, Lampen und Girlanden,
die köstlichen Ovale, in denen sich zu Dreiecken zusammengefügte Tauben noch und noch die köstlichen Ovale, in denen sich zu Dreiecken zusammengefügte Tauben noch und noch die köstlichen Ovale, in denen sich zu Dreiecken zusammengefügte Tauben noch und noch die köstlichen Ovale, in denen sich zu Dreiecken zusammengefügte Tauben noch und noch
schnäbeln, die mit kürbisförmigen Kissen aus Samt, in Gold und Schwarz ausstaffierten schnäbeln, die mit kürbisförmigen Kissen aus Samt, in Gold und Schwarz ausstaffierten schnäbeln, die mit kürbisförmigen Kissen aus Samt, in Gold und Schwarz ausstaffierten schnäbeln, die mit kürbisförmigen Kissen aus Samt, in Gold und Schwarz ausstaffierten
Boudoirs, sind nur noch unerBoudoirs, sind nur noch unerBoudoirs, sind nur noch unerBoudoirs, sind nur noch unerträglich gewordene Zeugen eines Geistes, der längst tot ist. Diese träglich gewordene Zeugen eines Geistes, der längst tot ist. Diese träglich gewordene Zeugen eines Geistes, der längst tot ist. Diese träglich gewordene Zeugen eines Geistes, der längst tot ist. Diese
Weihestätten, stickig von Kokain oder sonst wovon, diese Albernheiten schwächlichen Weihestätten, stickig von Kokain oder sonst wovon, diese Albernheiten schwächlichen Weihestätten, stickig von Kokain oder sonst wovon, diese Albernheiten schwächlichen Weihestätten, stickig von Kokain oder sonst wovon, diese Albernheiten schwächlichen
Bauernstils beleidigen uns. Wir sind auf den Geschmack reiner Luft und vollen Lichts Bauernstils beleidigen uns. Wir sind auf den Geschmack reiner Luft und vollen Lichts Bauernstils beleidigen uns. Wir sind auf den Geschmack reiner Luft und vollen Lichts Bauernstils beleidigen uns. Wir sind auf den Geschmack reiner Luft und vollen Lichts
gekommen.gekommen.gekommen.gekommen.112““““
Hier wird überdeutlich, was auch Krämer konstatiert: Le Corbusier war
überhaupt nicht daran gelegen, sich an bestehenden Gegebenheiten zu
orientieren und seinen Entwurf bzw. seine Vorstellungen in das Vorgefundene
zu integrieren. Die Radikalität des Plan Voisin lässt sich nicht als eine
unsensible Durchsetzung von ingenieurtechnischen Maßnahmen und
städtebaulichen Verbesserungen eines technikbegeisterten Jungarchitekten
abtun, sondern propagiert in der Gesamtheit der Planung einen durchdachten
Befreiungsschlag gegen eine als morbide angesehene Stadttextur und
Gesellschaft113.
109
Krämer, Steffen: Die postmoderne Architekturlandschaft. Hildesheim, Zürich, New York 1998.
S.270. 110
Ebd., S.270f. 111
Ebd., S.273. 112
LC: Ausblick, S.78. 113
Krämer 1998, S.272.
24
Wie Krämer weiter ausführt, trägt das damalige Verhältnis zum (Stadt-) Raum
zu dieser Einstellung wesentlich bei. Er liest die Architekturtheorie jener Zeit so,
dass der Außenraum ein rein gedanklicher oder gar nur quantitativer Wert ist,
dessen Erscheinung und Qualität als konkreter Ort keine Rolle spielt und frei
organisiert werden kann. In Anlehnung an Peterson will auch Krämer die
moderne Raumkonzeption als anti-urban verstanden wissen114.
De Fusco fügt dieser Perspektive jedoch eine Facette hinzu, indem er zwar
einerseits einräumt, dass Le Corbusier an der Entmachtung symbolischer
Formen interessiert war, die er für überholt und ihrer Bedeutung entleert hält,
um sie durch eine funktionalistische Architektur zu ersetzen. De Fusco gibt
jedoch zu bedenken, dass „selbst, wenn man dieser Reduktion des Symbols auf die Form „selbst, wenn man dieser Reduktion des Symbols auf die Form „selbst, wenn man dieser Reduktion des Symbols auf die Form „selbst, wenn man dieser Reduktion des Symbols auf die Form
zustimmt, kann sie doch keinen Anspruch auf Totalität stellen. Es gibt immer Überbleibsel und zustimmt, kann sie doch keinen Anspruch auf Totalität stellen. Es gibt immer Überbleibsel und zustimmt, kann sie doch keinen Anspruch auf Totalität stellen. Es gibt immer Überbleibsel und zustimmt, kann sie doch keinen Anspruch auf Totalität stellen. Es gibt immer Überbleibsel und
Rückstände, die auf den symbolischen Rückstände, die auf den symbolischen Rückstände, die auf den symbolischen Rückstände, die auf den symbolischen Wert der Form auch jenseits ihrer praktischen Wert der Form auch jenseits ihrer praktischen Wert der Form auch jenseits ihrer praktischen Wert der Form auch jenseits ihrer praktischen
Bestimmung hinweisen.Bestimmung hinweisen.Bestimmung hinweisen.Bestimmung hinweisen.115““““ Der Bezeichnung „Funktionalismus“ sei mithin
irreführend. Selbst wenn der Gebrauchswert des Gebauten stark betont wird, so
kann andererseits gesagt werden, wie Cohen anmerkt, dass gerade bei Le
Corbusier ein sich antiakademisch gerierender Monumentalismus festzustellen
ist, bei dem jedes Gebäude zum Monument (und somit auch zum Symbol) wird.
Nicht umsonst stellt er seine Wolkenkratzer in einer Skizze für den Plan Voisin
als eine Art moderne Entsprechung neben Notre Dame, Invalidendom und
Triumphbogen116.
4. Rezeption und Wertung
Das Konzept der Ville Contemporaine wurde seit seiner Veröffentlichung 1922
umfassend diskutiert. In seiner Wirkungsmacht ist dieser Entwurf schwer zu
unterschätzen; Generationen von Architekten setzten sich mit den
theoretischen und praktischen Werken Le Corbusiers auseinander und
kreierten aus dieser fruchtbaren Auseinandersetzung ihre eigenen Pläne.
Dies lässt sich bis in die zwanziger Jahre zurückverfolgen, in denen z.B.
Hilbersheimer mit der Hochhausstadt und Molnár mit der KURI-Stadt explizit
114
Ebd., S.277. 115
De Fusco, Renato: Architektur als Massenmedium. Anmerkungen zu einer Semiotik der gebauten
Formen. Gütersloh 1972. S.14. 116
Cohen, Jean-Louis: Das Monumentale: latent oder offenkundig. In: Schneider, Romana/ Wang,
Wilfried: Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 2000. Macht und Monument. Ostfildern-
Ruit 1998. S.81.
25
Gegenentwürfe zur Ville Contemporaine veröffentlichten. Ging es ersterem
darum, die Flächennutzung und vorrangig die Verkehrsplanung zu kritisieren, da
diese den Verkehr nur verlagere, aber nicht mindere, lehnt Molnár grundlegend
den hierarchischen Aufbau der exemplarisch kapitalistischen Stadt Le
Corbusiers ab und entwirft im Gegenzug eine Stadt aus völlig gleichen Modulen,
die jeweils eigene Funktionseinheiten bilden. Beide Architekten stehen politisch
eher links und wollen der „parasitären“ Dienstleistungs- und Finanzbranche auf
keinen Fall einen zentralen (ideologischen wie räumlichen) Platz in der Stadt
einräumen117.
Jedoch blieben die (Ideal-)Pläne jener Zeit ungebaut. Jahrzehnte später,
besonders ab den fünfziger Jahren, erforderte der Wiederaufbau der zerstörten
Städte Europas eine pragmatischere Auseinandersetzung mit urbanistischen
Konzepten. Da Le Corbusier durch die CIAM und der in Folge entstandenen
Veröffentlichungen auf diesem Gebiet weiter an Gewicht gewonnen hatte,
flossen seine Ansätze in großem Umfang in die Wiederaufbaukonzepte
zahlreicher Städte ein oder wurden mindestens zur Disposition gestellt. Die zu
jener Zeit und bis in die siebziger Jahre propagierten städtebaulichen Leitbilder
„Urbanität durch Dichte“ und „gegliederte aufgelockerte Stadt“ weisen in ihrer
Konzeption zahlreiche Parallelen zu Le Corbusiers Ville Contemporaine auf (z.B.
Durchgrünung großer Flächen bei vielgeschossiger Bebauung), selbst wenn sie
in der Konsequenz deutlich „abgeschwächt“ waren118.
Ein Aspekt der Ville Contemporaine befand sich immer im Fokus der Kritik und
das, wie oben ausgeführt, bereits seit den zwanziger Jahren: die Orientierung
am Kapitalismus respektive an der Geschäftswelt. De Bruyn erkennt in dieser
Planungsstrategie die Absicht, die Reibungsverluste in der Organisation von
Arbeit und Freizeit minimieren zu wollen, um dadurch die wirtschaftliche
Effizienz des städtischen Organismus zu steigern. Der Stolz auf die Entwicklung
der daraus hervorgegangenen Gesellschaft soll die ebenso in Folge
entstandene Vereinsamung und Anonymität überstrahlen. Der Kampf dieser
Gesellschaft wird nicht gegen einen Klassenfeind geführt, sondern gegen
117
Banik-Schweitzer, Renate: Städtebauliche Visionen, Pläne und Projekte 1890 – 1937. In: Blau,
Eve/ Platzer, Monika: Mythos Großstadt. Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa 1890 –
1937. München, London, New York 1999. S.68f. 118
Sieverts, Thomas: Was leisten städtebauliche Leitbilder? In: In: Becker, Heidede/ Jessen, Johann/
Sander, Robert: Ohne Leitbild? Städtebau in Deutschland und Europa. Stuttart, Zürich 1998. S.31,
34f.
26
kulturelle Unterentwicklung, Traditionalismus und Maschinenstürmerei; das
Soziale weicht dem Formalen, da Ästhetik als wichtigerer Planungsmaßstab
herangezogen wird denn Politik, Technik und/ oder Soziologie. Folge davon sei,
dass die funktionelle Trennung der Stadt in der Geometrie erstarre und der
Stadtplan nicht mehr ist als ein Ornament119.
Kruft schließt sich diesem Urteil differenziert an, indem auch er urteilt, dass die
Stadt zu einem geometrischen Muster werde, dass der demiurgisch Ordnung
setzende Architekt aus der Flugzeugperspektive schafft. Er verweist jedoch
stärker auf die politische Dimension des Entwurfs und bezeichnet ihn als in
jeder Hinsicht totalitär. Aus dieser Perspektive seien auch die zahlreichen
Bezugnahmen auf Richelieu, Colbert, Ludwig XIV, Napoleon I und Haussmann
zu erklären, ebenso wie Le Corbusiers spätere Kooperationsbereitschaft mit der
Vichy-Regierung120.
Banik-Schweitzer hingegen will den Entwurf insbesondere im Rahmen der
breiten Fordismus-/ Taylorismus-Rezeption im Europa dieser Jahre, die von den
westlichen Industrieländern bis in die Sowjetunion reichte, verstanden wissen.
Verständnisvoll legitimiert sie die Planung mit den Worten: „Totale „Totale „Totale „Totale
Funktionstrennung war tatsächlich die rationellste räumliche Organisationsform für eine Funktionstrennung war tatsächlich die rationellste räumliche Organisationsform für eine Funktionstrennung war tatsächlich die rationellste räumliche Organisationsform für eine Funktionstrennung war tatsächlich die rationellste räumliche Organisationsform für eine
Gesellschaft, in der eine große Zahl vonGesellschaft, in der eine große Zahl vonGesellschaft, in der eine große Zahl vonGesellschaft, in der eine große Zahl von Menschen zur selben Zeit den selben Ort aufsuchte Menschen zur selben Zeit den selben Ort aufsuchte Menschen zur selben Zeit den selben Ort aufsuchte Menschen zur selben Zeit den selben Ort aufsuchte
oder denselben Ortswechsel vornahm.oder denselben Ortswechsel vornahm.oder denselben Ortswechsel vornahm.oder denselben Ortswechsel vornahm.121““““ Dass dies so klar nicht ist, zumal aus der
heutigen Perspektive, veranschaulicht beispielhaft der Fakt, dass dem Thema
„Funktionsmischung“ im Band „Ohne Leitbild? Städtebau in Deutschland und
Europa“ ein ganzes Kapitel gewidmet ist, wenn auch mit dem Untertitel „Ein
umstrittenes Leitbild“122.
5. Zusammenfassung
Zusammenfassend möchte ich nochmals zentrale Prinzipien, die der Planung
zugrunde lagen, wiederholen. Le Corbusier wollte mit seinem Entwurf die
Probleme der zeitgenössischen Stadt lösen, indem er die Großstadt als eine
effiziente, geordnete und einförmige Metropole entwirft, deren Hauptaufgabe es
ist, kapitalistische Wertschöpfung und zentralisierte Machtausübung 119
de Bruyn: Philanthropen, S.236-241. 120
Kruft: Architekturtheorie, S.462. 121
Banik-Schweitzer: Visionen, S.67. 122
Becker, Heidede/ Jessen, Johann/ Sander, Robert (Hg.): Ohne Leitbild? Städtebau in Deutschland
und Europa. Stuttgart, Zürich 1998. S.16, 241-346.
27
bestmöglich zu gewährleisten. Diesem Anliegen gemäß entwirft er eine
architektonisch avantgardistische Wohn- und Geschäftsstadt, deren Form aus
drei zentralen Prinzipien erschlossen wurde: Bodenpreis, Verkehrsführung und
Stadthygiene. Diesem Entwurfsmuster entsprechend ist eine soziale
Segregation nach den gleichen Prinzipien planerisch vorgesehen.
Dementsprechend kann nur eine geometrische Ordnung Ausdruck des neuen
Zeitalters und des neuen Menschen sein; darauf aufbauend hat Le Corbusier
seine Ville Contemporaine dreidimensional und vom Detail bis zum Stadtplan
kartesisch organisiert. Von vorrangiger Wichtigkeit sind die Reservierung des
Zentrums für das Geschäftsleben und die daraus folgende Verkehrsentwicklung
sinnvoll zu kanalisieren. Das Leben der Einwohner ist ebenso nach diesen
Maßgaben organisiert.
Alles hat mit einem Höchstmaß an Rationalität und Effizienz zu funktionieren;
die gesamte Stadt, ebenso wie ihre Bewohnerschaft, existiert lediglich um der
Funktion Willen. Individuelle Wünsche und Vorstellungen oder gar alternative
und widersprüchliche Lebensentwürfe der Einwohner sind nicht vorgesehen
und finden in der Planung im doppelten Wortsinn keinen Platz. Der sogenannte
zentrale Platz ist lediglich ein Verkehrsraum und stellt ein Vakuum der
Öffentlichkeit dar, welches sich von diesem Schnittpunkt aus mindestens bis in
die unfreie Zone ausbreitet.
Die Gartenstädte, die sich jenseits davon befinden, deuten sich auf dem
Stadtplan lediglich an und werden planerisch ebenso vernachlässigt, wie ihre
Bewohner geringgeschätzt werden. Die seinerzeit oft diskutierte „soziale Frage“
bedarf keiner Klärung, sondern werde sich in diesem hierarchisch streng
gegliederten Gemeinwesen von selbst lösen; selbstverständlich ohne die
herrschende Elite in Frage zu stellen. Die zahlreichen vorgesehenen
„Erleichterungen“ und Annehmlichkeiten täuschen nur wenig darüber hinweg,
dass es sich bei der Ville Contemporaine um einen brutal sozialdarwinistischen
Entwurf einer totalitär gesteuerten Gesellschaft handelt.
28
6. Quellenverzeichnis
Banik-Schweitzer, Renate: Städtebauliche Visionen, Pläne und Projekte 1890 – 1937. In: Blau, Eve/ Platzer, Monika: Mythos Großstadt. Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa 1890 – 1937. München, London, New York 1999. Benevolo, Leonardo: Die Geschichte der Stadt. Frankfurt/ Main, New York 1983. Benevolo, Leonardo: Die Stadt in der europäischen Geschichte. München 1999. Boesiger, Willy/ Stonorov, Oscar (Hg.): Le Corbusier et Pierre Jeanneret. Œuvre Complète 1910 – 1929.
Zürich 1964. Cohen, Jean-Louis: Das Monumentale: latent oder offenkundig. In: Schneider, Romana/ Wang, Wilfried:
Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 2000. Macht und Monument. Ostfildern-Ruit 1998. S.81.
De Bruyn, Gerd: Die Diktatur der Philanthropen. Entwicklung der Stadtplanung aus dem utopischen
Denken. Braunschweig, Wiesbaden 1996. De Fusco, Renato: Architektur als Massenmedium. Anmerkungen zu einer Semiotik der gebauten Formen.
Gütersloh 1972. Durth, Werner: Utopie der Gemeinschaft. Überlegungen zur Neugestaltung deutscher Städte 1900 – 1950. In: Schneider, Romana/ Wang, Wilfried: Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 2000. Macht und Monument. Ostfildern-Ruit 1998. Eaton, Ruth: Die ideale Stadt. Von der Antike bis zur Gegenwart. Berlin 2003. Ipsen, Detlev: Moderne Stadt – was nun? In: Becker, Heidede/ Jessen, Johann/ Sander, Robert: Ohne Leitbild? Städtebau in Deutschland und Europa. Stuttart, Zürich 1998. Krämer, Steffen: Die postmoderne Architekturlandschaft. Hildesheim, Zürich, New York 1998. Kruft, Hanno-Walter: Geschichte der Architekturtheorie. München 2004. Le Corbusier: Städtebau. Stuttgart 1979. Le Corbusier: Ausblick auf eine Architektur. Basel, Boston, Berlin 2001. Reinborn, Dietmar: Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1996. Sieverts, Thomas: Was leisten städtebauliche Leitbilder? In: In: Becker, Heidede/ Jessen, Johann/ Sander, Robert (Hg.): Ohne Leitbild? Städtebau in Deutschland und Europa. Stuttgart, Zürich 1998. Von Moos, Stanislaus: Le Corbusier. Elemente einer Synthese. Stuttgart 1968.