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Stellungnahme
Konsultation der Europäischen Kommission zur Überarbeitung der Gruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien über horizontale Kooperationen
©BDI Wettbewerb, Öffentliche Aufträge und Verbraucher
Die Europäische Kommission hat am 4. Mai 2010 die Entwürfe zweier
überarbeiteter Verordnungen und der zugehörigen Leitlinien für die Prüfung
von Kooperationsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern veröffentlicht.
Bei den neuen Regelungen handelt es sich um den Entwurf der Verordnung
über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 AEUV auf Gruppen von
Spezialisierungsvereinbarungen („Spezialisierungs-GVO“), den Entwurf
der Verordnung über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 AEUV auf
Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung („F&E-
GVO“) sowie die Neufassung der Leitlinien über Vereinbarungen über ho
rizontale Zusammenarbeit („Horizontalleitlinien“). Die derzeit geltenden
Vorschriften laufen am 31. Dezember 2010 aus.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) dankt der Europäi
schen Kommission für die Möglichkeit, zu den Entwürfen der Neuregelun
gen über horizontale Kooperationen Stellung zu nehmen.
Wie der BDI auch schon in seiner Stellungnahme vom 10. Februar 2009 zu
den Erfahrungen mit den derzeit geltenden Regelungen zur horizontalen
Zusammenarbeit deutlich gemacht hat, befürwortet die deutsche Industrie
die Regelungen zu horizontalen Kooperationen, die den Unternehmen in der
Praxis wertvolle Orientierungshilfen zur kartellrechtlichen Beurteilung ihrer
gemeinsamen Vorhaben bieten. Kooperationen sind für Unternehmen von
zunehmend großer Bedeutung. Im Zuge der Globalisierung, des raschen
technischen Wandels und der wachsenden Dynamik der Märkte sind Unter
nehmen beim Ringen um die vorderen Plätze im Wettbewerb verstärkt auf
die horizontale Zusammenarbeit angewiesen. Kooperationen können dabei
wirtschaftlichen Nutzen schaffen und einen wirksamen Wettbewerb ge
währleisten.
Aus diesem Grund begrüßt der BDI, dass die Europäische Kommission
nach Auslaufen der derzeit geltenden Regelungen zu horizontalen Koopera
tionen Ende 2010 neue Gruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien
für diesen wichtigen Bereich einführen möchte. Die Neuregelungen in den
Entwürfen, insbesondere die Ergänzungen in den Horizontalleitlinien, wer
den insgesamt positiv aufgenommen. Mehrere Anregungen aus der Stel
lungnahme des BDI vom 10. Februar 2009 wurden durch die Kommission
aufgegriffen.
Registrierungsnummer im Register der Interessenvertreter 1771817758-48
Dokumenten Nr. D 0353
Datum 2. Juli 2010
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Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Mitgliedsverband BUSINESSEUROPE
Telekontakte T: 0032 2 792 1005 F: 0032 2 792 1010 Internet
www.bdi.eu E-Mail
Aus Sicht des BDI könnte die Kommission zur Vermeidung rechtlicher Un
sicherheiten für die Unternehmen in einigen Bereichen jedoch weitere Klar
stellungen schaffen. Begrüßenswert wäre auch eine positivere Grundhaltung
der Europäischen Kommission zu Fällen des Informationsaustausches zwi
schen Unternehmen sowie zu Vereinbarungen über Normen. Schließlich
möchte der BDI auch seine Kritik an dem Konzept der Marktanteilsschwel
len in den Regelungen zu horizontalen Kooperationen erneuern.
Im Folgenden gehen wir auf diese und einige weitere Punkte gesondert ein,
die aus unserer Sicht verbesserungswürdig erscheinen. Dabei konzentrieren
wir uns insbesondere auf die Neuerungen in den Horizontalleitlinien und
auf Anmerkungen zum Entwurf der F&E-GVO.
Gliederung
A. Bemerkungen zum Konzept der Marktanteilsschwellen
B. Bemerkungen zum Entwurf neuer Horizontalleitlinien I. Allgemeine Bemerkungen II. Einzelkommentare 1. Vereinbarungen zwischen Muttergesellschaften und ihren
(mit) kontrollierten Tochtergesellschaften 2. Konzept des „am weitesten vorgelagerten unerlässlichen Bausteins“ 3. Wettbewerbsrechtliche Würdigung des Informationsaustauschs 4. Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion 5. Einkaufsvereinbarungen 6. Vermarktungsvereinbarungen 7. Vereinbarungen über Normen
C. Bemerkungen zum Entwurf der F&E-GVO I. Allgemeine Bemerkungen II. Einzelkommentare 1. Nebenabreden in nicht wettbewerblich beschränkenden F&E-
Vereinbarungen 2. Spezialisierung auf Forschung und Entwicklung Art.1 Nr. 12 F&E-
GVO 3. Spezialisierung auf die Verwertung, Art. 1 Nr. 13 F&E-GVO 4. Begriff des „potentiellen Wettbewerbers“, Art. 1 Nr. 16 F&E-GVO 5. Offenlegung sämtlicher bestehender und anhängiger Rechte des geisti
gen Eigentums, Art. 3 Abs. 2 F&E-GVO 6. Zugang zu vorhandenem Know-how, Art. 3 Abs. 4 F&E-GVO 7. Marktanteilsschwelle und Freistellungsdauer, Art. 4 F&E-GVO 8. Vertriebsbeschränkung, Art. 5 Buchst. d) F&E-GVO
D. Bemerkungen zum Entwurf der Spezialisierungs-GVO
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A. Bemerkungen zum Konzept der Marktanteilsschwellen
Der BDI hat sich schon in der Vergangenheit wiederholt gegen das Konzept
der Marktanteilsschwellen ausgesprochen. Dem von der Europäischen
Kommission angestrebten Ziel der angemessenen Rechtssicherheit für die
Unternehmen stehen die Schwierigkeiten bei der belastbaren Ermittlung
von Marktanteilen entgegen. Vor allem das Gesamtmarktvolumen ist häufig
nicht aus verlässlichen Datenquellen verfügbar. Schätzungen von Marktan
teilen sind möglich, verlagern aber die Unsicherheit über die Anwendung
einer Gruppenfreistellungsverordnung auf die Unternehmen.
Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind auf die Synergieeffekte aus
Kooperationen angewiesen. Sie müssen in einem verschärften Wettbewerb
auf globalen Märkten bestehen. Gleichwohl werden kleine und mittlere Un
ternehmen oft nicht in den Genuss der Gruppenfreistellungsverordnungen
kommen, da ihr Marktanteil trotz ihrer geringen Unternehmensgröße jeden
falls dann oberhalb der Marktanteilsschwellen liegt, wenn sie in Nischen
märkten tätig sind. Gerade zugunsten dieser Unternehmen sollten aber die
Möglichkeiten der Kooperation ausgeweitet werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass die verschiedenen Schwellen in den Reg
lungen zu horizontalen Kooperationen beträchtlich variieren. Für Einkaufs
und Vermarktungsvereinbarungen gilt beispielsweise auch nach dem neuen
Entwurf der Horizontalleitlinien eine Marktanteilsschwelle von 15 %. Die
Spezialisierungs-GVO will Unternehmen mit Marktanteilen von bis zu
20 % freistellen. Nach der Neufassung soll hier sogar eine zweite Marktan
teilsschwelle für Spezialisierungsvereinbarungen über die Herstellung von
Zwischenprodukten, die eine oder mehrere der Parteien ganz oder teilweise
intern für die Produktion nachgelagerter Produkte verwenden, eingeführt
werden. Für Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen kommen die
Unternehmen noch bis zu einem Marktanteil von 25 % in den Genuss der
F&E-GVO.
Wenn die Kommission trotz der vorgetragenen grundsätzlichen Einwände
an Marktanteilsschwellen festhalten will, sollte sie die Schwellen für hori
zontale Kooperationen vereinheitlichen und anheben. Auf diese Weise
könnten die Unwägbarkeiten bei der Bestimmung der relevanten Marktan
teile zumindest ein wenig gesenkt werden. Praktisch handhabbar und wett
bewerbspolitisch angemessen wäre eine einheitliche Marktanteilsschwelle
von 25 %. Zudem wäre es hilfreich, wenn die Kommission den Unterneh
men konkretere Orientierungshilfen bei der Bestimmung des relevanten
Marktes zur Verfügung stellen würde. Die Bekanntmachung der Kommissi
on von 1997 über die Definition des relevanten Marktes ist in unseren Au
gen zu abstrakt und hilft den Unternehmen in der Praxis kaum.
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B. Bemerkungen zum Entwurf neuer Horizontalleitlinien
I. Allgemeine Bemerkungen
Der BDI begrüßt es, dass die Kommission in den Horizontalleitlinien An
haltspunkte für die kartellrechtliche Bewertung verschiedener Formen hori
zontaler Kooperationen gibt. Die aktuellen Leitlinien aus dem Jahr 2001
stammen noch aus einer Zeit, in der Unternehmen im Wege von Individual-
freistellungen und Negativattesten Rechtssicherheit über die Vereinbarkeit
konkreter Vereinbarungen mit (heute) Art. 101 AEUV erlangen konnten.
Diese Möglichkeit besteht seit Einführung des Grundsatzes der Selbstein
schätzung im Rahmen der Verordnung 1/2003 grundsätzlich nicht mehr. Es
ist daher konsequent, wenn die Kommission in den Horizontalleitlinien zu
sätzliche Anhaltspunkte für die kartellrechtliche Bewertung bestimmter
Formen horizontaler Zusammenarbeit gibt. Insbesondere ist es hilfreich,
dass die Kommission anhand von Beispielsfällen relevante Fallgruppen he
rausgreift und Anhaltspunkte für deren Bewertung gibt.
Grundsätzlich begrüßt der BDI auch den „More Economic Approach“ der
Kommission bei der Bewertung kartellrechtlicher Fragestellungen. Denn
nur Verhaltensweisen, die objektiv nachweislich den Wettbewerb beschrän
ken, dürfen durch das Kartellrecht verboten werden. Der objektive Nach
weis der Wettbewerbsbeschränkung kann aber nur durch ökonomische Be
wertungen und Analysen und gegebenenfalls entsprechende Berechnungen
geführt werden. Zugleich wirft der More Economic Approach in der Praxis
erhebliche Probleme im Hinblick auf die von der VO 1/2003 geforderte kar
tellrechtliche Selbstveranlagung auf, insbesondere bei „normalen“ Kartell
rechtsfällen. Die Quantifizierung und Abwägung der Wettbewerbsnachteile
und Effizienzen einer konkreten Kooperation ist – insbesondere im Hinblick
auf das praktische Erfordernis eines hinreichenden Grades an Rechtssicher
heit – in der Beratungspraxis häufig dann schwierig, wenn die für eine um
fassende ökonomische Analyse notwendigen Daten nicht vorhanden sind
oder nur mit erheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand erhoben
werden können. Hinzu kommt, dass die Leitlinien die Anwendbarkeit von
Artikel 101 AEUV – zum Beispiel bei Einkaufs- und Vermarktungskoope
rationen – an das Erreichen von Marktanteilsschwellen anknüpfen. In der
Praxis können regelmäßig nur bei einzelnen, prominenten Fällen, die mög
licherweise Gegenstand eines behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens
sind, die für eine ökonomische Analyse notwendigen Daten umfassend er
mittelt und – zum Beispiel im Rahmen einer ökonometrischen Analyse –
sachverständig bewertet werden.
In der täglichen Beratung des operativen Geschäfts ist dies in der Regel
keine Option. Für die Vielzahl solcher, in der Summe praktisch enorm be
deutsamer, Fälle müssen daher relativ einfach handhabbare Grundregeln ge-
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funden werden, die zu belastbaren Ergebnissen und damit zu Rechtssicher
heit führen. Den Rechtsanwendern wird bislang nur eine Tendenz zur recht
lichen Zulässigkeit gegeben. Der BDI würde sich daher noch detailliertere
Anhaltspunkte durch die Kommission und einen Ausbau der Fallbeispiele
für zulässige und verbotene Kooperationsformen wünschen, insbesondere
auch zu der Frage, welche Verhaltensweisen in der Regel kartellrechtlich
unbedenklich sind („safe harbors“). Die in den Horizontalleitlinien formu
lierten Beispielsfälle stellen vielfach nur die relativ eindeutig unzulässigen
den kartellrechtlich erlaubten Anwendungsbeispielen einer Kooperations
form gegenüber (vgl. etwa Rn. 216 und 217 hinsichtlich Einkaufskooperati
onen). Anstelle einer Illustration vor allem der beinahe zweifelsfrei verbo
tenen und zulässigen Extrempole bestimmter Formen horizontaler Zusam
menarbeit wäre es begrüßenswert, wenn die Horizontalleitlinien für den Be
reich des Spektrums möglicher Zusammenarbeit, deren Beurteilung sich re
gelmäßig einer schematischen „Schwarz-/Weiß“-Bewertung entzieht, weite
re und konkretere Hinweise geben würden. Die Unternehmen können nur
dann solche Grauzonen-Fälle einigermaßen zuverlässig bewerten, wenn sie
die von der Kommission insoweit regelmäßig zu Grunde gelegten Kriterien
kennen und verstehen.
II. Einzelkommentare:
1. Vereinbarungen zwischen Muttergesellschaften und ihren (mit) kontrollierten Tochtergesellschaften (Rn. 11 der Horizontalleitlinien)
Die Horizontalleitlinien stellen klar, dass Art. 101 AEUV keine Anwendung
findet im Verhältnis zwischen Muttergesellschaften und ihren
(mit) kontrollierten Tochtergesellschaften. Diese Klarstellung begrüßen wir
im Grundsatz. Sie hat erhebliche praktische Bedeutung insbesondere für
Vereinbarungen von Gemeinschaftsunternehmen („GU“) mit ihren sie (ge
meinsam) kontrollierenden Müttern. Derartige Vereinbarungen sind richti
gerweise nach der nunmehr eindeutigen Aussage in Rn. 11 der Horizontal
leitlinien einer Kontrolle anhand von Art. 101 AEUV entzogen.
Der BDI würde sich aber noch eindeutigere Aussagen zur Nichtanwendbar
keit von Art. 101 AEUV in den beschriebenen Konstellationen wünschen:
a) Die Kommission sollte eindeutig die konkreten sachlichen Kriterien für
einen Ausschluss von Art. 101 AEUV benennen. Die Horizontalleitlinien
führen zur Bestimmung einer zum Ausschluss von Art. 101 AEUV führen
den engen Verbindung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft zwei (je
nach Verständnis ggf. auch drei) Kriterien an, die nicht eindeutig deckungs
gleich und in ihrem Verhältnis zueinander unklar sind:
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Die Kommission nennt zunächst – unter Verweis auf Entscheidungspraxis
des Gerichts und des EuGH – den Aspekt des „bestimmenden Einflusses“
(englische Fassung: „decisive influence“) auf die Tochtergesellschaft (bzw.
ein GU). Vereinbarungen zwischen einer Muttergesellschaft und ihrer
Tochtergesellschaft würden nicht der Kontrolle durch Art. 101 AEUV un
terliegen, wenn die Tochtergesellschaft dem „(gemeinsam) bestimmenden
Einfluss“ einer Muttergesellschaft unterliegt, weil beide dann eine einzige
wirtschaftliche Einheit bilden würden und folglich Teil desselben Unter
nehmens seien. In derartigen Fällen fehle es – wie für die Anwendung von
Art. 101 AEUV erforderlich – an einer Vereinbarung zwischen unabhängi
gen Unternehmen.
Die Horizontalleitlinien nennen aber zugleich das in der Fusionskontrolle
relevante Kriterium der „(Mit) Kontrolle“ als relevanten Maßstab. Ferner
führt die Kommission (in Fußnote 6 zu Rn. 11 der Horizontalleitlinien) aus,
dass die „gemeinsame Leitungsbefugnis“ der Muttergesellschaften dafür
konstitutiv sein soll, dass diese „bestimmenden Einfluss“ über das GU ha
ben.
Die Kommission erklärt nicht, ob es sich bei den genannten Kriterien nur
um sprachlich unterschiedliche Formulierungen des jeweils sachlich identi
schen Maßstabs handelt oder ob vielmehr zwei (bzw. drei) sachlich unter
schiedliche Prüfungsmaßstäbe bestehen sollen. Falls die letztere Interpreta
tion zutreffen sollte, nimmt die Kommission auch nicht dazu Stellung, wor
in der Unterschied bestehen soll zwischen einem „(gemeinsam) bestimmen
den Einfluss“ (bzw. einer „gemeinsamen Leitungsbefugnis“) und dem – von
der Kommission offenbar kumulativ verwendeten – Kontrollbegriff.
Der BDI ist der Auffassung, dass nur ein einziges Kriterium für die Anwen
dung von Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen zwischen Mutter- und Toch
tergesellschaften maßgeblich sein sollte. Es ist unklar, wie sich der „(ge
meinsam) bestimmende Einfluss“ bzw. die „gemeinsame Leitungsbefugnis“
zum Begriff der (gemeinsamen) Kontrolle verhalten. Auch ist nicht einsich
tig, welchen sachlichen Nutzen eine etwaige Mehrzahl von Prüfkriterien
haben soll, und welchem Kriterium – bei Konfliktfällen – der Vorrang zu
kommt.
Die Verwendung eines einheitlichen, praktisch handhabbaren Kriteriums
scheint auch aus Gründen der Rechtssicherheit vorzugswürdig. Andernfalls
ist etwa den Müttern eines gemeinschaftlich kontrollierten GU regelmäßig
keine belastbare Bewertung möglich, ob eine konkrete Kooperation (zum
Beispiel eine F&E-Vereinbarung mit dem GU) der Anwendbarkeit des
Art. 101 AEUV entzogen ist, oder ob stattdessen die Vorgaben der F&E-
GVO oder von Art. 101 Abs. 3 AEUV beachtet werden müssen. Nur bei
Verwendung eines eindeutigen Kriteriums kann den Unternehmen, wie von
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der VO 1/2003 gefordert, eine kartellrechtliche Selbstveranlagung zugemu
tet werden (ultra posse nemo obligatur). Eine belastbare Selbsteinschätzung
ist für die Unternehmen auch wegen des bei Anwendbarkeit von Art. 101
AEUV bestehenden Bußgeldrisikos von erheblicher praktischer Bedeutung.
Nach Auffassung des BDI sollte allein der jeweils für die Fusionskontrolle
relevante Zusammenschlussbegriff ausschlaggebend sein. Für die EU ist
dies der Kontrollbegriff. Dieser ist in der Praxis, insbesondere in einer Viel
zahl von Fusionskontrollentscheidungen und der Konsolidierten Mitteilung
der Kommission zu Zuständigkeitsfragen (dort Rn. 11 ff.), auf eine große
Bandbreite unterschiedlicher Sachverhalte angewendet worden und hat da
bei eine erhebliche Differenzierung erfahren. Die bisherigen Erfahrungen
im Bereich der Fusionskontrolle zeigen, dass das Kriterium praktisch gut
handhabbar ist. Es wäre daher zu begrüßen, wenn das der Kartellrechtspra
xis bereits vertraute Kriterium auch für die in Rn. 11 der Horizontalleitli
nien behandelte Fragestellung (alleine) maßgeblich wäre. Dagegen sollten
die in den Horizontalleitlinien enthaltenen Bezugnahmen auf anders formu
lierte Prüfmaßstäbe – zumal diese hier keinen zusätzlichen Erkenntnisge
winn versprechen und insoweit lediglich Verwirrung stiften – gestrichen
werden. Dies würde die Transparenz und praktische Handhabbarkeit des
von der Kommission in Rn. 11 formulierten Ansatzes signifikant erhöhen.
b) Der BDI fände es zudem vorteilhaft, wenn die Kommission einige konkrete
Beispiele für eine Nichtanwendung von Art. 101 AEUV auf Vereinbarun
gen zwischen Müttern und ihren (mit) kontrollierten Tochtergesellschaften
einfügen würde. Die Horizontalleitlinien sollten insbesondere klarstellen,
dass die entsprechenden Ausführungen nicht nur für horizontale Kooperati
onen relevant sind, sondern auch für vertikale Kooperationsformen (bei
spielsweise Vertriebsvereinbarungen zwischen einer Muttergesellschaft und
dem von ihr (mit) kontrollierten GU). Dadurch würde zugleich die Rechts
sicherheit erhöht.
c) Der BDI weist darauf hin, dass die Ausführungen in Rn. 11 der Horizontal
leitlinien nicht dahingehend missverstanden werden sollten, dass bei Beste
hen von Mit-Kontrolle über eine Tochtergesellschaft zwangsläufig deren
Muttergesellschaft für Kartellverstöße der Tochter oder des GU haftet. Ob
bzw. unter welchen Voraussetzungen eine Haftung der Muttergesellschaft
für Kartellverstöße eines GU in Betracht kommt, wird derzeit vor den euro
päischen Gerichten erst entschieden (siehe z.B. Rs. T-76/08 – Du Pont de
Nemours/Kommission; Rs. T-77/08 – Dow Chemical/Kommission; Rs. T-
541/08 – Sasol u.a./Kommission). Nach Ansicht des BDI kann eine Haftung
der Muttergesellschaft überhaupt nur dann in Betracht kommen, wenn die
Muttergesellschaft über ihre Kontrollrechte nachweislich und aktiv das kar
tellrechtswidrige Verhalten der Tochter oder des GU mitsteuert.
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d) Der BDI regt außerdem an, in das Kapitel zum Informationsaustausch (Rn.
54 ff) auch nähere Angaben zum Informationsaustausch im Rahmen von
Gemeinschaftsunternehmen zu integrieren (siehe unten unter B II 3).
2. Konzept des „am weitesten vorgelagerten unerlässlichen Bausteins“ ( Rn. 13 f. der Horizontalleitlinien)
Rn. 13 f. enthalten ein neues Konzept zur Bestimmung derjenigen Kapitel
der Horizontalleitlinien, die Ausgangspunkt für die Beurteilung „gemisch-
ter“, verschiedene Kooperationsformen betreffender Vereinbarungen sein
sollen. Während bislang ein „center of gravity“- Test darüber entschied,
welche Abschnitte der Horizontalleitlinien auf typengemischte Verträge
Anwendung fanden, soll nunmehr der „am weitesten vorgelagerte unerläss
liche Baustein“ einer integrierten Zusammenarbeit das Ausgangskapitel der
Horizontalleitlinien für die kartellrechtliche Prüfung bestimmen. Allerdings
sollen „normalerweise“ auch die in den Kapiteln über nachgelagerte Tätig
keiten der integrierten Zusammenarbeit dargelegten wettbewerbsrechtlichen
Bedenken und Ausführungen bei der Prüfung dieser Tätigkeiten berücksich
tigt werden.
Der BDI begrüßt das Ziel der Kommission, den Unternehmen mittels eines
neuen Tests mehr Rechtssicherheit zu verschaffen. Es ist nach unserer Auf
fassung aber fraglich, ob und inwieweit das neue Kriterium des „am weites
ten vorgelagerten unerlässlichen Bausteins“ insoweit weiterhilft. Die Aus
führungen in den Horizontalleitlinien sind jedenfalls teilweise missverständ
lich und daher zumindest klarstellungsbedürftig.
Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Relevanz der anwendbaren Frei
stellungen („safe harbors“) verschiedener Kapitel der Horizontalleitlinien.
Nach Rn. 13 sollen ausschließlich diejenigen safe harbors für die gesamte
integrierte Zusammenarbeit gelten, die in dem Kapitel über den „am weites
ten vorgelagerten unerlässlichen Baustein“ aufgeführt sind. Zugleich soll
aber die Prüfung „anders ansetzen“ (Rn. 14), wenn die Parteien einen be
stimmten Baustein „auf jeden Fall“, ungeachtet der anderen Bausteine ver
einbaren. In solchen Fällen soll die (offenbar gesamte) Vereinbarung nach
den Grundsätzen des Kapitels untersucht werden, das sich mit dem „auf je
den Fall vereinbarten“ Baustein der Vereinbarung befasst.
Dieser Ansatz schafft, sofern er nicht noch eingehender erläutert wird, An
wendungsprobleme für eine Vielzahl denkbarer „kombinierter“ Vereinba
rungen. Dies gilt insbesondere, wenn Zweifel bestehen, ob und in welchem
Umfang die verschiedenen Vertragselemente aufeinander aufbauen bzw.
wirtschaftlich voneinander abhängen.
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Beispiel: Zwei Wettbewerber einigen sich auf eine „kombinierte“ Einkaufs
und F&E-Vereinbarung. Die Marktanteile der Kooperationspartner betragen
für die F&E-Komponente etwa 40 %. Für den gemeinsamen Einkauf der für
die F&E (nicht jedoch die spätere Produktion des Forschungsergebnisses)
eingesetzten homogenen Massengüter – zum Beispiel Kupferdrähte – liegt
der gemeinsame Marktanteil weit unter 15 %.
· Soweit hier die F&E-Komponente als der „am weitesten vorgelagerte
unerlässliche Baustein“ angesehen würde, könnte entsprechend Rn. 13
die Vereinbarung in ihrer Gesamtheit einer Rechtfertigung entzogen
sein, weil die 25 %-Schwelle des F&E - safe harbor überschritten ist.
Der in Rn. 13 formulierte Grundsatz soll offenbar unabhängig von den
konkreten Marktauswirkungen der Vereinbarung sowie unabhängig da
von gelten, dass zugleich die für Einkaufsvereinbarungen maßgebliche
15 %-Schwelle (Rn. 203 der Horizontalleitlinien) gewahrt ist. Ein derar
tig „schematisches“ Ergebnis ist überraschend. Zudem zeigt dieses Bei
spiel auch, dass der Test des „am weitesten vorgelagerten unerlässlichen
Bausteins“ ausfüllungsbedürftig ist. Vorliegend könnte man nämlich
auch die Einkaufskomponente als den „am weitesten vorgelagerten un
erlässlichen Baustein“ ansehen, soweit ohne den gemeinsamen Einkauf
eine Entwicklungskooperation keinen Sinn machen würde und er daher
Basis der Kooperation ist. Dies würde maßgeblich von den Umständen
des Einzelfalls und im Ergebnis – wohl mehr oder weniger – von dem
Schwerpunkt der Vereinbarung abhängen. Dann aber ist der Unterschied
des neuen Kriteriums zum bislang verwendeten „center of gravity“ -
Test nicht eindeutig. Wenn man den letzteren Ansatz zu Grunde legt,
wäre wegen Unterschreitens der 15 %-Schwelle neben der Einkaufsko
operation offenbar auch die nachgelagerten F&E mit gerechtfertigt. Man
käme demnach zum gegenteiligen Ergebnis. Die Horizontalleitlinien
sind insoweit korrektur-, jedenfalls aber konkretisierungsbedürftig.
· Wenn die Parteien hingegen „auf jeden Fall“, ungeachtet der gemein
samen F&E, Kupferdraht einkaufen wollen, könnte man entsprechend
Rn. 14 die Prüfung offenbar von Anfang an „anders ansetzen“ und da
mit die safe harbors für Einkaufskooperationen zu Grunde legen. Dann
wäre jedenfalls die Einkaufskooperation gerechtfertigt. Ungeklärt bleibt
nach dem Entwurf der Kommission, was für den restlichen Teil der Ko
operation gilt. Aus Rn. 14 ergibt sich nur, dass „die Vereinbarung“ nach
den für Einkaufskooperationen maßgebenden Grundsätzen zu beurteilen
ist, nicht jedoch, ob diese Maßstäbe (und insbesondere die entsprechen
den safe harbors) auch für die gemeinsame F&E maßgebend sind.
Die aufgezeigten Anwendungsprobleme werden sich ohne ein klares Ver
ständnis der dem neuen Test zu Grunde liegenden Intention kaum zufrie
denstellend und mit der für die Unternehmen notwendigen Vorhersehbar-
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keit lösen lassen. Da Sinn und Zweck des neuen Kriteriums nicht ohne Wei
teres ersichtlich sind, wäre als Leitfaden für die Anwendung der Horizontal
leitlinien auf „kombinierte“ Vereinbarungen eine Erläuterung der Beweg
gründe und Zielrichtung wünschenswert, die für die Kommission bei der
Wahl und Ausgestaltung des Kriteriums ausschlaggebend waren.
Soweit die Kommission beabsichtigt, das neue Konzept beizubehalten, regt
der BDI ferner an, mehrere zusätzliche Anwendungsbeispiele zu seiner
Verdeutlichung und Konkretisierung aufzunehmen. Im Rahmen dieser Bei
spiele sollte insbesondere noch deutlicher herausgearbeitet werden, unter
welchen Voraussetzungen ein Vertragsbaustein gegenüber den anderen
Bausteinen als „unerlässlich“ und „vorgelagert“ anzusehen ist. Insbesondere
sollte klar gestellt werden, ob das Kriterium des „vorgelagerten Bausteins“
auch für (mit anderen Bausteinen kombinierte) Einkaufskooperationen gilt,
oder ob der Test nur auf Kombinationen von jeweils auf den Produktabsatz
gerichteten Tätigkeiten anwendbar ist (zum Beispiel Kombination von
F&E, nachgelagerter gemeinsamer Produktion und wiederum nachgelager
tem gemeinsamen Vertrieb). Auch wäre eine Klarstellung wünschenswert,
unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen eine „integrierte“ Zusam
menarbeit vorliegt (d.h. Beurteilung nach dem „am weitesten vorgelagerten
unerlässlichen Baustein“), und ob dann tatsächlich ausnahmslos immer al
leine die safe harbors dieses Bausteins maßgebend sind. Ferner sollte klar
gestellt werden, welche Beweisanforderungen für den Nachweis entspre
chend Rn. 14 gelten, dass eine Vertragskomponente „auf jeden Fall“, unge
achtet der anderen Bausteine, vereinbart wurde. Dies ist von zentraler prak
tischer Bedeutung. Denn das neue Konzept der Kommission macht offenbar
erhebliche Unterschiede zwischen „einfachen“ Kombinationen verschiede
ner, nur unwesentlich oder gar nicht inhaltlich miteinander verwobener,
Vertragselemente, die ebenso gut in verschiedenen Vertragsurkunden ent
halten sein könnten, und integrierten Vereinbarungen, deren unterschiedli
che Bausteine miteinander „stehen und fallen“ sollen. Schließlich sollte für
die „einfach“ kombinierten Verträge eine Klarstellung erfolgen, ob die safe
harbors des „auf jeden Fall“ vereinbarten Bausteins auch die übrigen Ver
tragselemente rechtfertigen können. Diese Frage wird in Rn. 14 bislang
nicht eindeutig beantwortet.
3. Wettbewerbsrechtliche Würdigung des Informationsaustauschs, Rn. 54 ff der Horizontalleitlinien
Der BDI begrüßt, dass die Kommission Hinweise zu den allgemeinen
Grundsätzen für die wettbewerbsrechtliche Würdigung des Informations
austauschs in die Horizontalleitlinien aufnehmen will. Insbesondere ist es
hilfreich, dass die Kommission ihre bisherige Praxis aus vielen Einzelfällen
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in einem Dokument zusammengefasst hat. Dies wird es den Unternehmen
und Anwälten erleichtern, sich hierüber einen raschen Überblick zu ver
schaffen.
Insgesamt scheint die Kommission den Informationsaustausch zwischen
Unternehmen - trotz der grundsätzlich positiven Aussage in Rn. 58, nach
der ein Informationsaustausch häufig wettbewerbsfördernde Wirkung hat –
mit großer Skepsis zu betrachten. Dies ist bedauerlich, insbesondere da die
Kommissionspraxis zu horizontalen Kooperationen an vielen Stellen einen
Informationsaustausch zwischen den Unternehmen fordert, beispielsweise
bei der Ermittlung von Marktanteilen oder der Offenlegung von Rechten
des geistigen Eigentums. Eine positivere Grundhaltung der Kommission
zum Informationsaustausch wäre daher hilfreich.
Der BDI bemängelt, dass die Horizontalleitlinien im Kapitel zur Würdigung
des Informationsaustauschs keine konkreten Vorschläge machen, unter wel
chen Voraussetzungen regelmäßig nicht mit wettbewerbeschränkenden
Auswirkungen zu rechnen ist. Ohne entsprechende safe harbors wird es vie
len Unternehmen und Verbänden schwer fallen, ihre Praxis mit der notwen
digen Rechtssicherheit an den Horizontalleitlinien auszurichten. Hilfreich
wäre in diesem Zusammenhang, wenn die safe harbors so formuliert wären,
dass auch kleinere und mittelgroße Unternehmen ohne die Einschaltung auf
das Kartellrecht spezialisierter Rechtsanwälte die Horizontalleitlinien prob
lemlos umsetzen könnten.
Daneben plädiert der BDI für eine Anreicherung der Beispiele in Rn. 98 ff.
Aus unserer Sicht gehen die genannten Beispiele leider nicht ausreichend
auf die Bedürfnisse der Praxis ein, da sich die Fälle in der operativen Bera
tung nur selten so klar zulässig oder unzulässig wie in den von der Kom
mission gewählten Beispielen darstellen.
Im Einzelnen:
Zu Rn. 68 der Horizontalleitlinien
Der BDI bezweifelt, dass Fälle, in denen die Verknüpfung verschiedener
Arten von Daten auch Rückschlüsse auf geplante künftige Preise oder Men
gen zulässt, regelmäßig in die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbe
schränkungen gehören. Für die Bewertung dürften vielmehr die Umstände
des Einzelfalles entscheidend sein. So sind ohne Weiteres Konstellationen
denkbar, in denen eine entsprechende Verknüpfbarkeit nicht auf der Hand
lag und damit nicht ohne Weiteres der Intention der beteiligten Unterneh
men entsprach. Nach unserer Auffassung setzt eine Beurteilung als be
zweckte Wettbewerbsbeschränkung vielmehr voraus, dass nach den Um
ständen des Einzelfalls für die Beteiligten offensichtlich gewesen sein muss,
dass die ausgetauschten Informationen – mittels Verknüpfung – direkte
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Rückschlüsse auf geplante künftige Preise oder Mengen liefern und damit
zu wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen genutzt würden. Wenn
dies nicht der Fall ist, liegt keine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vor.
Es kommt dann allenfalls, je nach den konkreten Markteffekten im Einzel
fall, eine „bewirkte“ Wettbewerbsbeschränkung in Betracht. Die Einord
nung eines Informationsaustauschs als „Hardcore“ - Verstoß sollte auf die
in Rn. 67 genannten Fälle beschränkt werden.
Zu Rn. 73 ff der Horizontalleitlinien
Der BDI würde sich konkretere Hinweise und Definitionen in den Absätzen
über Markteigenschaften und deren Bewertung für den Informationsaus
tausch wünschen. So ist beispielsweise nicht auf den ersten Blick klar, was
die Kommission unter einem „engen Oligopol“ (Rn. 75) versteht.
Zu Rn. 81 der Horizontalleitlinien
Grundsätzlich ist es positiv zu bewerten, dass die Kommission in Rn. 81 ei
ne Typisierung von Informationen in „sensible / nicht-sensible“ Daten vor
nimmt. Der BDI würde sich jedoch eine größere Differenzierung der ein
zelnen Daten wünschen. Auch wenn die Kommission angibt, welche Infor
mationen ihrer Ansicht nach strategisch am wichtigsten sind, verbleibt hier
für die Unternehmen eine große Unsicherheit. So sollte beispielsweise hin
sichtlich des Kriteriums „Umsatz“ danach unterschieden werden, ob sich
der Umsatz auf ein einzelnes Produkt oder auf die Produktpalette bezieht.
Die „strategische Wichtigkeit“ der Information könnt hier unterschiedlich
ausfallen. In der Regel ist eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung auch
erst beim Zusammenspiel mehrerer strategisch wertvoller Daten zu befürch
ten.
Zu Rn. 82 f der Horizontalleitlinien
Die Kommission scheint ihre Beurteilung, ob eine Information „öffentlich“
oder „nicht-öffentlich“ ist, in erster Linie danach vorzunehmen, ob ein kos
tenloser Zugang zu der Information gewährleistet ist. Aus unserer Sicht
kommt es jedoch vielmehr darauf an, ob ein transparenter und diskriminie
rungsfreier Zugang ermöglicht wird.
Zu Rn. 85 f der Horizontalleitlinien
Hinsichtlich der Aussagen zu „echten aggregierten“ Daten sowie zu „histo-
rischen“ Daten in den Rn. 85 und 86 plädiert der BDI für weitere Klarstel
lungen. So könnte die Kommission hinsichtlich der Unterscheidung zwi
schen individuellen und aggregierten Daten in Rn. 85 auf eine bestimmte
Mindestteilnehmerzahl bei der Aggregation abstellen. Laut Rn. 86 richtet
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sich die Frage, ob Daten als historisch eingestuft werden, nach den konkre
ten Eigenschaften des relevanten Marktes. Dabei „können“ Daten als histo
risch gelten, wenn sie um „ein Mehrfaches älter sind als die durchschnittli
che branchenübliche Vertragsdauer“. Hierdurch wird den Unternehmen
keine ausreichende Rechtssicherheit geboten. Unklar bleibt auch, ob - und
falls dies der Fall ist, warum – die Kommission von ihrer bisherigen, in
Fußnote 57 angesprochenen Praxis abweicht, nach der Daten, die älter sind
als ein Jahr, bereits als historisch einzustufen sind.
Informationsaustausch und Verbandsarbeit
In Rn. 59 der Leitlinien zur kartellrechtlichen Beurteilung von Seeverkehrs
dienstleistungen vom 1.7.2008 (Amtsblatt C 245/2) erkennt die Kommissi
on die Bedeutung von Verbänden als Mittel zum legitimen Austausch von
Informationen ausdrücklich an. Der BDI würde es begrüßen, wenn die
Kommission auch in die Horizontalleitlinien einen entsprechenden Absatz
aufnehmen könnte. In vielen Wirtschaftszweigen ist es üblich – und wett
bewerbsrechtlich nicht zu beanstanden -, über die Branchenverbände statis
tische Aggregate und allgemeine Marktinformationen einzuholen, auszutau
schen und zu veröffentlichen. Diese veröffentlichten Marktinformationen
sind ein gutes Mittel zur Verbesserung der Markttransparenz und zur In
formation der Abnehmer und ermöglichen folglich Effizienzgewinne. Auf
grund unklarer rechtlicher Vorgaben herrscht bei Unternehmen und Ver
bänden jedoch große Rechtsunsicherheit.
Aus Sicht des BDI wäre es daher vorteilhaft, wenn die Kommission für die
jenigen Fälle einen safe harbour schaffen würde, in denen ein Informati
onsaustausch zwischen einer angemessenen Anzahl an Unternehmen über
eine Institution, beispielsweise einen Verband, erfolgt, der selbst nicht auf
dem relevanten Markt tätig ist und der die Informationen der einzelnen Un
ternehmen sammelt und so aggregiert, dass ein Rückschluss auf einzelne
Unternehmen nicht mehr möglich ist.
Informationsaustausch und Gemeinschaftsunternehmen
Der BDI würde sich eine Ergänzung der Ausführungen und der Fallbeispie
le zum Informationsaustausch mit Blick auf Gemeinschaftsunternehmen
wünschen. Für die praktische Rechtsanwendung sehr hilfreich wäre insbe
sondere eine Erläuterung, inwiefern Artikel 101 AEUV anwendbar ist auf
die Informationsflüsse
- innerhalb des GU (z.B. Informationsaustausch zwischen Mitarbeitern des
GU, die von ihren Müttern jeweils entsandt wurden),
- zwischen dem GU und den Muttergesellschaften (z.B. Informationen, die
zur Steuerung des GU notwendig sind oder Nutzung der im GU gewonne-
Seite 13 von 26
nen Erkenntnisse innerhalb der jeweiligen Muttergesellschaften bei ande
ren Projekten),
- zwischen den Müttern, soweit sie das GU betreffen.
4. Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion Rn. 144 ff der Horizontalleitlinien
Der BDI begrüßt, dass die Kommission den Zuliefervereinbarungen zwi
schen Wettbewerbern in den Rn. 145 ff der Horizontalleitlinien mehr Raum
widmet. In den bislang geltenden Regelungen fehlen konkretere Ausle
gungsmaßstäbe für die Zulässigkeit solcher, für viele Unternehmen sehr
wichtigen, Vereinbarungen. Die Erwähnung zu Beginn des Kapitels zu Ver
einbarungen über die gemeinsame Produktion macht deutlich, dass das ge
samte Kapitel auf Zuliefervereinbarungen Anwendung findet.
5. Einkaufsvereinbarungen Rn. 189 ff der Horizontalleitlinien
Grundsätzlich ist die Überarbeitung der Leitlinien im Zusammenhang mit
Einkaufsvereinbarungen begrüßenswert. Im Ergebnis bringt die Überarbei
tung nach unserem Verständnis keine wesentlichen Änderungen, sondern
bestätigt die Kernaussagen der bestehenden Horizontalleitlinien bzw. kon
kretisiert diese weitergehend.
Die Kommission geht allerdings weiter davon aus, dass Einkaufsvereinba
rungen zwischen Wettbewerbern dann nicht von Art. 101 Abs. 1 AEUV er
fasst werden, wenn die an der Vereinbarung Beteiligten einen gemeinsamen
Marktanteil von weniger als 15 % nicht nur auf den betroffenen Einkaufs
märkten, sondern auch auf den Verkaufsmärkten halten (RN 203). Bei der
Ermittlung der Marktanteile sollte jedoch allein auf die Einkaufsmärkte ab
gestellt werden. Die Berücksichtigung der Verkaufsmärkte bei der Marktan
teilsberechnung führt dazu, dass Einkaufskooperationen großer Unterneh
men regelmäßig in den Anwendungsbereich von Art. 101 Abs. 1 AEUV fal
len. Es kommt hinzu, dass die Marktanteile auf den Verkaufsmärkten – ge
rade bei großen Einkaufskooperationen - wohl kaum rechtssicher zu ermit
teln sind.
Aus Sicht des BDI wäre es auch wünschenswert, wenn die neuen Horizon
talleitlinien deutlicher klarstellen würden, unter welcher Voraussetzung die
Anwendung von Art. 101 Absatz 1 auf Einkaufsvereinbarungen unwahr
scheinlich ist, wenn die Parteien nicht auf denselben relevanten nachgeord
neten Märkten tätig sind (d.h. keine Wettbewerber auf den Verkaufsmärkten
sind). Hier wird in Rn. 197 pauschal auf einen „erheblichen Grad an
Marktmacht“ (der nicht auf Marktbeherrschung hinauslaufen muss) abge
stellt. Für den Anwender verbleibt eine weitgehende Unsicherheit im Hin-
Seite 14 von 26
blick auf Fälle, bei denen die gemeinsame Einkaufsmacht zwischen 15%
und der Marktbeherrschung liegt. Es wäre aus Gründen der Rechtssicherheit
äußerst hilfreich, wenn der unbestimmte Rechtsbegriff des „erheblichen
Grads an Marktmacht“ für den Fall des Wettbewerbs alleine auf den Ein
kaufsmärkten weiter konkretisiert würde.
Der BDI begrüßt, dass in das Kapitel zu Einkaufsvereinbarungen auch An
gaben zum Informationsaustausch aufgenommen wurden (Rn. 210 f). Al
lerdings sollten die Angaben zum Bestehen einer gemeinsamen Einkaufsor
ganisation konkretisiert werden. Insbesondere wären wir daran interessiert,
ob eine gemeinsame Einkaufsorganisation notwendigerweise eine eigen
ständige gesellschaftsrechtliche Einheit voraussetzt. Gerade kleine und mitt
lere Unternehmen werden in der Regel keine solche gesonderte Einkaufsor
ganisation gründen können. Hilfreich wären auch nähere Angaben zur
Durchführung einer Einkaufskooperation ohne separate Einkaufsorganisati
on.
Positiv ist, dass die Kommission in Rn. 215 die Einschränkung in Rn. 134
der derzeit geltenden Leitlinien, nach der eine beherrschende Marktstellung
entweder auf dem Einkaufs- oder auf dem Verkaufsmarkt eine Freistellung
ausschließt, gestrichen hat.
6. Vermarktungsvereinbarungen Rn. 220 ff der Horizontalleitlinien
Der BDI plädiert auch im Kapitel über Vermarktungsvereinbarungen für ei
ne weitergehende Klarstellung der den Unternehmen zur Verfügung gestell
ten Kriterien. So wird beispielsweise nicht deutlich, was die Kommission
unter „Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern ab einer bestimmten Grö-
ße“ in Rn. 222 versteht. Gleiches gilt für die Behandlung nicht gegenseiti
ger Vertriebsvereinbarungen, zu denen die Kommission lediglich feststellt,
dass ein geringeres Risiko der Marktaufteilung bzw. wettbewerbsbeschrän
kender Auswirkungen gegeben ist als bei gegenseitigen Vereinbarungen
(Rn. 231, 233). Klare Konsequenzen für die Unternehmen ergeben sich dar
aus nicht. Hier wäre die Einführung zusätzlicher safe harbors wünschens
wert, nach denen beispielsweise nicht gegenseitige Vertriebsvereinbarun
gen, die keine Preisvereinbarungen oder Kunden-/Gebietszuweisungen ent
halten, unter einem gewissen gemeinsamen Marktanteil in jedem Fall frei
gestellt sind. Bei der bestehenden Marktanteilsschwelle von 15 % in Rn.
235 wird bislang nur von einer „wahrscheinlichen“ Freistellung gesprochen.
7. Vereinbarungen über Normen Rn. 252 ff der Horizontalleitlinien
Der BDI begrüßt, dass die Kommission Hinweise zur Bewertung verschie
dener kartellrechtlicher Fragen der Lizenzierung in die Horizontalleitlinien
aufgenommen hat. Insbesondere ist es hilfreich, dass die Kommission in
Seite 15 von 26
Rn. 258 der Horizontalleitlinien die regelmäßig positiven Wirkungen von
Normenvereinbarungen auf die Wirtschaft betont und in Rn. 276 ff. der Ho
rizontalleitlinien einen safe harbor für Normenvereinbarungen und Stan
dardbedingungen aufnimmt. Die deutsche Wirtschaft setzt sich für eine ef
fiziente, transparente und diskriminierungsfreie Normensetzung ein. Dabei
unterstützt sie das Bestreben der Kommission um eine klare und ausgewo
gene Politik zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums, welche
gleichzeitig eine missbräuchliche Ausnutzung des Normungsprozesses
vermeidet.
Allerdings befürchtet der BDI, dass der vorliegende Entwurf zu einer kar
tellrechtlich nicht erforderlichen Überregulierung von Normenvereinbarun
gen führen würde. Trotz Betonung der regelmäßig positiven Wirkungen von
Normenvereinbarungen legen es verschiedene Stellen in den Leitlinien na
he, dass ein kartellrechtlicher, sich gegen die Zulässigkeit von Normenver
einbarungen richtender Generalverdacht die Grundlinie des Entwurfs be
stimmt. Dies ist nach unserer Auffassung nicht gerechtfertigt. In der ganz
überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird vielmehr das von der Kommission
beschriebene Spannungsverhältnis zwischen den verschiedenen Interessen
der Beteiligten für einen Ausgleich sorgen und verhindern, dass einzelne
Unternehmen ihre Interessen einseitig zu Lasten von Konkurrenten
und/oder Kunden durchsetzen können. Entgegen der Kommission sind in
soweit nicht nur die Interessen der Wettbewerber für die relevanten Techno
logien in den Normungsdiskussionen vertreten, sondern regelmäßig auch
die Interessen der Endkunden, Zwischenkunden / Systemintegratoren, Lie
feranten, Hersteller, vertikal integrierten Technologieinhaber und Produkt
hersteller, Wissenschaft/Forschungsinstitute etc. Der BDI regt an, diese
breite Interessenvertretung als Best Practice - Empfehlung für den Nor-
mungsprozess in den Horizontalleitlinien festzuschreiben.
Einzelkommentare:
Zu Rn. 259 der Horizontalleitlinien
Wir sehen aufgrund der in aller Regel heterogenen Zusammensetzung der
an einem Normungsprozess beteiligten Unternehmen keine besonderen An
haltspunkte dafür, dass Diskussionen über Normung wie andere Treffen
zwischen Wettbewerbern dazu verleiten könnten, den Preiswettbewerb zu
mindern oder gar auszuschalten.
Zu Rn. 260 der Horizontalleitlinien
Diese Randnummer erscheint missverständlich. Es sollte klar gestellt wer
den, dass die Gefahr des Ausschlusses konkurrierender Technologien nur
besteht, wenn die Norm – rechtlich oder de facto - verbindlich eine be-
Seite 16 von 26
stimmte Technologie für eine ganze Produktgattung festlegt und konkurrie
rende Normen für austauschbare Produkte daneben nicht denkbar oder zu
lässig wären. Andernfalls würde der Wettbewerb zwischen verschiedenen
Normen verhindern, dass die Festlegung einer bestimmten Technologie in
einer Norm sich als Marktzutrittsschranke für konkurrierende Technologien
auswirkt.
Zu Rn. 276 ff der Horizontalleitlinien
Der BDI würde sich eine nähere Konkretisierung der Voraussetzungen
wünschen, unter denen ein Unternehmen von dem safe harbour in Rn. 276
ff profitieren kann. So ist es zwar zu begrüßen, dass die Kommission ver
sucht, sowohl den Interessen der Schutzrechtsinhaber an einer angemesse
nen Verwertung ihrer Schutzrechte als auch den Interessen der Anwender
der Industriestandards an einem offenen Zugang zu den betroffenen Märk
ten Rechnung zu tragen. Es verbleiben jedoch viele offene Fragen. Bei
spielsweise ist hinsichtlich der Verpflichtung zur Offenlegung der erforder
lichen Rechte des geistigen Eigentums in Rn. 281 nicht klar, auf welche
Weise die Kommission feststellen möchte, dass sich ein Schutzrechtsinha
ber „nach Kräften darum bemüht hat“ festzustellen, ob er Eigentümer eines
möglicherweise erforderlichen Schutzrechtes für die anvisierte Norm ist.
Unklar bleibt auch, was im Rahmen der Verpflichtung zur Abgabe einer
FRAND-Erklärung in Rn. 282 unter „wesentlichen Rechten“ zu verstehen
ist. Hilfreich wären außerdem nähere Angaben zu der Frage, wann nach
Ansicht der Kommission eine Lizenzvergabe unter „angemessenen“ Bedin
gungen erfolgt – beispielsweise welche Kriterien die Kommission bei der
Bewertung der Höhe der Lizenzgebühren zugrunde legt (Rn. 283). Die An
gaben in den Rn. 284 f. helfen hier nicht weiter (s.u.).
Zu den Rn. 284 f. der Horizontalleitlinien
Wenngleich die Ausführungen der Kommission in den Rn. 284 und 285
sich auf Art. 102 AEUV beziehen und daher keine unmittelbare Bedeutung
für die kartellrechtliche Bewertung von Normenvereinbarungen nach
Art. 101 AEUV haben, begrüßt der BDI das Ziel, den Unternehmen An
haltspunkte für die Bestimmung von fairen bzw. angemessenen Lizenzge
bühren an die Hand zu geben. Der Vorschlag der Kommission, die Lizenz
gebühren, die ein Unternehmen für ein Patent in Rechnung stellt, „ex ante“
und „ex post“ der Normensetzung zu vergleichen, sollte jedoch auf seine
Praktikabilität überdacht werden – insbesondere in Fällen komplexer und
dynamischer Entwicklungsprozesse dürfte diese Methode zu unsicheren Er
gebnissen führen.
Seite 17 von 26
Der BDI stimmt der Kommission hinsichtlich der Einschätzung kostenbe
zogener Methoden zu. Diese eignen sich nicht für die Bestimmung des wirt
schaftlichen Werts von Patenten. Zum einen bestehen, wie zu Recht von der
Kommission ausgeführt, übermäßig große praktische Schwierigkeiten bei
der Schätzung der Kosten. Zum anderen sind kostenbezogene Methoden
auch grundsätzlich nicht dazu geeignet, den wahren wirtschaftlichen Wert
von Patenten zu bestimmen. Erstens würde eine reine Kostenbestimmung
noch keinen Aufschluss über eine angemessene Ergebnismarge geben.
Zweitens würde eine rein kostenbezogene Wertbestimmung von Patenten
die vom Gesetzgeber gewollte Belohnungs- und Anreizfunktion eines Pa
tentsystems strukturell gefährden, wenn nicht gar konterkarieren. Sinn und
Zweck einer Gewährung von Patentrechten liegen unter anderem gerade da
rin, den Inhaber für seine Leistungen zu belohnen sowie ihm und anderen
einen Anreiz zur Entwicklung und Erforschung neuer Technologien zu set
zen.
Ebenfalls skeptisch sind wir hinsichtlich der Einholung und Verwendung
etwaiger unabhängiger Expertengutachten. Aufgabe der Kommission wäre
es, Leitlinien zu entwickeln, an denen sich der Experte bei seiner Beurtei
lung ausrichten könnte. Zudem hat der BDI Zweifel daran, ob es gelingen
kann, für wesentliche Patente desselben Standards – in Abhängigkeit von
ihrer qualitativen Bedeutung – unterschiedliche wirtschaftliche Werte zu
bestimmen. Regelmäßig werden alle wesentlichen Patente eines Standards
denselben wirtschaftlichen Wert haben, da ohne eine Lizenz zu diesen Pa
tenten kein funktionierendes Produkt auf der Basis dieses Standards herge
stellt und verwendet werden kann.
Zu Rn. 287 der Horizontalleitlinien
Der BDI hat Zweifel an der praktischen Relevanz einer unilateralen vorhe
rigen Offenlegung der restriktivsten Lizenzbedingungen. In vielen Fällen
wird eine damit gewonnene Transparenz nicht helfen, kartellrechtswidrige
Lizenzbedingungen nach Normsetzung zu vermeiden. Erstens wird es be
reits in der Mehrzahl von Fällen an einer Vergleichbarkeit fehlen. Lizenz
gebühren können Einmalzahlungen, laufende Gebühren, Festbeträge, Pro
zentbeträge vom Produktverkaufspreis, Minimumgebühren, Vorauszahlun
gen, Volumenrabatte und andere Kompensationsformen sowie Kombinatio
nen hiervon umfassen. Zweitens liegen zwischen dem ersten Entwurf eines
Standards und dem Massenverkauf der relevanten Produkte regelmäßig vie
le Jahre, die eine Heranziehung der restriktivsten Lizenzbedingungen als
fraglich erscheinen lassen. Mehrere Jahre alte Lizenzbedingungen bieten
kaum mehr einen Anhaltspunkt für den wahren aktuellen Wert der relevan
ten Patente und der zugrundeliegenden Technologie, die sich in der Zwi
schenzeit ebenfalls grundlegend gewandelt haben kann. Schließlich ist da-
Seite 18 von 26
vor zu warnen, Entscheidungen über die technisch richtige Norm gezwun
genermaßen mit wirtschaftlichen Fragen zu überfrachten.
Vor diesem Hintergrund befürwortet der BDI, dass die Kommission eine
unilaterale vorherige Offenlegung der restriktivsten Lizenzbedingungen le
diglich als ein Hilfsmittel einschätzt, um negative wettbewerbliche Auswir
kungen durch die Normenvereinbarung zu vermeiden.
Zu Rn. 288 der Horizontalleitlinien
Der BDI regt an, die Annahme in Rn. 288 zu überdenken, derzufolge die
Einbeziehung substituierbarer Technologien den Wettbewerb zwischen
Technologien einschränken könnte und daher die Annahme wettbewerbsbe
schränkender Auswirkungen wahrscheinlich macht. Erstens ist es heute eher
die Regel als die Ausnahme, dass vereinbarte Normen nicht nur wesentli
che, sondern auch substituierbare Technologien einbeziehen. Zweitens ist es
nicht verständlich, wieso die Einbeziehung von Technologie A in Norm X
verhindern soll, dass eine mit A substituierbare Technologie in Norm Y
aufgenommen wird. Eine gewisse Wirkung könnte allenfalls dann auftreten,
wenn die relevanten Produkte die Normen X und Y kumulativ erfüllen müs
sen, so dass es kosteneffizienter wäre, nur eine der beiden substituierbaren
Technologien zu beziehen und einzusetzen.
Zu Rn. 301 der Horizontalleitlinien
Potenziellen neuen Marktteilnehmern müssen die für die Normanwendung
erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen. Ein Hindernis könnten
die mitunter sehr hoch angesetzten Verkaufspreise für Normungstexte sein.
Der Zugang zu den Texten sollte vereinfacht werden, damit gerade auch
kleine und mittlere Unternehmen die Möglichkeit erhalten, sich über die
Normen zu informieren.
Zu Rn. 314 der Horizontalleitlinien
Hier könnte man die deutsche Fassung so verstehen, dass gerade bei De
facto-Normen den Marktanteilen für das Ausmaß der verbleibenden Quel
len tatsächlichen Wettbewerbs eine besondere Bedeutung zukommt. Dies
kann nicht gemeint sein.
Seite 19 von 26
C. Bemerkungen zum Entwurf der F&E-GVO (einschließlich des entsprechenden Abschnitts in den Horizontalleitlinien)
I. Allgemeine Bemerkungen
Die Bedeutung und vielfältigen Erscheinungsformen der Zusammenarbeit
von Unternehmen im Bereich von Forschungs- und Entwicklungskooperati
onen und die daraus resultierenden Implikationen für den Wettbewerb er
fordern ein gemeinsames Verständnis von der Bewertung derartiger Koope
rationen. Die Regelungen der F&E-GVO und die damit zusammenhängen
den Erläuterungen in den Horizontalleitlinien der Kommission sind daher
äußerst positiv zu bewerten: Sie erleichtern den betroffenen Unternehmen
die Selbsteinschätzung und den Umgang mit F&E-Vereinbarungen und för
dern durch Freistellungen die Innovation und damit den Wettbewerb.
Der vorliegende Entwurf der F&E-GVO enthält jedoch verschiedene, nach
folgend kurz beleuchtete Regelungen, die aus unserer Sicht kritisch zu be
werten sind.
II. Einzelkommentare
1. Nebenabreden in nicht wettbewerblich beschränkenden F&E-Vereinbarungen
Der BDI wiederholt seine Forderung nach einer deutlichen Klarstellung in
den Horizontalleitlinien, dass Nebenabreden in F&E-Vereinbarungen, die
zwar dem Partner Einschränkungen auferlegen, aber nicht den Wettbewerb
spürbar beschränken, nicht an den Vorgaben der F&E-GVO zu messen
sind. Ansonsten bestünde beispielsweise auch bei einer kartellrechtlich
grundsätzlich völlig unproblematischen F&E-Kooperation zwischen Nicht
wettbewerbern die Notwendigkeit zur wechselseitigen Einräumung von so
genanntem Background Know-how nach Art. 3 Abs. 3 F&E-GVO, sobald
die F&E-Vereinbarung eine den Wettbewerb nicht spürbar beschränkende
Nebenabrede enthält.
Unter Nebenabreden, die den Wettbewerb nicht spürbar beschränken, sind
dabei Bestimmungen zu verstehen, die nicht den eigentlichen Gegenstand
der F&E-Vereinbarungen bilden, die aber mit deren Durchführung unmit
telbar verbunden und für diese notwendig sind, wie z.B. die Verpflichtung,
allein oder mit Dritten während der Dauer der F&E-Kooperation keine
F&E-Arbeiten in demselben oder in einem eng benachbarten Bereich zu
betreiben. Dies entspricht bereits dem Gedanken der F&E-GVO, die derar
tige Nebenabreden nach dem gegenwärtig noch gültigen Art. 1 Abs. 2 F&E-
GVO auch bei kartellrechtlich relevanten Kooperationen generell freistellt.
Darüber hinaus stünde eine solche Klarstellung im Einklang mit der von der
Rechtsprechung anerkannten Immanenz-Ausnahme: Wenn eine F&E-
Vereinbarung als solche kartellrechtlich zulässig ist und keinen wettbe-
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werblichen Bedenken begegnet, dann sollte dies auch für die mit der F&E-
Vereinbarung zusammenhängenden Nebenabreden gelten. Ansonsten fiele
die F&E-Kooperation alleine durch die Vereinbarung einer einschränken
den Nebenabrede in den Anwendungsbereich der F&E-GVO und würde die
Einhaltung der weitergehenden Anforderungen der F&E-GVO erforderlich
machen. Dies erscheint jedoch nicht sachgerecht.
Regelmäßig enthalten fast alle – auch die kartellrechtlich völlig unproble
matischen – F&E-Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern Nebenab
reden der oben beschriebenen Art. Sinn und Zweck solcher Nebenabreden
ist primär die Sicherstellung des Erfolgs der F&E-Arbeiten durch Bünde
lung der Kräfte in einem Forschungsprojekt, nicht aber die Beschränkung
des wettbewerblichen Verhaltens der beteiligten Unternehmen. In diesen
Fällen kann es nicht gewollt sein, Art. 101 AEUV und die Vorgaben der
F&E-GVO über die „Hintertür“ zur Anwendung zu bringen. Dem entspre
chen auch die Aussagen in den Horizontalleitlinien, dass nur die wenigsten
F&E-Kooperationen von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst werden (Rn. 123).
Nebenabreden in kartellrechtlich relevanten, d.h. spürbar wettbewerbsbe
schränkenden F&E-Vereinbarungen, blieben nach Art. 1 Abs. 2 F&E-GVO
freigestellt.
2. Spezialisierung auf Forschung und Entwicklung, Art. 1 Nr. 12 F&E-GVO
Nach Art. 1 Nr. 12 des Entwurfs der F&E-GVO muss jede Partei in gewis
sem Umfang an der unter die Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung
fallenden Forschung und Entwicklung mitwirken. Nach dem ausdrücklichen
Wortlaut der Regelung umfasst dies nicht den Fall, „dass eine Partei alle
Forschungs- und Entwicklungsarbeiten ausführt und die andere diese Ar
beiten lediglich finanziert oder die Ergebnisse verwertet“.
Diese Regelung ist unseres Erachtens äußerst problematisch und gefährdet
den Anreiz zur Durchführung gemeinsamer F&E-Tätigkeiten im Allgemei
nen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Finanzierung weniger privile
giert sein soll als die Durchführung der Forschungsarbeiten selbst. Deshalb
sollte statt der Neufassung eine klarstellende Ergänzung des Wortlauts in
Art. 2 Nr. 11 Buchst. c) der bestehenden F&E-GVO um den Begriff „Fi-
nanzierung“ erfolgen („….c) durch die Vertragsparteien selbst, von denen
jede eine bestimmte Aufgabe – Finanzierung, Forschung, Entwicklung,
Herstellung oder Vertrieb – übernimmt“).
Dies ist deshalb so wichtig, da die Finanzierung eine zentrale Rolle im
Rahmen von F&E-Vorhaben spielt: Die Entwicklung neuer Produkte und
die Durchführung entsprechender Projekte kann nur bei gesicherter Finan
zierung mit Aussicht auf Erfolg durchgeführt werden. Die Finanzierung ist
damit ein ebenso bedeutsamer Bestandteil gemeinsamer F&E wie die ar-
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beitsteilige Durchführung der F&E-Arbeiten an sich. Damit müssen die Par
teien auch dann von den Vorschriften der F&E-GVO profitieren, wenn sich
der Beitrag einer Partei aufgrund der arbeitsteiligen Rollenverteilung auf ei
ne rein finanzielle Beteiligung beschränkt.
3. Spezialisierung auf die Verwertung, Art. 1 Nr. 13 F&E-GVO
Nach dem Wortlaut des Entwurfs muss nach Art. 1 Nr. 13 F&E-GVO „jede
der Parteien in gewissem Umfang an der Verwertung der Ergebnisse im
Binnenmarkt mitwirken“. Dabei muss insbesondere „jede Partei in gewis
sem Umfang am Vertrieb der Vertragsprodukte im Binnenmarkt mitwirken,
zum Beispiel hinsichtlich bestimmter Gebiete, Kunden oder Anwendungsbe
reiche, die ihr zugeordnet sind.“
Diese Regelung begegnet aus unserer Sicht größten Bedenken. Es sollte den
Parteien freistehen, die Verwertung der Ergebnisse und dabei insbesondere
den Vertrieb der Vertragsprodukte frei zu regeln. Dies sieht Art. 2 Nr. 11
Buchst. c) der bestehenden F&E-GVO gegenwärtig auch vor, (vgl. „....c)
durch die Vertragsparteien selbst, von denen jede eine bestimmte Aufgabe –
Forschung, Entwicklung, Herstellung oder Vertrieb – übernimmt“).
Durch die Neuregelung wird den Parteien der Anreiz zur Durchführung von
gemeinsamen F&E-Tätigkeiten genommen. Gerade die Aufgabenverteilung
bzgl. Forschung, Entwicklung, Herstellung und Vertrieb ist ein zentrales
Element bei der Bewertung von F&E-Vorhaben. Insbesondere in Fällen, bei
denen eine der Parteien sehr viel Know-how und Schutzrechte in ein ge
meinsames F&E-Vorhaben einbringt, kann die alleinige Vermarktung durch
eine Partei für einen bestimmten Zeitraum besonders wichtig sein. Deshalb
sollte hier an der bestehenden Regelung – unter Erweiterung auf den Aspekt
der Finanzierung – festgehalten werden.
4. Begriff des „potentiellen Wettbewerbers“, Art. 1 Nr. 16 F&E-GVO
Der BDI begrüßt, dass die Kommission in Artikel 1 Nr. 16 F&E-GVO den
Begriff des „potentiellen Wettbewerbers“ präzisiert. Demnach ist ein poten
tieller Wettbewerber ein Unternehmen, „bei dem realistisch und nicht nur
hypothetisch davon ausgegangen werden kann, dass es ohne die For-
schungs- und Entwicklungsvereinbarung als Reaktion auf einen geringen,
aber anhaltenden Anstieg der relativen Preise wahrscheinlich innerhalb
von höchstens drei Jahren die zusätzlichen Investitionen tätigen oder sons
tigen Umstellungskosten auf sich nehmen würde, die erforderlich wären, um
Produkte, Technologien oder Verfahren anbieten zu können, die auf dem
räumlich relevanten Markt durch das Vertragsprodukt oder das Vertrags
verfahren verbessert oder ersetzt werden können.“
Uns würde allerdings interessieren, weshalb die Kommission hier einen
Zeitrahmen von drei Jahren gewählt hat, während die Horizontalleitlinien in
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Rn. 10 von einem potentiellen Markteintritt „innerhalb kurzer Zeit“ spre
chen und die Leitlinien zu vertikalen Vereinbarungen in Rn. 27 eine Frist
von höchstens einem Jahr vorsehen. Unklar ist auch, welche Anforderungen
an die Prognose zu stellen sind, ob ein Unternehmen innerhalb des Drei
Jahreszeitraums tatsächlich in Substitute- oder Komplementärprodukte in
vestieren könnte oder würde. Die zur Beurteilung aus Sicht der Europäi
schen Kommission relevanten Parameter sollten klargestellt werden.
5. Offenlegung sämtlicher bestehender und anhängiger Rechte des geistigen Eigentums, Art. 3 Abs. 2 F&E-GVO
Art. 3 Abs. 2 des Entwurfs der F&E-GVO fordert, „dass alle Parteien vor
Beginn der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sämtliche ihnen zuste
henden bestehenden und anhängigen Rechte des geistigen Eigentums offen
legen, sofern diese für die Verwertung der Ergebnisse durch die anderen
Parteien von Bedeutung sind.“
Diese Verpflichtung zur Offenlegung ist aus Sicht des BDI problematisch.
Insbesondere ist vor Beginn der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten re
gelmäßig noch nicht absehbar, welche Rechte des geistigen Eigentums für
das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben und die dabei gefundenen Er
gebnisse tatsächlich relevant sein werden. Außerdem gestaltet sich die Veri
fizierung möglicherweise relevanter geistiger Schutzrechte bei einem sehr
großen Patentportfolio äußerst schwierig und ist mitunter sehr zeitaufwän-
dig.
Insofern erscheint die Einhaltung der festgelegten Verpflichtung kaum
möglich. Die Regelung erscheint auch nicht zwingend erforderlich, da rele
vantes Know-how (und wohl auch Patente), welches für die Verwertung der
Ergebnisse erforderlich ist, nach Art. 3 Abs. 3 F&E-GVO ohnehin lizenziert
werden muss.
Die festgelegte Verpflichtung und eine daraus resultierende Nicht
Einhaltung der Verpflichtung birgt für die Parteien ein mögliches Haftungs
risiko. Dies wiederum ist geeignet, den Anreiz zur Durchführung gemein
samer F&E-Tätigkeiten zu vermindern.
Nach unserer Meinung sollte die Regelung deshalb entweder gestrichen,
oder aber dergestalt abgeändert werden, dass zum einen – wie auch in Art. 3
Abs. 4 F&E-GVO vorgesehen – auf die „Unerlässlichkeit“ der Rechte des
geistigen Eigentums für die spätere Verwertung abgestellt wird und die Par
teien zum anderen lediglich angemessene Bemühungen zur Identifizierung
relevanter Rechte des geistigen Eigentums vornehmen und die aufgrund
dieser Bemühungen identifizierten Rechte offenlegen müssen. Alternativ
kommt eine Regelung in Betracht, dass zusätzliche, nachträglich – also
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während der gemeinsamen F&E – identifizierte relevante Rechte des geisti
gen Eigentums ebenfalls (nachträglich) offenzulegen sind.
6. Zugang zu vorhandenem Know-how, Art. 3 Abs. 4 F&E-GVO
Nach Art. 3 Abs. 4 des Entwurfs der F&E-GVO muss „jeder Partei Zugang
zum vorhandenen Know-how der anderen Partei“ gewährt werden, „sofern
dieses Know-how für die Verwertung der Ergebnisse durch die Partei uner
lässlich ist.“
Nach der Definition in Art. 1 Nr. 10 umfasst der Begriff „Know-how“ die
„Gesamtheit nicht patentgeschützter praktischer Kenntnisse“. Patente sind
also vom Begriff des Know-how ausgeschlossen.
Damit stellt sich die Frage, ob die Parteien sich (i) gegenseitig überhaupt
keinen Zugang an Patenten einräumen müssen, die für die Verwertung der
Ergebnisse unerlässlich sind, oder (ii) ob die Parteien sich zwar entspre
chende Patente einräumen müssen, diese aber von der Zahlung von fairen
und nicht diskriminierenden Lizenzgebühren abhängig gemacht werden
dürfen.
Außerdem stellt sich auch bzgl. des gegenseitig einzuräumenden Know
hows die Frage, ob die Parteien die entsprechende Einräumung von der
Zahlung fairer und nicht diskriminierender Lizenzgebühren abhängig ma
chen dürfen.
Eine Klarstellung im Hinblick auf die aufgeworfenen Fragen erscheint im
Interesse der Rechtssicherheit geboten.
7. Marktanteilsschwelle und Freistellungsdauer, Art. 4 F&E-GVO
Der BDI regt an, in Art. 4 Abs. 3 F&E-GVO neben der Marktanteilsschwel
le in Anlehnung an die US-amerikanische Praxis einen weiteren safe harbor
in die F&E-GVO oder wenigstens in die Horizontalleitlinien einzuführen.
Nach unserer Auffassung sind generelle Wettbewerbsbedenken auszu
schließen, wenn neben der zu beurteilenden F&E-Kooperation mindestens
zwei weitere unabhängige Forschungsprojekte mit vergleichbaren Ressour
cen bestehen. Diese Ansicht wird auch in der Lehre geteilt (siehe z.B. Fuchs
in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, 4. Auflage, F&E-
VO, Rn. 95.)
Die vorgeschlagene safe-harbor-Regelung würde wettbewerbspolitisch rich
tig auf die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Forschungs- und Innovations
markt abstellen und käme ohne eine Betrachtung der Marktanteile auf den
gegenwärtigen Produktmärkten aus. Im Falle der Existenz weiterer unab
hängiger Forschungsprojekte mit vergleichbaren Forschungsressourcen wä
re sichergestellt, dass die beabsichtige F&E-Kooperation den Forschungs
und Innovationswettbewerb nicht spürbar beschränken kann. Dies würde
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selbst dann gelten, wenn die F&E-Kooperationspartner auf dem gegenwär
tigen Produktmarkt signifikante Marktanteile halten würden. Ihre Marktstel
lung auf dem gegenwärtigen Produktmarkt sagt noch nichts darüber aus,
wie ihre Marktstellung im Hinblick auf den Forschungswettbewerb für die
hier in Frage stehende neue Technologie zu beurteilen ist. Die vorgeschla
gene safe-harbor-Regelung steht im Einklang mit der US-amerikanischen
Praxis. Eine entsprechende Regelung findet sich auch in den „Antitrust
Guidelines for Collaborations among Competitors“ der Federal Trade
Commission und des US Department of Justice (April 2000, S. 26 f).
Wenn auch die US-amerikanischen Kartellbehörden im Jahr 2000 einen sa
fe harbor erst bei drei weiteren unabhängigen Forschungsprojekten aner
kennen wollten, kann man darüber nachdenken, die Schwelle bei zwei wei
teren unabhängigen Forschungsprojekten zu setzen. Bereits dann ist in den
allermeisten Fällen davon auszugehen, dass eine F&E-Kooperation, selbst
zwischen Wettbewerbern und mit gemeinsamer Verwertung, freistellungs
fähig ist.
Schließlich würde die vorgeschlagene safe harbor-Regelung für die Unter
nehmen ein Mehr an Rechtssicherheit bedeuten, selbst wenn im Einzelfall
die Feststellung vergleichbarere Forschungsprojekte nicht immer einfach
sein wird.
8. Vertriebsbeschränkung, Art. 5 Buchst. d) F&E-GVO
Nach der gegenwärtig gültigen Regelung in Art. 5 Buchst. e) F&E-GVO ist
eine Einschränkung der Freiheit der beteiligten Unternehmen hinsichtlich
der Wahl der zu beliefernden Kunden für den freigestellten Zeitraum von
sieben Jahren ab dem ersten Inverkehrbringen der Vertragsprodukte mög
lich. Die Regelung ermöglicht eine Beschränkung sowohl des Aktiv- wie
auch des Passivvertriebs.
Nach Art. 5 Buchst. d) des Entwurfs der F&E-GVO soll dagegen nunmehr
nur noch eine Beschränkung des Aktivvertriebs möglich sein, der Passiv
vertrieb darf dagegen nicht mehr beschränkt werden.
Aus Sicht des BDI stellt aber gerade die Möglichkeit, den Vertrieb an be
stimmte Kunden für einen gewissen Zeitraum vollumfänglich zu beschrän
ken, einen elementaren Anreiz für die Durchführung gemeinsamer F&E-
Arbeiten dar. Dieser Anreiz ist auch wettbewerbspolitisch legitim, da gera
de bei innovativen, im Rahmen gemeinsamer F&E entwickelten Produkten
ein großes Risiko von Passivverkäufen besteht und nur bei umfassenden
Beschränkungsrechten weiterhin hohe Anreize für gemeinsame F&E und
entsprechende Produktinnovation bestehen. Die angestrebte Neuregelung
verringert diese Innovationsanreize und gefährdet damit die Durchführung
von F&E-Vorhaben im Allgemeinen. Um die Durchführung gemeinsamer
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F&E-Vorhaben nicht zu gefährden, sollte hier die alte Regelung beibehalten
werden.
D. Bemerkungen zum Entwurf der Spezialisierungs-GVO
Nach Art. 3 i.V.m. Art. 1 Nr. 7 Spezialisierungs-GVO soll für Spezialisie
rungsvereinbarungen über die Herstellung von Zwischenprodukten, die eine
oder mehrere der Parteien ganz oder teilweise intern für die Produktion
nachgelagerter Produkte verwenden, welche von diesen Parteien auf dem
Handelsmarkt verkauft werden, eine zweite Marktanteilsschwelle von 20 %
auf dem Markt für die nachgelagerten Produkte eingeführt werden. Die Ein
führung einer zweiten Marktanteilsschwelle ähnelt dem bereits im Rahmen
der neuen Vertikal-GVO angewandten Ansatz der Europäischen Kommissi
on.
Unsere Kritik an dem Konzept der Marktanteilsschwellen haben wir bereits
dargelegt. Die Freistellungsreichweite der Spezialisierungs-GVO würde
durch die Einführung einer zusätzlichen Schwelle eingeschränkt, die prakti
sche Relevanz der Spezialisierungs-GVO geschmälert. Im Übrigen würde
die Einführung der zweiten Schwelle zu einer weiteren Zersplitterung der
Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenfreistellungsverordnungen füh
ren. Wir empfehlen daher, von der Einführung einer zweiten Marktanteils
schwelle abzusehen.
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Niels Lau Nadine Rossmann
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