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Brillante Aussichten Der Schweizer Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL

SwissFEL - Brillante Aussichten: Der Schweizer Freie-Elektronen-Röntgenlaser

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Das Paul Scherrer Institut baut eine neue wissenschaftliche Grossanlage – den Freie-Elektronen- Röntgenlaser SwissFEL. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für die Schweizer Spitzenforschung. (02/2016)

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Brillante AussichtenDer Schweizer Freie-Elektronen-Röntgenlaser

SwissFEL

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Die neue Grossforschungsanlage des Paul Scherrer Instituts – der Freie- Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL – eröffnet neue Möglichkeiten für die Schweizer Spitzenforschung.

Die grossen Herausforderungen an unsere Gesellschaft sind eine gesicherte und klima-neutrale Energieversorgung, eine dauerhafte und bezahlbare Gesundheit der immer älter werdenden Bevölkerung und der Erhalt einer intakten Umwelt, die wir an unsere Nachkom-men weitergeben können.Weltweit suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach neuen industriellen Ver-fahren, neuartigen Werkstoffen und Materialien oder Medikamenten, die zur Bewältigung die-ser drängenden Aufgaben beitragen können. Nach Neuerungen kann man jedoch nur gezielt suchen, wenn die zugrunde liegenden Vor-gänge gut verstanden sind. So muss man etwa die mit einer Krankheit verbundenen Prozesse im Organismus entschlüsseln, um wirksame und zugleich nebenwirkungsarme Medika-mente entwickeln zu können.Bei der Erforschung derart fundamentaler Vor-gänge in unserer Welt stossen die Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler immer wieder auf Fragestellungen, die sich mit den heute verfüg-baren Forschungsmethoden nicht beantworten lassen. Zum Beispiel gibt es in der Natur, im menschlichen Organismus und in vielen tech-nischen Anlagen Vorgänge, die so schnell sind, dass man zwar deren Anfangs- und Endzustand kennt, aber nicht weiss, was im Einzelnen da-zwischen passiert. Dadurch bleiben viele wich-tige Fragen unbeantwortet, die etwa für die Entwicklung besserer Medikamente, effiziente-

rer Energiesysteme oder ultraschneller Rechner und Datenspeicher wesentlich sind. Solch schnelle Prozesse im Detail zu verfolgen – sie gewissermassen zu filmen – wird von Anlagen ermöglicht, die nach dem Prinzip des Freie-Elektronen-Röntgenlasers (oder in der englischen Abkürzung «XFEL», X von «X-ray» =

Brillante Aussichten für die Forschung an innovativen Materialien und Biomolekülen

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Röntgenstrahlung) arbeiten. Das sind Elektro-nenbeschleuniger, die extrem kurze Pulse von kohärentem Röntgenlicht (Röntgenlicht mit den Eigenschaften von Laserlicht) erzeugen. Eine solche Anlage wird auch das neue Grossgerät des Paul Scherrer Instituts, der SwissFEL, sein. Bei diesen Röntgenlasern handelt es sich um grosse Forschungsanlagen – die Geräte zur Erzeugung der Röntgenlichtpulse sind in einem mehrere hundert Meter langen Tunnel unter-gebracht.Wenn der SwissFEL im Jahr 2017 mit seinen ersten Pilotexperimenten starten wird, wird er eine von weltweit fünf Anlagen seiner Art sein. Mit dem SwissFEL trägt das PSI dem steigenden Bedarf an Experimentiermöglichkeiten Rech-

nung, der durch die dann zur Verfügung ste-henden Freie-Elektronen-Röntgenlaser in Eu-ropa, Japan, Südkorea und den USA alleine nicht abgedeckt werden kann. Am SwissFEL werden den Forschenden bis zu 5000 Stunden Messzeit im Jahr an mehreren Experimentier-plätzen zur Verfügung stehen.

Das PSI – erfahren mit Grossforschungsanlagen

Das PSI entwickelt, baut und betreibt einzigar-tige Grossforschungsanlagen für Untersuchun-gen in Materialwissenschaften, Physik, Chemie, Biologie, Medizin sowie Energie und Umwelt-

Laser-Spezialistin Marta Divall an einer Vakuumkammer für die zukünftigen Experi-mente am SwissFEL.

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technik. Hier experimentieren sowohl PSI-For-schende als auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Hochschulen und Indus-trie. Externe Forscherinnen und Forscher wer-den von PSI-Mitarbeitenden bei ihren For-schungs- und Entwicklungsvorhaben kompetent und umfassend unterstützt. Dadurch und durch die hohe technische Qualität der Anlagen hat sich das PSI als Benutzerlabor weltweit einen hervorragenden Ruf erworben und steht heute für Spitzenforschung in anspruchsvollen und komplexen interdisziplinären Projekten. Das Institut hat auf vielen Gebieten Pionierar-beit geleistet, zum Beispiel in der Energietech-nik für umweltfreundliche Fahrzeugantriebe oder in der Entwicklung der Protonentherapie. Mit dieser Behandlungsmethode können be-stimmte Krebsarten schonender und erfolgrei-cher behandelt werden als mit herkömmlichen Therapiemethoden. Bereits im Jahr 2001 hat das PSI mit seiner Synchrotron Lichtquelle

Schweiz SLS international eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung moderner Röntgenlicht-quellen übernommen. Seither hat die SLS zahlreiche wichtige wissenschaftliche Ergeb-nisse geliefert. Dazu zählen die Arbeiten des amerikanischen Forschers Venkatraman Ramakrishnan, für die er im Jahr 2009 den Nobelpreis für Chemie bekommen hat.

Internationale Massstäbe setzen

Die Kompetenz aus dem SLS-Projekt haben die Fachleute des PSI genutzt, um mit dem Swiss-FEL erneut eine technologisch einzigartige Anlage zu entwickeln, die wie die SLS interna-tional Massstäbe setzen wird. So haben For-scherinnen und Forscher am PSI neuartige Ideen entwickelt, um den SwissFEL kompakter und preiswerter zu bauen als die anderen Röntgenlaser.

Beamline-Designer Bolko Beutner an der SwissFEL-Injektor-Testanlage. Der im Injektor erzeugte Elektronenstrahl hat einen Durch-messer von einigen tausendstel Millimetern. Die Strahlprofilmonitore, die den Elektronen-strahl sichtbar machen, müssen daher genau eingestellt werden.

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Neue Massstäbe setzt der SwissFEL auch mit seinem Energiekonzept: Er ist der weltweit erste energieoptimierte Freie-Elektronen-Rönt-genlaser. Der Stromverbrauch ist im Vergleich zu anderen Anlagen drastisch reduziert. Zudem verfügt der SwissFEL als einziger XFEL über eine Wärmerückgewinnungsanlage. Die Abwärme des SwissFEL wird in das Wärmenetz des PSI eingespeist.

SwissFEL – ein innovatives Projekt stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft

Der SwissFEL ist eine nationale Anlage, die sich stark an den Forschungsinteressen und -erfah-rungen der schweizerischen Hochschulen und Industrie orientiert und deren Forschungsinte-ressen und -bedürfnisse berücksichtigt. So wird der Forschungsstandort Schweiz durch den

SwissFEL langfristig gestärkt und gleichzeitig ein wesentlicher Beitrag zur Wettbewerbsfähig-keit der Schweizer Wirtschaft geleistet.Diese Wettbewerbsfähigkeit basiert hauptsäch-lich darauf, dass innovative Produkte vor denen der Mitbewerber auf den Markt gebracht wer-den. Erstklassige Forschungsmöglichkeiten im eigenen Land erlauben es, frühzeitig neues Wissen sowie neuartige Methoden und Werk-zeuge zu entwickeln, die den globalen Heraus-forderungen Rechnung tragen.Die Schweizer Industrie wird aber auch unmit-telbar von den neuen Forschungsmöglichkeiten am SwissFEL profitieren, sei es durch Kollabo-rationen mit dem PSI und den Hochschulen oder durch Untersuchungen an der SwissFEL-Anlage im Rahmen eigener Entwicklungsarbeit. Auf diese Weise werden die guten Beziehun-gen, die sich zwischen dem PSI und der Indus-trie in den vergangenen Jahren entwickelt ha-ben, mit diesem innovativen Projekt weiter verstärkt.Doch schon vor der Inbetriebnahme ist das SwissFEL-Projekt der Schweizer Industrie zu-gutegekommen: Die neue Hightech-Anlage wurde in enger Kooperation mit der heimischen Industrie entwickelt und verwirklicht. So konn-ten zum Beispiel die Maschinen- und Anlagen-bauspezialisten TEL Mechatronics AG (vormals Oerlikon Mechatronics AG) und MDC Max Daet-wyler AG als Partner für Entwicklung und Bau wichtiger SwissFEL-Komponenten gewonnen werden. Nicht zuletzt hat das SwissFEL-Projekt während des Aufbaus und im Betrieb positive Auswir-kungen auf die Ausbildung von Studierenden und Doktorierenden sowie Spezialisten im Bereich der Hochtechnologie in Fachrichtungen wie Leistungselektronik, Computertechnik, Material-, Werkstoff- und Vakuumtechnik, Sen-sorik oder Bildverarbeitungstechnik.

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Der SwissFEL wird für wissenschaftliche Unter-suchungen extrem intensive und extrem kurze Blitze von Röntgenlicht erzeugen. Dieses Rönt-genlicht wird im SwissFEL von sehr schnellen Elektronen abgestrahlt, die von starken Mag-neten auf eine enge, schlangenförmige Bahn gezwungen werden. Denn Elektronen, die ge-zwungen werden, ihre Geschwindigkeit oder Richtung zu ändern, strahlen elektromagneti-sche Strahlen ab – je nach Art der Elektronen-bewegung können das Radiowellen, sichtbares Licht oder eben Röntgenlicht sein.Die SwissFEL-Anlage erstreckt sich über eine Länge von knapp 740 Metern. Die Anlage be-

steht aus vier Teilen: einem Injektor, einem Linearbeschleuniger, einer Anordnung von Undulatoren und Experimentiereinrichtungen.Die Erzeugung des Röntgenlichts beginnt im Injektor: Mit einem Lichtblitz werden Elektro-nen aus einer Metallplatte herausgeschlagen und durch ein elektrisches Feld vorbeschleu-nigt. Von dort fliegen sie zum Linearbeschleu-niger weiter, der sie mithilfe starker Mikrowel-len auf die erforderliche Energie bringt.Damit sind sie schnell genug, um in Undulato-ren – so nennen die Fachleute die verwendete Magnetanordnung – auf eine schlangenförmige Bahn geschickt zu werden. Dabei erzeugen die

Die SwissFEL-Anlage Bau und Funktion

� InjektorDie Elektronen werden erzeugt und vorbeschleunigt.

� LinearbeschleunigerDie Elektronen werden auf die erforderliche Energie gebracht.

QuadrupolmagnetDieses Bauteil führt den Elektronenstrahl entlang der Bahn. Kavitäten

Der Linearbeschleuniger besteht aus 104 Kavitäten von jeweils 113 ring-förmigen Kupferscheiben. Er hat eine Gesamtlänge von 335 Metern.

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Elektronen die Röntgenlichtstrahlung, die sich gleichsam mit der Gewalt einer Lawine zu dem einzigartig intensiven Röntgenlicht des Swiss-FEL verstärkt. Dazu werden am SwissFEL auf 60 Metern 12 Undulatoren mit je 1060 Magne-ten hintereinander angeordnet. Die nötige hohe Genauigkeit beim Aufbau der Undulato-ren zu erreichen, ist eine Höchstleistung der Ingenieurkunst.

Nachdem die Elektronen das Röntgenlicht ab-gestrahlt haben, werden sie nicht mehr benö-tigt und in einer Auffangvorrichtung eingefan-gen. Der Röntgenlichtstrahl hingegen wird zum Experimentierplatz geleitet und steht nun den Forschenden für ihre Experimente zur Verfü-gung.

� UndulatorenDie Undulatoren sind aus ultrastarken Neodym-Magneten zusammengesetzt. Die Magnete mit abwechselnder Polarität zwingen die Elektronen auf eine Slalom-bahn, dabei entsteht das Röntgenlicht.

� ExperimenteDie extrem kurzen und intensiven Röntgenblitze werden mithilfe optischer Elemente bis zu den Messplätzen geführt, wo die verschiedensten Experimente durchgeführt werden.

Der Undulator befindet sich in einer Vakuumkammer, damit die Magnete möglichst nah an den Elektronen-strahl herangeführt werden können.

Neodym-Magnete

Die Darstellung ist nicht massstabsgetreu.

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AmphibientümpelA

A

A

A

A

A

A

AA

A

Der SwissFEL wurde in unmittelbarer Nähe des Paul Scherrer Instituts im Würenlinger Wald gebaut. Das Gebäude besteht aus einem Unter- und einem Obergeschoss. Das Röntgenlicht für die Experimente wird im Untergeschoss er-zeugt, wo sich der Injektor, der Beschleuniger und die Undulatoren befinden. Der Beschleu-niger des SwissFEL benötigt für den Betrieb Versorgungsanlagen, die sich im Obergeschoss oberhalb des Beschleunigertunnels befinden. Nach dem Beschleunigertunnel verbreitert sich das Gebäude und wird einstöckig, sodass Platz für die Experimentierhallen entsteht.

Dem sensiblen Standort gerecht werden

Der Würenlinger Wald ist Lebensraum für zahl-reiche Tier- und Pflanzenarten sowie Erholungs-raum für Menschen, die in der Umgebung wohnen oder arbeiten. Um diesem sensiblen Standort gerecht zu werden, hat ein interdis-ziplinäres Expertenteam in zweijähriger Pro-jektarbeit ein Konzept zur bestmöglichen Ein-bettung des SwissFEL in seine Umgebung

Hightech im Einklang mit der Natur

� Injektor

� Linearbeschleuniger

Im Obergeschoss befinden sich die Versorgungsanlagendes SwissFEL-Beschleunigers.

Die beiden Wildübergänge auf der SwissFEL-Anlage ermöglichen einen Wildwechsel.

Das Röntgenlicht für die Experimente wird im Untergeschoss des Gebäudes erzeugt, wo sich Injektor, Beschleuniger und Undulatoren befinden.

AmphibientümpelA

A

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A

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AA

A

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erarbeitet. Die notwendigen Eingriffe in die Natur und Landschaft wurden so gering wie möglich gehalten. Ökologisch wertvoller Le-bensraum wurde geschaffen, der zu einem neuen Artenreichtum führen wird.Die Anlage ist grösstenteils mit Erde überdeckt, sodass Erholungssuchende nur einen Damm sehen. Auf diesem Damm wurde eine Mager-wiese angelegt – eine im Aargau heimische Naturlandschaft. Dadurch entsteht Lebens-raum für Tagfalter und Wildbienen.

Lebensraum für gefährdete Tierarten

Spezielles Augenmerk wurde auch auf gefähr-dete Tierarten gerichtet: Die in der Nähe be-heimatete Fledermausart «Graues Langohr» findet in der Umgebung des SwissFEL neue Nahrung. Wassertümpel und offene Bodenflä-chen, Stauden und Hecken fügen sich zu einem artgerechten Biotop für die ökologisch beson-ders sensiblen Amphibien zusammen.Zwei Wildübergänge stellen einen ungestörten Wildwechsel über die Anlage sicher. Der Ver-kehr zur Anlage wird auf ein Minimum reduziert und verläuft auf einer tief gelegten Strasse, die vom Waldweg kaum einsehbar ist und somit Erholungssuchende nicht beeinträchtigt. Die Zugangsbeleuchtung wird nur bei Bedarf akti-viert.

� Undulatoren

� Experimente

Den Forschenden stehen für die Dauer der Experimente am SwissFEL Labors zur Verfügung.

Blick nach Norden: Die Umgebung des SwissFEL nach seiner Fertigstellung.

Die Anlage befindet sich unter dem links dargestellten Erdwall und ist vom Wald-weg aus nicht sichtbar. Auf dem Erdwall

wurde eine ökologisch wertvolle Magerwiese angelegt.

Produktion von Ammoniak aus Wasserstoff und Stickstoff: Ammoniak ist einer der Grundstoffe für die Herstellung von Kunst-dünger und leistet dadurch einen wichtigen Beitrag zur Welternährung. Die Reaktion zur Produktion von Ammoniak verläuft in mehreren Schritten: Zunächst müssen die aus je zwei Atomen bestehenden Stickstoffmoleküle (blau) und Wasserstoffmoleküle (gelb) in einzelne Atome getrennt werden. Dann verbindet sich je ein Stickstoffatom mit drei Wasserstoffatomen zu einem Ammoniakmolekül. Möglich macht diese Reaktion erst die Vermittlung des Katalysators Eisen (grau). Im SwissFEL wird man diese gut untersuchte Reaktion als Beispiel nutzen, um die wissenschaftlichen Möglichkeiten der Anlage zu erproben. So werden die Forschenden lernen, entsprechende Reaktionen an ähnlich relevanten Katalysatoren zu beobachten. In einem SwissFEL-Experiment wird die katalytische Reaktion zu Beginn durch einen Lichtblitz ausgelöst und dann zu verschiedenen Zeitpunkten mit Röntgenpulsen beleuchtet und dadurch der aktuelle Zustand der Reaktion abgebildet. So wird man beispiels-weise erforschen können, in welcher Reihenfolge die Reaktionsschritte stattfinden oder wie lange sie dauern.

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Der SwissFEL macht kurzzeitige Veränderungen von atomaren und molekularen Strukturen sichtbar. Die Anwendung dieses speziellen Röntgenlichts soll hier an zwei Beispielen vorgestellt werden.

Grundlagen für eine intakte Umwelt und eine gesicherte, klimaneutrale Energieversorgung

Ob Abgasreinigung oder Herstellung von Grundstoffen für die chemische Industrie: Bei zahllosen technischen Vorgängen werden Stoffe in chemischen Reaktionen ineinander umgewandelt. Besondere Substanzen – von Chemikern als Katalysatoren bezeichnet – sor-gen dafür, dass solche Reaktionen möglichst effizient ablaufen können. Diese beteiligen sich zwar an den Reaktionen, werden dabei aber nicht verbraucht. Obwohl Reaktionen mit Katalysatoren seit vielen Jahrzehnten in unzäh-ligen Anwendungen genutzt werden, wird ihre Funktionsweise oft nicht verstanden. Ein sol-

ches Verständnis könnte aber zum Beispiel helfen, Katalysatoren zu entwickeln, mit denen Stoffe umweltfreundlicher und energiesparen-der ineinander umgewandelt werden.Dass man die Vorgänge bis heute nicht im Detail versteht, liegt unter anderem daran, dass chemische Reaktionen extrem schnell ablau-fen: Die Zeit, die vergeht, wenn sich Bindungen in einem einzelnen Molekül lösen und neue Bindungen für ein neues Molekül eingehen, dauert oft gerade mal 0,1 billionstel Sekunden (Billionstel = Millionstel eines Millionstels).Um die Reaktionsabläufe genau zu verstehen, möchten die Wissenschaftler die einleitenden Schritte einer chemischen Reaktion beobach-ten, also gewissermassen einen Film mit einer extrem kurzen Belichtungszeit für die einzelnen Bilder aufnehmen. Der SwissFEL wird genau dies möglich machen, indem er intensive Rönt-genlichtblitze erzeugen wird, die jeweils nur rund 10 Femtosekunden (1 Femtosekunde = 0,001 billionstel Sekunden) dauern und so einzelne Schritte der Reaktion ablichten kön-nen.

Beispielhafte Anwendungen des SwissFEL-Röntgenlichts

Röntgenpulse

NH3N2H2

Lichtblitz

Reaktionszeit [fs]

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Grundlagen für eine dauerhafte Gesundheit durch massgeschnei-derte Medikamente

Proteine bilden die Grundbausteine lebender Organismen und sind für zahllose lebenswich-tige Vorgänge verantwortlich. Viele Proteine üben auch katalytische Funktionen für chemi-sche Reaktionen aus, andere binden Hormone und Signalmoleküle, die das Verhalten von Zellen und ganzen Organen steuern. Ein kom-pliziert aufgebautes Proteinmolekül besteht aus vielen tausend Atomen, die auf einzigartige Weise angeordnet sein müssen, damit das Molekül seine Aufgabe erfüllen kann. Dabei sind Proteine innerhalb einer lebenden Zelle keine starren Körper, sondern führen Bewe-gungen aus, deren Dauer zwischen Femtose-kunden und einigen Sekunden liegen.Mit ultrakurzen Röntgenblitzen, wie sie am SwissFEL erzeugt werden, lassen sich Bewe-gungen von Molekülen zeitlich verfolgen und so die Prozesse beobachten, an denen diese Moleküle beteiligt sind. Zukünftige Experi-mente sollen beispielsweise dazu beitragen, die molekularen Prozesse zu verstehen, die bei Infektionskrankheiten, funktionseinschränken-den Erkrankungen der Zellen in Organen (bei-spielsweise des Nervensystems, der Gelenke, der Organe des Verdauungstraktes) oder bei Tumorerkrankungen eine Rolle spielen. Diese Erkenntnisse werden in Zukunft die Entwick-lung von massgeschneiderten Medikamenten ermöglichen.Der räumliche Aufbau von Proteinen kann schon heute sehr erfolgreich mit dem Verfahren der Proteinkristallografie an der Synchrotron

Lichtquelle Schweiz SLS untersucht werden. Solche Messungen ergeben aber nur ein stati-sches Bild dieser komplexen, biologischen «Maschinen». Gleichzeitig gibt es eine grosse Zahl wichtiger Proteine, die sich mit diesem Verfahren nur sehr schwer untersuchen lassen – die sogenannten Membranproteine, die in der Aussenhaut der Zellen eingebettet sind. Deshalb kennen wir die Struktur von vielen Membranproteinen nicht. Neben Membranpro-teinen können am SwissFEL auch die Struktu-ren von ganzen Proteinkomplexen, die in vielen Varianten in Zellen und Organen auftreten, effizient untersucht werden. Dies ist mit kon-ventioneller Proteinkristallografie nicht mög-lich. Der SwissFEL ermöglicht uns ausserdem, katalytisch wirksame Proteine, sogenannte Enzyme, direkt bei der Arbeit zu beobachten. Diese Enzyme beeinflussen wichtige chemi-sche Umwandlungen und erleichtern den Ab-lauf chemischer Reaktionen und die gezielte Herstellung chemischer oder biologischer Mo-leküle. Dank der hohen Zeitauflösung des SwissFEL wird es möglich sein, einzelne Reak-tionsschritte, wie das Aufbrechen und Neubil-den chemischer Bindungen, direkt zu beob-achten.

Die Bewegung des Myoglobin-moleküls (von Position 1 nach Po-sition 2), das für lebenswichtige Vorgänge beim Atmen verant-wortlich ist, kann per Computer mit geeigneten Berechnungsme-thoden vorausgesagt werden. Eine experimentelle Überprüfung dieser theoretischen Modelle wird erst mit der neuen Swiss-FEL-Anlage möglich sein.

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Um ultraschnell ablaufende Prozesse beob-achten zu können, braucht es ultrakurze Rönt-genblitze, wie sie der SwissFEL produzieren wird. Ein solcher Blitz dauert etwa 10 Femto-sekunden. Wie kann man ein Gefühl für diese Zeitspanne entwickeln? Erinnern wir uns an den Comic-Helden Lucky Luke, «Dä Maa wo schnäller schüsst als sin Schattä». Aber wie schnell muss Lucky Luke denn seinen Revolver ziehen, um schneller als sein Schatten zu sein? Licht braucht etwa 10 Nanosekunden, um die Entfernung von 3 Metern zu durchlaufen. So viel Zeit hätte also auch Lucky Luke, um die Waffe schneller zu ziehen als sein Abbild auf

der Wand. Das ist etwa eine Million mal schnel-ler als die Belichtungszeit eines normalen Fotoapparates! Die Aufnahmen, die man mit dem SwissFEL machen wird, sind jedoch noch-mals eine Million mal schneller geschossen, als Lucky Luke schiessen müsste. Oder anders gesagt: Der SwissFEL hat eine Belichtungszeit von 10 Femtosekunden, und das ist eine tau-send Milliarden (1 Billion) Mal kürzere Belich-tungszeit als die einer normalen Kamera.

Wie schnell ist «ultraschnell»?

Fotografie mit einer normalen Kamera

10 Millisekunden(0,01 s)

Der Mann, der schneller zieht als sein Schatten

10 Nanosekunden(0,00000001 s)

Mit dem SwissFEL «fotografieren»

wie Moleküle eine neue Verbindung eingehen

10 Femtosekunden(0,00000000000001 s)

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Länge: ca. 740 Meter

Endenergie der Elektronen: 6 Gigaelektronenvolt (Milliarden Elektronenvolt)

Wiederholungsrate: 100 Hz (Pulse pro Sekunde)

Anzahl der beschleunigten Elektronen pro Puls: 2 × 1 250 000 000 (zwei Elektronenpakete)

Wellenlänge des Röntgenlichts: je nach Strahlführung zwischen 0,1 und 7 Nanometer

Dauer eines Röntgenpulses: 1–60 Femtosekunden (1–60 × 10–15 s)

Brillanz: nahezu 10 Milliarden Mal höhere Spitzenbrillanz als bei herkömmlichen modernen Synchrotronstrahlquellen

Für Experimente nutzbare Zeit: ca. 5000 Stunden pro Jahr

Erste Pilotexperimente: 2017

Kosten: Die Kosten des SwissFEL betragen rund 275 Millionen Franken und werden zum grössten Teil vom Bund getragen. Der Kanton Aargau beteiligt sich mit 30 Millionen Franken aus seinem Swisslos-Fonds an der Finanzierung.

Technische Daten des SwissFEL

Aare

SwissFEL

PSI OstPSI Ost

PSI WestPSI West

N 740 m

Standort des SwissFEL beim Paul Scherrer Institut

� Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLSDie SLS ist eine Synchrotron Lichtquelle, an der

seit 2001 Spitzenforschung betrieben wird.

� Der SwissFEL Der SwissFEL ergänzt die Forschungsmöglichkeiten

an der SLS.

� Zentrale SteuerungKontrollraum aller Beschleunigeranlagen

des PSI. Zukünftig wird auch der SwissFEL von hier aus gesteuert.

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Das Paul Scherrer Institut aus der Vogelperspektive.

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Das Paul Scherrer Institut PSI ist ein Forschungsinstitut für Natur- und Ingenieurwissenschaften. Am PSI betreiben wir Spitzenforschung in den Bereichen Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Durch Grundlagen- und angewandte Forschung arbeiten wir an nachhaltigen Lösungen für zentrale Fragen aus Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Das PSI entwickelt, baut und betreibt komplexe Grossforschungsanlagen. Jährlich kommen mehr als 2500 Gastwissenschaftler aus der Schweiz, aber auch aus der ganzen Welt zu uns. Genauso wie die Forscherinnen und Forscher des PSI führen sie an unseren einzigartigen Anlagen Expe-rimente durch, die so woanders nicht möglich sind. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdok-torierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2000 Mitarbeitende. Damit sind wir das grösste Forschungsinstitut der Schweiz.

Das PSI in Kürze

Weitere Auskünfte zum SwissFEL

SwissFEL-Projektleiter BeschleunigerDr. Hans BraunTel. + 41 56 310 32 [email protected]

SwissFEL-Projektleiter ExperimenteDr. Luc Patthey Tel. +41 56 310 45 62 [email protected]

SwissFEL Science Officer Dr. Mirjam van Daalen Tel. + 41 56 310 56 [email protected]

Ein Film über den SwissFEL findet sich auf www.psi.ch/de/media/film-swissfel

Impressum

Konzeption/RedaktionPaul Scherrer Institut

FotosFrank Reiser, PSIMarkus Fischer, PSI

Gestaltung und LayoutMonika Blétry, PSI

DruckPaul Scherrer Institut

Zu beziehen beiPaul Scherrer InstitutEvents und Marketing5232 Villigen PSI, SchweizTelefon +41 56 310 21 11

Villigen PSI, Mai 2017

Umschlagbild: Die Daetwyler-Gruppe entwickelte und baute wesentliche Kompo-nenten für die Undulatoren des Freie-Elektronen-Röntgenlasers SwissFEL: Peter Daetwyler (links) mit SwissFEL-Projektleiter Hans Braun vor den einsatzbereiten Undulatoren im Strahlkanal.

SwissFEL_d, 5/2017

Paul Scherrer Institut :: 5232 Villigen PSI :: Schweiz :: Tel. +41 56 310 21 11 :: www.psi.ch