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E r wusste, dass er ein toter Mann war. Von dem Moment an, als er dem israelischen Soldaten hinter sich, auf dem Autositz, ins Gesicht schoss, wusste er, sie würden ihn bekommen. Frü- her oder später. Für Mahmud al-Mabhuh dauerte es zwei Jahrzehnte bis zum Später. Am Mit- tag des 20. Januar 2010 öffneten Ange- stellte des Flughafenhotels Bustan Rotana in Dubai die Tür des Zimmers 230 und fanden die Leiche eines Mannes im Bett. „Gehirnblutung“ schrieb der Arzt in den Totenschein. Da wusste noch niemand, um wen es sich bei diesem Toten handelte. Mahmud al-Mabhuh galt als Chef-Waffenhändler der palästinensischen Hamas. Der Ver- bindungsmann nach Teheran. Der Logis- tiker hinter den Raketenangriffen aus dem Gaza-Streifen auf Israel. So jemand stirbt nicht an Gehirnblu- tung. So jemand ist schon lange vorher tot. Montag, 18. Januar 2010 Auf dem Internationalen Flughafen von Dubai landen täglich mehr als 100 000 Pas- sagiere. Das Emirat ist einer der belieb- testen Fluchtorte vor dem Winter der nördlichen Hemisphäre geworden. Die Temperaturen sind sommerlich, die Ho- tels erstklassig, legendär die Shopping- Malls. Doch jene 27 Fluggäste, die in den nächsten Stunden in Dubai eintreffen, mit Maschinen aus diversen europäischen Städten, sind nicht zum Shoppen gekom- men und auch nicht zur Winterfrische. Sie haben einen Auftrag. Zwölf von ihnen haben britische Pässe, sechs haben irische, jeweils vier haben französische und australische, und einer hat einen deutschen Pass, ausgestellt vom Einwohnermeldeamt Köln auf den Na- men Michael Bodenheimer. Die meisten der 27 sind Mitglieder einer Eliteeinheit des israelischen Ge- heimdienstes Mossad, zuständig für die riskantesten Einsätze, für Sabotagen, SpionageOperationen und für Mord- anschläge. Diese Eliteeinheit heißt „Cae- sarea“, benannt nach der antiken Stadt in Palästina, wo einige Führer des zweiten jüdischen Aufstands gegen Rom zu Tode gemartert wurden. Die 27 warten auf einen anderen Mann, von dem sie wissen, dass er ein toter Mann ist. Einige der Caesarea-Leute waren schon vorher, im Februar, März und Juni 2009, nach Dubai geflogen. Sie hatten „Plasma Screen“ beobachtet. Das war der Code-Name für Mabhuh. Sie wollten si- chergehen, dass sie den richtigen Mann im Auge hatten. Und sie hatten sich mit den Türschlössern einiger Hotels vertraut gemacht. Im Juli 1973 hatte ein Mossad-Komman- do in der norwegischen Stadt Lilleham- mer einen marokkanischen Kellner er- mordet, in der irrigen Annahme, der sei ein PLO-Terrorist. Mehrere Agenten ka- men ins Gefängnis, Israel zahlte den Hin- terbliebenen eine Entschädigung. Der Nimbus des Mossad litt. So etwas durfte nicht noch einmal passieren. Vielleicht ist auch die Wahl des Code- Namens ein Fehler. Denn bald schon flimmern Bilder der Operation „Plasma Screen“ auf Abertausenden Flachbild- schirmen um die Welt. Viele Fragen aber bleiben zunächst offen, viele Details ungeklärt. Ein Jahr später, nach Recher- chen in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), in Israel, den USA und Europa, nach Gesprächen mit zufällig Beteiligten, mit Polizisten und Nach- richtendienstlern kann der SPIEGEL nun die zentralen Handlungsstränge nach- zeichnen, die zwischen dem 18. und dem Titel der spiegel 3/2011 96 Auge um Auge, Mord um Mord Im Frühjahr 1989 bringt ein palästinensischer Terrorist einen israelischen Soldaten um. 20 Jahre später schickt der israelische Geheimdienst Mossad ein Agenten-Team nach Dubai, um die Tat zu rächen. Die Operation gelingt – und endet doch in einer Blamage. Eine Rekonstruktion. Zielperson Mabhuh (vorn) auf dem Weg in sein Zimmer im Bustan-Hotel, Mossad-Verfolger

Titel Auge um Auge, Mord um Mord - DER SPIEGEL

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Er wusste, dass er ein toter Mannwar. Von dem Moment an, als erdem israelischen Soldaten hinter

sich, auf dem Autositz, ins Gesicht schoss,wusste er, sie würden ihn bekommen. Frü-her oder später.

Für Mahmud al-Mabhuh dauerte eszwei Jahrzehnte bis zum Später. Am Mit-tag des 20. Januar 2010 öffneten Ange-stellte des Flughafenhotels Bustan Rotanain Dubai die Tür des Zimmers 230 undfanden die Leiche eines Mannes im Bett.„Gehirnblutung“ schrieb der Arzt in denTotenschein.

Da wusste noch niemand, um wen essich bei diesem Toten handelte. Mahmudal-Mabhuh galt als Chef-Waffenhändlerder palästinensischen Hamas. Der Ver-bindungsmann nach Teheran. Der Logis-tiker hinter den Raketenangriffen ausdem Gaza-Streifen auf Israel.

So jemand stirbt nicht an Gehirnblu-tung. So jemand ist schon lange vorhertot.

Montag, 18. Januar 2010

Auf dem Internationalen Flughafen vonDubai landen täglich mehr als 100000 Pas-sagiere. Das Emirat ist einer der belieb-testen Fluchtorte vor dem Winter der

nördlichen Hemisphäre geworden. DieTemperaturen sind sommerlich, die Ho-tels erstklassig, legendär die Shopping-Malls. Doch jene 27 Fluggäste, die in dennächsten Stunden in Dubai eintreffen, mitMaschinen aus diversen europäischenStädten, sind nicht zum Shoppen gekom-men und auch nicht zur Winterfrische.Sie haben einen Auftrag.

Zwölf von ihnen haben britische Pässe,sechs haben irische, jeweils vier habenfranzösische und australische, und einerhat einen deutschen Pass, ausgestellt vomEinwohnermeldeamt Köln auf den Na-men Michael Bodenheimer.

Die meisten der 27 sind Mitglieder einer Eliteeinheit des israelischen Ge-heimdienstes Mossad, zuständig für dieriskantesten Einsätze, für Sabotagen,Spionage Operationen und für Mord -anschläge. Diese Eliteeinheit heißt „Cae-sarea“, benannt nach der antiken Stadtin Palästina, wo einige Führer des zweitenjüdischen Aufstands gegen Rom zu Todegemartert wurden.

Die 27 warten auf einen anderen Mann,von dem sie wissen, dass er ein toterMann ist.

Einige der Caesarea-Leute warenschon vorher, im Februar, März und Juni

2009, nach Dubai geflogen. Sie hatten„Plasma Screen“ beobachtet. Das war derCode-Name für Mabhuh. Sie wollten si-chergehen, dass sie den richtigen Mannim Auge hatten. Und sie hatten sich mitden Türschlössern einiger Hotels vertrautgemacht.

Im Juli 1973 hatte ein Mossad-Komman-do in der norwegischen Stadt Lilleham-mer einen marokkanischen Kellner er-mordet, in der irrigen Annahme, der seiein PLO-Terrorist. Mehrere Agenten ka-men ins Gefängnis, Israel zahlte den Hin-terbliebenen eine Entschädigung. DerNimbus des Mossad litt. So etwas durftenicht noch einmal passieren.

Vielleicht ist auch die Wahl des Code-Namens ein Fehler. Denn bald schonflimmern Bilder der Operation „PlasmaScreen“ auf Abertausenden Flachbild-schirmen um die Welt. Viele Fragen aberbleiben zunächst offen, viele Details ungeklärt. Ein Jahr später, nach Recher-chen in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), in Israel, den USA undEuropa, nach Gesprächen mit zufällig Beteiligten, mit Polizisten und Nach -richtendienstlern kann der SPIEGEL nundie zentralen Handlungsstränge nach-zeichnen, die zwischen dem 18. und dem

Titel

d e r s p i e g e l 3 / 2 0 1 196

Auge um Auge, Mord um MordIm Frühjahr 1989 bringt ein palästinensischer Terrorist einen israelischen Soldaten um. 20 Jahre

später schickt der israelische Geheimdienst Mossad ein Agenten-Team nach Dubai, um dieTat zu rächen. Die Operation gelingt – und endet doch in einer Blamage. Eine Rekonstruktion.

Zielperson Mabhuh(vorn) auf dem Wegin sein Zimmer imBustan-Hotel, Mossad-Verfolger

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Pässe mit gefälschten Identitäten der „Caesarea“-Einheit: Zuständig für Sabotagen, Spionage-Operationen und für Mordanschläge

20. Januar 2010 in Dubai zusammen -laufen.

Einer dieser Handlungsstränge ist derdeutsche: Auch Michael Bodenheimer, deram 19. Januar um 0.14 Uhr gelandet ist,hat seine Ankunft lange vorher geplant.Die Geschichte seines Passes lässt sich ge-nau rekonstruieren. Sie ist wichtig. Dennsie ist ein Beleg dafür, dass tatsächlich Israels Geheimdienst hinter dem steckt,was in den nächsten Stunden passiert.

Am Sonntag, dem 29. März 2009, wa-ren mit der Lufthansa-Maschine aus TelAviv zwei Männer nach Köln gekommen,die jeden Kontakt zueinander zu vermei-den suchten. Sie saßen in getrennten Rei-hen und stellten sich bei der Passkontrollein unterschiedlichen Schlangen an. Einerder Männer hieß seinen Papieren zufolgeAlexander Varin, der zweite Michael Bo-denheimer.

Am nächsten Morgen hatten Varin undBodenheimer einen Termin bei einemKölner Anwalt. Alexander Varin, der sich„Krisenberater“ nannte, kannte ihn be-reits, er hatte Ende 2008 für Michaels Va-ter Hans Bodenheimer, angeblich ein Op-

fer des Nazi-Regimes, die deutsche Staats-bürgerschaft beantragt. Nazi-Verfolgteund deren Kinder und Enkel können lautGrundgesetz einen Antrag auf Wieder-einbürgerung stellen.

Als Bodenheimers Geburtsdatumnannten die Israelis dem deutschen An-walt den 15. Juli 1967, als Geburtsort dasisraelische Dorf Liman an der Grenzezum Libanon. Offenbar eine falsche An-gabe: In Liman kennt niemand einenMann namens Bodenheimer. Als letztenWohnort vor seinem Umzug nachDeutschland gab Bodenheimer eineAdresse in der israelischen Stadt Herzlijaan. Das Gebäude in der Jad-Haruzim-Straße 7 hat vier Stockwerke, im Erdge-schoss ist ein Geschäft für Nobelküchen.

Auch diese Adresse erweist sich alsfalsch: In der Eingangshalle hängt eine

blaue Tafel mit 19 Namen, darunter auchder von „Michael Budenheimer“. Ganzoben auf der Tafel steht der Name „TopOffice“.

Im Internet bietet „Top Office“ unteranderem „virtuelle Büros“ an: „LassenSie Ihren Firmennamen auf dem Tür-schild anbringen!“ Als der SPIEGEL beiTop Office anruft, meldet sich eine Frau,die sich als „Iris“ vorstellt. Ihren Nach-namen will sie nicht nennen. Als derName Bodenheimer fällt, beendet sie dasGespräch. Zwei Tage später sind die Na-men „Michael Budenheimer“ und „TopOffice“ auf der Tafel im Foyer des Büro-gebäudes von Herzlija weggeschrubbt.

In Köln reichte der deutsche Anwaltim März 2009 die Papiere ein. Als Boden-heimer und Varin drei Monate später zu-rückkehrten, checkten sie in einem Köl-ner Hotel ein. Dabei geschieht der nächs-te Fehler: Alexander Varin gibt in demHotel einen anderen Namen an, er heißtjetzt „Uri Brodsky“. Beim Anwalt bleibter dagegen bei seinem alten Namen Alex -ander Varin. Diese Vermischung zweierIdentitäten ist ein unverzeihlicher Fehler,

denn die Ermittler vom deutschen Bun-deskriminalamt (BKA) werden späterschnell herausfinden, dass es sich um einund denselben Mann handelt.

Am 17. Juni 2009 mietete Michael Bo-denheimer, um seine deutsche Legendeabzurunden, eine kleine Wohnung imher untergekommenen Kölner Bahnhofs-viertel, Eigelstein 85. Dem Vermieter er-zählte Bodenheimer, er sei Trainer einerTriathlonmannschaft. Die Miete zahlte erbar.

Am 18. Juni 2009 holte er seinen neuendeutschen Reisepass ab. Er war nun BĂĽr-ger einer der glaubwĂĽrdigsten Nationender Welt.

Sieben Monate später, am 19. Januar2010, steht Bodenheimer am Flughafenin Dubai. Er und seine Kollegen wissenseit einer Woche, dass ihr Opfer morgen

in Dubai eintreffen wird. Sie wissen nochnicht, in welchem Hotel der Mann ab-steigt. Sie wissen nur, dass er nicht mehrauschecken wird.

Alles ist bereit. Nun muss nur das Op-fer noch kommen.

Dienstag, 19. Januar 2010, am frĂĽhen Morgen

Mahmud al-Mabhuh macht sich auf denWeg zum Internationalen Flughafen vonDamaskus. Als VIP lässt er sich von hin-ten an den Terminal fahren und wartetin der Lounge, bis das Gepäck aufgege-ben, der Pass gestempelt ist. Mabhuh reistdiesmal allein.

Im vergangenen FrĂĽhjahr hat er demFernsehsender al-Dschasira ein Interviewgegeben. Es ging um die Ermordung zwei-er israelischer Soldaten im Jahr 1989.Mabhuhs Gesicht war vom Sender un-kenntlich gemacht worden, aber IsraelsGeheimdienst konnte die Stimme schnellzuordnen.

Der Hamas-Mann schilderte in allenEinzelheiten, wie er und ein Komplizesich als orthodoxe Juden verkleidet hatten,wie sie im FrĂĽhjahr 1989 die beiden Sol-

daten Avi Sasportas und Ilan Saadon ent-führt, getötet und verscharrt hatten. Siehatten auf den Leichen herumgetrampeltund sich fotografiert. Gefragt, ob er dieTat bereue, antwortete Mabhuh, er be-dauere nur eines: nicht auch dem zweitenIsraeli ins Gesicht geschossen zu haben.Doch habe er leider am Steuer gesessen.

„Red Page“ ist der Code für einenMordauftrag an den israelischen Geheim-dienst Mossad. Jeder dieser Befehle wirdvom israelischen Premierminister unddem Verteidigungsminister gemeinsamautorisiert. „Red Pages“ müssen abernicht sofort ausgeführt werden: Rote Sei-ten haben kein Ablaufdatum – sie bleibenunbegrenzt gültig, so lange, bis sie aus-drücklich aufgehoben werden.

Mabhuh hatte seine Rote Seite gleich1989 bekommen. Die Israelis sind emp-

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Mabhuh-Opfer Sasportas, Saadon, Mossad-Opfer Mabhuh: Ins Gesicht geschossen

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findlich, wenn einer ihrer Soldaten in Uni-form entfĂĽhrt oder ermordet wird.

Mabhuh wurde 1960 im Flüchtlings -lager Dschabalija im Gaza-Streifen gebo-ren. Sein Name bedeutet „der Heisere“.Als junger Mann schloss er sich der Mus-limbruderschaft an. Er war dabei, als derislamistische Mob begann, palästinensi-sche Kaffeehäuser zu verwüsten, in de-nen Glücksspiel betrieben wurde.

Ende der achtziger Jahre wurde er vonden israelischen Besatzungstruppen miteiner Kalaschnikow im Gepäck festge-nommen und zu einem Jahr Haft verur-teilt. Er sei im Gefängnis gefoltert wor-den, erzählte er.

Nach seiner Entlassung ging Mabhuhzum militärischen Flügel der gerade ge-gründeten islamistischen Bewegung Ha-mas. Es war die Zeit der ersten Intifada.

Die meisten Palästinenser kämpften mitSteinschleudern und Molotowcocktails ge-gen die Besatzer. Mabhuh plante Morde.

1988 bekam er das Kommando überdie „Einheit 101“ der Hamas. Die Entfüh-rung und Ermordung der beiden israeli-schen Soldaten in der Negev-Wüste warder Beweis, dass er der richtige Mann fürdiesen Posten war.

Die ersten Monate nach der Tat ver-steckte er sich im Gaza-Streifen, dannfloh er nach Ägypten. Die Regierung inKairo erwog zunächst, ihn vor Gerichtzu stellen oder an Israel auszuliefern,fürchtete aber einen Aufstand der Mus-limbruderschaft und deportierte den Ha-mas-Mann nach Libyen.

Später zog Mabhuh weiter nach Jorda-nien, wo er einen Hamas-Stützpunkt auf-baute. Von dort schmuggelte er Waffen

ins palästinensische Westjordanland undplante Anschläge gegen israelische Tou-risten. 1995 wurde er, wie später die ge-samte Hamas-Führung, des Landes ver-wiesen und ließ sich in Damaskus nieder.Dort knüpfte er Kontakt zu den irani-schen Revolutionswächtern.

Mabhuh besorgte Geld und Raketen inIran und sammelte Spenden in den Golf-staaten, um die Terroranschläge der zwei-ten Intifada zu finanzieren. Hatte die Ha-mas ihren Krieg gegen Israel bislang mitunlenkbaren Kurzstreckenraketen ge-führt, gelangten unter der Führung Mab-huhs Geschosse größerer Reichweite inden Gaza-Streifen.

Im Februar 2009 überlebte Mabhuh imSudan nur knapp einen israelischen Droh-nenangriff auf einen der Konvois. DieLaster waren vermutlich mit iranischen„Fadschr“-Raketen beladen.

Die Hamas und Iran – kaum jemandverkörperte die beiden Todfeinde Israelsso sehr wie Mahmud al-Mabhuh. Es wur-de Zeit, die Rote Seite umzublättern.

Mabhuh bewegte sich ständig zwischenChina, Iran, Syrien, Sudan und den VAE.Dubai schien dem Mossad der beste Ortfür ein Attentat. Die Stadt ist offen fürTouristen und Geschäftsleute, die Einrei-se mit einem westlichen Pass ist unpro-blematisch.

Im November 2009 scheiterte ein ersterMordversuch. Ein Caesarea-Kommandohatte versucht, Mabhuh zu töten, mögli-cherweise mit Gift, das man auf Licht-schalter und Armaturen in seinem Hotel-zimmer schmierte. Das Opfer wurdekrank, aber überlebte.

Beim nächsten Mal, so schworen sichdie Agenten, würden sie so lange in Du-bai bleiben, bis sie Mabhuhs Tod eigen-händig feststellen könnten.

Am frĂĽhen Morgen des 19. Januar 2010um 1.10 Uhr landen die beiden letztenCaesarea-Agenten in Dubai, sie kommenaus Paris: Gail Folliard und Kevin Dave-ron. Zusammen mit dem aus ZĂĽrich ein-geflogenen Peter Elvinger bilden sie dasoperative Kommando.

Dienstagvormittag, 19. Januar 2010

Im Unterschied zu anderen Dienstenkann der Mossad seinen Agenten keineechten Pässe mit falscher Identität aus-stellen. Die wichtigsten seiner Einsatzlän-der haben keine diplomatischen Bezie-hungen zu Israel. Auch noch so harmloseTouristen würden bei der Einreise festge-halten werden, wenn sie einen israeli-schen Pass dabeihätten. Deswegen ver-wendet Israels Geheimdienst in der Regeldie Pässe von Israelis mit doppelterStaatsbürgerschaft oder auch gefälschtePässe anderer Nationen.

Peter Elvinger und seine Leute sind inverschiedenen Hotels abgestiegen. IhrePässe sind, mit Ausnahme des deutschen,gefälscht. Sie operieren wie Avatare unter

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Tatort Hotel Bustan: Eine Leiche im Bett von Zimmer 230

einer gestohlenen Identität. Die tatsäch-lichen Personen desselben Namens wer-den später aussagen, von dem Einsatzkeine Ahnung gehabt zu haben.

Der erste Teil der Operation ist ge-glĂĽckt. Das Caesarea-Kommando ist si-cher und unbemerkt in Stellung ge -gangen.

Elvinger und seine Leute bezahlen imHotel entweder bar oder mit Prepaid-Geldkarten der US-Firma Payoneer. Daswird sich als einer der Fehler der Opera-tion „Plasma Screen“ herausstellen.

Denn weil die meisten der 27 Mitglie-der des Kommandos mit der in Dubai re-lativ seltenen Payoneer-Karte zahlen,werden die Ermittler relativ schnell denKreis der Verdächtigen einengen können.Und der Vorstandschef von Payoneer, Yu-val Tal, ist ein ehemaliger Elitekämpferder israelischen Armee.

Das Kommando erlaubt sich noch ei-nen zweiten Fehler. Es kommuniziert un-tereinander ĂĽber eine Vermittlungsstelle

in Ă–sterreich. Die Agenten rufen Num-mern in Wien an und werden dann zumHandy eines anderen weitergeleitet.

Das dient der Tarnung, hat jedoch ei-nen Nachteil. Sobald Ermittler die Anruf-liste eines Verdächtigen haben, könnensie leicht feststellen, wer sich noch dieserNummern in Österreich bedient.

Beides, der Gebrauch der Prepaid-Kar-ten und des Telefonservers, sind keineFehler, die das ganze Unternehmen ge-fährden. Aber sie werden das Verwischender Spuren erschweren. Und das ist fatal.Denn die VAE zählen nicht zu den „basecountries“, wo Mossad-Agenten sich imNotfall in eine israelische Botschaft flüch-ten oder die Hilfe befreundeter Dienstein Anspruch nehmen können.

Die Emirate sind im Jargon der Diensteein „target country“, Feindesland. Wennein Agent hier auffliegt, drohen ihm Fol-ter und Todesstrafe. Weshalb also sinddie Caesarea-Leute nicht vorsichtiger?

Sie unterschätzen Dubai. Sie unter-schätzen einen Mann, der seinen Schreib-

tisch knapp 3000 Meter Luftlinie vomZimmer 230 des Bustan stehen hat, imsechsten Stock des Hauptquartiers derDubai Police.

Generalleutnant Dahi Chalfan Tamimist kein Mann, dem Diplomatie irgend -etwas bedeutet. Er ist ein Bulle. Ruppig,von beißendem Witz und so selbst -bewusst, wie es sich nur Beamte leistenkönnen, die das volle Vertrauen ihresChefs haben. Tamim hat nur einen Vor-gesetzten, und das ist der Herrscher vonDubai, Scheich Mohammed Bin RaschidAl Maktum.

Tamim hat schon mit 19 Jahren die Kö-nigliche Polizeiakademie in Amman ab-solviert, die angesehenste Polizeischuleder arabischen Welt. Zehn Jahre späterwar er Polizeichef von Dubai. Das war imJahr 1980. Seither ist das Emirat explodiertwie kaum eine andere Weltgegend. UndGeneralleutnant Tamim hat dafür gesorgt,dass der Dubai-Boom ohne größere poli-zeitechnische Pannen vonstattenging.

Im Minutentakt landen und heben vorTamims Panoramafenster die Maschinenab. Dubai liegt ziemlich genau in der Mit-te zwischen Iran, Irak, dem Jemen undAfghanistan. Hier leben mehr Iraner undPakistaner als Einheimische, Hunderttau-sende Migranten aus den geopolitisch hei-ßesten Zonen kommen nach Dubai. Esist ein ständiges Kommen und Gehen, esgibt Geld in Mengen, und das islamischeBankensystem ist ein Alptraum für jedenPolizisten. Generalleutnant Tamim weiß,dass Dubai alles hat, um zur polit-krimi-nellen Drehscheibe der Region zu wer-den. Und er hat es sich zur Aufgabe ge-macht, das zu verhindern.

In den USA hat er sich die beste Soft-und Hardware besorgt, die sich kaufenlässt. Für Überwachungssysteme gibt esin den VAE unbegrenzte Haushaltsmittelund, besser noch: Niemand fragt nachDatenschutz.

„Wir wissen“, sagt er, „dass viele Israe-lis mit nichtisraelischen Pässen kommen,und wir behandeln sie wie alle anderen

Menschen auch. Wir beschützen ihr Le-ben wie das jedes anderen auch, wirschauen nicht auf ihre Religion. Aber wirwollen auch nicht, dass unser Land zumDrittland wird, in dem Israelis Palästinen-ser töten.“

Tamim versteht Polizeiarbeit als Hand-werk. Ideologen widern ihn an. Auch ara-bische Ideologen, Marxisten, Islamisten,was auch immer. „Wenn ich Palästinenserwäre – ich hätte weder für Fatah noch fürHamas was übrig“, sagt er.

Über nichts redet Tamim so gern wieüber Israel. Das Land, das die Araber1967 so vernichtend schlug, da war er 16Jahre alt, ist eine Referenzgröße für ihn.„Die Juden“, sagt er, „sind uns Arabernreligiös, sprachlich, in jeder Hinsicht soviel näher als den Europäern, den Ame-rikanern.“

Er verstehe sogar, sagt er, dass die Ju-den sich wehren müssten. Millionen vonihnen sind in Europa ermordet worden.„Nasser hat gesagt, er will sie ins Meer

treiben. Okay, da hatten sie ein Recht zukämpfen. Aber heute? Wir wollen keinenKrieg.“

Auch keinen Stellvertreterkrieg. Schongar nicht vor seiner BĂĽrotĂĽr.

Dienstagnachmittag, 19. Januar 2010

Von Damaskus kommend, landet Mab-huh mit Emirates-Flug EK 912 in Dubai.Bei der Einreisekontrolle legt er einen pa-lästinensischen Pass vor, auf den NamenMahmud Abd al-Rauf Mohammed Has-san, Beruf „Händler“. Zumindest das istkorrekt.

Ein Mossad-Team hat Mabhuh am Ter-minal erwartet und benachrichtigt die an-deren. Dann folgen sie ihm bis zum Hotel.Das Bustan, nach Selbsteinschätzung „ei-nes der führenden Hotels der Welt“, istvor allem bei Transit-Passagieren beliebt,die nach einer späten Landung eine Blei-be suchen.

Rund um die Uhr ziehen Reisende ihreRollkoffer über den spiegelnden Marmorder Lobby, die Geräusche verschwinden

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01.21 Uhr Agentin Folliard checkt in ihrem Hotel ein 15.30 Uhr Mabhuh (r.) auf dem Weg in sein Zimmer, Agenten folgen ihm

im Plätschern der Brunnen oder verlierensich in weichen Teppichböden. Die Zim-mer im zweiten Stock gehen von einemkaum meterbreiten Gang mit nur einemZugang ab, leicht zu sichern und als Tat-ort ideal.

In der Lobby warten seit 14.12 Uhrzwei Agenten, mit Frotteetuch über denSchultern und mit Tennisschlägern ge-tarnt.

Generalleutnant Tamim wird später er-klären, das sei ihr krassester Fehler ge-wesen. Kein echter Tennisspieler trägtseinen Schläger ohne Hülle mit sich her -um.

Die Kameras im Hotel Bustan Rotanawurden von Mohammed Haroun instal-liert, einem palästinensischen Geschäfts-mann mit deutschem Pass. „Lustigerwei-se glaubten die Verdächtigen, sie könntensich unter einer Mütze verstecken“, sagtder Chef von Security Advice Services.„Aber ich weiß, wo und in welchem Win-kel man die Kameras montiert.“

Die Bilder der Kameras zeigen, wiesich Mabhuh umsieht, als er am Check-in steht. Auch als er den Fahrstuhl imzweiten Stock verlässt, schaut er über dieSchulter. Er weiß, dass er die Zielpersoneines der wohl besten Geheimdiensteüberhaupt ist. Die beiden Freizeitsportler,die im Fahrstuhl mit ihm nach oben fah-ren, scheinen ihn nicht sonderlich zubeunruhigen.

Er tritt aus dem Lift, ein unauffälliger,rundlicher Mann mit Schnauzbart, einMann, der noch fünf Stunden zu lebenhat.

Die beiden Tennisspieler merken sichMabhuhs Zimmernummer, die 230, einNichtraucherzimmer, und schicken sieper SMS an Peter Elvinger. Ebenso wiedie Nummer des Hotelzimmers gegen-ĂĽber, die 237. Und genau dieses Zimmerreserviert sich Elvinger per Anruf im Bus-tan. Dann bucht er seinen RĂĽckflug, ĂĽberDoha nach ZĂĽrich.

Eine der Kameras vor dem Hotel zeich-net das Spiegelbild eines weiĂźen Liefer-

wagens mit getönten Scheiben auf. Einigeder Agenten laufen zu dem Fahrzeug, dre-hen dann jedoch abrupt um. Offenbar ha-ben sie es für den Wagen eines Kompli-zen gehalten.

Das wird die Ermittler auf die Spur eines 62-jährigen Briten mit dem NamenChristopher Lockwood bringen. Lock-wood hatte 1994 um eine Änderung seines damaligen Namens Yehuda Lustig gebeten, so ergab eine Recherche des„Wall Street Journal“. Inzwischen stehefest, dass auch dieser Name falsch war,geborgt von einem im Jom-Kippur-Krieg1973 umgekommenen jungen Soldaten.

Um 16.23 Uhr verlässt Mabhuh das Bus-tan-Hotel. Ein Mossad-Agent hat zufälligden gleichen Weg.

Bei all ihrer späteren Zeigefreude hatsich die Polizei in Dubai bis heute dar -über bedeckt gehalten, was Mabhuh inden vier Stunden bis zu seiner Rückkehrins Hotel gemacht hat. Unwahrscheinlich,dass er so lange brauchte, um die richti-

gen Schuhe zu finden. „Soviel ich weiß“,sagte Tamim damals, „hatte er ein Ticketnach China und dann weiter in den Sudan– oder umgekehrt. Er mag hier einen Zwi-schenstopp gemacht haben, um sich zuentspannen.“

Es mag zur Entspannung eines Man-nes wie Mabhuh beitragen, sich um dieAufrüstung eines der explosivsten Fle-cken der Erde zu kümmern, des Gaza-Streifens. Israelischen Quellen zufolgeaber traf sich Mabhuh mit einem Ban-kier, der ihm bei mehreren internatio -nalen Waffengeschäften behilflich war,sowie mit seinem gewohnten Kontakt-mann von den iranischen Revolutions-wächtern, der eigens eingeflogen war,um mit Mabhuh zwei große Schiffs -lieferungen mit Waffen für die Hamasim nächsten Monat ab zusprechen. Es istverständlich, dass der Polizeichef vonDubai darüber nicht gern spricht. DieVereinigten Arabischen Emirate habensich zwar zur strikten Einhaltung derIran-Sanktionen verpflichtet, doch mit

der Umsetzung hapert es. Der Iran istnah, und die ira nische Community inDubai ist stark.

Dienstagabend, 19. Januar 2010

Um 18.34 Uhr betritt die eigentliche Kil-ler-Mannschaft das Hotel. Es sind zweiZweierteams, alles breitschultrige Män-ner mit Baseballkappen, Rucksack undEinkaufstaschen. Die beiden Erkun-dungsteams, die bereits im Bustan sind,werden abgezogen, um keinen Verdachtzu erregen, und durch zwei andere er-setzt. Eines der Teams ist als angelsäch-sisches Urlauberpärchen mit Sonnenhutverkleidet.

Um 20 Uhr postieren sich die sechsAgenten auf dem Hotelflur. Ein Spezialistmanipuliert das elektronische Schloss ander ZimmertĂĽr von 230. Jetzt passt auchdie SchlĂĽsselkarte vom Zimmer gegen-ĂĽber.

Gail Folliard und Kevin Daveron sollenden Hotelflur sichern. Beide haben sich

vorher, in unterschiedlichen Hotels derUmgebung, umgezogen und verkleidet.Beide tragen Perücken, Kevin Daveroneinen Schnauzer und die Uniform der Hotelangestellten des Bustan. Als dieAgenten gerade mit dem Türschloss be-schäftigt sind, kommt ein Mann in denFlur, der sein Zimmer nicht finden kann.Hilfsbereit kann Daveron ihn vom Flurweglotsen.

Um 20.24 Uhr kommt Mabhuh durchdie Drehtür zurück ins Hotel. Er trägteine Plastiktüte mit seinen neuen Schu-hen in der Hand und fährt mit dem Auf-zug in den zweiten Stock. Der Mann inHoteluniform mit dem Schnauzer fälltihm nicht auf, ebenso wenig die toupierteDunkelhaarige, die seit einer halben Stun-de über den braungemusterten Hoteltep-pich tigert.

Mabhuh geht auf sein Zimmer. Er wirdkaum etwas von den vier Killern mitbe-kommen haben, die ihn hinter der Türerwarten. Als Anzeichen für einen Kampfwerden später unter der Matratze nur

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19.30 Uhr Agent Elvinger verlässt Dubai eine Stunde vor dem Anschlag 20.46 Uhr Nach dem Mord: Die Exekutionsteams auf dem Weg zum Lift

einige gebrochene Teile des Lattenrostsgefunden.

In der Vorbereitung der Operation warein möglichst natürlich aussehender Todbeschlossen worden. Alles andere hättezu einem massiven Polizeieinsatz geführt,der Flughafen wäre geschlossen wordenund eine sichere Rückkehr des Komman-dos damit unmöglich gewesen.

Der Ermittlungsbericht spricht von ei-ner Injektion Succinylcholin, einer Droge,die innerhalb einer Minute zur Muskel-lähmung führt. Mabhuh sei dann, so dieErmittler, mit einem Bettkissen ersticktworden.

Tatsächlich ist bis heute ungeklärt, wieder Hamas-Offizier zu Tode kam. Succi-nylcholin lässt sich leicht im Körper einesToten nachweisen. Auch ist die Injek -tionsstelle zu sehen. Und ein gewaltsamesErsticken hinterlässt, wie jeder „Tatort“-Kenner weiß, deutliche Spuren im Ge-sicht, Pressstellen, zerplatzte Äderchenin der Pupille, zersprungene Lippen.

Es ist kaum vorstellbar, dass einHightech-Geheimdienst wie der Mossadzu derartig schlichten Methoden greift.Nicht bei einem Einsatz im Feindesland.

Schon um 20.46 Uhr stehen die erstenbeiden Täter vor dem Lift nach unten.Auf den Aufnahmen der Videokamerasist die adrenalingetränkte Anspannungder Männer zu erkennen. Sie pendelnwie Boxer von einem Fuß auf den ande-ren. Einer der beiden trägt noch einenGummihandschuh, ungewöhnlich für ei-nen Hotelgast.

In Zweiergruppen zieht das Komman-do aus dem Bustan ab und lässt sich vonTaxis zum Flughafen fahren. Gail Folliardgeht untergehakt mit einem anderenAgenten, in der Linken eine Plastiktüte.

Kevin Daveron sichert den Rückzug.Er verlässt Zimmer 237 als Letzter, tele-fonierend und seinen Rollkoffer hintersich herziehend.

Wenig später sitzen Daveron und Fol-liard bereits im Flugzeug nach Paris, zweiandere in einer Maschine nach Südafrika.„Plasma Screen“ liegt noch unentdecktin Zimmer 230.

Auch bis jetzt noch ist alles nach Planverlaufen. Es wird fast eine Woche dau-ern, bis Generalleutnant Tamim vom Toddes führenden Hamas-Waffenhändlers er-fährt, umgebracht quasi in Sichtweite desPolizeihauptquartiers.

24. oder 25. Januar 2010

Die Hamas-Führung in Damaskus merkt,dass etwas nicht stimmt, als Mabhuh sichnicht meldet. Einer von Mabhuhs Leutenwird ins Leichenschauhaus von Dubai geschickt. Dann ruft die Hamas von Da-maskus aus im Polizeihauptquartier an.Ja, sie hätten einen ihrer wichtigstenMänner mit falschem Pass nach Dubaireisen lassen und ihn, den Superpolizis-ten, davon vorher nicht in Kenntnis ge-

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setzt, und jetzt sei etwas ganz, ganzschiefgelaufen.

Der darauffolgende Wutanfall des Ge-neralleutnant Tamim wird von Ohrenzeu-gen so wiedergegeben: „Packt euch undeure Bankkonten und eure Waffen undeure falschen Scheißpässe ein und ver-schwindet aus meinem Land.“

Tamim hat ein Problem. Er, ausgestat-tet mit dem besten Ăśberwachungssystemder arabischen Welt, hatte keine Ahnung,dass hier, unter seinen Augen, eine israe-lische Kommandoaktion erfolgreich ĂĽberdie BĂĽhne ging. Er war blind gewesen.

Das erklärt seinen Wutanfall. Und daserklärt auch den Aufwand, zu dem Ta-mim jetzt seine Leute antreibt. Die Tatkonnte er nicht verhindern. Aber jetztwill er seine Revanche: die Aufklärung.Und er wird dafür sorgen, dass die Auf-klärung zu einem Triumph wird für ihn,den Superbullen von Dubai.

Tamim lässt eine Liste aller Personenerstellen, die kurz vor der Tat einreistenund kurz danach das Land verließen. DieNamen werden verglichen mit Personen,die im Februar, März, Juni und November2009 nach Dubai gereist waren, als auchMabhuh sich dort aufhielt.

Diese Liste wiederum wird mit denMelderegistern der Hotels abgeglichen,dann mit den Videos von weit über tau-send Überwachungskameras. Tamim lässtdie Systeme von Hotels, Malls, vom Flug-hafen auswerten. So hat er schon baldein Bild zu jedem Namen und kann siemit den Videos des Bustan vergleichen.

Der Rest des Kommandos fliegt auf,nachdem Tamims Leute hinter die Payo-neer-Zahlungen und die auffälligen An-rufe bei den Nummern in Österreich ge-kommen waren.

Das alles dauert erheblich länger alsdie „24 Stunden“, von denen Tamim inseiner ersten Pressekonferenz sprechenwird. Aber immerhin. Er wird die Mos-sad-Operation präsentieren können wieeinen Hollywood-Film.

Auch zwei Palästinenser werden in Jor-danien festgenommen und nach Dubaiausgeliefert. Anwar Schaibar und AhmedHassanain hätten beim Buchen von Ho-tels und Mietwagen geholfen. Beide sol-len der Fatah-Bewegung nahestehen. In-zwischen vermuten die Ermittler, der Ver-dacht sei von der Hamas gestreut worden,um die politischen Gegner in den Fall zuverwickeln.

Tamim hatte zunächst nicht glaubenwollen, dass der Mossad bei ihm vor derHaustür aktiv wird: „Wir haben bis zumletzten Augenblick gedacht, dass eine an-dere Palästinensergruppe ihn getötet hat“,sagt er. „Wir dachten nie an den Mossad.Erst als wir alle Gesichter, alle Verklei-dungen auf den Kameras beisammenhat-ten, war uns klar, dass es nicht die Paläs-tinenser waren. Sie konnten es nicht sein.“

Freitag, 29. Januar 2010

Mahmud Mabhuh wird in Damaskus be-erdigt, in dem von Palästinensern be-wohnten Stadtviertel Jarmuk.

Generalleutnant Tamim hat die meis-ten Teile seines Puzzles beisammen. Erinformiert seinen Vorgesetzten, den Emir.Gleichzeitig spricht er mit dem Nachrich-tensender al-Dschasira. Er sagt, er könnenicht ausschließen, dass der Mossad inden Mord verwickelt sei. Auch Reutersmeldet den Mord, aber die Nachricht er-regt keine Aufmerksamkeit. Nur wenigebemerken, welches Potential in der Ge-schichte steckt.

Sonntagabend, 30. Januar 2010

Der US-Botschafter Richard Olson be-fragt auf einem Empfang den Sprechervon Außenminister Abdullah Bin Sajidüber den Mordfall im Bustan. Der machtein paar Telefonate und erklärt, die An-gelegenheit sei offenbar Chefsache.

Die beiden Männer, welche die Verei-nigten Arabischen Emirate de facto regie-ren, Kronprinz Mohammed Bin Sajid vonAbu Dhabi, und Mohammed Bin Raschid,der Herrscher von Dubai, überlegen, wieman in der Sache vorgehen solle: entwe-der gar nichts sagen – oder „mehr oderweniger alles mitteilen, was die Ermitt-lungen ergeben haben“.

Die beiden Scheichs entscheiden sichfĂĽr Letzteres.

Montag, 15. Februar 2010

Generalleutnant Tamim nimmt seine Re-vanche. Der Polizeichef hält ein DIN-A4-Blatt mit den rot unterlegten Fotos undNamen von elf Mordverdächtigen vor diePresse. Doch das ist nicht alles. Man musseinen Triumph auch in Szene setzen kön-nen. Das Timing ist wichtig.

Tamim präsentiert der internationalenPresse den Film zur Tat.

Er hat den spektakulären Juwelierraubin der Wafi Mall 2007 aufgeklärt, er hat2008 den ägyptischen Baulöwen und Mu-barak-Freund Hischam Talat Mustafa desMordes an einer libanesischen Sängerinüberführt, er hat 2009 den Mord am tsche-tschenischen Warlord Sulim Jamadajewaufgeklärt. Aber sein Film über das Mos-sad-Attentat an Mahmud al-Mabhuh istder Höhepunkt seiner Karriere. DahiChalfan Tamim hat die Israelis vorgeführt.

Aufmerksam verfolgt Tamim in den fol-genden Tagen die Wirkung seines Auf-

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.)Polizeichef Tamim, Hamas-Ehrenwache für Mabhuh: „Ich hätte weder für Fatah noch für Hamas etwas übrig“

tritts. Er wird ausschließlich gelobt, ja ge-feiert, in den Emiraten, im Irak, in Iran,im Westen. Und am Ende auch in Israel.Tamim erinnert sich nicht mehr genau anden Namen der israelischen Journalistin,die ihn per E-Mail befragt, aber er weiß,dass er sofort geantwortet hat. „Jung“,sagt er, „und sehr professionell ist sie ge-wesen. Die ganze israelische Presse. Siehaben mich sehr fair behandelt.“ Tamimist glücklich.

Mittwoch, 24. Februar 2010

Der Generalleutnant schickt ein Doku-ment an die Zentralbank und an das Außenministerium in Abu Dhabi. DerStaatsminister möge es bitte an die US-Botschaft weiterreichen:

„An seine Exzellenz Sultan al-Suwaidi,Gouverneur der Zentralbank. Betreff:Kreditkarten Mc 5115-2600-1600-6190, Mc5115-2600-1600-5317, Mc 5301-3800-3201-7106. Generaldirektorat der Staatssicher-heit grüßt und bittet Exzellenz, das Re -ferat für Geldwäsche und verdächtige Angelegenheiten anzuweisen, dringend Details der obengenannten Kreditkartenzu ermitteln, zusätzlich zu den Überwei-sungs-, Konto- und Zahlungsdaten dieserKarten. Denn die Benutzer dieser Kartensind am Mord an Mahmud Mabhuh be-teiligt. Die Karten wurden von der METABANK im Staate Iowa, USA, ausgestellt.Vielen Dank für Ihre Kooperation.“

Noch am selben Tag übergibt Staats-minister Mohammed Anwar Gargaschden Brief aus Dubai an den Justiz-Atta-ché der US-Botschaft in Abu Dhabi. Bot-schafter Olson, der das Schreiben nachWashington weiterleitet, ersucht um„prompte Erledigung“. Das Thema sei amTag zuvor auch beim Treffen des Außen-ministers mit Hillary Clinton angespro-chen worden. Amerika weiß, wer dieseKreditkarten benutzt hat.

Es muss nur in Tel Aviv nachfragen.â—†

Am 4. Juni 2010, fast genau ein Jahrnachdem der Mossad einen deutschenReisepass ausgestellt bekam, reist Alexan-der Varin nach Warschau. Er kommt ausTel Aviv und will in Warschau umsteigen,sein Ziel ist die litauische Hauptstadt Vil-nius. Er zeigt bei den polnischen Gren-zern seinen Pass vor, der ihn als Uri Brod-sky ausweist. Der Name ist zur Fahndungausgeschrieben, veranlasst von der deut-schen Bundesanwaltschaft. Varin aliasBrodsky wird festgenommen.

In mĂĽhseliger Kleinarbeit haben die Er-mittler vom BKA die Flugrouten von Varinrekonstruiert: Ă–sterreich, Litauen, Lett-land, TĂĽrkei, Tschechien sind nur einigeder Stationen der vergangenen Monate.Varin ist ein groĂźer, wuchtiger Mann, dersich eine Kapuze ĂĽber den Kopf zieht, alser in den Warschauer Gerichtssaal gefĂĽhrtwird. Er scheint eine Art Logistiker desMossad in Europa zu sein, ausgestattet mit

mehreren Identitäten. Der Mossad hatnicht gewusst, dass der Name Brodsky seitjenem Hotelaufenthalt in Köln ein Jahrzuvor verbrannt ist. Noch eine Panne.

Um seine Auslieferung, die die deut-sche Justiz fordert, entwickelt sich ein zä-hes Ringen. Die Israelis setzen die polni-sche Regierung massiv unter Druck, siewollen eine Auslieferung verhindern. DiePolen finden schließlich eine salomoni-sche Lösung: Brodsky alias Varin wirdnach Deutschland ausgeliefert, aber darfnur wegen des Passvergehens angeklagtwerden.

Am 12. August 2010 wird der Israeliausgeliefert, die Botschaft hat zwei derbesten und teuersten deutschen Anwälteausgewählt. Sie deponieren eine Kautionvon 100000 Euro, und als Varin am 13.August aus der Haft entlassen wird, ver-lässt er Deutschland noch am selben Taggen Tel Aviv. Ende vergangenen Jahresstellt ein Gericht in Köln das Verfahrengegen eine Geldbuße von 60000 Euro ein.Es ist eine Lösung, mit der alle Seiten le-ben können – wenn da nicht noch derdeutsche Haftbefehl gegen Varin wäre,wegen des Verdachts der geheimdienst -lichen Agententätigkeit. Würden Alexan-der Varin oder Uri Brodsky morgen indie Bundesrepublik einreisen, würden siean der Grenze eingesperrt. Das ist derdeutsche Flurschaden dieses Attentats.

Der Mossad ist durch die Operation inDubai erheblich unter Druck geraten(auch wenn es bis heute keine offizielleBestätigung der Israelis gibt, etwas mitder Sache zu tun gehabt zu haben). DerChef der Caesarea-Sondereinheit bot sei-nen Rücktritt an, durfte aber im Amt blei-ben. Nicht so der Chef des Mossad, MeïrDagan. Hatte er vor der Operation nochauf eine Verlängerung seiner Amtszeitgehofft, nominierte Premierminister Ben-jamin Netanjahu nach dem Fehlschlag einen Nachfolger. Am 6. Januar 2011 ver-lässt Dagan sein Büro.

Auf einer seiner Pressekonferenzen for-derte Generalleutnant Tamim den Rück-tritt von Premierminister Netanjahu undversicherte, er werde die Täter verfolgen– „bis zum Ende der Zeit“. Und genau solange wird er wohl auch brauchen.

Bei den meisten Israelis gilt der An-schlag auf Mabhuh trotzdem als Erfolg.„Es fällt schwer, die Dubai-Operation ei-nen Fehlschlag zu nennen“, sagt Avi Issa-charoff, Arabien-Experte der israelischenTageszeitung „Haaretz“. Zwar habe Isra-els Ansehen international Schaden erlit-ten, aber: „Das operationelle Ziel wurdeerreicht, die Hamas hat gemerkt, dass sieverwundbar ist, die Attentäter sind heilnach Hause zurückgekommen.“ Man wirdeben noch sorgfältiger vorgehen müssen.

Beim nächsten Mal.Ronen Bergman, Christoph Schult,

Alexander Smoltczyk, Holger Stark,Bernhard Zand

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